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Quellen zur Filmgeschichte 1920 - jetzt
Texte aus den Programm-Heften des Filmclubs

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Film-Club Frankfurt,Main e.V.
Klarastrasse 5 Tel. 524890
(Archiv für Filmkunde Paul Sauerlaender)

Register zu den Programmheften vom "Film-Club, Frankfurt am Main": Jahr.Nummer
1966.28 Neubeginn des Film-Clubs Frankfurt-Main e.V.
1966.29 Jörgensen, Birger: Teinosuke Kinugasa
1966.30 Stettner, Herbert: Vier DEFA-Film
1967.30 Sauerlaender, Paul: Stummfilm und Musik
1967.31 Tonfilm-Gedanken 1929 (Chaplin; von Molo; Lilian Gish; Griffith; Bagier)
1967.31 Bergmann-Michel: Meine Dokumentar-Filme
1967.31 Sauerlaender, Paul: Ella Bergmann-Michel und der Film-Club Frankfurt a.M.
1967.32 Sauerlaender, Paul: Groteskfilme
1967.32 Gerteis, Walter: Frankfurts erste Kinos
1967.32 Althof, Paul (1912): Der Kinematograph
1967.33 Lejeune: Nachrichten (Filmbrand in Ffm 1965; Gelddiebstahl für Filmwiss.Ges.)
1967.33 Stettner, Herbert: Noch einmal vier DEFA-Filme
1967.33 Rott, Peter: ... nur schwache Geister leugnen ihre Herkunft (Kintopp in Wien)
1967.33 Sauerlaender, Paul: In memoriam Walburga Schindler (Brezenfrau in Frankf.Kinos)
1967.34 Stettner, Herbert: Eisensteins Matrosen und die Schüler (Aufsätze 1966)
1967.34 Birett, Herbert: Zwei Messter-Filme (Der stellungslose Photograph; Nur ein Viertelstündchen)
1967.34 Sauerlaender, Paul: Ernst Moritz Engert und der Film
1967.35 Stettner, Herbert: Ulrich Erfurths Filme
1967.35 Dorndorf, Rolf: Einer von der Tankstelle (Rühmann)
1967.35 Plato (Höhlengleichnis)
1967.35 Sauerlaender, Paul: Reim-Titel im Stummfilm
1967.36 Rott, Peter: Immer mehr Technik, damit die Illusionen stimmen
1967.36 Birett, Herbert: Das magische Papier (Engert-Ausstellung in der Stadtbücherei, München)
1967.36 Sauerlaender, Paul: Kaleidoskop: [Fernsehen in Neu-Colonien]
1967.36 Sauerlaender, Paul: Kaleidoskop: [Theaterpremiere]
1967.37 Forman, Milos: Der schwarze Peter
1967.37 Birett, Hartmut: Film als Forschungsmittel. I
1967.37 Gerteis, Walter: Optische Vergnügungen von einst. I: Diorama
1967.38 Stettner, Herbert: Gibt es dekretierte Kunst? (Plan zu einem Filmgesetz)
1967.38 Birett, Hartmut: Film als Forschungsmittel. II
1967.38 Gerteis, Walter: Optische Vergnügungen von einst. II: Nebelbilder
1967.39 Stettner, Herbert: Jiri Trnka und der Puppenfilm
1967.39 Schadt, Dieter: Filmzensur in der Bundesrepublik
1967.39 Sauerlaender, Paul: Kaleidoskop: [Das Wort "Film"]
1967.39 Sauerlaender, Paul: Kaleidoskop: [Paul Wegener: 1. Golem-Film 1914]
1967.39 Sauerlaender, Paul: Kaleidoskop: [Rektor Kellers Dank für die Filmclub-Hefte]
1967.39 Sauerlaender, Paul: Kaleidoskop: [IV. Woche des asiatischen Films]
1967.39 Gerteis, Walter: Optische Vergnügungen von einst. III: Kaiserpanorama
1968.40 Sauerlaender, Frank P.: Filme der Welt für den Frieden der Welt
1968.40 Gerteis, Walter: Optische Vergnügungen von einst. IV: Rundpanorama
1968.41 Sauerlaender, Paul: Der Regisseur Arnold Fanck
1968.41 Stettner, Herbert: Filmclubs in Frankfurt am Main
1968.42 Birett, Hartmut: Natur zur Unterhaltung. I
1968.42 Gerteis, Walter: Optische Vergnügungen von einst. V: Der Projektionsapparat
1968.43 Meyer, Ewald: Die dritte Dimension
1968.43 Birett, Hartmut: Natur zur Unterhaltung. II
1968.43 Mack, Max: Die Virage
1968.44 Stettner, Herbert: Pornographie im Kino?
1968.44 Birett, Herbert: La Passion de Jeanne d' Arc von Th. Dreyer
1968.44 Brigitte Helm 60
1968.45 Bernauer, Barbara: Hier schminkte sich Waldemar Psilander
1968.45 Schuler, Arthur: Erinnerungen aus der Stummfilmzeit. I
1968.45 Gerteis, Walter: Der frühe Film in der Karikatur
1968.45 Sauerlaender, Paul: Flohkino
1968.45 Bergmann-Michel: Dsiga Wertow in Frankfurt
1968.45 Birett, Hartmut: Stimmungsfarben im Film. I
1968.46 Meyer, Ewald's Dolly. Kollephonium (=" Vorspruch)
1968.46 Stettner, Herbert: Deutschland, erwache (Leisers Buch)
1968.46 Tucholsky, Kurt: Rheinsberg (Kinobesuch)
1968.46 Birett, Hartmut: Stimmungsfarben im Film. II
1968.47 Ramin, Robert: Conrad Veidt - ein Leben für den Film (Ausschnitt)
1968.47 Meyer, Barbara: Stummfilme im Fernsehen
1968.47 Birett, Hartmut: Stimmungsfarben im Film. III
1968.47 Meyer, Ewald's Dolly. Autokino
1968.47 Gerteis, Walter: Optische Vergnügungen von einst. VI: Der Guckkasten
1968.47 Armbrüster, Ernst: Flammen um Greta Garbo (Ausschnitt)
1969.48 Gerteis, Walter: Svengali und seine Vorgeschichte
1968.48 Heidbüchel, Jakob: Vergabe der Kultur- und Dokumentarfilmprämien
1968.48 Meyer, Ewald's Dolly. Filmwoche-Bericht
1969.48 Sauerlaender, Paul: Die Musen lächeln (zu Pinthus)
1969.49 Gerteis, Walter: Sherlock Holmes konnte nicht sterben
1969.49 Meyer, Barbara: Plädoyer für die Vorbeugehaft (Mechow, Ulf von "Ende eines Westerns")
1969.49 Meyer, Ewald's Dolly. Vorhang - Leinwand - Flimmerscheibe
1969.50 Sauerlaender, Paul: Quasimodo
1969.50 Pudowkin, W. I.: Filmtypen statt Schauspieler
1969.51 Reinert, Charles: Der Zauberer von Montreuil-sous-Bois (Kleines Filmlexikon)
1969.51 Gerteis, Walter: Als George Méliès zu filmen begann
1969.51 Meyer, Ewald's Dolly. Wildwest - auch in Italien
1969.51 Kühnlenz, Günter: Zwei oder drei Dinge über eine Filmdiskussion (Godard: 2 oder 3 Dinge ...)
1969.52 Feurich, Jörg Peter: Django und der Lustgewinn - Emser Stimmen zur Gewalt
1969.52 Sauerlaender, Paul: Abermals Ernst Moritz Engert
1969.52 Meyer, Ewald's Dolly. Lächelt für UFA
1969.53 Gebauer, Dorothea: Das phantastische Erbe der Romantik im deutschen Stummfilm. I
1969.53 Staatl. Filmarchiv der DDR: Homunculus. IV: Die Rache des Homunculus
1969.53 Ewers, Hanns Heinz: Thomas Alva Edison hasse ich _...
1969.54 Huld, Wolfgang: Amerikanische Impressionen
1969.54 Birett, Herbert: Die gezeichneten Filme des Emile Reynaud
1969.54 Gebauer, Dorothea: Das phantastische Erbe der Romantik im deutschen Stummfilm. II
1970.55 Sauerlaender, Paul: Leipzig ist eine Reise wert (12. Int.Dok.Tage)
1970.55 Donatus, Horst: Wenn Polanski kommt
1970.55 Meyer, Ewald's Dolly. Demoskopie
1970.55 Gebauer, Dorothea: Das phantastische Erbe der Romantik im deutschen Stummfilm. III
1970.56 Autorenfilme aus Amerika (Kulturabt. der am. Botschaft)
1970.56 Duchamp, Marcel: Anemic Cinema (1926)
1970.57 Birett, Hartmut: Zauberei auf Zelluloid (Tricks). I
1970.57 Sauerlaender, Paul: Zwischentitel
1970.57 Fuchs, Georg: Tonbildfilme bzw. No-Movies
1970.58 Gebauer, Dorothea: Der Regisseur Georg Wilhelm Pabst. I
1970.58 Gerteis, Walter: Klippenhänger (Fortsetzungsfilme)
1970.58 Birett, Hartmut: Zauberei auf Zelluloid (Tricks). II
1970.59 Pressestimmen zu "Dr. Mabuse der Spieler"
1970.61 Gebauer, Dorothea: Der Regisseur Georg Wilhelm Pabst. II
1970.61 Schuler, Arthur: Erinnerungen aus der Stummfilmzeit: Begleitmusik
1975.86 S. Der Schauspieler Fritz Rasp
1975.87 P.S.: Zum Schauspieler Harry Piel
1975.88 W.St.: Charlie Chaplin: Serienheld und filmischer Ausdruck der Trivialliteratur
1975.89 P.S.: Go West
1976.10 Archiv für Filmkunde neugestaltet
1977.10 Laterna Magica
1977.10 Die Reise um die Erde in 80 Tagen
1977.10 Der Mann, der lacht
1977.10 Laterna Magica Nr. 2
1977.10 Französisches Kindertheater "OPERA"
1977.10 (Nr. doppelt) Pathé KOK
1977.10 Projektor G B M BAVARIA
1978.10 Scherenschnittfilme von Edeltraut Engelhardt
1978.10 Charlie Chaplin +
1978.11 Symphonie des Grauens (F. W. Murnau)
1979.11 Farbe im Film
1979.11 Sauerlaender (?): Wir könnten ein Fest feiern...

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Heft 28 (3.11.-24.11.66)
Neubeginn des Film-Clubs Frankfurt-Main e.V.
Nach längerer Pause beginnt mit diesem Programm der Film-Club Frankfurt-Main e.V. wieder seine regelmässigen Veranstaltungen. Jeweils donnerstags 20.00 Uhr finden diese im Archiv für Filmkunde statt.
Am 29.10.1966 wurde in einer ordentlichen Mitgliederversammlung der Vorstand neu gewählt. Den 1. Vorsitz übernahm wieder Herr Paul Sauerlaender. 2. Vorsitzender wurde Herr Herbert Stettner. Ferner sind im Vorstand vertreten: Frl. Renate Forster, Herr Hartmut Birett, Herr Dr. Walter Gerteis und Herr Helmut Schmitz. Die Geschäftsführung wurde Herrn Frank P. Sauerlaender übertragen.
Der Mitgliedsbeitrag wurde auf monatlich DM 2,00 festgesetzt und berechtigt zum Besuch aller Veranstaltungen.
Der Film-Club Frankfurt-Main e.V. betrachtet es nicht als seine Aufgabe, nur eine Besucherorganisation zu sein, die eine möglichst grosse Auswahl guter Filme zeigt. - Vielmehr will er versuchen, eine Grundlage zu schaffen, die es den Mitgliedern ermöglicht, eine umfassende Kenntnis vom Wesen des Films zu erlangen.

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Heft 29 (1.12.-22.12.66)
Birger Jörgensen Dansk Filmmuseum, Kopenhagen) Teinosuke Kinugasa
Dieser Regisseur des Jahrgangs 1896 gehört zu den Veteranen des japanischen Films. Er debütierte 1923 mit dem Film "Niwa no Kotori" (Die beiden kleinen Vögel des Meeres). Beim Wiederaufbau der durch ein Erdbeben 1923 zerstörten japanischen Filmindustrie spielte er eine wesentliche Rolle. Er gründete seine eigene Produktionsgesellschaft, deren erster Film "Kurutta Ippeiji" sich durch seine impressionistische Bildsprache grundsätzlich von der seitherigen japanischen Produktion unterschied. Er wurde auch finanziell ein Riesenerfolg. "Jujiro" war der dritte und letzte Film, den Kinugasa selbst produzierte. Er war keineswegs typisch für den japanischen Film der zwanziger Jahre. Kinugasa erlangte mit diesem Werk internationale Anerkennung und erklärte, dass der Film seine eigenen Depressionen dieser Zeit widerspiegele.
Nach der Fertigstellung von "Jujiro" reiste Kinugasa nach Europa und besuchte Eisenstein in Moskau. Anschliessend kam er nach Berlin, wo er sich bis 1931 aufhielt. Er hatte eine Kopie von "Jujiro" mitgebracht und zeigte sie der Ufa, die jedoch nicht besonders interessiert war, dann aber doch den Film unter dem Titel "Im Schatten von Yoshiwara" herausbrachte.
"Jujiro" bedeutet eigentlich "Kreuzweg". Die deutschen Kritiker waren begeistert und ihre französischen Kollegen waren es nicht weniger, als der Film in Paris gezeigt wurde. - Montage, Beleuchtung und Nahaufnahmen in "Jujiro" wurden mit Dreyers "La Passion de Jeanne d' Arc" verglichen. Wüsste man es nicht besser, so könnte man annehmen, Kinugasa habe Dreyers Film gesehen, bevor er "Jujiro" drehte.
Bei uns wurde Kinugasa seither lediglich durch seinen Film "Jigokü Kon" (Das Höllentor) bekannt, für den er in Cannes einen Grand Prix erhielt.
[Ergänzung: Zensurnummer B22322 (Zensurkarte: Kinemathek) Im Schatten des Yoshiwara Produktion: Shochiku-Kinema AG, Tokio; Verleih: Wirtschaftsverband für Handel u. Industrie, Abt. Filmindustrie, Frankfurt,M.; 6 Akte, 1819 m, Zensurdatum 30.04.29; Entscheid: Jv]

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Heft 30 (5.1.-26.1.67)
Herbert Stettner Vier DEFA-Filme
Wolfgang Staudtes Antinazi-Film "Rotation" erlebte noch so etwas wie ein gesamtdeutsches Dasein: Im August 1949 hatte er im Osten seine Premiere und bereite im April 1950 konnte er - freilich um 144 m gekürzt - die westdeutsche Zensur passieren. In unseren Kinos war diesem Film nur ein trauriges Schicksal vergönnt und so ist es gewiss bemerkenswert, dass die sonst klar auf politischem Anti-Ost-Kurs befindliche Bonner Bundeszentrale für politische Bildung (mangels besserer West-Filme) auch heute noch "Rotation" für ihre "Staatsbürgerbildung benutzt.
Staudtes 6. DEFA-Film "Der Untertan" (1951) benötigte 6 Jahre, bis er 1957 endlich bei uns besichtigt werden konnte. Den Zensurschwierigkeiten folgten gehässige Kritiken: "ein fragwürdiger, böser, humorloser Film", dabei war dies vielleicht der beste deutsche Film seit 1945. Sicher war es aber der unbequemste.
Martin Hellbergs "Das verurteilte Dorf" (1952) fand nie den Weg in unsere Kinos. Für diese Attacke gegen die bundesdeutsche Wiederaufrüstung gab es in der Ära des Korea-Krieges bei uns keine Chance. Die naive Hoffnung dieses Films (Bauern wehren sich gegen Landwegnahme für Militärzwecke) erwies sich auch als pure Illusion: Gierig trachteten unsere Gemeinden danach, wieder eine Garnison in ihre Mauern zu bekommen.
Kurt Maetzigs zweiteiliger Thälemann-Film (1954-1955) blieb uns ebenfalls verborgen. Auch in der DDR bescheinigte man diesem Heldenepos später "dramaturgische Schwächen". Immerhin vertrieb die erwähnte Bundeszentrale einst eine s/w Kopie des I. Filmteiles, nicht positiv, wie "Rotation", sondern zur Gegenpropaganda. Zeiten und Filme hatten sich mittlerweile grundlegend gewandelt.
Paul Sauerlaender Stummfilm und Musik
Film war niemals stumm. Bereits Emile Reynaud untermalte seine "Pantomimes Lumineuses" 1892 im Musée Grévin mit Musik. Drei Jahre vor der Projektion des fotografierten Filmes der Brüder Lumière zeigte er Trickfilme, bei denen jeweils das gezeichnete und kolorierte Originalbild projiziert wurde. Auf zeitgenössischen Abbildungen ist der Klavierspieler mit dem Blick zur Leinwand zu erkennen.
Als 1895 die Brüder Lumière ihre fotografierten Streifen im "Salon Indien" zeigten, wurden die Filme mit Musik untermalt.
Edison hatte schon 1894 ausgesprochen, dass er den Kinematographen lediglich zu dem Zweck schaffen wollte, um seine optische Illustration zu seinem Phonographen zu erhalten.
Um die Jahrhundertwende etablierte sich der Film in den Schaubuden der Jahrmärkte. Hier hatten Orchestrion und Drehorgel mehr die Aufgabe Besucher anzulocken, als die Filme zu untermalen. Filmvorführungen im Circus Althoff allerdings wurden schon von einem grossen Orchester begleitet.
Als der Film sich dann in den Städten ansiedelte, wurde das Orchestrion bald vom Klavierspieler abgelöst. Das Repertoir bestand aus Opernfantasien, Charakterstücken, Märschen und Schlagern, wie sie aus dem Nachmittagscafé bekannt waren. Der Violinspieler kam hinzu, und man erzählte eine bezeichnende Anekdote aus dieser Zeit: Wie sich Henny Porten verzweifelt ins Wasser stürzen will, erklingen dumpfe Töne auf dem Klavier, klagend schluchzt die Geige. Da ruft es aus dem dunklen Zuschauerraum: "Henny nimm den Geiger mit!" Es gab aber auch Kinomusiker, die keine Noten lesen konnten, und trotzdem die Filme gut untermalten.
Um 1910 schrieb Paul Lincke die Musik zu einer Filmpantomime von Oskar Messter. Die Darsteller mussten sich bei der Aufnahme in ihren Bewegungen der Musik anpassen. Während der Projektion richtete sich der Klavierspieler nach dem Film und spielte langsamer oder schneller.
Später erst konnte der Kapellmeister vom Pult aus die Vorführgeschwindigkeit mittels eines Widerstandes regeln. Dann gab es auch Filme, die an der unteren Bildbegrenzung in einem Halbkreis einen Dirigenten zeigten, der das Orchester leitete. Erfinder meldeten Patente an, die eine genaue Übereinstimmung von Bild und Musik möglich machen sollten.
Als 1913 unter der Regie von Stellan Rye "Der Student von Prag" nach Hanns Heinz Ewers mit Paul Wegener in der Titelrolle gedreht werden sollte, war es das erstemal, dass zu einem Spielfilm eine eigene Musik entstand. Professor Josef Weiss war Komponist.
Oskar Messter liess von Dr. Giuseppe Becce die Partitur zu einem Richard Wagner Film schreiben. Es folgten, ebenfalls von Becce, Kompositionen zu Henny Porten Filmen. Zeitungskritiker erwähnten besonders die Musik zu "Die Räuberbraut" (1916).
Giuseppe Becce hat Jahrzehnte Filmmusik geschrieben, auch noch, als die Leinwand längst sprechen gelernt hatte. 1927 veröffentlichte er mit Hans Erdmann und Ludwig Brav das "Allgemeine Handbuch der Filmmusik". Einige tausend Notenbeispiele, vorwiegend aus der klassischen Musik, gaben dem Kinomusiker die Möglichkeit stimmungsvoller Untermalung: Katastrophe - Schlacht - Glück und Dank - Leidenschaft und Sehnsucht - Schwere Melancholie. So wurden die Motive nach "Höhepunkten" geordnet. Neben Becce gab es eine ganze Reihe Komponisten, die Filmmusik schrieben. Heute noch bekannt sind Werner R. Heymann und Eduard Künnecke, der auch Musik zum Lubitsch-Film "Das Weib des Pharao" (1921) schrieb. Das bekannte Charakterstück "Auf einem persischen Markt" von Ketelbey war ursprünglich zur Filmuntermalung komponiert worden.
Aus der Musikaufstellung von Kapellmeister Herwarth Schulz zu dem 1921 gedrehten Film:
Die Bettlerin von Stambul. 1. Akt

Titel: Wo man nichts weiss von 10 Geboten    == Türk. Suite I von Gauwin
Titel: Draussen in der glühenden Sandhölle   == Türk. Suite II Anfang
                                             == Suite Orientale v. Popy II
Titel: Am Rande des Wüstensaums              == Suite Orientale I ff mit Pauken
(Der Käufer verlässt den Harem)              == Kinothek Nr.7 mit Paukenwirbel
Titel: Hektor Baron                          == Fant. Djamilch von Bizet
(Bettlerin verlässt Bazar. Er geht ihr nach) == von Molto moderato
2. Akt.
Titel: Der Harem                             == Tanz der Almen
(bis Tänzerin zu tanzen aufhört)
Titel: Du wagst es _...                      == Denselben Tanz in beschleunigtem
(Die Favoritin holt den Fremden in den       == Tempo weiter oder nur Paukenwirbel
Harem)
Titel: Der Scheik erscheint im Harem         == Indische Suite v. Luling
(Der Fremde flieht)                          == Ouverture "Iphigenie" von Gluck

Zu den beiden Nibelungen-Filmen von Fritz Lang "Siegfrieds Tod" und "Kriemhilds Rache" 1923-24 schrieb Gottfried Huppertz die Musik.
Wie alle Originalkompositionen zu Filmen, kam diese nur in den grossen Filmtheatern zur Aufführung. Personen und Schauplätze hatten eigene Motive, die ineinander verwoben wurden: Siegfried (Lebhaft, energisch), Nebelwiese (Langsam, gespenstisch), Hagen (schwer), Siegfried im Walde (gemächlich).
Als im Film "Lach Clown Lach" der Mann in einem Spiegel den Verrat seiner Liebe sieht, begann neben der Leinwand vom Orchester begleitet ein Sänger das Lied, nach dem der Film seinen Titel erhalten hatte.- Operettenfilme wurden Ende der zwanziger Jahre oft mit Gesangseinlagen ausgeschmückt.
Die Kino-Orgel hielt ihren Einzug in die Filmpaläste. Sie ersetzte nicht nur ein grosses Orchester, mit ihr konnte man auch Geräusche musikalisch imitieren.
Für die kleinen Kinos kamen Schallplatten, speziell für Filmuntermalung hergestellt, auf den Markt. Polidor-Cinema brachte eine grosse Auswahl für auf der Leinwand vorkommende Situationen mit einer Spieldauer von 1-4 Minuten je Seite. Diese Platten wurden noch akustisch aufgenommen und befand sich auf beiden Seiten das gleiche Stück. Von Walter Gronoatay komponiert erschienen Geräuschplatten: Fahrender Zug - Nachtwächterruf - Posthörner - Meeresrauschen.
Der romantische Zauber der Film-Musik wurde immermehr vom Lautsprecher verdrängt. Seltener las man die Ankündigung: "Erstklassiges Künstlerorchester". Als letztes Kino in Frankfurt entliessen die "Luitpold-Lichtspiele" den Geiger, nahmen dem Klavierspieler die Tasten fort und bauten an deren Stelle zwei Plattenspieler ein. Da sass er nun noch manches Jahr und wechselte die Platten, so wie er vordem die Noten gewechselt hatte.

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Heft 31 (2.2.-23.2.67)
"Tonfilm"-Gedanken 1929 David Ward Griffith
Der "sprechende Film" kann tatsächlich glücken, wenn er hauptsächlich in einem stummen Film besteht, zu dem es gelingt, die Dialoge zu finden. Wir müssen aber dasselbe Tempo, dieselbe dramatische Zuspitzung und denselben Wirklichkeitssinn behalten, den wir jetzt im stummen Film besitzen.
Guido Bagier
Es ist möglich, dass durch den akustischen Film eine völlig neue Art von filmischem Stil entsteht. Aber nur auf dem Gebiet der Begleitmusik werden Bindungen entstehen, die beide Erfindungen zu einer höheren Einheit emporheben.
Ella Bergmann-Michel Meine Dokumentar-Filme
Eines Tages machte der Architekt Mart Stam mir den Vorschlag, einen Film über das von ihm, Moser und Kramer gebaute Budge-Altersheim in Frankfurt zu drehen. Leider war ich noch nicht im Besitz einer eigenen Kamera. Es fand sich ein Fotograf, der einen Apparat mit Handkurbel besass. Nach einem von Mart Stam und mir angefertigtem Manuskript übernahm ich die Regie. Licht und Sonne in grossen heiteren Räumen hatte dieser 1929 fertiggestellte, erstmalig für Frankfurt sehr moderne Bau, der mit allen Bequemlichkeiten für alte Leute ausgestattet war. So wurde das Altersheim aufgenommen und das Wohlbefinden der Alten gezeigt.
Der Grundriss des Baues, sowie die Veränderlichkeit einiger Räume, wurde durch Zeichnung im Trick dargestellt.
Nach der ersten Vorführung meines Films im Programm einer Matineé im "bund das neue frankfurt" mit den Filmen: "Die neue Wohnung" von Hans Richter und "Abbruch und Aufbau" von Wilfried Basse, stellte damals die "Frankfurter Zeitung" fest, dass es eine gelungene Kulturfilm-Demonstration gewesen sei. Lichtspieltheater in Frankfurt und Berlin übernahmen den Film in ihr Beiprogramm. Verleiher war der "bund das neue frankfurt". In- und ausländische Baugesellschaften erwarben Kopien.
Ein Zufall liess mich den 35 mm Hand-Kinamo erwerben, zu dem mir Joris Ivens geraten hatte. Er hatte mit einer solchen, damals sogenannten bewegten Kamera, seinen Film "Regen" und Teile des "Zuidersee"-Films gedreht.
Im Frühjahr 1932 wandte sich der Verein der Frankfurter Erwerbslosen-Küchen mit einer Bitte um einen kurzen Werbefilm an verschiedene Filmgesellschaften. Die Frankfurter "Volksstimme" berichtete im September 1932 hierüber: Es ist interessant, dass grosse Filmgesellschaften die Herstellung eines derartigen Bildstreifens wie den der Erwerbslosen-Küchen ablehnten, da schon die Kosten allein für den Lampenpark als zu hoch bezeichnet wurden. Ich musste deshalb den Film auf eigene Faust trotz grosser Schwierigkeiten mit den geringsten Mitteln herstellen. Die schon so oft totgesagte "Avantgarde" des Films, die hier in Frankfurt in der dem "bund das neue frankfurt" angeschlossenen Filmliga wirkt, hat mit der Lösung dieser aktuellen Aufgabe erneut ihre Existenzberechtigung erwiesen.
Mit drei 1000 Watt Lampen im Rucksack und dem kleinen Kinamo, dessen Negativfilme ich in die Kasetten in dunklen Kellern oder Photogeschäften - sofern sie überhaupt greifbar waren - einlegte, hatte ich es geschafft. 3 Kasetten zu je 25 m Film Aufzeichnungen als Resultat aus Beobachtungen in 98 Küchen, wo Erwerbslose 10 000 Liter Essen für Erwerbslose ausgaben, dienten als Unterlage für das Thema des Werbefilms. Seine Aufgabe war es, überzeugend die Bitte um weitere Beiträge darzustellen. Der Film lief im Beiprogramm der Lichtspieltheater und als Freiluft-Film abends an der Hauptwache unter dem dortigen Schiller-Denkmal. Einnahmen je Abend über 500 Reichsmark!
Mutig ging ich an den 3. und 4. Film mit eigenen Ideen. Ein dokumentarischer Bericht über die "Fliegenden Händler" in der Zeit der Arbeitslosigkeit gab das Thema. Mit der 35 mm Handkamera, - 16 mm und 8 mm Kameras waren damals erst gerade im Kommen - liessen sich unbeobachtet auf Plätzen und Strassen von den Händlern Aufnahmen machen. Von solchen mit teils sensationell aufgemachten Werbevorführungen, sowie den anderen, die bemüht waren, den Beobachtungen der Polizei zu entgehen, da versucht wurde, die Ware ohne Genehmigung zu verkaufen. Den Abschluss des Themas bildeten Jahrmarktshändler mit Vorführungen auf dem Rummelplatz vor der Grossmarkthalle. Dort bereits beschattet von politischer Polizei war ich froh, meine belichteten Film-Kasetten unangetastet nach Hause zu bekommen.
Der vierte Film, ein lyrisches Landschaftsthema "Spaziergang in der Rhön", reizte mich vor allem durch den Fischfang, der die Veranlassung an dem Spaziergang war. Es gelang mir, die gegen Abend aus dem Fluss hochspringenden Forellen in das Bild zu bekommen.
Der letzte Film blieb ein Fragment. Es waren Aufnahmen von Wahlplakaten, von lebhaften Strassen-Diskussionen, von typischen, den jeweiligen Parteien zugehörigen Anhängern. Die Frankfurter Strassen und Gassen bereits mit Hakenkreuz-Fahnen, sowie Hammer und Sichel, und der bekannten Flagge mit den 3 Pfeilen geschmückt, wurden dokumentarisch festgehalten. Dann musste ich die Aufnahmen aus politischen Gründen abbrechen. Fotos, Filmstreifen und kurze Berichte brachte die Zeitschrift "die neue Stadt" Nr. 10 vom "bund das neue frankfurt". Es war im Januar 1933
Alle meine kleinen Filme sind Stumm-Filme. Der Altersheimfilm und Erwerbslosenfilm haben Zwischentitel. Die Filmsprache jener Jahre in den Kurzfilmen wurde durch Bildausschnitt, Kamerabewegung, Schnitt und Montage erreicht - ganz analog denen in der Liga für unabhängigen Film in Matineen vom "bund das neue frankfurt" gezeigten stummen Dokumentarfilmen: "Marseille" von Moholy Nagy, "Regen" von Joris Ivens, "Deutschlandfilm" von Basse, "Nanuk" von Flaherty, "La Tour" von Rene Clair.
Eppstein/Ts. im Januar 1967
Paul Sauerlaender Ella Bergmann-Michel und der Film-Club Frankfurt a.M.

Es begann 1949 in einer öffentlichen Wärmehalle in der Vilbeler-Strasse. Da hatten sich in der Stadt Goethes und der "Frankfurter Würstchen" vier Kunst- und Filmenthusiasten zusammengefunden und gründeten das "Filmstudio Frankfurt am Main", Frau Bergmann-Michel übernahm die Leitung.
Ende 1950 wurde sie mit dar Gründung des "Film-Club Frankfurt am Main e.V." beauftragt. Als 2. Vorsitzende leitete sie bis zum Sommer 1954, unterstützt von ihren Getreuen, dem Club.
Die Veranstaltungen fanden regelmässig in der "Brücke" und im "Amerika-Haus" statt. Später kamen an Sonntag-Vormittagen Veranstaltungen im "Luxor-Filmtheater" hinzu.
Dank ihrer guten Beziehungen zum Ausland zeigte Frau Bergmann-Michel Filme, die bis dahin in Frankfurt nicht zu sehen gewesen: Dreyers Johanna, mit einem persönlichen Vorspruch des Regisseurs, die Filme von Cocteau, Mitry und Carné, und die Experimentalfilme von Hans und Oskar Fischinger. - Die Geschichte der Filmkunst wurde anhand klassischer Beispiele aufgezeigt.
Als es dann in den Filmclubs durch die immermehr aufkommenden Filmkunsttheater und das Fernsehen ruhiger wurde, arbeitete sie jahrelang im Vorstand des Verbandes der Deutschen Film-Clubs mit.
Vielleicht zeigt ein Wort von Dr. Eckardt, anlässlich der Filmtage in Bad Ems gelassen ausgesprochen, ihre Einsatzfreudigkeit: "Frau Bergmann-Michel denkt morgens beim Aufstehen schon an den Filmclub. Sie tut es den ganzen Tag, und bittet abends beim Einschlafen den Lieben Gott, er möge sie auch noch davon träumen lassen.

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Heft 32 (2.3.-30.3.67)
Paul Sauerlaender Groteskfilme
1913 hatten sich die "Keystons Comedies" endgültig beim Publikum durchgesetzt und die Kurve ihrer Popularität stieg steil in die Höhe. Mack Sennet gelang es für seine Grotesken die besten Darsteller zu engagieren: Ford Sterling, Roscoe Arbuckle (Fatty), Al St. John, Mabel Normand und Mack Swain, der spätere grosse Bösewicht der frühen Chaplin Filme. - Im gleichen Jahre spielte Charles Spencer Chaplin seinen ersten Einakter bei Keystone: "Kid's Auto Races".
Die "Keystone Cops", eine Gruppe von Schauspieler-Artisten, wurden oft als Polizisten eingesetzt. Für sie bestanden keine Naturgesetze. Sie sprangen aus dem 8. Stock und rannten, auf der Strasse unverletzt gelandet, in wilder Verfolgung hinter den Verbrechern her. In besonders schwierigen Situationen wurden sie mit Hilfe des Stoptricks durch Puppen ersetzt. Alle mit der Kamera möglichen Tricks kamen zur Anwendung.
Ben Turpin kam zu Keystone, und Henry Bergmann, der später oft in Chaplin-Filmen die Rollen der dicken Frauen spielen sollte.
Alfred Polgar schrieb in den zwanziger Jahren: Des Menschen boshafteste Feinde sind: Die Menschen und die Naturgesetze. An beiden übt der Groteskfilm Vergeltung. Alle Spiesse dreht er um. Hier erlebt eine Welt der Antiwunder ihre Wunder.
Mitte der zwanziger Jahre wird es ruhiger um den Groteskfilm. Die grossen Stars, oft genug durch die Ein- und Zweiakter berühmt geworden, werden zum Mittelpunkt abendfüllender Filme. - Später mit dem Beginn des Tonfilms versucht "Vitaphone" die grossen Groteskfilmerfolge nun tönend auf die Leinwand zu bringen. Man dreht die Filme neu und lässt die Darsteller, unter ihnen der nun alt gewordene, aber immer noch schielende Ben Turpin, sprechen. Diese Filme sind langatmig, der Dialog stört, die Gags wirken aufgesetzt. Ihr Erfolg ist nur gering, und so verschwinden sie bald wieder aus den Lichtspieltheatern.
Dr. Walter Gerteis Frankfurts erste Kinos
I. Mit August Haslwanter begann es
In der Zeit des frühen Stummfilms machte in den Frankfurter Cafés eine Scherzfrage die Runde: Was ist ein Film? Antwort: Ein Theaterstück, in dem Stumme für Taube spielen. Wenn sich die Frankfurter ein solches stummes Vergnügen bescheren wollten, dann mussten sie im ersten Jahrzehnt entweder auf die Rummelplätze gehen, zu den Wanderkinos mit ihren tuckernden Lokomobilen, oder in ein Variété, ins alte Orpheum an der Konstablerwache oder ins grossartige neue Schumanntheater am Hauptbahnhof. Am Schluss des Programmes zeigte man gewöhnlich die neueste Wochenschau und kleine Filmchen von Méliès oder Max Linder.
Sein erstes ständiges Kino erhielt Frankfurt im Frühjahr 1906. In keiner Chronik wurde das festgehalten. Wenn man den Chronisten und Historikern damals geraten hätte, dem Film ihre besondere Aufmerksamkeit zu schenken, hätten sie nur entsetzt abgewehrt. Sie kamen, wieder einmal, zu spät. Ihre Aufgabe übernahmen die kleinen Zeitungsberichte, die Anzeigenteile, die Adressbücher und die mündlichen Überlieferungen der Zeitgenossen. Ein etwas mühsames Mosaik.
Und so lesen wir also in einer Tageszeitung vom 3. März 1906 über die Eröffnung des ersten Kinos, dass ein Herr auf den gemeinnützigen Zug der Kinematographie hingewiesen habe, da sie auch Minderbemittelten für wenig Geld Land und Leute vorführe, und ferner, dass für Erfrischungen ausreichend gesorgt sei. Man zeigte u. a. einen Jagdausflug auf Wale, einen Ozeandampfer und "Zaubereien".
Das erste Kino befand sich dort, wo sich auch das früheste Kinozentrum entwickeln sollte, in der Kaiserstrasse. Und zwar in Nr. 66. An diesem Beginn stand ein Wanderkinomann, der sesshaft wurde. Er hiess August Haslwanter. Er wurde der Ahnherr aller Frankfurter Kinos und, wenn man so will auch der erste "Kinomogul". Denn Haslwanter liess seinem ersten Kino bald ein zweites in der Kaiserstrasse schräg gegenüber folgen, in Nr.77, und ein drittes in der Vilbelerstrasse 27. Während das eine keinen langen Bestand hatte, existierte das in der Vilbelerstrasse als "Neue Lichtbühne" bis zum zweiten Weltkrieg (genau daneben, in Nr. 29, liess sich das "Metropol", das heutige "Roxy" nieder). Ausserdem besass Haslwanter noch je ein Kino in Offenbach, Hanau und Mannheim. Sechs Theater in der Hand eines Privatmannes, das konnte sich für den Anfang sehen lassen.
Haslwanter war wahrscheinlich auch der erste Frankfurter Kinobesitzer, der vor Gericht kam. Die Polizei machte in seinen Kino Kaiserstrasse 77 eine Kontrolle und entdeckte 28 Kinder unter 16 Jahren, die ohne Begleitung Erwachsener waren. Vor dem Kadi verteidigte sich Haslwanter so geschickt, dass das Gericht beschloss, sich in sein Kino zu setzen und das Programm anzusehen. "Romeo und Julia", "Genoveva", "Richard II." und "Im Reich der Diamanten". Die Sache endete mit einem Freispruch Haslwanters und mit einem Triumph des Films. "Zweifellos überwiegen", so hiess es, "wissenschaftliches Interesse und künstlerischer Genuss".
Frankfurts zweites Kino war übrigens keines der Haslwanterschen, sondern dazwischen schob sich ein Kino, das im Juli 1906 im damaligen Hotel du Nord in der Grossen Gallusgasse von der ersten Frankfurter Filmgesellschaft eingerichtet wurde. Es war die "Kinematographische Gesellschaft für lebende Tonbilder". Zu ihren Gründern soll auch Warenhausbesitzer Wronker gehört haben. Von der Eröffnungsvorstellung wissen wir nur, dass die Apparatur versagte und das Eintrittsgeld zurückgezahlt wurde. Dem Kino war kein langes Leben beschieden. Aber die Gesellschaft liess ihm, wie wir sehen werden, andere folgen.
Kehren wir zurück zur Kaiserstrasse. In ihrem oberen Teil, der dem Hauptbahnhof zustrebt, "ballten" sich in den ersten Jahren schliesslich sieben Kinos zusammen. Wir machen uns die Situation am besten klar, wenn wir in Gedanken die Kaiserstrasse zum Bahnhof hinaufwandern. Auf der linken Seite waren zwei Kinos, von denen nichts blieb, das Haslwantersche in Nr. 77 und der Biographensaal in Castans Panoptikum an der Ecke Moselstrasse (für Besucher freier Eintritt).
Die fünf auf der rechten Seite begannen mit dem Kino Nr. 50. Es war das "Boulevard", 1908 gegründet. Als "Hansa-Lichtspiele" überstand es alle Kriege, Krisen und Zeitwandel. Es darf heute als das zweitälteste noch existierende Kino Frankfurts gelten.
Etwas später entstand zwei Häuser weiter, in Nr. 54, das "Fantasietheater" (wo man an Tischen trinken und rauchen durfte). Als "Astoria" ging es im zweiten Weltkrieg zwar unter, aber in dem Neubau (mit derselben Nummer) baute man nach dem Krieg, wenn auch an etwas anderer Stelle, wieder ein Kino, die "Kaiserlichtspiele".
In Nr.60 war, das wissen wir bereits, das allererste Kino. Wie alle Filmtheater von Haslwanter trug es keinen besonderen Namen. Später nannte es sich "Elite-Lichtspiele" und "Corso-Lichtspielen". Es wurde im Krieg zerstört, und nichts erinnert heute an dieses Pionierkino.
In Nr. 64 entstanden, etwas spät, nämlich 1912 die "Luitpold-Lichtspiele". Sie wurden gleichfalls ein Opfer des letzten Krieges. Neugebaut wurde hier nach 1945 das "Rex-Kino".
Und nun kommen wir zum fünften (oder siebenten) Kino, ganz oben in der Kaiserstrasse, einst in unmittelbarer Nachbarschaft des berühmten Hotels "Englischer Hof". Es ist das älteste Kino, das Frankfurt erhalten blieb. Im November 1907 wurde es als "Union-Theater" (von der oben erwähnten Filmgesellschaft) eröffnet. Es wechselte öfters seinen Namen. Heute heisst es "Lichtburg".
Von den sieben Kinos aus den Gründerjahren hier in der oberen Kaiserstrasse sind also fünf verschwunden, zwei wurden neu gebaut, und zwei blieben erhalten, die "Hansa-Lichtspiele" und die "Lichtburg". Sie sind Frankfurts wahre Kinoveteranen.
Das "Union" Theater nannte sich in seinen Anzeigen gern "das eleganteste und beliebteste Theater in Frankfurt". Im November 1908 wurde ihm ein Erfolg beschert, der Tagesgespräch war. Es spielte nämlich vor dem Kaiser und das kam so: Wilhelm II. war damals Gast des Fürsten Fürstenberg in Donaueschingen. Der Fürst bestrebt, Besonderes zu bieten, beauftragte die Leitung des Frankfurter Unionkinos, ihre Apparatur huckepack zu nehmen, ein exquisites Programm aus der "Filmbibliothek" für zwei Stunden zusammenzustellen und nach Donaueschingen zu kommen. So geschah es. Graf Zeppelin war auch dabei. Man zeigte Filme von den deutschen und französischen Manövern zu Lande und von den italienischen zur See, von der Reise des Kaisers nach Korfu, vom Aufstieg des Zeppelinschiffes und humoristische Szenen. "Die hohen Herrschaften applaudierten stürmisch".
Aber verlassen wir die Kaiserstrasse. Inzwischen hatte sich nämlich allerhand auf der Zeil und ihrer Umgebung getan. Frankfurts erste Kinopaläste entstanden. Doch davon in einem zweiten Artikel.
Paul Althof (1912): Der Kinematograph

Reinhardt mit Mann und Maus 
Und Richard Strauss -
Montenegriner und Serben, 
Wie sie schiessen und sterben  
  Die letzten aviatischen Stürze,
  Kurz, alle Lebenswürze _...
  Verbreitet rasch und brav
  Der Kinematograph!

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Heft 33 (6.4.-27.4.67)
lejeune Nachrichten
Die bei den Ermittlungen über die Ursachen des Frankfurter Filmbrandes vom September 1965 gemachten Erfahrungen, dass sich im Zustand der Zersetzung befindliche Nitrofilme bereits bei sommerlichen Temperaturen zwischen 20 u. 40ø C selbst entzünden können, wurden jetzt auch vom Staatl. Filmarchiv der DDR bestätigt. Ein experimenteller Filmbrand wurde dort jetzt in einem Dok. Film in allen Phasen festgehalten.
Ein dem Richter vorgeführter jugendlicher Handtaschendieb soll zu seiner Rechtfertigung jetzt angeblich erklärt haben, dass er das Geld aus der Handtasche der alten Dame unbedingt benötigt habe, um den hohen Eintrittspreis (DM 10.-) bei einer Veranstaltung der neugegründeten Filmwissenschaftlichen Gesellschaft in Frankfurt am Main bezahlen zu können.
Herbert Stettner Noch einmal vier DEFA-Filme
Emigrant in der UdSSR - 1945 Offizier der sowjetischen Armee - 1949 Moskauer Filmhochschule - 1955 erste Spielfilmregie: die Musik-Komödie: "Einmal ist keinmal" - 1956 Bronzemedaille beim Festival in Damaskus für "Genesung" - das waren die wichtigsten Stationen auf dem Lebensweg von Konrad Wolf. Mit "Lissy" einem Frauenschicksal am Vorabend des Faschismus erlangte er 1957 in Karlsbad bereits internationale Anerkennung, aber auch Kritik zuhause: "Dramaturgisch unentschieden." Mit der DDR-Bulgarien-Coproduktion "Sterne" erntete Wolf 1959 Preise in Edinburgh und Cannes. In allen Filmen Wolfs gelangen Menschen zu neuen politischen Einsichten.
In "Sterne" entdeckt der deutsche Unteroffizier Walter das wahre Gesicht der Hitlerei.
Mehrmals griff die DEFA das Thema des Spanischen Bürgerkrieges auf: 1956 in "Mich dürstet" von Karl Paryla, 1957 in "Wo Du hingehst" von Martin Hellberg, 1960 in einer Episode des Films "Leute mit Flügeln" von Konrad Wolf und am gelungensten wohl im gleichen Jahr in "Fünf Patronenhülsen" von Frank Beyer. - Fünf Jahre vorher hatte bei uns der Riefenstahl-Gehilfe Harald Reinl mit "Solange Du lebst" einen Pro-Franco-Film gemacht. Bayer rühmt in seiner "optimistischen Tragödie" die Solidarität der Internationalen Brigaden. Das Drehbuch schrieb der einstige Spanien-Kämpfer Walter Gorrich. Das Lied von der Jamara-Front singt der ehemalige Interbrigadist Ernst Busch.
Der Dokumentarfilm "Ludwig van Beethoven" entstammt jener DEFA-Periode, die noch sehr vom "Kulturfilm"-Schwulst seligen Angedenkens geprägt war. Max Jaap, der auch einen "Friedrich Schiller" herstellte, hatte bei dieser Arbeit immerhin die Unterstützung von Stephan Hermlin. Der Film sollte, wie es damals hiess, an die "unermesslichen Schätze" unseres Volkes heranführen.
Peter Rott _... aber nur schwache Geister leugnen ihre Herkunft
Blättern wir in filmhistorischen Abhandlungen oder Bildbänden, so treffen wir mit der Präzision eines preussischen Garderegimentes auf zweierlei: Fotos von "Kinematographen-Schaubuden" und Behauptungen wie "Der Film war in seinen Kindertagen ein Sohn das Rummelplatzes, schmuddelig, leicht ordinär und keineswegs salonfähig." Ebenso steif wird stets behauptet, dass spätestens seit der allgemeinen Verbreitung des Tonfilms damit Schluss war. - Typischer Fall von Denkste.
In Wien - sagen Sie jetzt bitte nicht "naja, - dort gab es bis 1945 in der Ausstellungsstrasse, also am Praterstern und somit im Wurschtelprater, das Münstedt-Kino. Zwischen Grottenbahnen, Preuschers Panoptikum und Schiessbuden ragte ein verwegener Holzgiebel in die Dunstglocke über der Stadt. Bunt bemalt war das Ding. Spiegelscherben warfen Reflexe, eine breite Holztreppe, ganze fünf oder sechs Stufen hoch, führte zur Kasse, wo eine Madame sass, die immer noch gute Tage sah. - Das Geschäft lief. Als "Anreisser" betätigte sich ein Original, das noch aus der Kaiserzeit übrig geblieben war und hoch in den Sechzigern den Beruf aufgab, um den himmlischen Heerscharen seine Künste vorzumachen: Metamorphoso, der Maschinenmensch. - Das Münstedt-Kino war das erste Kino in Wien und dürfte um 1904 gegründet worden sein. Bis Herbst 44 spielte man bis auf Montag täglich im Nonstopverfahren, Samstag und Sonntag ganz nobel in vier Vorstellungen. Und wissen Sie was? Laurel und Hardy (Die in Wien nie Dick und Doof hiessen, weil man sie für die grössten Schauspieler aller Zeiten hielt) Harold Lloyd, Tom Mix, Kater Felix, Mickey-Mouse usw. Alleine in der Tarnung als Jahrmarkts-Artikel war es möglich, nichtarische Dekadenz zu servieren - sehr zum Vergnügen der Besucher.
Nun, im Mai 1945 brannte der Holzbudenzauber im Wurschtelprater ab. War damit der Film vom Jahrmarkt verschwunden?
1948 führte mich eine Fahrt nach Gurk in Kärnten, wo Kirchweih war. Mit allen Schikanen! Und im Dorfwirtshaus stand im grössten Zimmer hinten rechts eine Zeiss-lkon-Kinobox und projizierte nach vorne links Tarzan, Jane, Boy und den ganzen Atelier-Urwald. Die Lautsprecher standen vorne rechts - vier Meter von der Leinwand. Bis man sich daran gewöhnt hatte, wo das Krokodil brüllte, und wo es den Schnabel aufriss, war der Film zu Ende. Übrigens - Gurk hatte damals natürlich sein eigenes Lichtspielhaus. Die Wirtshaus-Schau war eine Extra-Attraktion. War das das letzte Aufflammen in der hintersten Provinz? Weit gefehlt.
Am Hamburger Dom - Ostern, Hochsommer und vor Weihnachten ein Volksfest mit allem Drum und Dran - habe ich zuletzt 1961 in einer Bretterbude zwischen Elektromenschen, die Neonröhren zum Leuchten brachten, der Schönheitstänzerin Salamandra und dem Kettensprenger Herkules VII auf ein nasses Leintuch in Durchprojektion einen Lotte Reiniger-Film gesehen. (Wie es mit den Autorenrechten stand, habe ich nie gefragt, also auch nie erfahren). In einer Automatenhalle auf der Reeperbahn - Ecke Davidstrasse, neben dem "Wienerwald" stehen heute noch ein oder zwei "Mutoskope" - Guckkasten-Kinos von Achzehnhundertleipzigeinundleipzig - sie funktionieren und werden auch benutzt.
Und meine vorläufig letzte Begegnung mit dem Kintopp auf dem Jahrmarkt datiert von 1963 oder 64. Am Frankfurter Wäldchestag konnte man in einem Zelt gegen den Obolus von 50 Pfennig im Stehen und ohne Musikbegleitung alte Bekannte flimmern sehen: Max Linder, Charly Chaplin, Harold Lloyd, Buster Keaton, Laurel und Hardy - und mitten drin noch Henny Porten. Das Überraschenste: nur ein Teil des Publikums fühlte sich nach der Ankündigung "Starke Männer, schöne Frauen sind hier herrlich anzuschauen" gefoppt und ging murrend. Die Mehrzahl stand da und sah interessiert, erfreut, gerührt und verjüngt die Zappelmännchen von anno Dunnemals.
Vielleicht macht die Rummelplatz-Atmosphäre oberflächlich, kritiklos oder ungehemmter. Aber wo es etwas zu sehen gibt, kommt immer einer und will gucken. Einfach gucken, staunen, lachen oder weinen. Kunst ist ganz schön, aber nicht immer erbeten. Die Unverbindlichkeit lenkt ab, befreit und hebt die Psyche: "So ein Trottel bin ich nicht, wie der, der da dauernd hinfällt _..." Da geht selbst der Trottel als besserer Trottel wieder ins nächste Bierzelt.
Und deshalb, glaube ich, wird der Film vom Jahrmarkt nie ganz verschwinden. Schliesslich sind im Alter die Jugendsünden immer wert, nachgelebt zu werden _...
Paul Sauerlaender In memoriam Walpurga Schindler
Kurz bevor der Lenz wieder ins Land zieht und die Kinos Langnese-Eis in immer grösseren Mengen während der Pausen umsetzen, ist sie, ohne viel Aufhebens zu machen, von uns gegangen: Walpurga Schindler, die Brezelfrau der Kinos auf der Kaiserstrasse.
Die junge Generation hat sie nicht mehr in der Ausübung ihres Berufes gekannt. Ihre grosse Zeit endete mit dem Tode des Stummfilms, der auf der Kaiserstrasse wegen der hohen Kosten einige Jahre später eintrat als in den grossen Kinos. - Im Sommer wie auch im Winter sah man sie auf der Strecke zwischen "Kammer-Lichtspielen" und "Hansa-Lichtspielen" zwischen 16.00 und 21.00 Uhr ihren durchaus ehrbaren Beruf ausüben. Eine üppige Gestalt, im Sommer in einem grossfenstrigen Dirndelkleid, am Arm den Brezelkorb, der auch Salzstangen und Hartekuchen enthielt. So eilte sie von Kino zu Kino, um immer in den Pausen zurecht zu kommen. Man kannte schon ihren Schlachtruf: "Brezel, Hartekuchen, Salzstangen, - gleich wirds dunkel!" Sie verstand ihr Geschäft und brachte die Ware an den Mann. - Wenn es dann wieder dunkel wurde, knabberte es in den Sitzreihen, als ob eine Legion Mäuse anwesend sei.
Manchmal legte sie auch eine Verschnaufpause ein und sass, wenn der Film wieder begann, bescheiden auf einem Seitenplatz, und sah sich das Programm ein paar Minuten an. Und als im "Astoria" in der "Königin von Saba" der Zwischentitel aufleuchtete "Nur eine Nacht lass mich Mensch sein" (Salomo sagt dies zur Königin) entfuhr ihr ein tiefer Seufzer. Was mochte in der einfachen Seele der Brezelfrau vorgegangen sein?
Gern verschnaufte sie auch in den "Kammer-Lichtspielen" ganz oben am Bahnhof. Neben der Leinwand hing eine leuchtende Uhr und sie konnte immer sehen, wann sie wieder weiter musste. - Es mag im Jahre 1929 gewesen sein, als man dort "Die eiserne Maske" mit Fairbanks spielte. Sie sah diesen Schauspieler besonders gern und blieb immer bis zu der Szene, wo Fairbanks an eine Holzpforte klopft. Der Klavierspieler untermalte diese Szene indem er mit der Faust im Takt auf das Klavier schlug. Sobald das Klopfen verhallt war, entschwand sie eilends, denn sie wollte nicht erleben, wie ihr Held nunmehr gefangen wurde.
Sie war mit dabei, als man im "Hansa" den Fliegerfilm "Wings" spielte. Ganz vorne sass sie, um die Maschine zu sehen, mit der die Geräusche erzeugt wurden.
Zum letzten Harry Piel Stummfilm "Achtung Autodiebe" lief in den "Kammer-Lichtspielen" die Voranzeige zum Tonfilm "Melodie des Herzens". Der Ton war flach und blechern, und Walpurga Schindler spitzte die Ohren, damit ihr nichts entging. Eigentlich mochte sie Willy Fritsch nicht, aber Dita Parlo: Das war doch jene Grossäugige, die im "Elite" als Tänzerin nach Südamerika verkauft wurde.
Und im gleichen "Elite-Kino" war sie es, die am lautesten "Ruhe" rief, wenn während des sehr leisen Fritz Kortner Tonfilms "Der Andere" die Toilettentür bewegt wurde. Die Tür lief nämlich um Raum zu sparen auf Rollen, war also eine Schiebetür. Aber das wussten nicht alle Besucher.
Sie war gut Freund mit allen Ausrufern, die in verschossenen Uniformen die Handzettel vor den Kinos verteilten. Sie kannte ihre Nöte und steckte manchem eine Brezel in die Tasche. Und sie hörte auch kopfschüttelnd zu, als ihr der Ausrufer vom "Luitpold" erzählte, er habe seiner Frau die Küchenmöbel schwarz angestrichen, damit sie nicht soviel zu putzen habe.
So war denn ihr Leben reich an Erfahrungen, die sie von oder vor der Leinwand bezog. Im Herbst letzten Jahres sass sie noch mit einem nun auch recht alt gewordenen Ausrufer auf einer Bank am Schauspielhaus in der müden Sonne. Ihr Kopf zitterte und sie sagte: "Die Erfahrung ist nicht das Verdienst, sondern ein Manko des Alters". - Aus welchem Film mochte sie die Weisheit bezogen haben?

