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Quellen zur Filmgeschichte ab 1920

Texte der Hefte des studentischen Filmclubs der Uni Frankfurt/Main: Filmstudio

Einführungsseite

Filmstudio Heft 44, September-Oktober 1964

Inhalt
Editorial
Nekrolog auf Berlin
Cannes 64
Kolportage, Stilisierung, Realismus
Und wenn sie nicht gestorben sind _...
Filmographie Fritz Lang
Jean Luc Godard
Moskauer Nächte
Filmliteratur
Der Ladenhüter
Nackt unter Wölfen
Neun Tage eines Jahres
Harakiri
Le Mepris
Le Feu fallet
Auf St. Pauli ist der Teufel los (I Magliari)
Wir von der Strasse (La Motte Brava)
Das Haus in der Via Roma (La Viaccia)
Liebe 1962 (L' eclisse)
Kabo (Kapo)
LA RAGAZZA CON LA VALIGIA (Das Mädchen mit dem leichten Gepäck)
LOUISIANA-LEGENDE (Louisiana-Story)
Harald Lloyd - selten so gelacht (Harold Lloyd's World of Comedy)


Editorial

Für kurze Zeit schien es, als sei der unlängst mit erheblichem Aufwand zelebrierte fünfzehnte Geburtstag der "Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft" (FSK) zugleich deren Todestag gewesen: Die beiden Konfessionen, mächtigste Meinungsmonopole dieser Bundesrepublik, drohten mit der Zurücknahme ihrer Vertreter aus einem Gremium, dem Bundesinnenminister Hermann Höcherl sich gerade mit "allen guten Wünschen für ein erfolgreiches weiteres Wirken" verbunden hatte. Anlass zur Entrüstung bot den Gottesmännern die Freigabe des schwedischen Films 491 von Vilgot Sjöman durch die FSK. Was viele Cinephile hierzulande lange erhofft hatten, nämlich den Zusammenbruch einer Institution, die in über 33 000 Urteilen nicht zu beweisen vermochte, dass sie keine Zensurbehörde ist, schien einzutreten. Man freute sich schon darauf, dass Fälle wie ROM, OFFENE STADT und DIE VIER TAGE VON NEAPEL nie mehr möglich sein würden, dass nie mehr irgendwelche politische Lobby die Aufführung eines Films verhindern könnte, weil er ideologisch unbequem. Man sah die Röte zumindest einer freien Beschäftigung mit Film und Filmkunst über den Horizont unserer künstlerischen Provinz steigen, den ersten Schritt auch hin zur Elimination des "Interministeriellen Ausschusses" in der Hoffnung, dass der Geist, dem es gelungen, die FSK zu Fall zu bringen, auch vor den kulturellen Verfassungsschützern des Bundeswirtschaftsministeriums nicht Halt machen würde. Man freute sich, in absehbarer Zeit auch mehr Filme aus Ländern des Ostblocks zu sehen und war zum ersten Mal den beiden Konfessionen für einige Augenblicke dankbar, weil sie standhaft schienen, durch ihr Fernbleiben der FSK die breite Basis entziehen wollten.

Aber die Freude dauerte eben nur diese kurzen Augenblicke. Das Vorgehen der Kirchen demaskierte sich sofort als das, was es wirklich war: als ein Warnschuss, der aus Gründen abgefeuert wurde, die nichts weiter im Sinn haben, als die FSK wieder mehr an die Kandare zu nehmen. Da jedermann weiss, dass eine FSK ohne kirchliche Vertreter zwangsläufig zum Scheitern verurteilt wäre, ist ihm auch bewusst, was jetzt auf uns zukommt. Eine moralinverseuchte und dem künstlerischen Unverstand anheimgegebene Institution wird, den Kirchen dankbar für ihr Verbleiben, in verstärktem Masse die Kinogänger hierzulande tyrannisieren. Machen wir uns nichts vor. Die Gesellschaft dieses Landes, eine restaurative Gesellschaft hat wieder den Maulkorb, der ihr gebührt, der ihr entspricht, oder, wie Hans Hellmut Kirst im MÜNCHNER MERKUR so feinsinnig bemerkte, als er die Entscheidungen der FSK als ungemein "zeitnah" pries, auf das Maul geschneidert ist. Dabei wäre es gerade für eine restaurative Gesellschaft, damit es besser wird - wohin wir geraten, wenn es nicht besser wird, das ist leicht einzusehen - notwendig, dass man sie aus ihrer Restauration herauszwingt, dass man aufklärt, damit den Herrschenden hierzulande endlich das Handwerk gelegt wird, dass endlich einer wissenschaftlichen, freien Weltsicht das Tor geöffnet wird, ohne die unsere wissenschaftliche Zeit nicht bewältigt werden kann.

Eine Auflösung der FSK wäre zwar nur ein kleiner, aber immerhin ein Anfang gewesen. Vielleicht der Beginn einer Kettenreaktion. Aber die ist nun doch nicht mehr möglich, weil die Kirchen sich die Sache überlegten und sich wieder einmal auf die Seite der Reaktion geschlagen haben.       WV
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Nekrolog auf Berlin

Die meisten Rückblicke der Kritiker auf die Berlinale 1964 sind bitter. Manche wurden unversehens zu Nekrologen. Zwar sind die Klagen über das indiskutable Niveau der Festivals so alt wie die Festspiele selber, doch trafen in diesem Jahr allzu viele ungünstige Momente zusammen. Die Qualität der Filme, die Auswahl des Programms, Funktion und Organisation - das alles wurde als zutiefst unbefriedigend empfunden. Schon die Eröffnungszeremonie enthüllte sich als kläglich provinziell. Aus der früheren "Star-Parade" war, um dem Wandel im internationalen Film Rechnung zu tragen, eine "Künstler-Parade" geworden, bei der freilich munter wieder so grosse Künstler wie Waltraut Haas, Marianne Holt oder Maria Perschy auf die Bühne hüpften, und wo sich so distinguierte Erscheinungen wie Lil Dagover etwas verlegen auf Geheiss eines Conferenciers, der bessere Tage gesehen haben mag, in einer Reihe mit ihnen gruppierten. Skandalös wurde es dann am Abschlussabend, als die Spielfilm-Jury den "Goldenen Bären" ausgerechnet dem mediokren türkischen Film "Trockener Sommer" zuschob. Da rief selbst Friedrich Luft empört nach "Klassenkeile".

Klassenkämpferische Atavismen aus solchem Munde zu hören, ist natürlich immer amüsant. Aber Luft, der doch zumindest im Berliner Kulturleben kein einflussloser Publizist ist, ging einige Tage später noch einen Schritt weiter. In der "Welt" regte er an, die Berliner Filmfestspiele, weil überflüssig, künftig nicht mehr abzuhalten und alle Aufmerksamkeit lieber der geplanten Filmakademie zu widmen.

Sind die Berliner Filmfestspiele überflüssig? Man muss zuerst wohl fragen, warum sie überhaupt jemals notwendig waren. Dafür gab es, soweit ich sehe, drei Gründe: kommerzielle, künstlerische und politische. Die kommerziellen wie künstlerischen gibt es bei jedem Festival, die Notwendigkeit von Festivals ergibt sich aus ihnen freilich wohl nur für diejenigen, die ihr Schicksal in irgendeiner Form mit dem kommerziellen oder künstlerischen Gedeihen des Films verbunden haben. Die politischen Gründe - und sie waren die ausschlaggebenden - erklärten sich aus der besonderen Situation Berlins.

In den vergangenen Jahren ist das Berliner Festival allen diesen sich daraus ergebenden Aufgaben im ganzen gerecht geworden. Der kommerzielle Kontakt funktionierte, der künstlerische Impuls war vorhanden und das Festival half auch mit, etwa zur Zeit der akuten Bedrohung Berlins durch das Chruschtschow-Ultimatum, das Interesse der freien Welt an Berlin zu bekunden. Auf allen drei Gebieten aber ist die Situation schlechter geworden. Von einer siechen Filmindustrie kann man kaum erwarten, dass sie der internationalen Filmbörse besondere Attraktivität verleiht. Dies umso mehr, als die einseitigen Hoffnungen dieser Industrie, mit der Verkündung des - aus guten Gründen umstrittenen - Filmhilfsgesetzes wieder einigermassen stabilisiert zu werden, in Berlin herb enttäuscht wurden. Die Folge war Lethargie.

Aber auch künstlerisch scheint sich nach den überraschenden Erneuerungen des Films Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre gegenwärtig eine weniger ertragreiche Periode anzukündigen. Gerechtigkeit gebietet die Feststellung, dass Berlin bei der Erneuerung des Films, wie sie etwa von Frankreich und Italien ausging, eine wichtige Rolle gespielt hat. Chabrols LES COUSINS, Godards A BOUT DE SOUFFLE, de Brocas LIEBESSPIELE haben ebenso wie LA NOTTE oder WER ERSCHOSS SALVATORE G.? ihre ersten internationalen Preise in Berlin erhalten. In bescheidenerem Masse gilt dies auch für Englands Filmneuerer, von denen John Schlesinger 1962 für NUR EIN HAUCH GLÜCKSELIGKEIT einen "Goldenen Bären" heimtrug. Leider gelang es 1964 nicht, an diese glückliche Tradition anzuknüpfen. Aus Frankreich und Italien kam nichts überragendes, Karel Reisz' GRIFF AUS DEM DUNKEL (England) erwies sich als eine etwas überspannte Lustmörder-Geschichte. Den neuen Godard-Film hatte sich die Festspiel-Leitung gar entgehen lassen.

