Vorwort | Filmdaten ab 1920 | Filmdaten bis 1920 | Filmdaten noch nicht hier | Nicht-Filmdaten |
---|
Gestaltet und herausgegeben von Wilhelm Staudinger,
Klarastrasse 5, 6000 Frankfurt am Main 50
1986
Am 3. Oktober 1986 wäre Paul Sauerlaender 70 Jahre alt geworden.
Das letzte Drittel seines Lebens hat Paul Sauerlaender im Haus in
der Klarastrasse 5 gewohnt. Dort ist auch sein Lebenswerk, das
Archiv für Filmkunde, gewachsen.
Aus diesem Anlass wird in diesem Haus ein Raum eröffnet, der dem
Leben und Schaffen von Paul Sauerlaender gewidmet ist.
Die Eröffnung dieser Dauerausstellung wird mit einer
Filmveranstaltung zu Ehren von Paul Sauerlaender verbunden. Im
ersten Film kann man noch einmal die Romantik erleben, die die
Ausstellungsräume des Archiv für Filmkunde ausgestrahlt haben, ehe
die Sammlung zum Grundstock für das Deutsche Filmmuseum in
Frankfurt am Main wurde. Mit der Wiederaufführung von zweien seiner
Spielfilme wird dann gezeigt, dass Paul Sauerlaender den Film nicht
nur als Historiker gesehen hat, sondern schon in jungen Jahren
versucht hat, im Film selbst gestalterisch tätig zu sein.
= = = = =
Paul Sauerlaender - ein Leben für den Film
Schon als Kind war Paul Sauerlaender uon der Magie des bewegten
Bildes im optischen Spielzeug und im Film fasziniert. Von seinem
Konfirmationsgeld kaufte er sich bei einem Trödler in der
Graupengasse seinen ersten Spielfilm, mit dem Titel "Prostitution".
Er war aber dann sehr enttäuscht, als sich herausstellte, dass das
nicht der Name eines griechischen Feldherrn aus der Götter- und
Heldensage war.
Mit zwanzig begann er eigene Filme zu drehen, Kulturfilme (für
einen davon bekam er 1941 den Reichskulturfilmpreis), kleine
Spielfilme (Die Maske des Teufels, Burg Totenhall, Der einsame
König) und auch einen Puppentrickfilm (Das Märchenschiff).
Nach dem Krieg begann Paul Sauerlaender, seine Schätze an Filmen
und Dokumenten der Öffentlichkeit vorzustellen. Er veranstaltete
Filmabende in seiner Wohnung in der Rhönstrasse und gab so den
Frankfurtern Gelegenheit, nach erzwungener Enthaltsamkeit endlich
wieder in Freiheit über die so lange vermissten Klassiker der
Filmkunst zu diskutieren. Berühmte Künstler waren seine Gäste und
es ging vielen so wie Werner Krauss, der nach der Vorführung einer
für die Kinos damals noch unerreichbaren Kopie von "Das Cabinet
des Dr. Caligari" gerührt ins Gästebuch schrieb:
"Es hat mich tief berührt mein Leben 50 Jahre zurück-"gedreht" zu
sehen.
Herzlichen Dank Ihr Werner Krauss"
Paul Sauerlaender ging auf Vortragsreisen in Amerikahäuser,
Universitäten und Filmclubs, machte Rundfunk- und Fernsehsendungen
über Filmgeschichte und baute dann in seinem Haus in der
Klarastrasse eine Dauerausstellung über die Vor- und Frühgeschichte
des Films auf - und ein Kino mit Projektoren für alle Formate,
das er u.a. für die Veranstaltungen des Filmclubs Frankfurt am
Main e.V. zur Verfügung stellte.
1976 trennte sich Paul Sauerlaender von einem Grossteil seiner
filmhistorischen Sammlung, um sich vermehrt seinem Steckenpferd
widmen zu können, der Vorgeschichte des Kinos, dem optischen
Spielzeug und den Papiertheatern.
1977 bekam Paul Sauerlaender für seine Verdienste um den deutschen
Film das Filmband in Gold verliehen.
