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Quellen zur Filmgeschichte 1906-1920: Artikel zur Geschichte der Filmzensur

Inhalt:


Zur Geschichte der Polizei-Filmzensur 1906 bis 1920
Die Düsseldorfer Zensurstelle in Gefahr (1918)
Die Ursprünge der offiziellen Filmzensur in Deutschland


Zur Geschichte der Polizei-Filmzensur 1906 bis 1920

Die Reichsfilmzensur (ab Mai 1920) ist nicht zuletzt wegen ihrer Veröffentlichungspraxis relativ gut bekannt. Dagegen kannten die meisten an der Filmgeschichte Interessierten die Filmzensur der Polizei lange Zeit kaum mehr als nur dem Namen nach, denn auch in grossen Filmgeschichtswerken wird sie höchstens mit ein, zwei Sätzen abgehandelt. Dieser Unkenntnis hat das "Verzeichnis in Deutschland gelaufener Filme. Entscheidungen der Filmzensur 1911-1920" Abhilfe geschaffen.

Einige der Gesetze, Verordnungen usw. stehen in Zensur 1906 ff. Zur Zensur nach 1920 finden Sie einiges auf der Übersichtsseite ab 1920 .

Am 1.Mai 1906 wurde Rudolf Hennig zum Tode verurteilt. Dieser recht einfache Lederarbeiter (geb. 1874) hatte nach einem Raubmord bei Berlin der Polizei mehrmals ein Schnippchen geschlagen und sich der Festnahme entzogen. Dabei hatte er noch versucht, seine Geschichte an den Berliner Lokalanzeiger für 1700 RM (gleich einem Zweijahreseinkommen) zu verkaufen. Die Filmindustrie verfilmte diesen Fall und machte sich dabei über die Arbeit der Polizei z.T. lustig, z.T. prangerte sie sie an. Am 13.4.1906 verbot die Polizei von Berlin alle "auf künstlichem Wege hergestellten Darstellungen von Hennigs Mordtat und seiner Flucht vorzuführen". Das Verbot wurde zwar schon am 18.4. wieder aufgehoben, aber diese Affäre gab den direkten Anlass zur Einführung der polizeilichen Vorzensur in Berlin. Näheres dazu s. Hennig .

Bis dahin galt aufgrund des Paragraphen 10 des Preussischen Allgemeinen Landrechts die sogenannte Nachzensur. Der Ortspolizist besuchte die erste Vorstellung und entschied, welche Filme seinem Empfinden nach "Ruhe, Ordnung und Sicherheit" stören könnten. Einspruch dagegen konnte beim Verwaltungsgericht erhoben werden, und mindestens 1897 sind die ersten Gerichtsurteile in Sachen Filmverbot gefällt worden. Dabei stehen zwei Themen von Anfang an im Mittelpunkt: Sex und Gewalt.

Besonders die Reformkinobewegung bekämpft die "Schundfilms, die die Jugend zum Träumen verleiten". Andere sind allerdings der Meinung, dass eher die Kommentare der Erwachsenen in derartigen Filmen und das Betasten von eingeladenen Jugendlichen die Jugendlichen verderben. Der direkte Anstoss zur Zensur als Institution erfolgte aber erst durch die Berichterstattung über den Fall Hennig. Sie wurde, abgesehen von der Verunglimpfung der Polizei, als Eingriff in ein noch nicht abgeschlossenes Verfahren empfunden. In den Folgejahren richteten auch andere Länder Zensurbehörden ein.

Die Kinobesitzer mussten anfangs die Titel des nächsten Programms bei der zuständigen Polizeistelle einreichen, die die Listen an die Zentrale weiterleitete. Nach einem Vergleich mit den dortigen Unterlagen erhielt der Kinobesitzer die Liste mit Anmerkungen über das Polizeirevier wieder zurück. Die Länge der Prozedur regte die Polizei zu dem Vorschlag an, die Filme vom Produzenten vorlegen zu lassen und zu stempeln. Der Gegenvorschlag von Herrn Effing, dem Direktor der Internationalen Kinematographen- und Lichteffektgesellschaft, eine Zensurkarte zu jedem Film auszugeben, fand die Zustimmung auch der Polizei und im März 1907 wurde sie eingeführt. Als die heute Wochenschauen genannten Filmstreifen aufkamen, ergab sich bald, dass dieses Prüfverfahren immer noch zu langwierig war. Es wurde daher für sie die Sonderregelung geschaffen, dass sie sofort, auch ausserhalb der Dienststunden, geprüft und mit schnell ausgefertigten Zensurkarten schon für die erste Aufführungswoche versehen wurden.