Das Debakel wäre dennoch zu vermeiden gewesen, wenn man mit der Auszeichnung eines der wenigen interessanten Beiträge, etwa Japans SIE UND ER (Regie: Susumi Hani), Indiens DIE GROSSE STADT (Regie: Satyajit Ray) oder auch Brasiliens DIE GEWEHRE (Regie: Ruy Guerra) sich sozusagen für die filmische Zukunft dieser Länder oder dieser Regisseure engagiert hätte. Dass man das ausgerechnet mit dem türkischen Film versuchte, war einfältig. Hier ist die Jury wirklich unentschuldbar. Sicher, Jury-Entscheidungen sind Mehrheitsentscheidungen und damit Kompromisse, die nicht immer der höchsten Weisheit und Einsicht entsprechen, aber so eklatante Fehlentscheidungen lassen sich mit einer, sagen wir: Sperrminorität verhindern.

Doch wenn auch die Jury (deutsche Mitglieder: "Brücke"-Produzent Hermann Schwerin und der Düsseldorfer Redakteur Gerd Ressing, Präsident: Hollywoodregisseur Anthony Mann, französisches Mitglied: Jacques Doniol-Valcroze) hier "einen Türken gebaut" oder den Berliner Filmfestspielen "einen Bären aufgebunden" hat, wie phantasievolle Kommentatoren meinten - hier kann im nächsten Jahr verhältnismässig leicht Abhilfe geschaffen werden. Wie aber steht es mit der politischen Funktion des Festivals? Die "Ausstrahlung" in den Berliner Ostsektor und darüber hinaus, die man der Berlinale früher attestierte, ist seit dem 13. August 1961 naturgemäss schwächer geworden. Auf der anderen Seite hat man als Antwort auf die Errichtung der Mauer schon damals das "Kulturzentrum Berlin" propagiert. Wenn man dieses Ziel anstrebt, dann kann man nicht gut die Filmfestspiele aufgeben, sondern muss sie im Gegenteil verstärkt in diese Bemühungen einbeziehen. So gesehen scheint die Krise der Berliner Filmfestspiele eher eine Krise der Berliner Kulturpolitik überhaupt zu sein, an deren Lösung schon ein so kluger Mann wie der SPD-Starjurist Arndt zuschanden geworden ist. Aber Berlin wird diese kulturpolitischen Probleme lösen müssen - und damit auch die des Festivals. Oder glaubt jemand ernsthaft, Berlin käme, des Festivals beraubt, besser mit seiner Filmakademie zum Zuge, wo doch dieses Institut ohnehin schon mit München geteilt werden soll?

Es muss noch vor einigen anderen Illusionen gewarnt werden. Seit Jahr und Tag beklagt man sich in Berlin darüber, dass die künstlerisch relevanten Filme der Ostblockländer, etwa die polnischen Produktionen, in Berlin nicht gezeigt werden können. Mancherorts ist der Vorschlag zu hören, man solle in Berlin das Tor für diese Filme öffnen, um so die Festspiele aus ihrer Stagnation zu befreien. In einer Woche der Kritik wollte man diesmal, sozusagen im Sog des Festivals, einige dieser Filme in der "Akademie der Künste" zeigen. Schon das scheiterte am Einspruch politischer Stellen, vor allem des Auswärtigen Amtes, das sich offenkundig entschlossen hat, die sowjetische Dreistaatentheorie mit Vehemenz gerade auf dem Feld der Kulturpolitik zu bekämpfen. So bleibt dieser Weg vorerst verschlossen; kein noch so gutgemeinter Cinéasten-Ehrgeiz wird daran etwas ändern können.

Die Beiträge Japans, Indiens und Brasiliens wurden schon erwähnt. Neben ihnen fesselte Sidney Lumets DER PFANDLEIHER (USA) nicht nur durch die schauspielerische Leistung Rod Steigers. Die Bundesrepublik hielt sich mit ZEIT DER SCHULDLOSEN und Staudtes HERRENPARTIE, soviel im einzelnen dazu oder dagegen zu sagen ist, relativ anständig. Beim kurzen Dokumentarfilm fielen sogar zwei Preise an Raimond Rühls SIGNALE und Wolfgang Urchs' KONTRASTE. Beide, Rühl wie Urchs, haben, ebenso wie die meisten ihrer Kollegen aus der einstigen "Oberhausener" Gruppe, nun hinlänglich bewiesen, zu welchen Leistungen auf dem Gebiet des Kurzfilms sie befähigt sind. Der offiziellen Film-Kulturpolitik stellt sich jetzt die Aufgabe, ihnen die Produktion von Spielfilmen zu ermöglichen. Vielleicht erhalten durch sie schon im nächsten Jahr die Berliner Filmfestspiele ihre Lebendigkeit zurück.       Walther Schmieding
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Cannes 64

Das Festival von Cannes liegt schon mehr als zwei Monate zurück. Aber die Erinnerung an seine Filme festigt sich. Es bestätigt sich die Erfahrung, dass das Programm eines Festivals, das in der Qualität durchschnittlich und etwas über dem Durchschnitt ausgewogen ist, einheitlicher im Gedächtnis haftet, als ein Programm, aus dem zwei oder drei Filme als Meisterwerke emporragen, die dann die übrigen Filme verdunkeln. Zwar sah man in diesem Frühjahr auch in Cannes einige Filme, die nach Gestalt oder Gehalt oder nach beidem zugleich ein tieferes Interesse beanspruchten und deren Qualität und Bedeutung noch besser begriffen werden wird, sobald die ein Festival beherrschende Stimmung des Gierens nach dem Ungewöhnlichen abgeflaut sein wird. Von fünf Filmen, glaube ich, wird man wenn nicht einen ausgesprochenen Erfolg beim Publikum, so doch eine Vertiefung ihrer Wirkung bei jenen erwarten dürfen, für welche der Film mehr ist als ein Augenblick der Unterhaltung oder der empfindungshaften oder intellektuellen Präokkupation.

Der erste dieser Filme, den ich ohne weiteres als den stärksten des Festivals überhaupt bezeichnen möchte - obwohl es ihm nur zum Regiepreis, nicht aber zum Grossen Preis gelangt hat - ist Hiroshi Teshigaharas DIE FRAU IN DER DÜNE (französisch: La femme du sable, englisch: The Woman in the Dune), der seinen Stoff aus einem Roman von Kobo Abe adaptiert hat. Teshigahara, dessen zweiter Film dies ist, gilt als eines der grössten Talente des jungen japanischen Films. Er kommt, so zeigte sein im vergangenen Jahr in Locarno gezeigter Erstling TRAQUENARD, von dem her, was heute im Westen Cinéma Vérité genannt wird, von der gefilmten Reportage also, in die freilich ausgesprochene Absichten der Gestaltung einfliessen und die ein starkes politisches Engagement besitzt. In seinem zweiten Film zeigt sich der 33jährige Japaner als ein Künstler von hohem Formbewusstsein.

Die Geschichte ist handlungsmässig arm, menschlich aber komplex und kaum nacherzählbar. Sie zeigt uns einen jungen Lehrer - hinreissend gespielt von Eiji Okada, der mit Alain Resnais' HIROSHIMA MON AMOUR bei uns berühmt wurde -, der in den Dünen nach Insekten sucht, im einbrechenden Abend den Weg nicht mehr findet, von fremden Männern in ein Dorf geführt wird, das ganz in den Dünen liegt. Er kommt unter in der Hütte einer alleinstehenden jungen Frau. Die Hütte liegt in einem tiefen Abgrund in der Düne. Nur über eine Strickleiter kann man zu ihr hinabsteigen. Die Frau verbringt die Nächte damit, den Sand, der ihre Hütte zu verschlingen droht, in Körbe zu schaufeln, die an einem Flaschenzug in die Höhe gehisst werden. Die Männer, die die Flaschenzüge über diesem und anderen Löchern mit Hütten darin betätigen, gehören zum Dorf, sie steigen nur in Notfällen hinab in die Abgründe, wo je ein Mann und eine Frau zusammen leben und nichts anderes tun, als nachts die Körbe vollzuschaufeln mit dem Sand, der sie zu verschütten droht.

Es gibt keine Flucht mehr aus diesem Loch, mag der junge Mann, der hier eingesperrt worden ist, auch noch so aufbegehren. Er rebelliert, er resigniert, er entdeckt, als Gefangener, zuletzt die Freiheit. Ist der Film politisch zu beurteilen? Man hat es getan und, indem man die politische Bedeutung verabsolutierte, wohl recht gründlich daneben gegriffen. Der Mensch als Erdulder der Diktatur? Sinnlosigkeit des Widerstands? Man kann den Film so sehen, aber man wird ihn nicht begreifen. Hiroshi Teshigahara hat, glaube ich, im Gleichnis dieser in den Sandlöchern lebenden Menschen das Bild eines Endzustandes gezeichnet, der Situation des modernen Menschen, der seine Freiheit letzten Endes nur noch in sich selber finden wird. Er zeichnet eine Endsituation und ist damit vergleichbar - in der Literatur - mit Samuel Beckett und - im Film - mit Ingmar Bergman (ich meine dessen SCHWEIGEN), aber er ist im Vergleich zu diesen beiden kein Mann der Hoffnungslosigkeit, entdeckt doch sein Held die Freiheit.

