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Quellen zur Filmgeschichte ab 1920

Texte der Hefte des studentischen Filmclubs der Uni Frankfurt/Main: Filmstudio

Einführungsseite

Filmstudio Heft 68, Januar-März 1968

Inhalt
Loin du Vietnam. Protokoll
Loin du Vietnam
Weekend
Land in Trance
Der Samurai
Wie ich den Krieg gewann
Play time

Eine Produktion der S. L. O. N., von einem Cinéastenkollektiv hergestellt, das seine Solidarität bekundet mit dem vietnamesischen Volk in seinem Kampf gegen die Aggression

LOIN DU VIETNAM
Regisseure: Alain Resnais, William Klein, Joris Ivens, Agnes Varda, Claude Lelouch, Jean-Luc Godard
allgemeine Organisation: Jacqueline Meppiel (Montage) und Andréa Haran (Verwaltung)
hauptsächliche Mitarbeiter: Michele Ray, Roger Pic, Marceline Loridan, François Maspero, Chris Marker, Jacques Sternberg, Jean Lacouture, (Reporter)
Michel Fano, Michel Capdenat, Georges Aperghis (Musiker)
Willy Kurant, Jean Boffety, Kien Tham, Denis Clairval, Alain Levent, Ghislain Cloquet, Bernard Zitzermann, Téo Robiché (Kameramänner)
Antoine Bonfanti, Harald Maury (Toningenieure)
Pierre Grunstein, Alain Franchet, Didier Beaudet, Florence Malraux, Roger fe Mone- strol, Marie-Louise Guinet (Assistenten)
Ragnar, Jean Ravel, Colette Leloup, Eric Pluet, Albert Jorgenson (Cutter)
Christian Quinson (Tricktisch)
Ethel Blum Michèle Bouder (Photographen)
Jean Larivière (Animation)
Maurice Garrel, Bernard Fresson, Karen Blanguenon, Anne Bellec, Valérie Mayoux (Schauspieler)
Insgesamt sind es 150 Personen, die an der Herstellung dieses Filmes mitgearbeitet haben.


Loin du Vietnam (Übersetzung des Textes der französischen Originalfassung.)

Einleitung

Im Golf von Tonkin, im Morgengrauen, tankt der Flugzeugträger Kitty Hawk die Bomben. In einem nord-vietnamesischen Feld machen "Blättermenschen" eine Tarn- übung. In Kuba unterhält sich Fidel Castro ungezwungen mit seinen Mitarbeitern. Auf diese Weise sind die Hauptvertreter der Kräfte beisammen: die USA, die einen "Krieg der Reichen" machen - die Vietnamesen, die einen Krieg der Armen machen - und die revolutionäre Dritte Welt, die begriffen hat, dass ihre Zukunft und Unabhängig- keit von dem Sieger der zweiten über die ersten abhängt.

Erster Teil

1/ Bomb Hanoi!

Ernte von Kugelbomben, "anti-menschlichen" Geschossen, in den Feldern Nord- Vietnams. Abflug der Jagdbomber auf der Kitty Hawk. Die Herstellung von individuellen Zementbunkern in den Strassen Hanois. Alarm und Bombardierung Hanois.

2/ A Parade Is a Parade

Drei Demonstrationen, die mit dem Vietnam-Krieg zusammenhängen, an verschiedenen Orten. Der Besuch des Vizepräsidenten Humphrey in Paris, der durch Schlägereien und die symbolische Verbrennung der amerikanischen Flagge gekennzeichnet ist. Der Tag der ehemaligen Kämpfer in New York in Anwesenheit des Kardinals Spellman und des Bürgermeisters Lindsay ("eine Parade ist eine Parade, ist eine Parade"). Der 1. Mai in der Wall Street: Anti-Kriegs-Demonstrationen werden von jungen Bürokraten ausgepfiffen, die "Bombardiert Hanoi" brüllen.

3/ Johnson weint

In einer bombardierten Gegend Nord-Vietnams geben Wanderschauspieler den Leuten eines Dorfs ein Schauspiel der amerikanischen Niederlage. Eine hübsche Vietnamesin, als Präsident Johnson geschminkt, singt und weint: "Ich habe den Krieg verloren, ich muss zurück nach Hause."

4/ Claude Ridder

Claude Ridder, eine imaginäre Person, monologiert unter den Blicken einer schweigen- den Frau. Pathetisch, widersprüchlich, aufrichtig lässt er die Sprache des schlechten Gewissens, das heisst des schlechten Glaubens, hören.

5/ Flash Back

Einfache und präzise Rückkehr zum historischen Ursprung des Krieges, seit dem Ende des "Indochinakriegs" und dem Abmarsch der Franzosen bis zum Beginn der Eskalation. Präsident Ho Chi Minh formuliert die grundlegende Haltung der Vietna- mesen: "Wir werden zehn, zwanzig Jahre kämpfen, wenn es sein muss. Nie, nie werden die Amerikaner gewinnen."

Zweiter Teil

6/ Camera Eye

Hinter einer dicken Mitchell-Kamera erklärt eine imaginäre Person, Jean-Luc Godard genannt, weshalb sie den Gedanken entsagt hat, die ihr gekommen waren, als man ihr die Teilnahme an diesem Film vorschlug. Es waren "fälschlich grossmütige, beschämende Gedanken _...

Es handelt sich nicht darum, unseren Grossmut in Vietnam auszubreiten, sondern Viet- nam sich in uns ausbreiten zu lassen."

7/ Victor Charlie

Der amerikanische Sänger Tom Paxton fasst in einem Lied das Kriegsziel der USA zusammen: Vietnam vor den Vietnamesen schützen. Michèle Ray, die als Reporterin auf amerikanischer Seite war und die der Zufall einer Gefangenschaft drei Wochen auf der Vietcong-Seite, oder "Victor Charlie" wie die GIs sagen, leben hiess und zusammen- fasst, was sie aus ihrer Erfahrung gezogen hat: nun ist ihr Herz "auf der anderen Seite."

8/ Why We Fight

General Westmoreland stellt die offizielle These der Vereinigten Staaten vor: die Nationale Befreiungsfront ist keine volkstümliche Widerstandsbewegung, sondern ein Flügel des "kommunistischen Komplotts". Er tadelt die "antipatriotischen" Demonstra- tionen in den USA und erinnert daran, dass "eine der bedauerlichen Seiten jeden Krieges sei, dass in ihm nicht nur die Militärs getötet werden."

9/ Fidel Castro

Der Chef der ersten siegreichen Guerilla in Lateinamerika spricht von der Notwendig- keit des bewaffneten Kampfes in gewissen historischen Situationen und von dem Bei- spiel, das Vietnam der Welt gibt, das bewiesen hat, dass die grösste Militärmacht aller Zeiten an dem Willen eines Volkes zerbrechen kann.

10/ Ann-Uyen

Norman Morrison, ein amerikanischer Quäker, hat sich vor dem Pentagon lebend verbrannt, um seiner Weigerung Ausdruck zu geben, für diesen Krieg zu haften, der in seinem Namen geführt wird. Uyen, eine Vietnamesin, die in Paris lebt, erzählt von Morrison und dem Kult um ihn, der in Vietnam zelebriert wird, wo er das Symbol der Versöhnung mit "einem anderen Amerika" geworden ist.

11/ Vertigo

Am 15. April 1967 findet in New York die grösste Demonstration in der Geschichte der USA statt: die Bestorganisierten (die Neger der Black Power) und die Ungereimtesten (geschminkte Hippies und Pazifisten). Die Demonstranten bezeugen zumindest das Ende einer Epoche und die Radikalisierung des Kampfes, der vom Protest zum Widerstand übergehen wird. An den Strassenecken kommentieren leidenschaftliche, malerische oder beunruhigende Personen den Krieg, die Politik, das Napalm. Im Fernsehen vereinigen sich die Werbung, die Nachrichten und die Fiktion in demselben Wahnsinn. Bilder einer kranken Gesellschaft, für die der Krieg nicht mehr ein fernes, isoliertes Abenteuer ist, sondern der Ausdruck selbst der Niederlage, anders als durch die Gewalt zu überleben.

Schlussfolgerung

Menschen, in Vietnam, in den USA, in Europa. - Menschen hasten, Menschen demon- strieren, Schlägereien entstehen, nord-vietnamesische Selbstverteidigungstruppen kehren von ihrer Übung zurück. Die Gesellschaft der Reichen weiss im Grunde ihrer selbst, dass sie den Krieg gegen die Armen verloren hat, es sei denn, sie wandelt sich grundlegend. Aber dieser Krieg dauert an und die Bomben werden nach wie vor an Bord der Flugzeugträger der 7. Flotte hinübergeschafft, tausend Tonnen pro Tag.


Einleitung

Auf der einen Seite die Vereinigten Staaten von Amerika, die grösste industrielle und militärische Macht aller Zeiten. Seit 1965, dem Beginn der Eskalation, haben die Amerikaner mehr als eine Million Bomben über Nord-Vietnam abgeworfen, das heisst, mehr als über Deutschland während des ganzen Zweiten Weltkriegs. Ein Land, dessen 200 Millionen Einwohner mehr für ihr Packpapier ausgeben als die 500 Millionen Inder für ihre Ernährung, ist in der Lage, seiner Armee einige Mittel zukommen zu lassen. Jeden Morgen, im Golf Von Tonkin, tanken die Flugzeugträger der 7. Flotte die Bomben. 1000 Tonnen pro Tag. Es ist ein Krieg der Reichen.

Demgegenüber ein Krieg der Armen. Ein Krieg von 17 Millionen Nord-Vietnamesen und ihrer Landsleute aus dem Süden, die für ihre Freiheit kämpfen. Sie sind die Ärmsten, aber nicht die Schwächsten. Sie sind die am wenigsten Zahlreichen, aber nicht die Einsamsten.

Denn, obwohl die tägliche Praxis des Krieges Vietnam in eine Einsamkeit versetzt, die Che Guevara mit der der Gladiatoren in der Mitte der Arena vergleicht, hat ein Grossteil der Dritten Welt begriffen, dass sie solidarisch ist mit Vietnam und dass sich in- Vietnam die grundlegende Frage unserer Zeit stellt: das Anrecht der Armen, um vorwärts zu kommen, ihre Gesellschaft auf etwas anderem aufzubauen als auf den Interessen der Reichen. In Kuba hat Fidel Castro das Jahr 1967 als das "Vietnam-Jahr" ausgerufen. Er weiss, wovon er redet.

Als 1961 in der Schweinebucht die Amerikaner bei ihrem Versuch scheiterten, die kubanische Revolution mit Gewalt niederzuschlagen, haben sie sich entschlossen, keine revolutionäre Bewegung mehr irgendwo sich siegreich entwickeln zu lassen. Daher Sankt Domingo, der Kampf gegen die Guerilla in Lateinamerika und die masslose Kriegsanstrengung in Vietnam Amerika will der Welt beweisen, dass der revolutionäre Kampf ohne Ausweg ist. Amerika hat Vietnam gewählt, um dies zu beweisen. Vielleicht hat Amerika schlecht gewählt.

Erster Teil

1/ Bomb Hanoi!

Sie nennen sie: goyave. Das sind Schrapnelle. Man sammelt sie und nimmt das Zündhütchen ab, wenn sie nicht explodiert sind. Eine Mutterbombe verstreut 300 Stück davon in einem Umkreis von einem Kilometer und jede davon schleudert 600 Stahl- kugeln in Mannshöhe. Diese Kugeln sind praktisch ohne Wirkung auf Beton und Metall. Ihre logische Bestimmung: die menschliche Haut.

Hanoi ist weniger als eine Flugstunde von den Flugzeugträgern der 7. Flotte entfernt. Die amerikanischen Bombardierungen haben in den Strassen der Hauptstadt des Nor- dens ein neues Handwerk entstehen lassen: die Fabrikation von individuellen Bunkern. Zementrohre, mit einem Deckel versehen, in Holzformen gegossen und die alle Fa- brikationsstadien durchlaufen: Sackung, Besprengung, Trocknen, bevor sie längs der Strassen vergraben werden, um im Augenblick des Luftalarms ein bis zwei Personen zu schützen. Armes Material gegen reiches Material, arme Technik gegen reiche Tech- nik, man findet immer die gleichen Machtverhältnisse wieder und auf selten der Amerikaner die gleiche Unkenntnis des Gegners. Die amerikanische Gesellschaft hat ein Prinzip: der Ärmste ist immer der am wenigsten Begabteste. Dass die Armut; eben die Grundlage eines moralisch höheren Widerstands werden kann, haben die Ame- rikaner zu begreifen aufgehört. Die Bombardierungen Nord-Vietnams wurden beschlos- sen, weil niemand im amerikanischen Kommando sich vorzustellen vermochte, dass ein kleines Land der materiellen Zerstörung widerstehen könnte. Das war eine weitere Beweisführung und sie hat sich verdoppelt. Es stimmt, dass die Amerikaner, unter der Voraussetzung der militärischen Überlegenheit, bewiesen haben, dass man ohne Kriegserklärung in den Luftraum solch unabhängiger Nationen wie der Schweiz oder Gross-Britanniens eindringen und das Staatsgebiet bombardieren kann, ohne sich etwas anderes als diplomatischen Tadel zuzuziehen. Aber im wesentlichsten Anliegen ? den Inneren Halt Nord-Vietnams zerschlagen, um dem Land die Bedingungen! eines amerikanischen Friedens vorschreiben zu können - ist der Versuch missglückt. Joris Ivens schreibt uns aus Hanoi, während er diese Sequenz dreht: "Durch das Zusammen- leben mit ihnen wird man ebenso ruhig wie Sie und sicher des Sieges."