Hatte der Ortspolizist noch die Stimmungslage im jeweiligen Bezirk mitberücksichtigen können, so empfanden nun immer mehr Zuschauer sich von den Entscheidungen in der z.T. fernen Zensurzentrale bevormundet. Andererseits wird durch die zentrale Zensur die Möglichkeit immer mehr beschränkt, einen hier verbotenen Film im benachbarten Ort dennoch sehen zu können. Aber mit der Zunahme der Kinos und der Produktion drängte sich doch immer mehr eine Zentralisierung der Zensur auf. 1911 schlossen sich mehrere Orte in Preussen den Entscheidungen der Berliner Behörde an, die den grössten Teil der Filmproduktion zu zensieren hatte (1906 bis 1911: über 12.000 Filme!) Zeitweise zensierten 3 bis 4 Kommissionen gleichzeitig bis zu 40.000 m Film - pro Tag. Zur Vereinfachung der Kommunikation wurden nun die beanstandeten Titel im "Preussischen Zentralpolizeiblatt" veröffentlicht. Ab 1912 druckten auch mehrere Filmzeitschriften die Zensurentscheidungen ab, z.T. sogar mit den Zensurnummern, die im Preussischen Zentralpolizeiblatt nicht mit dabeistehen. Ab 1916 druckten sie auch die freigegebenen Filme mit ab, die in den Zentralpolizeiblättern nicht aufgeführt wurden.

Die Zensurentscheidungen lauteten in Berlin: "Verbot", "Für Kinder verboten", "Freigegeben" und im 1. Weltkrieg noch "Für die Dauer des Krieges verboten". In Einzelfällen kennt man auch Beschränkungen wie "Nur ohne Musik" oder "Nur mit einführendem Vortrag". Nach 1918 wird die Zensur für Erwachsene aufgehoben. Die Zensurbehörde zensiert aber für Jugendliche weiter und endet 1920 bei der Nummer 44.000. Die Änderungen bei der Zensurpraxis 1911 und 1918, bis zu einem gewissen Grade auch 1914, bringen sowohl der Polizei wie den Produzenten und Verleihern Mühsal und Ärger (letzteren aber auch manchmal Vorteile:), denn viele Filme mussten erneut zur Zensur vorgelegt werden. 1920 wird die Polizeizensur durch die Reichsfilmzensur abgelöst.

Die Ergebnisse der Berliner Zensur, soweit die Filme beanstandet wurden, sind im "Preussischen Zentralpolizeiblatt" veröffentlicht. Die Jahrgänge 1911,1912, 1914, 1915, 1917-1920 sind in der Landesbibliothek Dortmund, 1918-1920 auch in der Deutschen Bücherei, Leipzig vorhanden. Die Jahrgänge 1913 und 1916 habe ich bisher nicht gefunden. Ein Verlag in Guben hat die Entscheidungen nachgedruckt und diese Veröffentlichung "Verbotene Kinematographenbilder" sind erhalten. Ausserdem liegen auch noch die Veröffentlichungen in einigen Filmzeitschriften vor.

Anfangs werden im Polizeiblatt die Zensurnummern mitgeteilt, ab Mitte 1912 aber nicht mehr. Ab 1916 fügt sie die LBB wieder hinzu, die bald auch dazu übergeht, ebenfalls die nicht beanstandeten Filme mitaufzuführen.

Die Zensurlisten enthalten nach dem Titel die Produktionsfirma, z.T. die Zensur-, z.T. auch die Produktionsnummer, die Länge, die Entscheidungen und bei vielen Filmen die beanstandeten Teile.

In Ansätzen gibt es schon 1912 in anderen Teilen Deutschlands ähnliche Zensurpraktiken wie in Berlin. Aber erst ab diesem Jahr setzt die eigentliche Zensureuphorie ein. Leider hat aber nur Bayern sich dem Berliner Vorbild, die Ergebnisse zu veröffentlichen, angeschlossen.

Die Münchner Zensurlisten (Bayerisches Zentralpolizeiblatt) enthalten immer auch die Zensurnummern. Bei der Einrichtung der Zensurstelle gab es einige Querelen, da ein Filmverleiher die Zensurbehörde in seinen Räumen unterzubringen trachtete. Endgültig wurde aber die Zensurstelle dann doch in einem eigenen Gebäude in der Sonnenstrasse eingerichtet.