Die existentielle Interpretation scheint hier jedenfalls weiter zu führen als die politische. Politisch andererseits ist die Klage und die Polemik des brasilianischen Films VIDAS SECAS von Nelson Pereira dos Santos zu verstehen, der das Szenario seines Films nach einem Roman von Graciliano Ramos, einem sozialkritischen Meisterwerk der neueren brasilianischen Literatur, wie man sagt, geschrieben hat. Die Handlung geht im Nordosten Brasiliens vor sich, in jenen von der Sonne und der Trockenheit heimgesuchten Landstrichen der entsetzlichsten Armut. Die Bauern, ohne eigenen Boden, und doch der Erde, die sie bestellen, verschworen, werden von den Besitzern ausgebeutet. Es bleibt ihnen kaum das Notdürftigste, um das Leben fristen zu können. Ihr Hunger ist unstillbar, ihre Traurigkeit die Last ihres Lebens. Oder gibt es einen Ausweg? Die Flucht in die Städte? Dort löst eine andere Armut nur jene ab, die man kennt. Der Ritt zu den Cangaceiros? Die Rebellion mit der Waffe in der Hand ist sinnlos, denn am Ende steht nur der Tod des Rebellen. Der Verzicht? Die Fügung? Faviado, der Held dieses Films, glaubt, dass nur die Fügung übrig bleibt.

Aber der Film selbst gibt sich mit dieser Resignation nicht zufrieden. Er zeichnet scharf die Alternative: Fügung oder Revolution. VIDAS SECAS ist entstanden, als Goulard in Brasilia der Herr war; er ist ein Dokument für den Willen des ehemaligen Präsidenten, die Landreform an die Hand zu nehmen, ein Dokument aber auch für die Borniertheit jener revolutionären Dogmatiker, die die Lösung für die Probleme nicht in der wissenschaftlich-wirtschaftlichen Sanierung sehen können, sondern sie durch einen politischen Umsturz herbeizwingen wollen. VIDAS SECAS ist nach seinem menschlichen Gehalt erschütternd, in seiner Tendenz Sozialrevolutionär nach dem Sinne Fidel Castros, in seiner künstlerischen Machart ein Dokumentarbericht voll menschlicher Wärme und Spontaneität, eine Alltagschronik, die wie fast alle Chroniken das Ungenügen mit sich trägt, allzu langatmig geraten zu sein.

Politisch zu würdigen, aber nicht in einem engen revolutionären Sinne, sondern menschlich im weitesten Verstande des Wortes ist auch Pietro Germis Satire SEDOTTA E ABBANDONATA. Ich gestehe offen, ich habe Germi immer geliebt, und ich glaube, dass er ausserhalb Italiens immer auch unterschätzt worden ist. Ich liebte ihn, als er - mit IN NOME DELLA LEGGE - das Melodrama der Mafia zeigte. Ich liebte ihn, als er - mit IL FERROVIERE und L' UOMO DI PAGLIA - dem Neorealismus um das Jahr 1950 jene Wendung aus dem Proletarischen und Kriminellen ins Kleinbürgerliche gab, die eine der Voraussetzungen der Auffrischung des italienischen Films geworden ist, indem dieser neuer, für Italiens wirtschaftliche und politische Entwicklung massgebend gewordener Milieus und Themen ansichtig wurde (obwohl die sozialkritischen puristischen Kritiker damals bei Germi von unerträglicher Sentimentalität zu orakeln begonnen und seither zu orakeln nicht aufgehört haben). Gerade wenn man Germis "kleinbürgerliche" Periode nicht oberflächlich als sentimental betrachtet hat, wird man seine Wendung zur Satire, die - nicht erst mit IL DIVORZIO ALL' ITALIANA, sondern mit UN MALEDETTO IMBROGLIO begonnen hat, begreifen können: wo die Empfindung so echt und so tief ist, wie sie es in IL FERROVIERE gewesen ist, bleibt ihr, wenn sie beleidigt wird, kein anderer Ausweg als eben die Satire.

IL DIVORZIO ALL' ITALIANA war die intellektuelle, bösartige, nötige Polemik gegen das Verbrechen aus beleidigter Ehre, wie es Sizilien, der Süden Italiens, überhaupt noch immer kennt. Zugleich war der-Film eine geistvolle, menschlich wie moralisch überzeugende Apologie der Ehescheidung. Es gehört zu den nachhaltigste Wirkungen gerade dieses Films, dass die Diskussion um die Revision des Eherechts in Italien seither nicht zur Ruhe gekommen ist.

SEDOTTA E ABBANDONATA ist ebenfalls eine Satire. Wiederum spielt sie in Sizilien, nur geht es diesmal nicht um die Ehescheidung, sondern um die Eheschliessung, die aus Gründen der Ehre - der Ehre jedes Einzelnen, also auch des verführten Mädchens Agnese, und der ganzen Familie - vonstatten gehen muss. Germis Film, der nichts von IL DIVORZIO ALL' ITALIANA wiederholt, ist einerseits blendende Unterhaltung, er ist ein Volksstück von hinreissender Komik. Zugleich aber ist er unerbittlich in der Tendenz, in der Enthüllung der von Kirche, Bürgerlichkeit und allgemeinen Lebenstraditionen geheiligten, völlig sinnlos gewordenen, aber desto hartnäckiger, desto zerstörerischer aufrechterhaltenen Mechanismen der Ehre. Ein Feuerwerk des Geistes, der Bissigkeit, des Humors, der Besorgnis, des Ekels. In seiner Tendenz noch konsequenter als IL DIVORZIO ALL' ITALIANA, künstlerisch noch stärker gemeistert, obwohl der Film scheinbar nicht zu Ende kommen will oder: fünf Enden hat, jedes das andere bedingend und Teil der Komplexität, die Germi dramaturgisch aus menschlichen, sozialen und politischen Gründen braucht.

Germi ist ein Künstler, dem es heute an satirischem Talent keiner mehr gleich tut. Er hat eine Souveränität erreicht, die stupend ist. Er, und nur er, kann es sich gestatten, die abgedroschensten Situationen, die tausendmal überforderten Effekte des Ulks noch einmal anzuwenden, und sie sind neu, so frisch, als hätte man sie noch nie gesehen; und selbst dann, wenn Leopoldo Trieste Spaghetti isst und man sich an Charlot erinnert, vergisst man Charlot, weil Trieste die Spaghetti anders isst. Im übrigen bietet Saro Urzi, Italiens grosser Charakterkomiker, in der Rolle des in seiner Ehre beleidigten, über der Familie eifersüchtig wachenden cholerischen Vaters ein schauspielerisches Bravourstück, von dem man nicht weiss, ob es herrlicher ist als der ganze Film, der bei aller Komik, bei aller Heiterkeit, bei aller Volkstümlichkeit so erschütternd ernst ist.

Ganz bemessen ist der Ernst von François Truffaut, der seine PEAU DOUCE ebenfalls nach einem eigenen, zusammen mit Jean-Paul Richard ausgearbeiteten Drehbuch in die Competition geführt hat. Truffaut, wenn nicht der Vater - der ist (eigenartigerweise) Jean-Pierre Melville - der Nouvelle Vague, so doch deren erstes und bisher einziges Genie, hat mit LA PEAU DOUCE einen Film geschaffen, den ihm alle jene übel nehmen, die aus der Nouvelle Vague eine Philosophie auf Ewigkeit gemacht haben.

Truffaut ist zwar noch immer jung, aber er hat die Jugend, die sich selbst genug dünkt, hinter sich gelassen. Man hat ihn deshalb raschzüngig einen jungen alten Mann genannt. Er ist einfach reifer geworden. Gewiss hat er mit LA PEAU DOUCE kein Meisterwerk geschaffen. Aber von einem Künstler - im Film und anderswo - stets Meisterwerke verlangen, bedeutet eben, dass man das Stadium der Nouvelle Vague noch nicht verlassen hat.

LA PEAU DOUCE ist ein schöner Film, der als Liebesfilm um so erstaunlicher ist, als er mit Bettszenen kargt, ja ohne sie auskommt; dafür ist Zärtlichkeit, viel Menschenkenntnis und Nachsicht in ihm. Die Geschichte ist banal: ein Mann von Vierzig, Literat, verliebt sich, obwohl bürgerlich gut und gefühlsmässig zuverlässig verheiratet, in eine junge Blondine, betrügt mit ihr seine Frau, wird von ihr aber verlassen, als für sie, die nur an der Oberfläche gereizt ist, das Abenteuer vorbei ist. Seine Frau, rasend vor Eifersucht, erschiesst ihn. Also ein Melodrama, eine Geschichte aus der Gartenlaube selbst. Aber wie ist sie erzählt! Truffaut macht einem wieder einmal, glücklicherweise (und wie dankbar ist man ihm dafür), klar, dass es stets auf das Wie ankommt. Was schert einen, dass die Situationen (Bekanntschaft auf einer Reise, heimliche Flucht in die Provinz, ein Herbsttag in einem ländlichen Gasthof) oder dass die dramaturgischen Knotungen (die Verlegenheit des Mannes, die Gereiztheit, die Photos der Geliebten) bekannt, alt, ja nach der Dramaturgie des Just dargeboten werden: es schert einen, so man das lebendige Gefühl für die Schönheit dieses Films in sich bewahrt hat, nichts.

Truffaut hat "klassische Strenge" erlangt. LA PEAU DOUCE, gewiss nicht so aufregend, gewiss nicht so herausfordernd für die Moral wie JULES ET JIM, obwohl auch hier die Moral, durch den Ehebruch, beleidigt wird, aber dennoch ein moderner Film, beweist, dass man modern sein kann, ohne kompliziert zu sein.