Alle Reisenden, sogar die amerikanischen Journalisten, bezeugen diese Ruhe, diese Gewissheit. Die Vietnamesen beugen sich nicht. Sie erleiden ein alltägliches Verbrechen, aber es ist ein unnützes Verbrechen.

2/ A Parade Is a Parade

Im April 1967 macht sich Vizepräsident Humphrey ein Bild von Europa und von der Anerkennung der amerikanischen Politik durch die Europäer. Er erklärt sich entzückt. (Rede Humphreys; im Bild: Demonstrationen auf dem Flughafen Orly und vor amerikanischen Botschaft in Paris).

(Off) "Ich habe ein neues Europa gesehen, so reich wie es noch nie gewesen stolz und selbstbewusst.

Dieses Europa, Herr Präsident, bezeugt die Vortrefflichkeit unserer Politik und das Genie dieses betriebsamen Kontinents. Aber ich glaube, noch nie eine aufregendere politische Erfahrung gemacht zu haben."

(Insert) New York 29. APRIL 1967 (im Bild: eine Parade)
Tag der ehemaligen Kämpfer

Auf Spruchbändern ist zu lesen:; Vereinigung der Europa-Exilierten - Stehe auf! Tito ist der Feind Amerikas - Kommunismus, lieber krepieren -

(Insert) Francis Kardinal Spellman (erscheint im Bild als Zuschauer dieser Parade)

Eine Parade. Wie das paradiert! Ha! ha! - Eine Parade ist eine Parade ist eine Parade. Ha, ha!

(Insert) John Lindsay, Bürgermeister von New York (erscheint im Bild neben Spellman)

Mir ein V - ein ! - ein C - ein T - ein O - ein R - ein Y ! Victory!

(Transparent) Unterstützt unsere Soldaten

Zurufe: Es gibt Leute, die unsere Haut wollen, und ihr toleriert sie? - Alle mit uns! - Unterstützt unsere kleinen Soldaten. - He, hei Freunde! Unterstützen wir die Ver- einigten Staaten! - Beten wir ein Vaterunser für unsere Soldaten - Vater unser usw. - Amen. Zerstreut euch in Ruhe und vor allem, helft der Polizei.

(Insert) Wall Street - 1. Mai 1967 - Demonstrationen gegen den Krieg

(Transparent) Die Gewinne steigen, die Soldaten sterben - Schluss mit dem Krieg! - Zurück mit dem Kontingent!

Zurufe: Drecksäcke! Sie krepieren für euch, Kommunistenbande! - Blöder Haufen! -

(Transparent) Er bereichert die Reichen, er tötet die Armen/ (Zurufe) Bom-bar-diert Hanoi! Bombardiert Hanoi!

3/ Johnson weint

Die Lautsprecher rufen die Bewohner eines, in einer bombardierten Gegend gelegenen, nord-vietnamesischen Dorfes zum Dorfplatz zu einem Volkstheaterschauspiel, indem sie gleichzeitig an die Instruktionen im Alarmfall erinnern.

4/ Claude Ridder

Claude Ridder, Schriftsteller, wurde von einem Filmproduzenten beauftragt, eine Analyse des Buchs von Hermann Kahn »Über die Eskalation" zu schreiben. Er ist eine gepeinigte Persönlichkeit und er gibt es zu. Er ist also eine imaginäre Persönlichkeit. Und obwohl niemand Gefahr läuft, sich in ihm wiederzuerkennen, schien es uns not- wendig, für einen Augenblick der widersprüchlichen, pathetischen und auf ihre Weise ehrlichen Stimme des schlechten Gewissens, das heisst, des schlechten Glaubens, zuzuhören.

Claude (spricht zu seiner Frau): Du gleichst wahrhaft einer Schleiereule _... Weisst Du was? Dies ist der erste Krieg in der Geschichte, den jedermann zur gleichen Zeit sehen kann. Niemand hat jemals die ganze Zeit einen Krieg von so nahe gesehen In dem Augenblick, wo er geführt wird. Niemand kann sagen: "Wenn ich das gewusst hätte _..." Jetzt wissen sie, sehen sie.

"Das ist eine schöne Schweinerei, dieser Krieg", das sagt nicht nur der Papst; das sagen Desgraupes und Zitrone auch. (Pierre Desgraupes, Leon Zitrone: bekannte Fernsehpublizisten des franz. ORFT (A. d. Ü.) Sie wissen, sie sehen. Die Bomben machen richtige Tote, die Kugeln machen richtige Löcher, arme kleine Waisen, die sich verirren in einer Welt, die sie überfordert. i i

Und was dann? Mitleid? Angst? Aber das passiert ja in einem Möbelstück. Nicht in Vietnam, nicht im Gehirn, nicht auf der Strasse, in einem Möbelstück.

Man kann keine Angst vor einem Möbelstück haben. Man hat den Vietnamkrieg in seinem Wohnzimmer wie der Grossvater den Sturmangriff von Reichshoffen. (Reichshoffen: Stadt am Niederrhein. Berühmter Sturmangriff der französischen Kürassiere im preu- ssisch-französischen Krieg, der mit einer Niederlage der Franzosen endete (A. d. Ü.).) Informa- tion. Weisst Du, wohin das führt, diese Art von Information? "Schon wieder Vietnam!" Zum Beispiel. Aus dem Pazifikkrieg gab es eine Einstellung mit einem durch Flammen- werfer verbrannten Japaner, der seine Hand der Kamera entgegenstreckte, in Manila glaube ich. Ein echtes Symbol, der ganze Schrecken des Krieges. Seitdem hat man nicht aufgehört ihn zu sehen, die Cutter kennen ihn dermassen gut, dass sie ihm einen kleinen netten Namen gegeben haben. Sie nennen ihn Gustav.

Er hat allen Sachen gedient, dieser Tapfere! Man hat ihn in den verschiedensten Filmen gesehen, er hat nacheinander dargestellt: den japanischen Imperialismus als Opfer seiner eigenen Verrücktheit, die asiatischen Völker als Opfer des weissen Im- perialismus und den ewigen Menschen als Opfer des ewigen Krieges. Da er nackt ist, in Flammen eingehüllt, passt er immer. Man sagt: "Sieh da, schon wieder Gustav}"

Man kann den Leuten unentwegt Massaker zeigen mit dem Hintergedanken, dass diese» sie vielleicht vom Krieg heilen werden: aber man hört nicht auf, sie zu zeigen! Man ver- wechselt sie alle.

Man hat den Eindruck, dass dies immer dieselbe Filmschleife mit derselben Einstellung ist, die man uns jeden Abend seit zwanzig Jahren zeigt. Und das hält überhaupt nichts auf-

Solch einen Krieg zu führen ist leicht, Du glaubst nicht, wie leicht so etwas ist. Das er- fordert lediglich zu Anfang ein wenig Aufmerksamkeit

Arrangieren, eine Gruppe junger Menschen einzuziehen bis zum ersten Toten. Danach läuft alles von alleine. Man kämpft nicht mehr für eine Idee, man hat einen Kumpel zu rächen. "Denn Sie werden ja wohl nicht sagen wollen, dass die meinen Kumpel nicht umgelegt haben, diese Mistkerle, wie?" Schluss mit dem sandigen Boden, wir befinden uns auf etwas Solidem, danach ist das nicht mehr der Krieg, das ist die Vendetta. Zehn Millionen bewaffnete Brüder, die Waffe in der Hand, um die ermordeten Brüder, die vergewaltigten Schwestern zu rächen. Man macht keine Politik mehr, nein, das ist die Vendetta, das ist das Verbrechen im Affekt, das ist der gesicherte Freispruch.

Sieh her, Du und ich! Aus irgendeinem Grund bist Du in Gefahr irgendwo, Du läufst Gefahr zu leiden oder zu sterben und aus irgendeinem Grund ist dort ein Kerl, der es weiss oder es sagen könnte, aus irgendeinem Grund will er es nicht sagen, er hält den Mund, wie? Er hat Dein Leben. Deine Freiheit zwischen seinen Kinnbacken eingekeilt, eingekeilt in seinem dreckigen, kleinen, geschlossenen Maul. Und ich stehe ihm gegenüber, mit all meinem Respekt vor den Menschen und meinem Sortiment von Prinzipien. ; ! l

Und ich weiss, wenn ich ihn auf seinen kleinen, dreckigen, geschlossenen Kopf schlage, dass ich daraus Deine Freiheit oder Dein: Leben heraustreiben würde. Und ich hasse die Folter und habe Texte unterschrieben gegen die Folter. Und ich weiss, dass ich das Leid, das man Dir zufügt, aufhalten kann, indem ich ihm Leid zufüge. Und dann? Was mache ich dann? Kannst Du mir sagen, was ich da machen soll? Bedenke, ich habe mich noch nie in einer solchen Situation befunden. In der umgekehrten, ja. Also habe ich noch immer meine Prinzipien. Aber das ist nur ein Glücksfall, den ich gehabt habe, nichts weiter. Ich beurteile die anderen im Namen eines Glücksfalles.

Ich bin in die Widerstandsbewegung eingetreten, ohne mir Fragen zu stellen. Die Deutschen, das waren die Ungeheuer, kein Problem. Sowas geht durch Mark und Bein. Ich spüre noch eine Art tierischer Panik, wenn ich von den Deutschen sprechen höre. Und ich erinnere mich noch der letzten Tage, als wir plötzlich, auf dem Umweg . um ein kleines Dorf, auf eine amerikanische Panzerdivision trafen.

Die Jeeps, die _... das schwere Material, die Panzer, der Kaugummi, 1944, man war eher zufrieden, sie kommen zu sehen. Vor allem, da uns nicht eine einzige Kugel mehr übrigblieb. Tapfere Amerikaner. Ich verdanke ihnen mein Leben, ich werde sie immer lieben. Bis zum Ende der Zeiten werde ich fortfahren, die Deutschen zu töten und die Amerikaner zu lieben. Nur, dass die Amerikaner die Deutschen der Vietnamesen sind. Alles wird komplizierter.

Und selbst, wenn man einen Krieg irgendwo aufhalten könnte? Das ist wie eine wahre Feuersbrunst. In einer Ecke bricht ein Feuer aus, Millionen Feuerwehrleute stürzen auf das Feuer los, um es zu löschen, die meisten krepieren, man löscht das "Feuer. Man atmet auf, bis man wieder zu Atem gekommen ist, ist es anderswo schon wieder aus- gebrochen. Und man schickt aufs neue Feuerwehrleute, die sich draufstürzen, krepieren das Feuer löschen und so weiter.

Ich hatte mir geschworen, niemals mehr auf selten der Feuerwehrleute zu sein. Ich habe nicht bedacht, dass man auf selten des Feuers stehen könnte. Nur, auf der Seite welchen Feuers? Wie? Man muss wählen. Vietnam, das ist klar. Jedermann ist für Vietnam.

Ich kenne einen Ort, wo man Vietnam-Essen gibt: für zehn Piepen hast Du Anrecht lauf eine Schale Reis. Der Reinerlös kommt dem Roten Kreuz zu, so Wie 1914.

Nur gibt es keine Schalen Datteln für die Jemeniten, soviel ich weiss. Und trotzdem, arme Jemeniten l Und die Kurden, nicht wahr! Man gibt sie ein wenig auf, die Kurden! Und die Sudanesen: fünfzigtausend Tote in weniger als einem Jahr _... Und wen stört das, na? Das ist so wie mit den Börsenkursen: Vietnam ist am höchsten notiert, der Sudan am niedrigsten und _... Kurdestan ist ein wenig matt.

Ihr sagt, dass ihr auf seiten der Opfer steht, aber das stimmt nicht: ihr wählt sie aus, eure Opfer, ihr habt Opfer nach der Mode, diejenigen, die euch passen. Niemand kann alle ungerechten Tode tragen, das ist nicht menschlich, aber wenn man betrach- tet, weshalb diese hier und jene, nicht, ihr jährliches Einkommen, ihre Hautfarbe, beginnt man komische Sachen zu finden, in sich selbst, auf dem Grunde seiner selbst: eine Rassentrennung der Toten, ein Klassenkampf der Toten _...

Also, Vietnam, da ist die Einstimmigkeit. Das ist das wiedergefundene gute Gewissen, das ist die Freude, das Recht, die Freiheit. Denn Vietnam, das sind die Amerikaner und die Amerikaner, das sind die Abscheulichen, die Nicht-wie-wir, die Nicht-Kulti- vierten, die Tyrannen, die Kolonialisten _... 40 Millionen Antikolonialisten in Frank- reich. Man hatte das nicht so gemerkt während des Algerienkrieges, aber wir haben gigantische Fortschritte gemacht!

Den Amerikanern scheut man nicht zu sagen, was man davon hält, die grossen Listigen, nicht wahr!

Bedenke, dass in der gleichen Zeit die amerikanischen Investitionen in Frankreich die Summe von zwei Milliarden Dollar erreichen, aber kein Zusammenhang! Sieh hier: Paris öffnet die Tore, um die Militärs abziehen und das Kapital einziehen zu lassen!" Mittels wessen man antiamerikanisch sein kann, solidarisch mit der Dritten Welt, in aller Seelenruhe, man ist gedeckt. Und weisst Du, was das Schlimmste ist, meine kleine Schleiereule? Das ist, dass mir das passt, dass es so ist. Das heisst, das ist in Ordnung.

Das gibt mir das Recht, alle Welt durch den Dreck zu schleifen, mich eingeschlossen und gut zu sein, empfindlich und grossmütig ganz allein. Die Drecksäcke der Rechten, die Scheisskerle ("con" = unübersetzbarer franz. vulgärer Ausdruck (A.d.Ü.)) der Linken. Seht hin, keine Gefahr, das rührt sich nicht.