Abweichend vom Berliner Vorbild gab es in München nur eine totale Freigabe oder ein totales Verbot. Die Freigabe konnte durch Schnitte erreicht werden. Die Angabe der Schnittauflagen in den Zensurenentscheiden bieten eine Quelle der Freude, vor allem wenn man die Filme kennt. Es gab z.B. Filme, bei denen nur einzelne Akte verboten wurden. Es dürfte eine interessante Arbeit sein, die Zensurpraktiken der beiden Behörden und bei diesen in jeweils verschiedenen Jahren miteinander zu vergleichen. Eine interessante Variante der Zensurentscheidungen gab es in München seit 1916: Filme werden freigegeben unter der Voraussetzung, dass für sie keine Reklame als Detektivfilm gemacht wird. Während des Krieges kennt auch München die Entscheidung "Während des Krieges verboten".

Im Gegensatz zu Berlin steht auch der Brauch, jedem Filmakt eine Nummer zu geben (anfangs in Berlin allerdings auch. So kommt man auf ähnliche Zahlen, wie Berlin). Auch für München endet die Zensur offiziell im Jahre 1918, danach werden nur wenige Filme noch bis 1920 zensiert, kaum einer davon wird verboten. Die Zensur endet bei etwa 39.500.

Von den übrigen Städten, die die Zensur eingeführt haben, gibt es kaum noch Unterlagen. In Düsseldorf finden sich im Amtsblatt von November 1915 bis April 1917 die Titel der dort geprüften Filme.

In Stuttgart fand sich nur ein Beschwerdebrief mit einigen Zensurdaten. Weder die Zensurlisten, noch die Unterlagen bei der Polizeikasse haben sich erhalten. Übrigens hat man in Stuttgart, wie auch in Leipzig, jede Filmkopie am Anfang und am Ende mit einem Prägestempel versehen.

In Hamburg hat eine Lehrerkommission, die im Einvernehmen mit der zuständigen Polizeibehörde arbeitete, Listen mit für Kinder empfohlenen Filmen veröffentlicht. Die Originalentscheidungen sind leider nicht erhalten, nur die Abdrucke in einigen Filmzeitschriften, die aber auch nicht mehr vollständig sind.

Neben der Polizeizensur der Filme gibt es noch während des I. Weltkrieges die militärische Filmzensur, die jeweils vom Stellvertretenden Generalkommando vorgenommen wurde. Die entsprechenden Akten für Berlin sind leider ein Opfer des 2. Weltkrieges geworden. Für die übrigen, ausser Bayern, steht die Suche noch aus. In Bayern sind die Akten vollständig erhalten (Kriegsarchiv) sowohl die Entscheidungen als auch entsprechende Schriftwechsel und Verordnungen.

Es gibt nur relativ wenige Zensurkarten aus dieser Zeit, von denen die meisten im Bundesarchiv-Filmarchiv liegen (fast 2300). Auch die Kinemathek besitzt viele (ca 120). Einige wenige liegen noch in verschiedenen Staats- bzw. Landesarchiven.

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Die Düsseldorfer Zensurstelle in Gefahr

[Hier ein Artikel aus dem "Kinematograph", 4.9.1918. Zu dieser Zeit liegen aber keine Zensurdaten vor. Im Amtsblatt sind sie nur bis April 1917 veröffentlicht und einige Einzellisten sind alle Parallelverzeichnisse dazu.]

Wie wir erfahren, hat das Kriegsministerium, die zuständigen Stellen gebeten, in Erwägung darüber einzutreten, ob nicht die Düsseldorfer Zensurstelle aufgehoben werden könne und wieder wie früher die Berliner Zensurkarten als allein massgebend eingeführt werden können. Wie wir hören, sind die beteiligten Faktoren aufgefordert worden, zu dieser Anregung Stellung zu nehmen. Der Vorstand des Provinzialverbandes Rheinland und Westfalen hat sich in seiner letzten Sitzung für das Weiterbestehen der Düsseldorfer Zensurstelle entschieden und in einer längeren Eingabe darauf hingewiesen, dass den Wünschen des Kriegsministeriums nur dann Folge geleistet werden könne, wenn genau so wie bisher den örtlichem Organen die Möglichkeit eines Verbots genommen sei. Da aber besonders in der heutigen Zeit bei den eigenartigen Verhältnissen im Bezirk ohne die Düsseldorfer Stelle eine derartige Einschränkung der örtlichen Gewalt schlecht möglich ist, so wird man wohl mit dem Weiterbestehen, der Düsseldorfer Stelle rechnen können.