Fünf Filme, die den Durchschnitt überragen, haben wir genannt, von vieren erst haben wir gesprochen. Der fünfte bleibt zu erwähnen: Andrzej Munks nachgelassenes Fragment: DIE PASSAGIERIN. Munk, einer der Inspiratoren und grossen Realisatoren des polnischen Films, dessen Ausgangspunkt der XX. Parteikongress in Moskau gewesen ist, hat PASAZERKA nicht mehr zu Ende führen können; mitten aus den Aufnahmen heraus wurde er das Opfer eines Verkehrsunfalls, knapp über vierzig Jahre alt. "Die Passagierin" ist eine Deutsche, ehemalige Aufseherin in Auschwitz, jetzt, zwanzig Jahre später, verheiratet mit einem Amerikaner. Auf der Überfahrt nach Europa begegnet sie einer Frau, in der sie einen Häftling wiederzuerkennen glaubt. Diese unerwartete Begegnung holt alles, was damals geschehen ist, aus ihr hervor: das Grauen der Menschenschändung. Sie erzählt ihrem Mann, dem Amerikaner, wie es gewesen sei; sie erzählt es ihm so, als habe sie alles unternommen, um wenigstens diese eine junge Frau, Marta, zu retten. Vor sich selber, im uneingestandenen Zwiegespräch mit ihrem Gewissen, sieht die Wahrheit allerdings anders aus.

Hat Marta überhaupt überlebt? Der Film lässt die Antwort offen. Die Frau auf dem Schiff sah Marta täuschend ähnlich. Aber war sie es wirklich? Man darf nicht vergessen. Wir wollen nicht vergessen. Munk klagt an, aber er tut es ohne Hass, ohne den Ruf nach der Rache; aber, was tiefer geht, mit dem sprachlosen Entsetzen vor dem Unbegreiflichen der Unmenschlichkeit, das geschehen ist; und mit dem Unbegreifen, dass die Deutschen, obwohl sie sich wohl erinnern müssten, schweigen oder sich herausreden auf den Notstand des Befehls. Die Frage nach dem Gewissen wird hart, ohne Hass zwar, aber um so unmissverständlicher gestellt.

PASAZERKA ist ein unvollendet gebliebener Film. Was, damit der Zusammenhang verständlich wird, an Einfügungen nötig war, wurde in Form von "Stills", die aus den nicht abgeschlossenen Aufnahmen gezogen wurden, dazugetan: ein Vorgehen voll Respekt, das Munk lässt, was er geschaffen hat, jede Usurpation der Vollendung ausschliesst und doch den Eindruck eines fertigen, eines in sich abgeschlossenen Films vermittelt.

Einige Filme bleiben noch zu notieren. Tun wir es in Kürze, und setzen wir dort an, wo der Osten sich heute neue künstlerische Freiheit erkämpft, beim Beitrag der Tschechen. Munk war ein reifer Künstler. Er konnte sich im Stofflichen und in der Gesinnung eine Freiheit leisten, die, als Folge des Tauwetters, andere sich anders geleistet haben, ohne zum Gültigen zu gelangen. Aber vielleicht ist es gar nicht notwendig, dass einer zum Gültigen gelange, wenn er nur sich in der Freiheit - der des Ausdrucks - üben kann. So wenigstens denkt man vor des jungen Tschechen Jaromi Jires DER ERSTE SCHREI. Es ist die Geschichte eines jungen Paares. Das erste Kind kommt auf die Welt. Die Mutter liegt in der Klinik, der Vater, Reparateur von Fernsehapparaten, in Prag unterwegs, ist besorgt, ob bei der Geburt auch alles in Ordnung gehe. Das Thema ist nicht ungewöhnlich; auch die Form ist es - zumindest für uns - nicht. Aber sie ist es wohl für ein Land, das, was in dieser Geschichte an erzählerischer Gradlinigkeit fehlt, was an ihr voller Sprunghaftigkeit und Technik der Rückblendungen bzw. der Simultanität ist, vor nicht allzulanger Zeit noch als Formalismus verworfen hätte. Diese Befreiung im Formalen, die zunächst noch alle Unvergorenheit und viel Fehlerhaftes an sich hat, ist entscheidend: sie wird die Voraussetzung dafür sein können, dass ein Talent sich selber findet. Die Einflüsse des "Godardismus" sind eminent, und die Tricks der Teleobjektivaufnahmen, die das beobachtete Leben als unbeobachtet glaubhaft machen sollen, stammen aus dem Cinéma-Vérité, das ja seinerseits - in seinem Vorzug und in seinem Nachteil (oh! Ironie des Schicksals) - aus der Sowjetunion, dem revolutionären Kinoauge Wertows stammt.

Aus Ungarn kommt ein Film, DIE LERCHE, der bereits vom literarischen Stoff her seine Qualität hat. Der Roman, dem der Film von Laszlo Ranody folgt, stammt aus der Feder des grossen Dichters Dezso Kosztolanyi, der der Tschechow Ungarns ist. Es ist die Tragödie eines Vaters, eines alternden Mannes, der eine hässliche Tochter hat. Die Hässlichkeit des Mädchens, das heuchlerisch die "Lerche" genannt wird, schneidet Vater und Mutter vom Leben ab, beide begeben sie sich, aus Liebe, wie sie meinen, unter die Tyrannei ihres Kindes, dem die Heirat versagt bleibt. Ein grosser, menschlich gültiger Stoff, auch heute noch, auch wenn ihn Laszlo Ranody als einen Stoff ausgibt, der dem Bürgertum immanent sei. In dieser Wendung ins Satirische liegt die Kritik, wie sie der volksdemokratische Sozialismus aufweisen muss, wenn er sich den Themen des durch die Revolution überwundenen bürgerlichen Zeitalters zuwendet. Die bürgerliche Existenz als eine Lüge zu enthüllen, das ist die Tendenz. Was an ihr, wie an jeder anderen Existenz, Lüge ist, das hat zwar das bürgerliche Zeitalter - seit Ibsen - längst selbst enthüllt. Dass die Lüge, etwa die der geheuchelten Liebe zu einem Kind, dessen (psychologisch verständliche, menschlich deshalb aber nicht weniger schimpfliche) Tyrannisierung der Eltern diesen alle Freude gestohlen hat, eines Tages nicht mehr vertuscht werden kann, das ist ein Drama, das immer währt. Darum hat der Film - so gut wie der Roman - seine Gültigkeit.

Laszlo Ranody - dessen LERCHE sein dritter Film ist - hat die Geschichte dieser Lebenslüge, die er satirisch als eine bürgerliche entlarven will, mit Subtilität erzählt, langsam, zu Beginn gar etwas zu langsam, mit bürgerlich anmutender Behaglichkeit auch, minuziös und voller akribistischer Skrupel, ergriffen zuletzt von der Tragödie des um sein Leben betrogenen, schwachen und schwächlich aufbegehrenden Vaters, nicht bösartig das Messer ansetzend, sondern nachsichtig ihn betrachtend. Ein schöner, ein guter Film, gewiss kein Meisterwerk, aber anrührend durch die Nostalgie nach einer Zeit, die - im Guten wie im Schlimmen - nicht nur für das sozialistische Ungarn vergangen ist.

Es ist erstaunlich, wenn auch keineswegs überraschend, wie sehr sich amerikanische und russische Filme in mancher Hinsicht gleichsehen. Die Russen führten einen Film aus Georgien ins Feld, also auch so etwas wie einen Aussenseiterfilm, obwohl es das in der Sowjetunion, wo alles, auch die Filme, geplant sind, gar nicht geben kann. DIE WEISSE KARAWANE, von zwei Regisseuren in kolchoseartigem Plansoll in Szene gesetzt, stammt von Eldar Chenguelaia und Thomas Meliava; Marat Eliozichvili schrieb das Drehbuch.

Der Film hat Interesse, weil er eine - wenigstens für westeuropäische Augen - ungewohnte Landschaft, die Georgiens und des Kaspischen Meeres, zeigt. Er hat zudem Interesse, weil er eine innenpolitische Situation der Sowjetunion sichtbar macht. Die Hirten Georgiens wandern, wenn der Herbst gekommen ist, von ihren Alpweiden herab an die milderen Ufer des Meeres. Die Männer ziehen allein, die Frauen bleiben mit den Kindern und Greisen zurück im armseligen Bergdorf. Einer von den jungen Männern, der ältere Sohn des Kolchosenführers Martia, will ausbrechen. Das Leben als Schafhirte, der immer wandern muss, ohne von der Welt wirklich etwas zu sehen zu bekommen, erscheint ihm nicht mehr als menschenwürdig. Er strebt in die Stadt, und ein Mädchen, eine Fischarbeiterin vom Kaspischen Meer, die er verführt, scheint ihm den Weg ins bessere Leben öffnen zu können. Seine Genossen verachten ihn, und sie halten ihn aus ihrer Mitte auch dann ausgeschlossen, wenn er, am Ende, nach einem Sturm, der seinem Vater, dem treuen Hirten seiner Schaf- und Menschenherde, das Leben gekostet hat, wieder zu ihnen zurückkehren will.

Die Pädagogik dieses Films, der stolze, schöne und dramatisch begabte Männer vorführt, ist eindeutig: dort, wo der Sowjetstaat einen Mann hingestellt hat, dort soll er bleiben; es gibt keine Arbeit, die entehrt; jede Arbeit, auch die eines Schafhirten, dient dem Aufbau. Der Film ist melodramatisch und sentimental. Das Problem des Zuges in die Stadt, vom Lande und schon gar von der Unwirtlichkeit des Gebirges weg, wird zwar angeschnitten, aber es kann, da es in der Sowjetunion keine wirkliche Sozialkritik geben kann, würde doch sogleich das System überhaupt damit in Frage gestellt, nicht in der Tiefe analysiert werden. Was bleibt, ist der Appell.