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Heft 34 (11.5.-8.6.67)
Herbert Stettner Eisensteins Matrosen und die Schüler
Aus Aufsätzen, die Frankfurter Schüler (15 Jahre) im Mai 1966 über den "Panzerkreuzer Potemkin" schrieben:
_... Der Film hat mich sehr beeindruckt, sein Inhalt müsste jeden Menschen nachdenklich stimmen. Falls doch noch einmal ein Krieg ausbrechen sollte, dann müsste man den Menschen solche und gleichartige Filme als Abschreckung zeigen. Das ist meine Einstellung zu diesem Film _...
_... Die Zeit, in der der Film gedreht wurde, bestand aus Hetzreden und Aufständen gegen die Regierung in Russland _...
_... Besonderen Eindruck hat auf mich gemacht: Die Verhinderung der Erschiessung der Matrosen - Das Eingreifen der Soldaten auf der Treppe - Die Maden im Fleisch. Man merkt, dass der Film in Russland gedreht wurde _...
_... Ich finde die russische Tendenz, unter der der Film entstand, nicht so stark. Am meisten, was mir daran aufgefallen ist, waren die Hetzreden bei dem Leichnam des Matrosen _...
_... Trotzdem verstand es der Regisseur, geschickt seine Ideen im Film auszudrücken. Diese waren kommunistisch. Das ersah man daraus, dass der Film gegen die zaristische Regierung hetzte. Der Film lehrte den Hass gegen sie _... Die ansprechensten und zugleich erschütterndsten Szenen waren die, die gegen die Zarenherrschaft hetzten _...
_... Auch der Grundgedanke das Volkes war in diesem Film gut herauszusehen. Nämlich: Einer für alle, alle für einen. Nur auf die Regierung schimpfte man. Auch dass die Kirche nicht helfen konnte, war gut dargestellt _...
_... Bei dem Leichnam des Matrosen, der bei der Meuterei erschossen wurde, wurden jetzt Hetzreden gegen die Regierung verbreitet _...
_... Meiner Meinung nach hatten sie recht, zu meutern, denn wer isst heute schon Fleisch, in dem es Maden gibt. Man sah auch richtig, dass auch die Kirche gegen meuternde Matrosen wehrlos war. Man merkte auch, dass es ein russischer Film war, denn um den toten Matrosen machte man bald eine grosse Beerdigung. Aber um die Offiziere kümmerte sich keiner _...
_... In dem Film wurde Hass gezeigt, zum Beispiel bei der Ehrung des Toten. Es wurden Hetzreden hervorgerufen. Es wurde auch gezeigt, dass die Kirche bei solchen Sachen machtlos ist, wie der Pfarrer auf dem Panzerkreuzer _...
_... Dieser Film hat mich sehr beeindruckt, wenn man davon absieht, dass er unter kommunistischen Verhältnissen gedreht wurde.
_... Es sind auch noch die grausamen Szenen herauszuheben. Sie waren aber nicht wie in anderen Filmen so gemacht, dass man lachen muss, wie z.B. in dem Film "Der längste Tag" _...
Herbert Birett Zwei Messter-Filme
Oskar Messter (1866-1944) ist wohl der wichtigste deutsche Filmproduzent der frühen Jahre. Er war, wie sein Vater, Feinmechaniker in Berlin. Dort lernte er 1893 den Schnellseher von Anschütz kennen, wodurch sein Interesse für die lebenden Fotografien geweckt wurde. Seit 1896 baute er Projektoren und Kameras, verbesserte das Malteserkreuz und begann auch bald selbst, Filme zu produzieren: Zuerst Dokumentarfilme, später auch Lehr- und Spielfilme. Ein halbes Jahr nach Gaumont bringt er 1903 seine Tonbilder heraus. Bis 1910 dreht er zahlreiche von diesen mit Schallplatten gekoppelten Filmen. Während des Krieges erscheint die Messter-Woche. 1917 verkauft er seine Firma an die neugegründete UFA, die aber seinen Namen weiterführen darf (Messter-Film der UFA). Er widmet sich nun noch mehr der Photogrammetrie und der Photographie aus Luftschiffen, deren beider Pionier in Deutschland er war.
Es sind nur wenige Filme von ihm erhalten. Ich möchte hier zwei Films vorstellen, die etwas aus dem Rahmen fallen und vielleicht interessante Aspekte auf die Filmgeschichte werfen.
"Der stellungslose Photograph" (gezeichnet mit M 11 = Messter 1911. Schwarz-weiss-Film 126 m)
"Werner ist stellungslos" (Zwischentitel in "_...") und liest in einem "Inserat": "Filmfabrik Friedrichstr. 374 sucht einen Photographen für Aufnahmen"; (In der Friedrichstrasss 374 hatte Messter sein Atelier). Sofort steht er auf und sagt zum Kellner "Ich zahle morgen". "Die Fahrt zur Filmfabrik" legt er auf dem Dach eines Omnibus zurück. Er macht die Bekanntschaft einer reizenden jungen Dame und stellt sich vor "Ich bin ein Photograph fürs Kino. Sie vergeht vor Bewunderung und bittet ihn: "Ach, ich möchte für mein Leben gern gekintoppt werden!" Da muss er aussteigen, winkt, und geht ins Haus Nr. 374. "Der Herr Bewerber" wird hereingebeten und er äussert seinen Wunsch: "Ich bewerbe mich um die Stelle als Photograph". "Na, wir wollen mal den Versuch mit Ihnen machen". Und so bekommt, er einen Aufnahmeapparat und zieht los. "Die Schwierigkeiten des Berufes" lassen nicht lange auf sich warten: Stolpern, andere Leute verdecken die Aussicht usw.
In der Firma sieht man sich "Einzelne Ergebnisse seiner erspriesslichen Arbeit" an: verwackelte oder verrissene Aufnahmen, Unter- und Überbelichtungen, erstaunliche Perspektiven. Leider bricht hier der Film ab, sodass wir nicht wissen, ob die Produktionsfirma den Kameramann als unbrauchbar entlässt oder seine Kameratechnik als avantgardistisch feiert.
Diese letzten etwa 9 m sind aufnahmetechnisch zum Teil beachtliche Vorwegnahme späterer Zeiten (z. B. des drei Jahre später in Italien entstandenen Futurismus oder des Kino-Auges der zwanziger Jahre); sicherlich nur aufnahmetechnisch und nicht von der Handlung her. Wahrscheinlich hatte Messter unbrauchbare Aufnahmen doch noch verwenden wollen und eine Fabel dazu erfunden. Aber vielleicht hat er diese Szenen auch bewusst gedreht. Haben sie weitergewirkt?
"Nur ein Viertelstündchen - Lustige Carricaturen" (Messter-Woche, gelbe Virage 127m) besteht aus drei Zeichentrickfilmen: "Pitt und John boxen" - "Freiwillige vor" (Trickfilm von Harry Jäger 34m) - und einer ohne Titel. 29m
Der erste Titel ist nicht bemerkenswert. Die beiden letzten aber lassen zu, den Film zu datieren, denn sie sind Wahlpropaganda gegen die Spartakisten. Danach ist der Film von der UFA produziert worden und nicht mehr von Messter selbst.
1917 wurde der Spartakus-Bund von Rosa Luxemburg und Kar1 Liebknecht gegründet; 1918 in Kommunistische Partei umbenannt wurden die Mitglieder weiterhin Spartakisten genannt. Im Dezember 1918 wurden die Wahlen zur ersten Nationalversammlung in Deutschland beschlossen, die auf den 19. Januar 1919 festgesetzt wurden. Während des Wahlkampfes im Januar kam es zum Spartakistenaufstand und der Ermordung von Liebknecht und Luxemburg. - Auf diesem Hintergrund sind die beiden Filme zu sehen:
Zwei Einbrecher schleichen sich in einen gepflegten Garten. Sie werden entdeckt: "Nanu - Guck mal die - Freiwillige vor". Von den Freiwilligen werden sie von ihrem zerstörerischen Tun abgehalten und mit dem Ruf "Raus mit den Kommunisten und Spartakisten" verjagt.
Der zweite Film trägt als Motto "Der deutsche kocht hier seine Suppe, Parteien sind ihm furchtbar schnuppe". Gezeigt wird der deutsche Michel, der seine Suppe "Parlament" in einem Topf zubereitet. Aus Flaschen mit den Aufschriften der Parteinamen giesst er ein wenig hinein, nur die Spartakistenflasche wirft er weg. Dann rührt er die Suppe um, trinkt sie und platzt.
Die Zeichnungen sind in sehr vereinfachten Formen gehalten. Den Stil nach ist es möglich, dass beide Filme von Harry Jäger gezeichnet wurden. Was Jaeger sonst noch geschaffen hat, ist mir nicht bekannt; in den mir gegenwärtig zugänglichen Quellen ist sein Name nirgends zu finden.
Diese Filme dürften zu den ersten Wahlpropagandafilmen rechnen, zumindestens in Deutschland. In Heft 628 vom 15.Januar 1919 des Kinematograph wundert sich der Schreiber, dass noch nicht mehr vom Film im Wahlkampf Gebrauch gemacht wird und erwähnt nur einen Lehrfilm über den Wahlvorgang.
Paul Sauerlaender Ernst Moritz Engert und der Film
Hadamar am Fusse des Westerwaldes. Durch die Nonnengasse geht es den Kalvarienberg zur Wallfahrtskapelle hinauf. Gegenüber der vierten Station ein Haus wie aus den "Nachtstücken". Hier wohnt heute der Silhouettenschneider Professor Ernst Moritz Engert. Manch grossen Mimen hat er mit Schere und schwarzem Papier abkonterfeit: Paul Wegener, Rudolf Forster, Otto Gebühr und Agnes Straub, die unvergessene Fürstin Wolkonski aus Richard Oswalds Tonfilm "Alraune".
Nach dem ersten Weltkrieg gründete er in München die "Schwabinger Schattenspiele". Einundzwanzig Mitglieder zählte das Ensemble, Opern und Schauspiele standen auf dem Programm.
Als Arthur Robison 1922 "Schatten" drehte, fügte er in die Handlung ein Schattenspiel ein. Ernst Moritz Engert schnitt hierfür die Figuren und führte sie auch. Die Dekorationen für diesen ersten ganz titellosen Film baute Albin Grau.
Es war im Jahre 1913 als Engert von München nach Berlin reiste, um von Asta Nielsen eine Tuschzeichnung für ein Filmplakat anzufertigen. Die "Duse das Films", wie sie später oft genannt wurde, wohnte damals in der Kaiserallee. Ein hellblondes Zöfchen ganz in weiss öffnete und führte ihn in ein helles mit weissen Möbeln eingerichtetes Zimmer. Ein hellgraues Zimmer mit ebensolchen Möbeln durchschritt man und kam in einen Raum der ganz in dunkelgrau gehalten war. Dann hinter einer grossen Flügeltür ein Zimmer ganz in schwarz mit wenig Mobilar ausser zahlreichen schwarzen schweren Sesseln auf Rädern, die man wie Krankenstühle selbst fortbewegen konnte. In einem dieser Sessel ein kleiner Herr mit schütterem blonden Haar: Urban Gad.
In der Mitte des Raumes stand im hochgeschlossenen schwarzen Kleid mit weissgeschmincktem Gesicht und grossgemaltem roten Mund, der das nicht herausmodellierte Kinn vergessen liess: Asta Nielsen.
Sie sprach gut deutsch mit wenig Akzent und nicht zu tiefer Stimme. Fast hatte man den Eindruck, sie war auch dann, wenn sie nicht vor der Kamera stand, immer posierend, die grosse Asta Nielsen.
Und Engert entwarf sein einziges Filmplakat. Danach entstand eine Silhouette der Nielsen. Als Holzschnitt sah man sein Plakat später, vor den Kinos und auch auf den grossen Plakatwänden der Berliner U-Bahnhöfe.
Übrigens, die Kino-Werbung in der Berliner U-Bahn hatte bereits vor 1914 ein beachtliches Niveau. Filmplakate von Klinger und Heiduck, einem Illustrator der "Jugend" und des "Simpl" waren keine Seltenheit.

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Heft 35 (15.6.-13.7.67)
Herbert Stettner Ulrich Erfurths Filme
Bei der Durchsicht der Biographie des für Harry Buckwitz vorgesehenen Nachfolgers konnte man erfahren, dass Ulrich Erfurth neben seiner Theaterarbeit auch immer wieder Zeit fand, Filme zu inszenieren. Im Ausklang der Goebbels-Ära drehte er einst das dümmliche Verwechslungslustspiel "Erzieherin gesucht". Hierbei kamen Gutsherren-Edelmut und dampfende deutsche Scholle ausgesprochen prächtig zur Geltung. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges schrieb Erfurth noch das Drehbuch für den Durchhaltefilm "Kamerad Hedwig", doch der Zusammenbrach machte den Dreharbeiten an dieser Glorifizierung der deutschen Heldenfrau vorzeitig ein Ende.
Dass dieser Krieg doch eigentlich garnicht so schlimm gewesen sei, behauptete Erfurth dann 1948 in seinem Film "Finale": trotz zerschossener Hand findet ein deutscher Pianist sehr rasch wieder "einen Sinn des Lebens". Neben seinem Hang zum Seelenkitscb bewies er mit dem Rühmann-Lustspiel "Keine Angst vor grossen Tieren" (1953) auch seinen Sinn für billigen Klamauk. In dem Lustspiel "Columbus entdeckt Krähwinkel" (1954) wollte Erfurth die deutschen Kleinstädter und die Amis ironisch porträtieren, doch als romantischer Reaktionär war er wohl der denkbar ungeeignetste Mann für dieses Unternehmen. Viel zu sehr selbst ein Krähwinkler, vermochte er diese natürlich nicht zu bekehren.
Als Routinier, dem die Kolportage fix von der Hand geht, zeigte sich Erfurth mit "Rittmeister Wronski" (1954), einer Spionage-Schnulze (mit Willy Birgel) von echtem Hintertreppenformat. Im Jahre 1955 bewältigte Erfurth gar die Regie von drei Filmen. Dreyers verstaubtes Schülerdrama "Reifeprüfung" musste dazu herhalten, damit noch einmal ("Reifende Jugend") das süssliche Liedchen von des Primaners Liebe und Leid gesungen werden konnte. In "Eine Frau genügt nicht" musste einfach die Geliebte ganz zufällig sterben, damit die hergebrachte Bürgermoral wieder ins verlorene Lot kommen konnte, und in "Frucht der Liebe", einem "deutschen Problemfilm" zum Thema der künstlichen Befruchtung, bekam Erfurth wieder Gelegenheit, von der "Stimme des Blutes" zu raunen.
Im Jahre 1956 verschrieb sich dieser emsige Kino-Konfektionär dem Heimatfilm und lieferte mit "Drei Birken auf der Heide" und "Heidemelodie" gängige Schleuderware auf der untersten Stufe kitschiger Volksbelustigung. In Jahre 1960 liess Erfurth es sich nicht nehmen, als erster den neuen deutschen Barras wieder auf die Kinoleinwand zu bringen: "Himmel, Amor und Zwirn" wurde ein Kasernenhofschwank übelster Sorte, der dazu dienen sollte, den Kommiss wieder salonfähig zu machen. Mit "Mein Mann, das Wirtschaftswunder" (1960) und "Der Hochtourist" (1961) leistete Erfurth seinen Beitrag zur Popularisierung der bundesdeutschen Industriebosse. Marika Rökk und Willy Millowitsch waren für ihn hier die geeigneten Protagonisten.
Bleibt nur zu hoffen, dass Ulrich Erfurth seine Neigungen fürs platte Amüsierkino mit Blut und Boden-Effekt nicht auf die Buckwitz-Bühne überträgt.
Rolf Dorndorf Einer von der Tankstelle
"Millionen haben über ihn geschmunzelt" kündigte "Hör zu" die Wiederaufführung des Heinz Rühmann Films "Der Hauptmann von Köpenick" im Fernsehen an. Der Film ist elf Jahrs alt, und trotz Helmut Käutners Regie nicht mehr als ein belangloses Lustspiel in Farben. - Von der Sozialkritik des gleichnamigen Schauspiels war leider nichts zu verspüren. Die Kritik verglich den Film mit dem von 1931, in dem Max Adalbert den Hauptmann gespielt hatte, und da blieb von Heinz Rühmann nicht viel übrig. - 1930 erschien er zum ersten Mal in "Die Drei von der Tankstelle" auf der Leinwand. Der Regisseur Wilhelm Thiele hatte ihn vorher auf der Bühne in einem modernen Lustspiel gesehen, und wusste daher genau, wie er ihn einsetzen musste. Rühmann hatte Erfolg beim Publikum. Entsprach er doch so recht dem sympathischen jungen Mann in den Magazingeschichten, die man im Wartezimmer beim Zahnarzt las.
In den folgenden Jahren gehört er zum festen Inventar des deutschen Films. - 1940 dreht Helmut Käutner das romantische Märchen nach Gottfried Keller: "Kleider machen Leute". Rühmann spielt den Schneidergesellen. In einigen Szenen ist er ausgezeichnet, man denke nur an die Liebeserklärung unter Tränen.
In dieser Zeit versucht er sich auch als Regisseur leichter Unterhaltungsfilme: "Lauter Lügen", "Lauter Liebe" und "Sophienlund".
Im weiteren Verlauf des Krieges sah man ihn dann vierzigjährig und nicht mehr so jung und strahlend, aber immer noch lustig, in den zeitnahen Filmen: "Quax der Bruchpilot" und "Quax in Fahrt".
Der Krieg ging vorüber, Heinz Rühmann blieb seinem Publikum erhalten. - "Mach Dir ein paar schöne Stunden, geh ins Kino" - hiess der Werbeslogan der Filmindustrie. Und das Publikum sah seinen Liebling jedes Jahr in einem neuen Film. Immermehr wurde er zum gutbürgerlichen, schmunzelnden Kleinleuteonkel.
Im Januar 1967 konnte Heinz Rühmann zum vierten Mal den Goldenen Bambi-Preis als beliebtester deutscher Filmschauspieler entgegennehmen.
Plato (4.Jh.v.Chr.)
"Stell dir vor, du gewahrtest Menschen wie in einer unterirdischen, höhlenähnlichen Behausung. Ihr Zugang öffnet sich nach oben gegen das Licht hin; er sei breit und erstrecke sich die ganze Höhle entlang. Nimm an, hier seien sie seit ihrer Kindheit gewesen, gefesselt an Beinen und Nacken, und müssen so verharren und können nichts sehen als das, was vor ihnen ist, denn wegen der Kette ist es ihnen unmöglich, Ihre Köpfe zu drehen. Das Licht eines Feuers, das weit oben hinter ihrem Rücken ist, falle auf sie _..."
Paul Sauerlaender Reim-Titel im Stummfilm
Der Zwischentitel im Stummfilm hatte nicht nur die Aufgabe, das Bild zu erklären, oder den stumm gesprochenen Dialog wiederzugeben; zumeist erfüllte er auch eine dramaturgische Funktion, war also keine Eselsbrücke, wie heute häufig angenommen wird. - Man kann immer wieder beobachten, dass Stummfilme im Fernsehen nicht nur der Sendezeit entsprechend rigoros gekürzt, sondern auch die Zwischentitel entfernt werden. Der Rhythmus des Films wird völlig zerstört. - - Der einfache, nüchterne Druckbuchstabentitel entwickelte sich immermehr zur grafisch kunstvoll gestalteten Aussage. Springtitel, Schwelltitel, in das bewegte Bild einkopierte Titel, heute noch im Tonfilm gebräuchlich, liessen immermehr Bildhandlung und Titel zu einer Einheit verschmelzen. - Neben dem Prosatitel finden wir den Reimtitel zumeist in Märchen- und Werbefilmen. Nur selten kam er im Spielfilm zur Anwendung.
Als Paul Wegener "Rübezahls Hochzeit" (1914) drehte, setzte er die Zwischentitel in Reime. Der Film begann:


Es zieht der Graf und sein Gesind Hauslehrer, Fräulein, Diener, Kind, Koch, Küchenjunge, Braten, Wein, Zum Piknik aus im Sonnenschein.

In "Der müde Tod" (1921) Manuskript und Regie Fritz Lang, blendete das Vorspiel mit dem Titel auf:
  Es liegt ein Städtchen irgendwo
  Im Tale traumverloren
  Drein zogen liebestrunken
  Zwei Menschen jung und froh.
  Doch von den Bäumen allen
  Die goldnen Blätter fallen
  Wie Tränen dicht im Abendrot _...
  Am Kreuzweg, wo schon viel geschah
  Steht ihrer wartend, schweigsam da
  Der Tod.

Das Nachspiel begann ebenfalls in "altdeutschen" Buchstaben auf pergamentenem Untergrund:
  Die Kerzen verloschen
  Im Kampfe siegreich blieb der Tod.
  Jedoch des Schicksals Wende
  legt er in ihre Hände
  Noch einmal lächelnd ihrer Not.

Bei den beiden letzten Titeln dürfte ein Vergleich mit den zeitgenössischen Kapitelanfängen des Kolportageromans "Die Förster-Christl" oder "Der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme" von H. Büttner interessant sein:
2. Kapitel: Alles verloren - in einer Nacht.
  Angstvoll spähend in der Runde
  Eilt in später Abendstunde
  Durch den Forst des Jägers Braut.
  Da am Fusse einer Eiche
  Findet sie des Liebsten Leiche
  "Tot, erschossen !" schluchzt sie laut.

3. Kapitel: Wenn die Toten erwachen Unterm Volk geht die Legende, Dass zur Stund der Jahreswende Öffne sich das Gräberfeld. Drauf im langen Geisterreigen Die im Jahr Verstorb'nen zeigen nochmals sich auf dieser Welt.

Im Schattenfilm mit lebenden Darstellern "Der verliebte Apotheker" (1924) von Dora Brandenburg-Polster künstlerisch betreut, findet sich blumenreich versiert der Titel:
  Ihr bracht einem Jüngling das Herz,
  Er leidet bitteren Schmerz
  Oh, hörst doch sein Flehen
  Und lasst Euch ihm sehen!

Als Friedrich Wilhelm Murnau die Regie des "Faust" (1926) übernahm, schrieb Hans Kyser das Manuskript, und wie üblich auch die Zwischentitel. Die UFA jedoch verpflichtete kurzerhand Gerhart Hauptmann, vielleicht beeindruckt von seiner Ähnlichkeit mit Goethe, zur Herstellung der Zwischentitel. Der deutsche Dichterfürst schuf Knittelverse, die kurz vor der Uraufführung wieder aus dem Film entfernt wurden. Später erwähnte er anlässlich eines Spazierganges: "Es war eine geringe und leidige Nebensache".
  Mutter, du hast einen Mordskerl zum Sohn,
  Den Bravsten der Braven: da ist er schon!

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Ich lechze, lechze nach dem Bade Der holden Reinheit, der süssen Gnade!

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Hier habe ich was für 's Gretchen mitgebracht: In ihre Lade praktizier' ich 's sacht!

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Potz! wie sauber, blank und nett! Noch keinen Freier für dein Bett?

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Gretchen, Mädchen, drückt dich was? Du bist ja wie ein Laken so blass!


Am Ende der zwanziger Jahre erschien in dem Zeichenfilm "Priembacke und der Klabautermann" ein gereimter Titel, der den Trugschluss zulassen könnte, es handele sich hier um einen Werbefilm:
  Nun mischt sich ein mit Ironie
  Die I.G. Farben-Industrie.

In einem unvollständigen Werbefilm der "Bilderwoche der Epoche" (1929) findet sich der makabre Titel:
  Madame Du Barry endet durch ein Komplott
  Einen Kopf kürzer auf dem Schafott!

Wofür hier geworben werden sollte, war trotz eifriger Nachforschung nicht festzustellen.

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Heft 36 (20.7.-17.8.67)
Peter Rott Immer mehr Technik, damit die Illusionen stimmen.
Edisons Kinetoskop von 1889, die "goldene Eier" legende Henne war ein Guckkasten, in dem der Betrachter für sich alleine die kurzen Filme jener sittenstrengen Epoche bewundern durfte. Bildgrösse 18x24 Millimeter, unter einer schwachen Lupe nicht besonders vergrössert. Edison wollte nie so recht an den Filmprojektor herangehen. Er hatte Angst, Geld zu verlieren. - Aber der Projektor musste kommen.
Kaum war er dann da, waren die Bilder auch schon wieder zu klein, oder zu flächenhaft. Drei Forderungen kamen auf: Ton - Farbe - Plastik.
Bereits W. Friese-Greene hatte Aufnahme- und Wiedergabegeräte für plastischen Farbfilm konstruiert und einige Filme vorgeführt. Das Prinzip war genial, der Effekt muss jämmerlich gewesen sein, denn der Erfinder distanzierte sich selbst von seiner Arbeit. Aber das geniale Prinzip ist bis heute unverändert: Zwei gekoppelte Filmkameras belichten und transportieren den Film synchron. Der Abstand der Objektive entspricht meist dem Augenabstand: 60 - 65 Millimeter. Projiziert man beide Filme synchron und ordnet jedem Auge das zugehörige Bild zu, wirkt der Film dreidimensional. Das Zuordnen kann mit farbigen- oder Polarisationsbrillen geschehen, kann aber auch dadurch erfolgen, dass einmal das linke und dann das rechte Bild für sich projiziert wird. - Freese-Greene wollte aber den Farbfilm. Also lief in jeder der beiden Kameras vor dem Negativstreifen ein Filterband mit, das abwechselnd Rot oder Grün eingefärbt war. Nahm die linke Kamera durch das Rotfilter auf, so tat die rechte dasselbe durch das Grünfilter. Beim nächsten Bild war 's umgekehrt.
In der Projektion erschien ein additives Farbbild, das plastisch erschien - besser: erscheinen sollte. Ein englischer Privatsammler hütet noch heute Kamera, Projektor und einige Szenen. Er hütet sie - zu sehen bekommt sie in Aktion nicht einmal die Queen. Der Stereo-Farbfilm schlief ein, und wachte erst 1948 wieder auf.
Anders war es mit dem bis heute beliebten Trick mit der Breitwand. Bereits 1896 baute Gaumont eine Kamera für 60 mm breiten Film, drehte damit Ballettszenen und projizierte auf Bühnengrösse. Natürlich musste ein neuer Name her: "Chronophotograph". - Auch die Gebrüder Lumière durften nicht abseits stehen. Auf der Weltausstellung Paris 1900 zeigten sie Filme auf einer Leinwand von 24x30 Meter Grösse und hatten zeitgenössischen Berichten zufolge grossen Zulauf und errangen die Bewunderung allerhöchster Herrschaften.
Ebenfalls im Jahre 1900 erregte ein Herr Raoul Grimoin Aufsehen mit Panoramafilmen. 12 Kameras auf einem Riesengestell montiert und synchron arbeitend wurden von vier Mann in Bewegung gesetzt. Sie filmten volle 360 Grad des Horizontes. Die Projektion der 12 Filme fand in einem Rundum-Kino statt, dessen Zuschauerplätze logischerweise im Zentrum liegen mussten. Der Zuschauerraum war eine Gondel, die von einem nachgebildeten Ballon herunterhing. Die Besucher erlebten eine Ballonfahrt. Seidentücher wurden von der Decke heruntergelassen, der "Kapitän" erklärte, dass nun die Fahrt durch die Wolken ginge und bald London erreicht sei. Die Tücher wurden wieder hochgezogen, und die Apparate projizierten Londoner Ansichten. - Das Panoramakino kam natürlich später wieder: 1958 auf der Brüsseler Weltausstellung hatte Disney eines aufgestellt. Und auf der Schweizerischen Landesausstellung in Lausanne 1964 war sogar ein Kuppelkino, das praktisch eine Halbkugel als Projektionsfläche hatte - allerdings "nur" für Dias.
1911 kam aus Italien die Kunde, Signore Filoteo Alberini, ein heute vergessener Pionier auf fast allen Gebieten des Films, habe ein Patent angemeldet, und zwar ein Panoramakino für 70 mm breiten Film. Die Einzelbilder seien 23 mm hoch und 58 mm breit, also ein Seitenverhältnis von 1:2,52 aufwiesen. Das Aufnahmeobjektiv schwang um den Brennpunkt immer hin und her und belichtete durch einen mitgeführten Schlitz. Um für diesen 70 mm Film keine neuen Projektoren zu benötigen, kopierte Alberini die Filme auf 35 mm um und verwendete lediglich ein Projektionsobjektiv kürzerer Brennweite.- Als "Neue Idee" finden wir dies in den 50er Jahren auch wieder. Nur heisst es nun "Vistavision". Abel Gance drehte 1926 mit drei Aufnahmekameras für drei Projektoren einen Napoleon-Film auf Breitwand in der Art eines Tryptichons - drei Szenen nebeneinander, die doch immer wieder filmische Einheit hatten: Rückblenden, Erinnerungen, gleichzeitige Handlung an verschiedenen Orten. Ergo ist "Cinerama" - das Prinzip des Films "Windjammer" - auch nicht erst jetzt entdeckt worden.
Grundgedanke dieser Pseudo-Stereofilme ist die Erkenntnis, dass ein den menschlichen Gesichtskreis nahezu ausfüllendes Bild einen wirklichkeitsnahen Eindruck gibt.
Der echte Stereofilm erschien um 1928 wieder in den Kinos. Er wurde durch die bis dahin errungenen Fortschritte des "Technicolor"-Farbfilms ermöglicht. Das klingt paradox, lässt sich aber erklären: Der Technicolorfilm arbeitet nach einem Verfahren, das dem Dreifarben-Buchdruck nicht unähnlich ist. Man kann also den "linken" und den "rechten" Film in zwei Farben - immer Rot und Grünblau - auf einen Streifen übereinanderdrucken. Bekam der Zuschauer eine rot und grün gefärbte Brille auf, so sah das "rote" Auge nur das grüne Teilbild, das rote war gelöscht, und das "grüne" Auge nur das rote Bild. Metro-Goldwyn-Mayer nannte das Verfahren "Metroscopix" und drehte ein paar weniger als anspruchslose Filmchen. Die Handlung war grundsätzlich gleich: Dem Publikum flog alles nur so um die Ohren. Aus Fenstern geworfene Stühle. Askarispeere, Wasser oder die Beine von Revue-Girls. Die Bilder waren braungraugrün und Farbfilm nach diesem sogenannten "Anaglyphenverfahren" ist unmöglich. Die Sensation war schnell abgegriffen und kam nach 1945 nochmals kurz durch die billigen Kinos.
Die Polarisationsfilter, mit denen plastischer Farbfilm vorgeführt werden konnte, waren schon erfunden. Zeiss in Jena hatte in den 30er Jahren herumexperimentiert, die Amerikaner auch, und nach unzähligen Versuchen, die man schliesslich aufgab, drehte ein cleverer Amerikaner auf einer privaten Safari durch Afrika in 3-D ein paar nette Szenen. Zum Spass und ganz für sich: Die Weite der Landschaft und wilde Tiere, die einem fast frassen. 2u Hause sah er sich das Resultat an und hatte die Idee seines Lebens: Er drehte irgendwo in Kalifornien einige Szenen und schuf eine Spielhandlung. Schnell war noch ein Titel gefunden: "Bwana Devil". Premiere war 1948 am Broadway, en-suite-Vorstellungen bis zu 18 Monaten, Reingewinn über 20 Millionen Dollar. Amerika stand Kopf. Die Centfox tobte. Ein Grieche rettete die Situation und brachte die Zerroptik, genannt Anamorphot. Die Breitwand begann ihren Siegeszug. Die Centfox drehte ein Thema aus der Bibel: "Das Gewand".
Trotzdem setzten noch einige Produzenten auf den echten Stereofilm. 1953 kam "House of Wax" - Das Kabinett des Professor Bondi - in 3-D in die Kinos. Der alte Hut, irgendwelche Dinge ins Publikum zu werfen, zog noch einmal: Totengerippe, die einem aus Kisten entgegenpurzelten, Flammen, die bis zur letzten Reihe leckten, Glasaugen, fliessend aus flüssigem Wachs kullerten in die Bonbontüten im Schoss. - Unheimliche Requisiten streiften von der Seite fast die Nase. - Der Film war tatsächlich technisch so gut gemacht, dass die Statistik einer 2-Millionenstadt während der Laufzeit ausweisen konnte: Täglich mehrere Ohnmachten, ab der dritten Vorstellung Bereitschaft von Rotkreuz und Unfallwagen. Insgesamt zwei Frühgeburten im Kino. (Dies geschah 1956 im Urania-Kino in Wien.)
Warum ist 3-D verschwunden? Aus mehreren Gründen:
1. Nur wenige Themen verlangen Plastik. 3-D eignet sich vornehmlich für nicht vornehme Themen.
2. In der westlichen Welt gibt es nur 3-D Verfahren mit Brille. Fortwährend muss man den Kopf absolut senkrecht halten, sonst verschwimmen die Bilder. Das strengt an!
3. Zur Projektion farbiger 3-D Filme sind zwei synchron gekoppelte Maschinen nötig. Die hat jedes Kino. Das Problem liegt woanders: jeder Film reisst einmal. Wenn der Vorführer dann nicht aus dem nicht gerissenen Film genau an der selben Stelle genau so viele Bilder herausschneidet, sieht man ein heilloses Wirrwarr auf der Leinwand.
In Russland arbeitet man bis heute anders. Dort werden die beiden Teilbilder auf eine Spezialleinwand geworfen, die aus sehr genau berechnet gespannten Fäden besteht. Dadurch wird dem Betrachter ohne jede Brille das richtige Bild pro Auge zugeordnet.
Was bleibt als Schlussbetrachtung? Die Tatsache, dass manche Errungenschaft der Neuzeit schon den Grossvätern geläufig war. - Ob die Breitwand der Filmkunst absolut einen Dienst erweist, sei dem Urteil des Einzelnen überlassen.
Max Ophüls machte einen Kompromiss: bei seiner "Lola Montez" wurde der Bildausschnitt von Hochformat bis Breitwand der Bildkomposition und der Handlung entsprechend variierte. - Ophüls und der Produzent Real-Film Koppel/Trebitsch haben für diese künstlerisch vertretbare Idee allerdings bezahlt: man spricht von mehr als 10 Millionen DM Verlust.
Herbert Birett Das magische Papier
In der Münchner Stadtbücherei wurde anlässlich des 75. Geburtstages von Ernst Moritz Engert eine kleine Ausstellung eingerichtet.
Engert, 1892 in Yokohama geboren, kam Anfang des Jahrhunderts nach Deutschland. Schon 1913 stellte er seine Scherenschnitte aus. Wo er sich auch aufhielt, in Berlin, Düsseldorf oder München, er nahm rasch Kontakt zu Künstler- und Kabarettkreisen auf. So ist es nicht verwunderlich, wenn er viele Grössen aus diesem Milieu "schnitt". Hier in München ist nur eine Auswahl von 50 Köpfen zu sehen, darunter die Filmschauspieler Elisabeth Bergner, Tony van Eyck, Valeska Gert, Albert Steinrück, Rotraut Richter und Paul Wegener. Andere wie Eugen Klöpfer, Werner Krauss, Marlene Dietrich und Käthe Gold fehlen leider. Daneben sind, um nur einige zu nennen, Ernst Ginsberg, die bekannte Silhouette von Ringelnatz, dessen Frau, Klabund und Hermine Körner zu sehen.
Eine ganze Reihe Silhouetten sind in Büchern veröffentlicht worden: "Schwabinger Köpfe" 1921 bei Steegemann in der Reihe "Die Silbergäule" Bd. 80/82. "Silhouetten" mit einer Einführung von Hans Schiebelhuth 1919. - Engert hat Bücher illustriert, darunter auch Operntexte von Richard Wagner.
Aber nicht nur Personen, auch freie Schöpfungen der Phantasie hat er aus dem magischen schwarzen Papier geschnitten. In seinem filigranhaften Stil sind 23 Arbeiten zu sehen: Artisten, Schildkröten, tanzende Linien. Eine lange Reihe von Jahren hörte man nichts von ihm, bis 1958/9 die Galerie Gurlitt in München ihm eine Ausstellung widmete. Seit dieser Zeit folgten in verschiedenen Städten weitere Ausstellungen.
Paul Sauerlaender Kaleidoskop: Fernsehen in Neu-Colonien
Das in 24 Hütten untergebrachte Fernsehen von Neu-Colonien soll angeblich ein ebenso einfaches wie wirksames Mittel gefunden haben, die durch das Farbfernsehen und die Mehrwertsteuer hervorgerufene Finanzmisere zu beseitigen: Ein Herr Stanislaus von Schwonzellewskinki, uralter eingewanderter Adel, bestellt telefonisch Filme. Beeindruckt durch das sonor aus der Leitung tönende "von" denkt niemand an einen schriftlichen Vertrag. - Nach erfolgter Sendung ist Herr von S. zufällig auf Reisen, wenn bescheiden nach Monaten an das Honorar erinnert wird. Briefe in deutscher Sprache erreichen nicht den Empfänger, auch wenn sie "eingeschrieben" sind. - Und eine Reise nach Neu-Colonien um die Angelegenheit au regeln? Durchkämmen Sie mal 24 Hütten um einen Verantwortlichen zu finden! Madame hatte nicht ganz unrecht, sie hat übrigens neulich ein ausgezeichnetes Buch über Mynona geschrieben, als sie meinte, "Vorsicht - Fernsehen". Solange es Schwonzellewskinkis beim Fernsehen gibt, hat sie bestimmt nicht unrecht. - Pardon, ich habe das "von" vergessen.
Kaleidoskop: Theaterpremiere
Theaterpremiere. Während des I. Aktes fragt Elsa Wagner flüsternd den Herren neben sich: "Wer ist der Regisseur?" - "Erfurth" erklärt verbindlich der Angesprochene.- "Warum ist er nicht dort geblieben?" - meint Frau Wagner nachdenklich.

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Heft 37 (24.8.-5.10.67)
Milos Forman Der schwarze Peter
"Das ursprüngliche Drehbuch, das ich gemeinsam mit Jaroslav Papousek schrieb, spielte im Jahre 1947, also zu der Zeit, als wir 17 Jahre alt waren. Es war ein wenig unsere Autobiographie. Als wir mit den Schauspielerprüfungen begannen und mit Menschen dieses Alters sprachen, stellten wir fest, dass die heutige Jugend genau so ist, wie wir damals waren. Wenn ich sie zwingen wollte, die verflossene Zeit zu spielen, sie anders kleiden würde, weil damals eine andere Mode war, sie anders sprechen liesse, ohne die heute für die Jugend typische Ausdrucksform, dann würden sie ihren Charakter einbüssen. Ich wäre in diesem Falle gezwungen gewesen, die Helden von Berufsschauspielern darstellen zu lassen. Wir haben es vorgezogen, die Handlung in die Gegenwart zu legen. Im wesentlichen hat sich die Handlung aber nicht geändert. Daraus ist ersichtlich, dass das Problem der Jugend, die weiss, was sie nicht will, und nicht weiss, was sie will, und zugleich schon begreift, dass es keinen Sinn hat, Erwachsenen zu widersprechen und sich deshalb lieber passiv verhält, was die Pädagogen wütend macht, dass dieses Problem besteht und immer bestehen wird."
"Ich habe immer wieder neue Einfälle und muss improvisieren. Es wäre naiv zu meinen, man könne zu denken aufhören, wenn das Drehbuch einmal fertig ist. Wenn ich neuen Tatsachen begegne, sehe ich die Dinge anders, als ich sie mir beim Schreiben des Drehbuchs vorgestellt habe. Plötzlich sieht etwas ganz anders aus, als im Drehbuch, und ich muss ändern."
"Grundsätzlich rechne ich im voraus nicht damit zu improvisieren. Das Drehbuch müsse so sein, dass alles, was gedreht wird, einen Sinn ergibt; auch wenn mir nichts Neues einfällt. Und wenn ich mit dem Drehbuch zufrieden bin, kann ich ruhig ändern. Allerdings ist eine Improvisation vom Zusammenspiel des ganzen schöpferischen Kollektivs abhängig. Wenn der Darsteller meinen Gedankengang nicht begreift und versteht, nützt mir ein neuer Gedanke nichts."
"Bei den Dreharbeiten für den "Schwarzen. Peter" wurde mir zweierlei klar; Der Nichtschauspieler muss auf einer höheren Intelligenzstufe stehen, als die Gestalt, die er verkörpert. So spielt z.B. den Lehrling Peter Ladislav Jakim, ein Junge, der die Reifeprüfung abgelegt hat und jetzt die Hochschule besuchen wird. Und zweitens ist es von grossem Vorteil, einen guten Schauspieler mit Nichtschauspielern zusammen zuspannen. Es ist eine Hilfe für beide. Den jungen Maurer Cends spielt Vlad. Pucholt. Als wir mit den Proben begannen, war er nicht gut. Er hatte sich in der Schule eine bestimmte Manier angewöhnt, die schauspielerische Leistung war sehr gut und sauber, aber dem Charakter der Gestalt nicht entsprechend herausgearbeitet. Doch als wir nach Kolin kamen, wo der Film gedreht wurde, und er mit den anderen jungen Leuten, die in dem Film spielen, zusammenkam, lernte er von ihnen etwas, was sich nicht definieren lässt, eignete sich ihre Ausdrucksweise und ihre Denkart an. Andererseits - wenn Pucholt in diesem Film nicht gespielt hätte, dann wären die übrigen Darsteller nicht so gut gewesen. Sie lernten von ihm, wie man vor der Kamera arbeitet, und das bedeutete für sie eine grosse Hilfe. Sie hatten Gelegenheit zu sehen, wie ein Berufsschauspieler arbeitet."
"Ich weiss nicht, ob ich junge Menschen so gut verstehe, aber ich habe sie gern. Es gefällt mir, dass sie immer wieder etwas völlig Überraschendes tun. Im Film wurde die junge Generation sehr oft falsch geschildert. Junge Leute tragen ihre reinen Gefühle und ihre gesunde Lebenslust nicht zur Schau. Sie erwecken oft einen falschen Eindruck, weil sie ihre Gefühle unter Grobheit und anscheinender Gleichgültigkeit verbergen. Wenn man sich bemüht, der Jugend Schrecken einzujagen, wenn man ihr Moral predigt und Vorwürfe macht, dann kehren die jungen Leute uns den Rücken, schliessen sich ab, und man hat das Spiel verloren. Aber mit Humor und Freundlichkeit kann man ihnen auch harte Wahrheiten sagen, sie hören sie an und denken darüber nach."
(aus: "Informationen des tschechoslowakischen Films" Prag, Nr. 6/1964)
Hartmut Birett Film als Forschungsmittel. I
Mit Filmen kann man sich unter verschiedenen wissenschaftlichen Gesichtspunkten beschäftigen. Man betrachtet z.B. den Film selbst als Forschungsobjekt, wie in der Filmkunde und wie es in der Filmkritik geschehen sollte. Dabei bedient man sich der Arbeitsmethoden anderer Wissenschaften.
Andererseits können vorhandene Filme, genauso wie irgendwelche Kunstwerke oder Schriftstücke, anderen Wissenschaften als Quellenmaterial dienen. Im begrenzten Masse ist dies in der Kulturgeschichte oder der Ethologie möglich, häufiger jedoch in der Psychologie/Publizistik oder Soziologie. So stellt man z.B. fest, welche Ereignisse in bestimmten Zeiträumen behandelt werden und vergleicht mit Untersuchungen an entsprechenden Filmen anderer Länder oder mit anderen Massenmedien oder Kunstbereichen. Oder man beschäftigt sich mit dem unterschiedlichen Interesse einzelner Publikumskreise an einer besonderen Filmgattung. Interessant sind auch Untersuchungen zur Wirkung der Filme auf verschieden vorbelastete Zuschauer. Zu dieser Kategorie gehören auch die weltanschaulich gebundenen Filmbesprechungen, die sich soziologisch geben. Sie benutzen Filme ebenfalls als Quellenmaterial, um bereits vorhandene Meinungen zu untersuchen, obwohl vorgegeben wird, dass eine Beschäftigung mit dem Film selbst erfolgt.
Schliesslich kann man die rein technischen Möglichkeiten des Films als Forschungsmittel verwenden. Es werden also i.A. nicht bereits vorhandene Filme (schon gar nicht Spielfilme) in Betracht gezogen, sondern speziell Aufnahmen vorgenommen.
Die Ergebnisse der drei Arbeitsweisen stehen natürlich nicht beziehungslos nebeneinander, sondern beeinflussen sich gegenseitig. So sind die technischen Möglichkeiten, die den Film zum Forschungsmittel machten (und die im folgenden erläutert werden) zum Teil Voraussetzungen für die Verwendung des Film als Quellenmaterial und Material für künstlerische Gestaltung.
Mit dem Film lassen sich Bewegungsvorgänge genauer als mit Worten festhalten. Solche optischen Protokolle sind z.B. in der Ethologie von Bedeutung, wenn aussterbende Riten aufgezeichnet werden sollen oder in der Ausbildung verschiedener Berufe, wenn Anschauungsmaterial von selten vorliegenden Arbeiten benötigt wird.
Häufig lassen sich Vorgänge, die schwer überschaubar sind, erst nach mehrfacher Beobachtung richtig beurteilen. Ist nun die Beobachtung dieser Ereignisse nicht oft wiederholbar, wie etwa in der Tiefsee, innerhalb lebender Organismen oder im Weltraum, oder kann man nicht nahe genug herangehen, wie bei Sprengungen, Vulkanausbrüchen oder Kernreaktionen, so erlaubt erst die Bildaufzeichnung eine objektive Begutachtung. Ausserdem ist es leichter möglich, ähnliche Prozesse miteinander zu vergleichen, wenn die Vorgänge direkt nebeneinander projiziert werden, als wenn sie nacheinander ablaufen.
Nun kann man den Film nicht nur zur Aufzeichnung solcher Bewegungsvorgänge benutzen, die uns auch sonst zumindest im Prinzip sichtbar sind, sondern es lassen sich Wärmestrahlung, Ultraviolett, Röntgenstrahlung etc. fotografieren und damit sichtbar machen.
Im Bereich der Wärmestrahlung lassen sich auf diese Weise Temperaturunterschiede von nur 0,2øC registrieren. Diese Empfindlichkeit erlaubt es der Medizin, im Körper liegende Tumore von aussen zu erkennen oder gewisse Untersuchungen an ungeborenen Kindern vorzunehmen, wozu bisher geröntgt werden musste. Vergleichende Untersuchungen zeitlich sich ändernder Wärmeverteilungen gestatten in der Technik Rückschlüsse auf Fehler in elektronischen Miniaturschaltkreisen oder in der Vegetationskunde das Erkennen von Bodenschäden, Bewässerungsstörungen und Schädlingsbefall. In der Psychologie benutzt man derartiges Filmmaterial, um Reaktionen der Zuschauer in Film oder Theater unbemerkt untersuchen zu können. - In der modernen Röntgendiagnostik wird zur Bildaufzeichnung eine geringere Strahlendosis benötigt, als zur direkten Beobachtung auf dem Fluoreszenzschirm, so dass bei längeren Untersuchungen Patient und Arzt geschützt werden.
Fortsetzung folgt
Augenzeugenberichte gesammelt von Dr. Walter Gerteis Optische Vergnügungen von einst: I. Das Diorama
Im September 1853 erhielt die Stadt Frankfurt in der Gegend der heutigen Gallusanlage, wo sich damals ihre drei Bahnhöfe befanden, ein Diorama. Erbauer war der "hiesige Mitbürger" Herr Lattmann. Über das Ereignis berichteten die Frankfurter "Didaskalia" vom 19. September 1853 in einem längeren Artikel:
"Unsere Stadt weiss sich um eine neue Zierde reicher, die ein bleibender Anziehungspunkt zu werden verspricht. Auf dem Gallusfeld, in unmittelbarer Nähe der Bahnhöfe, sind zwei ausgezeichnete Kunstwerke, die beiden Dioramenbilder, in einem eigens zu diesem Zweck erbauten massiven Gebäude ausgestellt. Frankfurt erhält dadurch eine Sehenswürdigkeit, welche bisher nur noch in St.Petersburg, London, Paris und Köln zu sehen war. - Schon das Gebäude mit seinem grossartigen Zug- und Maschinenwerk ist sehenswert. Ganz besonders aber machen wir auf die Schönheit der Dioramen aufmerksam, welche das Dargestellte in den verschiedensten Contrasten der Beleuchtung von Tag und Nacht in der Weise vorführen, dass man wirkliche und eigentliche Natur vor sich zu sehen glaubt; für den Einen, der nicht gereist ist, ein nicht zu verachtender Ersatz, für den Andern ein Schatz von lebendiger Erinnerung. Die Bilder, von tüchtigen Meistern in Öl gemalt und auf 76 Fuss Breite 48 Fuss hoch, führen eine der herrlichsten Landschaften der Schweiz und eine grosse Schlachtscene vor.
Das Wort Diorama wird häufig falsch gebraucht, sodass der grössere Teil des Publikums etwas anderes darunter versteht, als der Erfinder selbst. Louis Jacques Mande Daguerre war es, der in den dreissiger Jahren in Paris vier solcher Bilder aufstellte, und durch die auf ihre Ausführung verwendeten Studien gleichsam zur Erfindung des Daguerreotyp hingeleitet wurde. In Deutschland bildeten Gropius in Berlin, und namentlich die Gebrüder Meister in Köln, diese schöne Erfindung weiter aus.
Die Aufgabe des Dioramenmalers ist, dem Beschauer in seinem Werke die verschiedenartigen Lichteffecte von Tag und Nacht vorzuführen. Diese Effecte werden nur durch Tageslicht hervorgerufen, welches auf die mannigfältigste Weise zugeführt und gebrochen wird. Der Beschauer sieht zwar die grossen Bilder frei vor sich, glaubt jedoch das Dargestellte in wirklicher Grösse vor sich zu erblicken. N. Meister hat namentlich in der hier ausgestellten Ansicht des Vierwaldstädter Sees fast die Natur erreicht. Das vorüberziehende Gewitter, die hervorbrechende Sonne, der Übergang zum Abend bis zum schönsten Alpenglühen, der tiefblaue Nachthimmel mit seinen Sternen, der sich in den Fluten spiegelnde Mond sind so unendlich wahr, dass man wähnt, man stehe am Fuss des Rigi und schaue wirklich in die grossartige Gebirgslandschaft hinein. Alle Nebensachen, wie die Töne des Alpenhorns, die Abendmesse in der Kirche, der Gang des Küsters etc. sind so delicat behandelt, dass behandelt, dass diese oft als Spielerei angewandten Mittel hier nur künstlerisch wirken und ihren Zweck, den Beschauer in eine dem grossartigen Moment entsprechende Stimmung zu versetzten, nicht verfehlen.
So gibt uns auch die Schlacht bei Kulm einen klaren Begriff von einem solchen grossartigen historischen Schauspiel. Die vorderen Gruppen in Lebensgrösse sind mit Meisterschaft ausgeführt. Der Mittelgrund stellt das eigentliche Schlachtgewühl dar, dessen Einzelheiten erst bei näherer Betrachtung klar hervortreten. Das vom reinsten Sonnenlicht beglänzte Erzgebirge bildet einen reizenden, Contrast zu dem wilden Kampfgetümmel.
Frankfurt kann auf den Besitz eines solchen Kunstinstituts umso mehr stolz sein, da nur wenige Weltstädte Ähnliches in solch grossartigem Massstab aufzuweisen haben. Unsere leider an öffentlichen Sehenswürdigkeiten eben nicht reiche Stadt darf sich Glück wünschen, dem Fremden wie Einheimischen durch diese Anstalt einen seltenen Kunstgenuss bieten zu können."

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Heft 38 (12.10.-16.11.67)
Herbert Stettner Gibt es dekretierte Kunst?
Zu den verhängnisvollsten Eigenschaften deutscher Künstler gehört es seit jeher, dass sie sich von den breiten Massen der Gesellschaft fernhielten. Nie hatten sie recht zu erkennen vermocht, dass Kunst nur der hervorzubringen vermag, der über sein eigenes Ich hinaus zu denken und zu handeln versteht. In Bezug auf den Film erwies sich das Verhalten dieser Romantiker als besonders verhängnisvoll, denn das Kino war nicht integrierbar in die fatale Vorstellung vom weltabgeschiedenen Charakter der Kunst. Es war nur bei einen Massenpublikum denkbar und so wurde es von unseren Kunstbeflissenen gemieden oder verleumdet. Filmarbeit in Deutschland blieb deshalb seither ein im Grunde künstlerisch und geschäftlich erfolgloses Bemühen derer, die nur auf einen kümmerlichen Ertrag bedacht waren und im schlimmsten Falle auf die Hilfe eines Staates rechnen durften, den nicht die Qualität der Erzeugnisse interessierte, sondern nur die Erhaltung überkommener Produktionsformen.
Dieses Kino-System konnte aber nur notdürftig funktionieren, solange ein Massenpublikum bereit war, für Kino-Kitsch Geld auszugeben. Als diese Bereitschaft zu versiegen begann und auch jede Senkung des Film-Niveaus, verbunden mit den alten Tricks des Dummenfangs, kein befriedigendes Geschäft mehr erlaubte, begriffen unsere Kinofunktionäre, dass sie mit ihrem Unternehmerlatein am Ende waren. Sie sprachen nun nicht mehr vom gefährdeten Fortschritt ihrer Geschäfte, denn an ihn glaubten auch sie längst nicht mehr, sondern sie jammerten, dass jetzt der gesamte Bestand ihrer Branche bedroht sei und dass wieder einmal die "feste und ordnende Hand des Gesetzgebers" einzugreifen habe.
So sollen wir nun also ein Filmgesetz bekommen, was freilich nicht bewirken kann, dass neue geistige Ziele ins Blickfeld unserer Kinomacher geraten. Wir werden uns damit begnügen müssen, dass den alten und neuen Film-Romantikern und Film-Marodeuren ein risikoärmeres Weiterwursteln erlaubt wird. "Kommerzielle Korrektheit" soll wieder einkehren und da jetzt der Staat die Sache ganz in die Hand nimmt, muss er natürlich auch wieder aufpassen, dass das "Nationale" gebührend beachtet wird. Temporäre Aufbegehrer wurden auf dem Wege caritativer Massnahmen erst einmal besänftigt, damit man auch sie recht mühelos ins neue alte System einfügen kann. Einzelne davon sind nun schon so weit im bürgerlichen Wohlergehen angelangt, dass sie treuherzig versichern können, ohne ein klein wenig Prostitution sei wahre Filmkunst nicht erreichbar.
Einziger Sinn eines tatsächlich wirkungsvollen Filmgesetzes müsste es doch eigentlich sein, jenen Leuten das Handwerk zu legen, die nur durch den Missbrauch von Rohfilm ihr Gewerbe betreiben konnten. Ein solches Gesetz kann uns der Staat gegenwärtiger Prägung leider nicht geben. Im günstigsten Falle werden wir eine träge Belebung des alten Geschäftsbetriebes bekommen. Wer darauf hoffen sollte, dieses Gesetz werde aus unseren Kino eine künstlerische Institution machen, dem sei gesagt, dass ein solches Ziel heute mit einem Gesetz überhaupt nicht zu erreichen ist. Was da wieder trotz aller vorausgegangenen bösen Erfahrungen von oben herab konstruiert wird, bleibt abermals als einfältiger Selbstbetrug hilflos in der Luft hängen. Alle zurückliegenden verlegenen Versuche zur Rettung des bundesdeutschen Filmes sind doch deshalb gescheitert, weil man glaubte, mit Massnahmen "von oben herab" auszukommen, wo es doch nur eine einzige denkbare Chance gibt, unser Kino in Grenzen zu reformieren, nämlich dann, wenn man bereit ist, beim Publikum zu beginnen. Nur wenn man sich bemüht, eine ausreichend grosse Anhängerschaft für den künstlerischen Film zu interessieren und heranzubilden, die aus freien Stucken ein niveauvolles Kino zu tragen bereit ist, werden wir eines Tages endlich einmal Freude an der Sache haben.
Hartmut Birett Film als Forschungsmittel. II Zurück
Da elektronenoptische Aufnahmen mehr Einzelheiten zeigen, als auf dem Fluoreszenzschirm sichtbar sind, lässt sich mit Hilfe des Films z.B. das Aufdampfen von Metallen auf andere Substanzen beobachten und dabei Grössenunterschiede von einem millionstel Millimeter erkennen. - Der heute gebräuchliche Farbfilm besteht aus drei lichtempfindlichen Schichten, die für verschiedene Spektralfarben (Blau, Grün, Rot) sensibilisiert sind. Die drei Schichten lassen sich auch für andere, uns unsichtbare Spektralbereiche sensibilisieren. Es entstehen dann farbige Bilder, wobei jeder Farbton z.B. einer bestimmten Temperatur oder einem bestimmten Teil des Röntgenspektrums entspricht.
Neben der Erweiterung des für uns wahrnehmbaren Spektrums kann man aber mit Hilfe des Films auch den räumlichen Standort verändern. Mit den bisher üblichen Methoden wird von einem fest vorgegebenen Standort aus ein zweidimensionaler, oder - wenn zwei Aufnähme Systeme zur Verfügung stehen - ein dreidimensionaler Film erzeugt, der normalerweise aus zwei getrennten Teilbildern besteht. Seit kurzem lassen sich mit Hilfe von Laserstrahlen Interferenzbilder aufnehmen, sogenannte "Hologramme". Wird das Hologramm projiziert, so kann der Betrachter eine beliebige Perspektive zum aufgenommenen Gegenstand wählen. Er kann nicht nur, wie schon beim normalen Stereobild, die räumliche Anordnung erkennen und analog der Photogrammetrie vermessen, sondern sich den Gegenstand auch von der Seite ansehen. Die Informationen für jede Betrachtungsrichtung sind alle im Hologramm enthalten.
Durch Vergrössern oder Verkleinern kann man scheinbar den räumlichen Abstand zwischen Betrachter und Objekt verändern. Von grösserem Interesse ist die Möglichkeit, mit Hilfe des Films das Zeitmoment des Beobachters in Bezug auf den ablaufenden Vorgang zu beeinflussen. Verläuft eine Bewegung zu langsam, so wird sie nicht erkannt. Für uns stellt eine Bewegung des Minutenzeigers einer Uhr etwa die untere Wahrnehmungsgrenze dar, worauf eine Fliege noch reagiert. Andererseits verschmelzen häufig wechselnde Einzelreize zu einem Gesamtreiz. Die Flimmergrenze liegt bei uns in der Grössenordnung von 20 Reizen pro Sekunde. Diese Trägheit gestattet es uns, die Einzelbilder des Films als kontinuierliche Bewegung zu sehen. Für eine Fliege müssten mindestens 250 Bilder pro Sekunde vorgeführt werden, damit ihr die Bewegungen nicht ruckhaft erscheinen würden.
Diese Erscheinung kann man zur Erforschung von sehr langsamen oder schnellen Bewegungsvorgängen ausnutzen. Um schnell ablaufende Ereignisse zu analysieren, wendet man eine "Zeitdehnung" (= Zeitlupe) an. Man nimmt mehr Bilder auf, als in der gleichen Zeit wiedergegeben werden. Es ist möglich, die Belichtungsdauer auf etwa eine zehnmillionstel Sekunde zu verkürzen und zusammenhängende Bildfolgen herzustellen, deren zeitlicher Abstand in der gleichen Grössenordnung liegt. Solche Bildstreifen mit 10 000 000 Bildern pro Sekunde umfassen natürlich nur einige Hundert Aufnahmen: es wurde also nur in der Grössenordnung von einer zehntausendstel Sek. gefilmt. Eine hohe zeitliche Auflösung ist besonders bei Materialprüfungen von Bedeutung, dient aber auch der Analyse der Bewegungen; Bei Tieren oder der Wirbelbildung an Flugzeugen oder Geschossen im Windkanal, sowie zur Messung der Reaktionsgeschwindigkeit chemischer Vorgänge.
In Gegensatz dazu werden beim Zeitraffer in der gleichen Zeit weniger Bilder aufgenommen, als später projiziert werden. Auch hier ist man bemüht, den zu beobachtenden Vorgang in überschaubarer Geschwindigkeit ablaufen zu lassen. - Ausser der Geschwindigkeit lässt sich auch die Richtung des Zeitablaufes verändern, indem man den Film rückwärts laufen lässt. Auf diese Weise ist der Anfangspunkt einer gerichteten Bewegung, die innerhalb einer "ungeordneten" allmählich entsteht, z.B. bei Wirbelbildungen oder Zellteilungen, genauer zu bestimmen, als bei mehrfacher Beobachtung im richtigen Zeitablauf. Treten innerhalb eines Vorganges grosse Helligkeitsänderungen auf, wie bei Explosionen, so ist das Auge zwischendurch geblendet, so dass es unmittelbar auf den Lichtblitz folgende Erscheinungen nicht wahrnehmen kann. Bei Umkehr des Zeitablaufes oder auch dadurch, dass man jedes Bild einzeln ansieht, wird diese Beeinflussung des Auges ausgeschaltet.
Zusammengefasst ergibt sich, dass der Film in der Erforschung von Bewegungsvorgängen als Konserve dient und es gleichzeitig gestattet, optische, aber uns unsichtbare oder unerreichbare Vorgänge aufzuzeichnen, sowie die Perspektive, den Grössenmassstab und unser Zeitmoment zu verändern.