Die Gründe, die vom Kriegsministerium für die Aufhebung angeführt werden, sind für die Industrie äusserst interessant. Es sollen in Düsseldorf bedeutend mehr Bilder zensiert sein als in Berlin, eine Tatsache, die in erster Linie natürlich darauf zurückzuführen ist, dass auch eine Nachprüfung der alten Bilder bei Einrichtung der Zensurstelle stattfand, die zum Teil noch aus der Zeit vor dem Kriege stammten, und die nur in Düsseldorf nachzensiert wurden, damit sie weiter im Verkehr bleiben konnten.

Wer, wie der Verfasser dieses Artikels, die Gründe kennt, die seinerzeit zur Errichtung der Düsseldorfer Zensurstelle führten, und wer Gelegenheit hatte, die Arbeitsart der Düsseldorfer Zensoren zu beobachten, würde sicher im Verschwinden der Prüfungsstelle einen schweren Schaden für die Industrie sehen. Man hatte gehofft, dass Organisation und Prüfungsart, wie sie im Rheinland gehandhabt wird, vorbildlich werden würde für die übrigen Stellen des Reiches, denn hier wurde das entscheidende Urteil von Männern gesprochen, die einmal aus der Praxis heraus das Kino und seine Besucher kannten, und die auf Grund ihrer abgeschlossenen Bildung und sozialen Stellung sicher und klar abwägen konnten, was zugelassen werden konnte und was verboten werden musste. Es käme hinzu, dass durch die Einrichtung der Revisionsinstanz dem unhaltbaren Zustand ein Ende gemacht würde, dass das Schicksal eines Werkes, das unendlich viel künstlerische Arbeit und sehr häufig grosses Kapital verschlungen hatte, auf das Urteil eines Beamten hin einfach vernichtet werden konnte.

Es mag richtig sein, dass hier und da ein Bildstreifen genehmigt wurde, dem man in Berlin die Vorführungsgenehmigung versagen musste, es steht aber einwandfrei fest, dass in bedeutend grösserem Masse Verbote bei Films ausgesprochen wurden, die die Berliner Zensur bereits passiert hatten.

Leute, die das Gras wachsen hören, bringen die Verfügung des Kriegsministeriums mit der Genehmigung des "Tagebuchs einer Verlorenen" in Verbindung. Aber gerade dieser Fall ist so ausserordentlich typisch. Wenn wir richtig unterrichtet sind, haben bei der Zensur dieses Films u. a. der Generalsekretär des Augustinusvereins der katholischen Presse, Herr Dr. Weilbächer und ein Professor, der als Lehrer an einer ausserordentlich wichtigen Stelle steht, mitgewirkt. Dass diese Herren, die einmal das Volk kennen, die ferner mitten im öffentlichen Leben stehen, für einwandfrei erachten, hätte auch in Berlin nicht unbedingt Anlass zu langen Erörterungen zu sein brauchen.

In Düsseldorf hat man überhaupt durch die vielen guten Beziehungen zwischen Industrie und Behörde schon lange erkannt, dass man mit Ausschneiden einzelner Szenen mit Ändern von Titeln viel mehr erreichen kann, als mit radikalen Vorboten. Es kann jederzeit der Beweis dafür erbracht werden, dass nach dieser Richtung hin in Düsseldorf unendlich viel mehr für die Vervollkommnung der öffentlichen Vorführung getan worden ist, als in der Reichshauptstadt.

Die rheinisch-westfälischen Interessenten können das Gefühl nicht los worden, als ob sich St. Büreaukratius durch die Selbständigkeit der Provinz etwas getreten fühlt, und sie weisen in ihrer Eingabe, die in den nächsten Tagen der zuständigen Stelle überreicht werden soll, mit Recht darauf hin, dass gerade im Industriebezirk eine gesonderte Prüfung jetzt in Kriegszeit zu Recht besteht. Wir können bei uns im Westen, wo fast durchweg Grossstädte in Frage kommen, an manchen Stellen etwas zugeben, müssen dafür aber mit Rücksicht auf die Arbeiterschaft und ihre Anschauung sehr häufig an anderen Orten etwas fortnehmen.