Oh lala, die Russen von 1917, das waren die wahren Kerle. Das ist perfekt. Jedermann ist an seinem Platz, auf diese Weise wechseln die guten Häuser.

Sieh die Amerikaner in Vietnam! Sie schicken die Neger und die Bauern hin. Die Studenten werden zurückgestellt. Das Resultat: die Studenten erlauben sich den Luxus des Protests und die grosse Gesellschaft erlaubt sich den Luxus, Studenten zu halten, die protestieren. Das ist tadellos, das ist eine konzertierte Aktion, jedermann hat seinen Anteil.

Und weisst Du, weshalb ich beginne, diese Amerikaner zu verabscheuen. Weil sie anfangen zuviel zu machen, weil sie dermassen viel machen, dass es sich zu rühren beginnt. Sie hatten die Spielregeln aufgestellt und alle Welt spielte ihr Spiel. Sie waren in solchem Masse Scheisskerle, dass sie es selbst nicht gewahr wurden. Auch nicht, dass sie es sind, die inzwischen die Spielregeln ändern. Das könnte ewig dauern, der Überfluss, die Koexistenz _...

Und sie sind es, die uns daran hindern werden, zu spielen. Ich war schön im warmen mit meiner Verwirrung. Und nun kommen die anderen und stossen mich. Greifer ("vache" = vulgärer Ausdruck für Polizisten (A.d.Ü.)) von Johnson, Bobby (Bobby: Robert McNamara) ist schlauer. Er weiss sehr wohl, dass die alte Baracke noch Atem und genügend Geldmittel hat, um auf diese Weise weiterzumachen.

Es gab für und wider, Yin und Yang, aber man lebte trotzdem besser als vor hundert Jahren, und dann die technischen Fortschritte, die Probleme treten nicht mehr auf die- gleiche Weise auf _...

_... Alte Baracke, vielleicht, aber eine neue Generation Direktoren, vorurteilsfrei, die wissen, wie sie zu den Arbeitern zu sprechen haben, weder wie zu Sklaven noch wie zu Kumpels, sondern wie zu Assoziierten, richtig, as-soziiert auf verschiedenen Ebenen desselben Wohlstandsunternehmens. Man diskutiert, man verhandelt, man assoziiert, und dann plumps! Der Grossvater dreht durch und macht sich daran, mit der Blunderbüchse auf die Streikenden zu schiessen. Bestürzung. Eskalation. Mit einem Mal ist alles viel klarer.

Wäre ich revolutionär anstatt links zu stehen, ich vermute, ich würde jubilieren, würde bravo sagen, er demaskiert sich, er zeigt seine schmutzige Haut, Budapest ist ausge- löscht.

Man hat einer ganzen Generation Angst eingejagt mit den Revolutionsmassakern. Aber nun, man hat 's gesehen, man hat gesehen, dass, wenn die Konterrevolutionäre an- fangen, Verzeihung, sie begabt sind, nicht wahr. Man hat dies bei uns ein wenig ver- gessen seit Herrn Thiers. (Thiers, Adolphe: unterdrückte den Aufstand der Pariser Kommune 1871. Erster Präsident der III. Republik. (A. d. Ü.))

Die Deutschen, das waren Deutsche. Dass sie Faschisten waren, war nichts Erstaun- liches. Um ein Haar hätte man gesagt, dass sie Faschisten waren, weil sie Deutsche waren.

Aber hier die Amerikaner, anständige Leute, demokratisch auf Teufel-komm-raus, alle Arbeiter haben Autos und pazifistisch, pazifistisch. Die Gewalttätigkeit, das sind die anderen. Der Krieg, das sind die anderen. Und sie sind verpflichtet gewesen, den Krieg zu führen. Um ihnen zu helfen, den ach so ohnmächtig anderen. Aber jetzt ist alles aus, noch ein wenig Schwierigkeiten mit den Russen, aber auch das gibt sich. Zwischenspiel. Entspannung. Idylle. Nein, aber ganz und gar nicht, da rührt sich noch etwas in einer Ecke. Und das rührt sich sogar ganz gewaltig. Dann wachen die Götter auf. Ihr Frieden, das war der Krieg in Konserven. Ende der Idylle. Und das setzt ans Land, und das bombardiert, und das napalmt, und das foltert, und das verfault. Und jedermann kostet davon, die Militärs, die Frauen, die Kinder, die Bäume, das Vieh, der Norden, der Süden. Gibt es etwa eine Grenze? Man überspringt sie. Gibt es etwa ein Dorf? Man deportiert es. Und die ganze Welt sieht mit Belustigung zu und beginnt zu begreifen. Es gibt etwas zum Jubilieren, sage ich Euch. Gut, ich jubiliere nicht. Ich habe nur ein Leben, sie haben nur ein Leben und ich müsste famos sicher sein, meines geben zu können, um das Recht auf Applaus zu haben, wenn sie ihres geben. Sonst gleicht das zu sehr den Sonntagsschwachköpfen in ihrem Stadion. Vietnam vor, noch ein Tor!

Dann also schliesse ich mich ein. Ich will nicht verstehen. Nein, es ist als ob Vietnam etwas anderes als ein Land geworden wäre, etwas anderes selbst als ein Symbol: ein Experiment. Und zwischen denen, die erwarten, dass es gelingt, und denen, die erwarten, dass es fehlschlägt, hat sich eine Art ungeheurer Helfershelferschaft ergeben, damit dieses Experiment andauert. Und daraufhin, das ist wahr, stopfe ich mir die Augen und stopfe ich mir die Ohren. Weil, wenn das irgend etwas bedeutet, dann ist es genau dies, dass es andauert, dass alles dauert, dass es kein Ende gibt, von nichts, weder ein Ende des Krieges, noch der Grausamkeit, noch der Gewalttätigkeit, von nichts ein Ende in Sicht.

Was wollen die Scheisskerle, die mir das Buch zugeschanzt haben? Ich kann nicht einmal mehr die Zeitung lesen. Sobald das erklärt, sobald das räsoniert, verstehe ich nichts mehr. Meine Ohren sind nicht darauf gestimmt, ich kann nichts dafür; was ich höre, das ist der Schrei.

Ich weiss nicht, wie Ihr das anstellt, ich weiss nicht, wie man mit dem Schrei _... ver- handeln kann, ich weiss nicht, was man anders machen kann, als wie ein Tier graben auf der Suche nach dem Ort und dem Augenblick, wo man aufhört, ihn zu hören und sei es euch nur eine Minute _... (Blick. Sie ist einer dieser Orte, dieser Augenblicke). Ich werde ihnen ihren Text nicht schreiben. Ich werde Ihnen nichts sagen. Ich werde zu Dir kommen und ich werde Dir von einem Land sprechen, das nicht Vietnam ist, von einem Land, das nicht existiert. Ich werde ihnen nicht schreiben. Ich weiss nichts mehr. Ich will nichts mehr. Ich werde Ihnen sagen, dass ich Angst habe, dass mir kalt ist, dass ich sie alle liebe, dass ich sie hasse, dass _... wir alle sterben werden, dass wir leben möchten, dass ich nicht mehr weiss _... dass ich nichts weiss _... ich werde nichts schreiben.

(Und er verharrt unbeweglich, wie in einem Eisblock gefangen.)

5/ Flash Back

Am 20. Juli 1954 unterzeichneten ein französischer General und ein Vietminh-Kommissar die Genfer Verträge. Der Indochina-Krieg, der französische Krieg, ist beendet. Aber seit mehr als vier Jahren hat der Vietnam-Krieg, der amerikanische Krieg, be- gonnen. Ab Ende 1949 hat Washington Frankreich geholfen, sich in Indochina zu behaupten, um Paris fester an die atlantische Gemeinschaft zu binden.

Im Februar 1951, drei Jahre vor Genf, denunziert Ho Chi Minh die Amerikaner als die wahren Gegner der vietnamesischen Revolution. Und tatsächlich wird von nun an der Krieg von Washington finanziert.

April 1954: Dien Bien Phu ist dabei zu fällen. Die kopflose LANIEL-Regierung fleht Washington an, sich direkt durch massive Luftangriffe auf die Belagerer einzuschalten. Die amerikanische Regierung weigert sich, solche Risiken zu übernehmen. Dulles arbeitet eine andere Strategie aus: den blossgestellten französischen Alliierten vernach- lässigen, ihn einen schlechten Frieden schliessen lassen, der schlecht und recht die kommunistische Welle aufhält, dann von einem schützenden Sprungbrett aus den antikommunistischen Gegenangriff vorbereiten. Dieses Wort spricht Dulles am 3. Juni aus, sechs Wochen vor den Verträgen.

Die Vereinigten Staaten haben sich nicht schlagen wollen. Aber sie wollen sich auch nicht einem Frieden anschliessen, der in ihren Augen nichts anderes ist als eine Waffenruhe. Die Abschlusserklärung der Genfer Konferenz garantiert den Vietnamesen, dass ihr aus Gründen der internationalen Entspannung vorläufig zweigeteiltes Land in Weniger als zwei Jahren wiedervereinigt wird. Die Amerikaner weigern sich, diesen Text zu unterschreiben. Sie erklären lediglich, dass sie die Verträge nicht "durch Gewalt" brechen werden. Seltsamerweise begnügt sich alle Welt mit dieser mageren Zusicherung.

So kommt es, dass die Amerikaner Ende Juli 1954, ohne den geringsten Kampf zu liefern, ohne die geringste Verrichtung einzugehen, erreichen, dass die Sieger von Dien Bien Phu ein Drittel des Gebietes verlassen, das GIAP mit den Waffen ge- wonnen hatte. Es genügt, keine Rücksicht auf die Genfer Versprechen zu nehmen, um diese Verhandlung in eine Betrügerei umzuwandeln. Die Vietnamesen werden sich in Zukunft daran erinnern, wenn man ihnen von Verhandlungen spricht.

Dann beginnt der amerikanische Gegenangriff. Washington nutzt die Klauseln der Genfer Verträge, die ein Fortbestehen eines ergebenen Regiments erlauben, und lässt die anderen unbeachtet. Erste Handlung: die Übertragung der militärischen und politischen Verantwortung von Frankreich auf die Vereinigten Staaten. Von Juli 1954 bis April 1956 erreicht Washington zu seinen Gunsten die Tilgung dessen, was an französischer Anwesenheit übrigbleibt. Mit den Franzosen, die Verpflichtungen über- nommen haben, hat der Vietminh unterzeichnet. Er sieht sich den Amerikanern gegen- über, die keiner Verpflichtung zugestimmt haben.

Zweite amerikanische Handlung: das Einsetzen des Regimes der katholischen Man- darine. Mit Hilfe dicker Schecks, einer Hexenjagd und Notstandsgesetzen wird in weniger als zwei Jahren eine antikommunistische Bastion nach dem Vorbild Südkoreas in Saigon geschaffen. Was die Wahlen zur Wiedervereinigung des Landes betrifft, die 1956 vorgesehen waren, so ist nun keine Rede mehr davon. General Eisenhower schreibt in seinen Memoiren, dass Wahlen, im Augenblick der Kämpfe, 80% der Stimmen den Kommunisten, gegeben hätten.

Ende 1956 müssen die Führer in Hanoi zwei peinlichen Gewissheiten die Spitze bieten: die friedliche Wiedervereinigung Vietnams findet nicht statt. Saigon widersetzt sich, von Washington gutgeheissen, und weder Moskau noch Peking sind gewillt, ernst- hafte Risiken zu übernehmen, um die Anwendung der Verträge zu gewährleisten.

Zweitens: an die Stelle der ermüdeten Franzosen in Saigon traten die revanchistischen Amerikaner, indem sie die Verträge von 1954 weiterhin verletzten. Die Sieger von Dien Bien Phu sehen sich auf diese Weise durch eine Serie geschickter Täuschungen um den Sieg geprellt, den sie auf dem Felde davongetragen hatten. Sie sind zurück- gedrängt und eingeschlossen im Ghetto des Nordens, das durch die begrenzten landwirtschaftlichen Mittel grossen Mangel leidet und auf lange Sicht von China ab- hängig wird. Im Süden: der Polizeistaat. Konnte die Regierung des Nordens sich diese Situation lange bieten lassen? 1958 war der Mythos von der friedlichen Ko- existenz noch zu neu, als dass man die schwächliche internationale Entspannung ent- schlossen hätte aufs Spiel setzen können. Die Politik Chruschtschows drängte viel- mehr Hanoi zur Geduld. Aber die Aufforderung zum Kampf wird aus dem Süden kommen.

Tatsächlich ist südlich des 17. Breitengrades alles zur Zerstörung bestimmt, was sich als links deklariert. l !

Die Regierung DIEM hat ihre Gestapo und Ihre Konzentrationslager. Seine Weige- rung, die Wahlen auszuschreiben, überzeugt 1956 vollends die vietnamesischen Revolu- tionäre, dass ihnen nur ein Ausweg bleibt: der bewaffnete Kampf. Ab 1958 melden ame- rikanische Beobachter das Erscheinen einer Organisation, die sich "Befreiungsfront" nennt. Im September 1960 beschliesst Hanoi anlässlich des 3. Parteikongresses, den Par- tisanen aus dem Sudan Bürgschaft und Hilfe zu gewähren. Drei Monate später, am 20. Dezember 1960, gibt die "Nationale Befreiungefront" Südvietnams offiziell ihre Existenz bekannt. Seitdem erweitert sich der Aufstand zur Revolution gegen das Diem-Regime, den Bedrücker des Südens und den Spalter Vietnams. Und der Norden wird zu einer wachsenden Beteiligung an den Kämpfen gedrängt.