Augenzeugenberichte gesammelt von Dr. Walter Gertheis Optische Vergnügungen von einst: II. Nebelbilder
Nebelbilder nannte man jene z.T. beweglichen Bilder der Laterna Magica (bei denen man durch zunächst unscharfe, dann wieder scharfe Einstellung des Objektivs ein neues Bild wie aus einem Nebel auf der Leinwand erscheinen liess. Einen Augenzeugenbericht über die Vorführung solcher Nebelbilder fanden wir an einer ungewöhnlichen Stelle. Er steht in der "Briefschule", einer Anleitung zum Briefeschreiben, die ein Herr Heinrich Reiser 1851 im Hallbergischen Verlag, Stuttgart, erscheinen liess. Ein gewisser Erich soll seinem Freund Alfred in diesem Brief die Nebelbilder beschreiben, die kurz zuvor in Stuttgart zu sehen waren. Da heisst es u.a. :
"An mehreren Abenden wurden von einem Fremden die durch ganz Deutschland berühmt gewordenen Nebelbilder gezeigt. Ich muss gestehen, dass das Gesehene alle meine Erwartungen übertraf.
Auf einem gasartigen Vorhang zeigte sich eine dunkle Wolke, die nach und nach in einen leichten Nebel zerfloss, in welchem die Umrisse des alten Schlosses Kriebstein, wie aus weiter Ferne, sichtbar wurden. Nachdem sich das Bild einige Minuten den Augen der Zuschauer gezeigt hatte, verwischte es sich, indem es ein leichter Nebel überzog, aus welchem der Dom zu Regensburg immer deutlicher hervortrat. Auch dieses Bild zerfloss auf die vorige Weise nach einigen Minuten und verwandelte sich in die Teufelskapelle am Vierwaldstädter See. Aus dieser wurde Andernach am Rheinbund, als auch dieses Bild zerfloss, bildete sich daraus die Ludwigskirche in München, die sich im hellsten Sonnenglanz präsentierte und nachher in die Kapelle Maria zum Schnee auf dem Rigi verwandelte, welche ganz in Schneemassen eingehüllt und, unter fortwährendem Schneien, von dem Ungewissen und schwachen Licht eines Wintertages beleuchtet war. Nach und nach erlosch dieses Bild und es bildete sich daraus Bacharach am Rhein, ein gar liebliches Bild, welches sich - man wusste nicht wie - in das Innere einer Tropfsteinhöhle verwandelte. Aus dieser entstand St.Jakob bei Basel, das sich bei Mondbeleuchtung zeigte. Die Fenster der Häuser waren erleuchtet; die Lichter erloschen aber nach und nach; der Mond verschwand hinter den Bergen; der Morgen graute und es wurde Tag. Nun zeigte sich das Ulmer Münster, welches sich in die kolossale Bildsäule der heiligen Barbara verwandelte, die endlich in einem Sternenmeere verschwand.
Nach dieser Vorstellung machte der Künstler eine Pause. Bald aber begann die zweite Abteilung. Aus Wolken, die sich in leichte Nebel auflösten, trat das Lustschloss Hohenschwangau in Bayern hervor. Aus diesem bildete sich Göthe's Gartenhaus im Sommer. Die Blumen verwelkten nach kurzer Zeit; das Gras erstarb; die Bäume verloren das Laub und bald stand vor unseren Augen das gleiche Bild als Winterlandschaft. Als dieses Bild erloschen war, bildete sich ein Schiff bei ruhiger See. Bald aber fingen die Wellen an, sich zu kräuseln; ein ferner Donner liess sich hören, und es entstand der heftigste Sturm, von welchem das Schiff hin und her geworfen wurde. Auf einmal stand ein deutsches Dorf vor unseren Blicken, und ein Gewitter zog über dasselbe herauf. Der Donner rollte immer näher, und endlich schlug der Blitz in ein Bauernhaus. Bald stand das Dorf in Flammen, die Löschmannschaften eilten herbei; allein ihre Bemühungen waren vergeblich und man erblickte bald das ganze Dorf als Ruine.
Diese Vorstellung erregte allgemeine Bewunderung. Man glaubte nicht Bilder, sondern Wirklichkeit vor sich zu haben. Hast Du Gelegenheit, solche Bilder zu sehen, so versäume es ja nicht!"
1859 erfand der Engländer Child die Nebelbilder (dissolving views) und ist er auch der Erfinder der Farbränder (Chromotropen)

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Heft 39 (30.11.-4.1.68)
Herbert Stettner Jiri Trnka und der Puppenfilm
Das Interesse Jiri Trnkas für die Puppen wurde bereits von seiner Familientradition bestimmt: Grossvater und Grossmutter schnitzten Puppen und diese Vorliebe übertrug sich auch auf den Enkel. Jiri Trnka wurde in der westböhmischen Stadt Pilsen geboren und er sah bereits als Schuljunge die Marionettenvorstellungen des tschechischen Puppenspielers Josef Skupa, dem er auch seine ersten Zeichnungen vorlegte, die kein geringes Talent verrieten. An der Mittelschule war Professor Skupa Trnkas Zeichenlehrer und in dieser Zeit beteiligte sich Trnka unmittelbar an der Arbeit in Skupas Puppentheater. Von da ab stammt seine Liebe zu den Puppen und zum hölzernen Theater.
Im tschechoslowakischen Film begegnen wir zum erstenmal dem Namen Trnka, als er 1945 zum künstlerischen Leiter des neuerrichteten Zeichenfilmstudios ernannt wurde. Als Buchillustrator war er schon vorher zu hohem Ansehen gelangt. Sein erster Zeichenfilm hatte den Titel "Grossvater pflanzt Rüben" und er bestach bereits durch die Originalität der Zeichnung. Es folgten noch "Die Bremer Stadtmusikanten", "Das Geschenk" und "Federmann und die SS", bevor Trnka sich ganz auf das Gebiet des Puppenfilms begab. 1947 konnte er mit "Das tschechische Jahr" das erste Ergebnis seiner Bemühungen vorlegen. Dargestellt war hier in sechs Episoden die traditionellen Feiertage des böhmischen Landvolks. 1948 beendete Trnka seinen ersten abendfüllenden Puppenfilm "Der Kaiser und die Nachtigall" nach Hans Christian Andersens Märchen. Im darauffolgenden Jahr erschien "Die Arie der Prärie", eine Satire auf den Wildwestfilm, gefolgt von "Roman mit der Bassgeige" nach Tschechows Erzählung.
Seinen Höhepunkt erreichte Trnka mit dem Film "Alte tschechische Sagen" (1953), einer anspruchsvollen Bearbeitung mehrerer Episoden aus dem Leben der ersten Bewohner der böhmischen Länder. Den Stoff lieferte der Schriftsteller Alois Jirasek. Zwischendurch experimentierte Trnka mit Filmen, deren Figuren aus Papier geschnitten waren. 1954 kam dann sein "Schwejk" der mehrere Festivalpreise erhielt, aber doch manchen Betrachter unbefriedigt liess, weil Trnka hier gezwungen war, seine Puppen reden zu lassen. Um nicht die sich bewegenden Münder zeigen zu müssen, griff Trnka zu allerlei Tricks, die aber nicht verdecken konnten, dass hier den Puppen Gewalt angetan wurde. 1957 begann er seinen "Sommernachtstraum". Noch einmal entfaltete er hier alle seine Möglichkeiten, um den vom Zwang der Guckkastenbühne und der Fäden befreiten Puppen Leben zu verleihen. Er zog alle Register der komplizierten Puppen-Animation und schuf einen Film (Farbe und Cinemascope) voller Grazie und Schönheit. Dieser, einstweils letzte lange Puppenfilm von Trnka, war aber schon fast zu ausgeklügelt und verspielt und man dachte dabei an die wohltuende Kargheit seiner "Alten tschechischen Sagen", die vielleicht doch sein Meisterwerk bleiben werden.
Grosse Verdienste erwarb sich Trnka um die Heranbildung junger Puppenfilmschöpfer. Von ihnen ist der langjährige Mitarbeiter Trnkas, Bretislav Pojar, am weitesten gelangt. Meisterhaft war Pojars Führung der Puppe Bajaja im gleichnamigen Film Trnkas 1950. Sein Debüt als selbstständiger Regisseur hatte Pojar 1951 mit dem Film "Hänsel und Gretel", dem später der entzückende Streifen "Ein Gläschen zuviel" folgte.
In den letzten Jahren war es etwas still geworden um den Altmeister Trnka. Seine Schüler haben begonnen, eigene Wege zu gehen. Er beschäftigte sich mit allerlei Plänen, so z.B. einem "Falstaff-Film", doch es kam nicht zur Verwirklichung. Er begann wieder aktiv als Buchillustrator zu arbeiten und es hatte den Anschein, als habe er dem Film entsagt. Da kamen dann doch noch einmal einige kurze Puppenfilme mit neuer Technik, so die "Kybernetische Grossmutter" und "Leidenschaft". Hier konnte er ganz im böhmischen Dorfmilieu versponnen noch einmal seine Abneigung gegen alles Technische zur Schau stellen. Gekränkt sieht er die Technik das einfache Leben überwuchern, und er macht kein Hehl daraus, dass er ein Romantiker ist, der aber selbst ganz gerne mit schnellen Autos fährt.
Dr. Dieter Schadt Filmzensur in der Bundesrepublik
Eine kurze Notiz letzthin in der Tageppresse unter 'ferner liefen' erschienen, besagt, dass bis zum 1.1.1968 in Dänemark und in Schweden die Filmzensur für Erwachsene aufgehoben wird. Gleichzeitig wird wie bei uns bisher schon üblich, die Altersgrenze der für Jugendliche verbotenen Filme auf 18 Jahre erhöht. Dies sollte Veranlassung sein, sich wieder einmal mit dem Missstand zu befassen, mit dem vermutlich der grösste Teil unserer Zeitgenossen, soweit sie ihn überhaupt zur Kenntnis nehmen, einen Separatfrieden geschlossen hat. Allerdings wird eine abschliessende Betrachtung des Themas hier nicht angestrebt, sie wäre fällig, würde den Rahmen dieser Mitteilungen aber sprengen. So soll mit dieser stichwortartigen Einführung, beschränkt auf einen Teilaspekt, und anhand einiger Beispiele versucht werden, auch interessierten Laien eine Vorstellung über die vielfältigen Bemühungen für eine saubere deutsche Leinwand zu vermitteln.
Bei der Verstümmelung ausländischer Filme sollte man nicht nur von einer grundsätzlich abzulehnenden Bevormundung, sondern auch von einer Fehleinschätzung der Besucher sprechen. Die Veränderung des Originals bei Filmen, die nur für Besucher über 18 Jahre freigegeben sind, ist eine echte und auch durch das Jugendschutzgesetz nicht mehr gedeckte Zensur, wenn der Eingriff auf Veranlassung der FSK vorgenommen wurde. Es lässt sich für Aussenstehende allerdings nicht immer eindeutig feststellen, welche Kürzungen auf Schnittauflagen der FSK zurückzuführen oder als vorbeugende Massnahme des Verleihers gedacht sind. Für die prophylaktische Methode kann der Verleiher mehrere Beweggründe haben: In der Regel will er eine bestimmte Altersfreigabe erreichen, um den Kreis der potentiellen Besucher zu vergrössern oder er will die geschäftlichen Chancen des Films verbessern. Auch soll durch Berücksichtigung von in der Luft liegenden Beanstandungen eine Prädikatisierung erleichtert werden.
Die Beweggründe, welche die FSK zu Schnittauflagen veranlassen, sind anderer Art. Sie betrachtet es als ihre Aufgabe zu verhindern, dass der Film - in Ihren Grundsätzen primär als Unterhaltungsmittel eingestuft - auf moralischem, religiösem und politischem Gebiet die Bundesbürger negativ beeinflusst. Und wie z.B. bei dem polnischen Film "Mutter Johanna von den Engeln" die, zunächst verschleppte, Freigabe in den Augen des katholischen Filmdienstes blanker Hohn auf die Grundsätze der FSK war, kann wie bei schlechten so auch bei den meisten guten aber tendenziell kritischen Filmen immer irgend eine Seite negativen Einfluss befürchten.
Macht sich dann in der Fach- seltener in der Tagespresse, aus mehr oder weniger wichtigem Anlass einmal etwas Unruhe bemerkbar, werden deren Urheber, wie im Falle des Films "Die Eingeschlossenen von Altona" flugs als "Blechbläser der Freiheit" hingestellt, deren "Äusserungen geeignet sind, die Öffentlichkeit zu verwirren". Und so ist es auch durchaus folgerichtig, wenn der evang. Filmbeobachter bei dem Film "Nattleck" in erfrischender Aufrichtigkeit schreibt: "Die FSK hat mit ihrer Schere dem Film nicht nur zur Freigabe verholfen, sondern (übrigens nicht zum 1. Mal) damit dem besseren Verständnis des Werkes einen wirklich guten Dienst erwiesen". Ob sie dem Film wirklich einen guten Dienst erwiesen hat, sei dahingestellt, ihre Aufgabe ist es jedenfalls nicht.
Wie kann nun die Originalfassung eines ausländischen Films verändert werden? Zwei Möglichkeiten bieten sich an: Die gängigste ist die Änderung des Dialogs unter Beibehaltung des Bildteils. Bestimmte und vom Autor vermutlich bewusst gesetzte politische oder moralische Akzente werden bei der Synchronisation retouchiert oder ganz unterschlagen. Auch wenn man vorher die Originalfassung gesehen und sogar verstanden hat, kann man den oft gewichtigen Feinheiten nur durch einen Vergleich zwischen der deutschen und der Originaldialogliste auf die Spur kommen.
Ebenfalls recht beliebt ist die Kürzung des Bildteils und damit gleichseitig des Dialogs durch Herausnahme ganzer Einstellungen. Hier besteht allerdings die Gefahr, dass einem versierten Filmkritiker diese Manipulationen auffallen. Auch ohne Kenntnis der Originalfassung lassen sich hier Eingriffe, dem Umfang und der Art nach, durch Vergleich der Laufzeiten feststellen. Wenn der Film nun nach seiner deutschen Version beurteilt wird, ist es natürlich wichtig zu wissen, was geschnitten, bzw. am Dialog geändert worden ist. Das aber ist ohne Originaldrehbuch nicht einwandfrei zu überprüfen. Die hier aufgeführten Beispiele sind weniger als 1/10 der nach einer ersten oberflächlichen Prüfung festgestellten Kürzungen.
Die Auswahl der Filme erfolgte nicht primär unter filmkünstlerischen Gesichtspunkten, sie stellt vielmehr einen Querschnitt durch die verschiedenen Filmgattungen dar. Aufgenommen wurden Filme, deren Laufzeit in den verschiedenen Ländern um mindestens 3 Min. differiert, was bei einer Bildgeschwindigkeit von 24 Bildern in der Sekunde ca. 100 Meter Film (35 mm) entspricht. Das Prädikat bezieht sich auf die gekürzte deutsche - nicht etwa auf die Orginalfassung.

FSK Präd. Titel                        Regisseur                      Meter D   F    S    E    B
 6 BW  Olympiade Tokio                 Kon Ichikawa                         87  -    -    -    126
12 -   In Frieden leben                Luigi Zampa                          84  105  -    -
12 BW  Der Job                         Ermanno Olmi                         92  105  106   98
12 W   Das letzte Hurra                John Ford                            99  110  -    122  120
12 W   Nachtzug                        Jerzy Kawalerowicz                   97  110  -    -    101
12 BW  Nach Jahr und Tag               Henry Colpi                          86  94    98   95   95
12 BW  Der Leopard                     Luchino Visconti                    161  185  177  161  185
12 W   Opfergang einer Nonne           Buckberger/Agostini                 106  112  117  113  113
12 W   Der Schlüssel                   Carol Reed                          126  125  -    134   88
12 BW  Tagebuch der Anne Frank         George Stevens                      151  155  168  171  164
12 W   Der Weg zurück                  Luigi Comencini                     101  115  -    -    116
16 BW  Ein Gesicht in der Menge        Elia Kazan                          102  123  131  -    132
16 W   Kapo                            Gillo Pontecorvo                     99  120  116  115  117
16 BW  Lockender Lorbeer               Lindsay Anderson                    122  135  114  134  -
16 BW  Der Mann der sterben muss        Jules Dassin                        110  126  -    119  124
16 BW  Die Nacht und die Versuchung    Stellio Lorenzi                     113  143  126  135  115
16 -   Die schwarze Akte               André Cayatte                       107  115  114  -    113
16 W   Sommer der Verfluchten          Roy Baker                           118  132  113  132  122
16 W   Unter glatter Haut              Pietro Germi                        101  116  113  114  113
16 BW  Wer erschoss Salvatore G.?       Francesco Rosi                      120  135  123  123  123
16 BW  Das indiskrete Zimmer           Bryan Forbes                        122  124  125  142  -
18 -   Eva und der Priester            Jean-Pierre Melville                 92  125  128  117  116
18 -   Griff aus dem Dunkel            Karel Reisz                          93  -    93   105  -
18 -   Gypsy                           Mervyn LeRoy                         91   83  155  143   88
18 BW  Harakiri                        Masaki Kobayashi                    114  135  134  134  139
18 -   Die Helden sind müde            Yves Ciampi                          98  115  -    -    106
18 W   Die mit der Liebe spielen       Michelangelo Antonioni              102  140  137  -    117
18 -   Die Nacht hat dunkle Schatten   Edouard Molinano                     88  100  104  -    103
18 W   Sehnsucht der Frauen            Ingmar Bergman                       97  108  -    -    109
18 W   Der 7. Geschworene              Georges Lautner                      92  105  105  -     99
18 W   Sonntags nie                    Jules Dassin                         87   90   92   92   91
18 W   Verführung auf italienisch      Pietro Germi                        118  123  118  118  118
18 -   Wiedersehn für eine Nacht       Damiano Damiani                     100  -    115  -    104
18 BW  Gottes kleiner Acker            Anthony Mann                        111  110  114  111  115
18 W   Der Schlafzimmerstreit          Jack Clayton                        110  118  101  118  110
18 -   Die Frauen sind an allem schuld Polanski, Chabrol, Godard, Horikawa  93   90  -    -    -

D = Bundesrepublik Deutschland; F = Frankreich; S = Schweiz; E = England; B = Belgien
Paul Sauerlaender Kaleidoskop: Das Wort "Film"
Das Wort und der Begriff "Film" sind in der deutschen Sprache ganz landläufig geworden. Was aber eigentlich "Film" bedeutet und wie dieses Wort zur Bezeichnung des Lichtspiels kam, ist wenig bekannt. Das englische Wort "Film" kommt von dem angelsächsischen "felmen", das ursprünglich die Haut auf der Milch bedeutet. Es ist also ein dünnes Häutchen, das dann bei der Photographie auf die dünne Folie des Negativs übertragen wurde. Man nannte dann auch die Häutchen aus Zelluloid, die für die Aufnahme der Bilder im kinematographischen Verfahren benutzt wurden "Film", und davon wurde dann der Ausdruck "Film" auf die ganze Industrie übertragen.
Kaleidoskop: [Paul Wegener: 1. Golem-Film 1914]
Es ist wenig bekannt, dass Paul Wegener vor seinem bekannten "Golem" von 1921 (Der Golem - wie er in die Welt kam) bereits 1914 einen Golem-Film gedreht hat. Das Manuskript schrieb er gemeinsam mit Henrik (Heinrich) Galeen. Das "Phantastische Spiel in vier Akten" erzählt von dem Mann aus Lehm, der durch ein Zauberwort zum Leben erwacht, im Hause eines alten Händlers lebt. Bis ihn dann die Liebe zu der Tochter seines Herren in ein rasendes Ungeheuer verwandelt. In seiner Verzweiflung stürzt er von einem hohen Turm und zerschellt. - Im neuen Jahr beginnen wir mit dem Abdruck dieses fast unbekannten Werkes von Wegener und Galeen als Beispiel für ein Stummfilm-Drehbuch [Zusammenfassung der Folgen] Golem
Kaleidoskop: [Rektor Kellers Dank für die Filmclub-Hefte]
Herr Rektor Reiner Keller, Aachen, der Leiter der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Jugendfilmclubs und -Gruppen teilte uns mit: _... ich möchte mich recht herzlich bedanken für die regelmässige Zusendung Ihrer interessanten Filmclub-Hefte. Ich habe wirklich daran Freude, wie man sich mit einfachen Mitteln bemüht, etwas Vernünftiges auf die Beine zu stellen, das auch von jedem gelesen wird. Manche Gruppen, die viel mehr Geld haben, könnten sich hier ein Beispiel nehmen. Für Ihre Arbeit wünsche ich Ihnen alles Gute.
Kaleidoskop: [IV. Woche des asiatischen Films] ]
Der beste Film im Programm der jetzt zuende gegangenen IV. Woche des asiatischen Films (22.- 29. Oktober 1967) in Frankfurt a. Main war nach der Meinung des Publikums und der massgeblichen Kritiker eine Arbeit aus dem Studio der Kirgisischen Sowjetrepublik: "Der Himmel meiner Kindheit" von Tolomusch Okejew. "_... ein Dokumentarfilm im besten Sinn" schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung, "Ohne aufdringliche Ideologie, ohne Dramatisierung und Heroisierung schildert er das Leben nomadisierender Pferdehirten in den weiten Steppen Kirgisiens. Glänzend sind die Pferdeherden in der Bewegung fotografiert, im Morgennebel vor karstigen Gebirgen, im ungewissen Licht des Mondes hinter ziehenden Wolken, zwischen den Schneenestern nahe der Pässe. Geduldig ist das schwierige Leben im Zelt eingefangen, des kleinen Jungen mit den phantasievoll auseinanderstehenden Augen und dem trotzigen Mund zwischen den alt gewordenen Eltern, die ihn als Hilfe bei den Pferden behalten und ihm die Schule verwehren. Eine Strasse wird gebaut. Es regnet. Der Vater schlägt die Mutter, und der Kleine erhebt, die aufgestaute Wut endlich lösend, den Stock gegen den Alten. Nur zögernd ist am Schluss ein Zukunftssymbol gesetzt.
Augenzeugenberichte gesammelt von Dr. Walter Gerteis Optische Vergnügungen von einst: III. Kaiserpanorama
Einige Jahre vor der Jahrhundertwende tauchten in vielen Städten die sogenannten Kaiser- oder Weltpanoramen auf. Man sass vor einem runden schwarzen Aufbau und sah durch zwei Gucklöcher ruckweise farbige stereoskopische Fotografien an sich vorüberziehen. Die gegenüberliegende [im Original der Hefte!] Zeichnung aus den "Fliegenden Blättern" vermittelt eine Vorstellung von einem solchen Kaiserpanorama. Sein Ende war gekommen, als allenthalben die Kinos aus dem Boden wuchsen. Eine hübsche Erinnerung an ein solches Kaiserpanorama hat der Schriftsteller Josef Mühlberger in seinem Buch "Herbstblätter" (1963) veröffentlicht. Das Panorama, von dem er berichtete, stand in dem Städtchen Trautenau im böhmischen Riesengebirge. Mühlberger schreibt unter anderem:
"Nach den Bilderbüchern des Kindes wurde das Kaiserpanorama das Bilderbuch des Knaben. Neugierig wurde das mit der Hand geschriebene Plakat erwartet, welches das kommende Programm ankündigte. Um ins Panorama zu gelangen, musste man einen grossen, gewölbten Flur in einem alten Stadthaus durchschreiten. Nach dem Öffnen der Tür musste ein schwerer Vorhang zurückgeschlagen werden, worauf alsbald, weil der Raum geheimnisvoll dunkel war, eine Taschenlampe aufblitzte. Das alles mutete an, als sei man zur Sitzung eines geheimen Klubs gekommen, zumal in der dunklen Stille ein regelmässiges Ticken erklang. Nachdem man seinen Obolus entrichtet hatte, wurde man von Frau Barth, einer stattlichen, würdevollen Frau, und dem Lichtstrahl einer Taschenlampe geleitet, an einen Platz geführt. Die Hocker standen rund um einen grossen, kreisförmigen Aufbau. Frau Barth drehte einen Knopf, worauf zwei Gucklöcher, die wie Ferngläser wirkten, sich erhellten. Während man sich niedersetzte, wischte Frau Barth mit einem weichen Lappen die Gläser blank.
Endlich war es so weit. Man sass, drückte die Augen an die Okulare und erblickte überirdisch helle und bunte Bilder, die in alle Welt entführten. Wirklich war, was man von fernen Ländern und fremden Städten sah, zum Greifen nah, und die Bilder hatten Tiefe, so dass man das Gefühl hatte, hineintreten zu können. Wirklich war alles, dennoch wunderbar. Was immer es war, es war herrlich, weil es in den herrlichen Farben erschien und in ein herrliches Licht, in einen Glanz ohnegleichen, getaucht war. Allen, die rund um den trommelartigen Aufbau sassen, mochte es ebenso erscheinen, denn niemand sprach, es war dunkel und still, war feierlich. Nur der heisere Glockenschlag war zu hören, wenn, viel zu bald, ein Bild mit leisem Schnurren weiterwanderte _... War das Panorama gut besucht, dann nahm Frau Barth eine von den grossen, runden, durchlöcherten Blechplatten aus einer Schachtel und legte sie über einen Apparat, worauf eine Musik wie aus einer Spieluhr erklang. Alles gewann etwas Traumhaftes. Man ward verlockt, länger zu bleiben, als geboten war, aber Frau Barth wusste auf eine rätselhafte Weise genau, wann unser Programm abgelaufen war und tauchte als mahnender Schatten auf, kaum dass wir zwei, drei Bilder ein zweites Mal gesehen hatten _..."

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Heft 40 (11.1.-8.2.68)
Frank P. Sauerlaender Filme der Welt für den Frieden der Welt
Unter diesem Motto findet alljährlich die "Internationale Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche" statt. Das X. Festival brachte aus Anlass des 50. Jahrestages der Oktoberrevolution eine Retrospektive "50 Jahre sowjetischer Dokumentarfilm". Besondere Würdigung wurde den Dokumentarfilmschaffenden Dsiga Wertow und Michael Kaufmann zuteil. In ihren Filmen zeigten sie, aus welchem Aberglauben und Analphabetentum des zaristischen Russlands die Menschen herausgeführt werden mussten. - Es würde hier zu weit führen, den frühen russischen Dokumentarfilm im einzelnen zu würdigen. Die Retrospektive und Michael Kaufmann ernteten in Leipzig den verdienten Beifall.
Zu Recht erhielt der tschechoslowakische Kurzfilm von Pavel Hasa "Blasmusik am Sonntag" den Preis der Goldenen Taube, die höchste in Leipzig zu vergebende Auszeichnung. Der Film ist eine liebe Parodie auf Prag, mit den Augen des Dirigenten einer Prager Feuerwehrkapelle gesehen. Vom eiligen Wochenend-Urlauber, der der Stadt entflieht, bis zum westdeutschen Antiquitätensammler, schildert dieser Film ein Wochenende in Prag. Der Film erfreute und lockerte den ernsten Charakter der Filmwoche auf.
Auch der mit einer Silbernen Taube bedachte Zeichentrickfilm "Aus dem Paradies vertrieben" war ein sehr lebendiger und heiterer Beitrag. Er schildert den heiligen Petrus als den entscheidenden Schlüsselgewaltigen am Tore zum Paradies. Als er einen besonders schönen Teenager in die himmlischen Gefilde einweisen soll, verlässt er jedoch seinen Arbeitsplatz, um mit dem Teenager in die Hölle zu fahren. Regie führte der Bulgare Todor Dinov.
Vietnam stand im Vordergrund der ernsten Filmreportagen. "Hanoi Dienstag 13." von dem Kubaner Santiago Alvares wurde mit der Goldenen Taube und weiteren Auszeichnungen bedacht. Die Gemeinschaftsproduktion von Alain Resnais, William Klein, Joris Ivens, Agnes Varda, Claude Lelouch und Jean-Luc Godard "Sterne von Vietnam" erhielt die Silberne Taube.
Die Ereignisse während des Schahbesuches in Westberlin wurden von Hans-Rüdiger Minow und Thomas Giefer unter dem Titel "Berlin 2. Juni 1967" geschildert. Dem Film fehlte es an Präzision, er war nicht ganz in der Lage einen Gesamteindruck des Geschehens zu vermitteln. Der Film wurde als inoffizieller Beitrag von Westberlin gesehen. Er erhielt eine Auszeichnung.
"235 Millionen Gesichter" führte die Besucher der Festwoche in epischer Breite durch das moderne Russland. Deutlich wurden die Verschiedenheiten der einzelnen Völker der UdSSR in ihren unterschiedlichen Lebensgewohnheiten gezeigt.
"Paul Dessau" ein Film über das Sehaffen des Komponisten und Dirigenten von Richard Cohn-Vossen. Dessau, seine eigenwillige und eigenständige Arbeit fanden in Ost und West grosse Beachtung, forderten jedoch auch zur Kritik heraus, provoziert mit den Mitteln seiner Kunst und versucht, der Epoche in der er lebt, ein Gesicht zu prägen. Der Film wurde im Defa-Studio für Wochenschau und Dokumentarfilm gedrehte. Er wurde bereits unlängst auch in Mannheim prämiert.
Filmstatistik des Festivals: Eingereicht wurden 254 Filme. Im Wettbewerb standen 83 Filme. In Informationsvorstellungen wurden 57 Filme gezeigt.
Insgesamt liefen 140 Filme im Wettbewerb und in der Information. Sie kamen aus 33 Ländern sowie der FNL Südvietnams und aus Westberlin.
Am Egon-Kisch-Wettbewerb der OIRT waren 9 Länder beteiligt.
Insgesamt nahmen 736 Besucher am Festival teil. Sie kamen aus 42 Ländern, Westberlin und Südvietnam.
Die X. Internationale Leipziger Dokumentar und Kurzfilmwoche wurde für die Teilnehmer zum informierenden Erlebnis. Den Veranstaltern des Festivals und dem Rat der Stadt Leipzig sei Dank gesagt.
Augenzeugenberichte gesammelt von Dr. Walter Gerteis Optische Vergnügungen von einst: IV. Rundpanorama
Um 1790 entwickelte der Danziger Dekorationsmaler Professor Breysig die Idee, ein zirkelrundes Gebäude zu bauen mit einem grossen runden Saal, der durch entsprechende Bemalung der Wände und der Kuppel den Eindruck erwecken sollte, als befände man sich im Freien und sehe ringsum ein Panorama. Verwirklicht hat diese Idee kurz darauf, offenbar unabhängig von Breysig, der Irländer Parker, der auf den Londoner Leicester Square das erste Panoramahaus mit einer Darstellung der "russischen Kriegsflotte zu Spithead" baute. Breysig folgte dann 1800 mit einer hölzernen Rotunde in Berlin, in der er seine "Ansicht Roms von den Ruinen der Kaiservilla aus" vorführte. Ähnliche Bauten entstanden in anderen Städten, aber von 1830 an wurde es in Deutschland um das Panorama für ein halbes Jahrhundert still.
Von neuem lebte dann die Idee in Frankfurt a.M. auf. Ein wohlhabender Holländer, Diemont, liess im Westend, bei der Christuskirche am Beethovenplatz, ein stattliches Gebäude im Stile der späteren Festhalle errichten und beauftragte den Münchner Schlachtenmaler Louis Braun, ein Riesenpanorama mit der Schlacht von Sedan zu malen. Es war 120 Meter lang und 16 Meter hoch. Am 1. September 1880 war die Eröffnung. Es wird berichtet, dass man auch Morgendämmerung und Sonnenuntergang, Regen und Schnee darstellen konnte. Das Panorama galt als Sensation, und in den folgenden Jahren kamen Tausende von weither, es zu bestaunen. Man zeigte die Schlacht von Sedan fünf Jahrs lang, dann folgte ihr die Schlacht von Weissenburg. Auf Anregung von Baron Erlanger wurde die Frankfurter Panorama-Aktiengesellschaft gegründet, und in der Gegend der heutigen Münchner Strasse entstand noch ein zweites, kleineres Panorama. Inzwischen waren auch in anderen Städten Panoramen "wie Pilze aus dem Boden geschossen". Sie zeigten überwiegend Schlachtenmalereien, die man untereinander austauschte. Mit dem Aufkommen des Kinos ging die Herrlichkeit zu Ende, und von allen deutschen Panoramen blieb unseres Wissens nur jenes im bayerischen Wallfahrtsort Altoetting, mit einer Darstellung der Kreuzigung, erhalten.
Eine späte Erinnerung an das erste Frankfurter Panorama veröffentlichte Lili von Baumgarten 1957 in der "Frankfurter Neuen Presse". Sie schreibt unter anderem:
"Mein erster Panoramabesuch mit meinen Eltern ist mir so lebendig geblieben, als wenn es gestern gewesen wäre." Wir werden die Schlacht bei Lützen sehen", erklärte mir Mama auf dem Hinweg. Ich konnte mir unter Panorama nichts vorstellen und war sehr erwartungsvoll. Am Rundbau angekommen, löste Papa Billette für uns, ein Vorhang wurde beiseite geschoben, es ging ein paar Stufen hinauf, und dann standen wir wie auf einem Feldherrnhügel auf einer kleinen, von einem Eisengitter eingefassten Plattform inmitten des kriegerischen Geschehens von Anno 1632. Über den künstlerischen Wert des riesigen Rundgemäldes getraue ich mir heute kein Urteil zu. Ich weiss nur, dass es einen mächtigen Eindruck auf mich machte.
Ein alter Mann in einem Soldatenmantel, Veteran von 1870-1871, erläuterte uns das Dargestellte. Da sprengte an der Spitze der Kaiserlichen Wallenstein einher. Zwischen Rauch und Pulverqualm tobte ein wilder Kampf um den schwer-verwundeten Schwedenkönig, der von seinem weithin sichtbaren weissen Rosse sank. Der Zwischenraum vom Wandgemälde bis zu unserer Plattform war mit Staffage belebt. Da hielt ein Marketenderkarren, dort lagen weggeworfene Beutestücke. Ganz in unserer Nähe stand eine massige Kanone. Der Invalide deutete auf sie und fragte mich, was ich wohl glaubte, wieviel sie wiege. Ich hatte keine Ahnung und sagte aufs Geratewohl tausend Pfund. Er lachte, öffnete ein Türchen im Gitter, ging hin und hob die Kanone mit einem Arm mühelos in die Höhe. Sie war aus Papiermaché!"

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Heft 41 (15.2.-21.3.68)
Paul Sauerlaender Der Regisseur Arnold Fanck
Am 6. März 1889 wurde Arnold Fanck in Frankenthal in der Pfalz geboren. Bis zum zehnten Lebensjahre schwer krank, jedes Jahr musste er von neuem gehen lernen, lebte er in der folgenden Zeit in der Schweiz. Völlig genesen kehrte er nach fünf Jahren zurück. In der Schule interessierten ihn verwiegend die Naturwissenschaften. Später an der Universität wurde er Geologe.
Als begeisterter Photograph stellte er Lichtbildreihen zusammen und hielt Vorträge. - 1913 drehte er im Auftrage einer Freiburger Filmfirma mit Sepp Allgeier und Hans Rhode einen Film: "Die Besteigung des Monte Rosa im Winter". Der Ausbruch des ersten Weltkrieges verhinderte alle weiteren Filmpläne.
1919 begann er mit den Aufnahmen zum "Wunder des Schneeschuhs". Zur Ausrüstung gehörten eine Ernemann-Aufnahmekamera und eine fünf Zentner schwere Ernemann-Zeitlupe. Diese war während des ersten Weltkrieges zur Messung von Geschoss-Geschwindigkeiten entwickelt worden. Der Film wurde ein grosser Erfolg. Hier sah man keine "belebten" Ansichtskarten, wie dies bisher im "Naturfilm" üblich gewesen war. Dieser erste abendfüllende Naturfilm zeigte, was Fanck gemeint hatte, als er sagte: "Der Hintergrund soll in meinem Film zum Vordergrund werden." Alle nun folgenden Bergfilme Fancks waren Bildvisionen, in denen vereiste Felswände, Gletscher, Lawinen und Schneestürme wesentlicher waren, als das Spiel der Darsteller. Seine Schauspieler kamen aus allen möglichen Berufen, zumeist waren nur die Hauptdarsteller Berufsschauspieler. Oder sie wurden es erst durch Fancks Filme, wie Luis Trenker, der heute als Gebirgsopa im Fernsehen von seinen Bergen erzählt. Mit seinen Operateuren Sepp Allgeier, Hans Schneeberger und Richard Angst wurde Arnold Fanck zum Begründer der "Freiburger Kameraschule".
Bela Balazs schrieb 1929: "Er hat zum erstenmal das Riesenpathos kosmischer Naturgrösse im Film erstehen lassen. Er hat uns eine ungeheuere Welt der Ungeheuer erschlossen und unseren Menschenblick mit seiner Kamera mitten hineingeworfen, uns zum Mitleben gezwungen. Aber es sind viele, die Dr. Fanck vorwerfen, dass er in die grossen Bilder seiner Bergwelt Geschichten kleiner menschlicher Schicksale mischte. Diese Kritik gehört zu jenen, die sich selber widersprechen. Kann denn Grösse anders dargestellt werden, als gemessen an der verhältnismässigen Kleinheit menschlichen Alltags?"
Die Schule Fancks umfasst die Zeit von 1919 bis 1934. Seine Operateure und Schauspieler entwickelten seinen Filmstil weiter. Allen voran Sepp Allgeier, der Meister der Kamera. Luis Trenker, der Regisseur und Darsteller eigener Produktionen.- Und dies bis hinab zu Leni Riefenstahl.
Die Filme von Arnold Fanck

Stummfilme: 
1919    "Das Wunder des Schneeschuhs" 
1921    "Der Kampf mit dem Berg" 
1922    "Eine Fuchsjagd auf Schiern im Engadin" 
1924    "Der Berg des Schicksals" 
1926    "Der heilige Berg" 
1927    "Der grosse Sprung" 
1928    "Das weisse Stadion" 
1929    "Die weisse Hölle vom Piz Palü" 
Tonfilme: 
193o    "Stürme über dem Montblanc" 
1931    "Der weisse Rausch" 
1933    "SOS - Eisberg" 
1934    "Der ewige Traum" 
1935    "Die weisse Hölle vom Piz Palü" 
         Der Stummfilm von 1929 nunmehr mit Sprache, Geräuschen und Musik unterlegt.
1937    "Die Tochter des Samurai"
1940    "Ein Robinson"

Herbert Stettner Filmclubs in Frankfurt am Main
In letzter Zeit wurde häufig kritisch vermerkt, dass wir mit unseren Kinos in Frankfurt in keiner sehr glücklichen Lage sind. Bedeutsame Filme gelangen oft verspätet oder auch überhaupt nicht zur Aufführung. Filmreihen und Wiederaufführungen wichtiger Filme kennt man hier kaum, und von einem filmkünstlerischen Ehrgeiz der Kinobesitzer fehlt fast jede Spur. Andere auch kleinere Städte, sind da oft wesentlich besser dran. Während im Zuge des Kinosterbens die einst 82 Frankfurter Kinotheater auf 39 reduziert wurden, gibt es in unserer Stadt aber mittlerweile 25 Filmclubs oder ähnliche Einrichtungen. Ständig kommen neue Gruppen hinzu, jede mit einem bestimmten Ziel und einem spezifischen Publikum. Kaum eine andere Stadt in der Bundesrepublik kennt eine solch reichhaltige Filmclub-Arbeit, und wer da vom "filmfeindlichen Frankfurter Bürger" redet, wie dies ein Kinobesitzer unlängst im Radio wieder tat, der zeigt nur, dass er die tatsächlichen Verhältnisse nicht genügend kennt. Was unsere filminteressierten Bürger im Kino nicht finden, das suchen sie sich offenbar mehr und mehr auf dem Wege der Selbsthilfe.
> Allgemeine Filmclubs für Erwachsene
Die älteste Einrichtung ist der "Film-Club Frankfurt am Main e.V." im "Archiv für Filmkunde". Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Filmgeschichte. Der "Frankfurter Filmkreis" des Bundes für Volksbildung zeigt seit über 10 Jahren, dass die Filmerziehung auch in der Erwachsenenbildung ihren festen Platz hat. So auch im Vorort Höchst, wo ein Filmclub gemeinsam von der dortigen Volkshochschule und den Farbwerken Höchst betrieben wird.
> Studentischer Filmclub
Auf eine 17jährige Tätigkeit kann das "Film-Studio" an der Johann Wolfgang Goethe Universität blicken. Immer wieder kamen aus dem Kreis der Studenten starke Impulse, die auf dem Gebiet des Films weit über den Raum der Universität hinauswirkten. In diesen Bereich gehört ferner die "Filmarbeitsgemeinschaft an der Staatl. Ingenieurschule". Auch die "Filmwissenschaftliche Gesellschaft Frankfurt e.V." verdankt ihr Entstehen studentischer Initiative.
> Kinder- und Jugendfilmclubs
Auf diesem Gebiet haben wir in Frankfurt eine besonders rege Aktivität zu verzeichnen. Breitenarbeit mit Unterhaltungsfilmen treibt schon seit vielen Jahren die "Kultur Vereinigung der Jugend e.V." mit ihren 3 Jugendkinos: Haus der Jugend, Zoo und Schlossstrasse. Das "Studio junger Film", ein Gemeinschaftsunternehmen der Naturfreunde- und Solidaritätsjugend sucht stets politisches Engagement, wie auch der Filmclub des "Seminars für Politik". Intensive Kleinarbeit auf hohem Niveau betreibt ein "Filmkreis" der Evangelischen Jugend. Ständige Filmarbeitsgemeinschaften gibt es an 7 Frankfurter Sehulen: Wittelsbacher-Schule, Peter-Petersen-Schule, Gerhart-Hauptmann-Schule (Film-Forum), Carl-Schurz-Schule, Freiherr vom Stein-Sehule, Schiller-Schule und Goldstein-Schule. Dem leider so vernachlässigtem Kinderfilm widmet sieh seit vielen Jahren mit grossem Erfolg der "Kulturelle Dienst Wohnen und Leben" der Nassauischen Heimstätte.
> Kirchliche Filmclubs für Erwachsene
Im "Haus der Volksarbeit" existiert seit Jahren ein "Katholischer Filmkreis" und das Katholische Sozialbüro in Höchst macht regelmässig Veranstaltungen mit ausgesuchten Filmen. Jetzt hat die Katholische Krankenhausfürsorge sogar für Patienten der Nervenklinik in Niederrad einen Filmclub eingerichtet. Evangelische Initiative zeigte sich jetzt in der Bonhöfer-Gemeinde, wo für die Nordweststadt ein Filmclub gegründet wurde
> Nationale Filmclubs
Ein "Französischer Ciné-Club" des Institut Français zeigt regelmässig französische Originalfassungen, und mit Hilfe der Botschaft der UdSSR laufen in monatlicher Folge sowjetische Filme im Original. Im "Film-Werk Shop" des Amerikahauses widmet man sich dem amerikanischen Film. - Kein Club stört den anderen, vielleicht gerade deshalb, weil noch niemand versucht hat, zu "koordinieren".

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Heft 42 (28.3.-2.5.68)
Hartmut Birett Natur zur Unterhaltung. I
Naturkundliche Filme werden genauso wie Kulturfilme zu Dokumentarberichten gezählt, so dass man sie mitunter für wahrheitsliebender als Wochenschauen hält. Sieht man einmal von wissenschaftlichen Lehr- und kurzen Vorfilmen ab, so ergeben sich für die Gestaltung eine Reihe Schwierigkeiten, unter denen der Wahrheitsgehalt leiden kann. In der Natur, oder besser gesagt, in den Entwicklungsabläufen von Tieren und Pflanzen, sind zwar kurze Episoden häufig interessant; werden aber längere Lebensabschnitte gezeigt, so wirkt dies für den unbefangenen Betrachter ermüdend, besonders, wenn es sich um Pflanzen handelt. Abendfüllende Filme müssen daher dramatisiert werden.
Dazu kann man sich einen äusserlichen Roten Faden ausdenken. So schildert Eugen Schumacher (Unterwegs nach Feuerland 1955; Kanada - im Lande der schwarzen Bären 1958) und ebenso Bengt Berg (Mit den Zugvögeln nach Afrika 1929) die einzelnen Episoden als Stationen eines Reiseberichtes. Oder es wird ein - zumindest dem Namen nach - begrenzter geographischer Raum als Rahmen gegeben, wie bei Alexander Sguridi (Sandwüsten Mittelasiens 1949), bei Heinz Sielmann (Galapagos, Trauminsel im Pazifik 1961), sowie bei Jacques Yves Cousteau (Die schweigende Welt 1958). Eine weitere Möglichkeit biete die Biographie eines Tieres. Dabei werden sooft es vertretbar erscheint, Abschweifungen zu anderen Tieren und auch zu Pflanzen vorgenommen, wobei man meist von diesen mehr zeigt, als es für die Beziehung zum Hauptdarsteller von Bedeutung ist. Diese Tendenz findet sich bei Istvan Homoki-Nagy (Adler, Wölfe, Abenteuer 1954) A. Sguridi (Im Reich des weissen Bären 1951) und Heinz Sielmann (Herrscher des Urwaldes 1958). Mitunter wird mit schönen Aufnahmen und leider oft sentimentalem Text für den Schutz besonders interessanter Lebensräume geworben, wie bei Hubert Schonger (Mellum, das Vogelparadies in der Nordsee), Bernhard Grzimek (Kein Platz für wilde Tiere 1956; Serengeti darf nicht sterben 1959), sowie mit geringerer Herausstellung des Anliegens, bei Eugen Schumacher (Die letzten Paradiese). Bei Filmen der Art der bisher angeführten Beispiele existiert kein notwendiger Zusammenhang zwischen den Einzelszenen. Man kann sie ohne Schwierigkeit in kurze, in sich abgeschlossene Filme zerlegen.
Bei einer Reihe von Filmen findet man eine Handlung, die die Einzelepisoden verbindet. Da es aber in der Natur so etwas nicht gibt, wird z.B. eine Verbindung zwischen Tieren und Menschen hergestellt. Im Allgemeinen wirkt dies nur im Zusammenhang mit Kindern nicht allzu penetrant. Albert Lamorisse (Der weisse Hengst 1952) und Arne Sucksdorff (Das grosse Abenteuer 1953) zeigen solche Tierfreundschaften. Bei aller Poesie wird in diesen Filmen eine reichlich obskure Ansicht über die Wirklichkeit verbreitet (unter dem Motto: Seit ich die Menschen kenne, liebe ich die Tiere) und die Meinung suggeriert, dass eine völlig determinierte Welt besser sei als die Möglichkeit zur Entscheidung.
Eine Verbindung zwischen romantisierender Tierfreundschaft und notwendigem Naturschutz zeigt Boris Dolin (Amsel, Drossel, Fink und Star 1953; Der graue Räuber 1956). Vor allem in dem ersten dieser Filme kommen einige Zweckdeutungen vor, was aber bei einer Staatsproduktion selbst im Rahmen der Naturwissenschaften wohl in Kauf genommen werden muss.
Eine recht geschickte Verbindung einer Handlung mit Kurzbiographien einzelner Tiere zeigt Glab Nifontov (Raubtierfänger 1958). Es wird hier nicht nur der Fang aufregend gestaltet, sondern die Biologie der Tiere gezeigt, wodurch z.T. die Fangmethoden erst verständlich werden. In den Filmen von Hans Hass (Menschen unter Haien 1943) werden die Einzelepisoden mitunter sogar durch lustige Abenteuer der Expeditionsteilnehmer verbunden. Hierbei werden um des Effektes willen auch Gefahren vorgespielt.
Es lässt sich natürlich auch eine Handlung in die Natur hineinprojizieren. Dazu muss man nur die Tiere vermenschlichen, d.h. die Natur manchmal verfälschen. Wenn dies für jeden erkennbar erfolgt, so ist dagegen genausowenig etwas einzuwenden, wie gegen Tierfabeln. Allerdings eignen sich zur Gestaltung solcher unterhaltsamer Erziehung Puppen und Zeichnungen besser. Walt Disney, der mit derartigen Fabeln Erfahrung hatte, veränderte je nach Bedarf auch bei seinen abendfüllenden Realaufnahmen die Natur. In den kurzen Streifen aus der Reihe "Entdeckungsreisen im Reiche der Natur" musste er nicht künstlich Spannung erzeugen. Aber schon hier verwendet er Zeitraffer, Zeitdehnung und Lupenaufnahmen, ohne sie kenntlich zu machen. In "Die Wüste lebt" 1954, lässt er dann Tiere miteinander kämpfen, die in zwei verschiedenen Erdteilen beheimatet sind. Auch wird ein Ausschnitt aus den Putzbewegungen einer Maus so montiert, dass es "im Zusammenhang" wie ein Warnwink für eine andere Maus aussieht. Obwohl der Kommentator diese Geste unterstützt, versteht die dumme andere Maus nicht, was gemeint ist. - Oder es wird der Spieltaumel eines Bären mit Brüllen und Schnaufen unterlegt und so montiert, dass es furchterregend aussieht und im "Zusammenhang" die Wut des Bären über einem ihm zugefügten Streich darstellen soll. (Nikki) Auch in Filmen anderer Autoren finden sich viele derartiger Umdeutungen von Verhaltensweisen, wenn es nur effektvoll ist. So vergiesst bei A. Sguridi (Im Reiche der weissen Bären 1951) ein Seehundjunges grosse Tränen, weil es soeben Vollwaise wurde; es fiept aber nicht, da es ja sonst vom Räuber bemerkt würde. Überhaupt gibt der "Kampf ums Dasein" und die ganze grausame Natur für den Film viel her. Da dieser Kampf nach Meinung der Filmleute etwas mit wirklichem Kämpfen - möglichst auch noch mit tötlichem Ausgang - zu tun haben soll, bringen Cousteau, Disney, Homoky-Nagy, Sguridi und andere verschiedene Tiere so beengt zusammen, dass sie sich gegenseitig des anderen erwehren müssen. Dass dieser Kampf auch mit Beuteschlagen zu tun hat, bemerkt man spätestens am Ende. - Genauso beliebt sind Schlangenmahlzeiten, wobei man die Schlangen lange hungern lassen muss, damit sie dann auch an sehr grosse Beute herangehen.
Fortsetzung folgt
Augenzeugenberichte gesammelt von Dr. Walter Gerteis Optische Vergnügungen von einst: V. Der Projectionsapparat
Der Projektionsapparat, ohne den längst keine Schule, kein Institut, kein Vortragender denkbar ist, hatte es am Anfang gar nicht leicht. Es dauerte seine Zeit, bis er sich durchsetzte. Gute Projektionsapparate waren in der ersten Zeit unhandlich gross und enorm teuer. So kostete zum Beispiel Ende der siebziger Jahre die Apparate von Krüss in Hamburg mit ihren Riesenlinsen 2.100 Goldmark. Es kam noch etwas anderes hinzu; die Laterna magica - und ein Projektionsapparat ist eine Laterna magica - war inzwischen zum Jahrmarktsgegenstand geworden, und man scheute davor, sie plötzlich für ernsthafte und wissenschaftliche Zweck heranzuziehen.
In "Westermanns Monatsheften" von 1880 tadelte deshalb der Kunsthistoriker Bruno Meyer seine Kollegen. Der Projektionsapparat sei in Wirklichkeit ein vortreffliches Lehrmittel. "Die philiströse Furcht irgendeines gelehrten Kollegen ist unberechtigt, der nämlich meint, er vergebe seiner Würde etwas, indem er sich eines Apparates bediente, der durch den Gebrauch herumziehender "Physiker" befleckend für die reinen Hände des Mannes der Wissenschaft geworden ist. Ein solcher müsste dann auch keine Kreide mehr in die Hand nehmen, weil sie bekanntlich sehr eifrig von Seiltänzern gebraucht wird!"
In demselben Jahr 1880, im Juni, veröffentlichte auch die "Gartenlaube" längere Betrachtungen zu dem Thema.
Sie beklagt zunächst den Niedergang der Laterna magica: "Berufene und Unberufene durchzogen das Land, ein Heer von Pfuschern, welche weder gute Apparate noch gute Bilder hatten. Das Publikum verlor gründlich den Geschmack an ihnen. Mit gutem Recht. Es ist einem gebildeten Menschen nicht zuzumuten, Sentimentalitäten anzuschauen wie den Traum der Jungfrau oder den Wachposten in der Weihnachtsnacht oder jene Abgeschmacktheiten, langwerdende Nasen, mäusefressende Baschkiren und dergleichen, welche auf den Applaus der Galerie berechnet sind. Es hatte den Anschein, als habe die Laterna magica ausgeleuchtet."
"Aber", so fährt das Blatt fort, "die Sache nahm seit etwa acht Jahren eine neue Wendung. Es gelang dem Physiker Böttcher mit seinen Soireen, in welchen er zusammenhängende Bilderserien mit einem interessanten und lehrreichen Vortrag vorführte, den Bildern wiederum neue allgemeine Anerkennung zu schaffen. So illustrierte der Apparat jetzt eine Reise auf dem Nil, jetzt ein Kapitel aus der Astronomie, jetzt ein Stück Kunstgeschichte in vortrefflicher Weise. Damit war die eigentliche Bestimmung des Apparates gefunden."
Der Artikel schildert dann des langen und breiten einen neuen amerikanischen Projektionsapparat, das Sciopticon. Das besondere an ihm sei eine Lampe von ausserordentlicher Leuchtkraft, zwei schräg aufeinander gestellte grosse Gasflammen, mit einem Licht, das 50 Stearinkerzen entspreche. Der Preis betrage nur noch 80 bis 120 Mark, bei Liesegang in Düsseldorf sogar nur 65 Mark. Ein weiterer Vorzug sei der ausserordentlich reiche Vorrat fertig vorliegender fotografischer Bilder. So enthalte der Katalog zum Beispiel 200 Platten über Rom, 100 über Pompeii, 220 über Baustile und 200 über den französischen Kriegsschauplatz. Der Verfasser - er zeichnet nur mit M.A. - schliesst mit der Erwartung: "Ich meine in der Tat, dass wir hier ein Lehrmittel vor uns haben, dem eine grosse Zukunft blüht. Wer weiss, ob das Sciopticon oder irgendein anderer Projektionsapparat nicht einmal gerade so populär wird, wie heute Wandkarte und Atlas."