Nach dem Tod von Paul Sauerlaender 1980 erhielt die Stadt Frankfurt
am Main auch den zweiten Teil seiner Sammlung als Grundstock für
das Deutsche Filmmuseum. Der damalige Oberbürgermeister dieser
Stadt, Dr. Walter Wallmann, würdigte Paul Sauerlaender bei der
Eröffnung des Deutschen Filmmuseums am 7. Juni 1984:
"_... Die zweite tragende Säule für dieses Haus ist das berühmte
Sauerlaender Archiv, dessen Ankauf 1976 den entscheidenden Anstoss
zur Gründung eines Deutschen Filmmuseums gab. Ohne die Arbeit
dieses grossen Filmhistorikers und Sammlers würden wir
wahrscheinlich heute nicht ein Deutsches Filmmuseum eröffnen
können _..."
Kleine Chronik des Archivs für Filmkunde
Von Paul Sauerlaender
Es begann in der Zeit, als in Frankfurt die grösseren Filmtheater
auf Tonfilm umgestellt hatten, das sentimentale Lied vom "Sonny
Boy" die Menschen zum Schluchzen brachte und der "deutsche Ton-
und Sprechfilm:
"Zwei Herzen im Dreivierteltakt" mit Wiener Charme von der Leinwand
tönte.
Die kleinen Kinos, besonders auf der Kaiserstrasse, zeigten weiter
Stummfilme. Man wies vielleicht darauf hin, dass die Filme von einem
Künstlerorchester untermalt würden. Die zwei, bestenfalls drei,
Musiker spielten weiterhin die Ouvertüre zur "Leichten Kavallerie",
den "Persischen Markt" und die "Stephanie-Gavotte", als wäre der
Tonfilm noch gar nicht erfunden.
Diese Kinos waren ab mittags brechend voll, weil man es mit der
Altersgrenze nicht so genau nahm und so konnte ich mit meinen zwölf
Jahren fast jeden Tag ins Kino - solange das Taschengeld reichte.
Und es reichte lange, bei einem Eintrittspreis von 20 Pfennigen für
Erwerbslose.
Eines Tages sah ich den Fairbanks-Film "Der Dieb von Bagdad", der
mich ungeheuer faszinierte. Besonders die Zauberszenen mit dem
fliegenden Pferd und der Kampf über dem Meeresgrund hatten es mir
angetan. Nach der Vorstellung ging ich über einen langen Hof zum
Apparatraum. Ich öffnete eine Eisentür, hinter der es geheimnisvoll
klapperte und auf der zu lesen war, dass das "Betreten dieses Raumes
Unbefugten strengstens verboten" sei. Ich trat in den kleinen,
ziemlich dunklen Raum. Eine Vorführmaschine stand darin und daneben
sass der Vorführer und ass aus einem Aluminiumtopf Heringssalat. Es
roch nach dem Salat und nach Ozon.
Ich fragte den Vorführer, ob ich kleine Filmstücke haben könne, die
vielleicht beim Kleben abgefallen sind, denn der Film habe mir so
ausserordentlich gut gefallen. Er verneinte zuerst, bemerkte aber
etwas später, dass er ein starker Raucher sei und ich in ein paar
Tagen wiederkommen könne. Mein Vater war auch ein starker Raucher
und er wurde es in der Zukunft immer mehr, denn ich hörte ihn sich
oft wundern, dass seine Zigarrenkisten so schnell leer würden.
Neben der Raucherlunge hatte der Vorführer aber ein mildes Herz und
so durfte ich die Filme umrollen und schadhafte Stellen
herausschneiden. So begann meine Filmsammlung.
In der Taunusstrasse steht das Industriehaus. Damals hatten dort
zahlreiche Verleiher ihre Büros und Lagerräume. Und da der Tonfilm
inzwischen auch in den kleinen Kinos gesiegt hatte, stapelten sich
auf den Mülltonnen des Industriehauses die Aushangbilder und
Plakate der alten Stummfilme. Ich fuhr mit dem Fahrrad das Material
nach Hause, während ein Schulkamerad aufpasste, dass zwischenzeitlich
nicht die Müllabfuhr diese Schätze abtransportierte.