Vor allem aber ist vom Standpunkt der Industrie aus die Beibehaltung der Düsseldorfer Stelle aus dem Grunde dringend erwünscht, weil sie örtliche Verbote im grossen und ganzen überflüssig macht. Was örtliche Verbote für Schaden und Unheil im ersten Kriegsjahre angerichtet haben, das müssen sich die für die Entscheidung verantwortlichen Herren einmal eingehend schildern lassen, vielleicht kommen sie dann zu ändern Resultaten.

Glücklicher Weise liegt in diesem Falle das letzte Wort in der Hand einer militärischen Stelle und wir haben auf so manchem Gebiet gesehen, dass die Herren, die hier zu urteilen haben, mit klarem Blick und weitgehendem Verständnis ihre Entscheidungen treffen.

Wir verdanken gerade den militärischen Behörden innerhalb der Filmindustrie ausserordentlich viel, und wir haben nirgends soviel Entgegenkommen und verständnisvolle Mitarbeit gefunden, als bei den Generalkommandos und bei den ihnen über- und untergeordneten Stellen. Wir vertrauen auch in dieser Frage ihrem bewährten Urteil.

Spectator.

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Mein Artikel im Pordenone-Katalog 1990 über
Die Ursprünge der offiziellen Filmzensur in Deutschland

Zuerst eine Definition: Was bezeichnen wir mit dem Ausdruck »Offizielle Zensur«? Zensur ist der Versuch einer Person oder einer Institution zu verhindern, dass (in unserem Falle) ein Film - als Ganzes oder teilweise - in der Öffentlichkeit gezeigt wird. Das »Offizielle« soll kennzeichnen, dass eine überregionale kommunale oder staatliche Institution diese Zensur ausübt.

»Ein Polizist besucht die Kinovorstellung, und wenn er glaubte, ein Streifen wäre eine Gefahr für Ruhe und Ordnung oder für das sittliche Wohl der Besucher, verbot er den Film.« So oder ähnlich steht es in den Büchern über die Geschichte des Films, und so wurde die Zensur anfangs wohl überall ausgeübt.

In Deutschland wurden die Filme in den ersten Jahren in Variétés und auf Jahrmärkten gezeigt, und die Polizei übernahm von dort die Zensurpraxis und führte sie entsprechend weiter. Sie stützte sich rechtlich dabei auf die Preussische Landordnung, Paragraph 10 von 1856. Dieser Paragraph enthält die Bestimmung, die Polizei habe Ruhe und Ordnung zu gewährleisten.

Ein anderer Weg, damit die Polizei tätig wurde, ergab sich aus einer Anzeige durch Filmbesucher oder Kinobesitzer (etwa aus Konkurrenzgründen).

All dies meint nicht mehr und nicht weniger »Zensur« als diejenige, die z.B. ein Kinobesitzer ausüben kann: Wenn ihm ein Film aus irgendeinem Grunde nicht gefiel, kaufte er den Film nicht, dh. die Bevölkerung konnte diesen Film nicht ansehen. Wollten sie es dennoch, musste sie in einen Nachbarort in ein anderes Kino gehen. Dementsprechend konnten Leute einen Film, der von »ihrem« Polizisten verboten wurde, in einem anderen Ort oder Stadtbezirk besuchen.

Einerseits, kann man nun sagen, ist hier der Willkür Tür und Tor geöffnet - auf der anderen Seite war es aber dem Polizisten möglich, auf die individuellen Eigenheiten der Gegend einzugehen (z.B.: ein Film über den König von Bayern wirkt dort anders als in Norddeutschland).

Ausserdem konnte jeder, der mit der Entscheidung des Polizisten nicht einverstanden war, das Verwaltungsgericht anrufen. Es gibt solche Fälle seit dem Jahre 1896 (eine Sammlung aller Entscheidungen der Verwaltungsgerichte gibt es bis jetzt noch nicht).

Diese Praxis der »Zensur« änderte sich bereits kurz nach 1900, als die Zahl der Abspielstellen und die der Filmstreifen immer mehr anwuchs. Zunehmend konnten die Polizisten nicht mehr alle Filmvorstellungen besuchen, sondern taten dies z.T. nur mehr stichprobenweise.