Im Februar 1962 gibt Washington die Gründung eines amerikanischen Kommandos in Vietnam bekannt und macht auf diese Weise seinen direkten militärischen Eingriff den Bürgerkrieg offenkundig. Im State Department spricht man von "der Aggression Widerstand leisten", man beschwört den Präzedenzfall von München. Aber der wahre Präzedenzfall ist der Spanische Bürgerkrieg. Und die wahre Rolle der Vereinigten Staa- ten in diesem Krieg ist, ein Regime der extrem Rechten gegen eine Volksrevolution zu verteidigen.

Der 1. November 1963, der Tag der Ermordung Diems mit amerikanischen Spezialdien- sten als Helfershelfer, macht das Wesen des Konflikts noch klarer. Es handelt sich von nun an nicht mehr um einen Bürgerkrieg zwischen der vietnamesischen Rechten und Linken. Es handelt sich, von nun an um die amerikanische Intervention gegen die Selbst- bestimmung des vietnamesischen Volkes. Nach 18 Monaten Notbehelf, einem Bäumchen- wechsle-dich von fiktiven oder grotesken Personen, einem letzten Versuch, den Cha- rakter ihrer Aktion noch zu tarnen, werfen die Amerikaner am 8. Februar 1965 die Maske ab. Unfähig, den Krieg auf dem Gelände zu gewinnen, das heisst, im Dschungel und im Reisfeld Südvietnams, tragen sie ihn zum Norden und systematisieren die Bom- bardierungen. Das ist die Eskalation.

Seitdem verstärkt sich diese Eskalation. Die Bombardierungen, die sie im Bild gese- hen haben, sind keine Kriegshandlungen: es sind genaugenommen Foltersitzungen. Ihr Ziel ist, das Opfer zu bezwingen, seinen Widerstand zu brechen. Die Aggressoren ma- chen kein Geheimnis daraus. Aber dieses Mal ist der Gemarterte nicht mehr dem Folter- knecht preisgegeben. Er kämpft. Er wird kämpfen bis zum Sieg dessen Bedingungen er schon abgesteckt hat: Staatsintegrität, Wiedervereinigung, Selbstbestimmung, Ende der ausländischen Einmischung.

"Die Amerikaner irren, wenn sie glauben, den Krieg im Süden gewinnen zu können, indem sie den Norden bombardieren. Nie, nie werden sie diesen Krieg gewinnen, nie, nie werden wir nachgeben, weil unser Krieg ein patriotischer Krieg, ein gerechter Kriegs ist und wir entschlossen sind, zu kämpfen, sei es fünf Jahre, zehn Jahre, zwanzig Jahre, oder länger, aber wir werden siegen." (Präsident Ho Chi Minh)

Es ist müssig, diese Idee des Sieges, die nicht die Sanktionierung einer Eroberung, son- dern die Anerkennung eines Rechts ist, der Idee des Friedens entgegenzusetzen. Für einen Vietnamesen ist der Frieden das einzige Ziel, aber der Sieg bleibt der einzige Weg.

6/ Camera Eye

(Aufnahmeklappe wird geschlagen). Vietnam. Godard eins, zum ersten.

(Stimme Godards). Mit rauher Stimme hat er die Anklageschrift gegen die Frau ver- lesen. Es war ein kleiner Mann, der eine verwaschene graue Uniform trug und auf- recht vor ihr herging. Wenig später dann begannen zwei Thunderchiefs über uns zu kreisen. Und dann hörten wir, dass sie beinahe _...sie sich im Tiefflug näherten und hörte man die Explosionen _... ihrer Bomben, die sie warfen. Als er sich dann aufrich- tete, hatte er in seiner Hand ein Messer mit einem Griff, in der Art, wie ihn die Bauern zum öffnen der Kokosnüsse benutzen. Die Jagdbomber sind mit Zwanzig-Milli- meter-Maschinengewehren ausgerüstet, die 6000 Schuss in der Minute abfeuern kön- nen, glaube ich, das heisst: eine Serie ganz erschreckender Explosionen erzeugen. Die Bauern standen noch immer unbeweglich da und betrachteten das Schauspiel. Eine Rakete vom Typ F 105 flog mit einem Schwung _... tatsächlich nur einen Meter über unsere Köpfe weg. Und das war etwas sehr Merkwürdiges. Die Bauern standen noch immer unbeweglich da und betrachteten das Schauspiel. Das alles war sehr merkwürdig.

Wenn ich ein Kameramann der Wochenschau wäre, ein Kameramann des Fernsehpro- gramms ABC von New York oder von San Franzisco, wenn ich ein Kameramann der russischen Wochenschau wäre, dann hätte ich das gefilmt, glaube ich. Aber ich wohne in Paris und _... befinde mich nicht in Vietnam. Vor einem Jahr, vor anderthalb Jahren, wollte ich nach Nord-Vietnam. Ich erinnere mich, dass ich an die nord-vietnamesische Delegation hier geschrieben und sie um Erlaubnis gebeten hatte, bei _... ihnen filmen zu dürfen. Aber nach sechs oder acht Monaten endlich erfuhr ich, dass sie in Hanoi ab- gelehnt hatten, weil ich nicht _... das heisst, für sie _... war ich nicht, glaube ich, je- mand, auf den man _... sagen wir, jemand mit einer vagen Ideologie und _... der sie nicht trauen konnten. Kurzum, ich glaube, dass _... ich glaube, dass sie sicherlich _... dass dies ein sehr guter Grund war, und dass sie nicht Unrecht hatten. Das war zu jener Zeit, wo ich, weil es schwierig war, in Frankreich Kino zu machen, zu der Zeit, wo ich _... mir sagte, man muss nach Kuba oder nach Algerien oder nach Jugosla- wien gehen. Und da die Weigerung Hanois mir gezeigt hat, dass _... wirklich _... weil ich in Paris lebe, es keinen Grund gibt, weshalb ich nicht in Paris Kino machen sollte, habe ich mich damals also entschlossen, in jedem Film von Vietnam zu reden, schlecht und recht, wenn man so will, aber sagen wir eher doch recht. Nun, als die Leute, die an diesem Film arbeiteten, mich aufforderten, bei ihrem Film mitzumachen, habe ich ge- sagt: ja, ja, man ist so voller Ideen. Und dann waren dies Ideen, die _... ich weiss nicht recht. Also, die Tatsache, dass Hanoi abgelehnt hat, und da ich glaube, dass sie recht hatten, weil ich hätte Dinge machen können, die ihnen mehr geschadet als genutzt hätten, dies also machte, dass alle diese Ideen, glaube ich, dass diese Ideen auf falsche Weise grossmütig waren. Denn es scheint mir schwierig, Dinge zu machen, wenn _... also über Bomben zu reden, wenn sie einem selbst nicht auf den Kopf fallen. Ich habe zum Beispiel daran gedacht, den Körper einer nackten Frau zu nehmen, das zugleich wärmste und lebendigste was es gibt, ihn zu illustrieren, zu beschreiben, einfach wie Robbe-Grillet oder besser wie Flaubert, denn Robbe-Grillet mag ich nicht so sehr, zu zeigen, was ein Schrapnell aus einem Frauenkörper macht und es einfach zu sagen. Und gleichzeitig gab es einen Effekt, ein gewisses ästhetisches Suchen und es gelang mir nicht _... vielmehr trennte ich, es gelang mir nicht _... in Übereinstimmung zu brin- gen _... die Wirkung zu erreichen, dass _... sagen wir, dass es mir gelingen würde, den Inhalt und die Form gleichzeitig auszudrücken. Deshalb war es schlecht, weil diese Idee, diese Form, sich nicht im Innern des Inhalts befand, nicht dessen normaler Ausdruck war, wie die Haut, die den Körper bedeckt und doch ein ebenso vollständiger Teil von ihm ist wie das Herz.

Ich wollte von den Bäumen sprechen, die ihre Blätter verlieren, auch von den vergifte- ten Flüssen, alle Dinge zeigen, weil die Menschen nun _... weil wir nun einmal nicht mit der Waffe in der Hand kämpfen, sondern im Gegenteil weit davon entfernt sind und man leicht sagen kann, dass unser Herz blutet. Es blutet, aber womit _... dieses Blut hat überhaupt nichts zu tun mit dem Blut irgendeines Verwundeten. Ich will sagen, es war dieses Sache _... im Verhältnis _... es war da eine gewisse Scham, es waren trotz- dem Gedanken, deren man sich schämte, so wie vor allem, wenn man Friedensappelle unterzeichnet. Und deshalb glaube ich, ist das einzige, was wir machen können, wir _... wenn man Kino macht, eben Kino zu machen. Das beste, was ich für Vietnam machen kann, glaube ich, statt zu versuchen, Vietnam mit einer Art _... mit einer Grossherzig- keit zu überschütten, die notwendigerweise scheitern muss, ist, uns im Gegenteil von Vietnam ergreifen zu lassen und uns darüber klar zu werden, welchen Platz es ein- nimmt in unserem täglichen Leben, überall. Und dann wird einem klar, dass Vietnam nicht alleine dasteht, dass ganz Afrika und ganz Südamerika und dass _... und dass wir anfangen müssen, eins, zwei _... wenn Che Guevara sagt: "Lasst uns ein oder zwei weitere Vietnam schaffen", man das auf sich anwenden muss, das heisst: Vietnam in sich selbst schaffen muss. Wenn man in Guinea ist, muss man gegen die Portugiesen sein, wenn man in Chicago ist, muss man für die Schwarzen sein, wenn man in Südamerika ist, muss man für Lateinamerika sein, das ein völlig kolonialisiertes Land ist, koloniali- siert zuerst von der spanischen und französischen Kultur und heute von der amerikani- schen Wirtschaft.

Ein Vietnam in uns selber schaffen, ich weiss nicht genau. Nehmen wir Frankreich in die- sem Jahr zum Beispiel, da waren im letzten Sommer die grossen Streiks der Rhodiaceta in Besançon oder in Saint-Nazaire, Ereignisse, die viel zu tun haben mit Vietnam. Ein Arbeiter der Rhodiaceta muss aus dem Kampf Nord-Vietnams Lehren ziehen für sei- nen Kampf gegen die Gewerkschaft. Er muss aus ihnen die Formen der Prinzipien ler- nen, denn schliesslich _... weil er seine Akkordarbeit zu hart findet, er weder leben noch schlafen noch denken, sogar nicht mehr lesen kann, und er den Eindruck hat, er sei ein Untermensch, ein Unterprodukt und werde ausgebeutet. Ich zum Beispiel, Cinéast, der in Frankreich dreht, bin zum Beispiel völlig von einem grossen Teil der Bevölkerung, insbesondere von der Arbeiterklasse, abgeschnitten. Und mein Kampf, der ein Kampf gegen das amerikanische Kino ist, gegen den wirtschaftlichen und ästhetischen Imperia- lismus des amerikanischen Kinos, das das Kino der ganzen Welt zerrüttet hat, ist schliess- lich ein ähnlicher Kampf. Aber wir reden nicht miteinander und das Arbeiterpublikum sieht sich meine Filme nicht an. Und zwischen mir und ihm besteht der gleiche Einschnitt wie zwischen mir und Vietnam oder ihm und Vietnam. Wir interessieren uns füreinan- der durch nichts anderes als ein Gefühl der _... sagen wir mal _... Grosszügigkeit, das aber tatsächlich nicht der Wirklichkeit entspricht. Wir kennen uns nicht, weil wir in einer _... ich in einer Art kulturellen Gefängnisses lebe und der Arbeiter der Rhodiaceta in einer Art wirtschaftlichen Gefängnisses. Vietnam heute ist ein allgemeineres Symbol des Widerstandes als alle anderen, also muss man ständig von ihm reden. Es gibt einen Text von Breton sehr _... darüber in seinen ersten Manifesten, der sagt: "Ich glaube an die absolute Kraft all dessen, was, spontan oder nicht, getan wird, das Einverständnis zu verweigern. Es sind nicht die Gründe allgemeiner Wirksamkeit, aus denen die ausdau- ernde revolutionäre Geduld sich nährt, und vor denen ich mich verneige, die mich taub machen werden gegen den Schrei, den uns in jeder Minute das erschreckende Missver- hältnis zwischen dem Gewonnenen und dem Verlorenen, dem Bewilligten und dem Er- littenen ausstossen lässt." Die beiden zu unterstreichenden Ausdrücke in diesem Text sind die ausdauernde revolutionäre Geduld und der Schrei. Nun, wir, die wir uns nicht in einer revolutionären Situation befinden in Frankreich, müssen gerade besonders laut schreien. Vielleicht brauchen die anderen weniger zu schreien, die _... Regis Debray schreit nicht, Che Guevara auch nicht, sie sind wahre Revolutionäre. Wir, die es nicht sein können oder noch nicht, müssen eben zuhören und die Schreie so oft wie möglich weitergeben. Stop, Ende der Aufnahme.

7/ Victor Charlie

Der amerikanische Sänger Tom Paxton erklärt den Zweck des Krieges der Vereinigten Staaten: Vietnam vor den Vietnamesen schützen.