Und die Sentimentalität. Appell und Sentimentalität sind die Attribute auch eines amerikanischen Aussenseiters: ONE POTATO, TWO POTATOES von Larry Peerce, für den Raphael Hayes und Orville H. Hampton das Szenario geschrieben haben. Es ist die Geschichte eines Negers, der eine Weisse geheiratet hat, und die Geschichte dieser Weissen, die von einem anderen Mann, einem Weissen, mit einem Kind sitzen gelassen worden ist. Die beiden lieben sich, sie führen ein glückliches, wenn auch kein leichtes Leben. Denn auch die weisse Frau hatte es schwer, bis sie von der Familie ihres schwarzen Mannes angenommen wurde. Zusammen haben sie wieder ein Kind. Und das erstgeborene, das weisse, wächst in ihrer Farm auf. Bis es eines Tages, als sein Vater unerwartet auftaucht, weggeholt wird. Ein richterlicher Spruch berechtigt den aufgebrachten Vater, das Kind wegzuholen.

Das Thema ist im amerikanischen Film, wenn auch nicht im amerikanischen Alltag, neu. Weisse und Schwarze heiraten einander. In Amerika schafft das sogleich gesellschaftlichen Misskredit. In Europa, wo man angeblich keine Rassenprobleme kennt, schüttelt man den Kopf darüber, dass man so engherzig sein kann. In Amerika ist man engherzig. ONE POTATO, TWO POTATOES, der Film von Larry Peerce, möchte grossherzig sein. Er zeigt Zivilcourage, indem er das Thema der Heirat von Schwarzen und Weissen aufgreift. Er lässt sich nicht dreinreden, wenn es um den Beweis geht, dass die Rechtsprechung, die das weisse Kind seiner Mutter wegnimmt, nur weil sie einen Neger geheiratet hat, heuchlerisch ist.

Aber dann hört die Courage auf. Die künstlerische nämlich. Es gleicht ONE POTATO, TWO POTATOES nach Massgabe der Sentimentalität einem Hollywoodprodukt wie ein Ei dem andern. Auch hier wieder zeigt es sich, dass die Aussenseiter, die in New York das Anti-Hollywood immer wieder ins Leben rufen wollen, an den gleichen Klippen scheitern wie die Routiniers von der pazifischen Küste. Sie wagen sich - vielleicht - an Themen, die ungewöhnlich sind; aber sie wagen es nicht, diese Themen künstlerisch sordiniert und mit jener Konsequenz der nüchternen Anklage zu behandeln, die den Fall erheblich machen würde.

Was ist von den deutschen Beiträgen zu sagen? Bernhard Wicki, schweizerischer Nationalität, hat Friedrich Dürrenmatts "Besuch der alten Dame" in den Film umgesetzt: THE VISIT, nach dem amerikanischen Broadway-Titel, heisst der Film, den Wicki für Mister Zanuck, aber mit deutschem, französischen und italienischem Geld in Rom und in Jugoslawien gedreht hat. Ein deutscher Film? Stellt man auf die Nationalität des Autors und des Regisseurs ab, dann ist er wohl eher ein Schweizer Film, und ein Schweizer Film ist er auch zweifellos durch seine unbestreitbare Schwerfälligkeit (wenn man diese nicht als teutonisches Erbgut in die Waagschale der Kritik werfen will).

Wicki, der im deutschen Film heute das stärkste Talent ist, hat nicht sehr viel Glück mit seinen Stoffen, nachdem er Manfred Gregors "Brücke" einmal als Erstling als bisher noch immer besten Film hinter sich gebracht hatte. Die Freundschaft zu Dürrenmatt liess ihn in die Bresche für einen Stoff springen, den der Autor eilfertig nach Hollywood verkauft hatte (das Geld rechtfertigt eben vieles). Wicki ist es zugutezuhalten, dass er, vom amerikanischen Geschmack trotz europäischem Geld diktiert, von Dürrenmatt gerettet hat, was zu retten war, nachdem man die alte Dame, statt sie in der Figur einer Bette Davis oder einer Agnes Morehead zu präsentieren, auf die wohlerhaltenen vierzig Jahre einer Ingrid Bergman, die so schön ist, wie sie noch nie war, herabgesetzt hatte. Was blieb Bernhard Wicki anderes zu tun, als aus der Not eine Tugend zu machen? Aus der schwarzen Komödie Dürrenmatts mit ihrer übersteilen sozialen Anklage, mit ihren Gewalttätigkeiten, Verschrobenheiten und bitteren Enthüllungen der Korruption durch das Geld, ein Drama, ja ein Melodrama der Rache, die aus verschmähter Liebe stammt? Die Bergman ist zu schön, zu jung, als dass sie das Geschlecht vergessen machen könnte, das die alte Dame vergessen machen muss, damit ihre Rache

jene Dämonie annehme, deren sie bedarf, um zum Gleichnis dienen zu können. Formal brillant gestaltet, zeugend auch von der künstlerischen Intelligenz des Regisseurs gerade dadurch, dass der Schluss geändert wurde - der Spezereihändler III wird nicht hingerichtet -, macht der Film Wickis in gewisser Weise wieder einmal deutlich, dass die Voraussetzungen eines literarisch gegebenen Stoffes - in diesem Fall die einer mit den Mitteln des modernen Theaters verfremdeten Satire - in der filmischen Adaption nicht vernachlässigt werden dürfen, wenn dieser Stoff in seiner geistigen Struktur erhalten bleiben soll; es sei denn, man ändere radikal. Wicki hat es, dem Theater zu nahe, nicht getan.

Völlig daneben geriet - nicht nur als Festivalbeitrag, sondern auch als Lustspiel überhaupt - DIE TOTE VON BEVERLY HILLS nach der Satire von Curt Goetz, ein Breitwand- und Farbenfilm, den der junge Fernsehregisseur Michael Pfleghar in Szene gesetzt hat, in eine Szene, die nur so strotzt von den Gags, die man auf dem Bildschirm übt, photographische Tricks ohne Witz. Die Bilanz dieser Satire? Ein Film ohne Fröhlichkeit, ohne Charme, ohne Gift und Galle, die selbst ein so indulgenter Autor wie der Schweizer Curt Goetz noch in homöopathischen Dosen aufgebracht hat. Ein Film, der so recht danach aussieht, wie wenn ein Spiesser witzig wird. Und von ähnlichem Mangel an Charme, an Leichtigkeit und spirituellem Witz entpuppte sich LES PARAPLUIES DE CHERBOURG, die völlig überraschend und ohne Grund den Grossen Preis erhielten. Jacques Demy, der als Anfänger mit dem charmantmelancholischen Erstling LOLA überraschte und dann mit LA BAIE DESANGES enttäuschte, langweilt jetzt mit diesen PARAPLUIES DE CHERBOURG. Der Film ist zwar insofern etwas Neues, als er vom ersten bis zum letzten Ton gesungen wird. Das Gesungene aber ist nicht einem Bühnenspiel entnommen - wie bei den amerikanischen Musicals -, sondern extra für diesen Film komponiert worden; neben dem Gesang macht sich natürlich das Orchester auch selbständig. Michel Legrand hat die Musik komponiert. Er verfügte dabei über zwei Einfälle, die je acht Takte lang sind und chromatisch endlos abgewandelt werden. Der eine Einfall erinnert an Bernstein, der andere stammt offensichtlich von Legrand selbst.

Nach der Partitur, zu der Jacques Demy das Szenarium und die Dialoge geliefert hat, hat dieser den Film inszeniert. Dabei musste er jeweils mit den musikalischen Sequenzen zurechtkommen; das hatte zur Folge, dass er mit dem Film nicht recht zurechtkam. Die Schauspieler singen so - denkt man -, wie Schauspieler eben singen; schaut man aber ins Programmheft, so erfährt man, dass sie von wirklichen Sängern doubliert worden sind. Für richtige Sänger indessen singen diese zu schlecht; und die Schauspieler sind als Schauspieler nicht gerade besser.

Und Jacques Demys Drehbuch? Die Geschichte eines Mädchens, das von einem Burschen schwanger wird, einen anderen heiratet, während der erste Bursche seinerseits, schmerzerfüllt ob der Treulosigkeit des Mädchens, schliesslich ein anderes schönes Kind heiratet. So wendet sich für alle alles zum besten.

Früher hätte ein französischer Regisseur aus diesem - von ihm oder Jacques Prévert ersonnenen - Stoff einen zaubervoll atmosphärischen Film gemacht. Heute macht man, weil dem atmosphärischen Zauber eines Schwarz-Weiss-Filmes nicht mehr getraut wird, daraus einen Farbenfilm mit Musik und rezitativem Gesang (keine Arien, keine Nummern, die wenigstens melodisch unterhielten). Und eine Jury honoriert derlei artistischen Snobismus. Die Kritik, ausgenommen die französische, die tüchtig für ihre PARAPLUIES DE CHERBOURG weibelte, blieb mit Grund kühl.