1905/1906 geschah dann aber etwas, was zur Einführung der offiziellen Vorzensur bei den Filmen führte.

Rudolf Hennig (1874-1906) war ein Lederarbeiter. 1905 ermordete er einen Mann nahe Berlin. Mehrmals konnte er sich der Verhaftung durch die Polizei entziehen, bzw. der Haft entfliehen. Er versuchte dann, seine Memoiren zu verkaufen. Die Zeitung »Berliner Lokalanzeiger« wollte ihm nicht nur Mark 1700 (etwa den Verdienst von 15 Monaten) bieten, sondern benachrichtigte gleichzeitig auch die Polizei. Wieder konnte Hennig entfliehen - doch zum letzten Mal. Kurz darauf wurde er endgültig verhaften, zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Einige Filmfirmen produzierten über diesen Fall Filme und machten dabei die Polizei lächerlich oder übten Kritik an ihrer Fähigkeit. Am 13. April 1906 verbot das Berliner Polizeipräsidium, »auf künstlichem Wege hergestellte Darstellungen von Hennigs Mordtat und seiner Flucht vorzuführen«. Das Verbot wurde zwar schon am 18. April wieder aufgehoben, aber diese Affäre gab den unmittelbaren Anstoss für die Einführung der ersten Film-Vorzensur der Welt im Mai 1906.

Als Gründe für das Verbot wurde Verunglimpfung der Polizei und, als noch wesentlicher, der Eingriff in ein schwebendes Verfahren angegeben.

Man begann, die Filme im Polizeipräsidium anzusehen, und es wurde eine Kartei eingerichtet mit allen notwendigen Daten zu jedem Film. Die Kinobesitzer reichten ihr Programm ein und erhielten die Liste mit Vermerken wie »Verboten«, »Verboten für Kinder«, »Freigegeben« sowie eventuell eine Liste der Szenen, die nicht im Film enthalten sein durften, zurück.

Ein Jahr später wurde diese Prozedur als zu langwierig und kompliziert kritisiert und die Polizei machte den Vorschlag, die Kopie an den beiden Enden und die Zwischentitel zu stempeln (so verfuhr man später z.B. in Dresden und Stuttgart). Die Schwierigkeit der Kontrolle, ob die vorliegende Kopie mit der zensierten auch wirklich übereinstimmte (z.B. durch Einfügen verbotener Szenen an Schnittstellen konnte der Film leicht verändert werden), verhinderte die Verbreitung dieses Verfahrens. Dagegen fand der Vorschlag von Herrn Effing (Direktor der Internationalen Kinematographen- und Lichteffektgesellschaft), eine Zensurkarte auszugeben, breite Zustimmung. Auch die Polizei war mit dieser Lösung einverstanden, und so wurde 1907 die Zensurkarte eingeführt.

Nun begleitete eine solche Zensurkarte jede Kopie eines Filmes. Darauf wurde eingetragen: Der Titel, der Name der Produktionsfirma, die Produktionsnummer (sie ist international immer die gleiche), die Zensurnummer und das Datum, der Zensurentscheid mit der Angabe der Länge vor und nach einer eventuellen Schnittauflage und eine kurze Inhaltsangabe. Mit dem Aufkommen der Zwischentitel wurden diese vollständig abgedruckt (ja, um einen weiten Vorgriff in die Zukunft zu machen: zu Beginn der Tonfilmzeit wurde der gesamte Dialog aufgeführt). Alle diese Angaben machen die Zensurkarten so wertvoll für die Filmforschung. Dessenungeachtet sind aus der Zeit vor 1920 nur wenige Karten erhalten geblieben.

Nun prüfte der Polizist anhand der Zensurkarte, die ja jeder Kinobesitzer vorlegen können musste, die Übereinstimmung der Filme mit den Zensurkarten. Manchmal entschied er dann zwar doch anders (dh. er verbot einen Film trotzdem), was regelmässig eine heftige Reaktion seitens der Filmwirtschaft zur Folge hatte. Wie regelmässig solche Überprüfungen stattfanden, wird wohl örtlich unterschiedlich gehandhabt worden sein.

Man mag erstaunt sein, wie schnell und problemlos die Einführung der Zensur vonstatten ging. Doch man muss sich erinnern:

* Die Entscheidungen differierten zwischen den Bezirken und Orten

* Die Unsicherheit war gross, ob ein Film verboten wurde oder nicht (man beachte, damals wurden Filme noch gekauft und im Falle des Verbotes war das Geld verloren).