Ein Telegramm von Johnson: Dringend hakt los Khakihosen Stop Keine Arbeit für euch hier folglich schicken euch nach Vietnam Stop Johnson sagte der Nation Keine Angst vor Eskalation sind Freund von jeder Nation Stop Dies ist kein Krieg nein nein aber schicken 50000 Mann um zu schützen Vietnam vor den Vietnamesen. An Land gesetzt in Morast geführt, angeschnauzt aufgebaut Alles klar Stop Das Land gehört uns trotzdem besser nachts nicht alleine zu sein Stop Johnson sagte der Nation Keine Angst vor Eska- lation sind Freund von jeder Nation Stop Dies ist kein Krieg nein nein aber schicken 60000 Mann um zu schützen Vietnam vor Vietnamesen Stop Achtung Elite des Ortes unvorhersehbar sehen nicht danach aus aber allesamt Vietcong Stop Wenn die Nacht kommt ziehen Pyjama an nehmen Mörser und bums dies ist kein Fest Stop Johnson sagte der Nation Keine Angst vor Eskalation sind Freund von jeder Nation Stop Dies ist kein Krieg nein nein aber schicken 70000 Mann um zu schützen Vietnam vor den Vietna- mesen Stop Helikopter grosse Heuschrecken packen Vietcong am Kragen in allen Ecken Stop Sind abgehauen lassen Nachricht Regeln Staatsaffäre in Saigon Stop Und ich hüpfe wie ein Frosch in meinem Reisfeld und träume von Papa Johnson der mich so liebt Stop Selbst als er sagte noch nicht lange her "Kein einziger Mann, nach Vietnam, mehr" Stop Denn Johnson sagte der Nation Keine Angst vor Eskalation sind Freund je- der Nation Stop Dies ist kein Krieg nein nein aber schicken 100000 Mann um zu schüt- zen Vietnam vor den Vietnamesen.

Michèle Ray, als Reporterin auf amerikanischer Seite, hat drei Wochen mit denen ge- lebt, die die Presse die Vietcong, die Amerikaner Victor Charlie und die Vietnamesen die Nationale Befreiungsfront nennen. Nach ihrer Rückkehr sah sie den Krieg nicht mehr auf dieselbe Weise.

"Jeden Tag werden alleine auf Südvietnam hundert Tonnen Napalm und zweihundert Ton- nen Bomben aller Art abgeworfen, und dies alleine der Beitrag der Luftwaffe. Nach drei Wochen auf der anderen Seite, mit Victor Charlie wie die GIs sagen, wurde ich in ein Gebiet zurückgebracht, das die amerikanischen Truppen besetzt hielten. Nach aussen hin muss ich, müsste ich, so nehme ich an, glücklich sein. Und trotzdem ersticke ich. Ich fühle mich erdrückt durch ihre unerbittliche Stärke. Ich möchte sie nicht mehr sehen, mir die Ohren zustopfen, nicht mehr ihre Scherze hören noch vor allem diese unaufhörlichen Geräusche der Helikopter, die mit derselben Gleichgültigkeit die Männer transportieren, die zum Krieg ziehen, den Nahrungs- oder den Munitionsnachschub, oder die Raketen, die sie auf alles das loslassen, was sich auf der Erde rührt.

In diesen drei Wochen bin ich beim geringsten Motoren- oder Düsengeräusch hochge- fahren. Und wenn die Bombardierungen zu nahe herankamen, habe ich mich, wie die Soldaten an der Front, der einfache Bauer, die Frauen, die Kinder, eingegraben in Ver- stecke, ein Meter tief von der Oberfläche der Erde, mit einem Bambus zum Atmen, wäh- rend über uns die Apokalypse losbrach.

Die Angst, der Luftmangel, die bebende Erde _... Wir gaben uns die Hand. Wir hatten nötig zu spüren, dass die menschliche Wärme besteht.

Sobald die Ruhe zurückgekehrt war, kehrte jeder zu seiner Beschäftigung zurück, die er während der Zeit des Angriffs für einige Stunden unterbrochen hatte. Das Leben übernahm wieder seine Rechte und ihr Lachen rührte mich bis auf den Grund meines Herzens.

Aber Joe, Jack oder Mike wollen nicht diesem Feind glauben, der die ruhige Zuversicht derer hat, die wissen, dass sie eines Tages triumphieren werden. Sie ziehen es vor, an die Statistiken der offiziellen Propaganda zu denken, die versichern: der Vietcong hat eine schlechte Moral. Sie möchten diese Bevölkerung, die sie bombardieren, für sich gewinnen. Daher vervielfältigen sie die sanitären Aktionen. Die GIs verwandeln sich in Krankenwärter und ihre Blicke besagen deutlich: seht, wir sind keine Ungeheuer. Ihr Gewissen ist rein und die amerikanische Journalistin kann einen ausgezeichneten Artikel schreiben.

Die Flusspatroillen operieren 24 Stunden pro Tag. Jeder Transport, jede Dschunke wird durchsucht. Drei amerikanische Offiziere kommen auf einen vietnamesischen Polizeioffi- zier. Er allein hat das Recht, die Papiere zu kontrollieren, übrigens in vietnamesisch aus- gestellt, und auf die Schiffe zu steigen.

Trotz der ständigen, strengen Kontrollen gelangen jeden Tag Dschunken auf die andere Seite, mit Material oder Nachschub beladen.

In anderen Zonen, in der Provinz Binh Dinh im Besonderen, der unaufhörlichen Bombar- dierungen wegen, ist die Bevölkerung in Regruppierungslager evakuiert worden. Aber die Lager sind fern und die Fahrräder rar. Jeden Morgen führen die Koreaner der "Tiger Division" sie unter bewaffnetem Schutz zu Ihrem Erntefeld. Abends bei der Heimkehr, die Balancierstangen maximal beladen, der Wirrwarr, die Soldaten immer dabei, immer anwesend. Die Vietnamesen lieben diese Koreaner nicht, die wissen, das Fürchten zu lehren. Sie vergessen auch nicht, dass es Koreaner waren, die während der japanischen Besatzungszeit die Lagerwache hielten.

Jede Woche steigt die Zahl der Flüchtlinge. Wenn ich sie sehe, kann ich nicht umhin, an das zu denken, was mir einer der Vietcong-Kameraden sagte: "Das durch die Ameri- kaner gewonnene Gebiet bedeutet: "gute Einwohner", die in Regruppierungslagern zu- sammengeführt werden, die wir Konzentrationslager nennen. Die Imperialisten nennen sie vielleicht Verbündete, aber sie sind für uns und fahren fort, das Amt der Aus- kunftsagenten für uns auszuüben. Ihr Herz ist nicht auf der anderen Seite. Für sie sind die Amerikaner der Feind, der sie bombardiert, der sie zwingt, die Dörfer zu verlassen und alles aufzugeben. Wenn sie auch nicht alle bewaffnete Guerilleros sind, so sind sie doch für uns."

Vietcong oder nur verdächtig? Sie schauen mich an, prüfen mich. Ich möchte ihnen mit dem Auge zuzwinkern, ihnen sagen, dass ich mit ihnen kämpfen würde, wäre ich Vietna- mesin, denn es wäre mir unmöglich, an die Regierung Ky und seine Marionetten zu glauben. Eine US-Armee von 465.000 Mann, unterdessen mehr, und eine südvietname- sische Armee, in der der Prozentsatz der Desertionen von Monat zu Monat steigt. Der Graben, der die Kämpfenden, die Verbündeten, trennt, wird jeden Tag breiter. Die Süd-Vietnamesen glauben, dass dieser Krieg sie nicht betrifft, dass dies ein ameri- kanischer Krieg sei. Also lassen sie sich wie lousy little dirty bugouts, wie schmutzige, kleine, lausige Feiglinge von ihren US-Beratern behandeln, die sie verachten und die von ihnen verachtet werden.

Und die amerikanischen Offiziere sagen folgende erstaunliche Sache: Weshalb sind wir nicht die Berater des Vietcong? Das wenigstens sind Soldaten!

Verstärkung, von Helikoptern herbeigebracht, Durchsuchung von leeren Dörfern, ge- naue Inspizierung der Umgebung der Häuser. Vergrabene Behälter werden entdeckt und die Schätze von Victor Charlie, Medikamente, werden mit Füssen gestossen, zermalmt. Die Einwohner sind weggegangen, geflüchtet oder versteckt, vielleicht irgendwo ver- graben, aber unmöglich, irgend etwas zu unterscheiden.

Verdächtige. Aber wer ist nicht verdächtig in Süd-Vietnam? Sogar die Frauen, sogar die Kinder müssen folgen. Sie werden verhört werden, sie auch.

Es ist immer schwierig, ein Zeuge zu sein, vor allem der ohnmächtige Zeuge eines Krieges. Hinter der Kamera stehen bedeutet nicht, neutral zu sein. Ich filme eine Seite, aber mein Herz ist auf der anderen, mit diesen Verdächtigen, mit diesem Kind.

Die Kugeln pfeifen um die Ohren derjenigen, die sich weigern zu sprechen. Und der lange Marsch wird wieder aufgenommen, zur Verfolgung eines Feindes, der sich den Blicken entzieht, der aber letztlich die Initiative der Handlungen behält.

Michèle Ray hat diese Kriegsbilder gefilmt. Dann ist ihre Kamera irre geworden, hat angefangen, das Filmmaterial zu zerreissen und was daraus entstanden ist, gleicht vielleicht mehr als alles andere dem Schrei, den sie hätte ausstossen wollen.

8/ Why We Fight

General Westmoreland, oberster Befehlshaber der amerikanischen Streitkräfte in Viet- nam, stellt die offizielle These der Vereinigten Staaten vor.

Der Einsatz dieses Kriegs ist ein Volk. Es ist kein Bürgerkrieg, es ist eine Aggression die aus Nord-Vietnam kommt. Der Vietcong ist keine nationale Partei. Er ist eine von den Kommunisten des Nordens organisierte und geleitete Bewegung. Wenn er im Süden einige Unterstützung findet, so erhält er sie durch den Terror, die Einschüchterung und das Verbrechen. Eine der schlechten Seiten des Krieges, eines jeden Krieges, ist, dass man nicht nur Militärs tötet. Es gibt zivile Opfer in Vietnam. Dies ist für uns eine ständige Sorge, aber diese Opfer sind nicht auf einen unbedachten Gebrauch unserer Waffen zurückzuführen. Es sind Unglücksfälle oder Irrtümer, während der Vietcong die Politik betreibt, mit Vorbedacht die Zivilbevölkerung anzugreifen. Noch nie, noch nie in der Geschichte der Kriege waren Soldaten so aufmerksam. Noch nie hat eine Nation solche Mässigung ihrer Stärke gezeigt. Ich bin ständig beeindruckt von dem Respekt meiner Männer für das menschliche Leben. Sie wissen, dass sie dort sind, um die kommunistische Welle in Asien einzudämmen und Vietnam die Demokratie zu bringen. Aber ihnen und mir blutet das Herz bei den jüngsten patriotischen Aktionen. Ich bin mir bewusst, dass der Krieg im Süden für den Feind nur ein Teil eines vollkommen ein- gerichteten Planes ist. Er versteht die demokratische Debatte nicht und jede Opposition scheint ihm zu bedeuten, dass Amerika wankelmütig ist.

Was er in der Schlacht verliert, gewinnt er zurück, indem er zu Unrecht mit einer Volksopposition rechnet. Deshalb setzt er die Aggression fort und das wird noch weitere Leben kosten. Unsere wunderbaren Kämpfer in Vietnam verdienen die freimütige und massive Unterstützung des amerikanischen Volkes.

Die Lektion von Viktor Charlie; ist die, dass die Antwort auf die Atombombe nicht eine andere Atombombe ist, sondern die älteste der menschlichen Widerstandsformen: der Guerillakrieg. Wir haben Fidel Castro, der das Problem leidlich kennt, gebeten, uns zu sagen, wie und weshalb die Guerilla gewinnen muss.

Auf die Frage nach dem bewaffneten Kampf möchte ich antworten, dass in jedem Fall für unser Land dies die einzige Möglichkeit war. Und nach unserer Ansicht gilt dies für die Mehrzahl der lateinamerikanischen Länder und auch für viele asiatische und afrikanische Länder. Der Imperialismus stützt sich immer auf die örtlichen Oligarchien, um der Re- volution den demokratischen Weg zur Macht zu versperren. Er hält die Völker gefesselt durch eine Art gordischen Knoten, den allein der bewaffnete Kampf durchhauen kann. Diesen Kampf haben wir nicht gewählt. Die Bedrücker haben ihn uns aufgezwungen. Die einzige Wahl für die Völker ist, entweder nachzugeben oder zu kämpfen. Und kämpfen auf die einzige Weise, die erlaubt, einen wirtschaftlich und technisch überlegenen Feind zu besiegen: Die Guerilla ist die Zuflucht zur Überlegenheit des Geländes und vor allem zur Stärke eines Volkes, um das zu kompensieren und zu besiegen, was der Feind an technischen und wirtschaftlichen Trümpfen besitzt. Durch eine intelligente und wendige Taktik, durch die Verwendung der Hilfsmittel des Geländes, durch die Mobilmachung des Volkes, der ausgebeuteten Arbeiter und Bauern, die die Mehrheit des Volkes ausmachen, mit einer gerechten Sache bewaffnet, deren moralischer Faktor so stark ist, dass er erlaubt, alle Entbehrungen zu ertragen, alle Gefahren auszustehen, haben die Guerilleros den einzigen Weg gewählt, der zum revolutionären Sieg führt. Das haben wir erlebt. Um dorthin zu gelangen, wo wir uns befinden, um diese Berge mit Strassen zu versorgen, um das Volk in Würde leben zu lassen, um die Unwissenheit auszurotten und alles zusammen vorwärtszubringen, haben wir kämpfen müssen. Heutzutage schaffen wir, aber gleichzeitig müssen wir das, was wir schaffen, verteidigen. Kein Land der Erde, kann aufatmen, solange dort der Imperialismus wütet. Deshalb müssen wir auf zwei Fron- ten kämpfen: einer schöpferischen Front um vorwärtszuschreiten, einer kämpfenden Front, um unseren Fortschritt gegen jede Gefahr und jede Aggression zu verteidigen.