Kühl blieb man auch vor den beiden Lustspielen, die die letzte Woche des Canner Festivals brachte: vor George Rous THE WORLD OF HENRY ORIENT, dem offiziellen amerikanischen Beitrag, und JE M' BALLADE DANS MOSCOU, mit dem die Sowjetunion ebenfalls offiziell zu Worte kam. Der amerikanische Film, eine typische "sophisticated comedy", ist aus den amerikanischen Verhältnissen der Begeisterung der Teenagers für Stars zu verstehen, hier für einen Pianisten, in dem man die Parodie auf den tatsächlich existierenden, in einem goldenen Smoking am Klavier sitzenden, vor jedem Auftreten seiner Mutter für die genossene Ausbildung und Liebe dankenden Routinier Liberace zu sehon hat, dessen Programme, selbst in Carnegie Hall, nur aus sogenannten Dreingaben bestehen. Peter Seilers spielt diesen Pianisten, der bei den Frauen so kühn sein möchte wie auf den Tasten. Er spielt ihn mit dem für seine englische Herkunft bezeichnenden Understatement, das zuweilen vergessen lässt, ein wie guter Komiker dieser Schauspieler ist. Freilich, so gut er ist, er wird beinahe ausgestochen von den beiden halbwüchsigen Mädchen, die seine Verehrerinnen spielen; so viel Backfischqualität hat man auf der Leinwand schon lange nicht mehr gesehen. George Roy, der das von Nunnally Johnson geschriebene Drehbuch in Szene setzte, hat allein darum, wie er diese beiden Mädchen schauspielerisch führte, ein Verdienst. Aber der Film als Ganzes bleibt zu abseitig, als dass er als gültige Komödie zu interessieren vermöchte.

JE M' BALLADE DANS MOSCOU von Georgy Danelia, einem jungen Regisseur, andererseits erzählt die Geschichte einiger junger Leute, von Arbeitern selbstverständlich, die gemeinsam einen freien Tag in Moskau geniessen. Der Film will - in Form einer Tageschronik - die Unbeschwertheit des sowjetischen Alltags vorstellen. Das gelingt ihm insofern, als die jungen Leute dieses Mal wirklich im Mittelpunkt stehen und ohne sowjetisch-konformistische Reden auskommen dürfen. Freilich verzichtet die Story selbst nicht darauf, die jungen Leute an allen offiziellen Denkmälern und Bauten Moskaus vorbeizuführen, und selbstverständlich muss - wie könnte es an einem Freitag anders sein - der Kulturpark ins beste, das heisst nächtliche, und von zahllosen elektrischen Glühbirnen verschaffte Licht gerückt werden. Auch ein wenig Persiflage - auf die parteigetreu-phantasielosen Schriftsteller - kommt darin vor.

Der Film will fröhlich sein. Er ist es auf eine bemühende Art. Vielleicht ist der Humor der Russen so beschaffen. Vielleicht ist dieser Humor, weil er eben offiziell gebilligt sein muss, so verkrampft, dass keine gelassene Heiterkeit entstehen kann. Man hat an dem Film, weil wirklich nette junge Leute darin vorkommen, zwar auch seinen Spass. Man bedauert indessen, dass er keine andere Poesie hat als die der Gegenlichtaufnahmen, wenn Boote über die Moskwa gleiten.

Eine Chronik hat auch Bo Widerberg geschaffen, der heute 34jährige schwedische Lyriker, der - als Schüler von Ingmar Bergman - den Film entdeckt hat. Widerbergs zweiter Film, DAS REBENOUARTIER, ist ein Bericht aus dem Jahre 1936, als die Männer arbeitslos waren. Er hat viel Autobiographisches in diesem Film, zweifellos, allein schon die Figur eines jungen Arbeiters, der sein Elend - das der Familie und das der sozialen Lage - loswerden will, indem er ein Buch schreibt. Und es hat, im Hintergrund, nicht völlig in die Handlung integriert, ja sogar etwas überflüssig, Politik in dem Film: die Bedrohung durch Hitler und seine schwedischen Gefolgsleute. Man kann den Film deshalb politisch nehmen, aber man wird ihn wohl eher als ein Bekenntnis zur sozialdemokratischen Innenpolitik Schwedens nehmen müssen, an deren Schwelle die Handlung spielt, denn als ein aussenpolitisches Manifest. Als solches wäre der Film epigonal; als jenes ist er von Interesse, als ein Dokument eines Jungen zu jener Politik, die in Schweden als Folge der Wirtschaftskrise der dreissiger Jahre begonnen hat, die heute fortgeführt wird und die als eine offizielle und tatsächliche Wohlstandspolitik den Lehrer Bo Widerbergs, Ingmar Bergman, zu einer nicht mehr im Sozialen, sondern einzig noch im Existenziellen greifbaren Kritik geführt hat. Widerberg kehrt der Bergmanschen Haltung ganz den Rücken, ihn interessiert das Soziale, das Bild nämlich eines jungen Arbeiters, der den Ausbruch unternimmt aus der Armut, die seinen Vater dem Alkohol ausgeliefert hat. Dabei ist der Film völlig undogmatisch, er zeichnet lyrisch menschliche Zustände, aus denen sich, allmählich und auch ziemlich mühsam, eine Entwicklung ergibt. Das gibt ihm seine Menschlichkeit und damit, über die rekonstruierte Zeitgebundenheit hinaus, auch seine Gültigkeit. Denn gültig ist, was individuell stimmt, und hier stimmt, so ungestaltet auch manches noch wirken mag, alles.       Martin Schlappner
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Kolportage, Stilisierung, Realismus

(Zurück zu der Verweisung hier im ) Anmerkungen zum Werk Fritz Langs von den SPINNEN bis zu dem TESTAMENT DES DR. MABUSE

Fritz Lang ist kein naiver Regisseur, aber dennoch bestehen seine Filme nur unter den Blickwinkel ihrer Naivität.

Naiv kann man jenen Zug ihrer Erscheinung nennen, der den politisch-sozialen Tatsachen des Lebens weitgehend unreflektiert gegenübersteht; naiv ist jene Einfachheit im Gedanklichen und Emotionellen, die seine Gestalten - Helden wie namenlosen Opfern - ihre gradlinige Handlungsweise und die Flächigkeit ihres Charakters aufzwingt; naiv in diesem Sinne ist auch meistens der moralisch-ethische Gehalt seiner Filme: hier wird nach festgelegten Gesetzen des Hasses, der Liebe, der Gewalt, des Guten, des Bösen gehandelt; naiv sind auch die Stoffe, deren er sich in seinem Schaffen bemächtigt. Sie werden, falls sie es nicht schon von sich aus sind, zur Kolportage umgebogen.

Dieser einmal vom Totum des Werkes abstrahierten Naivität im Material der Handlung und der Personen steht andererseits ein bis in das geringste Detail ausgeklügelter formaler Gestaltungswille gegenüber. Im Kraftfeld von Naivität und künstlerischer Reflexion: in dieser extremen Antithetik, wie sie sich in der Geschichte des Films wohl einzigartig hier materialisierte, entfaltet sich das gesamte Werk Fritz Langs. Das zutiefst Fragwürdige dieser Filme, ihr grandioses Gelingen und Misslingen, ihre Faszination und ihre völlige Belanglosigkeit hat seine Gründe in diesem fundamentalen inneren Widerspruch, der - bis auf M - nie ausgetragen, folglich nie aufgehoben werden konnte.

Wo sich sein Werk nicht auf den schmalen Grat des Gelingens retten konnte, fällt es ab in formale, gleichwohl leere Perfektion oder verharrt in den dumpfesten Niederungen der Kolportage.

Der Film kommt aus der Kolportage, dem bunten, "niederen" Jahrmarktsmilieu. Der Grossteil der vergangenen wie der gegenwärtigen Filmindustrie produziert nichts anderes als billige, konfektionierte Kolportageware, Stimulantia für das Vergessen, für Träumereien ohne Ziel, Konflikte mit beschönigender Lösung, Unterhaltung ohne geistigen Anspruch.

Griffith, Porter, Sennett, Chaplin, Keaton, Méliès: was wäre ihr Werk ohne die Kolportage, das Dramolett, das Melodrama, die Burleske, das bunt-exotische Spiel der Phantasie?

Die Kaiserpanoramen, die man noch zu Beginn unseres Jahrhunderts auf jedem Jahrmarktstreiben finden konnte, sind die Vorläufer des Standkinos, das in berauschend fremde Länder führen wird, wo verwickelte Abenteuer abenteuerliche Verwicklungen mit Tieren, Menschen, Sensationen, seltsamen Bräuchen, Sitten, Kulturen hervorbringen. All das findet man in Langs ersten Filmen, präsentiert mit der entwaffnenden Naivität des neuen Mediums, das die Schatztruhe aller seiner Möglichkeiten verschwenderisch auftut. DIE SPINNEN etwa, ein zweiteiliger Fortsetzungsfilm von zusammen 2 1/2 Stunden Dauer, schildert die reizvollen und gefährlichen Abenteuer des Kay Hoog, der einer gefährlichen Geheimorganisation, den "Spinnen", in "bekannte und unbekannte Welten" nachjagt. Die Verwandschaft zu Karl Mays Reiseromanen - mit denen die eigentlich vorliterarische Gattung ihre höchste Entfaltung erreicht; ihre niedrigste Form besteht wohl in den Illustrierten- und Groschenromanen -, die Nähe zu diesen viel gelesenen "Reiseberichten" Mays ist nicht zu verleugnen.

Hier wie dort sind die moralischen Positionen klar verteilt: auf der einen Seite findet man den guten, intelligenten, kraftvollen, unüberwindlichen Kay Hoog, auf der anderen Seite das undurchsichtige Netz der "Spinnen", die eine Frau befehligt - ein früher Hinweis schon auf Langs Misogynie, die sich aus allen seiner späteren Filme herauslesen lässt.

Überhaupt haben sich schon hier alle Versatzstücke seiner Ästhetik und seines Weltbildes versammelt. Da ist das grossbürgerliche Zimmer mit dem teils realistischen, teils bereits stilisierten Dekor, wie es später in DR. MABUSE, DER SPIELER wiederkehrt; die ornamental durchsetzten Tempelbauten der Inkastadt finden sich in den NIBELUNGEN, METROPOLIS und DER TIGER VON ESCHNAPUR wieder; die unterirdische Chinesenstadt, in die Kay Hoog gerät, nimmt die Hunnenhöhlen (KRIEMHILDS RACHE), die Unterstadt (METROPOLIS), die Unterwelt (M) und die Höhlen der Leprakranken (DAS INDISCHE GRABMAL) vorweg; wie in diesen beiden letzten Filmen gibt eine unterirdische Überschwemmungskatastrophe auch schon hier Gelegenheit zu pittoresken Todesszenen; und siegt Siegfried über den Drachen, so hat ihn Kay Hoogs Kampf mit einer Riesenschlange inspiriert.