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Heft 43 (9.5.-20.6.68)
Ewald Meyer Die dritte Dimension
Als die Wirtschaftskrise von 1929 die Besucherzahlen der Kinos plötzlich auf mikroskopisch kleine Grössen schrumpfen liess, wurde der Tonfilm geboren. Die technische Lösung des Problems war zwar schon einige Zeit gelungen, es wurden aber die wirtschaftlichen Konsequenzen gescheut, solange es auch mit den alten Mitteln weiterging.
Als die Einführung des Fernsehens eine ähnliche Krise in der Filmindustrie verursachte, konterte diese mit der Einführung der Breitwandsysteme. Die Systeme sind im Grunde als Ersatz für den noch nicht vorhandenen, aber angestrebten stereoskopischen Film zu sehen. Da die Krise noch andauert - die Breitwand hat sich doch nicht als ein Allheilmittel erwiesen - wird eifrig am stereoskopischen Film gearbeitet.
Natürlich lassen sich die Dinge auch anders betrachten. Es ist nicht zu leugnen, dass sich der Film zu diesen Zeiten sowieso in künstlerischen Krisen befand. Die altbewährten Rezepte wollten nicht mehr verfangen, aber die Arrivierten waren nicht zu neuen Experimenten bereit. Noch weniger bereit waren sie, einer neuen Generation die Chance zu bieten, und erst die neuen Techniken boten auch Aussenseitern die Gelegenheit, sich durchzusetzen. Wer aber will hier abwägen, was Ursache, was Wirkung war? Wahrscheinlich sind das nur zwei Aspekte der gleichen Sache, deren Proportionen durch den eigenen Standpunkt bestimmt werden. Bedenkt man, dass weder die Einführung des Tonfilms, noch die der Breitwandtechnik von einem parallelen Anstieg der künstlerischem Qualität begleitet waren, die Breitwand zumindest Schwierigkeiten für Regie und Bildkomposition mit sich brachte, die bis heute noch nicht gemeistert sind, dann wird klar, dass die Zusammenhänge doch diffiziler sind, als es auf den ersten Blick erscheinen mag.
Es soll daher garnicht erst untersucht werden, in welcher Weise ein künstlerischer Fortschritt von der Einführung des stereoskopischen Films zu erwarten ist, falls überhaupt, sondern der heutige technische Stand des Problems soll skizziert werden.
Die einfachste sich heute bietende Lösung dieses Problems scheint die durch Schaffung einer geeigneten Leinwand mit darauf angeordneten, durch unreflektierende Flächen scharf von einander getrennten Mikrolinsen zu sein. Diese z.B. zylindrischen oder prismatischen Linsen verleihen der Leinwand eine Streifenstruktur. Es können aber auch andere, beispielsweise hexagonale Raster Verwendung finden. Die Wirkung besteht darin, dass hierdurch benachbarte Lichtpunkte in verschiedene Richtungen reflektiert werden und in einem gewissen Bereich das von bestimmten Teilflächen reflektierte Licht jeweils nur vom rechten oder linken Auge des Betrachters wahrgenommen wird.
Es ist jetzt bereits möglich solche Linsenraster oder deren Matritzen auf fotomechanischem Wege durch Quellung entsprechender Teile einer Gelatineschicht und Verwendung eines gerbenden Entwicklers mit genau vorgegebenem Linsenprofil in höchster Exaktheit herzustellen. Die bereits erreichten Leinwandgrössen betragen etwa 4 Quadratmeter. - Nach einem anderen Verfahren werden solche Raster galvanisch hergestellt.
Rechnet man noch die neueren Vorschläge hinzu, in der Bildfolge des Films Bilder verschiedener Serien, (also z.B. für das linke und rechte Auge) abwechselnd aufeinanderfolgen zu lassen oder das übliche Filmbild in mehrere Bilder aufzuteilen, letzteres allerdings bisher hauptsächlich um die Farbauszüge für einen Farbfilm bequem auf einem schwarz-weiss Film zu registrieren und so die Vorteile des schwarz-weiss Films für den Farbfilm nutzbar zu machen, dann wird klar, dass der grösste Teil des Weges zum plastischen Film bereits zurückgelegt ist.
Allerdings zeigt sich, dass die Technik neutral ist und sich nicht um die Motive des Menschen kümmert. Diese Verfahren, entwickelt im Bestreben, die Filmindustrie gegenüber dem Fernsehen konkurrenzfähig zu machen, lassen sich auch im Fernsehen mit gleichem Erfolg verwenden. Es wird sich daher erst zeigen müssen, ob die gegenseitige Konkurrenz beiden Medien die Einführung des plastischen Films erzwingen, oder deren gemeinsames Interesse es auf absehbare Zeit verhindern wird. Das künstlerische Interesse steht hierbei wieder einmal im Hintergrund, aber wer weiss, vielleicht ist das gut so.
Hartmut Birett Natur zur Unterhaltung. II Zurück
Mit der Aufzählung derartiger Verdrehungen soll nun nichts generell gegen gestellte Aufnahmen oder solche im Atelier gesagt sein. So sind z.B. Zeitraffer-, Zeitlupen- und Mikroaufnahmen wegen der Helligkeitsschwankungen und in der Windbewegung im Freien fast immer unmöglich. Auch die Verfolgung eines Tieres in seinen Bau kann man nur an speziell für diesen Zweck präparierte Bauten vornehmen. Ebenso lassen sich viele Unterwasseraufnahmen, besonders bei Farbfilmen, einfacher im Aquarium fertigstellen, wobei keine Verfälschung eintreten muss. Weiterhin wird häufig der Ablauf eines Films flüssiger, wenn man nicht sehr wesentliche, aber technisch schwierige Aufnahmen zur Verfügung hat. Wird z.B. ein nicht sehr grosses Tier auf der Pirsch gezeigt, so laufen sie, fast immer von Pflanzen verdeckt, im Bogen um die laut surrende Kamera herum. In diesen Fällen doubelt man mit dressierten, eventuell umgefärbten Tieren diese Szenen. Erkennen kann man dies in Filmen von Disney, Homoki-Nagy und Sucksdorff daran, dass die Katze, der Hund, der Fuchs mit erhobenem Schwanz, dem nicht sichtbaren Dresseur mit der Wurst in der Hand nachläuft, oder ein Hund mit angelegten Ohren Beute aufspürt.
Die Schwierigkeit der Gestaltung schon bei Kurzfilmen wird durch die Bemerkung von Kennworthy (Kalbus, Pioniere des Kulturfilms) deutlich, der 1923 auf verschiedene Möglichkeiten zur "Themenverfehlung" hinweist:
Wenn das Thema "Der Elefant" von einem deutschen, amerikanischen und französischen Kulturfilmhersteller behandelt werden müsste, so würde der Franzose den schönsten Elefanten aus dem Pariser Zoo zeigen und auf den Rücken die schönsten und beliebtesten Schauspielerinnen oder Mannequins setzen, um das lehrhafte Thema als Revue pikant im Film zu servieren.
Der Amerikaner würde dagegen die grösste Elefantenherde im Urwald aufstöbern, sie in wildester Jagd einen Bergabhang hinuntertreiben und möglichst viele Tiere der Kugel eines verwegenen und tollkühnen Jägers zum Opfer fallen lassen. Der Amerikaner würde das Thema also in Rahmen einer Jagdsensation darstellen.
Der Deutsche dagegen würde zuerst einmal mikroskopische Aufnahmen von der Augennetzhaut des Elefanten und einige Zeitlupenaufnahmen über die Bewegungen der Ohren und des Rüssels machen, um dem Seelenleben des Elefanten auf den Grund zu gehen _...
Max Mack Die Virage (Aus: "Die zappelnde Leinwand" 1916)
Die Virage - das ist genau das, was auf der Bühne die Beleuchtung bedeutete. Mit Hilfe dieser ausserordentlich kunstvollen Färbungen gleicht der Film nach Möglichkeit aus, was ihm die Technik durch das beharrliche Nichterfinden farbempfindlicher Emulsionen vorenthält. Das Kolorieren der Filme, ihre Bemalung, ist als eine langweilige Spielerei von dem deutschen Publikum schnell abgelehnt worden. Aber die Virage - das ist wie Abendfarben auf dem strahlenden Antlitz einer schönen Frau!
Was würde ein Titel "Nacht" vor einer Szene bedeuten, in der Gestalten silhouettenhaft umherirren. Es würde an jene alten Zeiten des Theaters erinnern, in der die Dekoration durch Plakate angegeben wurden. Die Färbung macht es möglich, die Tönungen der Dunkelheit vom zarten Violett bis zum tiefen Blau mit geradezu suggestiver Wirksamkeit wiederzugeben. Das ist nicht so einfach, dass man das Filmband in irgendeine Farblösung eintaucht! Hochkomplizierte, mit künstlerischem Feingefühl ausgeführte Färbemethoden machen es heute möglich, durch Verwendung mehrerer Farben ausserordentlich zart getönte Bilder herzustellen, die dem natürlichen Ton des Naturbildes mit fabelhafter Feinheit nachgehen. Chemisch blau mit rot gibt jenen gewitterschweren Horizont, von dem sich dunkle Gemäuer wirkungsvoll abheben, in dem die Menschen von Einsamkeit umwittert scheinen und alle Vorgänge gleichsam unter hohem seelischen Druck stehen. Die Kombination der Farbwerte bringt eine Stimmungsfülle in das graue Filmbild, dass unsere Einbildungskraft sanft umschmeichelt.
O über diese Kulturerrungenschaft des Films! Der Mann am Farbbottich als zarter Appell an unsere Sentimentalität, ein paar Farben, rüstig durcheinander gerüttelt als Aufruf au gefühlvollen Schwelgereien. - Seltsame Industrie, in der es die Tagesordnung verlangt, dass ein paar Fabrikationsgeheimnisse Bilder auf die Projektionswand zaubern, die unsere Seele mit buntesten Zauberträumen füllen!
> Der Regisseur Max Mack drehte 1913 den ersten "Autorenfilm": "Der Andere" nach dem Bühnendrama von Paul Lindau. Albert Bassermann spielte die Hauptrolle.
> Der Kameramann Arpad Viragh gilt als der Erfinder der nach ihm benannten "Virage". Die einzelnen Filmszenen wurden eingefärbt. Sonnenschein: gelb, Nacht: blau, Feuer: rot, Wald: grün. Gegen Ende der zwanziger Jahre wird die Virage immermehr durch die grössere Sensibilität des Filmmaterials verdrängt.

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Heft 44 (27.6.-25.7.68)
Herbert Stettner Pornographie im Kino ?
Nachdem es still geworden war um die NPD-nahe "Bürgeraktion Saubere Leinwand", die vor zwei Jahren gegen Filme wetterte, die angeblich den sittlichen Verfall des "Volksganzen" herbeiführen, haben nun die Kirchen wieder das Thema aufgegriffen. Im "Evangelischen Film-Beobachter" findet man die entrüstete Feststellung: "Aufnahmen von männlichen und weiblichen Akten (und vom Geschlechtsakt selbst) füllen die Leinwände und in der "Katholischen Film-Korrespondenz" wird gefragt, wie lange man wohl noch "die Invasion des pornographischen Films" dulden werde.
Diese Empörung lässt allerdings auch schon Zeichen der resignierenden Anpassung an die Gegebenheiten erkennen, etwa dort, wo unsere kirchlichen Filmblätter in abratenden Besprechungen mit erstaunlich sicherem Jargon gerade jene erotischen Details sehr sorgsam ausmalen, die eigentlich ihre Verachtung finden müssten. Kirchliche Filmfunktionäre, deren Moralbegriff ohnehin häufig auf den Sexualbereich reduziert blieb, haben jetzt wohl nur noch die Kraft für Rückzugsgefechte, nachdem sie erfahren haben, dass auch mahnende Kirchen-Worte wirkungslos bleiben, wenn sie mit den Interessen einer um ihre Existenz ringenden Industrie nicht in Einklang zu bringen sind.
Philiströse Kritiker sahen schon immer in jedem geschlechtlichen Anreiz etwas Verderbliches und wollten nie begreifen, dass dieses Reizmittel jeder Kunst immanent ist. Wer sich nun heute darüber ereifert, dass Erotisches auch im Film immer weiter ausbreitet und verdeutlicht, den kann man nur immer wieder daran erinnern, dass unsere gesellschaftliche Ordnung Lebensbedingungen entstehen liess, die der sexuellen Betätigung immer engere physische und psychische Grenzen setzten. So entwickelte sich ein ständig steigender Bedarf an künstlichen Mitteln zur Regulierung der biologischen Funktionen, denen die Industrie in allen Bereichen profitgierig entgegenkommt. Dabei kann es in unserer anarchischen Wirtschaft nicht ausbleiben, dass neben den ernsthaften künstlerischen Bemühungen das Spekulative eilfertig nach vorn drängt. Dieser Prozess ist durch wortreiche Beschwörungen nicht zu bremsen und schon gar nicht zu verhindern. Die seit Bergmans "Das Schweigen" äusserst rapid verlaufende Entwicklung hat noch mancherlei Möglichkeiten vor sich, die zu ahnen, nicht schwer fällt. Noch stets haben die Hüter der Ordnung die Gesetze ihren Bedürfnissen angepasst, und sobald es ihren Interessen entspricht, werden sie Pornographie auch im Kino gestatten. Für das Heimkino wird sie ja heute bereits fast unbehindert vertrieben.
Auch Appelle an unsere Filmzensur (FSK) werden wirkungslos bleiben, denn auch diese Instanz kann nur im grossen Strom mitschwimmen, ohne seine Richtung bestimmen zu können. Der massive Druck der Industrie hat die FSK in puncto Erotik grosszügiger werden lassen. Wo es freilich um Politisches geht, etwa um einen antiklerikalen Film, wie Adloffs "Die Wechsler im Tempel" oder um einen Antikriegsfilm wie "Vietnam Intourmoil" aus Japan, da werden die Zügel weiterhin straff gehalten und keine Kompromisse zugelassen. Die Tendenz wird klar erkennbar: das erotische Ventil darf geöffnet werden, das politische nicht. Dem politisch entwöhnten und enttäuschten Bürger soll die Flucht in die Bilderwelt der Promiskuität ermöglicht werden. Hier soll er Ersatz für die Freiheiten finden, die ihm im Bereich der Politik genommen werden.
So können wir heute allenthalben Filmemacher beobachten. die politisch resigniert haben und nun glauben, mit stark betonter Erotik und Pornographie sei diese Gesellschaft zu provozieren. Von Hellmuth Costards Kurzfilm "besonders wertvoll" mit seinen Bildern eines ejakulierenden Penis erwartete mancher dieses Jahr in Oberhausen eine tiefgreifende Erschütterung des Establishments, doch es entstand nur eine Verwirrung von kurzer Dauer. Bald wird man sich an solche Filme gewöhnt haben, denn mit diesem männlichen Körperteil ist die Gesellschaft nicht aus den Angeln zu heben. Längst hat sich nämlich herausgestellt, dass Pornographie als Stimulanzium der Erhaltung des Bestehenden dienen kann. Auf diesem Gebiet schliessen Anarchie und Imperialismus einander nicht aus.
Herbert Birett "La Passioa de Jeanne d' Arc" von C.TH.Dreyer
Anlässlich des Todes von Carl Theodor Dreyer wird wohl in manchen Nachrufen besonders bei einem Film eine alte Behauptung wiederholt werden: "La Passion de Jeanae d' Arc" bestehe zum grössten Teil aus Grossnahmen. Untersucht man diesen Film näher, so stellt man fest, dass diese Behauptung nicht ganz stimmt. Das Ergebnis ist dennoch überraschend und interessant.
Ähnlich wie der Stil von Dichtern oder Tonstücke können auch Filme statistisch untersucht werden. Dann können qualitative Beschreibungen (wie etwa kurz- bzw. langgeschnitten> durch genaue Angaben ersetzt werden. Die einfachste Möglichkeit stellt die Verteilung der Scenenlängen dar, eine andere bietet die Verteilung der Einstellungen. Nur auf diese Merkmale hin wurden einige Filme untersucht; hier werden aber nur die Ergebnisse für Dreyers "Jeanne d' Arc" mitgeteilt.
Die kleinste Einheit eines Filmes ist die Szenenlänge (eigentlich wäre sie das Einzelbild, das der Zuschauer aber nicht für sich allein auffassen kann). Es scheint sehr einfach, die Dauer einer Szene festzustellen. Dennoch bieten sich einige Schwierigkeiten: bei Schwenks oder Fahrten, die z.B. neue Bildinhalte bringen. In unserem Film entfällt das jedoch. In Tabelle 1 sind die Ergebnisse auf geführt. Es fällt auf, dass 95 Prozent aller Szenen kürzer als 8 Sekunden sind und die längste nur 38 Sekunden dauert. Weiter ist anzumerken, dass das absolute Maximum bei 2 Sekunden liegt. Die meisten Stummfilme haben (je nach Alter) ein Maximum bei 3.4 oder mehr Sekunden. Ebenso ist auch die durchschnittliche Szenenlänge mit 3.2 Sekunden sehr niedrig.
Schwieriger ist es, die Einstellungen zu analysieren. In der Filmliteratur sind sie zwar schön säuberlich definiert, in der Praxis stösst der Analysator aber sofort auf Schwierigkeiten, wenn mehrere Personen oder gar keine im Bilde sind, bei Fahrten und Schwenks. Auch hier haben wir es bei diesem Film verhältnismässig leicht. Es muss noch betont werden, dass die Ergebnisse nicht manipuliert werden können. Bei dem schnellen Szenenwechsel geht jede Gesamtübersicht verloren (falls der Analysierende überhaupt weiss, worum es geht).
In Tabelle 2 wird die Verteilung angegeben.
Die Informationstheorie kennt folgenden Versuch: In einem Mosaik sollen alle Farbanteile hestimmt werden (oder ähnliches). Die Erwartung, dass jede Farbe ihrem Anteil gemäss geschätzt wird, erweist sich als unrichtig. Es ergibt sich ein deutliches "Aufmerksamkeits-Maximum" bei einem Farbanteil von rund 36,8 Prozent. Vergleichen wir dies nun mit dem Ergebnis unserer Analyse, erkennen wir, wie nahe die relative Anzahl der Grossaufnahmen diesem Wert kommt. Hieraus dürfen wir wohl folgern, den Grund für das oben angeführte Fehlurteil gefunden zu haben.
Die Wahl der Anzahl der Einstellungen, auch ihre Gesamtlänge ergeben den gleichen Prozentsatz, muss nicht bewusst geschehen sein. Es gibt eine Reihe von Beispielen aus Dichtung und Malerei, bei denen einzelne Merkmale gerade in dieser Häufigkeit auftreten (Auch beim Goldenen Schnitt beträgt das Verhältnis der Seiten, 38 zu 62 Prozent), und es darf vermutet werden, dass Dreyer in einem hohen Masse ein ästhetisches Empfinden hatte, das ihn diesen Wert unbewusst finden liess.

Tabelle 1
Dauer in Sek. 1   2   3   4   5   6   7   8   9   10  11  12  13  14  15  16  19  23  24  33  38
Anzahl        263 410 269 145 86  59  27  14  13  11  7   3   3   3   3   1   1   2   1   1   1

Tabelle 2 Einstellung Detail Gross Nah Halbnah Halbtotale Totale Zwischentitel Anteil in % 12,5 37,5 18,2 18,8 3,5 0,5 9,0
[Aktueller Nachtrag: Neue Forschungsergebnisse: Menschliches Empfinden ist nicht linear, sondern dual. Daher stellt sich die Zeitverteilung wie folgt dar:
Dauer   1    2    3-4  5-8  9-16  17-32  33-64
Anzahl  263  410  414  186  58    4      2

Daraus ergibt sich übrigens, dass viele Einstellungen kürzer sind, als 1 Sekunde. Ich habe den Film aber nicht nocheinmal gemessen.]
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Brigitte Helm 60 %% Brigitte Helm, die deutsche Filmschauspielerin, wurde unlängst 60 Jahre alt. Heute vom Film vergessen, entdeckte sie 1926 Fritz Lang für "Metropolis". Jahrelang schlich sie schlangengleich und katzenhaft, der Vamp des deutschen Films, über die Leinwand. Zu ihren grossen Erfolgen zählen: "Alraune" 1928, "Die wunderbare Lüge der Nina Petrowna" 1929. Der Tonfilm brachte mit ihr 1930 eine Neuverfilmung der "Alraune". 1932 folgte in deutscher und französischer Version "Die Herrin von Atlantis". Dann wurde es langsam ruhig um sie. Ihr letzter Film in deutscher Sprache: "Ein idealer Gatte" 1955

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Heft 45 (5.9.-10.10.68)
Barbara Bernauer Hier schminkte sich Waldemar Psilander
Es war im Sommer 1964. Wir wollten Carl Theodor Dreyer besuchen, der damals seinen letzten Film "Gertrud" drehte. Wir fuhren zur verabredeten Zeit zum Ateliergelände am Rande von Kopenhagen, aber als wir eintrafen, war Dreyer noch nicht abkömmlich. Zur Überbrückung der Wartezeit schlug man uns einen Rundgang durch die Ateliers vor. Wir waren einverstanden; so konnten wir gleich einen Blick auf Dreyers Kulissen werfen, und schliesslich wäre es vielleicht auch aufschlussreich, die Umgebung kennenzulernen, in der die dänischen Lustspiele entstehen.
Zunächst fällt uns nur die Ruhe, die etwas altmodische Gemütlichkeit auf, die wir an diesem Ort eigentlich nicht erwartet haben. Ein paar Schritte weiter, und wir glauben uns selbst in eine einzige grosse Dekoration aus der Pionierzeit des Films versetzt: eine kleine Ansammlung rotbrauner Holzgebäude liegt verschlafen in der warmen Sonne. Wir erfahren, nicht nur der Boden dieses Ateliergeländes ist historisch - hier wurden die ersten Stummfilme gedreht - auch die Gebäude selbst sind Museumsstücke. Sogar das 1906 errichtete, angeblich älteste Atelier der Welt ist noch erhalten; und das Erstaunlichste: all diese Gebäude werden noch benutzt. In ihnen entstehen heute Werbefilme für das Fernsehen. Man hat lediglich die alten schrägen Glasdächer durch die seinerzeit die für die Aufnahmen unentbehrliche Sonne hereinschien, durch neue, geschlossene Dächer ersetzt und verwendet statt der Sonne Scheinwerfer.
Die grösste Sehenswürdigkeit des Geländes liegt jedoch gegenüber den historischen Hallen: in Häuschen aus verwitterten Brettern, ein wenig Unkraut wuchert rundum - die einstige Garderobe des ehemals berühmten Schauspielers Valdemar Psilander, der sich 1916 das Leben nahm. Wie Asta Nielsen gehörte er zu den grossen Stars der Stummfilmzeit und repräsentierte gemeinsam mit ihr den dänischen Film jener Epoche.
Man hat die Garderobe unverändert gelassen. Die Tür knarrt. Wir treten ein. Sonne fällt durch Ritzen, sonst ist es ein wenig dämmrig. Die Luft ist stickig und heiss wie eben in einem Holzverschlag zur Mittagszeit. Auch sonst kann von Luxus keine Rede sein. Ein Schminktisch mit einigen Döschen und Fläschchen, ein paar Toilettenartikel, davor ein wackliger Stuhl, Kleiderhaken an der Wand, das ist alles. Hier also sass der bewunderte Mime und schminkte sich die schwarzgeränderten Augen, die hohe bleiche Stirn. Man gerät in die Erinnerungen. - Dann schickt man nach uns. Dreyer erwartet uns. Die Stippvisite in einer versunkenen Epoche ist beendet.
Arthur Schuler Erinnerungen aus der Stummfilmzeit I.
Frankfurt am Main, August 19l4. Die Wogen der Kriegsbegeisterung gingen, wie überall in deutschen Landen, auch in Frankfurt von Tag zu Tag höher. Als nun gar der Krieg gegen den alten "Erbfeind", Frankreich, erklärt war, setzte plötzlich, ohne von "oben" kommandiert worden zu sein, ein infernalischer Hass gegen das feindliche Ausland, besonders gegen alles Französische ein.
Als ich eines Morgens wach wurde - es waren noch Sommerferien, - hörte ich, dass in der vergangenen Nacht die Aussenfronten mehrerer Kinos auf der Kaiserstrasse zerstört worden seien. Ich konnte mir zunächst den Grund für diesen Vandalismus nicht vorstellen. Daher machte ich mich gleich auf die Socken, um an Ort und Stelle Näheres zu erfahren. Nun, der Sachverhalt war folgender:
Die Filmprogramme der deutschen Kinos setzten sich fast ausschliesslich aus französischen Filmen zusammen. Allen voran die Filme der Pathé frères. Diese Firma führte als Firmenzeichen den der ganzen Welt bekannten gallischen Hahn. Jedes Filmplakat, jedes Standphoto, jeder Zwischentitel zeigte diesen Pathé frères-Hahn. Nun geschah es also, dass in der vergangenen Nacht, einer bescheidenen Vorläuferin der Kristallnacht von 1938, randalierende "Patrioten" in der Kaiserstrasse an allen Kinos, die französische Plakate zeigten, die Glasscheiben und Spiegel zertrümmerten. Aber nicht nur die unschuldigen Kinos mussten daran glauben, nein, auch Frisörläden, die an ihrer Glastür den Hinweis trugen: On parle français oder: English spoken, erlitten das gleiche Schicksal. Ich weiss, dass damals auf dem ganzen Weg vom längst verschwundenen Uhrtürmchen bis zum Bahnhofsplatz ich dauernd auf knirschenden Glassplittern ging.
Was sollten aber nun die Verleihfirmen machen, die fast durchweg nur Filme des feindlichen Auslands anzubieten hatten? Nun, an der Behebung dieser Misere beteiligte ich mich in ganz bescheidenem Masse: In der Moselstrasse 55 gab es eine Filiale einer Filmverleihgesellschaft mit dem hochtrabenden Namen "Philantropische Lichtbildgesellschaft", Zentrale Strassburg i.E. Der ganze Betrieb lag zu ebener Erde und bestand nur aus zwei Räumen:
Von der Strasse aus kam man sofort in das Bureau, von dem eine eiserne Tür in den zweiten Raum führte, der Filmlager und Kleberaum zugleich war. Dort verbrachte ich jede freie Minute, die die Schule mir liess. So erlebte ich denn die Sorgen des Geschäftsführers täglich mit, wie man die Kinos mit einwandfreien, d.h. entschärften Filmen versorgen könne. Nun trugen, wie gesagt, alle Zwischentitel rechts und links unten den roten gallischen Pathé-Hahn oder das grüne Gaumont-Signum. Um diese verräterischen Zeichen zu löschen, ohne den Titel selbst zu beschädigen, war man auf einen ebenso einfachen wie mühseligen Ausweg verfallen. Man liess den Film beim Umspulen über eine von unten beleuchtete Glasplatte laufen, natürlich ganz langsam, und jedesmal, wenn ein Zwischentitel kam, betupfte man auf jedem Bildchen entweder die beiden Pathé-Hähne oder das Gaumont-Zeichen mit schwarzer Tusche, wobei man sich eines ganz kleinen feinen Haarpinsels bediente. Aus reiner Begeisterung für die Sache habe ich manchen Nachmittag mit meinem Pinselchen schwarze Kleckschen auf rote Hähnchen gemacht und mich so "philantropisch" betätigt.
Notabene: abends im Kino habe ich dann oft meinen Spass daran gehabt, wenn auf jedem roten Zwischentitel rechts und links unten die Tuschkleckschen wie zwei wildgewordene schwarze Teufelchen hin und her tanzten.
Dr. Walter Gerteis Der frühe Film in der Karikatur (hier ohne die Abbildungen)
Ein wenig bekanntes, beinahe möchte man sagen, ein unbekanntes Kapitel der Filmgeschichte. In diesem Heft findet der Leser acht Seiten mit Karikaturen und humoristischen Zeichnungen, die alle aus der Zeit des deutschen Stummfilms, aus den Jahren unmittelbar vor und nach dem ersten Weltkrieg stammen. Sie können natürlich nicht mehr als ein kleiner Ausschnitt sein, nur einige Hinweise darauf, was die Humoristen damals an diesem neuen und seltsamen Phänomen des Films besonders beschäftigt hat.
Der frühe Film war zugleich unerhört kühn und rührend dilettantisch, er war überschäumend an Phantasie und schaudervoll primitiv in seinen Mitteln, er war heroisch, sensationell, rührselig, und er war vor allem komisch. Ungewollt komisch. Niemand erkannte das rascher als die Leute, die sozusagen von Berufs wegen vor allem die heitere Seite an den Dingen dieser Welt sehen, die Humoristen. Es kam noch hinzu, dass sie meistens im "hellen" Berlin zu Hause waren. Berlin wurde damals nicht nur der Mittelpunkt des deutschen Stummfilms, sondern auch so etwas wie das Zentrum seiner Karikaturisten. Die Namen der Zeichner auf unseren Seiten verraten es bereits - Heinrich Zille, Walter Trier, Paule Simmel, W.A. Wellner, Hans Kossatz (vielleicht der einzige, der von allen noch lebt.) Ihr Treffpunkt wurde deshalb auch weniger der "Simplizissimus" oder die "Jugend", die ja beide in München erschienen, sondern viel eher die "Lustigen Blätter", im Verlag Dr. Eyssler u.Co, Berlin.
Was sie am Film zunächst interessierte, war natürlich diese neue Zunft der Filmschauspieler selbst. Wir haben einige typische Karikaturen aus der frühen Zeit wiedergegeben, wobei sich Gestalten wie die überschlanke Asta Nielsen oder der elegante Max Linder dem Zeichenstift gewissermassen aufdrängten. Es sei auch auf die Schlusszeichnung auf der Seite "Kino-Potpourri" von Paule Simmel hingewiesen: "Da hält eener 'n Spazierstock vor die Linse!" "Quatsch, Mensch, det is doch die Asta Nielsen!" Die Karikatur von Henny Porten im Badeanzug (von Walter Trier, dem Unvergessenen) bedarf noch einer kleinen Erläuterung. Sie hat nämlich einen politischen Akzent. Kurz vorher hatte sich Reichspräsident Ebert im Badeanzug fotografieren lassen - was er nicht hätte tun sollen. Es brachte ihm nur Spott ein.
Zu Aberdutzenden wurden in dieser Zeit die Anekdoten um berühmte Filmschauspieler geboren. Um eine typische herauszugreifen. Sie betraf den "Letzten Mann" mit Emil Jannings. Alle Türwächter waren mit seiner Darstellung eines Hotelportiers unzufrieden. Nur ein freundlicher Greis hinter jener Tür, auf der "Herren" stand, klopfte Jannings leutselig auf die Schulter: "Kopp hoch, Kopp hoch, junger Mann, zum Portier langt es ja nu woll nich bei Ihnen, dafor sind Sie aber der jeborene Abortwärter!"
Schon früh nahmen die Humoristen in Bild und Text den Grössenwahn einiger Regisseure mit ihren Monsterfilmen aufs Korn. So erschien 1920 die Persiflage auf einen Regisseur, der den Namen Lulatsch trägt. Er steht in Florenz auf einer himmelhohen Leiter und dirigiert mit Megaphon und Raketensignalen die Massen der Komparsen tief unter sich. Ein Journalist wagt, zu ihm hinaufzuklettern und ihn zu interviewen. Seine nächsten Pläne? Ninive. Mit 150000 Mitwirkenden. Ninive selbst sei als Trümmerstätte natürlich viel zu klein. Aber man könne daran denken, die Berliner nach der Lüneburger Heide oder der Eifel umzusiedeln und mit Dynamit aus Berlin ein grösseres Ninive für den Film zu machen. Vielleicht drehe er vorher aber auch die Schöpfungsgeschichte. Da sehe er noch szenische Aufgaben, alles andere sei doch schon gemacht. Sieben Tage sieben Akte. Bloss - wer solle den lieben Gott spielen? Wer?? Er fürchte sehr, dass er da wohl selbst _... Der Journalist fällt in diesem Augenblick die Leiter hinunter.
Die Filmzensur! Sie war natürlich von Anfang an ein Leckerbissen! Im Norden wie im Süden. Zum Beispiel: Ein arbeitsloser Schneider kommt nach Berlin. Die Polizei greift ihn auf. Was er ist? Schneider? Famos! Brauchen wir gerade! Hier hat er eine grosse Schere und dort liegt ein Stapel Filme! An die Arbeit! Der Mann schnippelt darauf los und klebt die Reste zusammen. In kurzer Zeit bringt er es zum Geheimen Oberzensurrat. Oder: Filmzensur in München. Der Herr Zensor frühstückt gerade, eine Riesenmass steht neben einem Bündel Manuskripte: "Weil heut die Weisswürscht gar so guat sein - des Kinostück wird genehmigt!" Woraus man also nebenbei erfährt, dass damals auch Drehbücher zensiert wurden. Diese Karikatur erschien 1914 in der "Jugend". Im selben Blatt erkannte man bereits früh die Macht des Films: Zwei sorgenvolle Bäuerinnen unterhalten sich. "Kriagst Du kaa Sommerfrischler?" "Na, jeder sagt, mir san a Drecksnest, ohne Kino!"
Es war die Zeit der flimmernden Leinwand: "Wie konnten Sie denn mit Ihrem Sprachfehler Schauspieler werden?" "Ach, das merkt niemand, der Fi - Fi - Film z - z -z zittert ja auch immerfort." Es war die Zeit der langen Aufklärungsfilme: "Wohnungsproblem? Mensch, gelöst! Der nächste Aufklärungsfilm hat 150 Akte!" Es war die Zeit der frühen pikanten Filme: "Ach, wissen Sie, ich habe ja nichts dagegen, wenn meine Tochter in dem Film mitspielt - aber ansehen darf sie ihn sich natürlich nicht!" Es war die Zeit, in der der Film noch nicht salonfähig war: "Herr Leutnant, was verstehen Sie denn unter Veredelung der Lichtspielkunst?" "Janz einfach, Gnädigste, wenn unsereens in 'n Kientopp jehen würde!" Es war die Zeit, in der trotzdem alles ins Kino lief: "Ich gehe heute ins U.T." "Und ich ins Biophon" "Und ich in die Kammerlichtspiele. Und wo gehen Sie hin?" "Ich? Ich gehe ins Symphoniekonzert". "Gott, wie pervers!"
So manche Karikatur erwies sich als prophetisch. Eine von ihnen zeigt unsere Bilderauswahl. 1923 begann die Schwemme der Fridericus Rex-Filme. Auf nächtlicher Strasse fragt der Preussenkonig einen Schupo, wo er hingehen könne, überall spiele man Fridericus Rex. Prophetisch? Es wurde um vieles schlimmer.
So manchen Karikaturisten packte schon früh der Katzenjammer, und er stellte dem Film düstere Prognosen. Auch hierfür haben wir ein Beispiel unter unseren Bildern. Aus dem Jahre 1913. Der Film wird hier zum grinsenden Moloch. Darunter stehen die Verse: "In Zeiten, so konfusen, wer dichtet noch und schreibt - das Kino frisst die Musen und keine, keine bleibt!"
Nun, so schlimm wurde es wieder nicht!
Paul Sauerlaender Flohkino
Es soll hier nicht, wie der Titel vielleicht vermuten lassen könnte, gegen das Kino gewettert werden. Besonders die grossen Lichtspieltheater und Filmpaläste haben es heute oft schwer genug ihre Sitzreihen zu füllen. Mit einem müden Achselzucken wird hingenommen, wenn man darauf hinweist, dass ihr Niveau dem des Vorstadtkinos recht nahestehe. Sex, Crime und Horror sind gefragt, da sie im Fernsehen, diesem Supermarkt für die ganze Familie, nur recht selten, und wenn, mit künstlerischer Einführung zu sehen sind.- Aber wer kann es dem "Erstaufführungstheater" von einst schon verübeln, wenn es sich von dem auch immer magerer werdenden Kuchen der kleinen Kinos, eben der "Flohkinos", ein Stück sichern will! Es wird niemand auf die Idee kommen, ein "Filmtheater" wegen seiner Filmauswahl "Flohkino" zu nennen. Wo kommt nun dieser, auch heute noch im Volksmund gebräuchlicher Ausdruck, mit dem man kleine Kinos gerne belegt, eigentlich her? Ein uns vorliegender Brief von Frau Anna M., Berlin-Friedenau, aus dem Jahre 1920 mag darüber Aufschluss geben:
"Die grossen Lichtspieltheater in Friedenau verbitten sich energisch das Mitbringen von Hunden, nicht so die kleinen. Diese scheinen die Hundeliebhaber und -Liebhaberinnen nicht erzürnen zu wollen, sonst würden sie, wie die grossen Kinos, einfach das Mitbringen der Hunde verbieten. Durch die Hunde, oder richtiger gesagt durch die von den letzteren mitgebrachten Flöhe, verjagen die kleinen Kinos aber alle diejenigen Besucher, welche sich nicht im Theater von den kleinen Blutsaugern bestialisch schröpfen lassen wollen. Es ist keine Übertreibung, wenn man von einer wahren Flohplage in den kleinen Kinos redet. "Mitbringen von Hunden verboten!" Ein solches Plakat fehlt am Eingang so manchen Kinos."
Es wäre interessant nachzuforschen, ob damals die Besitzer der "Flohkinos" darauf geachtet haben, dass die Hunde über 18 Jahre alt waren. Wie leicht hätte sonst unter diesen Hunden eine sittliche Verwilderung eintreten können, die womöglich zu Exzessen auf offener Strasse geführt hätte. Dann wäre wieder gesagt worden: "Da ist das Kino dran schuld!"
Ella Bergmann-Michel Dsiga Wertow in Frankfurt
Vom Herbst 1928 bis zum März 1933 gab es in Frankfurt,M. den "Bund das neue Frankfurt" - eine Vereinigung von Arbeitsgemeinschaften deren Zweck es war, Universalität der Lebensauffassung in Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst und Technik in alle Schichten der Bevölkerung zu tragen. Es war eine Vereinigung, die nicht als Clique abgestempelt werden wollte. Der Verfasser gehörte zum Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Film.
Die Zeitschrift des Bundes mit dem Titel: "Das neue Frankfurt", eine unabhängige internationale Monatsschrift, brachte Berichte der lebendigen geistigen Auseinandersetzungen jener Jahre, die wiederum in den Arbeitsgemeinschaften des Bundes ihren praktischen Niederschlag fanden. Eine dieser Arbeitsgemeinschaften war die "Arbeitsgemeinschaft für Film."
Von dieser veranstaltet, wurden im "Gloria-Palast", "Ufa im Schwan", den "Zoo-Kulturlichtspielen" Ur- und Erstaufführungen wesentlicher internationaler Filme gezeigt, zu denen, soweit möglich, die Regisseure persönlich über ihre Arbeit sprachen. Diese Sonntags-Matineen brachten u.a. von Moholy Nagy den Experimentalfilm "Schwarz-Weiss-Grau" von Cavalcanti "Petite Lily", von Flaherty "Nanuk" und von Brecht-Dudow-Eisler "Kuhle Wampe".
Zu den erregensten Veranstaltungen gehörten die Matineen mit den russischen Filmen, darunter jene von Dsiga Wertow mit seiner persönlichen Einführung. Bei seiner ersten Europa-Tournee brachte er Teile aus "Lenins Wahrheit" (so lautete damals der Titel) Teile aus "Ein Sechstel der Erde" und "Der Mann mit der Kamera" mit. Bei der zweiten und letzten Tournée den Film "Enthusiasmus - eine Symphonie vom Donbass".
Dies war sein erster Tonfilm - besser spricht man von einem Geräuschfilm. Wertow, der nebenbei ein guter Schauspieler war, verstand aufregend von diesem Tonexperiment zu erzählen: dem Einfangen von Winden und Steppenstürmen, dazu die Geräusche der handwerklichen und technischen Maschinen. Diese Ton-Aufnahmen waren erste Versuche, angewandt für eine Dokumentation des Donbass-Gebietes. - Da Dsiga Wertow unser privater Gast war, gab es nächtelange interessante Berichte über seine Freunde, die, wie wir heute wissen, grosse russische Regisseure mit den Filmen seiner Welt waren.
Jedoch das Spannendste sollte für die Arbeitsgemeinschaft die Matinee selbst werden, die gut vorbereitet am 4.Oktober 1931 Uhr 11.15 im "Gloria-Palast" stattfinden sollte. In jener Zeit kriselte es bereits in den Berliner Regierungen. Die Uraufführung des gekürzten Originals hatte in Berlin stattgefunden, und nun ging ein Gerücht über ein Aufführungsverbot um. Würde es möglich werden, in Frankfurt den Film noch zu zeigen? Es lag im Interesse des Bundes "Das neue Frankfurt", seiner Arbeitsgemeinschaften, weite Schichten der Bevölkerung mit allen Vorträgen und Darbietungen zu erfassen. Der Kartenverkauf hatte bereits seit einer Woche bei der Geschäftsstelle Bahnhofplatz 4 begonnen, und eine grosse Mitgliederzahl würde vermutlich den Gloria-Palast bis auf den letzten Platz füllen.
Und so geschah es denn auch! Man strömte zum Gloria um Dsiga Wertow mit seinem ersten Tonfilm zu sehen und zu hören, als - ja nun - als ein kleiner roter Radler ein Telegramm brachte. - Das Telegramm aus Berlin! - Man nahm es dankend an, und stillschweigend verschwand es in der Tasche der Leitung der Arbeitsgemeinschaft! Der Filmvorführer begann vielleicht etwas früher _...
Die eindrucksvollen russischen Kameraaufnahmen faszinierten, die grosse Donbass-Musik übertönte alles. Am Schlusse der Veranstaltung konnte Wertow zu einer begeisterten Menge sprechen - und die dann vorgebrachte Nachricht, dass leider ein Telegramm des Innenministers aus Berlin zu spät eingetroffen sei- ging in tobendem Klatschen unter.
Hartmut Birett Stimmungsfarben im Film. I
Mit einem Zitat von Max Mack aus dem Jahre 19l6 wurde in Heft 43 daran erinnert, dass die Schwarz-Weiss-Filme zu dieser Zeit oft (Mitte der zwanziger Jahre zeitweilig über 80%) farbig waren. Da erhaltene Kopien aus diesen Jahren nur auf Nitromaterial oder als schwarz-weiss Kopien vorliegen, bekommt man nur sehr selten farbige Filme der Stummfilmzeit zu sehen. Nicht immer, aber doch gelegentlich, wird das Fehlen der Farbe den Charakter der Filme genauso verändern, wie die Vorführung mit falscher Geschwindigkeit oder geändertem Format (als Breitwand, wobei 25% der Bildhöhe verloren geht).
Mit den farbigen Filmen sind weder die Farbfilme im heutigen Sinne, die damals Naturfarbenfilme oder Spektralfarbenfilme genannt wurden, noch die hand- oder schablonenkolorierten Filme, die bereits vor 1900 hergestellt wurden, gemeint.
Die fotografischen Emulsionen waren anfangs relativ unempfindlich und wiesen ausserdem eine geringe Grauabstufung auf. Lagen bei der Aufnahme nicht optimale Beleuchtungsverhältnisse vor, so zeigten die Bilder praktisch keinerlei Kontraste. Diese Kontrastarmut fällt nicht so auf, wenn die hellen Bildteile abgedunkelt werden. Obwohl dann eigentlich eine noch geringere Grauabstufung vorliegt, erscheinen die Bilder nicht so kontrastarm, da sich nun die Extreme weniger stark unterscheiden. Es wäre nun aber unzweckmässig, dem Filmstreifen einen grauen Grundton zu geben, da Unregelmässigkeiten dieser Schicht stören würden. Verwendet man dagegen eine Farbe anstelle des Grautons um die Helligkeitsunterschiede zu verringern, so ergibt sich gleichzeitig die Möglichkeit, besondere Effekte zu erzielen. Wie in Heft 43 erwähnt, nimmt man an, dass der Kameramann Arpad Viragh diese Einfärbung des Filmstreifens einführte. Ein viragiertes Bild sieht so aus, als würde mit gefärbtem Licht oder auf eine gefärbte Wand projiziert. So zeigt zum Beispiel auf dem Titelbild dieser Zeitschrift die Laterna magica eine gelb viragierte Scene.
Fortsetzung folgt

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Heft 46 (17.10.-14.11.68)
Wald Meyer's "Dolly" Kollephonium

Dolly hat in Vorstadtkinos 
noch die Stummfilmzeit erlebt 
und um Rudolph Valentinos 
Leinwandschicksal mitgebebt.
  Leider sei man reiner Filmkunst,
  wie sie Chaplin einst gezeigt,
  heut' - so meint sie - schon aus Missgunst
  ausgesprochen abgeneigt.
Seit zum Film der Ton gekommen 
(allzu oft im Übermass) 
sei ihm das Niveau genommen 
das er früher mal besass.
  Kolles Sexo-Realismus
  Zeigt, dass Liebe hörbar schwitzt...
  Solcher Art Perfektionismus
  scheint ihr reichlich überspitzt.
Sie plädiert, dass man den tristen 
Ton bei solchen Filmen streicht 
und die Freuden der Nudisten 
nur als Quasi-Stummfilm zeigt.
  Wirkt auch manches unverständlich,
  dennoch bleibt sie im Gestühl
  und geniesst dabei unendlich
  altgewohntes Filmgefühl.

Herbert Stettner Deutschland erwache!
Eine Fernseh-Dokumentation und ein Buch
Den einstigen Schlachtruf der Nazis, der bekanntlich nicht das Erwachen, sondern das Einschlafen der Deutschen bewirkte, wählte Erwin Leiser zum Titel seiner vom NDR bereits am 31. Januar ausgestrahlten und nun im ARD-Programm am 27. August wiederholten Fernseh-Dokumentation über die Propaganda in den Unterhaltungsfilmen des NS-Staates. Parallel mit diesem Montagefilm behandelte Leiser das gleiche Thema in einem jetzt bei Rowohlt erschienenen Taschenbuch. Recht sorgfältig analysiert Leiser vor allem die vordergründig politischen Filme der Goebbels-Ara und er verstärkt seine Beweisführung durch zahlreiche sich (heute) selbst entlarvende Aussprüche damaliger Film-Funktionäre. Noch einmal dürfen die unheilvollen Filmhelden unserer Väter Revue passieren: die unter dem Kadavergehorsam kriechenden Kreaturen der Fridericusfilme, das "Morgenrot"-Kanonenfutter des Ersten Weltkrieges, die Ostlandreiter aus "Friesennot" und jene "Himmelhunde", die mit den "Stukas" dann gegen Engelland fahren durften. Das zutiefst Unmenschliche der Hitlerei wird an den Machwerken der Harlan, Liebeneiner, Maischs, Ritter, Steinhoff und Ucicky recht eigentlich deutlich auch für jene, die das "Dritte Reich" nur vom "Hörensagen" kennen.
Durch seine Arbeit an den Dokumentarfilmen "Mein Kampf" und "Eichmann und das Dritte Reich" brachte Erwin Leiser für diese neue Publikation recht günstige Voraussetzungen mit, doch gerade deshalb erscheint es verwunderlich, wenn der Verfasser bei der Behandlung von Karl Ritters antikommunistischen Film "GPU" tatsächlich annimmt, solch verlogene Klischees seien für den Zuschauer unglaubwürdig gewesen. Bei seinen intensiven historischen Studien hätte Leisner doch eigentlich erkennen müssen, wie blindlings damals bei uns alles geglaubt wurde. Gegen die Verniedlichung des Krieges im Sprachgebrauch der Nazi-Filmhelden führt Leiser ausgerechnet eine sehr unklare Äusserung von Saint-Exupery ins Feld, die den Krieg doch auch nur als eine Krankheit sieht: "Wie Typhus". Dass Leisers fleissige Analyse trotz aller Entschiedenheit gelegentlich zu kurz greift, wird auch dort ersichtlich, wo er ganz ernsthaft vermutet: "Verherrlicht "Kolberg" (Harlans perfider Durchhalt-Appell) nicht ungewollt auch den Widerstand gegen Hitler?" Die Filme jener Zeit konnte Leiser wohl eingehend studieren, zur exakten Charakterisierung des Bewusstseins des damaligen Publikums fehlte ihm wohl eine verlässliche Erkenntnistheorie.
Man hätte sich auch gewünscht, dass der Autor intensiver auf jene überaus gefährlichen Filme eingegangen wäre, die sich ganz unpolitisch gaben. Hier hätte es abseits der unverhüllten Propaganda weit mehr interessante Beispiele gegeben, deren Erörterung auch für den heutigen Kinogänger eine lehrreiche Lektion hätte bringen können. Hier hätten Filme Erwähnung finden können, wie "Altes Herz wird wieder jung", eine Komödie ganz ohne politische Töne, doch gerade deshalb ein umso wirkungsvolleres Stück Propaganda, das unauffällig die Führernatur eines Unternehmers preist und mit einem linken Schlenker sogar noch ein Plädoyer liefert für das uneheliche Kind. Oder: "Zwischen Hamburg und Haiti", eine Liebesschnulze, die auf sanfte Art nebenbei das Märchen verbreitet, die Kolonialvölker hätten das Glück auf Erden, wenn statt der Engländer Deutsche ihre Herren wären.
Im Vortext des Bändchens wird zwar einsichtig darauf hingewiesen, dass die Denkweisen der Nazis nicht mit dem Regime verschwanden, und so hätte es dieser Dokumentation durchaus gut zu Gesicht gestanden, wann Leiser ohne vornehme Zurückhaltung erwähnt hätte, dass zahlreiche Propagandafilme der Nazizeit ihr vorhängnisvolles Handwerk nach dem Krieg unbehindert weiter betreiben durften und dass unsere Zensur mehrere Dutzend NS-Propagandaschinken vom alliierten Verbot, befreite und notdürftig beschnitten wieder zur öffentlichen Vorführung freigab. Die Rehabilitierungs-Dokumente der Riefenstahl, Liebeneiner und Harlan im Anhang des Büchleins bilden nur einen zaghaften Ansatz in dieser Richtung. Trotz mancher kritischer Einwände: eine wichtige Publikation, mit der das Haus Rowohlt seit Krakauers "Von_Caligari bis Hitler" (1958) und Wulfs dokumentarischer Sammlung "Theater und Film im Dritten Reich" (1966) endlich wieder einmal den Film zu Wort kommen liess.
Erwin Leiser: Deutschland, erwache! Propaganda im Film des Dritten Reiches. Rororo aktuell Nr. 783 DM 2,20
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Kurt Tucholsky
schildert in "Rheinsberg", diesem bezauberndem "Bilderbuch für Verliebte" (1912 Axel Junker Verlag, Berlin) einen Kinobesuch, wobei er im besonderen auf die Kolorierung und Virage der Filme hinweist:
_... es verdunkelte sich der Saal
"Natur! Malerische Flussfahrt durch die Bretagne.
Der Apparat schnarrte und warf einen rauchigen Lichtkegel durch den Saal. Eine bunte Landschaft erschien, bunt, farbenprächtig, heiter. Die Kolorierung war der Natur getreulich nachgebildet: Die Bäume waren spinatgrün, der Himmel, wie in einem ewigen Sonnenuntergang in Rosa und Blau schwimmend _... hinten glitten die kolorierten Bestandteile der Bretagne vorbei, Trauerweiden, die Zweige in das Wasser hängen liessen, kleine ockergelbe Häuschen, die anscheinend auf ihre Umgebung abgefärbt hatten _...
Auf dieses folgte: "Das rettende Lichtsignal"
In der Titelrolle Herr Violo
Von der Greizer Hofoper.
Auf Grund einer freundlichen, stillen Übereinkunft zwischen Filmfabrik und Publikum bedeutet die blaue Farbe Nacht, während die rote die Katastrophe einer Feuersbrunst anzeigt, so dass es allen klar wurde, wie man in solch gefährlichen Stunden eines rettenden Lichtsignals des Bräutigams bedurfte _...
Hartmut Birett Stimmungsfarben im Film. II Zurück
Neben dieser Art der Einfärbung benutzte man, vor allem, als die Filmemulsionen kontrastreicher wurden, auch eine Tönung der lichtempfindlichen Salze. Getönte Bilder sind in den dunklen Teilen nicht schwarz oder grau, sondern farbig z.B. dunkelrot bis hellrot. Alte Fotos sind häufig braun getönt. Zeichnet man mit einen Farbstift auf weissem Papier, so erhält man den Effekt der Tönung, benutzt man einen Schwarzstift auf farbigem Papier, so könnte man von Virage sprechen. Während für die Tönung eine besondere Behandlung während oder nach der Entwicklung des Positiv-Films erfolgen muss, kann man für die Virage entweder die vorführfertigen Filmstreifen in eine Farblösung tauchen oder auf bereits gefärbtes Filmmaterial kopieren. Zu diesem Zweck brachte die Firma Kodak unter dem Namen "Eastman-Sonochrom" neben den geläufigen farblosen auch 16 verschiedenfarbige Schichträger in den Handel. Allgemein wurden diese beiden Färbungsarten "Tonung" genannt. Man findet in Zusammenhang mit Ratschlägen für die Anfertigung eines Filmmanuskriptes den Vermerk: "Ton-Angabe", wobei die Festlegung auf eine bestimmte Stimmungsfarbe gemeint war. Neben der Bezeichnung Tönung (in Frankreich Virage) findet man noch Schwefeltonung oder chemische Färbung. Neben Virage (in Frankreich Tintage) sprach man noch von Anilin-Färbung oder organischer Färbung.
Um die scharfen Kontraste zu mindern, hätte man bei der Virage immer die gleiche Farbe verwenden können. Diese technisch bedingte Massnahme wurde aber seit etwa 1910 von Mauritz Stiller und David Wark Griffith dramaturgisch eingesetzt. Auch hier gab in gewissem Sinne wieder ein technischer Mangel den Anstoss. Da die Emulsionen sehr unempfindlich waren, konnten nur sogenannte Pseudonachtaufnahmen im Atelier mit entsprechenden Beleuchtung gemacht werden. Oder man verdeckte bei dunkelkopierten Tagaufnahmen mit einem Verlauffilter den Himmel und verringerte mit Hilfe eines "Weichzeichners" zudem die Bildschärfe. Bei Dämmerung erscheint die Umgebung dadurch gesoftet.
Spielte nun eine Scene in der Nacht und kam es nicht auf Beleuchtungseffekte an, so viragierte man Blau. In Kriminalfilmen um 1916 war es beliebt, einen Darsteller nach dem Eintreten in ein dunkles Zimmer (also blau viragiert) das Licht anschalten zu lassen, wobei die Virage in Orange oder Braun umschlug. Für die Verwendung der einzelnen Farbtöne gab es wohl keine festen Regeln. Im "Grossen Zugüberfall" (1903) soll für die Nachtaufnahme Blaugrün, für die Innenaufnahmen ein gelblicher Sepiaton verwendet worden sein. Fritz Lang erinnerte sich vor wenigen Jahren daran, dass Blau für Nachtaufnahmen allgemein üblich war und dass der Regisseur je nach Stimmung der Szene andere Farben wählte. Es sollte dabei nicht nur eine Szene stimmungsvoll erscheinen, sondern ein Wechsel der beabsichtigten Stimmung verdeutlicht werden. Wie ja auch im Theater wechselnde farbige Beleuchtung eingesetzt und nicht einfach die Bühne hell weiss angestrahlt wird.
Den vorhandenen Filmen nach zu urteilen war neben den beiden genannten Möglichkeiten für Aussenaufnahmen Gelb, für Naturaufnahmen Grün und bei Feuer Rot üblich. Ausserdem soll bei Liebesszenen Rot, bei unheimlichen, übernatürlichen Szenen Phosphorgrün verwendet worden sein. In "Tragödie der Menschheit" (1916) wurde die Weltuntergangsstimmung in Babylon durch rote Virage unterstrichen.
In der Erläuterung zu den 17 Sonochromfarbensorten wird empfohlen, auch innerhalb einer langen Sequenz, in der normalerweise immer die gleiche Virage benutzt wird, gelegentlich einen anderen Farbton zu wählen, damit das Auge nicht ermüdet. Auch sollte man - die Firma wollte schliesslich alle Sorten verkaufen - nicht zu krasse Wechsel vornehmen, d.h. es wird ein anderes Rosa nach Grün als nach Rot empfohlen. Bei diesen Farben unterschied man auch in ganz schwache Pastellfarben, die eine bestimmte Atmosphäre aufrecht erhalten sollen und gesättigte Farben, die unter Umständen aufdringlich und ablenkend wirken und einen gewünschten Effekt leicht verhindern können. Interessant sind einige Hinweise: Neben rein äusserlichen Assoziationen (z.B. Grün: Gras, Laub, Garten, Frühling, Friede, natürliches Wesen, Hoffnung, Erwartung) gibt es zwei weitere Gefühlswerte. Einmal haben Farben für viele Betrachter einen erregenden (Dunkelrot, Scharlachrot), beruhigenden (Gelbgrün) oder deprimierenden Einfluss (Violett). Ausserdem ordnet man Farben häufig einen bestimmten Wärmecharakter zu; so spricht man z.B. von kaltem Blau und warmen Orange. Einige dieser - beinahe wie einen Kult anmutenden - Ratschläge werden in Stichworten angeführt:
Aquagreen: ein leuchtendes Blaugrün für Meer, Nässe, Tannenwälder, Dschungel etc. Reife Weisheit, Würde; ruhig, nicht deprimierend; kühl, nicht kalt.
Turquois: ein reines, klares Blau für tropisches Meer, Südseestimmung, brillante Mondnächte etc. Ruhe, Zurückhaltung, Friede, Gelassenheit.
Azure: ein kaltes Himmelblau, Strenge, gesetztes Wesen, Verbot, Niedergeschlagenheit, Schwermut.
Nocturne: ein tiefes Violettblau für Nacht, Schatten, Unterwelt; Schwermut, Verzweiflung, unbefriedigter Ehrgeiz, Intrige.
Purplehaze: ein bläuliches Violett, pastellartiges Lavendel für Schneefelder, Gletscher, Zwielicht in der Wüste; Gefühl der Ferne, des Geheimnisses, drückende Wärme oder Kälte, je nach den sonst verwendeten Farben.
In der Praxis wurden die Farbtöne wohl weniger differenziert eingesetzt. Manche Filme wurden durchgehend in einer Farbe viragiert, also einfach die Kontraststufen verändert. Das war z.B. bei Aufnahmen, die nicht wiederholt werden konnten, von Bedeutung. Der Anfang der dreissiger Jahre gedrehte Expeditionsfilm "Ingagi" wies viele schlechte Aufnahmen auf, was mit einer durchgehenden Gelbvirage verdeckt wurde. In manchen Filmen wurden aber Farbtöne nach der beabsichtigten Stimmung genau ausgewählt. So wählte man im "Tartuffe" bei den Innenaufnahmen im Hause der Elmire nicht das übliche Orange, sondern ein pastellartiges Rosa.
Dieser Farbton wird von Kodak folgendermassen Charakterisiert:
Peachblow: ein zartes Fleischrosa für Nahaufnahmen weiblicher Schönheit, Darstellung der Lebensglut, eventuell auch für beginnende Dämmerung im Herbst, Eigenschaften der Reife.
Es ist wahrscheinlich, dass es unterschiedliche Verarbeitung für "Premierenkopien" und normale Verleihkopien gab, denn es wird 1927 (in einem Aufsatz über Nachtaufnahmen am Tage mit Infrarotfilm) empfohlen, wenigstens in der Premierenkopie für Nachtaufnahmen, bei denen künstliches Licht und Mondlicht diese Szene erleuchten, Tönung und Virage gleichzeitig einzusetzen. Blautönung würde den nächtlichen Charakter geben und Orangevirage aus Fenstern und Türen "Innenbeleuchtung" ins Freie fallen lassen, da sonst blaues Licht in blaue Dunkelheit scheinen würde. Ein weiteres Beispiel für die Zweifachtonung aus dem Jahre 1916 (s. Heft 43) zeigt, wie eine normale Wolkenaufnahme als Gewitterstimmung erscheinen kann: Blautönung und Rotvirage ergeben blauen Horizont und blaue Wolken vor rotem Himmel. Wenn auch diese beiden Beispiele und die Erläuterungen zu den Sonochromfarben zeigen, dass man den Bildern einen der Wirklichkeit entsprechenden Farbton geben wollte, so bestand doch nicht die Absicht, damit den im Versuchstadium befindlichen Farbfilm Konkurrenz zu machen. Die Tönung verschwand auch nicht erst mit der Vervollkommnung der Farbfilmverfahren Mitte der dreissiger Jahre.
Ein technischer Mangel hatte zur Verwendung der Farbe geführt, und ein neues technisches Problem, der Tonfilm, trug mit dazu bei, sie wieder zu verdrängen. Die Photozellen sind für verschiedene Farben ungleich empfindlich und ausserdem mildert ja die Verwendung der Farbe bei der Virage die Kontraste, indem sie helle Grauwerte abdunkelt. Je nach Farbton der Virage und Tönung würde sich die Lautstärke und das Verhältnis zwischen lauten und leisen Tönen ändern. Jede Unregelmässigkeit der Farbschicht würde als Rauschen zu hören sein.
Fortsetzung folgt

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Heft 47 (21.11.68-2.1.69)
Robert Ramin Aus "Conrad Veidt - Ein Leben für den Film" 1933
Auch in historischen Filmen ist Conrad Veidt zu sehen gewesen. Die Darstellung aller dieser Filme, soweit sie nicht nur das Kostüm und die Historie zur Entfaltung grosser Prunkszenen benutzten, war stark gegenwartsbetont. Veidt kam in der Andeutung einer gewissen Überzeitlichkeit der historischen Filmfiguren dem Stil am nächsten, der alleine einen geschichtlichen Vorgang und eine geschichtliche Anekdote auf der Leinwand lebendig machen konnte.
Dr. Barbara E. Meyer Stummfilme im Fernsehen
Dass Spielfilme im Fernsehen gesendet werden, ist keine Seltenheit. In jeder Woche hat der Zuschauer Gelegenheit, ältere Filme wiederzusehen oder neue - in unseren Kinos noch nicht gezeigte - kennenzulernen. Sie werden nicht etwa nur als Lückenfüller eingesetzt, sondern sind wesentliche Bestandteile der Programme.
Stummfilme allerdings spielen bei der Programmgestaltung des Fernsehens nur eine untergeordnete Rolle. Man zeigte und zeigt zwar ziemlich häufig Stummfilmgrotesken - darunter sehr gute! - im mittäglichen Kinderprogramm. Dagegen ist nichts einzuwenden. Warum sollen Kinder sich nicht über Chaplin, Keaton, Laurel und Hardy oder Lloyd und Langdon freuen dürfen!
Dass dem Stummfilm der Durchbruch ins Abendprogramm gelang, ist Werner Schwier zu verdanken. Allerdings auch er bietet - wie schon der Titel seiner Sendereihe: "Es darf gelacht werden!" zeigt - ausschliesslich komische Filme. Später kam - auf dem Umweg über das "Dritte Programm" - der Engländer Bob Monkhouse mit seinen "Mad Movies" (deutscher Titel "Als die Bilder laufen lernten") in das Abendprogramm des deutschen Fernsehens. Obwohl beide nur Grotesken vorführen, ist der Unterschied zwischen beiden Sendungen bemerkenswert. Nicht nur weil Schwier komplette Sendungen aus den U.S.A übernahm und sie lediglich neu kommentiert, während Monkhouse die Programme aus seinem eigenen Archiv nimmt und selbst zusammenstellt, sondern vor allem in der Art der Darbietung. Schwier schlüpft in die Maske des Vorführers der Zehner und Zwanziger Jahre und kommentiert - unterstützt von einem Pianisten und einem Stehgeiger - mit scheinbarer Ernsthaftigkeit das Geschehen auf der Leinwand - Monkhouse dagegen zieht seine Darbietung völlig modern auf. Nicht nur er selbst, sondern die gesamte Studioeinrichtung "spielt mit". Er mischt sich in die Handlung ein, nimmt sie parodistisch auf und spielt dem Publikum einen möglichen anderen Verlauf vor, bevor er den Film weiterlaufen lässt.
Während Schwiers Darbietungsart bei aller Komik zuweilen sehr betulich wirkt, überfällt Monkhouse den Zuschauer mit einem Wirbel von eingefügten Gags und seiner eigenen mitreissenden, umwerfend komischen mimischen Leistung. Er "übergagt" die Gags seiner Filme. Jede dieser beiden Darbietungsformen ist legitim, es wäre unsinnig, Schwier und Monkhouse gegeneinander ausspielen zu wollen. - Beiden ist allerdings gemeinsam, dass sie ihre Filme nur als Klamotte anbieten. Auf den filmhistorischen oder den künstlerischen Wert eines Filmes wird von beiden nur sehr selten verwiesen.
Während also die Stummfilmgroteske sich einen ziemlich festen Platz im Programm erobern konnte, ist das ernste Genre ein Stiefkind des Fernsehens geblieben. Es hat den Anschein, dass man es nicht recht ernst nimmt, und dass man von vornherein der Ansicht ist, jeder Stummfilm müsse heute a priori komisch wirken. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen. Vor längerer Zeit wurde im Abendprogramm Murnaus Film "Nosferatu" - der zweifellos zu den grössten Kunstwerken der Filmgeschichte gehört - ausgestrahlt. Und was geschah? Man sendete eine stark geschnittene Fassung, und man versuchte durch einen verkrampft neckischen Kommentar dieses Werk auf Klamotte zu trimmen. Dass die Reaktion des Publikums negativ war, darf in diesem Falle von Kunstschändung nicht verwundern.
Für den "ernsten" Stummfilm setzen sieh ausschliesslich die "Drittem Programme" ein. Um einige Beispiele aus dem Bereich des Norddeutschen Rundfunks zu nennen: "Birth of a Nation" von David Wark Griffith, drei wichtige Filme Erich von Stroheims, nämlich "Blind Husbands", "Foolish Wives" und "Greed" wurden dem Publikum vorgestellt. Vor kurzem sendete man "La Chute de la Maison Usher", die hervorragende Poe-Interpretation von Jean Epstein. Auch andere Filme dieser Regisseure, sowie Werke von Georges Méliès, Frank Capra und anderen wurden und werden im Dritten Programm des NDR dem Publikum zur Kenntnis gebracht. Dabei muss berücksichtigt werden, dass dem weitaus grössten Teil der Zuschauer - besonders den jüngeren - die Stil- und Ausdrucksmittel des Stummfilme fremd sind. Daher wird jedem Film eine kurze Einführung vorangestellt, in welcher auf die Stellung des jeweiligen Werkes in der Filmgeschichte, seine Bedeutung für die Entwicklung der Filmkunst und auf die besonders interessanten und wichtigen historischen und aesthetischen Aspekte hingewiesen wird.
Es wäre zu wünschen, dass der künstlerische Stummfilm, sei er ernst oder komisch, aus dem exklusiven Ghetto der "Dritten Programme" befreit und einem breiteren Publikum zur Kenntnis gebracht werden könnte.
Hartmut Birett Stimmungsfarben im Film. III Zurück
Neben dieser Schwierigkeit, die sich nur mit einigem technischen Aufwand beseitigen lassen würde, bestand durch die Entwicklung kontrastreicherer, empfindlicherer und (unserer Farbempfindung entsprechend) sensibilisierter Emulsionen auch nicht mehr die Notwendigkeit der Verwendung von Farben. Durch entsprechende Ausleuchtung, durch Nuancierung der Licht-Schatten-Verteilung erreichte man die gleiche Wirkung.
Mitunter findet man heute noch eine derartige Verwendung der Farbe. In "Die gute Erde" (1936) wurde Tönung gezeigt und damit Dürreperioden von fruchtbaren Jahreszeiten deutlich hervorgehoben. Auch in Farbfilmen wird in gewissem Sinn eine Tönung als Gag benutzt. In "Meine Braut ist übersinnlich" (1958) betrachtet der Zuschauer durch die Augen eines Katers ein verhextes Zimmer in blaugrüner Beleuchtung (und ausserdem verzerrt). In "Ein süsser Fratz" (1957) und "Die Züricher Verlobung" (1957) finden sich ähnliche Szenen. Allerdings wurde hier nicht speziell das Filmmaterial getönt, sondern - es handelt sich um Technicolor-Filme - jeweils nur ein Farbauszug gedruckt.
Sieht man heute Kopien alter Filme, so ergeben sich manchmal Hinweise auf eine ursprünglich viragierte Fassung.- Erkennt man nur mühsam aus dem Zusammenhang, wann eine Szene bei Nacht spielt, da z.B. die Sonne schöne Schatten entstehen lässt, die Darsteller aber dicht aneinander vorbeischleichen, ohne sich zu entdecken, so war die Szene bestimmt blau viragiert. Dies konnte man in "Judex" (1916) mehrmals beobachten. Ausserdem betätigen die Darsteller einige Male den Lichtschalter, ohne dass sich am Charakter der Beleuchtung etwas änderte, nur liefen sie entsprechend tastend oder sicher im Zimmer herum; es ist wohl die Annahme berechtigt, dass hier jeweils die Farbe der Virage wechselte. Ein weiterer Hinweis ergibt sich bei Bränden. Die Szene ist oft kaum noch zu erkennen, da für den rotunempfindlichen Positivfilm die Rot-Virage ein Grau in Grau-Bild ergibt. Entsprechend sind in solchen Kopien Nachtszenen im Freien heller als "hellbeleuchtete" Szenen in Räumen, da die Innenvirage Orange bei der Kopierung mehr stört als Blau. Dieses trat bei dem Film "Der müde Tod" (1921) sehr störend in Erscheinung und veranlasste Mitte der fünfziger Jahre bei der Wiederaufführung in Filmclubs Kritiker dazu, von unscharfer Konturen und mangelnder Technik der Nachtaufnahmen zu sprechen.
Da man den verlorenen Stimmungsfarben etwas nachtrauert, sollen von typischen Beispielen Kopien auf Farbfilm gezogen werden.- Zu Beginn der dreissiger Jahre half man sich anders, um nicht viragierte Filme farbig erscheinen zu lassen. Einmal wurden farbig brennende Lichtbogen-Kohlen angeboten, was allerdings bedeutete, dass innerhalb eines Aktes die Farbe nicht wechselte. Ausserdem gab es Filterscheiben, die vom Vorführer den Szenen entsprechend vorgesetzt wurden. In einer Kritik wurde seinerzeit bemängelt, dass in den "Zoo-Kultur-Lichtspielen" (Frankfurt,M.) die Farbscheiben falsch bedient worden seien, sodass die manchmal recht unpassende Virage erheblich störte.