Vietnam hat der Welt bewiesen, allen Revolutionären, allen denen, die dem Imperialismus die Stirn bieten, dass die modernste Technik, die zahlenmässig stärkste Armee und selbst eine Kräftekoalition wie die der USA in Vietnam nicht eine Guerilla besiegen können, die vom Volk unterstützt wird. Ich glaube, dass niemand an der Niederlage der amerikani- schen Armee gegenüber dem heroischen Vietnam zweifelt und das ist einer der grössten Dienste, den Vietnam der Welt geleistet hat.

10/ Ann-Uyen

Am 2. 10. 1965 ermordete sich der Quäker Norman Morrison aus Baltimore vor dem Pentagon, dem Sitz des amerikanischen Generalstabs, indem er seine mit Benzin ge- tränkten Kleider anzündete. Als er die Gewalt in einem schwerlich zu übertreffenden Ausmass gegen sich selbst richtete, wollte er von der Gewalt seiner Landsleute gegen- über dem vietnamesischen Volk zeugen. Es ist noch schwierig, die Wirkung dieser Geste auf die Amerikaner abzuschätzen. Aber alle Vietnamesen haben sein Zeichen empfangen und es verstanden. Uyen, eine Vietnamesin, die mit ihren drei Kindern in Paris lebt, hat uns von Morrison und seiner Frau Ann erzählt, der dieser wenige Augenblicke vor seiner Tat schrieb: "Ich habe das, was ich machen musste, so klar gesehen wie an jenem Frei- tagabend im August, als ich wusste, dass du meine Frau werden würdest."

Uyen: Für das vietnamesische Volk bedeutet es etwas Wunderbares, sehen zu können, dass ein Amerikaner auf solche Weise demonstriert, indem er sich opfert, indem er das Glück seiner Familie opfert für eine gerechte Sache. Ich finde, dass _... man muss wahr- haft unendlich aufrichtig sich selbst gegenüber und mutig selbstverständlich, um dazu _... um zu dieser Geste zu gelangen. Und für uns hat nicht nur die Person Morrisons, son- dern auch die sehr ergreifende Geste, die er gemacht hat, nicht nur Achtung und einen tiefen Respekt, eine grosse Bewunderung hervorgerufen, sondern zudem die Freundschaft des vietnamesischen Volkes für das amerikanische Volk vergrössert, glaube ich. Amerika greift ein Volk an, das ihm nichts Böses antut _... Wir verteidigen uns gegen die Bom- bardierungen, die Massaker, die _... alle die Grässlichkeiten, aber wir glauben, dass es in Amerika einen anderen Krieg gibt, einen Krieg _... also des Volkes gegen alles, was un- gerecht ist. Wir haben sehr, sehr grosses Vertrauen in das amerikanische Volk und diese Geste hat noch dieses Vertrauen in uns vergrössert, diese Hoffnung, dass eines Tages wahrhaftig die beiden Völker _... anstatt sich _... also, vereinigen, um den Irrtum zu bekämpfen.

Ann Morrison: Um zu begreifen _... was Norman an diesem Tag zustiess, hm _... möchte ich anfangen mit _... es gab einen Artikel, der sich auf eine Pariser Zeitung bezog, den er gelesen hatte _...der Artikel handelte von der Geschichte eines katholischen Priesters in Süd-Vietnam _... der zugesehen hatte, wie seine Leute von den Bomben der Vereinig- ten Staaten und Süd-Vietnams massakriert wurden _... Das alles, weil der Vietcong in der Gemeinde gesehen wurde und in der Kirche zu einem gewissen Zeitpunkt Zuflucht ge- sucht hatte, sich aber aus dem Dorf schon längst wieder entfernt hatte, als der Luftan- griff auf dieses Dorf in Süd-Vietnam gestartet wurde _... Dieser _... dieser Artikel hat Norman äusserst bewegt _... Wie jeder dann weiss, ist er zum Pentagon gegangen und hat sich mit Kerosin übergossen und diese Form des _... des Protestes gewählt, die die bud- dhistischen Mönche in Süd-Vietnam bereits mehrere Male wählten, glaube ich. Und zur Abendbrotzeit bekam ich die ersten Telephonanrufe, die mir erzählten, was gesche- hen war. Ich wusste nicht sicher, ob er lebte oder tot war, die genauen Einzelheiten erhielt ich erst, als ich _... in dieser Nacht zum Krankenhaus von Fort Meyer ging.

Uyen: Ich stelle mir vor, dass sie dermassen mit ihrem Mann übereinstimmt, dass sie seine Geste nicht mal so aussergewöhnlich findet, das heisst, ich will sagen, dass sie tat- sächlich diese Geste gutheisst, glaube ich, weil sie diese Ruhe und diese Beherrschung bewährt. Ja, ich bewundere sie tatsächlich sehr.

Ann Morrison: Ich hatte überhaupt keine Schwierigkeiten, ihn zu verstehen, weil _... weil durch die Art der Persönlichkeit Normans _... wir haben uns ziemlich oft beim Mit- tagessen über das Missverständnis unserer _... Gesundheit und unseres Wohlstandes un- terhalten, und über unsere drei gesunden, reizenden Kinder und haben dies dem Leiden des vietnamesischen Volkes gegenübergestellt, und wie schwierig es war, zu wissen, dass wir in gewissem Sinne dafür verantwortlich sind, wie schwierig es ist, damit zu le- ben _... Und da der Krieg immer heftiger wurde, und da die zivilen Verluste _... Verluste im Verhältnis zu den militärischen derart anstiegen _...das wühlte Norman auf sehr starke Weise auf _... und ich verstehe, weshalb er es tat. Zum Teil hat er damit wohl sagen wollen: so fühlt es sich an, wenn man verbrannt wird _... so wie wir Leute ver- brennen, Frauen und Kinder und _... und Männer, jeden Tag. Ich weiss, dass Norman zu der Art Menschen gehörte, die sich für andere aufopfern, wenn dies erforderlich ist. An- ders zu handeln erschien ihm unerträglich. Für einige Leute war dies ein Akt der Klage, dass hier ein Mann sich so sehr für die Menschlichkeit einsetzt, dass er sein Leben aufop- ferte. Ich erzählte beiden Kindern was geschehen war, als sie am nächsten Morgen aufwachten. Und ich glaube, dass sie irgendwie besser verstanden haben als die mei- sten anderen, weil sie wissen, wie Norman fühlte. Tina sagte: "Vater ist gestorben, aber nun hat sich seine Liebe vermehrt." Uyen: Diejenigen, die bis dahin noch zögerten, könnten _... besser Stellung beziehen. In diesem Sinne wird dies den Weg weisen _... denjenigen, die die Wahrheit gerne sehen möchten, die sie suchen möchten. Ich glaube, dass alles was gerecht und wahr ist, schliesslich triumphieren wird.

Ann Morrison: Aber ich weiss eins, ich bin einer Sache ganz sicher, dass individuelle Le- ben dadurch verändert wurden _..., in einigen Fällen auf dramatische Weise verändert in ein Interesse für gesellschaftliches und ich glaube, dass es das wert war. Ich glaube, dass er das sagen wollte, tausend Mal.

Uyen: Und für uns ist es, als ob er ein Landsmann wäre, als ob er aus demselben Fleisch, aus demselben Blut gemacht wäre. Er wird als ein Held betrachtet, genau wie Ngyuen Van Troy, der ein Attentat auf McNamara verüben wollte. Und es gibt ein Lied, das heisst, ,Emily', das _... das sagt, das erzählt, das sich vorstellt, was ihr Vater, Emilys Vater, ihr hätte sagen wollen, bevor er starb. Er sagt, dass er stirbt, weil er diese Un- gerechtigkeit nicht ertragen kann und dass dieser Tod keine Niederlage ist, sondern der Beginn des Sieges.

11/ Vertigo

Diese antipatriotischen Demonstrationen, die General Westmoreland tadelte, erreichen den Höhepunkt am 15. April 1967. Vom Zentrum New Yorks bis zum Gebäude der Ver- einten Nationen und in den Strassen der grössten amerikanischen Stadt manifestieren mehr als eine halbe Million Menschen. Es nehmen teil: der Nationale Rat der Kirchen, das Kontingent der amerikanischen Indianer, die kommunistische Partei, die Gruppe der Nicht-Organisierten und viele andere. Dies ist die grösste Massendemonstration in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Es ist auch das Ende einer Epoche.

Die amerikanische Gesellschaft zerfällt sehr schnell und der Monolithismus des Staa- tes reicht nicht aus, um sie zu konsolidieren. Die militaristischen Kräfte von rechts, offi- ziell und inoffiziell, sind so stark wie möglich bewaffnet. Aber man sieht hier jene zum Vorschein kommen, die vom Protest zum Widerstand übergehen. Indem sie die Fahne der Nationalen Befreiungsfront Südvietnams entfalten, identifizieren sie sich offen mit den revolutionären Kräften, die den amerikanischen Imperialismus in drei Kontinenten angreifen. Die Militärbücher, die im Laufe dieser Demonstration verbrannt werden, zeu- gen von der Widerstandsbewegung gegen die Mobilmachung, in der sich bereits meh- rere tausend junger Amerikaner vereinigen. Es sind auch Vertreter der Black-Power-Bewegung anwesend: den Schwarzen die Macht. Andere sind zu Hause geblieben. Sie wappnen sich für den kommenden Sommer und das Auftreten des Guerillakrieges in den amerikanischen Städten.

(Eine Gruppe von Black-Power-Anhängern im Bild)

"Hell, no!" - Slogan der schwarzen Widerständler.

(Folgen Diskussionen und Beschimpfungen zwischen Demonstranten und Zuschauern) "Es ist eine Schande! Was wollt ihr? Die Kosaken in Brooklyn? Wir haben Versprechen gemacht, wir haben Verträge unterschrieben und ihr seid da und scheisst euch die Ho- sen voll. - Geht kämpfen! Ihr bringt mich zum Lachen, ihr seid zahlreich genug, um den Krieg zu gewinnen, aber ihr seid Kinder! Homos! Kommunisten! - Tadelt auch den Aggressor aus dem Norden und sein grausames Gesetz. Weder die Aggression noch das Verbrechen stammen von uns und das wisst ihr gut. Wenn morgen früh Hanoi zu ver- handeln bereit ist, ist morgen früh der Krieg vorbei. - Gott schütze Amerika. Liebet einander. Eulen! Grossmäuler! Abenteurer! Portorikaner, Portorikaner werden Vietname- sen nicht töten! Den Frieden aus Erbarmen! Vietcong an den Galgen! Den Frieden er- kämpft man! Hey, hey LBJ, how many kids did you kill today? - Die Geschichte wird die Anwesenden nicht zählen, sie wird nur fragen: War dies die grösste Kundgebung in Amerika und in der Welt gegen den Krieg? Ja!"

(Ein Neger spricht) "Das Problem ist, dass das Abendland die Welt unter der Vorherr- schaft der Weissen organisieren will. Für einen Schwarzen bedeutet die Teilnahme an einem Völkermord Verrat an einem Volk und seiner Geschichte. Ich sage: Tötet die Vietnamesen, wenn sie hier bei uns sind. Sie kämpfen für die Freiheit, die Unabhängig- keit, den Frieden, der Vietcong wird niemals kapitulieren, wird niemals aufgeben _... Amerika sät die Unordnung in die Welt. Der verstorbene Präsident Kennedy sagte: Das ist nicht der Fehler der Kommunisten, das ist der Fehler am Pimmel der Kapitalisten.

Ein Reicher dorthin gehen? Du bist lustig. Du gehst dorthin, armes Schwein. Kannst Du mir folgen? Gut. Du gehst nach Vietnam. Du kommst zurück. Kannst Du mir folgen? Und er wird Dir sagen: mache dies, mache jenes nicht. Mache den Krieg, mein Junge! Über den Rest sprechen wir später. Sie sprechen von Gewaltlosigkeit, sie reden vom Frieden und gehen dort einen Krieg führen. Amerika ist gewalttätig, meine Brüder. Welchen Sinn hat das, dort krepieren zu gehen? Was ist das für ein Krieg? Sind Sie da- für? Die ganze Welt ist dagegen. - Kurz, weigern Sie sich, für unser Land zu kämpfen? Den Nord-Vietnamesen wollen wir nichts antun, sondern den Kommunisten. - Ich be- greife nicht, dass man demonstriert, um zu sagen, dass man sich nicht für sein Land schlägt. - 500000 Friedensmarschierer und sie nennen sie Kommunisten. Die Süd-Viet- namesen kämpfen mit den amerikanischen Soldaten als Ladung _... - Kennen Sie das indische Sprichwort: verdrehter Kopf - gespaltene Zunge. Bumms! Wenn es etwas zu machen gibt, dann macht man es. Man macht seine Sache gut und nicht schlecht. Wenn die Viets da wären, würdest Du sehen _... Vor allem, seit wann bist Du hier im Land? - Weshalb schreien Sie? Man kann sich ruhig _... - Man kann WAS? Berühr mich nicht, ich bin schon genug versaut _... Du glaubst, ich habe getrunken? Nein, ich bin nicht so. Seit wann bist Du hier? - Seit heute morgen. - Ist es Dir nicht gut ge- nug hier, dann hau ab. - Ich hau ab _... und Sie, werden Sie aus Vietnam abhauen? Ich war in Vietnam. - Haben sie das Recht, Menschen zu töten? - Wenn ich dadurch meine Kinder beschützen kann, ja. - Weshalb ihre Kinder mehr als andere? - Weil sie von mir sind. - Um so schlimmer, wenn andere Kinder sterben? - Auf dass die Fä- higsten überleben! - Welch egoistische Mutter! - In Hanoi wären Sie schon längst tot. Ich, der ich zu Ihnen rede, war 44 in China _... Gut oder schlecht, mein Land", lesen Sie die Zeitungen! Und die Folge davon? Könnte ich es vor dem Bösen beschützen? Gut, aber dann, wo ist das Böse? Wer hat Unrecht? Wer hat Recht? Der Vietcong? Die Russen? Ich habe Ihnen eine Frage gestellt _... Antworten Sie! - Der Mörder hat Un- recht, der Aggressor hat Unrecht - Wer hat in diesem Augenblick Unrecht? - Nur in Notwehr _... - Sie antworten mir nicht! - Amerika hat Unrecht! - Welch ein Glück für Sie, dass die Gesetze bestehen. Nein, aber im Ernst! Haben WIR etwa Unrecht? Man stirbt in Vietnam und ihr Idioten _... Jesus komm! Jesus komm zu uns!