Wie in jeder echten Kolportage verläuft die Handlung in Verschlingungen, Kurven, Seitenkehren, so dass es nicht leicht ist, sich in ihrem dschungelhaften Geflecht zurechtzufinden. Der Autor kann sich ungeniert seiner Phantasie überlassen, die auf keine Glaubwürdigkeit und keine tiefere Motivation Rücksicht zu nehmen braucht, als die des Schauplatzwechsels und der unverminderten Spannung. Alles ist verfügbar, und auf der nahezu totalen Verfügbarkeit der Mittel beruht der Reiz des Spektakels.

Allerdings fallen in diesem Wirbel der Ereignisse zentrale Szenen auf, die über ihre blosse kolportagehafte Funktion hinausschiessen; Augenblicke, in denen sich das Dekor ornamental verdichtet, eigene Bedeutung an sich gewinnt, den Blick fängt, ohne dass es vom Geschehen her motiviert wäre. So nutzt Lang den Zwang der Kolportagestory, laufend die Schauplätze wechseln zu müssen, indem er ein je eigenes Dekor entwirft, das die einzelnen Sequenzen bild-stilistisch voneinander absetzt. Zweifellos ist ihm das hier noch nicht in dem Masse gelungen wie in DR. MABUSE, DER SPIELER.

Noch aus anderer Sicht ist dieser erste bedeutende Film Langs paradigmatisch für sein ganzes deutsches Werk. Die Welt, die hier entworfen wird, ist voller Geheimnis und Täuschung. Die Chefin der Spinnen wechselt dauernd die Masken, taucht hier als Revolverbraut auf, dort als exzentrische Gesellschaftsdame. Die "Spinnen" sind eine Geheimorganisation, die keine Gemeinheit und keinen Mord scheut, um in den Besitz eines unermesslich grossen Schatzes zu kommen; ob sie damit die Weltherrschaft gewinnen will, wie Dr. Mabuse und seine Helfershelfer, scheint allerdings hier noch nicht ausgemacht.

Falltüren, unterirdische Opiumhöhlen, gedungene Mörder, die bedrohlich ins bürgerliche Heldenleben eingreifen, umreissen weiterhin den Horizont, vor dem das Bild der Gesellschaft in diesen frühen Filmen Langs bis hin zu dem 1933 gedrehten TESTAMENT DES DR. MABUSE erscheint. Es liesse sich daraus besser die gesellschaftliche Lage Deutschlands nach dem ersten Weltkrieg entschlüsseln als aus so manchem historischen Aufsatz. Nicht zuletzt Thomas Mann glaubte zu dieser Zeit, vor einem Weltbund der Freimaurer warnen zu müssen, der das gesellschaftliche Gefüge umstürzen wolle; auch das Phantom der "Weisen von Zion" entstand damals. Es war eine Zeit der dunklen Ängste, der unterschwelligen Ahnungen eines Umbruchs, der Gewalt und Brutalität, in der keiner blieb, was er war; keiner war, was er zu sein vorgab.

Das spiegelt sich in Langs Werk, drängt dort nach Ausdruck, nicht aber nach geistiger Durchdringung und gesellschaftspolitischer Analyse, in den SPINNEN so wenig wie in DR. MABUSE, DER SPIELER, der in hypridem Wahnsinn seines ausserordentlichen Intellekts die Weltherrschaft der Gewalt proklamiert.1)

(Deshalb hat Schröder Unrecht, wenn er, schon im Blick auf DIE SPINNEN, meint: "DIE SPINNEN sind ,roaring twenties' und Geist der ,wide open countries', sind Muff und entführender Zauber in einem" (s. Film 8). Unrecht nicht nur, weil die ,twenties' noch nicht angebrochen waren, als der Film entstand und von den ,roaring twenties1 schon gar nicht die Rede sein konnte. Auch der "Geist der Wide open countries", der hier spuken soll - als habe Lang den späteren Western schon vorab in seinem SPINNEN-Netz eingefangen -, ist nur ein Gespinst des Autors.

Denn die Weite des offenen Landes, das sich ursprünglich, rein und schön dem Menschen darbietet, findet in Langs ganzem Werk keine Entsprechung. Natur ist für ihn immer nur ein Vorkünstlerisches, Zufälliges. Deshalb verschmäht er auch das natürliche Dekor, ohne das der Western schwerlich auskommen kann. Langs Begriff von Kunst - und das zeigen schon DIE SPINNEN - ist identisch mit Form; Form, d. h. Gestaltung des natürlichen Materials zu einem in sich sinnfälligen Ganzen, in dem das Chaos des Lebens und die Zufälligkeit des Kreatürlich-Natürlichen im Bild einer ästhetischen Ordnung gebannt ist. Daher mag der eigentümliche Zwang kommen, dem seine Filme unterworfen sind. Ihre innere ästhetische Ordnung, die starr und nicht selten dann später dogmatisch die Selbstentfaltung der Natur beschneidet - nicht um sie aufzuheben, d. h. aufzubewahren und umzugestalten; sondern um sie zu vernichten - gerät deshalb leicht in die Nähe des pur Künstlichen, in dem jede Spur organischen Lebens getilgt ist Dass diese absolute Stilisierung - in den SPINNEN kündigt sie sich im Dekor an, ohne sich gleichwohl hier schon ganz durchgesetzt zu haben - einem "Geist der ,wide open countries'" ebenso fremd ist wie dem chaotisch-anarchistischen der sogenannten "roaring twenties", dürfte einsichtig sein.)

Auch DER MÜDE TOD kommt solchen Filmen nahe, wenngleich auf den ersten Blick Verwandschaft nur im Kolportagecharakter sich zu finden scheint. Jedoch führt dieses dritte legitime opus Langs nur ein Moment seines Weltbildes ins Extrem: den latenten Romantizismus.

Zwar fehlt den sonstigen Filmen das dezidiert romantische Flair; die Welt ist im Gegenteil fest umrissen, klar und scharf konturiert, abstrakt stilisiert, aber zwischen diesen luziden Momenten der Stilisierung liegen Dunkelstellen, finden sich Brüche im Gemäuer der glatten Oberfläche, offene Wege zu hintergründigen Geheimnissen. Nicht zuletzt werden diese immanenten romantischen Züge durch die kongeniale Adaption der Reinhardtschen Lichtregie unterstrichen, die, wie Lotte H. Eisner in "Die Dämonische Leinwand" zeigte, von Lang hier zum erstenmal voll entfaltet wurde.

Die morbide Todesverfallenheit, der Hang zum Mystisch-Exotischen in den einzelnen Episoden, die Synthese aus Holländermythos und Grimmschen Märchen: durch diesen dichtgewobenen Schleier der Hell-Dunkel-Effekte führt die Flucht vor der rauhen Wirklichkeit der Revolution und Inflation direkt ins Zentrum romantischer Traumlandschaften. Lang hatte sich selbst die Aufgabe gesetzt, wie er sagte, im MÜDEN TOD "den romantischen Deutschen in den Mittelpunkt zu stellen". Der Stoff habe ihn interessiert, weil ihn der Tod immer interessiert habe. Bemerkenswert sind auch die Worte, die er in dieser Phase seines Schaffens über die Beziehung von Märchen und Film äusserte: "Was tut der Film anderes als das vielgepriesene Volksmärchen, die verherrlichenden Heldensagen aller Völker tun! Und warum hängen die Leute wie Kletten an den Märchen? _... Weil in den Märchen das einfachste und sittlichste Gesetz der Menschheit zu seinem Recht kommt: die Guten werden belohnt, die Bösen bestraft _... Summa summarum: das Rezept des befehdeten Sensationsfilms. Man wird zugeben: im Leben kommt es zuweilen anders. Aber der Film gibt die Genugtuung des erfüllten Gesetzes ebenso einfältig wie es das Märchen tut, nur in der Form, die seiner Zeit entspricht." Film als Fortsetzung des Märchens mit anderen Mitteln, in dieser zweifelhaften Synthese aus komplizierter technischer Apparatur und naivem Weltverständnis besteht der Reiz und die Fragwürdigkeit der frühen Filme Fritz Langs bis hin zu dem zweiteiligen DR. MABUSE, DER SPIELER.

Mit den NIBELUNGEN und METROPOLIS tritt Langs Schaffen in seine zweite Phase.

Was Thomas Mann an Richard Wagner faszinierte, was ihm diese Gestalt geradezu zum Typus für das 19. Jahrhundert erscheinen liess: der Pessimismus, Nacht- und Todverbundenheit und "der Zug und Wille zusammen zum grossen Format, zum Standardwerk, zum Monumentalen und Massenhaften - verbunden mit einer Verliebtheit in das ganz Kleine und Minutiöse, das seelische Detail" - wer will leugnen, dass hier auch die Umrisse des frühen und mehr noch des mittleren Werkes Fritz Langs seltsam sich abzuzeichnen scheinen?