Auch abgespielte Stummfilme waren nun leichter zu erhalten. Ich
führte sie zuhause auf einem Ernemann I-Projektor vor, der von
einem Staubsaugermotor getrieben war. Über die kleine
Leinwand in meinem Zimmer flimmerten die ausgedienten Streifen
der Stummfilmzeit: "Die Spur des Toten", "Das
Wachsfigurenkabinett", "Der Dämon des Meeres", "Die weisse
Motte", "Gösta Berling", "Fundvogel", "Fräulein Else" und viele
andere.
Dann genügte mir der Stummfilm nicht mehr, ich wollte nun auch
Tonfilme spielen. Aus einem Taschenmikroskop und einer Maggidose
bastelte ich ein Tongerät. Der Radioapparat diente als
Verstärker. Der erste Satz, der aus meiner Apparatur krächzte, war
von Adele Sandrock in dem Pat-und-Patachon-Film "Tausend Worte
deutsch":
"Mia, Sie sollten etwas für Ihren Schnupfen tun!"
Dann kam der Krieg und zerstörte vieles. Als er endlieh vorüber
war, suchte ich zusammen, was von meinen
Filmen übrig geblieben war. Es war nicht viel, aber doch
genug, um ernsthaft damit zu arbeiten. Durch meine Vorträge kam ich
viel herum und fand dadurch auch viel bei Trödlern und in
Antiquariaten, in Deutschland wie im Ausland. Durch
Presseberichte, Rundfunk- und Fernsehsendungen wurde ich sehr
schnell bekannt. Man wandte sich an mich, wenn man etwas aus der
Filmgeschichte wissen wollte - und so wurde aus meiner Sammlung
das "Archiv für Filmkunde".
Kürzlich erhielt ich nach einer Fernsehsendung eine Zuschrift aus
dem Rheinland: "Werther Herr! wir haben Ihre Sendung mit Freude
gesehen. Vor dem ersten Weltkrieg besassen wir ein Wanderkino.
Es sind noch Sachen da. Es würde uns freuen, wenn Sie uns einmal
besuchen würden." Ich bin hingefahren und fand eine Sammlung
früher Filme. Und einen vorzüglichen Wein gab es dazu! Vielleicht
schreiben Sie mir auch so einen Brief - den Wein will ich dann
gerne mitbringen.
Seite 4 / [Frankfurter] Nachtausgabe [der Neuen Presse] Freitag, 17. Januar 1958
Im Deutschen Fernsehen beginnt der Hessische Rundfunk am 7.
Februar um 20.20 Uhr eine dreiteilige Sendereihe von Paul
Sauerlaender und Hanns-Gernand Müller über die Entwicklung des
Stummfilmes. "Die ersten Schritte" ist der Titel der ersten Folge.
Unser Bild zeigt Paul Sauerlaender, einen der Autoren der Sendung
und Sammler alter Filme und Filmgeräte, mit einem der ältesten
Vorführapparate, der um die Jahrhundertwende gebaut wurde. Die
Apparatur wird selbstverständlich mit der Hand betrieben und
knattert dabei wie ein Maschinengewehr.
= = = =
Nosferatu
Von Paul Sauerlaender
(Teil eines Mitschnitts des Einführungsvortrags zu Nosferatu am
18.10.1978 im Hessischen Landesmuseum, Darmstadt)
Nachdem der letzte Weltkrieg - Verzeihung, der 2. Weltkrieg -
vorüber war, hatte es der Gruselfilm ausserordentlich schwer, wieder
in die Kinos zu kommen. Das Publikum wollte leichte Kost sehen,
Lustspiele, Unterhaltungsfilme. Da kam man auf eine Idee - da die
Welt ja ohne Gruseln nicht leben kann - wie man über einen Umweg
die Gruselstoffe trotzdem gut verkaufen könnte.