NA-PALM-NA-NA-PALM-NAPALM _...

(Ein Mann, mit einem Kleinkind auf dem Arm, steht an einer New Yorker Strassenecke, das Wort NAPALM unaufhörlich stammelnd.)

NA-PALM-NA-NA-PALM-NAPALM _... Vietnam! Vietnam! Ah, ich verstehe _... Kennt jemand Napalm? Kennen Sie Napalm? - Nein, was ist das? - (Der Mann mit dem Kleinkind) "Das ist eingefrorenes Benzin. In Vietnam _... bedient man sich seiner, um Häuser zu verbrennen, die Leute _... Das klebt an der Haut, das brennt _... Kinder, wie das hier, sind napalmiert worden, Leute wie Sie, verbrannt für nichts und wenn sie nichts tun, damit er aufhört _..." - Ich bin in Vietnam, ich mache den Krieg. Doku- mentarfilm _... Amerikaner _... Vietnamesen _... bäh. Schreie!"

(Fiktive Werbespots) Ja, wir leben im Dreck. Schützen wir also unsere Wunden. - Eine Auslösevorrichtung, und eine Minute später, ein Geschenk.

Stokely Carmichael redet gegen den Krieg: "Die Weissen schicken dich, Gelbe zu töten. Deine Gewaltlosigkeit besteht also darin, irgendwen zu töten, nur nicht die Weissen? Hört sie an, Johnson denunziert die Gewalt. Sag ihm, er soll gewaltlos sein in Vietnam. Dieser Krieg ist eher ein Krieg des Verschleisses als ein Krieg der Ausrottung, den unsere Politik auszuschliessen scheint. Das Ende ist nicht in Sicht. Der Kampf wird hart sein."

(Insert) EIN RECHTSANWALT AUS HARLEM: "Man sagt hier: Lieber tot als rot. Glau- ben Sie es ihnen nicht, diese Leute wollen leben. Sie sind glücklich, einen Krieg führen zu können, mehr als 10000 Meilen von ihrem Strand entfernt. Was aber, wenn Amerika davon betroffen würde? Seine Städte zerstört, sein Strand bombardiert würden? Der Krieg, den die Vereinigten Staaten im Augenblick führen, ist ein Krieg, der jede revolu- tionäre Bewegung unterdrücken soll."

In wenigen Minuten wird, der Film zu Ende sein. Sie werden diesen Saal verlassen und viele unter ihnen werden eine Welt ohne Krieg wiederfinden. Es ist auch unsere Welt und wir wissen, wie leicht es in ihr ist, gewisse Tatsachen zu vergessen. Wir sind fern von Vietnam und das Vietnam unserer Gefühle und unserer Empörung ist manchmal genauso fern vom wirklichen Vietnam, wie es die Gleichgültigkeit ist. Wir leben in einer Gesell- schaft, die die Kunst sehr weit getrieben hat, ihre eigenen Ziele, ihren eigenen Wahn- witz und vor allem ihre eigene Grausamkeit zu verstecken.

Dieser Krieg ist kein historischer Unglücksfall, auch nicht die verspätete Bereinigung eines Kolonialproblems. Er ist da, um uns, in uns, und er beginnt, wenn wir selbst zu ver- stehen beginnen, dass die Vietnamesen für uns kämpfen und wenn wir unsere Schuld ih- nen gegenüber abzuwägen beginnen.

Wenn die Vietnamesen sagen "Schluss mit diesem Krieg, ja, aber nicht um jeden Preis", sagt man, dass sie nicht vernünftig sind. Es stimmt, dass die Vietnamesen nicht vernünftig sind, es stimmt, dass sie verrückt sind, diese Vietnamesen, und dass ihre Beharrlichkeit den an unsere Privilegien gebundenen Gewohnheiten in uns Gewalt antut.

Angesichts dieser Herausforderung ist die Wahl der Gesellschaft der Reichen ziemlich einfach. Entweder vollendet diese Gesellschaft die physische Zerstörung alles dessen, was ihr widersteht und dies ist eine Aufgabe, die Gefahr läuft, ihre Vernichtungsmittel, so fabelhaft, so atomstark sie auch sein mögen, zu übersteigen. "

Oder sie muss in sich selbst eine völlige Umwandlung vollziehen, und das heisst, viel- leicht auch zuviel verlangen von einer Gesellschaft auf dem Gipfel ihrer Macht. Wenn sie diese Wahl zurückweist, bleibt ihr nichts anderes mehr übrig, als ihre beruhigenden Illusionen aufzuopfern und diesen Krieg der Armen gegen die Reichen als, unausweich- lich anzunehmen und ihn zu verlieren.

Protokoll der französischen Originalkopie und Übersetzung von Helmut Mennicken
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Loin du Vietnam Anfang



Weekend (Weekend), P: Frankreich-Italien 1967; RB: Jean-Luc Godard; K: Raoul Coutard; M: Antoine Duhamel; D: Jean Yanne, Mireille Darc, Jean-Pierre Leaud, Jean-Pierre Kalfon, Valérie Lagrange
Der Film schildert die Odyssee eines jungen Pariser Ehepaares, das an einem Wo- chenende mit seinem Wagen von zu Hause startet, um zur Mutter bzw. Schwiegermutter nach Oinville in die Provinz zu fahren. Nach einem selbstverschuldeten Autounfall müs- sen sie sich mühsam zu Fuss durchschlagen, treffen Büchermenschen im Wald, stossen auf einen Araber und einen Neger bei der Müllabfuhr, die ihnen beide einen poli- tischen Exkurs halten, werden schliesslich von den FLSO (der Befreiungsfront des De- partements Seine-et-Oise) gefangengenommen und hingeschlachtet. Im Rhythmus seines Filmschaffens hat Godard mit LA CHINOISE und WEEKEND ein weiteres Gegensatz- paar innerhalb eines Oeuvres geschaffen. Versuchte er in jenem die Skizze einer maoistischen Kommune, so zeigt er in diesem ein barockes Gemälde von der frene- tischen Grausamkeit einer gewissen Gesellschaftsschicht. Die Bilder werden zu tab- leaux' arrangiert, die an Materialaktionen und happenings erinnern und wie diese als Material Autowracks und Autoreifen benutzen. Godard bricht hier radikaler denn je mit der Ansicht, dass das Auditive im Film im wesentlichen nur eine Begleitrolle gegen- über dem Visuellen spiele. Für ihn setzt sich Film vor allem aus Bild in Ton und Farbe zusammen.
Die Hysterie der am Wochenende vom Dämon besessenen Pariser, die alle mit dem Auto aufs Land wollen, setzt Godard auch in Form um, lässt die Parodie in Karikatur, die Karikatur in den Paroxysmus der Hysterie umschlagen.
Am Ende eines kontinuierlichen 300-Meter-travellings, das eine wartende Autoschlange zeigt, sieht man das Ergebnis des kollektiven Deliriums. Es kleben verunglückte Autos an den Bäumen, die Insassen liegen tot am Strassenrand.
Aus purer Grausamkeit drängt der Ehemann einen Radfahrer vom Weg, einen Autofah- rer in den Wald und verursacht einen schweren Zusammenstoss. Die Vehemenz, die- ses Zusammenstosses scheint so gewaltig, dass der Filmstreifen aus dem Rahmen springt.
Auf diese Brutalität kann die Antwort nur Hass heissen, darf nur mit einer Brutalität geantwortet werden, die bis zur Verstümmelung oder Ausrottung, geht. Godards Hass auf diese Angestelltenklasse, die er für das Chaos und die Grausamkeit der hy- sterischen Freizeitzivilisation verantwortlich macht, erreicht buñuelsche Dimensionen, der Würgengel wird in einer Schrifttafel zitiert. Er soll die Grausamkeit austreiben helfen, denn auf den Terror der Bourgeoisie kann man nur noch mit mehr Terror ant- worten, lässt Godard im Film sagen. Diese Leute müssen gefangengesetzt, die Frau- en vergewaltigt, die Männer verspeist werden. Dieses Zeichen der Zeit will Godard in eine grössere Dimension gestellt sehen, in dem er es in die dreigeteilte Welt mit ein- bezieht, diese Gesellschaft also für die typischen Vertreter der weissen Zivilisation hält. Der arabische und der afrikanische Arbeiter der Müllabfuhr halten dem Ehepaar einen Diskurs über den weissen Imperialismus, die Gewaltlosigkeit und die revolutionäre Ak- tion. Der Ton im Film wird von Godard in seiner Funktion kräftig aufgewertet und zur Dramatisierung, zur Poetisierung eingesetzt. Die sterbende Revolutionärin der FLSO singt traurig und kraftlos ihre letzten Worte. Doch die Grausamkeit vertreibt die Poesie. Leaud singt in einer Telefonzelle seine Liebesbotschaft in die Muschel. Das Ehepaar kommt hinzu, will ihn vertreiben und gerät in eine Schlägerei mit ihm.
Dieser ästhetisch avancierte Einsatz des Tons der Musik macht den Film zu einem at- mosphärisch dichten, ästhetisch komprimierten, künstlerisch reichen Film. Godard, der seine Filme als Teil eines Gesamtwerkes betrachtet, sich die Titelvorspanne schenkt, um sich der herrschenden Ideologie zu widersetzen, die die Filme auf die sakrosankte Länge von anderthalb Stunden beschränkt, nennt seinen Film: einen auf dem Schrott- haufen gefundenen Film und einen im Kosmos verirrten Film.
Mit seinem Stil setzt Godard den Rhythmus der Erzählung um, wenn der Begriff der offenen oder pointillistischen Erzählweise hier noch einen Sinn behält. Die Kamera ist auf die gleiche Weise mobil wie das autobesessene Ehepaar. Die zahlreichen Kran- fahrten, travellings, kurzen Einstellungen, die Wiederholung der vergangenen oder die Antizipation auf zukünftige Sequenzen unterliegen einem streng musikalischen Rhythmus.
Die unzähligen Zitate in diesem Film verwendet Godard als Fertigbauteile der Fiktion von unterschiedlicher Wertigkeit. Von der weissen Fläche in der Struktur (von nicht ver- arbeiteter Fiktion sind die Filmtitel, mit der der Funker der FLSO sich meldet) über die eigenständigen, in das Erzählgewebe verflochtenen Stellen (so zum Beispiel die oniristische Begegnung mit dem Romantismus, den Büchermenschen im Wald, die di- rekt aus Truffauts FAHRENHEIT 451 entlaufen scheinen) bis zur Unkenntlichkeit (Leauds "Singen in die Leere", das ebensogut ein Verweis auf Demys LES PARAPLU- IES DE CHERBOURG wie auf Koralniks ANNA sein kann; das Ehepaar trägt sich ab- wechselnd Huckepack wie in Polanskis SÄUGETIERE).
Mit seinem ambitionierten Vorhaben, ein Bild der Grausamkeit der weissen Zivilisation zu geben, verweist Godard auf Balzacs Unternehmen der Comédie Humaine. In den Szenen des Pariser Lebens und den Szenen aus dem Provinzleben entdeckt Godard auf gleiche Weise typische Verhaltensmuster der Grausamkeit. Die einzige Rettung sieht er in einer revolutionären Bewegung (Vietnam in uns, Vietnam in Paris, siehe Godards Beitrag zu LOIN DU VIETNAM) nach dem Muster der Nationalen Befrei- ungsfront Vietnams, die diese Bourgeoisie ausrotten und die Gesellschaft regenerie- ren würde.
Godard, der auf der Leinwand zuschauende, zeigt, die den Zuschauer im Kinosaal an- blicken, konfrontiert den Zuschauer im Saal mit sich selbst, verquert alle Positionen von Kino und Leben. Nach der Projektion des Films ist die Verwirrung komplett, wenn zwei Schrifttafeln am Ende des Films anzeigen: Ende der Erzählung, Ende des Kinos. Der Kinogänger, der den Projektionssaal verlässt, sich auf der Strasse dem Verkehrs- chaos gegenübersieht, stellt verblüfft fest: das Leben ist die Fortsetzung des Kinos mit anderen Mitteln.       Helmut Mennicken
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Land in Trance Anfang