Ewald Meyers "Dolly" Autokino

Hand in Hand und Fuss an Füsschen 
sass man einst mit seinem Schatz, 
tauschte heimlich Kuss um Küsschen 
auf dem teurem Logenplatz.
  Wenn mal die Moneten fehlten,
  nahmen Peter oder Heinz
  traurig mit der Auserwählten
  statt der Loge Reihe eins.
Heute führen viele Paare 
überall auf Schritt und Tritt 
ohne alle Kommentare ihre 
eig'ne Loge mit.
  Dank Motor, Benzin und Ölen
  sitzt man heute separat,
  gleichsam wie in Wanderhöhlen,
  weil man einen Wagen hat.
Dennoch fühlt sich, will mir scheinen 
diese Höhlenkreatur 
wirklich wohl im allgemeinen 
als ein Teil der Masse nur.
  Sonst wär 's völlig unerklärlich,
  dass es Autokinos gibt,
  denn der Film ist ja entbehrlich
  wenn man glücklich und verliebt.

Augenzeugenberichte gesammelt van Dr. Walter Gerteis Optische Vergnügungen von einst: VI. Der Guckkasten
Hierzu eine Zeichnung auf der letzten Seite, die einem alten "Münchner Bilderbogen" entnommen ist. [Hier nicht abgebildet.]
Im Jahre 1847, kurz vor dem Revolutionsjahr, veröffentlichte Adolf Glassbrenner, der Altberliner Humorist, sein Buch "Humor im Berliner Volksleben", und zwar unter Pseudonym Ad. Brennglas. In ihm befindet sich auch die Schilderung eines Guckkästners, eines einbeinigen Invaliden, der abends um neun Uhr unter den Linden, zusammen mit seiner Frau, seinen Guckkasten aufbaut. Das "Publikum", das für einen Sechser durch die Linsen starrt, besteht aus einem Schreiber und zwei Gassenbuben. Die Schilderung (ihr Titel: "1846 im Berliner Guckkasten") ist über 20 Seiten lang. Wir können ihr nur einige der drastischen und hintergründigen Erklärungen entnehmen, mit denen der Guckkästner seine Bilder begleitete:
"Hür, meine Herrschaften,, präsentiert sich Ihnen das erste Bild. Düses ist eine kranke Kartoffel mit schwarzen Stellen, jemalt von einem Exemplar welches der Verein zur Hebung der ärmeren Klassen anjekauft hat, um sie jenau zu untersuchen und dem Volke die wohltätige Mitteilung zu machen, dess kranke Kartoffeln durchaus nicht zu jeniessen sind. - Rrrr, ein anderes Bild! Hür präsentiert sich Ihnen die polnische Revolution zu Krakau, wie die drei Polen, welche am polnischten sind, eben uf dem Marcht stehen un Krakau als Republik erklären. Es is en feierlicher Mojement. Im Hintergrund bemerken Sie aber schon Kosacken, und wo Kosacken sind, hört bekanntlich Allens auf. - Rrrr, ein anderes Bild! Hür jeniessen Sie ein sehr pumpöses Bild mit lauter prachtvollen Farben, nämlich wie der verstorbene Papst in Rom stirbt. Sie bemerken, dass in diesem ernsten Aujenblick Allens jrausenhaft finster is, und des bloss die ewije Lampe brennt, welches aber nicht stort. - Rrrr, ein anderes Bild! Hür präsentiert sich Ihnen eine herrliche Schweizer Landschaft, welche bei uns in Norden akkurat so zu haben wäre, wenn wir Alpen hätten. Es is Luzern un die janze schöne Jejend. Rechts vom Pilatusberg bemerken Sie eine Menge sehr jelungenes Rindvieh. Das janse Jemälde ist ein erhabener Kunstjedanke, indem die Natur hier über alle Bejriffe herrlich ist.
Rrrr, ein anderes Bild! Hür präsentiert sich Ihnen die feierliche Errichtung Seiner Majestät der Bildsäule des verstorbenen Kaisers Franz von Österreich auf dem Burghofe zu Wien, welches eine schwierige Erdarbeit veranlagst, indem man keinen Jrund dazu finden konnte. Seine Majestät war ein ebenso erhabener Herrscher wie se alle sind. Rrrr, ein anderes Bild! Hür jeniessen Sie den neuen Planeten, der sieh von Herrn Lewerrjeren in Paris hat entdecken un ankündigen lassen, un ooch richtig eingetroffen is. Dieses is eine Bejebenheit, welche ein neues Licht auf unsere Zustände wirft. Sie fragen: wat haben wir nu von dem neuen Stern? Meine Herrschaften er is bloss Wissenschaft, un insofern können wir auch nischt von ihm haben.
Rrrr, ein anderes Bild! Hür erblicken Sie das prachtvolle Jemälde, wie Donna Maria da Iloria, die bestehende Königin von Lissabon, die Conschtition von Porjual umschmeisst. Rund um ihr bemerken Sie die Entblössten Köppe ihrer Helfer un das was untern Disch liegt, is die Conschtition.
Rrrr, ein anderes Bild! Hür präsentiert sich Ihnen Seiner Majestät der König von Dänemark, Crischtjahn der Achte, wie er eben den offenen Brief von Schleswig-Holstein meerumschlungen portofrei abjehen lässt, worin er diese Länder die trostreiche Nachricht jibt, dass er un seine Nachkommen ewig Könige von Schleswig-Holstein bleiben werden. Worauf janz Deutschland so unzufrieden wird, dass es ebenfalls lauter offene Briefe an Sshleswig-Holstein schickt.
Rrrr, ein anderes Bild un düses is das Letzte. Hür jeniessen Sie keine Wissenschaft, sondern Phantasie: es is des neue Jahr 1847 als Mensch! Sie werden jehorsamst bemerken, dass es ein ernstes und bleiches Jesicht hat, es fühlt schon die Krämpfe, an denen es leiden wird. Es sieht nich schön aus, des neue Jahr, aber daran bin ick nicht schuld. Rrrr - hürmit is de Weltjeschichte vor en Sechser zu Ende!"
Ernst Armbrüster Aus "Flammem um Greta Garbo" 1932
Greta hat gepackt. Sie ist gerade dabei, ihre Haut für die bevorstehende Fahrt mit Creme Mouson einzureiben, als ihr der Portier einen wunderbaren Strauss Blumen bringt und einen Brief. Greta liest ihn ein-, zweimal,
dann schüttelt sie sanft mit dem Köpfchen und
lässt
den Wartenden kommen. Er beugt sich mit einem langen
Kuss über ihre Hand. Als er sieh erhebt, sagt sie: Lieber James, Liebe ist ein Phantom, welches meiner Kunst weichen muss. Ich verreise jetzt auf vierzehn Tage. Wenn ich wiederkomme, sagen Sie mir, ob Sie mein Freund bleiben wollen.

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Heft 48 (26.1.-13.2.69)
Dr. Walter Gerteis "Svengali" und seine Vorgeschichte
Der deutsche Stummfilm "Svengali" von 1927 mit Paul Wegener geht auf einen der erstaunlichsten Erfolge zurück, die jemals einem Unterhaltungsroman beschieden gewesen sind. Dieser Roman heisst allerdings nicht "Svengali", sondern nach seiner Heldin "Trilby". Es ist die melodramatische Geschichte von einem jungen irischen Mädchen, das den Künstlern im Pariser Quartier Latin Modell steht, die Zuneigung und Liebe dreier englischer Freunde unter den Künstlern gewinnt, spurlos verschwindet, um nach Jahren in Begleitung des dämonischen, mit hypnotischen Kräften ausgestatteten Musikers Svengali als grösste Sängerin ihrer Zeit wieder aufzutauchen, sie, die vorher keinen einzigen richtigen Ton singen konnte. Svengali hat alle Macht über Trilby und ihre Stimme gewonnen. Als er in der Loge eines Londoner Theaters einem Herzschlag erliegt, ist es zugleich mit der Kunst der gefeierten Sängerin auf der Bühne kläglich zu Ende. Sie kann wieder nicht mehr singen. Trilby siecht dahin und stirbt.
Der Roman (von dem Paul Wiegler 1920 schrieb, er habe "die nervenspannende Literatur der Kinematographenzeit vorausgeahnt") erschien 1894 in London. Sein Verfasser, George du Maurier, war bereits 60 Jahre alt, und es war sein zweiter Roman, nach der Geschichte eines Traum-Doppellebens, "Peter Ibbetson". Maurier gehörte seit langem zu den bekanntesten Figuren im damaligen London. Er war Zeichner und Karikaturist. Seit über 30 Jahren zählte er, obgleich französischer Abstammung zu den führenden Mitgliedern in der Redaktion des so erzbritischen "Punch". In Tausenden von Karikaturen hat er das gesellschaftliche Leben und Denken der middleupper-class im viktorianischen England geschildert. Auch seine Romane hat er mit vielen Zeichnungen selbst illustriert. Begonnen hatte er übrigens als junger Bohemien seine Karriere mit zehn Pfund in der Tasche und in einem geborgten Anzug seines Freundes Whistler. Dass er damals bereits auf einem Auge erblindet war, hatte er nur durch einen Zufall entdeckt, und Zeit seines Lebens quälte ihn die Angst vor völliger Erblindung.
Maurier starb zwei Jahre nach "Trilby", also 1896. Er erlebte noch den verblüffenden Erfolg seines Romanes. Bis zu seinem Tode waren in England und Amerika über zwei Millionen Exemplare verkauft, und die deutsche Ausgabe (bei Robert Lutz in Stuttgart) steuerte auf die 7. Auflage zu. In Amerika hatte ein Mr. Paul Potter aus "Trilby" eilig ein Drama gemacht, das alle Bühnen eroberte (deutsch erschien es in der Reclam-Bibliothek). Die letzten Worte in dem Stück sind die gleichen, mit denen Trilby im Roman stirbt: "Svengali, Svengali _..." Während der Shakespeare-Darsteller Beerbohm Tree als teuflischer Svengali im Haymarket-Theater die Besucher erstarren machte, ging unweit hiervon gleichzeitig eine Oper "Trilby" über die Bretter, und auf einer dritten Bühne lief die erste Parodie. Man sprach von einem Trilby-Fieber.
Wie oft Svengali verfilmt wurde, ist wohl kaum noch festzustellen. Die amerikanische Fassung, die 1916 nach Berlin kam (und in der Trilby leben bleibt und ihren Little Billy heiratet) war sicher nicht die erste. Unsere deutsche Verfilmung stammt, wie gesagt, von 1927. 1931 spielte auch John Barrymore einen Film-Svengali. - Die zunächst letzte Verfilmung entstand 1955 in London, mit Hildegard Knef als Trilby. Den Svengali spielte anfangs Robert Newton, der dann aber über Nacht nach Amerika entschwand. Für ihn sprang der britische Schauspieler Donald Wolfit ein. Wie nahezu alle Darsteller hielt auch er sich an die Bilder, die Maurier von Svengali gezeichnet hatte, also mit langen schwarzen Haaren und einem mephistophelischem Vollbart. Wegener allerdings verzichtete, wie zumeist in seinen Rollen, auf eine Maske. Vom Äusseren her hätte wahrscheinlich ein Schauspieler wie Conrad Veidt der Vorstellung, die Maurier von seinem Geschöpf hatte, weitgehend entsprochen.
Nicht unerwähnt sei, dass die Neigung zum Geschichtenerzählen und zu Bestsellern in der Familie Maurier erhalten blieb. Daphne du Maurier mit ihrem Welterfolg "Rebekka" ist eine Enkelin des Trilby-Autors.

Feltman, Arthur: Das Ende eines Wunders
Ewald Meyer's "Dolly" Filmwoche-Bericht

Kabel, Mannheim, neun Uhr dreissig, 
ganz speziell aus Scala-Haus: 
Jury immer noch sehr fleissig, 
Resultate noch nicht 'raus.
  Jury hatte schweres Leben,
  Auge scharf, Verstand geschult,
  viele Preise zu vergeben,
  hundert Filme abgespult.
Telegramm aus Mannheim, dringend, 
null Uhr fünf zehn, Wasserturm: 
Jury passte händeringend, 
Volk verärgert, droht mit Sturm.
  Jugendliche, sagt man, hätten
  ein Exempel statuiert
  und am Wasserturm mit Ketten
  einen Henkel anmontiert.
Das Gerücht ist unbegründet. 
Ward auch solches diskutiert, 
ist, obgleich Protest verkündet, 
hol 's der Henkel, nichts passiert.
  Jury liess das Geld im Kasten
  angesicht der mager'n Show;
  Volk, OB und Cineasten
  warten weiter auf Niveau.

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Heidbüchel, Jakob Aus dem Referat
von Jakob Heidbüchel anlässlich des Festaktes zur Vergabe der Kultur- und Dokumentarfilmprämien des Bundesministers des Inneren im Rahmen der Internationalen Filmwoche Mannheim am 9.Oktober 1968:
_... Die Form des Films ist seit Méliès in steter Entwicklung und Wandlung begriffen, in einer Wandlung, die gerade in unseren Tagen weniger denn je voraussehen lässt, wohin sie gehen wird. - Das gilt ja auch für die anderen Kunstformen _...
Paul Sauerlaender Die Musen lächeln
Als ich neulich wieder einmal mit grossem Vergnügen im "Kinobuch" (1915) von Kurt Pinthus las, (1965 erschien eine Neuausgabe im Verlag der Arche Zürich), war ich wieder überrascht festzustellen, wie "filmisch" die Autoren damals gedacht haben. Berufene Dichter hatten sich zusammengefunden: Else Lasker-Schüler, Max Brod, Walter Hasenclever, Arnold Höllriegel und Franz Blei, um nur einige zu nennen. Und es ist nicht verwunderlich, dass Motive dieser frühen Kinostücke immer wieder übernommen und abgewandelt wurden.
Kurt Pinthus schrieb in seiner Einleitung: "Dem Urteil des Lesers ist es anheimgestellt, dies Kinobuch für einen unterhaltsamen Scherz zu erachten oder für ein ernsthaftes Bemühen, dem in Verlegenheit harrenden Kino neue Stücke und Anregungen zu schenken".
Heute im Zeitalter des Fernsehens erscheint es fast grotesk, wenn man in Filmzeitschriften der zwanziger Jahre im "Briefkasten" immer wieder von eifrigen Kinogängern die Frage liest, wie sie am besten eine "einmalige" Filmidee verwerten könnten.
Um dem immer noch "in Verlegenheit harrenden Kino" zu helfen, veranstalteten geschäftstüchtige Filmzeitschritten für ihre Leser Preisausschreiben. Das beste Manuskript wurde prämiert und an die Filmindustrie zur Verwertung weitergeleitet. Der Rest war zumeist Schweigen. Bis auf ganz wenige Ausnahmen. Zu diesen gehörte Anna von Arnim. Ihr Manuskript "Die schöne Margarethe oder das Schicksal eines Findlings" (1920) gefiel Oskar Messter so gut, dass er eine Verfilmung in Erwägung zog. Wirtschaftliche Krisen verhinderten das Vorhaben. Ein weiteres Werk der Autorin "Gebrochene Herzen" (1920) veröffentlichen wir nun erstmalig in diesem und den folgenden Heften. Man kann in ihm einen Spiegel der "Traumfabrik" der Nachkriegsjahre sehen. - Fast möchte ich meinen, die Marlitt und die Heimburg haben der Autorin beim Schreiben freundlich über die Schultern gelugt, während Nataly von Eschstruth ihr kollegial sanft zuwinkte.
[Zusammenfassung der Drehbuch-Entwurf-Folgen] Anna von Arnim

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Heft 49 (20.2.-16.3.69)
Dr. Walter Gerteis Sherlock Holmes konnte nicht sterben
Zu dem Film "Der Hund von Baskerville"
Man hat Sherlock Holmes die erstaunlichste Fabelgestalt eines Zeitalters genannt. Im Film und im Fernsehen hat er jedoch nicht annähernd die gleiche Popularität erlangt wie im Buch. Es gibt gute und es gibt schlechte Sherlock-Holmes Filme zu Aberdutzenden. Das Fazit bleibt das gleiche - den Weltruhm bescherte ihm die Feder eines einzigen Mannes, des schottischen Arztes Dr. Conan Doyle. Sherlock Holmes ist kein üblicher Filmheld, und das ist auch einleuchtend. Seine Hauptwaffe, wenn nicht überhaupt seine einzige, ist der unerbittliche logische Verstand. Wie will man den verfilmen? Der Scharfsinn, mit dem Holmes etwa aus einem Spazierstock auf Alter, Beruf, Gewohnheiten und Freundschaften des unbekannten Verlierers schliesst, bildete einmal das Entzücken der Leserwelt. Wie soll man so etwas wirksam auf die Leinwand bringen. Holmes wurde übrigens auch nie ein Bühnenheld. Die Bemühungen des Berliner Theaterdirektors und Schauspielers Ferdinand Bonn um die Jahrhundertwende endeten dort, wo sie enden mussten, im melodramatischen Spektakelstück.
Der "Hund von Baskerville" gehört zu den am häufigsten verfilmten Büchern Conan Doyles, und es blieb wohl auch sein berühmtestes. Er schrieb es 1901. Es war ein Kuriosum. Denn Sherlock Holmes - die erste Geschichte mit ihm erschien 1887 - hatte nicht nur längst Weltruhm erlangt, er war sogar bereits tot. Acht Jahre vorher hatte ihn Doyle sterben lassen. In einem Zweikampf mit dem Meister=Verbrecher Professor Moriarty war er in den wilden Reichenbachfällen im Kanton Bern spurlos verschwunden. Conan Doyle hatte sein Phantasiegeschöpf satt bekommen. Immer wieder musste er neue Holmesgeschichten erfinden. Er bekam sie zwar von seinem Verleger Newnes fürstlich bezahlt - je Dutzend kürzere Geschichten 1000 Pfund Sterling - aber eigentlich wollte er doch andere Dinge schreiben, historische Romane vor allem. Und so brachte Doyle den Sherlock Holmes einfach um, eben in den Reichenbachfällen, gegen den stürmischen Protest seiner Leser.
Acht Jahre später hörte er die Sage von einem riesigen unheimlichen Hund im einsamen Moor. Sie reizte ihn sehr und so entstand "Der Hund von Baskerville".
Vorsorglich hatte Doyle die Geschichte in eine Zeit verlegt, in der Holmes noch lebte. "Er liegt am Fusse der Reichenbachfälle", erklärte Doyle, "und dort bleibt er!"
Wir müssen erwähnen, dass Holmes nicht dort liegen blieb. 1903 kehrte er zurück, im "Abenteuer des leeren Hauses" (deutsch: "Als Sherlock Holmes aus Lhasa kam"). Er hatte sich nur jahrelang versteckt gehalten, und nun ging es fröhlich weiter, Geschichte um Geschichte erschien. Conan Doyle wurde seinen Helden nicht los, mit keinem Mittel. Gegen Ende des ersten Weltkrieges machte er ihn zu einem alten Mann und nannte die Geschichte "Seine letzte Verbeugung". Es nutzte gar nichts. Doyle musste weiter schreiben, der 60 Jährige, der 65 Jährige, immer noch ein Dutzend Geschichten, bis kurz vor seinem Tode, 1930.
Erst dann verneigte sich Sherlock Holmes endgültig zum letzten Male.
Unsere Bilder zeigen die früheste Zeichnung mit Sherlock Holmes (er studiert in einem Londoner Mordhaus das deutsche Wort "Rache" an der Wand), ferner eine Illustration aus der ersten deutschen Ausgabe des " Hundes von Baskerville" (im Verlag Lutz, Stuttgart) und schliesslich die vielleicht berühmteste Sherlock Holmes-Illustration, sein Zweikampf an den Reichenbachfällen. Sie stammt von dem Londoner Zeichner Sidney Paget, der viel zum Ruhme Holmes beitrug. [Hier keine dieser Zeichnungen.]
Dr. Barbara E. Meyer Plädoyer für die Vorbeugehaft
Das Münchener "Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht" präsentiert den Film "Ende eines Westerns" von Ulf von Mechow, der - so der Begleittext anhand eines authentischen Falles den Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft darstellen und einsichtig machen soll.
Ein etwa achtzehnjähriger junger Mann hat sich im Kino einen Western angesehen. Angeregt von dem Geschehen versucht er, die hier erlebte "action" ins Spiel umzusetzen. Jedoch: Grossstadtstrassen sind keine Prärie! Der Junge radelt hinaus an den Stadtrand. In seiner Phantasie wird sein Rad zum wilden Mustang, und mit einem schweren Revolver zielt er auf Bäume und Telegraphenstangen. Während seines ziellosen Umherradelns wird er mit Menschen konfrontiert, die der Autor offensichtlich für "gesellschaftstypisch" hält: Einem Mann, der politische Parolen an Wände schreibt, einem Selbstmörder und einer Gruppe, die ein pazifistisches Happening veranstaltet. Neugierig nähert sich der Junge jedesmal, wendet sich jedoch bald verständnislos wieder ab. Er sieht seine Unwelt, vermag sie jedoch nicht zu durchschauen und zu begreifen; und er ist auch nicht imstande eine Relation zwischen dem Gesehenen und seiner eigenen Erlebniswelt zu erkennen. Dann fährt er nach Hause, dreht seinen Plattenspieler auf volle Lautstärke, nimmt sich Essen aus dem Kühlschrank und beginnt, essend, vom Fenster aus auf Tauben zu schiessen. Hausbewohner und Passanten alarmieren die Polizei. Diese dringt mit Hilfe von Tränengas in die Wohnung ein, nimmt den Jungen fest und führt ihn unter Anwendung von brutaler Gewalt zum Streifenwagen. Die Passanten sehen wohlgefällig zu, beschimpfen den Jungen und fordern strenge Bestrafung für "diese Rocker".
An diesem Fall will der Autor und Regisseur Ulf von Mechow den Zusammenstoss zwischen Individuum und Gesellschaft abhandeln. Was ihm hierbei offensichtlich vorschwebte, ist ein echtes und wichtiges Problem - leider muss man ihm attestieren, dass er es nicht in den Griff bekommen hat; ja, dass er das Gegenteil von dem erreichen wird, was er wahrscheinlich beabsichtigte. - Was er sagen will, ist ziemlich klar: Das wichtigste Beeinflussungsmittel der Herrschaft gegenüber der Gesellschaft, die Kulturindustrie, stellt den Menschen eine Welt und eine Gesellschaft vor, in der Gewalt eine alltägliche und "normale" Form der zwischenmenschlichen Kommunikation ist. Wenn jedoch ein junger Mensch in seiner Unerfahrenheit sie beim Wort nimmt und das praktiziert, was ihm tagtäglich vorgeführt wird, dann reagiert die Gesellschaft darauf mit Brutalität und Unterdrückung.
Leider handelt der Autor dieses Problem am untauglichen Objekt und mit falschen Mitteln ab. Zwar ist es durchaus richtig, dass unsere Gesellschaft der Jugend kaum etwas anderes zu bieten hat als die Glorifizierung der Gewalt, das Recht des (auch politisch und ökonomisch) Stärkeren und die brutale Unterdrückung des Individuums, das sich dem geforderten Konformismus nicht unterwerfen will. Die Methode jedoch, mit der von Mechow an dieses Problem herangeht, verfehlt das selbstgestellte Ziel. Von Mechow schildert einen Fall. Das Verhalten eines jungen, unreifen Menschen wird gezeigt, jedoch weder analysiert noch begründet. An keiner Stelle macht der Autor deutlich, warum der Junge so und nicht anders sich verhält; es bleibt absolut unklar, aus welchen Motiven sein Verhalten und seine Handlungen entspringen. Damit jedoch wird verhindert, dass der Zuschauer den Protagonisten begreift und von diesem Begreifen der Motive her in die Lage versetzt wird, ihm - und damit generell den orientierungslosen Jugendlichen - Auswege und Hilfe zu bieten. Nirgends wird dem Zuschauer einsichtig gemacht, dass die dokumentierte Unreife des Protagonisten keineswegs dessen persönlicher "Dummheit" oder gar "Schuld" zuzuschreiben ist, sondern dass sie ein Produkt gesellschaftlicher Verhältnisse darstellt. Die persönliche Unreife des Jungen ist Resultat und Teil der Unreife der gesamten Gesellschaft - eben der Gesellschaft, die sich über das "Fehlverhalten" eines Einzelnen moralisch entrüstet und nach der autoritären und gewalttätigen Obrigkeit schreit! Indem der Autor die Verhaltensweise des Jungen von den gesellschaftlichen Bedingungen, die sie hervorbrachten und verursachten, isoliert, verschleiert er genau die Zusammenhänge, die er verdeutlichen müsste. Und noch mehr: Er kopiert das von den Massenmedien - hier seien vor allem die Tendenzen der Springer-Presse erwähnt - bewusst manipulierte falsche Bewusstsein. Wahrscheinlich hat der Autor nicht bemerkt, dass sein Werk genau auf der Linie der "Bildzeitung liegt und dazu geeignet ist, dem Spiessbürger alle Argumente zu liefern, die dieser braucht und haben will, um sich über die "Jugend von heute" zu entrüsten und sie zu diffamieren. Es ist gewiss, der Film ist ja für den Schulunterricht bestimmt, dass sich alle reaktionären Schulmeister mit Wonne auf ihn stürzen werden, um mit Hinweis auf ihn für "Zucht und Ordnung", d.h. für eine strenge, autoritäre Erziehung, zu plädieren. - Die Tatsache, dass der Protagonist dieses Films keineswegs typisch ist für die junge Generation - die ja gerade nicht aus Revolverschützen besteht! - wird mit Sicherheit übersehen werden. Dagegen - und das ist ebenso sicher - wird der Film der Neigung des Spiessers, Einzelfälle zu verallgemeinern und Pauschalurteile zu fallen, entgegenkommen. Er wird dessen Ressentiments bestärken, der ja schon lange fordert, gegenüber der Jugend "endlich andere Saiten aufzuziehen". Ulf von Mechows Protagonist entspricht haargenau dem Popanz, den vor allem die Springer-Presse vor dem erschrockenen Bürger aufgebaut hat, und gegen den sie Ressentiments und latente Aggressionslüste des Bourgeois mobilisiert: Er trägt lange Haare, er hört "wilde" Beatplatten und - Gipfel der Kriminalität! - an seiner Wand hängen Bilder von Fidel Castro und Ernesto Che Guevara. Das bourgeoise Vorurteil, dass "solche Typen" potentielle Verbrecher sind, mit dem bereits die Nazis erfolgreich operierten, erlebt hier seine perfideste Rechtfertigung. Wer so aussieht, der schiesst auch. Auf zur Jagd auf Studenten, Jungarbeiter und alle, die nicht dem Ideal des braven Bürgers entsprechen!
Dieses faschistoide Machwerk, diese Aufforderung, gegen alle langhaarigen jungen Männer, die Castro- oder Che Guevara-Bilder an die Wand hängen, mit brutaler Gewalt vorzugehen und sie möglichst in "Vorbeugehaft" zu nehmen, hätte der Propaganda-Abteilung der NPD zur Ehre gereicht. Es blieb dem "Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht" vorbehalten, diesen Appell an die Spiesserinstinkte zu produzieren und in Nazi-Manier das "gesunde Volksempfinden" gegen die Jugend zu mobilisieren!
Ewald Meyer's "Dolly" Vorhang - Leinwand - Flimmerscheibe

Mime, Stück und Inszenierung 
wechseln laufend Jahr um Jahr; 
es entzieht sich der Normierung 
das Theaterrepertoire.
  Mal genial, mal nur Gehabe,
  mal subtil, mal abgeschmackt;
  auch des Stückes Wiedergabe
  repetiert sich nie exakt.
Erst der Film hat die präzise 
Wiederholbarkeit erreicht; 
freilich, nicht für die Reprise, 
die der Urform selten gleicht.
  Fernsehn lehrt uns unverhohlen;
  wenn man einfach repetiert,
  wird durch solches Wiederholen
  ein Kontrastprogramm serviert.
Als ein Zukunftspanorama 
seh' ich vor mir und erhoff' 
für die Welt das Fernseh-Drama 
mit genormten Einheits-Stoff.
  Läuft auf sämtlichen Kanälen
  pausenlos das gleiche Stück,
  bietet sich für schlichte Seelen
  endlich absolutes Glück.

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Heft 50 (27.3.-8.5.69)
Paul Sauerlaender Quasimodo
Victor Hugos Romane gehören zum unvergänglichen Besitz der Weltliteratur. 1802 in Besançon geboren, bewarb er sich bereits mit 15 Jahren mit einem Lehrgedicht um einen Preis der Akademie. 1822 veröffentlichte er die "Oden und Balladen". Romane und zahlreiche Theatersstücke folgten. In Deutschland wurden seine Dramen wenig oder garnicht gespielt, obwohl sich sogar der junge Georg Büchner an der Übersetzung der Dramen versuchte. Weltruhm brachten ihm vor allem seine Romane. 1831 erschien "Notre-Dame de Paris". Dieses grossartige Kulturgemälde aus dem mittelalterlichen Paris wurde in Deutschland unter dem Titel: "Der Glöckner von Notre-Dame" viel gelesen. Hier wurde der Dichter zum Anwalt der Leidenden und Ohnmächtigen, wie auch in seinen späteren Romanen: "Les Miserables" (Die Elenden) und "L' homme qui rit" (Der Mann der lacht). Auch diese Werke wurden mehrmals verfilmt. - Man warf dem Autor vor, er habe eine Vorliebe für die Darstellung des Missgeformten und Ungeheuerlichen. Doch scheint es, dass Hugos Neigung zu aussergewöhnlichem von einem rücksichtslosen Drang zur Erforschung menschlicher Charaktere bestimmt wurde.
Drei von den zahlreichen Verfilmungen des "Glöckners von Notre-Dame" sollen erwähnt werden: 1923 erschien unter der Regie von Wallace Worsley als Quasimodo Lon Chaney auf der Leinwand. Dem "Mann mit den 1000 Gesichtern", der sich für seine Filmrollen mehrmals chirurgisch behandeln liess, wurde für die Maske des Quasimodo die Nase durchbohrt und mit einem dünnen Draht, der sich in der wustigen Perrücke verlor, hochgezogen. Über eine Million Dollar kostete der Film, für den die "Universal" auf dem Ateliergelände ganze Strassenzüge des mittelalterlichen Paris bauen liess. Die Vorderfassade der "Notre-Dame" wurde in fast naturgetreuer Grösse errichtet. Ungemein effektvoll, wenn Chaney käfergleich die Kirchtürme hinaufkroch.
1939 spielte Charles Laughton im Tonfilm den Quasimodo. Später erzählte er, eigentlich habe er die Rolle nur übernommen, um zu zeigen, dass er versteckt unter Kitt und Schminke nur mit dem einen Auge alle Regungen der menschlichen Seele sichtbar machen könne. Regie führte Wilhelm (William) Dieterle.
1956 erschien dann die bisher letzte Verfilmung des Romanes. In Cinemascope und Farbe brachte der Regisseur Jean Delannoy die Geschichte als fast komisches Spektakelstück auf die überbreite Leinwand. Antony Quinn als Quasimodo wurde der Vorstellung, die Victor Hugo von seinem Geschöpf hatte, in keinster Weise gerecht.
Alle drei Filme erzählen in einem gross angelegten Rahmen von der hübschen Zigeunerin Esmeralda und ihrem buckligen Beschützer, dem Glöckner von Notre-Dame. Diesem gelingt es, Esmeralda vom Galgen zu retten und sie mit ihrem Gringoire zu vereinen. - In unserem Film von 1939 spielte, wie bereits erwähnt, Charles Laughton den Quasimodo. Unvergessen bleibt die letzte Einstellung des Films: Quasimodo kauert fast eins mit dem Fabelwesen aus Stein. Sein eines Auge strahlt Schmerz und Verdammnis. Der missgestalte Mund stöhnt, fast Unverständlich, die Worte: "Warum bin ich nicht aus Stein wie Du?"
Im Roman liess Victor Hugo Esmeralda am Galgen enden. Von dem Tage an war Quasimodo aus dem Dom verschwunden. Mit dem selten in deutschen Übersetzungen zu findendem sehr kurzem Schlusskapitel "Die Hochzeit des Quasimodo" endet der Roman:
_... Über das geheimnisvolle Verschwinden des Quasimodo aber haben wir nicht mehr ausfindig machen können, als im Folgenden erzählt wird _... Der Montfaucon war, wie Sauval sagt, der älteste und prächtigste Galgen im Königreich. In den Lüften über dem Hügel flatterte es beständig von Raben _... Am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts war der furchtbare Galgen schon stark verfallen. Das Bauwerk bildete eine schauerliche Silhouette gegen den Himmel, besonders nachts, wenn ein wenig Mondlicht auf die weissen Schädel fiel. Der Unterbau war hohl. Es war ein grosser Keller. Etwa zwei Jahre nach den letzten Ereignissen durchsuchte man den Keller. Bei dieser Gelegenheit fand man unter all den scheusslichen Gerippen zwei, deren eines das andere seltsam umschlungen hielt. Das eine Gerippe war ein weibliches, hatte noch Fetzen eines Kleides an sich, das einmal weiss gewesen sein musste; Das andere Gerippe, das das erste fest umschlungen hielt, war das eines Mannes. Man konnte sehen, dass sein Rückgrat gekrümmt war, sein Kopf in den Schultern steckte und sein eines Bein kürzer war als das andere. Er hatte keinen Wirbelbruch im Nacken und war augenscheinlich nicht am Galgen umgekommen. Es musste das Gerippe eines Mannes sein, der den Keller lebend betreten hatte und dort gestorben war. Als man versuchte, ihn von dem Gerippe loszulosen, das er umarmt hielt, da zerfiel er in Staub.
W.I. Pudowkin Filmtypen statt Schauspieler
Aus einem Vortrag vor der "Film Society" in Stewart's Cafe, Regent Street, London, am 3. Februar 1929
_... Ich glaube nämlich, dass die Hauptgefahr für den Schauspieler, der im Film arbeitet, in seinem "theatralischen" Spiel liegt. Ich will nur echtes Material verwenden, das ist mein Prinzip. Ich bin der Meinung, dass neben richtigem Wasser und wirklichen Bäumen und Gras der aufgeklebte Bart, die gemalten Runzeln und das theatralische Spiel des Bühnenschauspielers unmöglich und in jeder Beziehung stilwidrig sind.
Was soll man tun? Es ist sehr schwer, mit Bühnenschauspielern zu arbeiten. Leute von so ausserordentlichem Talent, dass sie in der Darstellung leben, ohne zu "schauspielern", trifft man selten, und wenn man einen gewöhnlichen Schauspieler bittet, bloss still zu sitzen und nichts zu machen, dann spielt er den Schauspieler der nichts macht.
_... Schliesslich möchte ich mich zu einem heiklen Thema, das vor nicht langer Zeit aufgetaucht ist, äussern: Ich meine den Tonfilm. Ich glaube, dass er eine sehr grosse Zukunft vor sich hat. Freilich verstehe ich unter dem Ausdruck "Tonfilm" keinen Dialogfilm, in welchem die Sprache und verschiedene Geräuscheffekte genau mit dem entsprechenden Bild auf der Leinwand synchronisiert sind. Solche Filme sind nichts anderes als eine Art photographierte Theaterstücke. Natürlich sind sie neu und interessant und erwecken dadurch anfänglich die Neugier des Publikums - aber nicht für lange. Die wirkliche Zukunft gehört einem Tonfilm anderer Art. Ich stelle mir einen Film vor, in dem der Ton und die Sprache so mit dem Bild verbunden sind, wie zwei oder mehr Melodien durch das Orchester in Einklang gebracht werden. Der Ton wird für den Film der Zukunft das sein, was die begleitende Orchestermusik für den Film von heute ist.
Der einzige Unterschied zur heutigen Methode wird darin bestehen, dass der Ton ebenfalls in den Arbeitsbereich des Regisseurs statt in denjenigen des Orchesterdirigenten fällt. Der Tonreichtum wird überwältigend sein.
Alle Geräusche der ganzen Welt, angefangen beim Flüstern eines Menschen, dem Weinen eines Kindes bis zum Donnerschlag einer Explosion! Der Expressionismus des Films kann unerhörte Tiefen erreichen. Er kann den Zornesausbruch eines Menschen mit dem Brüllen eines Löwen in Verbindung bringen. Die Sprache des Films wird die Ausdruckskraft der Sprache der Literatur erhalten. Niemals sollte man jedoch auf der Leinwand einen Menschen zeigen, dessen Rede genau mit den Bewegungen seiner Lippen synchronisiert ist. Das ist ein billiges Nachäffen, ein blosser Trick, der keinem etwas nützt.
Jemand von der Berliner Presse fragte mich: "Finden Sie nicht, dass es schon wäre, wenn man in Ihrem Film "Mutter" die Mutter weinen hören könnte, wenn sie bei der Leiche ihres Mannes wacht?" Ich antwortete: "Wenn ich diese Möglichkeit hätte, wurde ich es so machen: Die Mutter sitzt bei dem Toten, und der Zuschauer hört deutlich das Tropfen des Wassers ins Waschbecken, dann folgt eine Aufnahme des stillen Hauptes des Toten mit der brennenden Kerze, dazu würde man verhaltenes Weinen hören." So stelle ich mir einen Film vor, der tönt, und ich möchte darauf hinweisen, dass ein solcher Film im gleichen Sinne international wäre. Worte und Geräusche, die man hört, aber auf der Leinwand nicht entstehen sieht, könnten in jede Sprache übertragen und je nach dem Land für den Film ersetzt werden."
(Pudowkins Buch "Filmtechnik, Filmmanuskript und Filmregie" entnommen, das 196l im Verlag der Arche, Zürich, erschienen ist.)

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Heft 51 (22.5.-26.6.69)
Reinert, Charles Der Zauberer von Montkeuil-sous-Bois
Charles Reinert berichtet in seinem 1946 in Zürich erschienenen "Kleinen Filmlexikon" über den französischen Filmpionier Georges Méliès:
"Pionier des französischen Films in seinen Anfängen. Erfinder der auf Aufnahmetricks beruhenden Trickfilme. Seine im Atelier (Montreuil) gebauten "Scènes artificiellement arrangées" sind von grossem Einfluss auf spätere Epochen durch die erstmalige Verwendung verschiedener filmtechnischer Möglichkeiten. Am 8.12.1861 in Paris geboren, zeigte er früh künstlerische und mechanische Interessen. Er war Kunstmaler, Karikaturist und Illusionist. 1888 Besitzer des Automaten-Theaters Robert Houdin, interessierte er sich 1896 für die Erfindung der Gebrüder Lumière.
Méliès ist Gründer der Chambre Syndicale du Cinéma Français, deren zwei erste Kongresse er präsidierte. (Einführung der Einheitsperforation für Filme.) Nach den ersten heroischen Zeiten des Films verschwand er aus der Öffentlichkeit und wurde erst in den 50er Jahren von Pariser Filmfreunden in Armut entdeckt. Er starb am 21. Januar 1938 in Paris."
Georges Méliès führte als einer der ersten Filmpioniere Dramaturgie und Inszenierung in den Film ein und erschloss ihm so neue Inhalte. Seine zumeist phantastischen Filme sind noch stark dem Theater verhaftet: er zeigt fast nur Totale, die einen normalen Bühnenausschnitt zeigen.
Dr. Walter Gerteis Als Georges Méliès zu filmen begann _...
_... gab es bereits eine der grössten Katastrophen in der ganzen Geschichte des Films, den Brand des Pariser Wohltätigkeitsbazars am 4. Mai 1897. Der Bazar fand jedes Jahr statt und wurde von den angesehensten Familien Frankreichs veranstaltet. In diesem Jahr errichtete man hierfür auf den Champs Elysées, auf einem freien Platz in der Rue Jean Goujon, einen grossen hölzernen Bau, der an drei Seiten von den kahlen Wänden der umgebenden Häuser eingeschlossen war. Für die zahlreichen Verkaufsstände nahm man die Dekorationen "Alt-Paris" von einer früheren Weltausstellung. Der päpstliche Nuntius eröffnete den Bazar. Am Nachmittag zählte man über tausend Gäste. In einer Ecke wurde einer der frühesten kinematographischen Apparate vorgeführt. Seit der berühmten Vorstellung der Brüder Lumière waren erst zwei Jahre vergangen. Der Vorführer soll Bellac geheissen haben. Als er die Projektionslampe mit Äther aufzufüllen versuchte, sprang ein Funke über und setzte den Apparat in Brand. Eine Stichflamme füllte den kleinen Raum, brennende Menschen stürzten davon, eine Panik brach aus.
Die Flammen ergriffen die hölzernen Trennwände und schliesslich das geteerte Dach. Nach 14 Minuten brach der ganze grosse Bau in einer riesigen Flamme zusammen. Die wenigen Ausgänge waren von Menschen verstopft. Den Köchen eines benachbarten Hotels gelang es, Hunderte durch ein Fenster zu retten, dessen Gitter man herausgerissen hatte. 124 Menschen waren tot, über 500 mehr oder minder schwer verletzt. Zu den Opfern gehörten viele Angehörige des Adels, darunter auch die Herzogin von Alençon, die Schwester der Kaiserin Elisabeth von Österreich. Die Opfer waren überwiegend Frauen und junge Mädchen. Durch lange Monate gab es kaum noch Filmvorführungen in Frankreich. Es sei erwähnt, dass wenige Wochen vorher auch bei der grossen Berliner Gewerbeausstellung ein Vorführapparat eine Halle in Brand gesetzt hatte. Die Brandwachen der Feuerwehr, die in Paris gefehlt hatten, verhinderten jedoch eine Katastrophe.
Ewald Meyer's "Dolly" Wildwest - auch in Italien
(Vom 30.4.- 4.5.1969 fanden wie alljährlich die Filmtage der deutschen Film-Clubs in Bad Ems statt. - Thema:
"Aspekte des italienischen Films ". Hans C. Blumenberg sprach am 1. Mai über den "italienischen Western". In einer Loge im ersten Rang des altehrwürdigen Kurhauses entdeckten wir eifrig schreibend Dolly. Spät abends, nach der letzten Vorstellung, fanden wir folgendes Gedicht:)

Westwärts, hiess es, soll er fahren, 
und er tat es, Treck um Treck. 
In nur etwa 50 Jahren 
ward besiedelt jeder Fleck.
  Freilich stellte man 's am Ende
  als ein Abenteuer hin,
  und der Cowboy der Legende
  kennt nur Pferde, Colt und Gin.
Einsam, tapfer, stolz und schweigsam 
sei der wahre Western-Held, 
der so männlich, dass er gleichsam 
fast schon auf die Nerven fällt.
  Frauen knien reihenweise
  vor dem Knaben als Dekor;
  er jedoch geht auf die Reise,
  denn er zieht das Rindvieh vor.
Männlichkeit, die derart prächtig 
schier aus allen Nähten platzt, 
sie erweist sich als verdächtig, 
wenn man an dem Firniss kratzt.
  Ist sie nicht, in so totaler
  Ignorierung ihres Zwecks,
  tief im Grunde ein fataler
  antikollescher Komplex?

Günter Kühnlenz Zwei oder drei Dinge über eine Filmdiskussion von Schülern der Klassen 10 bis 13
(Teilnehmer: 5 Lehrer und ca. 15 Schüler, die z.T. vorzeitig die auf freiwilliger Basis veranstaltete Diskussion verliessen, bzw. erst später zu dieser hinzukamen, da sie an sich damit überschneidendem Pflichtunterricht teilnehmen mussten. Besondere Schwierigkeit: Die Schüler, die nicht selten aus abgelegenen Taunusgemeinden kommen, mussten nicht unerhebliche Zeit und Kosten für die Fahrt nach Frankfurt aufbringen, um den Godard-Film "Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiss" sehen zu können.)
Als kurz vor der Diskussion in der vom Verfasser veranstalteten Philosophie-Arbeitsgemeinschaft das 3. der "Ökonomisch-philosophischen Manuskripte" von Marx behandelt wurde, hatten diejenigen, die Godards Film gesehen hatten, ein "Aha-Erlebnis" nach dem anderen; ein Satz insbesondere (aus dem Abschnitt "Privateigentum und Kommunismus") muss nachgerade als unentbehrlicher Schlüssel zu dessen Verständnis angesehen werden: "Die Prostitution (ist) nur ein besonderer Ausdruck der allgemeinen Prostitution des Arbeiters, und da die Prostitution ein Verhältnis ist, worin nicht nur der Prostituierte, sondern auch der Prostituierende fällt - dessen Niedertracht noch grösser ist -, so fällt auch der Kapitalist etc. in diese Kategorie".
Von Teilnehmern der Philosophie-AG wurde denn auch gleich zu Beginn der Diskussion dieses Grundthema des Films herausgestellt. Gegenüber einem Versuch, die Diskussion auf altbewährte Art aufzuteilen in je eine solche über Inhalt und Form, insistierte die "Linke" auf dialektischer Vermittlung von Form und Inhalt. Als in diesem Zusammenhang der Begriff "Anti-Film" gebraucht wurde, zeigte sich in sofern eine gewisse Verständnisschwierigkeit, als die heute Sechzehn- bis Zwanzigjährigen kaum mehr jene Filme kennen, aus denen einst der Begriff des "Filmischen" abgeleitet worden ist (es erwies sich als nötig, dass die Lehrer hier entsprechende Beispiele brachten). Daraus ergibt sich zweierlei: Einmal sind die Jugendlichen, weil unbeschwert von Tradition, sehr viel offener gegenüber der neuesten "Machart" von Filmen; zum anderen aber ist ihnen, gerade weil ihnen das Frühere unbekannt ist, der dialektische Stellenwert des Neuen nicht ohne weiteres ersichtlich, und dies involviert die Gefahr, dass das Neue nicht in seiner vollen Gewichtigkeit begriffen wird, weil das Überwunden-Widerständige nicht zugleich mitbegriffen ist. Nach Erhellung dieser Problematik fiel die Einsicht nicht mehr schwer, dass das Aufsprengen der geschlossenen Form nicht als beliebiges "modernistisches" Experimentieren mit der Form zu verharmlosen ist, sondern dass es sich dabei - durch konkrete gesellschaftliche Verhältnisse evoziert - letztlich um eine Absage an jedwede, wie auch immer kaschierte Ideologie der "heilen Welt" handelt. Bei dieser Gelegenheit kam es zu einer Kontroverse über die Frage, ob man bei Godard von einem V-Effekt im Sinne Brechts sprechen dürfe. Diejenigen, die im Begriffe sind, Brecht in Klassizität einzusargen, verneinten dies kategorisch (nicht ohne darauf hinzuweisen, dass Brecht in seinen Stücken keineswegs immer seiner Theorie folge). Die Gegenseite, davon ausgehend, dass Brecht (ähnlich wie s.Zt. Lessing) in seiner Theorie weit über seine eigene theatralische Praxis hinausgegangen sei, hielt dafür, dass Godard, an Brechts vorgeschobenstem Punkt anknüpfend, diesen konsequent weitergeführt habe. Konnte sich jedoch diese Auffassung weitgehend durchsetzen (Durchbrechung der Spiel-Illusion, Hinwendung des Schauspielers bzw. Regisseurs zum Publikum, Inserts etc. lassen sich nun einmal in der Tat kaum ohne Brecht denken), so kam andererseits hinsichtlich der Frage der Godardschen Kommentare keine Einigung zustande. Die eine Gruppe hielt sie für schlechterdings tautologisch, mithin überflüssig; eine andere glaubte gar, sie manipuliere die Meinung des Zuschauers, statt dass dieser sie - was eigentlich die beabsichtigte Wirkung des V-Effektes sein sollte - sich selber bilden müsse. Eine weitere (und Verf. gesteht, dass er sich dieser zurechnet) verwies darauf, dass Wort und Ton sehr oft keinerlei direkte Beziehung zueinander hätten, ohne dass sie jedoch - dies nämlich die Meinung einer vierten Gruppe! - völlig auseinanderbrächen; vielmehr stünden sie in einem Verhältnis des dialektischen Widerspruchs zueinander, der in der übergreifenden Einheit des Ganzen synthetisch aufgehoben werde, (Analogie: Alban Bergs "Wozzek"; statt psychologisierender Vertonung des Textes … la Strauss absolute musikalische Formen - Passacaglia etc. -, dennoch in sich gespannte Einheit).
An Godards Kommentaren entzündete sich anschliessend ein heftiges ideologiekritisches Streitgespräch, bei dem sich übrigens wiederum ganz neue Gruppierungen ergaben. Man glaubte (und wie Verf. meint, leider nicht ganz zu Unrecht), Godard die - bei allem "Engagement" - letztlich doch unverkennbare Unentschiedenheit seiner Position vorwerfen zu müssen. Als aufschlussreich erschien es, dass sich im Kommentar neben Marx- und Sartre-Zitaten, zumindest dem Sinn nach, auch solche fanden, die offenbar auf Heidegger oder gar die Strukturalisten zurückgehen (Das Fehlen eines gedruckten Drehbuchs erwies sich immer wieder als Handicap für die Diskussion). Das Einbringen des Vietnam-Motivs erschien etlichen eher als aufgesetzter "gag", als dass es wirklich als integraler Bestandteil dieser von Godard vorgezeigten Welt erkennbar würde. Und man meinte schliesslich, in der nur allzu berechtigten Kritik an den modernen Trabantenstädten doch auch einen Hauch von uneingestandener Sehnsucht nach der "guten, alten Zeit" herausspüren zu können - hellhörig gemacht durch Mitscherlichs "Die Unwirtlichkeit unserer Städte"; unumgänglich war dann in diesem Stadium der Diskussion der Rückverweis auf "Alphaville" mit seinem doch wohl etwas zu billigem Rezept "Liebe und Poesie" als Heilmittel gegen Technokratie.
Die Diskussion endete mit einem Fragezeichen. So wie auf eine Diskussionsleitung verzichtet worden war, so verzichtete man auf eine Zusammenfassung, gar auf ein "Ergebnis". Aber vielleicht weiss man jetzt doch zwei oder drei Dinge mehr - über Godard und über sich selbst, das Publikum.