Es gab um diese Zeit in Amerika zwei mittelmässige Filmkomiker, die
"Abbot und Costello" hiessen und die in den kleinen Kinos mit ihren
Spässen ihr Publikum hatten. Die Idee war nun, das reine Gruseln zu
entschärfen, indem man mit diesen beiden Komikern "Grusel-Klamauk"
drehte. Und so trafen nun Abbot und Costello die berühmten Monster
von Frankenstein bis Dracula. Als dann Frankenstein - natürlich
von Boris Karloff gespielt - auch noch zu lachen anfing, da war das
Eis endgültig gebrochen und man konnte auch wieder die schwerere
Gruselkost auf die Menschheit loslassen.
In der Hauptsache lieferte die Produktion "Hammer" aus England
phantastische Filme in hervorragender Qualität und auch die
Amerikaner brachten nun ihre Zweitgarnituren auf den deutschen
Markt, wo sie in den Vorstadtkinos mit riesigem Erfolg gezeigt
wurden. Einen ganz besonderen Erfolg hatte "Dr. Fu Man Chu", der
in mehreren Fortsetzungen lief. Zu der Zeit lief auch noch der alte
"Dr. Mabuse", aber mit recht mässigem Erfolg, so dass ein Kritiker
vorschlug, man solle diesen Film umbenennen in "Dr. Ma Bu Se", dann
hätte er wahrscheinlich mehr Erfolg!
Nach dem 1. Weltkrieg war die Situation eine völlig andere. Es
waren so viele Menschen gefallen oder vermisst, deren Angehörige
durch übersinnliche Methoden Näheres über ihr Schicksal erfahren
wollten. Das Übersinnliche wurde in Büchern und Zeitschriften
eingehend behandelt und so kamen auch sehr schnell "unheimliche"
Filme auf die Leinwand. Mystische Geschichten waren populär und so
kam der vielleicht subtilste deutsche Filmregisseur, F. W. Murnau,
auf die Idee, einen Gruselfilm zu drehen. Er nahm sich den Roman
"Dracula" vor, veränderte die Handlung ein wenig, nannte sein
Geschöpf "Nosferatu" und seinen Film "Nosferatu - Eine Symphonie
des Grauens". Das Monster spielte ein mittelmässiger Schauspieler
namens Max Schreck - und er machte seinem Namen alle Ehre.
Dieser Film ist auch heute noch sehr interessant, obwohl die
Stellen, die auf das damalige Publikum besonders gruselig wirkten,
die Sie heute - und ich werde Ihnen deswegen nicht böse sein - zum Lachen
reizen werden, zum Beispiel wenn das Monster, durch den Zeitraffer
noch verstärkt, so grotesk über die Leinwand hoppelt, oder -
wiederum im Zeitraffer - die vielen Särge auf den Wagen geladen
werden.
Aber das Wesentliche an diesem Film ist - und das hat hier Murnau
mit E.T.A. Hoffmann gemeinsam - dass er die Wirklichkeit grauenhaft
erscheinen lässt. Sie sehen zum Beispiel einen Leichenzug durch die
Strassen des alten Lübeck ziehen. Die Kamera nimmt von oben auf; auf
einmal beginnen die alten Häuser ein gespenstisches Leben. Man
sieht keine Menschen mehr, sondern nur noch die Särge, die vorüber
getragen werden. In einer anderen Szene entflieht der spinnen- und
fliegenfressende Genosse des Vampirs der Nervenheilanstalt und
springt über Dächer und Strassen der Vororte. Und auf einmal werden
auch sie zu einem gespenstischen Leben erweckt.
Damals wirkten diese Szenen überhaupt nicht, ja man hat sie sogar
stark gekürzt, ebenso wie die Szenen, in denen sich das Schiff mit
seiner grausigen Fracht langsam dem Land nähert. Glücklicherweise
kann ich Ihnen eine Kopie vorführen, die alle diese Szenen enthält,
wo sie auch die Wirkunq erfühlen können, wenn Nosferatu aus dem
Fenster eines Getreidespeichers herausschaut - Getreidespeicher,
wie sie übrigens heute noch in Lübeck stehen. Diese Szenen haben
eine faszinierende Wirkung und man meint, dass diese Häuser nur für
diesen Film gebaut worden wären. Aber nein - es ist die
Wirklichkeit, die sich mit Grauen verfremden lässt.