Der Samurai Anfang

Wie ich den Krieg gewann (How I won the war), P: Grossbritannien 1967; R: Richard Lester; B: Charles Wood n. d. Roman v. Patrick Ryan; K: David Watkin; M: Ken Thorme; D: Michael Craw- ford, Jack MacGowran, John Lennon, Roy Kinnear, Michael Horden, Karl Michael Vogler; F: Eastman- color.
"Es gibt Stellen darin (in TAKE THE HIGH GROUND), die mir ganz gut gefallen, aber Ich bin persönlich der Ansicht, dass der Krieg gar nicht lustig ist. Es kommen einige Szenen darin vor, die durchaus witzig sind, die sogar an slapstick-Komödien erinnern, aber für mich ist der Krieg eben keine Komödie. Wenn ich Komödien über den Krieg sehe, kann ich nicht lachen." Soweit Richard Brooks. (im <a HREF="HEFT53.HTM#GM1> HEFT 53</A> ≪a name="WI1"> </a>) Seine Äusserung kann auch für Lesters Film Gültigkeit beanspruchen, obwohl dessen Ambitio- nen ihn weit über die Komödie hinaustreiben sollten. Das Experiment, einen Anti- Kriegsfilm gemacht zu haben, muss als misslungen angesehen werden. Nicht irgendein Regisseur kann sich ungestraft an dieses, die Ästhetik vor schwierigste Probleme stel- lende, Projekt heranwagen. Lester geriet innerhalb seines schwierigen Unterfangens in Widersprüche, denen er nicht gewachsen oder in die Inkonsequenz ausgewichen ist. Charles Wood, sein Drehbuchautor, behauptet, die herkömmliche Definition der Komödie nicht beachtet zu haben, die da lautet: es ist lustig, wenn ein Mann auf einer Bananenschale ausrutscht, aber nicht, wenn er sich ein Bein bricht. Vielmehr seien sie bis zum Beinebrechen gegangen.
Tatsächlich aber ist der Beinbruch nicht mehr komisch, daran ändert auch Lesters ver- bissener Versuch nichts. Gleichgültig, ob herkömmliche Definition oder nicht, wird das Experiment bestätigen, dass es kein grösseres Hindernis für das Lachen oder das Lächerliche gibt, als die Emotion, die sich als Folge unserer Erziehung zwangsläufig dann einstellt, wenn Schmerzen oder Leiden die direkten Folgen des lächerlichen Ver- haltens sind. Lester versucht sich also hier am untauglichen Objekt, da er es für un- umgänglich hält, die Zuschauer zum Lachen zu bringen. Dabei berücksichtigt er nicht genügend, dass das Lachen in seiner sozialen Korrektivwirkung lediglich auf den Ausgelachten zielt, den man mit dem Bann des Lächerlichen belegt, da er nicht den etablierten Normen der Gesellschaft genügt, er deshalb hier als "Arschloch" verlacht wird. (s. Ernst Wendt, in Film 1/68)
Da die Wirkung des Lächerlichen nur in einer Richtung wirkt, Korrektivwirkungen auf den Lachenden nicht möglich sind, vermag Lester den Zuschauer nicht zu einer Ver- änderung der Bewusstseinshaltung zu veranlassen, vermag nicht zu schockieren, nicht aufzuklären. Denn Aufklärung im Sinn von Bewusstmachen tut not. Lester begnügt sich dagegen mit Ulk, spasshaften Kernsätzen vom Kaliber "war is the noblest of games". Da ziehe ich dem Lester-Film den THE WAR GAME von Peter Watkins vor, der viel überlegter in der Konzeption, polemischer in der Wirkung ist, eine um wieviel ver- ändernde Kraft des Bewusstseins besitzt (in dem Masse, dass die bundesrepublikani- schen Zensurinstanzen glauben, ihn nicht erlauben zu können).
Lester will landläufig-sentimentale Haltungen zum Krieg denunzieren, will den Krieg nur als irre Clownerie verstehen, die Soldaten als Arschlöcher hinstellen, beschränkt sich aber in weiser Einsicht, wenn es daran geht, die Möglichkeiten aufzuzeigen, die ein "armes Arschloch" hat, sein Einverständnis zu verweigern. Denn auch Lesters Weis- heit ist nur die Weisheit des Fiktiven.
Als Bumerang wirkt sich die plumpe Vereinfachung aus, die Lester glaubt, durchführen zu müssen, um seine Auffassung vom Krieg und den Soldaten näher bringen zu kön- nen. Seine Argumentation erhält nicht etwa mehr Gewicht dadurch, dass er die Zu- stände und Verhältnisse seinen Zwecken entsprechend grosszügig manipuliert, so zum Beispiel den Trupp Soldaten, der auf feindlichem Boden ein Kricketfeld anlegen soll, von dem blutjungen, irrsinnigen Leutnant Ernest Goodbody anführen lässt, damit der Truppe keine Führergestalt voranstellt, die Struktur des Heeres verfälscht wiedergibt, willkürlich für seine Belange ändert. Die Gags aus der Mottenkiste schliesslich wirken nirdends so deplaziert, so jämmerlich verkümmert wie hier, da Lester es versäumt, sie seiner Prätention entsprechend umzufunktionieren.
Die unverantwortliche Vereinfachung, die simple Beweisführung, vor allem der naive. Gebrauch der klassischen Mittel der Lächerlichkeit machen Lester zu einem reaktio- nären Künstler, der zum einfachen, blossen Verfahren (in A FUNNY THING HAPPENED ON MY WAY TO THE FORUM und HOW l WON THE WAR) degenerieren lässt, was in seinen früheren Filmen (YEAH! YEAH! YEAH!, HELP! und THE KNACK) eine grund- legende Struktur bildete.       Klaus Lentz
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Play time (Play Time) P: Frankreich 1963-1967; RB: Jacques Tati; engl. Dialoge: Art Buchwald; K: Jean Badal, Andreas Winding; M: Francis Lemarque; D: Jacques Tati, Barbara Dennek, u.v.a.; F: Eastman- color, 70 mm
50000 Kubikmeter Beton, 40000 Kubikmeter Plastik, 3200 Quadratmeter Zimmerwerk, 1 200 Quadratmeter Glas, ein für die Dreharbeiten eigens hergerichtetes Gelände von 15 Quadratkilometern im Süden von Paris sind nicht nur das Zeugnis einer Besessen- heit, die den Regie-Titanen Tati bis an den Rand des privaten Ruins führte, sondern vor allem das Zeugnis des Kunstwillens eines Cinéasten par excellence, der nicht plan die Realität abfilmt, vielmehr sich seine Kunstwelt selber schafft, um darin erst Realität herzustellen.
Das für europäische Verhältnisse beeindruckende Budget ging nicht etwa wie bei ame- rikanischen Produktionen für Schauspielergagen drauf, sondern wurde zum überwiegen- den Teil in die Technik investiert. Auf diesem Gebiet leistet Tati vorzügliche Pionier- arbeit. Das übliche Leinwandformat genügte ihm für sein Vorhaben nicht mehr. Er experimentierte mit verschiedenen Formaten, entschloss sich für das 70-mm-Format. Den 70-mm-Streifen kaschierte er beidseitig mit einem kleinen schwarzen Negativstreifen, so dass er ein vom ursprünglichen 70-mm-Format abweichendes, dem Quadrat angenä- hertes, erhält.
Tati hält sich weiter nicht mehr an die klassischen Figuren der Komik, die ihm in den bisherigen Filmen noch Vorbilder waren, wenn er auch bereits dort persönliche Varian- ten offenbarte. Der Film Tatis ist nicht mehr um die Figur Hulots zentriert, auf ihn abge- stellt, von ihm abhängig. Er ist nicht mehr die komische Figur, zentriert, die alle Ver- wirrung auslöst, das Unheil provoziert, mit der Tücke des Objekts kämpft. Hulot-Tati hat seine Hauptrolle abgegeben zugunsten der Umwelt, die nun ihrerseits komische "Figur" wird. Bezeichnend für diese historische Entwicklung des komischen Helden bei dia- chroner Betrachtungsweise der Filme Tatis, ist die Tatsache, dass es in seinem neue- sten Film nicht mehr nur einen einzigen Hulot gibt, sondern sich verdoppelt verdrei- facht, viervielfältigt: Tati erscheint in Pantomimen als Polizist, Glasermeister neben der Hauptrolle Hulot. Auch erscheint im Laufe des Films ein jüngeres Double von Hulot, das Anlass zu Verwechslungen gibt. So wie im modernen Drama der tragische Held un- möglich geworden ist, wird bei Tati der komische Held unmöglich. Die komische Figur ist austauschbar geworden, eine entscheidende Neuerung Tatis. Durch ein Iterationsver- fahren erhält Tati im Handumdrehen eine Reihe komischer Figuren, ist jede Figur, die im Film auftaucht, auch komisch. Die Transformation der Totalität der Mitwirkenden zu komischen Figuren war daher nur eine logische Konsequenz.
Schliesslich wird der Begriff des komischen Helden von Tati umstrukturiert. Die Zeiten des von der bösen Umwelt Gejagten, der sich vor den ihn verfolgenden Polizisten zu flüchten hat, der mit der Tücke des Objektes zu kämpfen hat, sind vorbei. Dieser Typ des komischen Helden ist historisch geworden, weil der reale Bezug historisch gewählt wurde.
Von der Tücke des Objekts ist bei Tati nicht viel mehr als ein Stachel zu spüren. Die vollkommen eingerichtete, technisierte Welt, wie sie die Amerikanisierung des europäi- schen Lebens eingerichtet hat, ist Tati ein Horror. Doch verurteilt er weder deren Archi- tektur, die in seinem Film stereotyp vervielfältigt in den Building-Dekorationen auf- taucht (hätte Tati die moderne Architektur angreifen wollen, wäre es ihm wohl ein leichtes gewesen, scheusslichere Muster zu finden als die immerhin noch ästhetischen Gebilde seiner Dekoration), noch verurteilt er die in der Nachfolge etablierte inhumane Welt. Vielmehr zeigt er Menschen auf, die sich von dieser Welt gefangennehmen, über- rennenlassen, dadurch einander entfremdet werden. Sobald daher in dieser makellos funktionierenden Mechanik eine Panne auftritt, die Menschen ihre Mechanik vergessen, Individuen werden, ist die Welt Hulots wieder eingerenkt, wieder menschlich normal. Was geändert werden muss, ist nicht etwa diese automatisierte Welt, sondern das Ver- hältnis zu ihr und das der Menschen untereinander.
Die Figuren in Tatis Film sind denn auch keine Schauspieler, sondern Naturen (inklu- sive Hulot/Tati), die der Regisseur nicht erst der Realität entsprechend formen muss, sondern die er nur aus der Wirklichkeit auszuwählen braucht.
Parallel mit dieser Verfahrensweise geht die Evolution der Gags in Tatis Filmen. In LES VACANCES DE MONSIEUR HULOT, auf den PLAY TIME - trotz der thematischen Verwandtschaft mit MON ONCLE - in der Form verweist deutlicher, waren die Gags von Hulot allein provoziert, war er die einzige Quelle der Verwirrung (das Tennisspiel, das Feuerwerk). Diese Rolle hat Hulot in PLAY TIME an seine Umgebung abgegeben. Da er nicht mehr die einzige komische Figur ist, löst er die Gags nicht mehr alleine aus. Tati hat mit diesem Film den Gag um einen sozialen Aspekt bereichert, er hat ihn demo- kratisiert. Wo mehrere im Namen der Komik beisammen sind - und PLAY TIME ist bei wiederholterem Ansehen ein um so komischerer Film - entsteht eine menschliche, von Humor und Komik geprägte Bindung. Der Gag darf nicht mehr wie in seiner klas- sischen Zeit (Chaplin, Keaton, Langdon _...) auf der Beobachtung der einzelnen skur- rilen Typen aufgebaut werden, vielmehr muss er sich auf die Beobachtung einer be- stimmten Gruppe, ja sogar der Gesellschaft gründen. Nun, wo Tati den Gag auf den Begriff der Gesellschaft gebracht hat, kann er die komischen Details, die sich aus der Tücke des Objekts ergeben, vollständig in seine Gags integrieren.
Der Einsatz der Stereophonie ist nicht auf die gleiche Weise gelungen, wie der Ein- satz der Farben. Zwar bietet das auditive Material zum Gag, aber nicht in der gleichen Wertigkeit wie das visuelle. Mit Erfolg hat Tati die Farbe als dramatisches Element eingesetzt. Zu Beginn fallen die monochromen Farben auf. Die amerikanische Reisege- sellschaft fährt mit dem Bus von Orly nach Paris. Als die Touristinnen daran gehen, die Stadt zu besichtigen, aber das moderne Ausstellungszentrum dem "echten" Paris vor- ziehen, diese kleine Welt zusehends in Verwirrung gerät, wird das Bild farbenfroher, die Farben akzentuierter.
Der Verzicht auf den komischen Helden stellte den Regisseur Tati vor schwierige Auf- gaben, da in der umfassenden 70-mm-Leinwandwelt die Aufmerksamkeit der Zuschauer nicht durch die Wahl der Kameraeinstellungen allein fesseln kann. Tati verzichtet auf Grosseinstellungen, weil er sie nicht für hinreichend subtil hält. Dagegen setzt er die Farbe als ein erzählerisches Element, als dramaturgisches Mittel ein,, benutzt sie als Stab einer Staffel der Aufmerksamkeit. Sind mehrere Personen innerhalb des Bildrah- mens und soll die Aufmerksamkeit der Zuschauer von einer auf die andere Person ge- lenkt werden, so lässt Tati hier die Farbe intervenieren. Die Person, die in der Handlung die vorige ablöst, ist durch Farbe auffallender markiert. Tati entwickelt dieses Prinzip soweit, dass es ihm gelingt, die Farbe mit einer solchen Präzision als Träger des Gags zu konstituieren, dass der rein optische Gag noch intelligibel wird.
Die Schilderung schliesslich der Einweihung eines Nachtklubs, von der anfänglich noch strikt gewahrten Etikette, die durch die Infiltration von Ungeschicklichkeiten, die anar- chische Wirkung der Gags zerstört wird, bis zum endgültigen Zusammenbruch der Feier, ist mit einer solchen Meisterschaft gemacht, dass dieser Film als Anthologiestück des komischen Films betrachtet werden muss.       Klaus Lentz
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