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Heft 52 (4.9.-2.10.69)
Jörg Peter Feurich Django und der Lustgewinn - Emser Stimmen zur Gewalt
BUNNY.
Bunny ist auch als Langspielplatte erhältlich. Sie vermittelt den Zauber und den Duft der Welt der Mannequins und der Fotomodelle." Zur Rückenblösse trägt Bunny gesottenes Zartrosa aus der "Collection Charles Wilp" und entschreitet in blankes Pastellweiss der gleichen Herkunft. "Schönen Gütern und Dingen" zugedacht war unlängst auch des Wilpposters praktische Kehrseite. Kreationen rhetorischer Prosa machten den "Ästhetizisten" und "Cinéasten" einen vergnüglichen Garaus - in der Kalligraphie mittelschwerer Filzstifte einen Hauch Revolution.
RESOLUTION.
Anlässlich der Jahrestagung des Verbandes der Deutschen Filmclubs e.V. in Bad Ems '69 wurde eine Retrospektive des "Italo-Westerns" veranstaltet. Als Unterzeichner dieser Resolution stellen wir fest, dass darin keine Aufwertung oder Rehabilitierung dieses Genres gesehen werden kann. Wir wenden uns gegen eine unkritische Aufnahme dieser Filme beim Publikum und der Kritik.
Die weit überwiegende Zahl dieser Produktionen, die in ihrer Wirkung auf das Publikum äusserst präzis kalkuliert werden, ist gekennzeichnet durch:
> 1.) ahistorische, undialektische Darstellung, die das Bestehende als unveränderbar ausgibt,
> 2.) die negative, nicht veränderbare Typisierung von revolutionären Minderheiten, die dadurch diffamiert werden sollen.
> 3.) eine Anhäufung von Gewalttätigkeiten zum Lustgewinn.
Der "Italo-Western" mit seiner auffälligen Affinität zum faschistischen Film verhindert Aufklärung, schult den Zuschauer in der passiven Hinnahme von Gewalt und Zynismus, denen er auch im täglichen Leben begegnet. Der "Italo-Western" fordert vielmehr die Unmündigkeit eines sich seiner politischen Möglichkeiten nicht bewussten Menschen. - Er erreichte innerhalb der letzten vier Jahre zirka 60 Millionen Besucher.
In den Anführungszeichen wie mit spitzen Fingern angefasst, hing das Thema "Italo-Western" denn auch in der Folge fast nur noch zur kabarettistischen Bedienung aus und füllte unversehens eine eigens "zur Verfügung gestellte" mobile Wand. Einverstanden zeigte sich, neben zwanzig Resolutionären, glaubhaft "Django, Frankfurt, nebst Familie"; Modifikationswünsche wurden angemeldet: "Das sollte unter Hinweis auf dieses Publikum noch viel schärfer formuliert werden!" / "Scheisse! - John B. Bunsenbrenner." / "Ich bin für Lustgewinn¯ - Ich auch. - Ich bin gegen die Resolution."
Grund genug, die Gegenfraktion um einen geharnischten eigenen Text zu versammeln:
Gegen die onanistlsche Praxis der liberalen Cinescheisser:
Die liberalen Cinéscheisser, die in Resolutionen empörend sich auf geilen an der Gewalt auf der Leinwand, verschleiern damit die tatsächliche Gewalt der Produktions- und Herrschaftsverhältnisse dieser Gesellschaft. Durch selbstbefriedigende Verbalismen verdrängen sie ihren Mangel an politischer Praxis und erfüllen objektiv die Funktion eines verlängerten Arms der Produzenten, indem sie die Gewalt in der kapitalistischen Klassengesellschaft auf die Gewalt im Italo-Western reduzieren. Der Italo-Western schafft keine Gewalt, er bringt sie lediglich auf ihren Begriff, und zwar so, wie sie schon vorher im Bewusstsein der Produzenten und Konsumenten vorhanden war. _... Die Resolution impliziert, dass Aufklärung innerhalb der kapitalistischen Filmindustrie überhaupt möglich sei; sie verdrängt, dass sich die Kulturindustrie ihrer Manipulationsmechanismen so sicher sein kann, dass man im III. Fernsehprogramm zur Revolution aufrufen darf. Aufklärung muss darin bestehen, diese Verhältnisse zu zerschlagen. Kritik, die nicht zu Steinen wird, unterstützt das, was sie kritisiert.
Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht!
Gut cinéastisch im Zitat, unsicher im Was des Zerschlagens, verrät der Autor nicht, was Kritik zu Steinen macht; so wird zum schlechten Spektakel, was der Klärung eigentlich bedürftig war: ein praktikables politisches Verhältnis zum Ästhetikum Film. Überm rhetorisch dankbaren Adorno-Straub-Verschnitt (und obwohl ja nun auch Straubs brechtkundiger Film-Stein "Nicht versöhnt" ins Fernsehen darf) mochte sich auf den Italo-Western selber schon gar niemand mehr einlassen. So regierte Blindheit und zeugte theoretische Banalität, wie wahre immer:
"Filmverbände, die nicht die Produktions- und Distributionsverhältnisse der Gesellschaft bekämpfen, indem sie Filme fördern, die zu einer Praxis der Gegengewalt anleiten, unterstützen die Gewalt, die aus diesen Verhältnissen hervorgeht.
> Zerschlagt die Filmindustrie und ihre Verbandsklüngelei
Filme, die Gewalt kritisieren, ohne zu einer Praxis der Gegengewalt anzuleiten, unterstützen die Gewalt, die sie vorgeben zu kritisieren.
> Macht aus Produzenten gute Wurf-Studenten!
Kritiker, die Filme nicht kritisieren unter dem Gesichtspunkt ihrer Tauglichkeit als Anleitung zur Praxis, unterstützen die Gewalt, die sie vorgeben zu bekämpfen.
> Haut den Cinéasten einen auf den Kasten!
Filmtage, an denen weder die gezeigten Filme noch die geübte Kritik zu einer Praxis der Gegengewalt anleiten, partizipieren an der Gewalt, die ihre Veranstalter vorgeben nicht zu produzieren.
> Sprengt alle Cinéasten-Familientreffen!
Diese Kritik wurde sich selbst untreu, weil sie nicht in eine Praxis der Gegengewalt überging, die diese "Filmscheisse" hier gesprengt hätte.
> Klug ist nicht, wer keine Fehler macht, klug ist, wer seine Fehler rasch verbessert!!!
Auch untreue Resolutionen freilich werden nicht wieder abgehängt, wenn sie dem pseudotoleranten politischen Verbandsschlaf nicht einmal böse Träume machen, und so bleibt die Einsicht in manche Schludrigkeit: Resolutionen, die weder in ihren Thesen noch in den Aktionen ihrer Verfasser genau genug sind, zu einer Praxis der Gegengewalt anzuleiten, partizipieren am Jahrmarkt der Sprüche, den seine Veranstalter vorgeben zu sprengen.
"Hüten wir uns, den Menschen, die Ausschau halten nach einem Weg aus der Aussichtslosigkeit, aus dem Irrgarten, nichts anderes zu bieten als neue Verwirrungen. (A. Springer)" (Emser Din-A-4-Botschaft)
Der Chronist wendet sich der Resolution des Eingangs zu und wirbt für die mitverfasste, die er als mögliche Antwort auf die Emser Entrüstung"scheisse" abschliessend vermeldet:
"Wir wenden uns gegen die unkritische Empörung über die Leinwandbrutalität italienischer Western. Der isolierte und bloss moralische Protest spielt objektiv den herrschenden Zensurapparaten in die Hände, die unter der Ideologie der zu beschneidenden "Auswüchse" die Aufrechterhaltung kapitalistischer Produktionssysteme betreiben. Er fördert die staatliche Verschleierungspolitik gegenüber gesellschaftlicher Gewalt, die in Industrieprodukten wie dem Italowestern ihren zwangsläufigen Niederschlag findet. Er dient schliesslich zur Handhabe gegen Gesellschaftsanalysen, die - wie die Filme Godards oder Bunuels - in der Aufdeckung von Gewalt politische Aufklärung betreiben. Der Kampf gegen die Inhumanität des Italowesterns muss der Anfang einer Kritik der kapitalistischen Produktionsverhältnisse sein, die mit diesen wie anderen Filmen den Zuschauer zum willenlosen Objekt der politischen Manipulationen erniedrigen. Der Protest gegen den Italowestern kann deshalb nicht als Alibi für die Zensoren, sondern ausschliesslich als erster Schritt zur notwendigen Aufklärung einer breiten Öffentlichkeit über politisch-wirtschaftliche Zusammenhänge verstanden werden."
Paul Sauerlaender Abermals Ernst Moritz Engert
Es war der reine Zufall, dass wir ihn wiederum trafen, den in Yokohama geborenen und nun seit langem in Hadamar lebenden Meister der Scherenschnittes, Professor Ernst Moritz Engert. Das verwunschene Haus am Herzenberg ist unverändert, auch der eine Papagei lebt noch, er heisst Goethe.
Ende der zwanziger Jahre hatte Engert, er lebte damals noch in Berlin, endlich ein Gemälde verkauft und machte sich auf den Weg, das Honorar in Lebensmittel umzusetzen. Vier Kinder warteten auf eine nahrhafte Mahlzeit, Die Zeit verging. Endlich kam Engert in einem Taxi angefahren. Mit ihm stiegen zwanzig grosse Papageien aus, die er für das Honorar erstanden hatte. - Oft ging er in den Berliner Zoo um Vogelmiere für die Papageien zu sammeln. Mit einem grossen Buschen des nahrhaften Gewächses setzte er sich auf eine Bank und kaute an den Blättern: "Es schmeckte wie Frühling".
Eine Dame nahm neben ihm Platz und beobachtete ihn aufmerksam. - Dann drückte sie ihm fünf Mark in die Hand und meinte mitfühlend: "Sind Sie sehr bedürftig?". Das war Engerts erste Begegnung mit Olga Limburg.
Und Engert kommt ins Erzählen: Otto Gebühr hatte um 1938 auf der Bühne die Rolle des Striese im "Raub der Sabinerinnen" übernommen. Das Stück kam aber nicht über die Generalprobe hinaus, es wurde abgesetzt. Die "Tausendjährigen" erlaubten nicht, einen Volksstamm, hier die Sachsen, wegen ihres Dialektes lächerlich zu machen.
Das war in der Zeit, als der siebzigjährige Otto Gebühr die fünfundzwanzigjährige Doris Krüger heiratete. Nach der üblichen Frist konnte man einen kleinen Gebühr im Kinderwagen bewundern. Ein Irrtum war ausgeschlossen:
Das Kind ähnelte auffallend Friedrich dem Grossen.
Engert fertigte mit Schere und schwarzem Papier ein Portrait von Paul Wegener. Der grosse Mime erzählte schmunzelnd, seine geschiedenen Gattinnen hätten unlängst in Berlin ein Kaffeekränzchen gegründet und träfen sich regelmässig.
Einst besuchte ihn Rainer Maria Rilke. Engert wusste, dass Rilke keine Tiere mochte und sperrte seinen in Hausgemeinschaft lebenden Affen in der Toilette ein. - "Wie konnte ich ahnen, dass ein so ätherisches Wesen wie Rilke menschliche Eigenschaften hatte. Plötzlich ein riesiges Geschrei! Fürchterliches ahnend stürzte ich zu dem bewussten Ort und riss die Tür auf: Da thronte ganz menschlich mit heruntergelassenen Hosen der Dichter des "Cornet" entsetzlich schreiend, während der Affe im Genick sitzend, ihm wütend die Haare zerzauste."- Rilke hat Engert nie wieder besucht.
Der heute siebenundsiebzigjährige lächelt vor sich hin. - Seine Werke sind über die ganze Welt in über zweihundert Museen und Galerien verteilt. Nach einer Augenoperation kann er nun auch wieder Farben erkennen.
Als wir uns verabschieden liegt die Dämmerung über dem so romantisch verwahrlosten Garten. Der Meister gibt uns schmunzelnd einen soeben entstandenen doppelten Schüttelreim mit auf den Weg:

  Onassis fuhr nach Dorpat.
  Wisst ihr, wen er an Bord hat?
  Es war Brigitte Bardot,
  die sich ihm willig darbot.

Ewald Meyer's "Dolly" Lächelt für UFA
Weil sein Lächeln strahlend-heiter, darum hat es übernacht (das verwundert ja nicht weiter) Willy Fritsch berühmt gemacht. Dieses Lächeln, ach es blendet alle derart, dass man bald nicht mehr fragt, warum 's verschwendet, sondern nur noch, wem es galt. Partnerin mit Charme und Grazie meistens Lilian Harvey war; beide wurden prima facie so zum Standart-Liebespaar. Und sie lächeln unbedenklich. Doch was soo romantisch war, es erwies sich als vergänglich: alles, UFA, Reich und Star. Lächeln wirkt (auch panchromatisch) nur im Tonfilm unbeschränkt, weil man da nicht automatisch durch die Titel abgelenkt. Wer bezaubert seine Dame heute noch so permanent? Nein, man lächelt für Reklame und berühmt wird Pepsodent.
====
Willy Fritsch schreibt in seinen Erinnerungen (_... Das kommt nicht wieder 1963 Verlag Werner Classen, Zürich):
Sie (Die Ufa) sorgte für unsere Zukunft wie ein Vater. Wir waren eben eine Familie, bei der UFA, bei der TOBIS, bei der TERRA, bei der BAVARIA _... Extravaganzen von Stars, wie wir sie heute kennen, waren bei einer gesunden Filmwirtschaft, wie wir sie einst hatten, undenkbar gewesen _... Ja, das gab 's nur einmal, das kommt nicht wieder.

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Heft 53 (9.10.-6.11.69)
Dorothea Gebauer Das phantastische Erbe der Romantik im deutschen Stummfilm. I
Romantik, das ist die auf das Phantastische und Abenteuerliche gerichtete Geisteshaltung, im besonderen die Epoche der deutschen Geistesgeschichte von etwa 1800 bis 1850, die sich zugleich gegen die Aufklärung und die Klassik wandte. Die Natur Europas zu Anfang des 19. Jahrhunderts war noch nicht entgöttlicht in dem Sinn, wie wir sie heute entgöttlicht sehen. Abseitsliegende Täler, verträumte Dörfer und verfallene Schlösser hatten ihre Legenden, ihre Spukgeschichten, Kobolde und Elfen, ihre gespenstischen Mönche und Nonnen, die sich dem heidnischen Spuk sehr wohl gesellten, und zahllose Bräuche, die noch in ältester Kultur wurzelten, fristeten sich fort.
Der Romantiker sog diesen letzten romantischen Duft ein und gab weiter, was er noch entdecken konnte, bevor das aufkommende Industriezeitalter diese überlieferten Träume hinwegfegte. Prophetisch fühlte der Dichter eine Bangigkeit baldigen Vergehens und ein rasches Verschwinden mancher lebendiger Märchen, und er trauerte darum. Seine Lyrik nahm das Sterbende auf, und deshalb ist sie so schmerzlich, auch wenn sie jubeln will.
Die deutschen Romantiker entdeckten die Mächte im Unter- und Unbewussten: den Traum, die Ahnung, die Sehnsucht, das Magische, Zauberische und Gespenstische, den Magnetismus der Seele und die Geheimnisse der Mythen. Das Wesen des Unendlichen war zugleich höchste Individualität und unausmessbare Grenzenlosigkeit. Die Romantiker entdeckten das Poetische und organisch Eigentümliche der Vergangenheit, sie entwickelten eine einzigartige Übersetzungskunst, meisterhafte Leistungen der historischen Deutung und wurden so die Geburtshelfer der neueren Geschichts- und Geisteswissenschaften. Sie erschlossen darüber hinaus die Kunst des Mittelalters, die Volkspoesie in Liedern, Märchen, Sagen und Schwänken.
Wenn man sich näher mit dem Wesen der Romantik befasst, nimmt es nicht Wunder, dass diese Epoche eine so starke Anziehungskraft auf die Anfänge des deutschen Films ausübte. Film, die Spielerei der modernen Technik um die Jahrhundertwende, verlangte geradezu danach, die irreale Welt eines E.Th.A Hoffmann voller skurriler Spuk- und Nachtgestalten, das Magisch-Unheimliche in Achim von Arnim oder die Märchenwelt der Brüder Grimm nachzugestalten.
Ohne die Romantiker, die das "Nibelungenlied" für spätere Generationen wieder entdeckten, hätte Fritz Lang nicht seinen Siegfried, seine Kriemhild oder den wunderbaren Kampf mit dem Drachen und den berühmt gewordenen Zauberwald auf die Leinwand bannen können.
Die stimmungsvollen Landschaftsbilder in Friedrich Wilhelm Murnaus "Faust" erinnern an die Gemälde des Caspar David Friedrich, und Murnaus "Nosferatu - eine Symphonie des Grauens" ist schlechthin optische Wiedergabe mystisch-romantischer Vorstellungen.
Ernst Lubitsch lässt die Hauptdarsteller seiner "Puppe" nach Motiven von E.Th.A.Hoffmann in märchenhafter Weise aus einer Spielzeugschachtel purzeln; Paul Wegeners Märchenfilme wie "Rübezahls Hochzeit" oder "Der Rattenfänger von Hameln" sind ohne die Brüder Grimm undenkbar, die auch die Vorlage für Ludwig Bergers "Der verlorene Schuh" - das filmische Märchen vom Aschenputtel lieferten.
Fritz Langs wohl schönster Film, das poetische Märchen "Der müde Tod", ist Interpretation des romantischen Elements, die die Grenze zwischen Fabel und Wahrheit, zwischen Vergangenheit und Gegenwart aufhebt; es ist zugleich die Welt des Novalis, der in seinen Dichtungen Leben und Tod als eine Einheit sieht, den Menschen nur als Teilglied auf einer Stufenleiter, die nach oben und unten in ein Unendliches mündet.
Selbst Filme des Expressionismus wie "Das Kabinett des Dr. Caligari", "Genuine" oder "Orlacs Hände" wurzeln mit ihrer Handlung in der Gedankenwelt der Romantiker. Diese letzten Träume einer vergangenen Zeit, der den Deutschen eigene Hang zum Übersinnlichen, perfekt durch die Technik dargeboten, liessen den deutschen Stummfilm in seinen Spitzenerzeugnissen richtungsweisend für das Filmschaffen der Welt werden. In den modernen Spuks und Gruselfilmen der King Kongs, der Freaks, der Zombies, der Frankensteins und Draculas, der Mumien und Vampire und wie all diese Geschöpfe Hollywoods heissen mögen, verlieren sich letzte Spuren der deutschen Romantiker.
Es war der junge Reinhardt-Schauspieler Paul Wegener, der mit seinem "Student von Prag" im Jahre 1913, dem ersten Film, der als Kunstwerk angesehen wurde, die romantische Geisterwelt mit suggestiver Kraft auf die Leinwand zauberte, und damit beim Publikum tiefste seelische Empfindungen auslöste. "Der Student von Prag" geht zurück auf E.Th.A. Hoffmanns "Die Doppelgänger", deren Gestalten des Maler Haberland und des Deodatus Wegener für seinen Studenten Balduin entlehnt hat, während Scapinelli, ein faustischer Mephisto, Adalbert von Chamissos unheimlich teuflischen Unbekannten aus "Peter Schlemihls wundersame Geschichte" zum Vorbild hat. Chamissos Schlemihl stand auch Pate für Wegeners Film "Der verlorene Schatten".
Das mittelalterlich anmutende Prag, in dem Wegener seinen "Studenten" drehte, regte ihn zu einem zweiten Film an; "Der Golem", der im Jahre 1914 entstand und heute als verschollen gilt. Die Gestalt des Golem, der mittelalterlichen Legende entstammend, fand Eingang in die Literatur durch die Romantiker und veranlasste seitdem viele Gemüter in Deutschland, immer wieder geheimnisvoll-schauerliche Geschichten um diese Figur ranken zu lassen. In E.Th.A. Hoffmanns "Fragmente aus dem Leben eines Fantasten 'Die Irrungen' - 'Die Geheimnisse' " ist es der geheimnisvoll tuende Magier Irenäus Schnüspelpold, der sich eine imaginäre Gestalt zu erschaffen sucht. Annette von Droste-Hülshoff beschreibt in ihrem Gedicht "Die Golems"

  _... 's gibt eine Sage aus dem Orient
  Von Weisen, toter Scholle Formen gebend, 
  Geliebte Formen, die die Sehnsucht kennt, 
  Und mit dem Zauberworte sie belebend; 
  Der Golem wandelt mit bekanntem Schritte, 
  Er spricht, er lächelt mit bekanntem Hauch, 
  Allein es ist kein Strahl in seinem Aug',
  Es schlägt kein Herz in seines Busens Mitte. 
  Und wie sich alte Treu ihm unterjocht, 
  Er haucht sie an mit der Verwesung Schrecken, 
  Wie angstvoll die Erinnerung ruft und pocht, 
  Es ist in ihm kein Träumender zu wecken -; 
  Und tief gebrochen sieht die Treue schwinden, 
  Was sie so lang und heilig hat bewahrt, 
  Was jetzt nicht Lebens, nicht des Todes Uhr, 
  Nicht hier und nicht im Himmel ist zu finden. 
  
  O kniee still an deiner Toten Gruft,
  Dort magst du milde, fromme Tränen weinen, 
  Mit ihrem Odem säuselt dir die Luft, 
  Mit ihrem Antlitz wird der Mond dir scheinen. 
  Dein sind sie, dein, wie mit gebrochenen Augen, 
  Wie dein sie waren mit dem letzten Blick; 
  Doch fliehe, von den Golems flieh zurück, 
  Die deine Tränen nur wie Gletscher saugen." 

Der Golem der Hülshoff ist "ein wandernd Gebild ohne Blut." Ihre Auslegung kommt der Wegnerschen Interpretation des Golem sehr nahe, während in dem Roman von Gustav Meyrink der Golem die imaginäre Vision eines dem Wahnsinn verfallenen Gemmenschneiders ist. Achim von Arnim stellt in "Isabella von Ägypten" den Golem als eine Figur aus Lehm, die wie ein schönes Weib geformt ist, dar. Auf der Stirn, verborgen unter den schwarzen Locken, steht mit hebräischen Buchstaben das Wort "Wahrheit", und wenn man dieses auslöscht, fällt die Figur zusammen und wird wieder zu Lehm. Auch Komponisten haben den Golem-Stoff verarbeitet. So zeigte Eugen d'Albert 1926 seine Oper "Der Golem" und Abraham Ellstein brachte seine Oper "The Golem", zu der Sylvia Regan das Libretto schrieb. Berthold Auerbach, Theodor Storm und Max Brod mit seinem "Tycho Brahes Weg zu Gott" haben sich dieser Gestalt bemächtigt und sie auf ihre Art gedeutet wie auch Hugo Salus, Israel Zangwill und Rudolf Lothar.
Julien Duvivier erweckte mit Harry Baur in der Hauptrolle den Golem als Tonfilm 1957 zu neuem Leben. Der Tscheche Martin Fric schuf mit "Des Kaisers Becker" (1951) eine humoristisch - ironische Komödie um den Habsburger Kaiser Rudolf II.
Fortsetzung folgt
Aus: Film-Blätter Staatliches Filmarchiv der Deutschen Demokratischen Republik. Nr.54 Homunculus
1. Teil: Die Geburt des Homunculus
2. Teil: Das geheimnisvolle Buch des Homunculus
3. Teil: Die Liebeskomodie des Homunculus
> 4. Teil: Die Rache des Homunculus
5. Teil: Die Vernichtung der Menschheit
6. Teil: Das Ende des Homunculus
Der Film, der hier besprochen werden soll, ist der 4. Teil einer Serie, die aus insgesamt sechs Teilen bestand. Leider ist nur dieser eine Film erhalten geblieben, man darf jedoch mit Sicherheit annehmen, dass er in seiner inhaltlichen und formalen Gestaltung als Teil für das Ganze steht, dass in ihm die gleichen Probleme anklingen, die das gesamte Filmwerk bestimmen. Um den vorliegenden Streifen zu verstehen, muss man folgendes wissen:
Homunculus ist ein künstlicher Mensch, das Produkt chemischer Versuche eines berühmten Professors. Aber dieser "Maschinenmensch" wird seines Lebens nicht froh. Da er nicht das Ergebnis der Liebe zweier Menschen ist, bleibt ihm auch jede Liebe fremd und unverständlich. Er ist ein Fremder, ein Einsamer, selbst wenn niemand etwas von seiner Herkunft weiss. Das ist die Ursache, weshalb Homunculus seine Umwelt zu hassen beginnt und nach vielen Enttäuschungen beschliesst, die gesamte Menschheit zu vernichten.
Als der Film 1916 Premiere hatte, bekam er Überschwängliche Kritiken: "Dieses Werk steht am Tore einer neuen Zeit der Lichtspielkunst" _... "Was wir laut verkünden wollen und mit grosser Freude und innerer Genugtuung festzustellen haben, ist das eine: hier ist die so lange bestrittene, befehdete, für unmöglich gehaltene Kunst im Film." _... "Olaf Fönss in dieser Rolle ist eine Offenbarung und bedeutet nicht weniger wie Josef Kainz als Hamlet oder Moissi."
Heute, nach über fünfzig Jahren, fällt es schwer, die Begeisterung zu verstehen, mit der die Homunculus-Serie damals aufgenommen wurde. Es ist unbedingt notwendig, die Zeit ihrer Entstehung in die Betrachtung einzubeziehen. 1916 war die Kriegsbegeisterung längst von erbarmungslosen Stellungskrieg, von den Todesanzeigen in den Zeitungen, den Schlangen vor den Brotläden, von den endlosen Arbeitstagen in den Munitionsfabriken abgelöst worden. Die Bevölkerung sah keinen Ausweg. Statt einer gesellschaftlichen Umwälzung boten sich noch immer pazifistische Ideen aller Art als trügerischer Ausweg an. Die Mission des Sven Fredland im Homunculus-Film entspricht diesen vagen Vorstellungen und Hoffnungen. (Zwischentitel: "Immer furchtbarer wird der Zwiespalt der Welt, Hilf mir, die Menschen in Liebe zu vereinen !") Der Film versucht also, Probleme der Zeit aufzugreifen. Allerdings verknüpfte er sie mit einer sentimentalen Liebesgeschichte, brachte sie in Form eines Reissers, konnte letzten Endes keine echte Lösung finden. Diese Lösung, eben der revolutionäre Aufstand, wird vielmehr als eine Variante des Bösen klassifiziert, als Verführung des Pöbels von einem hasszerfressenen Menschenfeind. Der Pöbel jubelt dem zu, der an seine Instinkte appeliert. (Homunculus: "Menschen sind wahrhaftig nicht mehr wert, als dass man sie am Narrenseile führt!")
Innerhalb der deutschen Filmgeschichte steht "Die Rache des Homunculus" zwischen zwei Komplexen: Ihm voraus gingen die Wegener-Filme, ihm folgten die "Tyrannenfilme" (Kracauer) der beginnenden zwanziger Jahrse. Ihre Kennzeichen waren vor allem: eine verzerrte Widerspieglung der Zeit und eine Dämonisierung der Macht. Ebenso wie der Golem ist Homunculus ein künstlicher Mensch. Er ist sich jedoch seiner abnormen Existenz bewusst, und wird gerade deshalb zum Rebellen, zum Tyrannen. Seine Handlungsweise wird psychologisch erklärt, die Ursache seiner Tyrannei wird während des Films immer wieder blossgelegt. Homunculus' Ende ist symptomatisch: Nachdem es ihm gelungen war, die Menschheit in einen Weltkrieg zu hetzen, wird er von einem Blitzstrahl getroffen und vernichtet _... Das Schicksal, die ewige Gerechtigkeit hat das Urteil gesprochen.
Neben den Theatergesten der Schauspieler eine erstaunlich "moderne" Photographie, grossartige Hell-Dunkel-Kompositionen. Der Film kann durchaus als ein interessanter Vorläufer des expressionistischen Films bezeichnet werden.
====
Hanns Heinz Ewers,
Der Autor der Paul Wegener Filme "Der Student von Prag" "Alraune" und "Fundvogel" schrieb 1912:
"Thomas Alva Edison hasse ich gründlich, weil wir ihm die scheusslichste aller Erfindungen verdanken: Den Phonograph! - aber ich liebe ihn doch: er machte alles wieder gut, als er der nüchternen Welt die Phantasie wiedergab - im Kino!"

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Heft 54 (13.11.-18.12.69)
Wolfgang Huld Amerikanische Impressionen
In New York, wo alles zahlreicher ist als woanders und alles zehnmal so gross, gibt es einen Ort, der jeden Kunstliebhaber das Herz höher schlagen lässt: das Lincoln Center der Darstellenden Künste. Steht man an seinem verspielten Springbrunnen, so erblickt man vor sich die Met, rechts die Philharmonic Hall, links das New York State Theater und das Vivian Beaumont Theater. Geht man weiter an Plastiken von Moore und Calder vorbei, betritt man Library und Museum of the Performing Arts.
Dieses Gebäude beherbergt die dauerhaften Bestandteile eines flüchtigen Opernabends oder einer Ballettaufführung: Textbücher, Partituren, Schallplatten, Entwürfe für Bühnenbilder, Figurinen und ähnliches, was des Aufhebens wert erscheint. Eine Ausstellung vermittelt einen lebendigen Einblick in die Arbeit an der Met: Vor einer Miniaturbühne wird mit Film und Tonband die Einstudierung von "La Traviata" demonstriert. Man staunt über die mühevolle Kleinarbeit, bis sich der winzige Vorhang zur Premiere hebt.
Neben dieser hohen Kunst erscheint auch die Filmkunst gleichberechtigt, und Film-Fans dürfen hier eine kleine Überraschung erwarten: In der hohen Eingangshalle ist eine Art Schaubude aufgeschlagen, in der ständig bis zu drei Stummfilmen gleichzeitig nebeneinander gezeigt werden. Es ist Platz für etwa zwei Dutzend Besucher, die stehen oder sich auf eine der drei Stufen setzen können, aus denen der Zuschauerraum besteht. Auf den drei dicht nebeneinander liegenden Leinwänden, die nicht viel grösser sind als ein Fernsehschirm, werden von der Rückseite Klassiker der Filmkunst projiziert. Ich sah von Mack Senett, (Mickall Sinnott) einem der ersten Filmproduzenten zahlloser Kurzkomödien gleichzeitig Filme mit Mabel Normand, Ford Sterling, Mack Swain, Roscoe Arbuckle (Fatty) und einem jungen Engländer Charles Chaplin. Dazu vom Tonband die passende Begleitmusik.
Dieses auch von den avantgardistischen Filmemachern propagierte Nebeneinanderprojizieren verschiedener Filme hat unbestreitbare Vorteile: Die Handlung solcher Filme ist einfach genug, dass man auch mehrere gleichzeitig verfolgen kann. So fällt es leicht, verweilt die Kamera bei dem einen zu lange bei einer langweiligen Kussszene, die Aufmerksamkeit solange auf die handfeste Keilerei daneben zu richten.
In New York, wo neben dem Museum of Modern Art mit seiner weltberühmten Film-Library auch andere Institutionen täglich Stumm- und Tonfilme zeigen, wo allein in der 42. Strasse innerhalb eines halben Kilometers mehr Lichtspieltheater zusammengedrängt sind als es in Frankfurt gibt (und ein guter Teil bringt nur Welturaufführungen, wenn auch vorwiegend aus Hollywood) in einer solchen Stadt muss man sich schon etwas einfallen lassen, will man das Publikum ansprechen und ihm die Filmgeschichte schmackhaft machen.
Herbert Birett Die gezeichneten Filme des Emile Reynaud
Charles Emile Reynaud wurde am 8. Dezember 1844 geboren und wuchs in Le Puy, einem kleinen Städtchen in der Auvergne, auf, wo sein Vater Graveur und Uhrmacher war. Er lernte feinmechanische und optische Instrumente herzustellen. Zusätzlich erhielt er eine Ausbildung in Fotografie und Retusche. 1877 eröffnete Reynaud in Paris in der Rue Poissionère ein Atelier für wissenschaftliche Photografie und Stereoskopie. Als es ihm zunächst an Aufträgen mangelte, begann er das Pflanzenlexikon von Focillon zu illustrieren. Nebenbei versuchte Reynaud sich weiterzubilden und besuchte die wissenschaftlichen Vorträge des Abbé Moigno, der ihn als Mitarbeiter beim Projizieren hinzuzog. Später ging Reynaud nach Le Puy zurück und veranstaltete dort selber erfolgreiche Vortragsfolgen, für die er den Titel "professeur" verliehen erhielt. Für diese Vorträge erfand er das Praxinoskop (1877).
Im Jahre darauf gab er in Le Puy alles auf, um seine Erfindung in Paris auf der Weltausstellung zu zeigen. Am 1.12.1888 erhielt er schliesslich auf sein "Theatre optique" das Patent Nr. 194 482.
Um eine Bewegungsillusion zu erzeugen, benutzt Reynaud in seinem Praxinoskop den sogenannten optischen Ausgleich. In der Mitte einer flachen Trommel befindet sich ein Spiegelprisma, das die gezeichneten Bilder eines Papierstreifens von der Innenseite der Trommel reflektiert.
Im "Theatre Optique" verbindet Reynaud das Praxinoskop mit der Laterna magica. Anstelle der kurzen Papierstreifen tritt ein mehrere hundert Meter langes Filmband, auf das die Bewegungsphasen gezeichnet sind. Es ist in der Mitte perforiert, um einen exakten Transport zu sichern. Die Landschaft oder sonstige feststehende Bildteile werden mittels eines zweiten Projektors projiziert.
Gabriel Thomas, Leiter des Musée Grevin, war sehr an dieser Erfindung interessiert, denn in seinem Museum wurde das Fantastische und Bizarre zu Schau gestellt. - 1892 schloss er einen Vertrag, der Reynaud verpflichtete dort sein "Cabinet fantastique" einzurichten und zu betreiben, Reynaud begann mit drei Zeichentrickfilmen:
"Le bon Bock", "Le Clown et ses Chiens" und die 'pantomime lumineuse': "Le pauvre Pierrot". Als eigener Produzent, Zeichner und Vorführer fand er keine Zeit, zunächst weitere Filme herzustellen. Das Publikum und Thomas verlangten neue Filme, Reynaud engagierte deshalb auf eigene Kosten einen Operateur für die Vorführungen. In den folgenden Jahren entstanden "Un rêve au coin du feu" und "Autour d' une cabine" (der in Ausschnitten noch erhalten ist).
1895 war für Reynaud das erfolgreichste Jahr. Doch bald begann er die Konkurrenz des fotografierten Films zu spüren (Lumière, Méliès). Er konnte aber nicht über seinen Schatten springen und sich umstellen, da er die Fotografie, als im Grunde unkünstlerisch, für den Film ablehnte. Eine gewisse Konzession machte er im "Guillaume Tell", den er mit den Komikern Footitt im Atelier Liébert verfilmte. Er übertrug dann aber alle fotografierten Bewegungsphasen mit der Hand auf das Filmband, um so eine naturgetreue Bewegungsillusion zu erzeugen. Trotz einigen weiteren Zugeständnissen an den fotografierten Film musste er schliesslich aus wirtschaftlichen Gründen 1900 seine Vorstellungen beenden. Dies nach 12 800 Vorstellungen mit einer Besucherzahl von etwa 500 000.
In den folgenden Jahren arbeitete er bei Gaumont, dann bei einem Phonographengeschäft und als Sekretär eines Architekten. In einem Anfall von Schwermut vernichtete er alle Filme, wenige Tage bevor ein Vertreter von Gaumont zu ihm kam, um ihm die Filme abzukaufen. Er starb am 9. Januar 1918 in Ivry.
Reynauds Bedeutung liegt vor allem darin, dass er als erster eigentliche Filmvorführungen veranstaltete. Alle Merkmale dafür sind vorhanden: Projektion von einem perforierten Filmband auf eine Leinwand, Begleitmusik und zahlendes Publikum. Zwar wird kein fotografiertes Bild projiziert, aber der Zeichentrickfilm gehört ja schliesslich auch zum "Film". - Die Filme sind alle kleine Spielfilme von etwa 15 Minuten Länge, deren Themen meist den Inhalten der Varieté-Stücke der Zeit entliehen sind. Während in den fotografierten Filmen zuerst die Aktualitäten vorherrschten, gewinnt der Spielfilm erst um 1897/98 an Boden - übrigens mit formal zum Teil ganz ähnlichen Inhalten. Auch die Länge der Reynaud'schen Streifen erreicht der "Film" erst viel später wieder, so um die Jahrhundertwende.
Wahrscheinlich hat Edison auf der Weltausstellung 1878 die Anregung zum Bau des Kinetoskops gewonnen, als er die Praxinoskop-Projektion Reynauds besuchte. Er verzichtete zwar aus kommerziellen Gründen auf die Projektion, übernahm aber die Eigenheit, den Film mit Musik zu begleiten. Reynaud, der seine Projektionen als Kunst auffasste, liess zu seinen Filmen von Gaston Paulin jeweils eine eigene Musik komponieren. Die Idee der Begleitmusik fand in den Kinos schnell Verbreitung, wenn auch eine eigene Filmmusik erst wieder viele Jahre später (etwa 1908 in der Film d'Art-Bewegung) komponiert wurde.
Um dieselbe Zeit erst wird auch der Zeichentrickfilm wieder entdeckt (Cohl). - Emile Reynaud ist im allgemeinen Bewusstsein vergessen, und auch heute weiss kaum jemand, dass er ein Spielzeug erfunden hat, das in den letzten Jahren wieder öfters zu sehen war: das Praxinoskop.
Dorothea Gebauer Das phantastische Erbe der Romantik im deutschen Stummfilm. II Zurück
Das historische Golem-Thema, die Errettung der Juden durch den Golem, wurde bei Fric abgewandelt zu einem Aufruf an das Volk, sich gegen die kaiserliche Macht aufzulehnen.
Der Golem, das ist das erträumte aus toter Materie belebte Wesen des Mittelalters, der lebendig gewordene Roboter der Neuzeit. Golem ist ein in Psalm 139, Vers l6 (Deine Augen sahen mich, da ich noch unbereitet war) vorkommendes Wort nicht völlig geklärter Bedeutung, das jedoch wahrscheinlich entsprechend dem Aramäischen, der Sprache in der Jesu gelehrt haben soll, "formlose Masse" bezeichnet und zumeist als "Embryo" gedeutet wird. Später wurde unter "Golem" ein künstlich geschaffener, also nicht natürlich gezeugter Mensch verstanden. Es bildeten sich im Anschluss an die Überlieferung von der Erschaffung Adams mannigfache Sagen. Die Vorstellung von lebenden Statuen, sich bewegenden, redenden oder beseelten Standbildern und Kunstwerken lässt sich in vielen Zeiten und bei den verschiedensten Völkern nachweisen. Bei den Ägyptern, Babyloniern, man denke an die Tiere am Throne Salomos, bei den Griechen (die Automaten des Hephäst und Dädalus, sich bewegende Götterbilder; ferner Statuen die vom Sockel herabsteigen und Verbrecher bestrafen) und Römern, in der Virgilsage des Mittelalters, in Legenden von Papst Silvester II. (redende Köpfe) sowie in den Marienlegenden, im steinernen Gast der Don Juan-Geschichte, im Homunculus, der Alraune findet sich dieses Motiv wieder.
Viele Schriftsteller haben sich bemüht, die Ursprünge der Golem-Sage nachzuweisen: Konrad Müller, der 1918 in den "Mitteilungen der Schlesischen Gesellschaft für Volkskunde" einen interessanten Aufsatz über "Die Golem-Sage und die Sage der lebenden Statue" veröffentlichte;
B. Rosenfeld schrieb 1934 eine Abhandlung über "Die Golem-Sage und ihre Verwertung in der deutschen Literatur" und H. Leivick nennt sein neuestes Werk über die Geschichte der Golems "Plays of redemption: The Golem's Dream 'Fetters of the Messiah' ". Ernest Prodolliet veröffentlichte in Zürich "Der Golem - ein Beitrag zur vergleichenden Filmgeschichte". Die eigentliche Golem-Sage aber knüpft an die Gestalt des Hohen Rabbi Löw an, des Löwen Juda ben Bezalel, der im jüdischen Schrifttum der "Maharal von Prag" genannt wird. Er starb 1609 in Prag, wo er seit 1573 Rabbiner und religiöses Oberhaupt war. Es ist ein ergreifendes Erlebnis, auf dem alten Prager Judenfriedhof vor seinem Grabmal zu stehen, das eines der architektonisch berühmtesten dieses Friedhofes ist. Der Grabstein zählt fünfzehn von ihm veröffentliche Werke, neben Hinweisen auf sein gottesfürchtiges Wesen, auf. Der Hohe Rabbi Löw genoss den Ruf eines Wundertäters, und im Volk entstanden Legenden, in denen ihm übernatürliche Kräfte zugesprochen wurden. So soll er einen Golem, einen Homunculus aus Lehm geschaffen haben, dem er vermittels eines Amuletts, einer Kamea, Lebensodem einhauchte. Er hatte 1592 eine Audienz bei dem Habsburger Kaiser Rudolf II., über die in der Geschichte aber nichts Näheres bekannt geworden ist.
Und diese Audienz stellt Paul Wegener in den Mittelpunkt seiner zweiten Golem-Verfilmung aus dem Jahre 1920. In beiden Filmen räumt Wegener der Menschwerdung seines Golem den wichtigsten Platz ein. War es in seiner ersten Golem-Verfilmung 1914 noch die tönerne Figur, die Arbeiter bei Ausschachtungsarbeiten an der Altneusynagoge finden und einem jüdischen Händler bringen der sie zum Leben erweckt und sie zum Hüter seiner widerspenstigen Tochter bestimmt, die eine verbotene Liebesbeziehung unterhält, so ist der zweite Golem das Werkzeug zur Befreiung der unterdrückten Ghettobevölkerung. In Wegeners erstem Golem soll der Liebesbeziehung des Lehmgeschöpfes zu der Tochter seines Herren der Hauptteil des Films eingeräumt sein (der verliebte Golem verfolgt das Mädchen in rasender Eifersucht auf einen Turm, wo es dem Mädchen gelingt, ihn in die Tiefe zu stürzen), während im zweiten Golem diese Liebe nur angedeutet wird. Ergreifend und von trauriger Schönheit ist die Szene, in der Wegener in der Gestalt des Golem die aufkeimende menschliche Liebe ahnen lässt. Seine Lehmpranke versucht zärtlich einen Mädchenkopf zu berühren. Die Reaktion des entsetzt fliehenden Mädchens hinterlässt auf seinem Gesicht das schmerzliche Erstaunen und Erkennen des "ach so ist das _..."
In Biografien über Wegener heisst es, er habe selbst die Handlung seiner Golem-Filme erfunden. Die Filmgeschichte behauptet, dass sie auf Gustav Meyrinks Roman "Der Golem" zurückginge. Beides ist nicht richtig! Die alte Golem-Sage wird bei Meyrink in einem Tischgespräch flüchtig erwähnt, während seine Golem-Gestalt nicht das geringste mit Wegeners Interpretation gemein hat. Wegeners erster Golem hatte schon das Licht der Welt erblickt, als Meyrinks Roman, der im Gegensatz zu der Wegenerschen Auffassung antisemitisch angelegt ist, noch gar nicht erschienen war. Richtig ist vielmehr, dass Wegener seinen Golem der ihm in jungen Jahren so eng verbundenen Romantik entlehnte.
Durch Jakob Grimm wurden die Romantiker auf Johann Jakob Schudt (1664-1722, christlicher Orientalist, seit 1717 Rektor des Gymnasiums in Frankfurt a.M.) aufmerksam. Er hatte in seinem 1717 erschienenen Werk "Jüdische Merckwürdigkeiten - Was sich Curieuses und Denckwürdiges in den neueren Zeiten bey einigen Jahrhunderten mit denen in alle IV. Theile der Welt, sonderlich durch Teutschland zerstreuten Juden zugetragen" eine Fülle von Stoff über das Judentum und seine Einrichtungen zusammengetragen hat, ohne aber das Material zu sichten oder kritisch zu beurteilen, wodurch er antisemitische Regungen nur noch vertiefte anstatt sie zu entkräften. Schudt gibt in diesem fünfbändigen Werk eine fast wie ein komplettes Drehbuch zu Wegeners Film anmutende Geschichte von der Herstellung von Hausgeistern aus Ton in jüdischen Familien. Insbesondere in Polen, was vermutlich auf Gaon Elia Wilna zurückgeht, dem man gleich dem Hohen Rabbi Löw magische Kräfte zuschrieb. Schudts anfangs kleiner Knecht von einem Zoll Länge wuchs von Tag zu Tag bis zur Mannesgrösse. Wenn man vergass, ihn am 40. Tag wieder zu zerstören, gewann der erst so friedliche Geselle dämonische zerstörende Gewalt. Bei Wegener heisst es:
"Hast Du durch Zauberwort Totes zum Leben erwecket, sei auf der Hut vor Deinem Geschöpf, tritt der Uranus ins Planetenhaus, fordert Astaroth sein Werkzeug zurück. - Dann spottet der tote Koloss seines Meisters und sinnet auf Rache und Zerstörung, wird Ränke schmieden und Zerstörung um sich verbreiten."
Der eifersüchtige Famulus in Wegeners "Golem", (es wird nachfolgend von der zweiten Verfilmung gesprochen) von Ernst Deutsch dargestellt, beschwört das Unheil herauf, als er die vom Rabbi Löw zur Zerstörung bestimmte Lehmfigur aufs neue zum Leben erweckt. Jetzt gehorcht sie nur noch ihren eigenen Trieben, eine bösartige Kreatur, die Entsetzen und Zerstörung um sich verbreitet, die nur durch die Unschuld eines Kindes besiegt werden kann.
Und dieses Kind, das dem Unhold im Spiel das Zauberwort entreisst, sühnt die Verwegenheit der Menschen und führt sie einer besseren, geistig höheren Zukunft entgegen. Dies ist der hohe philosophische und ethische Gedanke, den Wegener seinem "Golem" unterlegt hat. Den Juden von Prag wird das Ghetto durch die teuflische Kraft des tönernen Ungetüms erschlossen, den ihr Ältester durch Kabbalazauber geschaffen hat, um sich und seinen Glaubensgenossen einen wirksamen Schutz zu verleihen. Der Golem vollbringt seine Aufgabe, wird aber dann zum Verhängnis, durch einen Zufall, durch menschliche Kurzsichtigkeit und Liebestorheit. Indem aber das Ungeheuer zum Verderber der Juden wird, erlöst es sie.
Hiermit hat Wegener im Filmspiel den Beweis erbracht, dass das Böse eigens in die Welt gesetzt worden ist, um Gutes zu gebären, und dass deshalb der Mensch nie an sich und seinem besseren Geschick zweifeln soll.
Wegeners "Golem" wird heute zu den berühmtesten Filmen der Welt gezählt. Wegen seines Dekors, das Wegeners Freund Professor Hans Poelzig als Märchenstadt zu einem mystischen Märchen geschaffen hat, ordnet man den "Golem" in die Reihe der expressionistischen Filme ein. Wegener hat sich hiergegen stets gewehrt. Die scharfen Heil-Dunkel-Kontraste, die verzerrten Linien des Expressionismus, sie sind im "Golem" nicht enthalten. Wegener malt mit dem Licht liebevoll auf der Leinwand, um Märchenstimmung zu erzeugen. Poelzig dagegen gibt die Vision des Ghettos wieder. Wegener benutzt das Bild, die Darstellungskraft seiner Schauspieler.
Fortsetzung folgt

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Heft 55 (8.1.-5.2.70)
Paul Sauerlaender Leipzig ist eine Reise wert
"Filme der Welt - für den Frieden der Welt", zwei weitleuchtende Spruchbänder überspannen die Peterstrasse über der Filmbühne Capitol, dem Festspieltheater der XII. Internationalen Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche für Kino und Fernsehen. 74 Fahnen flattern im Herbstwind, ein Breughelscher Himmel spannt sich über der alten Messestadt. - Auf dem Wege zum "Capitol" kommen wir durch die Hainstrasse an der "Adler-Apotheke" in Nr.9 vorbei. Im Schaufenster verkündet ein Schild: "Hier war Theodor Fontane 1841 u. 1842 als Apotheker tätig". - Schön sind die historischen Bauten renoviert. Resedagrün und Schönbrunngelb leuchten die Fassaden. Wir überqueren den Marktplatz mit dem alten Rathaus und sind am Ziel.
Vom 15.-22. November werden wir die Möglichkeit haben, insgesamt 168 Filme aus 39 Ländern zu sehen. Im Wettbewerb sind 31 Länder mit 77 Kinofilmen und 34 Fernsehfilmen vertreten. Zum Präsidenten der Internationalen Jury wurde der DDR Filmregisseur Günter Nerlich berufen.
Die Wettbewerbveranstaltungen für Kinofilm sind jeweils für 17.30 und 20.30 angesetzt. Zu anderen Zeiten der Wettbewerb der Fernsehfilme, die über zahlreiche Geräte in geräumigen Kabinen ausgestrahlt werden. - Hinzu kommt noch im Festivalkino "Casino", nur ein paar Schritte vom "Capitol" durchs "Preussengässchen" entfernt, die Retrospektive "Dokumentarfilm und Fernsehspublizistik in der Deutschen Demokratischen Republik." Sie wurde vom Staatlichen Filmarchiv der DDR zusammengestellt. In 7 Veranstaltungen zeigte man die Entwicklung des Dokumentarfilms in der DDR seit 1945.
Andrew Thorndike erinnerte in seiner Ansprache an die grossen Vorbilder und Ratgeber: Dsiga Wertow, Alberto Cavalcanti und Joris Ivens.
In einer Sonderveranstaltung zu Lenins 100. Geburtstag waren der bekannte Film von Dsiga Wertow "Drei Lieder über Lenin" und "Lebendiger Lenin", ein von Michael Romm aus Originalaufnahmen zusammengestellter Dokumentarfilm zu sehen. Bei diesem sei das technisch vorzüglich verarbeitete Originalmaterial besonders erwähnt :
Umspielung auf 24 Bilder, sowie das Herausvergrössern aus Total- und Nahaufnahmen.
Aus der Bundesrepublik sah man interessante Arbeiten. Im Wettbewerb den Beitrag "Soldaten" und in Informationsvorführungen von Kinofilmen "Fünf Finger sind eine Faust", "Betriebsausflug" und "Vertrauende Liebe - glühender Hass", ein Film über Kolportageromanhefte und deren Autoren.
Pressekonferenzen füllten mittags und spät abends, nicht selten bis fast zum Morgengrauen, die Stunden zwischen den Filmvorführungen. Alberto Cavalcanti, der bekannte brasilianische Regisseur, erklärte: "Für den Dokumentaristen unserer Zeit gilt, neue Ideen und neue Methoden zu finden, die am besten die Probleme einer sich schnell verändernden Welt ausdrücken können."
Auch traf man sich zur späten Stunde oft in "Auerbachs Keller" zu angeregtem Gespräch. Bevor man die breiten Stufen hinabsteigt, kommt man an der lebensgrossen Bronzegruppe "Faust und Mephisto" vorbei: Faust, ein alter nachdenklicher Mann, müden Geschlechtes, die geäderte Hand auf den Falten des Mantels. - Mephisto, mit engem Wams und weitausholender Theatergebärde zur Tragödie verlockend.
Die Jury hatte es nicht leicht aus der Vielzahl des Gebotenen das Beste auszuzeichnen. Sie tat ihr Bestes und der Applaus bei der Preisverteilung gab ihren Entscheidungen durchaus recht. "Goldene Tauben" für Kinofilm wurden u.a. verteilt:
"Die Sprache der Tiere" UdSSR, Regie: F. Sobolew. Am Beispiel von Vögeln, Affen, Fischen und Bienen wird in populärwissenschaftlicher Weise demonstriert, wie sich Tiere untereinander verständigen.
"79 Lenze" Republik Kuba, Regie: Santiago Alvarez. In den 79 Jahren des Staatsmannes und Dichters Ho Chi Minh spiegelt sich der langwährende Kampf des vietnamesischen Volkes wider.
Der Film aus Japan "Vietnam", Regie: Yamamoto, Masuda und Keizumi erhielt eine "Silberne Taube". Auch dieser Film behandelt den Kampf des vietnamesischen Volkes. Er zeigt das Leid, das jeder Krieg besonders über Frauen und Kinder bringt.
Im Wettbewerb der Fernsehfilme ist besonders der mit einer "Goldenen Taube" ausgezeichnete Film "Warum der Schnee weiss ist", UdSSR, zu erwähnen. Dem Regisseur E. Likina gelingt es, teilweise mit verdeckter Kamera aufgenommen, eine hervorragende Reportage über eine weitabgelegene sibirische Dorfschule am Jenissei zu geben,
Der Sonderpreis der Jury wurde Roman Karmen, UdSSR, für "Towarisch Berlin" zuerkannt. Der Film, dem 20. Jahrestag der DDR gewidmet, zeigt die Geschichte der Stadt nach dem Kriege. In den Farbfilm sind schwarz-weiss Aufnahmen des letzten Krieges und der ersten Zeit danach eingeschnitten. Das Nebeneinander von Farbe und schwarz-weiss in einem Film war übrigens in diesem Jahr oft zu sehen. Es wirkte keineswegs störend, sondern es differenzierte.
Noch manch weiterer Preis wurde verliehen. Die internationale Jury beschloss mit Stimmenmehrheit, keine "ehrenden Anerkennungen" auszusprechen. Die Dokwoche zählte in diesem Jahr 1069 Teilnehmer aus 50 Ländern und West-Berlin,
Als wir die gastfreundliche Stadt verlassen, wird auf dem Platz vor dem Rathaus der Weihnachtsmarkt aufgebaut. Es riecht nach frischgeschlagenen Tannen. Auf einer kleinen Krippe aus dem Erzgebirge lesen wir: "Frieden auf Erden". - Leipzig war eine Reise wert.
Es scheint, dass sich mit der Zeit die Grenzen zwischen Dokumentär- und Spielfilm immer mehr verwischen. (Nicole Le Garrec)
Horst Donatus Wenn Polanski kommt
Oft frage ich mich, wenn ich die Programme unserer Lichtspielhäuser studiere, warum gehen die Leute in 's Kino? Haben sie wirklich nichts besseres zu tun, als sich in Kinosesseln herumzudrücken und dann auch noch diese Filme anzusehen?
Nun, ich glaube, sie sehen sich Filme an aus Langweile um sich langweilen zu lassen, um sich trotz ihrer schon bedenklichen Aggressionen noch herausfordern zu lassen; um auf Verheissenes zu warten (worauf sie allerdings lange warten können); oder, weil sie es diesmal nötig haben, einem Woody Wodpeker beim Lachen zu helfen.
Ihre Beweggründe, lieber Leser, ein Kino aufzusuchen, sind natürlich andere. Ihre Motive, lieber Leser, sind edlere (unter anderen).
A-propos unter anderen: Verspüren Sie nach derartigen Erlebnissen nicht oft ein Fahrstuhlgefühl, das Ihre Schritte in den nächsten Bistro lenkt; oder ein Bildzeitungsgefühl, das Sie nach einem Opfer Ausschau halten lässt, wenn Sie eine Zigarette rauchen, die Sie schon während des Gedränges an den Ausgängen in den Mundwinkel schoben; oder Ihr Pfefferminz essen, das Sie eigentlich während der Vorstellung geniessen wollten, aber darauf verzichteten, weil auch Ihnen das Knistern des Cellophans an die Nerven ging; oder sind Sie einer von denen, die noch stundenlang darüber lachen können, wie Herr Feuerstein seine Probleme meisterte?
Wie geht es Ihnen nach einer Begegnung mit Roman Polanski?
_... der die Losung aller mittlerweile angestauten Probleme verspricht, wenn Katelbach kommt, ihn aber nicht kommen lässt und dadurch jeden einzelnen auffordert, sein eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen;
_... der Rosemarie ein Baby gönnt, das ihr nach der Geburt schon gar nicht mehr gehört;
_... der trotz reichlich aufgehängtem Knoblauch die Vampire tanzen lässt"
_... der weiss, dass Ekel dazu führen kann, mit einem kalten Eisen zu bügeln.
Das ist ein Gefühl, ein erhebendes und furchtbares, ein Helikoptergefühl. Sie vergessen Ihre Zigarette und erinnern sich erst später wieder an Ihre Pfefferminze, die mittlerweise zerbröselt sind. Sie ertappen sich beim Überspringen der Grenze des gemeinhin Normalen.
Unmittelbar nach einer solchen Exkursion steht Ihnen nicht einmal mehr der Sinn nach einem Leben zu zweit.
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Solange die Vorführung eines Filmes andauert, ist der Zuschauer im Kino ein Gefangener im Saal. (George Freedland)
Ewald Meyer's "Dolly" Demoskopie

Was man von Reprisen denke, 
von "Ben Hur", der wie bekannt, 
höchst geschickt den Wagen lenke, 
fragte Dolly rings im Land.
  In Berlin: "Mal überlegen
  der Novarro war OK,
  dieser Heston ist dagegen
  also wissense, ach nee!"
Völlig anders ist 's in Bremen
man steht eine Weile da 
und sagt dann, wie wir vernehmen, 
ganz bedächtig einfach: "Tscha!"
  Wo weiss/blau die Isar sprudelt,
  heisst es nur: "Dös is a Hetz!"
  (Wo man an der U-Bahn buddelt,
  gilt ein anderes Gesetz).
Frankfurts Antwort ist dagegen 
diffizil und voller Reiz, 
zögernd, ja, beinah verlegen: 
"Einerseits und andrerseits!"
  Unterschiedlich ist die Meinung,
  ungeübt der Stimmen Chor,
  überwiegend die Verneinung
  doch das wusste man zuvor.

Dorotea Gebauer Das phantastische Erbe der Romantik im deutschen Stummfilm. III Zurück
Unvergessen ist das Gesicht von Ernst Deutsch, in Angst und Schrecken, einem Tierkopf ähnelnd und nicht mehr einem menschlichen Antlitz.
Theodor Heuss beschreibt die Freunde in den "Begegnungen": _... Poelzig und Wegener waren sich nahegekommen, als der Baumeister die phantastische und unheimliche Architektur für den Film "Golem" entworfen hatte - das muss ein grossartiges Zusammenwirken gewesen sein, da beide sich aus der elementaren Gewalt ihrer Natur steigerten und aus der beiden gemeinsamen Disziplin ihrer Bildung - das blasse Wort erhält dabei Fülle - regulierten. Bei beiden wurde die Romantik monumental, was eigentlich nicht in deren Wesen liegt _..."
Wegeners "Golem", das ist eine Mischung deutsch-jüdisch-romantisch-mystischer Vorstellungen. Der jüdische Kabbala-Zauber, der die Welt der Romantiker so sehr inspirierte, hier fand er poetischen Ausdruck eines vereinten Deutsch-Judentums, das eine bestialische Zeit zu leugnen und auszurotten trachtete.
Heinrich Heine sagte 1833 in der "Romantischen Schule" die er für die französische Zeitschrift "Europe Litteraire" schrieb: "Lasst uns Deutschen alle Schrecknisse des Wahnsinns, des Fiebertraums und der Geisterwelt. Deutschland ist ein gedeihlicheres Land für alte Hexen, tote Bärenhäuter, Golems jedes Geschlechts _... Nur jenseits des Rheins können solche Gespenster gedeihen _..." Dieses Erbe der Romantik macht die Meisterwerke des deutschen Stummfilms so attraktiv; in den märchenhaften wie in den expressionistischen Filmen fand das Ausland die deutsche Seele. Bei uns ist die Erinnerung an diese glanzvollste Periode des deutschen Films durch die schrecklichen Ereignisse des "Tausendjährigen Reiches" verschüttet. Doch das Ausland bewahrte für uns, was wir in Acht und Bann taten, um uns die Erinnerung zurückzugeben an unsere Grossen des Theaters und des Films. Die Erinnerung an Paul Wegener, der der Welt mit seinem Golem das verinnerlichste und versinnbildlichste filmische Märchen schenkte.
Wenige Monate vor seinem Tode am 13. September 1948 spielte der fast fünfundsiebzigjährige Paul Wegener seine letzte Filmrolle im "Grossen Mandarin" unter Karl Stroux. Mit seinen letzten Worten, aus Laotses Weisheit geboren, wies er noch einmal seine Geisteshaltung aus:
  Und Ihr, Ihr Menschen, denkt an die Menschen.
  Der Frieden ruft nach Euch. 
  Und wir, Ihr Menschen, Ihr klugen Menschen,
  Erwarten ihn von Euch! 
  Ihr sollt nicht grösser sein, 
  Ihr sollt nicht mächtiger sein. 
  Nicht reicher und nicht besser sein, 
  Ihr sollt nur friedlich sein! 
  Denn das Leben, Ihr Menschen auf dieser Erde, 
  Menschen, ist kurz.