* Die Überlastung der Behörde führte zu unerträglich langen Zeiten beim Rücklauf der Listen.

* Es gab nicht nur in der Lehrerschaft und der Kirche, sondern auch in der Filmwirtschaft und im künstlerisch ambitionierten Umkreis um den Film Kreise, die eine Zensur (gegen den schlecht gemachten Film) forderten.

So begrüsste nicht nur die Polizeibehörde, sondern auch die Filmwirtschaft die Einführung dieser Art der Zensurpraxis. Natürlich murrten sie aus Prinzip gegen jede Art der Zensur, aber diese Praxis erschien ihnen, wenn es schon Zensur geben musste, als das geringere Übel. Durch die vorangegangenen Diskussionen war die Filmindustrie also schon darauf vorbereitet gewesen.

In den folgenden Jahren übernahmen einige Vororte von Berlin, wie z.B. Charlottenburg oder Spandau, die Entscheidungen der Berliner Zensurbehörde, aber auch andere Städte in Preussen und anderswo. Um den dortigen Behörden die Zensurentscheidungen von Berlin zugänglich zu machen, wurden sie ab Mitte 1911 im Preussischen Zentral-Polizei-Blatt, dem Fahndungsblatt der Berliner Polizeibehörde, abgedruckt, leider nur die der beanstandeten Filme.

Einige Städte gründeten dann auch eigene Zensurbehörden. Die wichtigsten waren München (1912), Stuttgart (1912), Düsseldorf (1916). Einige andere sind aus der Literatur bekannt, ich habe aber keine Unterlagen darüber finden können, z.B. Dresden und Düsseldorf (beide etwa 1910). Die meisten Verordnungen sind denen von Berlin sehr ähnlich.

Vor 1905/1906 gab es noch keine Notwendigkeit für eine spezielle Regelung bezüglich der Kinder, denn die Filme wurden entweder an öffentlichen Orten, etwa auf Jahrmärkten, gezeigt, wo kein Kino wagen konnte, »gefährliche« Filme zu zeigen. Oder die Vorstellungen fanden in Variétés statt, die Kinder sowieso nicht besuchen durften.

Aber nun kamen die ortsfesten Kinos auf, die das ganze Jahr über Filme zeigten und in die Kinder (mit einigen Auflagen bezüglich Alter und Tageszeit) gehen durften.

Daher enthalten alle Verordnungen nun spezielle Paragraphen für Kinder.

Untersuchung über die Verbotsgründe steht noch aus, doch möchte ich hier eine Ergebnisse, die mir aufgefallen sind, mitteilen: In Berlin werden rund 1000 von 44000 geprüften Filmen völlig verboten, etwa die Hälfte wird für Jugendliche freigegeben. In München werden rund 2000 Akte (die Münchner geben jeder Filmrolle eine eigene Nummer) von 34400 Akten völlig verboten, 2 Akte werden ohne Schnittauflage freigegeben.

Wichtige Verbotsgründe sind z.B. das Zeigen von grausamen Szenen, die Darstellung von verbrecherischen Praktiken (Detektivfilme durften in Bayern nur gezeigt werden, wenn keine Reklame für dieses Genre gemacht wurde). Aus politischen Gründen verbotene Filme sind mir nur sehr wenige aufgefallen. Die Erotik scheint aber auch keine allzu grosse Rolle zu spielen.

Über die personelle Zusammensetzung der Zensurgremien habe ich nichts finden können; es werden aber wohl alles Polizeibeamte (männlich) gewesen sein, zeitweise waren mehrere Kommissionen gleichzeitig damit befasst. Geklagt wird darüber, dass die Prüfer dauernd wechseln, sodass sich keine kontinuierlichen Kriterien herausbilden könnten.

Literature

Rechtsquellen des öffentlichen Kinematographenrechts. Hrsg: Albert Helwig. München-Gladbach 1913

Ida Wickenhauser: Die Geschichte und Organisation der Filmzensur in Österreich 1895 - 1918. Diss., Wien 1967

Verzeichnis in Deutschland gelaufener Filme. Hrsg: Herbert Birett. München,New York, London, Paris 1980

Gary D. Stark: Cinema, Society, and the State: Policing the Film Industry in Imperial Germany. IN: Essays on Culture and Society in Modern Germany. Arlington, Texas: Univ.Press 1982
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