Die Verlassenheit der Menschen im Ghetto, durch ein schweres Tor von der Welt, der Freiheit getrennt, im stummen Film von Paul Wegener durch das Bild dargestellt, findet durch diese Worte ihre Bestätigung, sind ihr Aufruf zu Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.

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Heft 56 (12.2.-12.3.70)
Autorenfilme aus Amerika
Kurzfilme von Bruce Baillie, Ed Emshwiller, Tom Palazzolo und anderen unabhängigen Filmmachern aus den USA
Zusammenstellung: Kulturabteilung der Amerikanischen Botschaft 53 Bonn-Bad Godesberg - Dezember 1969
Die vorliegende Auswahl von Kurzfilmen unabhängiger Filmmacher aus Amerika ist ganz zufällig zustandegekommen. Weder ist sie repräsentativ noch verbindet sich mit ihr eine programmatische Absicht - ausser der, einige Beispiele für den amerikanischen Autorenfilm vorzuzeigen.
Dennoch weisen die sieben Filme eine Reihe gemeinsamer Merkmale auf, die es erlauben, sie in eine sinnvoll erscheinende Reihenfolge zu bringen. Die ersten zwei haben ein gemeinsames Sujet:
Beide Male wird technische Umwelt anvisiert und im Kameraauge verfremdet - freilich mit ganz verschiedener Intention. Mit der von Bildern und Medien, Pop und Beat geprägten zeitgenössischen Szene befassen sich die folgenden drei; indem sie diese atmosphärisch verdichten oder ironisch kommentieren, verraten sie eine verwandte - spezifisch moderne - Sensibilität. Thematische Verwandtschaft wiederum zeigen die beiden letzten Filme, mit denen die Autoren den nordamerikanischen Indianern ein Denkmal setzen wollen. Indes tun auch sie dies auf inhaltlich wie formal ganz unterschiedliche Weise. Denn für den unabhängigen Film gilt mehr denn je, was das inzwischen zehn Jahre alte Manifest der New American Cinema Group als Grundsatz des "anderen Kinos" verkündete: "Wir begreifen uns nicht als eine ästhetische Schule, die den Filmmacher in ein System toter Prinzipien einzwängt. Wir glauben, dass der Film eine unteilbare, persönliche Aussageform ist."
> Ed Emshwiller: Project Apollo. 30 Min., F.
Bei dem ersten Film des amerikanischen Underground, der im Ausland Aufsehen erregte, Adolfas und Jonas Mekas' "Hallelujah the Hills", war Ed Emshwiller Kameramann. Heute ist er einer der bekanntesten unabhängigen Filmmacher Amerikas. Sein jüngster Film ist auf Kap Kennedy gedreht und hat die Vorbereitungen für den ersten Mondflug zum Gegenstand. Dabei nimmt, was ein Dokumentar- oder Industriefilm werden könnte, unter Emshwillers sensibler Kamera manche Züge eines Science-Fiction-Streifens an.
> Bruce Baillie: Castro Street. 10 Min., F.
Bruce Baillie macht seit 1961 Filme und ist Gründer der Canyon Cinema Cooperative, von der die Filme der an der Westküste ansässigen unabhängigen Filmmacher vertrieben werden. Nach seinen Worten ist Castro Street "ein Film in der Form einer Strasse _... in einer Fahrt, die von deren Anfang bis zu ihrem Ende fortschreitet und von ihr alle seine akustischen und visuellen Elemente bezieht, einmal in schwarz-weiss aufgenommen, einmal in Farbe - das männliche und das weibliche Prinzip _..."
> Tom Palazzolo: O. 10 Min,, F.
Tom Palazzolo hat am Art Institute in Chicago studiert und ist heute Kunstlehrer an einem College. Sein Film O zeigt Zirkusszenen, Strassenparaden und ähnliche Vorgänge, wobei allerlei Spezialeffekte - Zeitlupe, Zeitraffer, Bildumkehrung, Mehrfachbelichtung und ähnliches - zusammen mit einer traumhaft artikulierenden Frauenstimme auf der Tonspur die Atmosphäre bis zum Halluzinatorischen verdichten.
> Fred Mogubgub: Pop Show. 7 Min-, F.
Der Kurzfilm Pop Show, bereits auf mehreren europäischen Filmfestivals gezeigt, ironisiert die amerikanische Pop-Szene, indem er sie bei ihrem Lieblingswort nimmt: "what 's in" und "what 's out". Modisches wird aus Comics und Cartoons, Reklamebildern und Zeitungsfotos, Spielfilmausschnitten und Fernsehszenen hervorgeholt und bunt durcheinandergeschüttelt. Fred Mogubgub besitzt seit acht Jahren eine eigene Produktionsfirma.
> Dan McLaughlin: Three Thousand Years of Art History in Three and a Half Minutes. 3 1/2 Min., F.
Zum Beweis seiner These, dass die grössten Kunstwerke der Welt und die grösste Musik der Welt zusammen den grössten Film der Welt ergeben müssten, fotografierte Dan McLaughIin Abbildungen aus zehn Kunstbüchern und montierte sie zu den einleitenden Takten von Beethovens Fünfter Sinfonie. Die Theorie ist widerlegt, ihr Urheber noch immer Filmstudent an der University of California in Los Angeles.
> Bruce Baillie: Mass. 20 Min., schw./w.
Bruce Baillies Mass - mit vollem Titel "Mass for the Dakota Sioux" - ist den Sioux-Indianern gewidmet. Baillie selbst hat zu seinem Film bemerkt: "Die Messe ist eigentlich eine Feier des Lebens; daher die Spannung zwischen der Form des Ritus und dem Thema des Todes. Die Widmung gilt einem tiefreligiösen Volk, das von eben jener Zivilisation, welche die Messe hervorgebracht hat, vernichtet wurde." [s.u.]
> Zu Bruce Baillies Film: Mass for the Dakota Sioux
"Mass" folgt gedanklich und in der Struktur dem Ritus der katholischen Messe. Wie diese mit einem Eingangspsalm, beginnt der Film mit einem Schrifttitel. Es ist das Bekenntnis des letzten grossen Häuptlings der Sioux-Indianer, Sitting Bull:
"No chance to live, Mother,
you might as well mourn."
Das Läuten von Messglöckchen zeigt den Beginn der Messe an. Es wird abgelöst von Händeklatschen. Der Einstellung auf die Hände folgt eine lange Kamerafahrt auf eine am Boden liegende Gestalt zu: das Opfer stirbt, beifallumrauscht, einsam auf der Strasse.
Es folgt der Introitus, eine ausgedehnte Sequenz schwach belichteter und übereinandergelegter Bilder, die menschliches Verhalten und zivilisationsgeprägte Umwelt zeigen. (Dieser Teil des Films ist durch mehrfache Belichtung desselben Filmstreifens in der Kamera komponiert.) Eingeblendete betende Hände kündigen schliesslich die Kollekte an.
Dann erklingt das Kyrie - ein gregorianischer Gesang - und ein Motorradfahrer kommt ins Bild. Die Kamera folgt ihm, während der auf den Film eingekratzte Titel MASS und die Widmung erscheinen, auf die Brücke über die Bucht von San Francisco: der Bote aus dem Jenseits auf seiner Gnadenmission.
Das Gloria wird eingeleitet mit einem Wort des Häuptlings der Oglala Sioux, Black Elk:
"Behold, a nation walking in a sacred manner in a good land."
Die Geräusche belebter Strassen und dichtbesiedelter Landschaften klingen auf. Die Kamera erfasst Früchte, Hände, Gesichter - die materiellen Segnungen unserer Zeit und ihren Konformismus.
Als Montage aus abgefilmten Fernsehbildern und Filmszenen erscheinen dann die Predigttexte der Epistel. In immer schnellerer Folge blitzen die unzusammenhängenden Bilder über die Leinwand.
Mit dem Offertorium beginnt der eucharistische Teil der Messe. Wellen branden an eine Küste, eine Gruppe von Sitzenden spendet Beifall: Es ist Zeit, die Gaben darzubringen. Zum Heulen einer Sirene fährt ein altmodisches Automobil die Strasse entlang und verschwindet in einem Tunnel. Wieder ertönt der gregorianische Gesang. Scheiben aus Licht tauchen auf, schweben umeinander: die Elevation der Hostie. Nachdem die Wandlung vollzogen ist, kehrt die Kamera zu der einsamen Gestalt auf dem Strassenpflaster zurück: Das Opferlamm ist tot. Strassenlärm vermischt sich jetzt mit dem Gesang, während das Automobil eintrifft. Seine Insassen steigen aus und stellen sich in ehrfürchtiger Haltung um den Toten auf: die Konsekration. Dann bedecken sie ihn mit einem Tuch und legen ihn in den Wagen. Die Umstehenden kehren zu ihren alltäglichen Verrichtungen zurück: Sie trinken den Wein und brechen das Brot. Das Opfer ist vollbracht. Der Motorradfahrer begleitet den davonfahrenden Wagen. Seine Mission ist beendet.
Mit dem Segen schliesst der Film. Er entlässt die Zuschauer in der Hoffnung auf die Jungen, die von den Sünden ihrer Väter gereinigt sein werden.
> Burton Gershfield: Now That the Buffalo's Gone. 6 Min., F.
Gershfields Kurzfilm ist eine Elegie auf das untergegangene Volk der nordamerikanischen Indianer. Der Intention des Films entspricht das stilistische und technische Verfahren - verhaltene Bewegung, übereinandergelegte Bilder, Farbkopierung unter Stroboskoplicht -, das den Landschaften und Gestalten den Charakter von Schemen verleiht.
(Nach dem Verleihkatalog der Filmmakers' Cooperative.)
Marcel Duchamp Anémic Cinéma #s.o. é 1926
Kadervergrösserung aller Einstellungen des Films.
Die Spiralen drehen sich um die Achse und führen den Text langsam am Auge des Beschauers vorbei.
Die Kamera bleibt in allen Einstellungen unbewegt.
Marcel Duchamp arbeitete lange Zeit an Spiralen und Wortspielen. Die Dokumentation dieser Entwicklungen bildet der Film.
Der zweite Teil steht unter dem Einfluss der Photographie Man Rays.
Marcel Duchamp signiert seinen Film wie auch andere Arbeiten dieser Periode mit Rrose Sélavy.

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Heft 57 (19.3.-23.4.70)
Hartmut Birett Zauberei auf Zelluloid. I
Méliès zeigt in seinen Filmen verschiedene phantasievolle Trickaufnahmen. Manche wurden später technisch verbessert, mitunter auch in leichter Abwandlung neu entdeckt, wirken aber in ihrer ursprünglichen Form keineswegs primitiv. Als Besitzer eines Automaten-Theaters war er wohl mit den optischen Bühnentricks der Varieté-Künstler vertraut, da sie sich in seinen Filmen finden. Manche werden ohne weiteres in den Film übernommen, wie die Verwendung phantastischer Tiermasken, künstlicher Schnee und Wind und vor allem die optisch interessanten, perspektivisch gemalten Kulissen. Anderen kommt erst in - nur im Film möglichen - Abwandlungen besondere Bedeutung zu. Ihre Abstammung soll zu den Zauberkünstlern zurückverfolgt werden. Dabei wird nicht unterschieden, ob diese Trickaufnahmen (für den Zuschauer unbewusst) als besondere Verfahren neben Realaufnahmen benutzt werden oder ob mit ihrer Hilfe (für den Zuschauer bewusst) Irreales gezeigt werden soll.
Während der Einzelszene blieb anfangs der Blickpunkt also der Kamerastandort, genauso starr, wie man es von Standfotos gewohnt ist. Der Bildwechsel musste aber schon bei der Vorführung mit der Laterna magica nicht abrupt erfolgen. Philippsthal lenkte bei seiner Nebelbild-Projektion von den technischen Gegebenheiten ab, indem der Austausch der Bilder bei unscharfer Einstellung erfolgte: Eine Darstellung verschwamm allmählich und aus dem Nebel tauchte die nächste auf. Technisch vollkommener wirkte der Übergang von zwei Szenen mit der um 1840 von Child entwickelten Zauberlaterne. Bei ihr werden zwei Laterna magica-Geräte mechanisch so gekoppelt, dass ein Bild mit einer Blende langsam abgedunkelt werden kann, während das andere gleichzeitig hell wird und man vorübergehend beide Bilder sieht,
Méliès zeigt diesen Effekt besonders in den Filmen "Die Fee Carabosse" (1906) und "Der Tunnel unter dem Kanal" (1907). Ob er während der Aufnahmen doppelt belichtet oder die fertigen Filme überlappend kopiert hat, ist schwer zu entscheiden.
Erfolgt bei fast identischen Bildern der Wechsel sehr schnell, so erscheint eine Verwandlung oder wegen des stroboskopischen Effektes eine Scheinbewegung. Wie überzeugend eine derartige Verwandlung wirken kann, zeigt sein Film "Der Magier" (1908) in dem z.B. während eines Sprunges zwei Personen ausgetauscht werden. Dieser Trick wurde zweifellos durch Schnitt des Filmmaterials hergestellt, während die örtliche Versetzung von Requisiten oder Personen im gleichen Film auch durch vorübergehende Unterbrechung der Aufnahme erzielt werden konnte.
Scheinbewegungen, die auf Grund des stroboskopischen Effektes auftreten, sind von Plateau's Lebensrad (1829), Horner's Wundertrommel (1833) und Reynaulds Praxinoskop (1877) bekannt und schliesslich beruht das Prinzip des Films auf dieser Erscheinung. Während man aber mit den Vorgängern des Films nur Zeichnungen Bewegungen ausführen lassen kann, werden im Film durch geringfügige Raumveränderungen Requisiten und Puppen animiert. Wie man eine Wundertrommel in umgekehrter Richtung drehen kann, so liess bereits Reynaud seine gezeichneten "Filme" manchmal rückwärts laufen und in der Premiere der Filme von Lumière (1895) richtete sich eine umgestürzte Mauer wieder auf. Es lassen sich nicht vorhandene Bewegungen schaffen und vorhandene umkehren, anhalten oder in der Geschwindigkeit verändern.
Für Standfotos entwickelte die Firma Liesegang die Nebelbildlaterne weiter zu dem sogenannten Mehrfachprojektor. Mit ihm können nicht nur zwei Bilder gleichzeitig oder auch mit Überblendung gezeigt werden. Es ist möglich, ein weiteres Bild z.B. mit aufgemaltem Hintergrund oder einem Fahrzeug seitlich zu verschieben, so dass eine Bewegung vorgetäuscht wird. In "Die Reise zum Mond" (1902) finden sich entsprechende Aufnahmen und in "Die Reise ins Unmögliche" (1904) verschieben sich drei Ebenen der Kulisse gegeneinander. Eine Doppelprojektion von Standbild und Laufbild - heute entspricht diesem Verfahren die Rückprojektion - wurde bereits vor Erfindung des fotografischen Films von Reynaud ausgenutzt. Ende der dreissiger Jahre entdeckte Disney dies Prinzip als Multiplan-Verfahren für den Zeichenfilm erneut. Das gleiche Prinzip liegt vor, wenn mit Hilfe von Doppelbelichtungen z.B. Titel eingeblendet werden.
Eine andere Abwandlung dieses Gedankens ist die Mehrfachbelichtung vor neutralem Hintergrund. In "Das Einmannorchester" (1900) spielte Méliès sämtliche Instrumente selbst. Er agierte dazu vor einem schwarzen Hintergrund, da er sonst "durchsichtig" geworden wäre, wie die als Geister tanzenden Skelette in "Der Palast der 1001. Nacht" (1905)
Neben der seitlichen Verschiebung, die eine Bewegung der Objekte oder der Beobachter vortäuscht, lässt sich durch Veränderung des Abstandes zwischen Objekt und Kamera bzw. zwischen Projektor und Leinwand eine Grössenvariation erzielen. Um 1800 beschwörte Robertson mit einer fahrbaren Laterna magica, dem sogenannten Phantaskop, Geister, die je nach Projektionsentfernung grösser oder kleiner wurden, sich den Zuschauern scheinbar nähern konnten. Er arbeitete mit Rückprojektion, damit die Zuschauer die Manipulationen nicht erkannten.
Nach der gleichen Methode entstand die berühmt gewordene Aufnahme im Film "Der Mann mit dem Kautschukkopf" (1901): der näherkommende Kopf erscheint in einer feststehenden Kulisse immer grösser. In diesem Fall werden zwei in verschiedener Entfernung ablaufende Vorgänge in eine Ebene übertragen. Die vom Jahrmarkt bekannten Spiegeltricks leisteten dies auch schon. Hier wird die Erscheinung ausgenutzt, dass eine zur Blickrichtung schräg stehende Glasplatte durchsichtig ist, gleichzeitig aber auch spiegelt.
Fortsetzung folgt
Paul Sauerlaender Zwischentitel
"Achduliebermeingott, dass man Sie auch mal wieder hier sieht" begrüsste mich die Witwe Schloch, als ich durch die glöckchenklingende Tür in das Antiquariat trat. Da sass sie hinter der Theke auf der sich Bücher türmten, die graue Katze auf den weitausladenden Schenkeln. So fand man sie immer, im grauen Kleid und ebensolchen noch vollen Haaren, die sich hoch türmten und zwei Ohren freiliessen: eines abstehender als das andere. Ich hatte sie noch nie gehen sehen, immer sass sie, nahm wohl ein Buch zur Hand, wenn die Katze sich im Schaufenster auf den dort ausgelegten Werken längst vergessener Autoren sonnte. (Und ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, da ich es noch nie anders gesehen, dass sie immer und ohne Unterbrechung dort sitze, seit ihr Ehemann vor ein paar Jahren mit zur Wand gewendetem Gesicht, ohne viel Aufhebens zu machen, mit einem kleinen Seufzer dahingeschieden war). Ihre Augen lugten freundlich, rotgeädert und feucht, über gewaltige Tränensäcke, wobei dahingestellt blieb, ob die Feuchtigkeit ihre Ursache in nichtendenwollendem schmerzlichem Gedenken an den Verblichenen, oder aber auf Rechnung des erdiggaumigen Würzburger Weines zu setzen war. - "Ich habe an Sie gedacht, ich habe was für Sie aufgehoben". Sie beugt sich vor, und während ihre gewaltigen Brüste sich auf die Katze niedersenken und diese so zur Flucht antreiben, holt sie mit raschelndem Geräusch unter dem Ladentisch ein in graues Packpapier eingeschlagenes flaches Paket hervor.
"Es ist was vom Film, Stummfilm. - Da wurde doch noch nicht gesprochen; was man sagte, das sah man geschrieben auf der Leinwand". Sie löst die Verpackung, wobei ihre kurzen dicken Finger, nur mit einem eingewachsenen goldenen Ehering geziert, in eifrige Tätigkeit geraten. Die Katze sitzt derweilen auf Grabbes Werken und macht ein Gesicht wie der Teufel im Käfig.
Während sie mir eine Anzahl weisser beschriebener Kartons über die bücherbeladene Theke reicht, habe ich den Geruch von Erbsensuppe plötzlich in der Nase. Und obwohl ich nach einem Topfe voll des nahrhaften Gerichtes Ausschau halte, ist nichts dergleichen zu erblicken. Nur die Katze verlässt, nachdem sie einen Augenblick lang ihr Hinterteil hochgereckt hat, wobei sie die Vorderpfoten anmutig einknickt, Grabbe. Doch dies nur, um sich auf dem zweiten Band von "Fuchs Sittengeschichte" (in rotes Leinen gebunden) wohlig auszuspreiten.
Ich setze mich auf einen wackeligen Stuhl nahe einem mit alten gebündelten Zeitschriften hoch aufgestapelten runden Tisch; und während ich mir eine Roth-Händle anzünde, (der penetrante Geruch der Erbsensuppe schwebt im Raum) betrachte ich die Titelvorlagen. Sie sind aus der grauen Vorzeit der zwanziger Jahre und ohne jeden Zweifel für den Sammler von Wert. Der Titel des Films, für den sie einmal als erklärende Einschübe bestimmt gewesen sein mögen, ist nirgends zu finden. Auf einer Rückseite der Kartons allerdings entdecke ich, unruhig mit Bleistift geschrieben, in Anführungszeichen gesetzt, und auch unterstrichen die Worte, die der Titel dieses Films gewesen sein könnten: "Ein Traum zerbricht". Was nebenbei bemerkt an "Fern Andra"-Filme erinnert.
Und während die Zeit verrinnt, der Perpendikel der Wanduhr der Witwe Schloch zerhackt sie hektisch und kurzatmig in nimmermehr zusammenfügbare kleine Stücke, lese ich die mit schwarzer Tusche wie "gedruckt" gemalten Buchstaben:
Der Clou der Frühjahrsausstellung, ein Gemälde von Kurt Larsen: "Reine und sündige Liebe"
Du findest mein Benehmen zu Dir roh - - ? Ja, glaubst Du denn, ein Mann lässt sich so ohne weiteres um sein Glück betrügen?!
Erschreckt sieht der Mann den Wahnsinn in den Augen der Frau - -
Muss es denn sein, dass die Fessel mich an diesen Menschen bindet?
- - - fand sie das Drama der Irrungen traurig vollendet.
Und nachts. Erdrückt von der Last des Überstandenen suchte ihr verdüsterter Sinn einen Ausweg - - -
Hier beendet ein Hüsteln der Witwe Schloch vorläufig die Lektüre. Die feuchten Augen folgen meinen die kartonierten Blätter ordnenden Bewegungen.
"Fünf Mark für Sie" antwortet sie auf meine Frage und verpackt sorgfältig das soeben veräusserte.
Als ich den Laden verlasse, liegt die Katze träge wieder auf den Schenkeln der Witwe Schloch. - Nichts hat sich verändert.
Am Vierröhrenbrunnen vorbei gehe ich über die Heiligenbrücke. Bei St.Kilian angelangt schaue ich zur Festung hinauf, die in der blutroten Abendsonne verglüht. -
Georg Fuchs Tonbildfilme bzw. No-Movies
Ohne die geringste Ahnung von Filmgeschichte habe ich seit 1964 ein eigenes Filmsystem entwickelt. Erst vor kurzer Zeit erfuhr ich, dass zu anderen Zeiten ganz ähnliche Filmsysteme entwickelt worden waren.
Bei meinen "Tonbildfilmen" bzw. "No-Movies" sieht der Betrachter einzelne, stehende Bilder auf der Leinwand oder langsam von rechts nach links wandernde Landschaften bzw. Szenenfolgen, Der Effekt unterscheidet sich nicht wesentlich von einer Tonbildschau, nur die kontinuierlich vorbeiziehende Landschaft kommt hinzu.
Die Herstellung der Tonbildfilme ist der Trickfilmproduktion ähnlich: Für jeden Film schreibe ich ein Drehbuch, das ausser den Meterangaben alles wie ein Kinofilmdrehbuch enthält. Jedes einzelne Bild für den Tonbildfilm ist beschrieben und festgelegt. Als Material verwende ich Kalle Einmachfolie, die in 31 mm breite Streifen geschnitten und auf eine beleuchtete Glasplatte gelegt wird. Auf die Folie zeichne ich mit Filzstiften die einzelnen Bilder oder Bildfolgen. Die Bildgrösse ist 31mm x 40mm von der 23mm x 35mm projiziert werden, um Laufungenauigkeiten auszugleichen.
Die Zeichnungen auf den einzelnen Bildern sind oft einzelne Bewegungsphasen, deren Bewegung nur zu hören, aber nicht zu sehen ist. Die Bildfolge schwankt zwischen 2,5 und 4 Bildern pro Minute. Das heisst, dass der fertige Film von Hand gedreht wird, zum Ton passend. - Ausser mir selbst kann kein anderer den Film vorführen, es sei denn, er würde Ton- und Bildzuordnung auswendig lernen.
Bisher habe ich 70 Filme nach diesem System gemacht, die man alle auf dem Leitz-Pradix-Projektor mit handelsüblichem Spezialeinsatz vorführen kann. Diese Filme dauern zwischen 5 und 200 Minuten und erreichen Längen bis zu 32 Metern mit ca. 670 Bildern.
Die Themen und Handlungen unterscheiden sich nicht von solchen in Spielfilmen. 30 und mehr im Typ durch Schablonen festgelegte Schauspieler sind keine Seltenheit. Der Ton enthält, wie gesagt, die Bewegung: Laufen, Sprechen mit verteilten Rollen, entsprechende Musik, Tonmontagen etc. Die Produktionszeit dauert mit Drehbuchschreiben bei abendfüllenden Filmen bis zu 10 Monaten. Ich produziere deshalb immer mehrere gleichzeitig!
Einige Filme und Themen:
"Cola-Beat" - Ein aus Träumen zusammengesetzter Film, in dem sich Humor und Ernst in grausamer Weise das Gleichgewicht halten.
"Hound" - Ein Film nach Ray Bradbury's "Fahrenheit 451" unter anderen Gesichtspunkten als F. Truffauts Verfilmung.
"Mornin-After-Rock" In diesem Film spielen nur Karikaturen.
"Downdow-Leaving"

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Heft 58 (4.6.-16.7.70)
Dorothea Gebauer Der Regisseur Georg Wilhelm Pabst
Wenn man eines Tages die Geschichte des deutschen Films schreibt, so wird ein umfassendes Kapitel einem Mann zu widmen sein, der es neben Friedrich Wilhelm Murnau, Fritz Lang und Ernst Lubitsch wie kein anderer verstanden hat, seiner Zeit mit filmischen Mitteln Ausdruck zu verleihen. Österreicher von Geburt, tauchte er einem Kometen gleich in den zwanziger Jahren im deutschen Film auf, schuf Werke, die zu den Sternstunden des Films gehören, versprühte sein Talent in Schöpfungen, die seine Epoche überdauert haben.
War Pabst ein Realist oder ein Poet, ein Pazifist, Sozialist, Zeitkritiker aus Überzeugung? Jede Zeitepoche findet den ihr adäquaten Interpreten, das Deutschland der Weimarer Republik, Inflation, Depression nach einem verlorenen Krieg, Hunger und Elend der Arbeiterklassen, dekadente Bourgoisie, lieferten Pabst die Inspiration zu seinen Filmen.
Der junge Schauspieler Pabst, in Raudnitz in Böhmen am 27. August 1885 als Sohn eines Eisenbahnbeamten geboren, kam über Zürich, New York und Paris nach Berlin und wurde Mitarbeiter Carl Froelichs. Bereits die zeitgenössische Kritik bescheinigt seinem Regie-Erstling, dem "Schatz", den er 1923 herstellt, dass es "ein ansprechendes Filmdrama sei, dem eine Seele innewohnt". Doch Pabsts Stärke liegt nicht in der Unterhaltung, im Auskosten sentimentaler Gefühle, die das Publikum genussvoll zum Taschentuch greifen lassen. Mit wachen Augen erkennt er die Zeichen seiner Zeit. Der Versailler Vertrag hat wichtige Teile aus dem deutschen Industriegebiet herausgebrochen, die Reparationen bedrohen aufs schwerste die Grundlage der deutschen Wirtschaft. Durch die Inflation wird sie an den Rand des Erliegens gebracht. Die Verhältnisse in Österreich und Deutschland unterscheiden sich wenig. Dem verlorenen Krieg folgen der ökonomische und moralische Zusammenbruch, verbunden mit Armut und Verzweiflung. Pabst siedelt seine "Freudlose Gasse" im Wien der Inflationszeit an und zeigt Schicksale in einer von sozialen Gegensätzen beherrschten Strasse. Sein Verdienst ist es, in diesem Film Greta Garbo für den deutschen Film zu entdecken, die durch ihn den Weg nach Hollywood findet, und zu Weltruhm gelangt.
Es ist die Zeit, in der die von Sigmund Freud entwickelte Psychoanalyse sich durchzusetzen beginnt, was ihn zu seinem Film "Geheimnisse einer Seele" anregt, einem Kulturfilm der Ufa, dem ersten psychoanalytischen Film, der Träume mit Hilfe der Trickkamera zu deuten versucht. Pabst bedient sich sämtlicher Mittel der Technik und macht durch die stumme Sprache der Bilder Seelenzustände deutlich. Wenige Jahre vorher versuchte Arthur Robison in "Schatten - Eine nächtliche Halluzination" mit Hilfe eines Schattenspielers Verhaltungsweisen darzustellen, ohne jedoch in eine solche Tiefe einzudringen.
Die Wellen der russischen Revolution beginnen sich über Europa auszubreiten. Ilja Ehrenburg inspiriert Pabst zu seinem Revolutionsdrama "Die Liebe der Jeanne Ney", von dem der "Kinematograph" am 11. Dezember 1927 schreibt: "Aus einer bemerkenswert langweiligen Mittelproduktion, die in dieser Woche den Spielplan beherrschte, hob sich dieser Film durch seine saubere Technik und sein blendendes Temperament als lockende Oase aus der Wüste _... die Handlung ist mit starker Hand gestaltet und vom Regisseur in prachtvollem Aufriss zusammengehalten worden. Tendenz ist dem Film fremd; er schildert, aber er politisiert nicht und erreicht eben dadurch seine Wucht, die wie ein Ethos wirkt".
Die Stabilisierung der deutschen Wirtschaft kreiert eine neue Wohlstandsgesellschaft aus muffigem Spiessbürgertum und neureicher Habgier. Mit zwei Filmen versucht Pabst, die zeitgenössische Gesellschaft zu demaskieren. "Die Büchse der Pandora" und "Das Tagebuch einer Verlorenen", beide auf literarische Vorlagen um die Jahrhundertwende zurückgehend, Sittenbilder einer Gesellschaft, die auf anderer Ebene ihr Pendant in den sozialkritischen Filmen Phil Jutzis "Mutter Krauses Fahrt ins Glück", eine Schilderung des Arbeitslosenelends in den bevölkerungsreichen Wohnvierteln des berliner Nordens, und Carl Junghans Prager Vorstadtstudie einer Arbeiterfamilie "So ist das Leben" finden.
In beiden Filmen Pabsts ist es ein Gesicht, das unauslöschlich in der Erinnerung verbleibt: Louise Brocks, Faszination der Schönheit in einem verderbten Milieu, Wedekinds Lulu und Margarethe Boehmes Thymian, mädchenhafte Unschuld und weibliche Raffinesse. Es bleibt zu bezweifeln, ob Pabst in diesen beiden Sittenfilmen die Gesellschaft wirklich kritisieren wollte, wie es so viele der internationalen Filmgeschichten wahrhaben wollen. Es scheint ihn zu Stoffen gezogen zu haben, die nahe bei der Kolportage lagen. Er versuchte in seinen Filmen nicht zu deuten oder Bedeutungen durch das Bild klar werden zu lassen. Er konnte, was er darstellte, so intensiv machen, dass es glaubhaft wirkte, seine Stärke und Schwäche zugleich. "Das Tagebuch einer Verlorenen", das neben Louise Brooks eine zweite Frauengestalt in der Erinnerung behalten lässt, Valeska Gert als Erzieherin, leitet das Ende der Stummfilmzeit ein. Das Spiel der Schauspieler ist disziplinierter, ja beinahe stilisiert, höchste Vollendung der Schauspielkunst mit stummer Mimik. Der aufkommende Tonfilm bereitet dieser Kunst ihr Ende.
Pabst hat am "Tagebuch einer Verlorenen" nicht sehr viel Freude gehabt. Die Preussische Regierung stellte am 5. Dezember 1929 Antrag auf Widerruf der Zulassung des Bildstreifens. Pabst und Lupu Pick, die vor der Filmoberprüfstelle erschienen waren, mussten sich sagen lassen, dass der Film "in seiner Gesamtwirkung entsittlichend sei, die seine fernere Zulassung zur öffentlichen Vorführung ausschliesst." In der Begründung der Filmoberprüfstelle heisst es abschliessend, dass sie (die Prüfstelle) "sich einer weiteren Nachprüfung dahin überhoben gesehen habe, ob noch andere gesetzliche Verbotsgründe den Widerruf der Zulassung des Bildstreifens rechtfertigen. Es sei hierzu nur auf die völlig unmögliche Darstellung der Erziehungsanstalt und auf die in der Vermengung von Christentum und Sadismus gegebene Möglichkeit einer Verletzung des religiösen Empfindens verwiesen." Damit verschwand der Film vom Markt, was ihn jedoch nicht hinderte, als Kunstwerk in die Filmgeschichte einzugehen.
Von den Stummfilmen Pabsts, die heute fast in Vergessenheit geraten sind, seien hier noch erwähnt neben den frühen Streifen "Der Taugenichts" und "Luise Millerin", in denen er als Regieassistent, Drehbuchautor oder Schauspieler mitwirkte; "Man spielt nicht mit der Liebe", der einen Generationskonflikt behandelt; "Abwege", eine Anklage gegen die Ehescheidung, und der mit Dr. Arnold Fanck gedrehte Bergfilm: "Die weisse Hölle vom Piz Palü".
Der Tonfilm leitet die zweite Phase im Schaffen G. W. Pabsts ein. Die neu aufkommende Wirtschaftskrise, die geahnte Bedrohung durch das Anwachsen der nationalsozialistischen Partei veranlasste Pabst zu dem pazifistischen Film "Westfront 1918", eine scharfe Absage an den Krieg. Ein Jahr später folgte "Kameradschaft" in Anlehnung an ein Grubenunglück an der deutschfranzösischen Grenze. Versöhnung der feindlichen Brüder hüben und drüben, ein ebenso scharfsinniger wie hervorragend arrangierter Film, mit Akribie entworfen und durchgeführt. Wie in "Westfront 1918" fand Pabst auch hier Gelegenheit, seine starke Neigung zum Realismus zu beweisen. Dieser Film hat fast dokumentarhafte Züge. Pabst demonstriert mit harten Schnitten die Gleichzeitigkeit der Ereignisse und Schicksale in den Kohlenrevieren. Der wahnwitzige Kampf zwischen einem deutschen und einem halbverschütteten französischen Bergmann, der in dem Retter den Gegner des Krieges zu erkennen glaubt, hat Geschichte gemacht. Für diesen Film erhielt er einen Preis des Völkerbundes, wie Pabst überhaupt vielfach mit Auszeichnungen für seine Werke bedacht worden ist.
Dann folgte die Verfilmung von Bert Brechts "Dreigroschenoper", die 1928 im Theater am Schiffbauerdamm in Berlin ihre Uraufführung erlebt hatte, und die auf die "Bettleroper" von John Gay aus dem Jahre 1730 zurückgeht. Brecht war nicht sehr glücklich über die Verfilmung. Er führte einen Prozess, um die formalen und sozialkritischen Eigenheiten der "Dreigroschenoper" im Tonfilm zu erhalten.
Fortsetzung folgt
Dr. Walter Gerteis Klippenhänger
Als kürzlich im Fernsehen der neue Durbridge lief (mit dem verheissungsvollem Titel "Wie ein Blitz", hinter dem sich dann nur eine banale Redewendung verbarg), dachte ich mir: Das ist also ein Dreiteiler; die Gelegenheit ist günstig, zu sehen, ob und was man noch von der Kunst des Klippenhängers versteht, ob man sie überhaupt noch kennt. Das Ergebnis war hundertprozentig negativ. Keine Ahnung von Klippenhängerei!
Ich bin überzeugt, die Verantwortlichen wissen gar nicht mehr, worum es geht. Dabei ist die Sache denkbar einfach. Klippenhänger nennt man die Filme in Fortsetzungen, bei denen man jeden Teil an einer möglichst spannenden Stelle abbricht. Aus naheliegenden Gründen. Man will ja sein Publikum auch für die nächsten Fortsetzungen haben. Man will ihm Appetit machen. Und deshalb schliesst man die einzelnen Teile mit einem Höhepunkt an Spannung. Das ist das Prinzip des Klippenhängers. Es galt übrigens einmal auch für die Fortsetzungsromane, ja, von dorther übernahm es der Film.
Woher der Name Klippenhänger? Er stammt aus den ersten Jahrzehnten des Films. Serienfilme waren damals grosse Mode, überall. Ja, und eine Szene eignete sich besonders gut für den aufregenden Schluss einer Fortsetzung:
Der Held oder die Heldin hängt stieren Blicks nur noch mit einer Hand am abbröckelnden Gestein über einem schaurigen Abgrund. Grossaufnahme: langsam löst sich auch der letzte Finger - Abblenden - Text: "Fortsetzung nächste Woche in diesem Kino". Daher der Name für die ganze Sache. Wenn dem Drehbuchautor und dem Regisseur gar nichts spannendes mehr einfiel, zu einem Klippenhänger langte es immer. Und es war immer wirkungsvoll.
Wie oft mag wohl die Königin des amerikanischen Serienfilms, die blonde Pearl White, mit ihren seidenbestrumpften Beinen über einem grässlichen Abgrund gezappelt haben! Bis zur nächsten Woche! Man bedenke, dass einer ihrer Serienfilme, "Paulinens Gefahren" - der Titel soll von Randolph W. Hearst stammen - 21 Episoden hatte, ein zweiter, "Die eiserne Klaue" , 20 und ein dritter, "Abenteuer der Helene", derer sogar 28 ! Jetzt erfinde man einmal so viele spannende Schlussszenen! Da war man für jeden einigermassen anständigen Abgrund dankbar, der in der Nähe des Ateliers gähnte. Und wenn man keinen greifbar hatte, dann liess man eben, wie in den Pariser Serienfilmen, Fantomas langsam und unrettbar die Kuppel des Pantheons herunterrutschen oder den Helden in der deutschen "Herrin der Welt" mit Mia May über Krokodilsrachen schweben. Im Effekt kam es auf das Gleiche hinaus.
Klippenhänger - das heisst also nichts anderes als ein spannender Schluss für jede Fortsetzung eines mehrteiligen Filmes finden. Ob im Kino oder im Fernsehen. Der Zuschauer hat darauf einen Anspruch. Er will nicht gähnend ins Bett geschickt werden. Es muss natürlich kein Abgrund sein. Was jedoch der letzte Durbridge, um darauf zurückzukommen, hier bot, hatte mit Klippenhängerei überhaupt nichts mehr zu tun. Niemand hätte verlangt, dass der freundliche, wohlgenährte Bollmann, der für einen englischen Kriminalinspektor ohnedies einen Kopf zu klein war, sich an einer Regenrinne entlang angelte. Aber was waren das für einfallslose, spannungsarme Teilschlüsse! Lahme Enten! Ein bisschen mehr Spannung, meine Herren, bevor das Licht in der guten Stube wieder angeht! Ein bisschen mehr Klippenhängerei! Es gehört zum Handwerk.
Hartmut Birett Zauberei auf Zelluloid. II Zurück
Bei entsprechender Beleuchtung sieht man dann den gespiegelten Gegenstand - z.B. eine brennende Kerze - scheinbar hinter der Scheibe in einem mit Fischen besetzten Aquarium. Durch Variation der Beleuchtung kann das Spiegelbild oder der Gegenstand hinter der Scheibe verschwinden. Den gleichen Effekt erzielt man mit einem auf der Bühne aufgespannten Tüllvorhang. Wenn die Helligkeit vor oder hinter ihm verändert wird, können für den Zuschauer Gegenstände oder Personen auf der Bühne verschwinden. Benutzt man statt der Glasplatte einen Spiegel, so erscheint an Stelle des abgedeckten Gegenstandes ein anderer. Mit diesem Mittel kann man die bedauernswerte Dame ohne Unterleib vorführen.
Für den Film bieten sich eine Reihe Kombinationen dieser optischen Manipulation an.
Da die Möglichkeit der Montage vorhanden ist, kann man z.B. Kulissen als Modelle klein aufbauen und vergrössert aufnehmen. In "Die Reise ins Unmögliche" (1904) z.B. fährt und verunglückt eine Modelleisenbahn, während in der anschliessenden Szene die Expeditionsteilnehmer aus den - nun in natürlicher Grösse - malerisch verteilten Trümmern des Zuges herausklettern. (Finden bei Modellaufnahmen Bewegungen statt, so muss bei starken Grössenveränderungen mit Zeitlupe aufgenommen werden, da sonst die Bewegungen zu rasch verlaufen, also unnatürlich wirken. Eine Verbindung von Modellaufnahmen und Spiegeltrick des Jahrmarktes gibt es in vielen Varianten, die im fertigen Film nicht immer zu unterscheiden sind.
Nach Eugen Schüfftan filmt man durch eine - je nach Szene geformte - Öffnung eines schräg gestellten Spiegels die eigentliche Handlung, während über den Spiegel die seitenverkehrt aufgebaute Kulisse eingeblendet wird. Seitenverkehrt muss dann natürlich auch beleuchtet werden. Diese Kulisse wird klein als Modell aufgebaut. Da es sich näher an der Kamera befindet, als die Darsteller, wird gegebenenfalls zwischen Spiegel und Modell eine Ausgleichslinse angeordnet.
Ist die Öffnung im Spiegel halbdurchlässig oder erfolgt der Übergang zwischen durchlässig und spiegelnd allmählich, so lassen sich bereits bei der Aufnahme Visionen oder Verwandlungen herstellen, was aber auch beim Kopieren erreicht werden kann. Agieren vor und hinter dem Spiegel Personen oder wilde Tiere, so kann man sie als Riesen, Zwerge oder als sehr mutig erscheinen lassen.
Ähnlich der Rückprojektion lässt sich auch die eigentliche Handlung in ein Modell hineinprojizieren. Optisch lässt sich dies Verfahren mit einem Fernrohr mit Messskala vergleichen, wobei die Skala dem Modell entspricht, in dessen Ebene die Umwelt scharf abgebildet wird. Beides betrachtet man dann mit dem Okular.
In diesem Fall dient das Modell sozusagen als Maske vor der Handlung. Bringt man vor den Film eine undurchsichtige Maske, so wird nur der freie Teil belichtet. Bei einem weiteren Filmdurchgang mit einer komplementären Maske wird das Bild vervollständigt. Ein schwarzer Vorhang vor schwarzem Hintergrund auf der Bühne strebt den gleichen Effekt an. Mit solch starren Masken können Darsteller durch Wände hindurchgehen wie im "Papiermensch" (1910) oder als Doppelgänger auftreten, wie Paul Wegener im "Student von Prag" (1912). Bewegliche Masken wurden ursprünglich durch Übermalen Bild für Bild hergestellt. Rein optisch lassen sich bewegliche Masken herstellen, wenn eine normal ausgeleuchtete Szene vor einer total überbelichteten weissen Wand spielt. Durch kontrastarmes Umkopieren stellt man für die Hintergrundaufnahme eine Maske her, die die Bildteile der bereits aufgenommenen Handlung völlig abdeckt. Auf der Bühne verschwinden bestimmte farbige Gegenstände, wenn im beleuchtenden Licht ihre Farbe nicht enthalten ist. Entsprechend kann man im Film den Vordergrund zum Hintergrund in Komplementärfarben ausleuchten und mit einem der Vordergrund-Beleuchtung entsprechenden Filter aufnehmen, so dass die dem Hintergrund entsprechenden Bildteile unbelichtet bleiben.
[Der folgende Text dieses Artikels konnte nicht mehr wegen des Endes der Hefte erscheinen:]
Wie oben für den Schwarzweiss-Film angegeben erhält man so auch für den Farbfilm eine Vordergrund-Maske. Statt Komplementärfarben zu verwenden, kann man de Hintergrund mit Infrarot und den Vordergrund mit weissem Licht ohne Infrarot beleuchten.
Verschiedene Tricktechniken lassen sich auch kombinieren. So wurde für den Film "Der kleine Muck" (1953) beim Wettrennen zwischen dem Schnelläufer und Muck das Bild in etwa halbiert. (Man sieht - was gewöhnlich nicht der Fall ist - den Trennbereich mitten im Weg als einen etwas helleren Streifen.) Der Schnelläufer wurde mit normaler Aufnahmegeschwindigkeit gefilmt, Muck aber mit Zeitraffer. Zusammen kopiert sieht man dann Muck märchenhaft schnell laufen.
1909 zeigte McCay als Varietévorstellung seinen Zeichentrickfilm "Gerti, der trainierte Dinosaurier" in Rückprojektion auf einer Leinwand und lief davor mit einer Peitsche - wie das Tier dressierend - herum. Er sprang zum Ende des Films auf den Rücken des Brontosauriers und wurde von ihm weggetragen, d.h. er sprang zwar auf die Leinwand zu und verschwand hinter ihr, dafür tauchte er gezeichnet nun im Film auf. Fürs Kino wurde beides kombiniert: "Gerti, der Dinosaurier"(1914). Die Verwendung von Film und direktem Spiel mit Wechsel der Darsteller zwischen Bühne und mehreren beweglichen Leinwänden wurde ab 1958 bei den Prager Vorführungen der Laterna magica mit der Polyecran-Technik perfektioniert.
Disney kombinierte zwischen 1924 und 1928 Realaufnahme eines Mädchens mit gezeichnetem Material für seine Serie: "Alice und _..." z.B. "Alice und der Feuerwehrmann" 1926). 1945 griff er diese Technik in "Drei Caballeros" wieder auf. In diesem Film kombinierte er auch zwei Realaufnahmen so, dass sich Teile im Bild ineinander verwandeln wie z.B. Orchideen in tanzende Mädchen oder er lässt die Spuren eines gerade malenden Pinsels sich in eine Landschaft verwandeln.
Neben diesen Trickverfahren werden hin und wieder alte Gags vom Jahrmarkt herangezogen: einmal die Vervielfachung einzelner Bildteile mit einem Spezialobjektiv in der Art eines Kaleidoskops oder das Verdrehen von Bildteilen in Hans Richters "Vormittagsspuk" (1928), dann die Verzerrung von Bildern durch Verwendung von gebogenen Spiegeln bzw. Zerrlinsen. Mit ihnen kann man z.B. sein dünnes Konterei betrachten. Richard Quine zeigte damit in "Meine Braut ist übersinnlich" (1958) quasi durch die Augen eines Katers ein seitlich zusammengestauchtes Zimmer. Heute dienen Zerrlinsen zur Aufnahme und Wiedergabe beim Cinemaskop-Verfahren.
Die scheinbare Aufhebung der Schwerkraft, die auf der Bühne mit einem Drahtseil erfolgt, gelingt im Film leicht (z.B. der Ritt auf dem Besen vor dem Mailänder Dom in de Sica: "Das Wunder von Mailand", 1950).
Die Fingerfertigkeit des Zauberkünstlers ersetzt man durch vorübergehendes Anhalten der Filmaufnahme: es lassen sich Gegenstände unsichtbar machen oder Verwandeln. Die Erfindung wird Méliès (1896) zugeschrieben. Sie soll nach manchen Erzählungen zufällig von ihm entdeckt worden sein, wobei sich ein Milchwagen in einen Leichenwagen verwandelte.
Als besonderes Verfahren muss die Eisenstifttechnik von Alexander Alexeieff erwähnt werden. Einige tausend verschiebbare Eisenstifte ragten für den Film "Eine Nacht auf dem kahlen Berge" (1933) verschieden weit aus einer Platte heraus, so dass sich das Bild einer Landschaft ergab. Ausserdem suggerierte die wechselnde Beleuchtung Bewegungen in der Landschaft.
Die Verwendung von Tele- oder Weitwinkelobjektiven erlaubt eine Veränderung der räumlichen Tiefenstrukturierung, wie sie ja auch in Zeichnungen möglich ist. Der fast quälend lange Gang von Oliver Twist zum erneuten Essen-Holen im gleichnamigen Film (1948) wurde mit einem Teleobjektiv dramatisch in Szene gesetzt.
Auch der Ton lässt sich trickreich verändern. So zeichnete McLaren für seinen Film Loops (1950 ?) die Tonspur mit der Hand.
Der Wunsch der Zauberkünstler und ihres Publikums, die Realität den Vorstellungen anzupassen, also offensichtlich Unmögliches darzustellen und unabhängig von Zeit und Raum subjektive Betrachtungen zu gestalten, lässt sich mit phantasievoller Nutzung filmtechnischer Mittel verwirklichen.

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Heft 59 (23.7.-27.8.70)
[Kritiken zum Film: Dr. Mabuse, der Spieler]
Berliner Tageblatt, 30. April 1922
"Dr. Mabuse, der Spieler", ein Film, den Thea von Harbou nach dem gleichnamigen Roman von Norbert Jacques geschaffen, wurde im Ufa-Palast am Zoo mit grossem Erfolge herausgebracht. Was diesem Werk, das in einzelnen aneinandergereihten Episoden ein Bild unserer Zeit geben will, die besondere Qualität verleiht, das ist die Regie von Fritz Lang, der in souveräner Beherrschung der technischen Mittel das Stück in einer ausserordentlich effektvollen Aufmachung herausbrachte. Besonders die Nachtaufnahmen waren vollendet.
Berliner Morgen-Zeitung, 30. April 1922
Einen ganz ungewöhnlich interessanten Film der Decla-Bioscop, "Dr. Mabuse, der Spieler", sieht man zur Zeit im Ufa-Palast am Zoo. Er zeigt uns in interessanter Milieuschilderung die unheilvolle Laufbahn eines seine Suggestivkraft ausnutzenden Hochstaplers, und wir werden in Verbrecherstätten, Spielklubs, okkultistischen Sitzungen und dergleichen mehr eingeführt. In der Hauptrolle des durch treffliche Milieuschilderung ausgezeichneten Films gibt Rolf Klein-Rogge ein Meisterstück, und sehr gute Typen stellen auch Alfred Abel, Gertrude Welcker, Bernhard Goetzke, Forster-Larrinaga und Paul Richter dar.
Volks-Zeitung, 29. April 1922
_... Rolf Klein-Rogge gibt die Rolle, sein Blick ist durchdringend, in den Verwandlungen ist er auf voller Höhe. Neben ihm spielt am eindrucksvollsten Aud Egede Nissen, die dem Verbrecher völlig ergebene Sängerin Carozza. Eine Reihe guter Typen stellen noch Alfred Abel (Graf Told), Gertrude Welcker (Gräfin Told), Bernhard Goetzke (Staatsanwalt Wenk), Forster-Larrinaga (Speeri), Paul Richter (Mllionärsohn Hull) und Karl Huszar (Hawasch) dar. Der Regisseur Lang, der Photograpf Karl Hoffmann sowie Stahl-Urach und Otto Hunte (Bauten) haben in der Verfilmung des bekannten Romans zweifellos Bahnbrechendes geleistet.
Berliner Lokal-Anzeiger (Film-Echo), 1. Mai 1922
Der erste grosse Beifall, der spontan den grossen Zuschauerraum bei der Premiere des ¯Dr. Mabuse" durchbrauste, galt jener Szene, wo die Autos durch die abendlichen Strassen jagen, deren Bogenlampen fast kilometertief gleich Sternen in der Dunkelheit aufleuchten.
Diese Kundgebung wiederholte sich bei einer ähnlichen Szene, die noch dadurch in ihrer Wirkung verstärkt wird, dass im Vordergrunde über den dunklen Stadtbahnbogen der Zug vorüberhuscht, mit den Fenstern aus dem Finstern herausblitzend.
Für den Erfolg ist die Wirkung auf das Publikum ausschlaggebend, und von diesem Gesichtspunkt aus gesehen, bedeutet dieser Film vom Dr. Mabuse einen Erfolg deutscher Filmtechnik, einen Triumpf der Bogenlampe _...
Den Dr. Mabuse spielt Rudolf Klein-Rogge _... In allen Szenen, wo nur der Kopf zu sprechen und zu wirken hat, ist Klein-Rogge unübertrefflich. Der Geisteskampf zwischen Verbrecher und Staatsanwalt stellt eine Leistung dar, wie man sie selten gesehen hat _...
Restlos zufrieden sein kann man mit Bernhard Goetzke, der immer mehr zeigt, dass in ihm Qualitäten stecken, die von den Filmleuten noch lange nicht genug ausgenutzt sind.
Berliner Börsen-Courier, 30. April 1922
_... es ist ein spannender Film, dem Fritz Langs Regie wertvolle Hilfe leistete. Wenn Mabuse ein Sinnbild der gärenden jungen Zeit bedeuten soll, so hat Lang als Regisseur sich solcher Absicht aufs Vollkommenste anzupassen und sie lebendig zu gestalten gewusst. Dieser Film hat ein rasendes Tempo, eine hetzende, nervöse Unrast; es geht von ihm ein prickelnder Reiz aus, der nicht gewöhnlich ist.
Klein-Rogges Mabuse ist Verkörperung gestrafften, mit allen Energien geladenen Willens, er ist Konzentration des Willens, Nur-Wille und er hat, wo es nötig wird, zwingende Dämonie. Sein Gegenspieler ist Goetzke: der Staatsanwalt, der hier an die Stelle des Detektivs getreten ist, um verbrecherisches Treiben zu enthüllen. Goetzke agiert vornehm-beherrscht, eindringlich, mit Wärme. Aud Egede Nissen (die Tänzerin Carozza) ist von wirbligem Temperament, kätzchenhaft, ein Zierpüppchen, wenn Sie die Verführungskünste spielen lässt, um den jungen Hull einzufangen _... Hull wird von Paul Richter sehr fein, sehr schlicht und gehalten gegeben.
Neue Zeit, 4. Mai 1922
_... Der Film hielt das, was man erwartete. Dies sei von vornherein gesagt _...
Tempo, unheimliches Tempo steckt in dem Film. Die Ereignisse überstürzen sich. Jetztzeit, das rasende, hastende Leben. Und überall Dr. Mabuse, der Mann, der mit Menschenschicksalen spielt, inmitten. In vielerlei Masken. Bald als Börsenmann, bald als Strolch, eben noch elegant, jetzt in Lumpen gekleidet, eben Angreifer, ein wenig später verfolgt. Als tattriger Greis, als Oberhaupt einer Verbrecherbande, in immer wieder neuen Masken sehen wir diesen Übermenschen. Und das Publikum geht fiebernd mit. Eine elektrisch geladene Spannung lag über dem Hause, des öfteren ausgelöst von Explosionen in Gestalt rasenden Applauses.
Der Mann, der den Film geschaffen, inszeniert, heisst Fritz Lang. Mit seinem "Müden Tod" zeigte er erst unlängst, was in ihm steckt. Ihm gebührt - ohne Phrasen gesagt - wirklich nur ein Wort des Lobes. Lang weiss sein Publikum zu packen. Man sieht immer wieder neue Regieeinfälle. Faszinierend geradezu der Kampf Mabuses mit dem Staatsanwalt, Mabuses immer grösser werdendes Gesicht, das die Zuschauer förmlich hypnotisiert. Fabelhaft die Nachtbeleuchtungsszenen im Atelier. Sehr hübsch die Szene im Spielklub oder der Überfall mit Hilfe der Landkarte. Der Überfall an sich konnte nur weniger gefallen. Nicht weniger als drei Stunden dauerte das Abrollen der sechs Akte; man merkte es nicht und war nachher grenzenlos erstaunt. Gibt es einen besseren Beweis für den packenden Inhalt?
_... Ein gut Teil des Erfolges gebührt Thea von Harbou. Von ihr stammt die geschickte filmische Bearbeitung des Norbert Jacquesschen gleichnamigen Romans. Endlich wieder mal ein Sujet, das einschlug. Keine Wassersuppe. Kraftbrühe.
Der Dr. Mabuse wurde von Rolf Klein-Rogge in ganz vorzüglicher Art dargestellt. Eine hervorragende Leistung. Vor Rogges durchbohrendem Blick strich alles die Segel. Seine Masken waren famos gewählt.
Neben ihm hatten die anderen Mitspieler keinen leichten Stand. Entzückend sah die blonde Nissen aus, die auch schauspielerisch schöne Momente zeigt _... Von den männlichen Darstellern seien genannt: Bernhard Goetzke als Staatsanwalt von Wenk. Eine eindringliche Leistung. Alfred Abel (Graf Told), Paul Richter (Edgar Hull) und in kleineren Rollen Forster-Larrinaga, v. Schlettow, Georg John und Karl Huszar.
Technisch wurde ebenso Vorzügliches geleistet. Karl Hoffmann lieferte eine prächtige Photographie, Stahl-Urach und Otto Hunte stellten überraschende Bauten.
Summa summarum; Ein Film, der den Weltmarkt im Handgalopp erobern wird _...
Das Tage-Buch, 6. Mai 1922
Wer wie ich Ullsteinbücher gewohnheitsmässig - nicht liest (also ohne Kenntnis des Romans von Norbert Jacques in den Ufa-Palast kommt), kann durch den Film "Dr. Mabuse" eine dreifache Sensation erleben. Erstens sieht er eine aufregende kriminalistische Angelegenheit: den fanatischen Verbrecher riesigen Formats, dem es Lebensnotwendigkeit ist, mit Schicksalen und Menschen zu spielen, dessen raffinierte Schläue und Suggestionskraft alle Verfolgungen abschlägt und zu sich jeglichen zwingt, wen er will. Zweitens wird das Auge gereizt und entzückt durch die ausserordentlich geschickte, durchgebildete, (ich riskiere zu sagen) kunstvolle Photographie Karl Hoffmanns. Wie hier mit Licht und Schatten gearbeitet wird; wie in nächtlicher Strasse mit Stadtbahn aus dem Dunkel Lichter rasen, schwanken, schwelen; wie im Blick durchs Opernglas die beobachtete Gruppe durch das Drehen des Stellrädchens von verzerrender Verschwommenheit ins Klarumrissene sich wandelt; wie der drohende Schatten des Bösewichts vorankündigend ins Bild fällt, - das sind photographische Neuerungen, die man bisher nicht sah. Und drittens hat der Regisseur Fritz Lang mit Inbrunst sich bemüht, den Wahnwitz unserer Epoche in charakteristischen Typen und Milieus zu konzentrieren. Während der Roman des Norbert Jacques mehr das Bild des Verbrechers Mabuse entwickelt, will dieser selbst unstete Lang, ehemals Maler zu Paris, mit Erfindungskraft, Witz, bildhafter Komposition ein rapides Zeitbild entrollen. _...
Noch mehr als in Jacques Roman werden die Gestalten dieses Films zu Typen destilliert, und alle Typen sind aus unserer rasenden, korrupten, verwirrten Epoche geboren und schmelzen wieder in diese Welt hinein _... alles ist mit Gcschmack, Sorgfalt und Talent gearbeitet _... Der Regisseur bemüht sich, in furiosem Tempo, mit enthusiastischem Temperament jene verwirrende, betäubende Atmosphäre im Bild zu konzentrieren, die so aufreizend wirkt, weil nur aufgereizte Menschen in ihr existieren können _...
Dieser Film wird überall einen Riesenerfolg haben, nicht weil er, wie die biographischen und geschichtlichen Filme, die historische Neugier und das Interesse an Massenszenen befriedigt, auch nicht wegen der kriminalistisch-kolportagehaften Handlung, die ja die Amerikaner tausendmal besser erfinden und durchführen, sondern weil viele Millionen Menschen, die dunkel das Tohuwabohu der Ausgeburten unserer Zeiten fühlen, hier den Zusammenbruch-Wahnsinn, in dem zu leben wir alle gezwungen sind, sichtbar, greifbar und doch bildmässig und rhythmisch geformt erblicken. _...
Lichtbild-Bühne, 27. Mai 1922.
_... Der Regie und der Photographie (Karl Hoffmann) kann man kein besseres Kompliment machen, als festzustellen, dass sich der zweite Teil absolut auf der brillanten Höhe des ersten hält. In einem Punkte übertrifft er ihn sogar: im Darstellerischen. Und hierbei macht Alfred Abel unbedingt das Rennen, dessen grosse Szenen (unterstützt freilich wieder von einer unerhörten Regie- und Aufnahmetechnik) zu den besten filmdarstellerischen Leistungen gehören. Meisterhaft ist auch die Todesszene der Nissen; sehr starke Partien hat Goetzke, Forster Larrinaga, Schlettow, John, Huszar liefern Kabinettstücke. Was Hunte und Stahl-Urach an Baukunst im Atelier geleistet haben, verdient höchste Bewunderung.
Ein Wort noch über den Gesamt-Eindruck dieses Mabuse-Films, der, trotz seiner äusseren Zweiteilung, ein organisches Ganzes bildet. Dass hier durch hohe Könnerschaft, durch virtuose Technik im Verein mit künstlerischem Feingefühl etwas Grosses und Starkes geschaffen ist, bewies der nachhaltige Eindruck, unter dem der Ufa-Palast an beiden Premierabenden stand. _...
Der Film, 28. Mai 1922.
Der zweite Teil des Uco-Films der Decla-Bioscop mit dem Untertitel "Inferno" ist vielleicht mit noch grösserer Spannung erwartet worden als der erste. Er hat von dem Schicksal aller zweiten Teile von Filmen, gegen den ersten abfallen müssen, nur sehr wenig; was Spiel und Technik anbelangt, ist er vielleicht noch stärker als der erste. _...
Der Kreis der an der Herstellung des Films beteiligten Künstler ist durchweg der gleiche wie im ersten Teil, und alle haben ihre Aufgaben bis in die letzte Einzelheit mit grosser Liebe und schönstem Erfolg gelöst. Die Art, wie Abel die Rolle des Psychopathen durchführt, verdient als besondere Glanzleistung dem ausgezeichneten Spiel der Träger der übrigen Hauptrollen vorangestellt zu werden; Klein-Rogge bewährt sich wieder in vielen Masken des Dr. Mabuse ausgezeichnet, namentlich als Sandor Weltmann, Goetzke (als Staatsanwalt Wenk) erweckt im Zuschauer den Wunsch, diesen ausgezeichneten Künstler in weiteren tragenden Rollen zu sehen. _...
Technisch und photographisch bietet der zweite Teil des Films sehr viel Erfreuliches; namentlich eine der "Nachtaufnahmen" - Wenk fährt im Auto dem Steinbruch zu - ist eine Leistung, wie sie in Deutschland bisher kaum erreicht worden sein dürfte. _...
Deutsches Abendblatt, Nummer 123.
_... Darstellerisch beherrscht Alfred Abel (Graf Told) das Feld. Seine seelischen Kämpfe, seine schwer getragene Schuld wirken besonders durch die schlichte, bis ins kleinste überlegte Wiedergabe. Seine Visionen sind technisch wie schauspielerisch unvergessliche Höhepunkte. Als Titelheld hat Rolf Klein-Rogge viele gute Momente, seine zahllosen Masken sind charakteristisch, die Schlussszenen, in denen ihn die rächende Nemesis ereilt, packen durch seine impulsive Eigenart _... Bernhard Goetzke leiht dem Staatsanwalt jene undurchdringliche Maske und zielbewusstes, verinnerlichtes Spiel. Gertrude Welcker fesselt als Gräfin Told durch seelenvolle, schlichte Wiedergabe. Aus dem Kreis der übrigen Darsteller seien als gute Typen besonders erwähnt: Aud Egede Nissen, Forster Larrinaga, Georg John, Karl Huszar und Leonhard Haskel in einer trefflich gezeichneten Episodenrolle.
Hohes Lob verdienen Regisseur (Fritz Lang), Photograph (Karl Hoffmann) und Architekten (Stahl-Urach und Otto Hunte), die in gemeinsamer, wohlüberlegter Arbeit ein Werk schufen, das weit über dem Durchschnitt steht
Film-Kurier, 27. Mai 1922.
Um es gleich vorweg zu bemerken, der stürmisch durchschlagende Erfolg dieses zweiten Teiles war durchaus berechtigt _... Rudolf Klein-Rogge gibt in der Titelrolle auch hier wieder eine überragende Leistung und beweist namentlich aufs neue, wie virtuos er die Kunst der Maske beherrscht _... Neben ihm gebührt vor allen Dingen Alfred Abel hervorgehoben zu werden, der mit seinem Grafen Told wohl seine stärkste bisherige Leistung gegeben hat _... Bernhard Goetzke Staatsanwalt Wenk ist in seiner Art nicht minder gut, das gegebene Gegenspiel zu dem Willenmenschen Mabuse _...
All das hat die Regieleistung Fritz Langs vermocht, der unaufdringlich allen seinen Willen aufprägt. Besonders hervorgehoben zu werden verdient seine ebenso dezente wie wirksame Inszenierung der Strassenkämpfe am Schluss; kein Kintopp mit schemamässigen Massenszenen. Man bekommt eine ganze Reihe Bilder zu sehen, bei denen überhaupt kaum Komparsen in Erscheinung treten, die Wirkung wird vielmehr nur durch den Qualm des Feuergefechts erzielt, und eben diese Szenen hinterlassen die stärksten Eindrücke. Dass Lang dies gelungen ist, bedeutet nicht nur einen Einzelfall, sondern einen Fortschritt unserer Regiekunst überhaupt _... So sei denn nur nochmals auf die im Atelier erbaute Strasse verwiesen, die in ihrer Art einzig dasteht und die besonders begeistert beklatschten Nachteffekte erst ermöglichte.
Berliner Morgenpost, 28. Mai 1922.
Dr. Mabuse, der Spieler. Zweiter Teil.
_... Das Publikum rief (am Tage der Uraufführung) stürmisch nach den Hauptbeteiligten. Als erster durfte sich (wieder wie vor vier Wochen) der Spielleiter Fritz Lang, eine unserer stärksten Regiebegabungen, verbeugen. Ihm folgte Thea v. Harbou, die das Ullsteinbuch für das zweiteilige Filmdrama umgeformt und (in den letzten drei Akten überhaupt frei nach Norbert Jacques) umgedichtet hatte. Rudolf Klein-Rogge, der diesen Sammelmenschen unserer Zeit mimisch und in der Unzahl seiner Masken bis zur letzten Kurbeldrehung packend meisterte, gebührt nach ihnen ein grosser Teil des Erfolges. Mit ihm verbeugte sich, herzlichst begrüsst Alfred Abel, dessen Wahnsinnsausdruck in grausiger Echtheit wirkte. Auch Egede Nissen, Gertrud Welcker und Bernhard Goetzke wurden gerufen, waren aber nicht anwesend. Auch, ihnen gehört hohe Anerkennung.
Als der Beifallssturm nicht enden wollte, mussten die Künstler abermals vor der Kinorampe erscheinen. Sie zerrten einen kleinen Mann mit. Filmfreunde erkannten ihn und verdoppelten den Applaus: es war Carl Hoffmann, der Operateur. Das erstemal geschah es, dass sich auch auf gleicher Linie der so überaus wichtige Photograph gemeinsam mit Dichter, Regisseur und Darstellern für die Anerkennung bedanken durfte. Es war ein Triumph der immer noch unterschätzten Lichtbildertechnik, die hier Höhepunkte in verblüffenden, sauber zurechtgedrehten Trickaufnahmen erreichte. Nächtliche Verfolgungsszenen mit neuartigen Lichteffekten (tatsächlich mühsam nachts gekurbelt), Aufnahmen aus dem Vorstellungsgebiet eines Irren, sind von hinreissender Wirkung. Minutenlanges Beifallsklatschen übertönte, wenn man so sagen darf, "auf offener Szene" das Orchester.
Ein spannendes Filmwerk in geschmackvollem Rahmen.
Tägliche Rundschau, 28. Mai 1922.
"Inferno", wie der zweite Teil des Uco-FiIms "Dr. Mabuse, der Spieler" überschrieben ist, stellt eine ebenso abgeschlossene Leistung der Verfasserin Thea von Harbou, des Spielleiters Fritz Lang und der seiner Mitarbeiter dar, wie der erste _... Der zweite Teil des Films ist von Spannung und stärkstem Leben erfüllt; die Zuschauer, die äussere Handlung am liebsten sehen, kommen durchaus auf ihre Rechnung; die anderen, denen das Spiel der Darsteller die Hauptsache ist, freilich noch mehr, denn eine Leistung wie die Abels als Graf Told im dritten Akt dürfte schwerlich zu überbieten sein. Die übrigen Hauptdarsteller, Goetzke als Staatsanwalt, Klein-Rogge als Dr. Mabuse, Aud Egede Nisseu als Gorozza, Gertrude Welcker als Gräfin Told sowie Forster Larrinaga, v. Schlettow, John, Huszar, Grete Berger und Karl Platen in den kleineren Rollen bieten hervorragende Leistungen und fügen sich vortrefflich dem Ganzen ein, wie es dem Spielleiter vorgeschwebt hat.
Die Photographie Karl Hoffmanns ist auch im zweiten Teile hervorragend und enthält einige neue überraschende Einzelheiten, durch die die vorzügliche Technik des ersten Teiles noch übertroffen wird. Sie riefen bei der Uraufführung berechtigten Beifall hervor _...
Vossische Zeitung, 27. Mai 1922.
_... Das Drama Mabuse wickelt sich in einem bis zum Höhepunkt wuchtig und gewaltig ansteigendem Tempo ab. Die einzelnen Szenen scharf gegliedert, mit hochdramatisch entwickelten und psychologisch interessanten Nuancierungen, die verschiedenen handelnden Personen des Dramas in völliger Beherrschung des Spieles und der Charakterisierung, echt und überzeugend, gut in der Maske, wie in den einzelnen menschlichen Zügen.
Eine besondere Stärke und auffällige Abrundung seiner Spielkunst zeigt der Träger der Hauptrolle, Rolf Klein-Rogge, der die menschliche Tragödie Mabuses, der gigantisch Böses will, und an kleinen Menschlichkeiten scheitert, formvollendet und überzeugungsklar ergreifend zur Darstellung bringt. Konnten wir schon im ersten Teil die staunenswerte Regieleistung der Spielleitung erkennen, so hat sich die Regie im zweiten Teil gerade hier noch um ein Vielfaches übertroffen. Strassenszenen, wie die Belagerung von Mabuses Haus, die der nächtlich düsteren Wettjagd mit dem Auto des Staatsanwalts und seine Rettung kurz vor der Katastrophe, der körperliche und seelische Zusammenbruch Mabuses, der in einer unterirdischen Fälscherwerkstatt von seinen getöteten Opfern psychisch verfolgt und in den Wahnsinn gehetzt wird - das ist eine Kunst der Regietechnik, wie wir sie bisher nicht gesehen haben _...
Berliner Börsen-Zeitung, 28. Mai 1922.
_... Den wirklichen Erfolg bringen dem Film aber eigentlich erst die teils photographischen, teils regietechnischen Finessen. Auch hier gibt es wieder prächtig gelungene Nachtaufnahmen, besonders hervorgehoben zu werden verdient aber vor allem an Fritz Langs Inszenierung die publikumswirksame und doch dezente Ausmalung des Strassenkampfes um Dr. Mabuses Haus, mit dem dieser glänzende Publikumsfilm seinen Abschluss findet.

Vorwärts, 28. Mai 1922.
_... Die Premierezuschauer spendeten dem Spiel brausenden Beifall. Dieser Applausdonner galt wohl zuerst dem Regisseur Fritz Lang und dem Photographen Karl Hoffmann. Denn regietechnisch und photographisch ist auch hier wieder Aussergewöhnliches geleistet. Das Lastende, Beklemmende oder Trübselige ist mit zwingender Gewalt eingefangen. Gespenstische Visionen formen sich ganz aus den Gesetzen des Kurbelkastens, das im Film zum Schweigen verurteilte Wort wird gewissermassen ins Photographische übersetzt. Lichtwirkungen von feinster Abstufung und raffinierter Verteilung der Effekte verblüffen. Die Trickaufnahmen beweisen, wie weit man heute über die Wunder der einst so grosses Aufsehen erregenden Golemstimmung hinausgekommen ist. In dem ganzen Werk ist keine Spur von Kitsch, und die Szene einer telepathischen Versammlung trägt den Stempel unbändiger Echtheit. Alfred Abel bedeutet den darstellerischen Höhepunkt dieses Lichtspiels. Seine Nacht des Wahnsinns hat unheimliche Überzeugungskraft.
Neue Zeit, 27. Mai 1922.
Gestern rollte im Ufa-Palast am Zoo der zweite Teil des Uco-Films der Decla-Bioscop ab. Auch dieser Teil fand warme Aufnahme. Der Applaus verstärkte sich von Akt zu Akt, dementsprechend stieg auch das Tempo der ganzen Handlung.
Fritz Lang bot wiederum eine blendende, mit glänzenden neuen Einfällen vermischte Regieleistung. Die Gespensterszene im dritten Akt, die Hypnotisierung des Staatsanwalts, dessen Todesfahrt, Mabuses Fieberphantasien und Wahnvorstellungen hinterliessen nachhaltige Eindrücke.
Man kann Fritz Lang nur gratulieren.
Darstellerisch wurde hier durchweg Gutes geleistet. Selten noch sah man ein derart famoses Ensemble. Klein-Rogge, Goetzke, Abel und die Nissen boten Allerbestes an Schauspielkunst.
Aud Egede Nissen spielte besonders die Sterbeszene im Gefängnis ergreifend und war in ihrem grossen Leid von rührender Schönheit. Den zitternden, fragenden Ausdruck ihrer grossen, samtenen Rehaugen - warum nur, ich habe ihm doch nichts getan - wird man so bald nicht vergessen.
Rudolf Klein-Rogge als Dr. Mabuse in vielerlei trefflichen Masken wiederum faszinierend. Unerhört die Szene im Arbeitszimmer des Staatsanwalts. Man fieberte förmlich. Überaus stark auch seine Wahnsinnsszenen.
Ebenbürtig waren ihm im zweiten Teil Bernhard Goetzke als Staatsanwalt Wenk und Alfred Abel (Graf Told). Beide boten Meisterleistungen.
Ganz vorzüglich in kleineren Rollen: H. v. Schlettow, Karl Huszar, Karl Platen, Georg John, Forster Larrinaga.
_... Bleibt noch das von Thea von Harbou in überaus geschickter Weise bearbeitete Manuskript, Karl Hoffmanns blendende Photographie, Otto Huntes und Stahl-Urachs famose Bauten anzuerkennen.
Auch der Kritiker freut sich, wenn er einmal nur loben darf.
Und damit Schluss.
Welt am Montag, 29. Mai 1922.
Dieser im Ufa-Palast am Zoo aus der Taufe gehobene zweite Teil hält, was der erste Teil versprach _... Thea von Harbou, die Verfasserin, der Spielleiter Fritz Lang, Stahl-Urach und Otto Hunte, die Schöpfer der Bauten, Karl Hoffmann, der die Herstellung der ausdrucksvollen Photographien geleitet hat, und, nicht zuletzt die Darsteller, bieten ein Kinoschauspiel, das sich anzuschauen lohnt _...

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Heft 61 (15.10.-13.11.70)
Dorothea Gebauer Der Regisseur Georg Wilhelm Pabst. II Zurück
Pabsts Verfilmung nahm der "Dreigroschenoper" viel von ihrem aggressivem Charakter und machte aus dieser Satire auf die bürgerliche Gesellschaftsordnung mehr eine etwas sentimentale Anklage gegen diese Ordnung durch Zuhälter, Dirnen und kleine Gauner. Aber wieviel zeittypische Persiflage ist in diesem Film zu finden, wieviel Ironie zwischen Drehorgelmoritat und aufpeitschendem Jazz! Wie glänzend treffen die Darsteller den Ton, Rudolf Förster als Mackie-Messer, schön, eisig, und gelassen, Lotte Lenja als Jenny und die bezaubernde Carola Neher als Polly, von derem schrecklichen gewaltsamen Ende in Russland nach der Emigration Gustav Regler in seinem "Ohr des Malchus" so erschütternd zu berichten weiss! 1933 wurde dieser Film in Deutschland verboten. Pabst emigrierte. 1932 hatte er noch "Die Herrin von Atlantis" (L' Atlantide) gemacht, einen Film über das utopische Reich Atlantis nach dem Roman von Pierre Benoit.
Was mag Pabst veranlasst haben, zu Beginn des zweiten Weltkrieges nach Deutschland zurückzukehren? Vielleicht war es die Sehnsucht, daheim wieder arbeiten zu können. Seine Filme in Frankreich: "Mademoiselle Docteur", "Le drame de Shanghai" oder "A modern hero" in den USA wurden keine grossen Erfolge. Vorher hatte er noch in Frankreich die Möglichkeit, einem lange gehegtem Wunsche nachzugehen und einen Film mit Fedor Schaljapin zu drehen: "Don Quichotte". Schaljapin stand zum ersten Mal vor der Kamera und es war Pabsts erster Film in Frankreich. Er hatte in Schaljapin einen gewaltigen Phantasten gefunden, der heute noch Bewunderung erregt. Allein die Schlussszene dieses Films - ein Buch wird in die Flammen geworfen gleich einem Symbol zu den Bücherverbrennungen im 3. Reich, und im Feuer erscheint dieses Buch zu ewiger Dauer zusammenzuschmelzen - ist ein einfacher Filmtrick und dennoch ein genialer Einfall.
Pabst hat danach noch viele Filme in Deutschland, Österreich und Italien gedreht: "Paracelsus", "Komödianten", eine Anklage des Antisemitismus in Österreich, für den er in Venedig eine Auszeichnung erhielt, politische Filme um das Ende von Hitler, Unterhaltungsware wie seinen Carl Maria von Weber-Film "Durch die Wälder, durch die Auen", "Das Bekenntnis der Ina Kahr", "Rosen für Bettina" u.a. Sie alle verraten in vielen Teilen seine Handschrift, die Grösse seiner Filme vor 1933 erreichten sie nie wieder. Aber kann man von einem Künstler Zeit seines Lebens immer nur Meisterwerke verlangen, muss er sich laufend übertrumpfen, um mit sich selbst konkurrieren zu können? Was in der Filmgeschichte Pabsts Verdienst ist und bleiben wird, ist die Loslösung des deutschen Stummfilms aus der mythisch-romantischen Welt des Expressionismus und seine Konfrontation mit der Wirklichkeit. - Pabst starb im Alter von 81 Jahren am 29. Mai 1967 in Wien.
Georg Wilhelm Pabst - Filmografie
1922: Der Taugenichts; Luise Millerin
1923: Der Schatz
1924: Gräfin Donelli
1925: Die freudlose Gasse; Geheimnisse einer Seele
1926: Man spielt nicht mit der Liebe
1927: Die Liebe der Jeanne Ney
1928: Abwege; Die Büchse der Pandora
1929: Tagebuch einer Verlorenen; Die weisse Hölle vom Piz Palü
1930: Westfront 19l8; Skandal um Eva
1931; Die Dreigroschenoper; Kameradschaft
1932: Die Herrin von Atlantis; Don Quichotte; Du haut en bas
1934; A Modern Hero
1936: Mademoiselle Docteur
1938: Le drame de Shanghai
1939: Jeunes filles en detresse
1941: Komödianten
1943: Paracelsus
1948: Der Prozess
1949: Geheimnisvolle Tiefe
1952: Le voce del silenco
1953: Cose da Pazzi
1954: Das Bekenntnis der Ina Kahr
1955: Es geschah am 20. Juli; Der letzte Akt; Rosen für Bettina
1956: Durch die Wälder - durch die Auen
Arthur Schuler Erinnerungen aus der Stummfilmzeit: Begleitmusik
(Anmerkung für den Setzer: Ich bitte, der "Karussellsorgel" das Genetiv-s zu belassen. Ich setzte es hier im Gedenken an den toten Freund, der das Wort immer so aussprach, und dem, trotz seines geistlichen Amtes die Orgel des Jahrmarktes beinahe lieber war, als seine Kirchenorgel. D. Verf.)
Im Anfang war - nicht das Wort (das kam erst mit dem Tonfilm) sondern die Karussellsorgel. Im Jahre 1907 machte ich meine erste Bekanntschaft mit dem Film, und zwar auf einem Jahrmarkt. Da stand ich als Schulbub vor einem grossen Zelt, über dessen Frontseite in Riesenlettern zu lesen war: Theater lebender Photographien. Darunter konnte ich mir absolut nichts vorstellen, denn in der Kleinstadt, in der ich aufwuchs, drangen Begriffe wie Kinematographie, Bioscop, Mutoscop u.a. nicht an mein Ohr. (Die schnoddrige berliner Kurzform "Kino" war damals noch nicht bekannt; erst durch Jean Gilbert's Operette "Die Kinokönigin" drang diese Bezeichnung in die "Provinz".) Aber zurück zu meinem Jahrmarktszeit. An seiner Breitseite führten 2 bis 3 Stufen zur "Cassa" hinauf neben der eine riesige, traumhaft schöne Karussellsorgel stand. Nie werde ich vergessen, wie dieses Wunderinstrument damals auf mich wirkte. Da fehlten nicht die beckenschlagenden und flötenblasenden Engel, die, wenn das Instrument in Betrieb war, mit abgehackten Zuckungen ihre drallen Arme bewegten. Das Ganze war eine Farbsymphonie aus Weiss und Gold, eingefasst von Spiegelfacetten. - An der Kasse zahlte ich einen Nickelgroschen (Kinder und Militär bis zum Gefreiten zahlten die Hälfte!) und betrat das geheimnisvolle Dunkel, in dem ich "lebende Photographien" sehen sollte. Man sass auf schmalen Brettern, die man auf Pfähle genagelt hatte, die einfach in den Grasboden geschlagen waren. Eine "Saalbeleuchtung" konnte nicht ausgehen, weil keine da war. Spärlich erhellt wurde der Zuschauerraum durch die das Tageslicht hereinlassenden zurückgeschlagenen Vorhänge des Eingangs. Endlich war es soweit. Die Vorhänge wurden geschlossen, die Stimme des unsichtbaren Ansagers kündigte den ersten Film an: Ein Luftballon über dem Meer, und zugleich mit dem zappelndem Geflimmer auf der Leinwand ertönte das Wunderwerk der Orgel, die mit ihrer offenen Rückseite in den Zuschauerraum hineinragte. Sie erfüllte also 2 Aufgaben: einmal lockte sie durch ihr liebliches Getön (Puppchen, du bist mein Augenstern) draussen die schaulustige Menge an, zum anderen untermalte sie drinnen all die kurzen Filmchen, die höchstens 3 bis 5 Minuten dauerten. Eine Beziehung zwischen den jeweiligen Filmchen und der dazu gebotenen Begleitmusik bestand natürlich nicht. Für den technisch interessierten Leser: All das funktionierte ohne elektrischen Strom. Filmprojektor und Orgel wurden mit der Hand betätigt, und als Lichtquelle für den Projektor diente Kalklicht (Acetylengas plus Sauerstoff) - Abschliessend: nie wieder hat mich der Film noch einmal so in seinen Bann geschlagen, wie damals in jenem Jahrmarktzelt. Noch heute erinnere ich mich an den Geruch des zertrampelten Grases in dem Zelt, an die stickige Luft, an die von dem ganzen Milieu ausgehende fremdartige Atmosphäre. Glauben Sie mir, dass es mir manchmal leid tut, dass das Kino aber auch alles von dieser Jahrmarktsatmosphäre verloren hat und seit ach, so langer Zeit "salonfähig" geworden ist?
Meine nächste Begegnung mit dem Film fand zwei Jahre später, im Jahre 1909, in Hamburg statt. Nach längerem Krankenhausaufenthalt schickten mich meine Eltern dorthin zu Onkel und Tante, um mich am Elbestrand zu erholen. Aber anstatt mit den Vettern in Altona am Strand zu liegen und Aale zu angeln, trieb ich mich auf der Reeperbahn herum, weil ich wusste, dass man dort auch "Lebende Photographien" sehen konnte. Richtige Kinos waren damals auch in den Grossstädten noch ziemlich spärlich, und in Hamburg hatten sie sich natürlich vor allem auf der Reeperbahn etabliert. Man sieht, der Schritt vom Jahrmarkt zum grossstädtischen Rummelplatz war noch nicht allzu gross. Lediglich sesshaft waren die neuartigen Musentempel geworden, sesshaft in meist sehr schmalen und langen ehemaligen Ladenlokalen, die man "Handtücher" nannte. Dort also erlebte ich nun den Fortschritt, den die neue Jahrmarktssensation gemacht hatte. Die Filme waren länger geworden, ca. 10 bis 12 von ihnen wurden in einer Vorstellung gezeigt. Aber die liebe alte Karussellsorgel habe ich nie wieder im Kino gehört. An ihre Stelle war das Orchestrion getreten, das mit ungeheurem Getöse das Programm begleitete. Diese Instrumente sahen aus wie überdimensionale Kleiderschränke und enthielten ca 4 Geigen, Cello, Bass, Schlagzeug und, ich weiss nicht mehr welche, Blasinstrumente. Technisch waren sie reine Wunderwerke und wurden hauptsächlich von der Firma Hupfeld gebaut. Auch jetzt war von einer angepassten Untermalung der Filme noch nichts zu merken, zumal diese fast alle vom gleichen Genre waren, Lustspiele aus der französischen Produktion. Ein Erlebnis von der Reeperbahn möchte ich hier festhalten. Vor einem Kino war ein riesengrosses Plakat zu sehen, auf dem in grellen gelben und roten Farbtönen eine halbnackte Frauengestalt dargestellt war, die man auf einen wild zum Sprunge ansetzenden Tiger festgeschnallt hatte. Die Darstellerin dieser Rolle war niemand anderes als Tilla Durieux. Ob die alte Dame sich heute noch an diese Sensationsfilmrolle erinnern mag?
Nur wenige Monate später wurde in meiner Vaterstadt das erste richtige Kino eröffnet. Es trug den stolzen Namen: Apollotheater, und hier erlebte ich zum ersten Mal so etwas wie Filmbegleitmusik. Die mechanische Musikbegleitung war endgültig vorbei: Es triumphierte das Klavier. Das Klavier vor der Filmleinwand ist der Grundstein der späteren grossen glorreichen Filmtheaterorchester. Im Apollotheater wurde es von dem Töchterchen des Unternehmers gespielt, das wohl noch nicht ganz der Klavierstunde entwachsen war. Aber sie differenzierte doch schon merklich gut, was bei dem bescheidenen Repertoire gar nicht so einfach war. Noch heute, nach 61 Jahren, kann ich dieses Repertoire hersagen; Beim 'Drama' spielte sie unweigerlich: "Quand l' amour meurt", "Das Gebet einer Jungfrau", bei der 'Naturaufnahme' "Alpenglühen" und beim 'Lustspiel' "Die Petersburger Schlittenfahrt" oder den Marsch "Wien bleibt Wien".
Der nächste Fortschritt, den ich registrieren kann, bestand darin, dass das Klavier einen Gefährten bekam: Das Harmonium. Beide Instrumente waren im stumpfen Winkel zueinander aufgestellt, wurden aber nur von einem Spieler bedient. Das ging dann folgendermassen vor sich:
Normalerweise begleitete der Pianist den Film am Klavier. Wenn die Handlung nun plötzlich tragisch wurde, schwenkte er auf seinem drehbaren Klavierstuhl nach halbrechts, spielte mit der linken Hand weiterhin langsam Begleitfiguren auf dem Klavier, liess aber mit der rechten auf dem Harmonium schmelzende Terzen und Sexten erklingen. Die Wirkung auf die Tränendrüsen der Zuschauer war durchschlagend. Es gab hierbei Künstler, die sich von jedem Notenblatt freihielten, und, die Augen stets auf der Leinwand, den Gang der Handlung entsprechend frei improvisierten. Ich kannte einen wohlbeleibten, schielenden Bäckergesellen, der keine einzige Note kannte, aber im Improvisieren vor der Leinwand ein wahrer Meister war.
Der nächste Schritt war das Duo: die Zwei-Mann-Kapelle. Selbstverständlich bestand diese aus dem unentbehrlichen Pianisten und einem Geiger. Mit dem Improvisieren war es ja nun vorbei, und man kehrte zu den bewährten Stücken des "Salonalbums" (s.o.) zurück. Lassen Sie mich hier einen damals viel kolportierten Witz einfügen! Gegen Ende eines hochdramatischen Henny-Porten-Films erscheint die blonde Henny auf der Brücke, von der sie sich gleich in die schäumende Flut hinabstürzen wird. Als nun gerade an dieser Stelle der Geiger des Duo entsetzlich falsch spielt, ertönt eine Stimme aus den Zuschauerraum: "Henny, nimm den Geiger mit!"
Je nach Grösse des Theaters kamen zu dem Duo immer mehr Musiker hinzu, wenn auch bis zum Ende der Stummfilmzeit in den kleinen und kleinsten Theatern die 2- bis 5- Mann Kapelle die Regel blieb. Aber nach dem ersten Weltkrieg, als aus dem einstigen "Handtuch" ein "Palast" geworden war (in Berlin: Gloria-Palast, Ufa-Palast am Zoo usw.) begann auch die Hybris der Filmtheaterorchester. Zuvor aber möchte ich an dieser Stelle dem guten, alten "Salonorchester" einen Immortellenkranz aufs unverdient frühe Grab legen. Es entstand am Anfang dieses Jahrhunderts und hatte sich aus dem seit langem üblichen Unterhaltungs- und Tanzorchester entwickelt, dessen Grundlage das reine Streicherquartett bildete, dem sich, je nach Bedarf, Holzbläser und einzelne Blechinstrumente zugesellten. Das neue am Salonorchester war die Einführung des Klaviers, das die Aufgabe der rein begleitenden Instrumente übernahm, während ein Harmonium die etwa fehlenden Holzbläser ersetzte. So erzielte man eine enorme Einsparung an Musikern, denn diese Art Orchester zählte nur etwa acht bis zwölf Mann. Das Hauptwirkungsgebiet des Salonorchesters war zunächst das Konzertcafé. Dann aber drang es in die Kinos ein und hat im Laufe eines guten Jahrzehnts (ca. 1915-1926) dem Kinobesucher unendlich viel Freude und Musikgenuss verschafft. Wie oft, wenn der Film einen langweilte, konzentrierte man sich ganz auf das Orchester, wenn es wirklich vorzüglich spielte! Welchen Ausweg hat der heutige Kinobesucher im gleichen Falle? Doch nur die bei aller technischen Perfektion so unnatürliche Lautsprecherwiedergabe von Wort und Ton. So können ja auch unsere Kinder ihre Jahrmarktsvergnügungen fast nur bei Lautsprechermusik erleben.
Von einer kuriosen, zum Glück nicht langlebigen, Abart des musikuntermalten Films wäre jetzt noch zu berichten:
dem Opern- und Operettenfilm: Ein solcher Film wurde zwar stumm auf genommen, aber während der Aufnahme im "Atelier" sangen und spielten genau wie im Theater Solisten, Chor und Orchester. Der dieses Ensemble dirigierende Kapellmeister wurde mit aufgenommen und erschien bei der Aufführung im Kino als winziges Männchen unten in der Mitte des Bildes in einem ausgesparten Halbkreis, der wie eine Souffleurmuschel wirkte. Nach den Dirigentenbewegungen dieses Miniaturkapellmeisters sangen und spielten nun Sänger und Musiker aus Fleisch und Blut, die zumeist hinter der Leinwand plaziert waren. -

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Heft 86 (30.1.-27.2.75)
S. Der Schauspieler Fritz Rasp
Es gab eine Zeit, in der sich fast jeder Drehbuchautor bemühte, eine Charakterrolle zu erfinden, die Fritz Rasp auf den Leib geschrieben war. Denn während der zwanziger und dreissiger Jahre war der Name dieses Schauspielers ein Begriff für abgrundtiefe Schurkerei im Film. Wer den am 13. Mai 1891 in Bayreuth geborenen und späteren Steinrück-Schüler auf der Bühne und auf der Leinwand erlebt hat, wird ihn nicht mehr vergessen. Ein gespenstisches Gesicht mit stechenden Augen, scharf geschnittenen Lippen und einer peitschenhiebartigen Stimme, bei der ein Wort genügte, um dem Publikum einen Angstschauer über den Rücken zu jagen.
Mit zehn Jahren schreibt Fritz Rasp schon Theaterstücke. Der Drang nach der Bühne wird übermächtig. Gegen den Willen der Eltern besucht er in München eine Theaterschule. - Erstes Auftreten als Statist zur Eröffnung des Münchener Künstler-Theaters. Erstes Engagement als Schauspieler in Speyer mit einer Monatsgage von 60 Mark. Er kommt nach Swinemünde und spielt unter der Leitung des Oberregisseurs Emil Jannings kleine Rollen. Auf Empfehlung von Werner Krauss erhält er einen Vertrag nach Nürnberg. Er trifft mit Felix Holländer zusammen, der ihn ans Deutsche Theater zum Vorsprechen bestellt. So kommt er nach Berlin, Max Reinhardt gibt ihm einen Vertrag auf fünf Jahre. Zwei Monate später bricht der Krieg aus! Er steht an der Somme im Schützengraben. Verwundung - Lazarett. Nach der Genesung wieder am Deutschen Theater. Ernst Lubitsch gibt ihm in seinen ersten Filmen kleine Rollen.
Der Film "Jugend" bringt dann den langersehnten Erfolg. Theaterspielen hört ganz auf - filmen, filmen _... "Zwischen Abend und Morgen" und "Schatten", "Arabella", "Das Haus der Lüge", "Die Liebe der Jeanne Ney", "Der letzte Walzer", "Metropolis", "Spione", "Tagebuch einer Verlorenen", "Schinderhannes" und "Frau im Mond".
Der Tonfilm bringt neue Aufgaben: Hauptrollen in "Emil und die Detektive", "Der Judas von Tirol", "Der Hexer" und "Lockspitzel Asew".

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Heft 87 (6.3.-3.4.75)
P.S. Zum Beispiel Harry Piel
"Harry Piel dreht seinen 100. Film!" Schreiben Mitte der dreissiger Jahre die Filmzeitungen. Harry Piel, das bedeutet: Spannung, Sensation. Von seinen Filmen erwartet der Zuschauer bildgewordene Abenteuergeschichten. - 1922 liest man in der Zeitung:
"3000 Meter über der .Erde - eine ungefilmte Sensation." Harry Piel geriet bei der Ausführung einer seiner tollkühnen Sensationen, - er musste diesmal eine auf der Kuppe eines Fabrikschornsteins ohnmächtig gewordene Dame mittels eines Fesselballons retten, - in eine lebensgefährliche Lage, aus der er sich nur Dank seiner Geistesgegenwart, Energie und Körperkraft zu befreien vermochte.
Harry Piel, der deutsche Douglas Fairbanks, wie man ihn später nennt, wird am 12. Juli 1882 in Düsseldorf geboren. Sein Vater, die Familie stammt aus Holland, ist Grosskaufmann. Harry Piel besucht das Gymnasium, aber der Zwang der Schule wird bald lästig; und vielleicht entspringt es ebenso sehr dem Freiheitsdrang wie der Abenteuerlust, dass der junge Mann bei der Marine als Fahnenjunker eintritt. Ein Herzklappenfehler beendet bald die militärische Laufbahn. Es heisst also einen neuen Beruf wählen.
Er reist nach Paris, wo Pathé und Gaumont die ersten grösseren Filme herstellen. Hier kann man Abenteuer im Atelier erleben! - Kurz vor Ausbruch des ersten Weltkrieges kehrt er nach Deutschland zurück und arbeitet mit Joe May bei der Continental-Film-Gesellschaft. Durch May kommt er zur Ufa und inszeniert die "Joe Deebs" Filmserie. Der grosse Erfolg kommt erst, als er als Sensationsdarsteller auf der Leinwand erscheint. Er ist "Der Mann ohne Nerven", der in seinem Film "Unter heisser Sonne" die von Hagenbeck nach Berlin gebrachten Löwen zwei Tage hungern lässt, damit sie bei den Filmaufnahmen recht wild sind.
Der Krieg ist vorüber, Harry Piel steht, nunmehr fast dreissig Jahre alt auf der Höhe seines Ruhmes und als Gipsbüste auf so manchem Vertiko.
Film folgt auf Film, Titel und Handlung tief im Dschungel der Kolportage verwurzelt; "Harry Piel der tollkühne Detektiv in: "Das Rätsel einer Nacht". - "Harry Piel der Abenteuerkönig", "Das fliegende Auto", "Das schwarze Kuvert", "Das verschwundene Haus" und "Wettlauf um Millionen",
Jeder Film hat mehrere Teile, die in kurzer Zeit gedreht werden. Piels altbewährter Kameramann Georg Muschner löst meisterhaft mit Licht und Schatten die schwere Aufgabe den flüchtig gebauten Dekorationen geheimnisvolles Leben zu geben.
Schon vor dem ersten Weltkrieg waren im Film die englisch klingenden Detektivnamen wie Stuart Webbs, Harry Higgs, Joe Deebs und Sherlok Holmes sehr beliebt. Holmes wurde von Alwin Neuss verkörpert, der übrigens auch vor 1915 den Tom Shark in "Die Spinne" spielt. Dieser Tom Shark bringt eine adlige Dame zu Beginn der dreissiger Jahre in stilistisch schauderhaftem Deutsch in einer Riesenauflage mit fast unglaublichem Erfolg auf den deutschen Markt.
Harry Piel kann sich dem Geschmack der zwanziger Jahre, der weiterhin im Kolportageroman und auf der Leinwand den englisch klingenden Namen des Helden bevorzugt, nicht entziehen; dem Reigen der Nat Pinkerton, Nick Carter, Lord Lister, Fred Parker, John Kling, Percy Stuart und Frank Allan (bei diesem "Rächer der Enterbten" soll sich auch Waldemar Bonsels literarisch betätigt haben). Im "Reiter ohne Kopf", einem Abenteuer in 3 Teilen wird aus Harry Piel: Harry Peel. Der 3. Teil trägt den Titel: "Harry Peels schwerster Sieg". Interessant die Schlussszene: Peel geht auf Grace und Hanssen zu, legt die Hände der beiden glücklichen Menschen ineinander - und wendet sich dann mit schmerzlichem Lächeln ab - es war sein schwerster Sieg - wo wird er sein Glück endlich finden? Und während er langsam dem Betrachter in den Hintergrund gehend entschwindet, neuen Abenteuern entgegen, kreist das Bild zu.
Nach "Harry Peels schwerster Sieg" in dem Harry Piel seine grösste Leistung vollbracht hat, bleibt ihm nur ein Abstieg zu geringeren Taten übrig. Das will er aber weder seinem Helden "Peel" noch seiner Anhängerschaft antun. Eine neue Figur entsteht: "Unus". Der erste Film der neuen Serie: "Der Fürst der Berge". -
Die Jahre vergehen, Harry Piel bleibt. Lange schon ist er ein Begriff für alle geworden, die Abenteuer und Kolportage lieben. Neben seiner Frau Dary Holm spielt manche später berühmt gewordene Schauspielerin in seinen Filmen:
In "Der grosse Bluff" sieht man Marlene Dietrich als seine Partnerin.
Der Tonfilm bringt für ihn keine stimmlichen Schwierigkeiten. Aber nun werden seine Filme brav und bürgerlich. Der Zauber der Kolportage verblasst.
Nach 1945, auf dem ersten Filmball fasst Entsetzen die Anwesenden: Ein maskierter Mann in Frack und Zylinder, in jeder Hand drohend einen Revolver, dringt in den Festsaal ein. Er nimmt die Maske ab: ein alter Mann, fast verlegen lächelnd - Harry Piel.
Heute, viele Jahre später; im Zeichen der Nostalgie, Piels frühe Filme sind verschollen, werden die Kolportage-Roman-Hefte, die zu diesen Filmen damals erschienen, eifrig gesuchte. - "Kampf dem Verbrechen " war sein Wahlspruch.
"Kampf" ein Schlüsselwort der Kolportage, das einen Serienhelden sogar den Namen gab: Walther Kabels Meisterdetektiv Harald Harst. Sein Schöpfer, ein begeisterter Wagner Anhänger, hatte diesen Namen den Worterklärungen zu Richard Wagners "Der Ring des Nibelungen" entnommen:
Harst = Kampf
Andere Autoren waren entsprechend ihrer und der ihres Leserkreises Bildung und Geisteshaltung weit vordergründiger und versteckten die beabsichtigte Charakterisierung ihres Helden in der Übersetzung des Begriffes in andere Sprachen. (Shark = Hai). Oder sie gaben den Namen nur abenteuerversprechenden Wortklang.
Harry Piel bleibt die Ausnahme. Hätte er nicht so geheissen; man hätte den Namen für ihn erfinden müssen!

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Heft 88 (10.4.-22.5.75)
W. St. Charlie Chaplin: Serienheld und filmischer Ausdruck der Trivialliteratur
Viel mehr als die amerikanischen Titel unterstreichen die deutschen die Serie unter Bezug auf den Serienhelden:
Chaplin auf der Walze; Chaplin im Sträflingskittel; Chaplin im Warenhaus; Chaplin im Kino; Chaplin als Zahnarzt
In fast allen seiner 80 Filme ist Chaplin der typische Held der Seriengeschichte. Jeder Titel verspricht eine in sich abgeschlossene Konfrontation mit Situationen, Gegenständen, Umgebungen.
Besonders deutlich wird das Merkmal der Serie bei Filmhelden durch den "literarischen" Niederschlag in Groschenromanen und Comics. Chaplin, Micky Maus, Tom Mix und Harry Piel nehmen ihren Platz zwischen Nick Carter, Karl May und Tarzan ein, die ihrerseits auf der Leinwand lebendig werden.
Sie alle repräsentieren einen bestimmten Typ:
schüchterne Liebhaber, Rächer der Enterbten, Könige der Detektive, Grosse Unbekannte. Chaplin verkörpert auf burleske Weise, surreal und doch den Alltagsmöglichkeiten viel näher, etwas von allen. Damit schafft er die Voraussetzung zur Identifikation, zum Miterleben - einem Schlüssel seiner Beliebtheit.
Chaplin ist der "Antiheld", die Verkörperung der elementaren Gefühlswelt. Ihm versperren weder Alter, Bildung und Mode, noch Mentalität und Kulturkreis den Weg zum Zuschauer.
Dass es seit 1915 bis heute nahezu ununterbrochen Comic-Serien mit Charlie Chaplin gibt, ist nicht nur ein Zeichen seiner Popularität, sondern auch Ausdruck seiner Typisierung: filmische Darstellung der Seriengeschichte.
= = = =
Chaplin rettet entführtes Mädchen aus Zigeunerlager. Junger Maler ist von ihr und kleeblattförmigem Muttermal auf ihrem Arm fasziniert. Reiche Mutter erkennt auf Portrait verloren geglaubtes Kind am Muttermal. Maler führt Mutter und Tochter zusammen, Chaplin bleibt einsam zurück - nein, das Mädchen kann Retter nicht vergessen, Chaplin soll am Glück der Drei teilhaben.
(The Vagabond 1916)
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Chaplin zieht Findelkind armer lediger Mutter gross. Mutter, inzwischen reich geworden, sucht verzweifelt ihr Kind. Ende: Mutter, Kind und Chaplin glücklich vereint.
(The Kid 1921)
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Chaplin wird von blinden Blumenmädchen für jungen hübschen Millionär gehalten. Er tut alles, um die Illusion nicht zu zerstören. Mittel dazu teils durch eigene Arbeit, teils von Millionär, dem er das Leben gerettet hat. Sensationelle Augenoperation in Europa. Chaplin schickt Mädchen dorthin. Erwartungsvolle Rückkehr. Sie erkennt Charlie.
(City Lights 1930)
= = = =
Sind das die Stoffe für das einzige Genie, das der Film je hervorgebracht hat? So bezeichnet ihn der englische Dichter St. John Ervine 1928 in einem Artikel über Chaplin in der Monatsschrift NASH'S. Meist wird dieses Zitat seinem Freund Bernard Shaw zugeschrieben. Er hat es aber, wenn überhaupt, erst 1931 bei der Londoner Premiere von City Lights gebraucht.
Weit kritischer äussert sich Bert Brecht 1926 anlässlich des Films "Goldrausch": "Das, was in diesem Film gemacht wird, würde seinem Ideengehalt nach für die Bühne keineswegs und vor keinem Theaterpublikum derzeit ausreichen. Auf der Bühne vorkommend, würde es jedes Vertrauen des Publikums in die Fähigkeit des Autors, eine Handlung straff zu Ende zu führen, unrettbar vernichten." Aber "_... nirgends, weder im Theater noch im Varieté, noch im Film kann derartiges gemacht werden, wo nicht Chaplin ist. Dieser Künstler ist ein Dokument, der heute schon durch die Kraft historischer Ereignisse wirkt."
Oder charakterisiert René Clair Chaplin am besten? "Chaplin ist unser grösster dramatischer Autor. Er ist gewiss ein Schauspieler höchsten Ranges, aber es gibt noch andere hervorragende Mimen. Als Autor dagegen bleibt er unerreicht.
Doch letztlich bedeutet Charlie Chaplin als Begriff einer Filmgattung die Synthese von unkomplizierter Kolportage mit gefühlsintensiver Ausdruckskraft, verwirklicht mit den Mitteln der Pantomime - genialer filmischer Ausdruck der Trivialliteratur.
Chaplin erinnert sich der Groschenhefte: In "Moderne Zeiten" lässt er den Fabrikdirektor Tarzan-Comics lesen: den Ort "Butte" in Montana nennt er eine richtige "Nick-Carter-Stadt", wo er sogar erlebt, wie ein fetter, alter Sheriff einen flüchtenden Gefangenen in die Ferse schiesst; in "The Kid" liest Jackie Coogan, in "Pay Day" er selbst die "Police Gazette".

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Heft 89 (5.6.-17.7.75)
P. S. Go West!
Pulverdampf liegt über der Western-Stadt, die Colt- und Gewehrläufe sind heiss. Der Mann oben auf dem Dach krümmt sich, sinkt langsam in sich zusammen, seine Waffen entgleiten ihm und fallen polternd vom Dach in den Staub der Strasse. Der Held folgt ihnen in einem gekonnten Fall, bis er - ebenso gekonnt - dumpf unten aufschlägt.
Mit lässiger Siegermiene steckt sein Duellpartner seine Colts in die Halfter zurück und entfernt sich wiegenden Schrittes.
Dann rauscht Beifall auf hinter der Absperrung. Etwa 200 Besucher beklatschen eine Live-Szene, die sie nur aus Westernfilmen kannten.
Das Ganze spielt sich mehrmals täglich in verschiedenen Filmstudios der USA ab. Spannende Western-Gefechte, für einen nie abreissenden Strom von Touristen inszeniert, gehören zum Beispiel auch zum Repertoire der Universal-Studios in der Nähe von Hollywood. ( 4.25 .Dollar pro Erwachsener.)
Ein paar Meilen weiter südlich kann man die Helden dann "persönlich" treffen, wo sie im "Movieland Wax Museum" in Buena Park lebensgross und in nachgestellten berühmten Filmszenen verewigt sind. Es fehlt keiner der Grossen! (Eintritt 2.95 Dollar.)
Da sieht man G. M. Andersen, der berühmte "Broncho-Billy", in einer gewaltigen Kampfszene seines Films: "THE COWBOY COWARD" von 1912. Nicht weit davon in einer Blockhaus-Dekoration kämpft William S. Hart: "TWO GUN HICKS " gedreht im Jahre 1914.
Und all die Anderen; Tom Mix, Hoot Gibson, Buck Jones, Jack Holt und Ken Maynard. 124 berühmte Schauspieler in Lebensgrösse aus Wachs! Die Klimaanlage surrt leise. Manch harter Recke würde sonst in der Wüstensonne Kaliforniens weich werden.

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Heft 100 (14.10.-4.11.76)
Archiv für Filmkunde neugestaltet
In den neu gestalteten Räumen des Archivs für Filmkunde werden die wichtigsten Stationen in der Entwicklung des Licht-Spiels gezeigt. Die Gegenstände wurden so ausgewählt, dass die zauberhafte Schönheit der optischen Illusionen offenbar wird: Musée du Cinéma - Joies du Passé.

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Heft 102 (16.12.76-27.1.77)
[Aus dem Archiv für Filmkunde Paul Sauerlaender] Laterna Magica
Mit dieser Laterna Magica aus poliertem Messing, Höhe 24 cm, (Ernst Plank, Nürnberg, um 1893) konnten neben den herkömmlichen rechteckigen, auch runde Glasbilder vorgeführt werden. Die runden Bildscheiben mit 6 oder 8 Einzelbildern hatten den Vorteil, dass die Bilderfolge ohne Unterbrechung beliebig oft wiederholt werden konnte.

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Heft 104 (10.3.-7.4.77)
Zu: Die Reise um die Erde in 80 Tagen, 1919
Das stark beschädigte Original des Films "Die Reise um die Erde in 80 Tagen" wurde im "Archiv für Filmkunde Paul Sauerlaender" nach einem dort entwickelten Verfahren aufbereitet und in den Original-Viragen kopiert. Ein bislang als verloren gegoltenes Stück Filmgeschichte ist damit erhalten geblieben.
Zu: Der Mann, der lacht, 1928 >a name="104">
Der Film, der in Deutschland nur als Stummfilm gezeigt wurde, ist in Amerika als Nadeltonfilm produziert worden. Die Schallplatten sind vor wenigen Jahren - zum Teil zerbrochen - wiedergefunden worden. Sie wurden restauriert und auf Lichtton überspielt. Das Archiv für Filmkunde Paul Sauerlaender zeigt diesen Film mit dem Originalton.

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Heft 105 (14.4.-26.5.77)
[Aus dem Archiv für Filmkunde Paul Sauerlaender]
Laterna Magica Nr. 2
"Verbesserte Laterna Magica Nr. 2" von K. H., Nürnberg, um 1850. Diese Zauberlaterne aus Weissblech mit in Hochrelief getriebenen Ornamenten und Figuren (auf der einen Seite ein Jäger zu Pferd, auf der anderen ein Hirsch) wird ohne Schornstein betrieben. Als Lichtquelle dient eine Öllampe mit Flachbrenner, ohne Zylinder, vor einem polierten Blech-Hohlspiegel. Es wird kein Kondensor verwendet. Die hintere Linse des zweilinsigen Objektive sitzt dicht vor dem Glasbild.

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Heft 106 (2.6.14.7.77)
[Aus dem Archiv für Filmkunde Paul Sauerlaender]
Französisches Kindertheater "OPERA"
Französisches Kindertheater "OPERA" aus Holz um 1890. Breite 45 cm, Höhe 44 cm, Tiefe 20 cm. Es ist im wesentlichen aus Holz gefertigt, das teils mit farbigem Papier überzogen, teils bemalt ist. Das Proszenium ist mit aufgestuckten Figuren und Ornamenten reich verziert. Der bemalte Stoffvorhang wird nach oben aufgerollt. Die Hintergrunddekoration umschliesst die Spielfläche nahtlos. Die Figuren werden von oben geführt.

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2Heft 106 (29.9.-18.10.77) (Nr. doppelt vergeben)
[Aus dem Archiv für Filmkunde Paul Sauerlaender]
Pathé KOK
Selten weist ein Projektor so viele Besonderheiten auf wie dieser, der ab 1913 als "Salon-Projektor" auf den Markt kam:
> 28 mm breiter Sicherheitsfilm.
> Unsymmetrische Perforation: auf der einen Seite 4 Löcher pro Bild, auf der anderen 1 Loch jeweils in Höhe des Bildstrichs.
> Doppelseitiger Greifer, der sich nur auf- und abwärts bewegt. Seine Zähne klappen bei der Rückwärtsbewegung um, bis sie dort wieder in den Film eingreifen, wo sich auf beiden Seiten ein Perforationsloch befindet.
> Handkurbelbetrieb. Es ist ein Dynamo angekoppelt, der den Strom für die Projektionslampe erzeugt.

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Heft 107 (3.11.-8.12.77)
[Aus dem Archiv für Filmkunde Paul Sauerlaender]
Projektor G B M BAVARIA um 1920
Projektor für 35 mm Film und 7 cm breite Laterna Magica Bilder, montiert auf poliertes Grundbrett 37 x 19 cm. Wegen seiner Grösse und technischer Besonderheiten ist dieser Projektor nicht mehr ein reines Kinderspielzeug; 120 m Film fassende Spulen, massive Vor- und Nachwickelzahnrollen. Vorderblende für flimmerarme Projektion, die Lichtquelle (Petroleum, Gas oder elektrisch) ist durch ein Blauglasfenster kontrollierbar. Ein Schlägermechanismus wird für den ruckweisen Filmtransport verwendet; eine sehr einfache Methode, die aber keinen ruhigen Bildstand gewährleistet und wenig filmschonend ist.

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Heft 108 (15.12.77-2.2.78)
[Aus dem Archiv für Filmkunde Paul Sauerlaender]
Scherenschnittfilme von Edeltraut Engelhardt
Angeregt durch die Arbeiten Ton Lotte Reiniger begann Edeltraud Engelhardt vor etwa 5 Jahren ihre Geschicklichkeit im Anfertigen von Scherenschnitten für eigene Film anzuwenden. Es entstanden "Perpetuum", "Äpfel" und "Das Fest". Wenn man diese Filme - trotz ihrer künstlerischen Präzision - als Studien bezeichnen will, dann ist "Der Fischer und seine Frau" eine zauberhafte Symphonie in Schattenspiel, Farbe und Musik, die keines Vorbildes mehr bedarf.

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Heft 109 (9.2.-16.3.78)
Charlie Chaplin +
Vevey (Schweiz) (dpa). Der in der ganzen Welt bekannte Filmkomiker und Regisseur Charlie Chaplin ist in der Weihnachtsnacht an Altersschwäche gestorben. Der aus England stammende, seit mehr als zwanzig Jahren in der Schweiz ansässige Schauspieler wurde 88 Jahre alt.

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Heft 110 (30.3.-4.5.78)
Symphonie des Grauens (F. W. Murnau)
Eine "Symphonie des Grauens" nannte Friedrich Wilhelm Murnau im Untertitel seinen 1922 gedrehten Vampirfilm "Nosferatu". Max Schreck als spinnenfingriger Blutsauger treibt sein mitternächtliches Unwesen u.a. in einer Gebäudeszenerie, die man noch heute in Lübeck finden kann. Die unter Denkmalschutz stehenden Salzhäuser vermitteln ein halbes Jahrhundert später immer noch den Eindruck, als würde Nosferatu jeden Augenblick hinter einer der schwarzen Fensteröffnungen erscheinen _...
1950 wurde der Film in einer neuen Bearbeitung und mit Nadelton unterlegt unter dem Titel "Die zwölfte Stunde" oder "Eine Nacht des Grauens" herausgebracht.

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Heft 115 (7.12.78-11.1.79)
Farbe im Film
Schon wenige Jahre nach der ersten öffentlichen Filmvorführung versuchte der Erfindergeist dem Geschehen auf der Leinwand eine neue Dimension hinzuzufügen: Die Farbe.
Und es begann wie bei den Bilderbogen damit, dass die Schwarzweiss-Vorlagen mit der Hand koloriert wurden. Über ein Jahrzehnt wurden Frauen und Kinder damit beschäftigt, Bild für Bild (fast 10000 für einen Film von 15 Minuten Spieldauer) am "Fliessband" anzumalen - eine Mühe, die nur einen etwa 20% höheren Verkaufserlös für die Filmkopie erbrachte - bis dann im zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts das arbeitsaufwendige Verfahren des Handkolorierens und auch des maschinellen Schablonenkolorierens von der Virage und der Tönung abgelöst wurde.

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Heft 119 (7.6-26.7.79)
[S., P.] Wir könnten ein Fest feiern
Wenn man Paris mit den offenen Augen dessen durchstreift, für den die Filmgeschichte nicht nur der Inhalt eines Achtstunden-Arbeitstages ist, dann kann man noch allerhand finden - besonders dann, wenn lang gepflegte Beziehungen zu Händlern und Sammlern ein übriges tun.
Das Archiv für Filmkunde Paul Sauerlaender freut sich, eine Reihe besonderer Neuerwerbungen präsentieren zu können:
Ein Polyorama Panoptique, um 1855 von Daguerre erfunden, mit 18 colorierten Verwandlungsbildern.
Zwei handgemalte Anamorphosen 18x18 cm mit Cylinder, um 1820.
Mehrere Plakate von Vitagraph, Gaumont (für einen colorierten Film), Pathé und Eclair sowie in Doppelgrösse ein deutsches Plakat von 1914 der Luna-Film GmbH, Berlin:
"Ein seltsames Gemälde".
und nicht zuletzt:
Die Originalfassung des Films "Napoleon" von Abel Gance (1927) mit über 5 Stunden Spieldauer. Die Zwischentitel sind in französisch und deutsch. Der Film wird in Kürze im "Archiv für Filmkunde" zu sehen sein.
Die Reise war so erfolgreich, dass wir auch für eine andere Institution interessante Dinge zu einem vernünftigen Preis erstehen konnten; für das Filminstitut der Landeshauptstadt Düsseldorf, mit dem eine enge Zusammenarbeit in freundschaftlicher Atmosphäre besteht.