Pessimismus, Wahnsinn, Angst, Todesverfallenheit: das sind Momente, die von den SPINNEN und DR. MABUSE, DER SPIELER über den MÜDEN TOD - dieser Apotheose romantisch-deutscher Todessehnsucht - bis hin zu den NIBELUNGEN, KRIEMHILDS RACHE, METROPOLIS Langs Denken beherrschen. Noch in M und dem TESTAMENT DES DR. MABUSE finden sich davon Spuren, etwa in der Gestalt des Kindermörders, der, einem dunklen Drange folgend, morden muss, und in der Irrenhausszenerie des letzten Mabuse-Thrillers.

Auch der "Zug und Wille zum Monumentalen und Massenhaften" hat sich in den NIBELUNGEN und METROPOLIS eindrucksvoll niedergeschlagen, so dass man angesichts dieser Werke geradezu von Bildopern sprechen könnte. Wenn auch der erste Blick dieses opernhaft stilisierte Pathos der Filme leicht mit dem musikalischen Kosmos Wagners gleichsetzen möchte, so sind doch entscheidende Differenzen nicht zu übersehen. Wagners Welt, in der, wie Thomas Mann bemerkte, die antithetischen Haltungen der Psychologie und des Mythos zusammengezwungen sind, findet unter diesem Gesichtspunkt keine Entsprechung im Werk des Regisseurs. Psychologie oder gar Psychoanalyse, wie sie Mann in der musikalischen Technik der Leitmotive und ihrer farblich-instrumentalen Variabilität feststellte, sind Langs Welt vollkommen fremd.

Schon in seinen frühen Filmen fiel auf, dass er die Möglichkeiten der Grossaufnahme fast gar nicht nutzte. Es bestand für ihn keine Notwendigkeit, dem Mienenspiel der Personen - das um diese Zeit, etwa von Asta Nielsen, mit einer Virtuosität für die differenziertesten seelischen Nuancen beherrscht wurde - grössere Aufmerksamkeit zu schenken. Denn das Gesicht ist für den Lang der SPINNEN oder des DR. MABUSE, DER SPIELER nur eine Larve unter vielen; das, was der Mensch ist, lässt sich darauf nicht ablesen. Noch weniger interessiert er sich für die individuelle Psychologie seiner Personen. Langs Kosmos besteht aus Taten und Ereignissen, die Essenz des Menschen materialisiert sich im Akt seiner Handlungen, die über Wert und Wertlosigkeit seiner Existenz entscheiden. Deshalb auch die Vorliebe für eine kolportagehafte Handlung, weil dort nur von Ereignissen innerhalb des Raums der äusserlichen Welt die Rede ist, in die sich Menschen verstricken; nicht aber von den psychologischen Reaktionen, den komplexen, seelischen Zuständen Einzelner, die in Widerspruch zur Welt, zum Leben, zum Handeln geraten sind. Deshalb aber auch muss seine Regiekunst scheitern, wenn sie, wie in DIE FRAU IM MOND, die Psychologie einer Dreiecksgeschichte darstellen soll. Falsch wäre es, dies Lang so ohne weiteres vorzuwerfen. Zielen doch seine Intentionen vorab schon auf ganz Anderes.

Dem Wuchern der Kolportagehandlung begegnet er nicht - wie etwa Chaplin - durch psychologische Vertiefung, um sie damit auf einen glaubwürdigeren Grund zu führen; vielmehr versucht er in den NIBELUNGEN wie in METROPOLIS, sie durch absolute Stilisierung von einer empirisch-realen Beziehung zu lösen, um sie letztlich aufzuheben.

Die Gründe für diesen artistischen "tour de force" sind verschiedener Art. Schon in einem frühen Interview sah er eine der wesentlichen Möglichkeiten des Films darin, vergangene Kulturepochen zu reproduzieren. In der Tat hat er dann auch für DIE SPINNEN schon wie später für DIE NIBELUNGEN Fachwissenschaftler zur Beratung herangezogen. Dieses besondere kulturhistorische Interesse mag in persönlichen Eigenarten wurzeln. Lang hatte, wenn auch nur kurz, Malerei und Architektur studiert. Dass diese Vorlieben auch wesentlich seine Tätigkeit als Regisseur bestimmen, hatten schon die kunstvoll arrangierten Interieurs des ersten Mabuse-Films deutlich ausgewiesen. Wieviel mehr noch musste dieser Zug zum Malerischen und Architektonischen durchschlagen, wenn die historisch-mythische Welt der Nibelungen und das utopische Metropolis Gestalt gewinnen sollten. Beides sind Versuche, mythische Gesellschaftsbilder zu entwerfen, in denen der Mensch als individuelle Person noch nicht oder nicht mehr die Bühne betritt. (DR. MABUSE, DER SPIELER hatte ebenso nicht die Darstellung einzelner Menschen und ihrer individuellen Konflikte zum Inhalt, sondern war eher ein erster kolportagenhafter Versuch, die zeitgenössische Gesellschaft darzustellen.) Die Dynamik einer komplexen Handlung, die ihre Spannungseffekte aus einer möglichst weiten Skala enervierender Ereignisse zieht, wird hier im archaisch-utopischen Panorama von der Motorik simpelster Begriffsantithesen abgelöst: Hass und Liebe, Eifersucht und Mitleid, Brutalität und Sanftmut, Machtgier und Entsagung.

Die Nähe dieser Thematik zum damals herrschenden Expressionismus konstatierte Lotte H. Eisner; jedoch verfällt sie der expressionistischen Selbstinterpretation, wenn sie Langs Filme ganz in diesen Umkreis stellt. Zwar hat er verschiedene Techniken - vor allem in der Beleuchtung - der expressionistischen Bühnenpraxis entlehnt; die eigentlich revolutionäre Idee dieser Kunstepoche geht in seinen Werken jedoch nie auf, oder doch nur recht schief (wie am Ende von METROPOLIS). Der Expressionismus hatte den Menschen aus allen religiösen, kulturellen, sozialen Bindungen zu befreien versucht, um so den Kern seiner Existenz aufdecken zu können. Gerade aber diese unbedingte, auf den Menschen gerichtete Intention ist der Langs diametral entgegengesetzt. Die Personen seiner Filme handeln nicht frei, aus der Autonomie ihres individuellen Wesens. Vielmehr leben sie unter dem teils mythisch, teils sozial-utopisch motivierten Druck eines umgreifenden Schicksals, das ihre Existenz bestimmt. Sie sind Gefangene, die bei dem geringsten Anzeichen der Revolte - wie die Zwerge in den NIBELUNGEN - versteinern oder vom Moloch der Maschinen verschlungen werden (METROPOLIS). Mehr noch: dieser Zug vom Lebendigen zum Leblosen, von der Bewegung in der Zeit als Handlung zur Bewegung im Raum als Ornament ist ein Spezifikum gerade der NIBELUNGEN.

Der Abwesenheit des individuell-autonomen Menschen in der mythischen Gesellschaft der Nibelungen korrespondiert in Langs Auffassung die Übermacht metaphysischer Verfügungsgewalt, die sich in der geheimen und offenbaren Korrespondenz der Dinge niederschlägt. Ähnlich wie in den Bildern des späten Gauguin, wird, der archaisierten Kulturstufe entsprechend, die Perspektive aufgegeben. Ähnlich wie dort - man denke nur an Gauguins Bild "Ta Matete" - erscheint der Mensch nicht in seiner runden, plastischen Gestalt, sondern als ornamental und gestisch akzentuierte Fläche. So sind Langs Nibelungen keine differenzierten Charaktere, sondern ornamental reduzierte Flächenwerte, die von ihrer geometrisch stilisierten, leblosen Umwelt selbst ins Joch einer stilisierten Bewegung gezwungen werden. Deshalb hat hier - wie später in METROPOLIS - die Kamera nicht die Funktion, aus der Fülle möglicher Darstellungsarten auszuwählen, durch das Ensemble wechselnder Einstellungen das Einzelne zu filmischer Erzählung und Darstellung zusammenzuschmelzen. Sie ist viel eher ein streng fixierter Aufnahmeapparat, der sich passiv zu dem verhält, was er schlackenlos reproduziert. Die Grenze, mit der sie den rechteckigen Raum des Bildes umfasst, hat die gleiche Funktion wie der Bilderrahmen in der Malerei.

Diese bildhafte Komposition von SIEGFRIEDS TOD, dieses additive Prinzip, demzufolge Einstellung auf Einstellung folgt wie im Museum dem Beschauer Bild nach Bild an den Augen vorüberzieht, fällt schon im II. Teil (KRIEMHILDS RACHE) auseinander. Die Beschreibung der Hunnenwelt verwehrt sich dieser Stilisierung. Sie ist erdhafter, kreatürlicher und natürlicher als die hochzivilisierte leblose Kultur der Nibelungen. Zudem entfaltet sich die Handlung in rasch wechselnden Ereignissen, die im gigantischen Blutbad an Etzels Hof kulminieren. Die Statik einer bildhaft-sukzessiven Darstellung, die jede Bewegung zum Ornament gerinnen lässt, wird in den Strudel der dynamisch fortschreitenden Geschichte gerissen. Verweilendes Betrachten ist nicht möglich, wo alle Bilder stürzen.

In METROPOLIS unternimmt Lang noch einmal diesen Versuch; jedoch auch hier weigert sich der verwickelte Stoff, die zerrissene Welt, die er zum Inhalt hat, sich stilisiert festlegen zu lassen. In einzelnen Szenen ist das zwar noch gelungen (die Maschinenhalle, die Überschwemmungskatastrophe); jedoch die melodramatische Liebesgeschichte zwischen dem Kapitalistensohn und der Arbeiter-Maria verwässert die Handlung so sehr, dass sich extreme Stilschwankungen bemerkbar machen, ganz abgesehen von der plumppropagandistischen "Botschaft" des Films, die nicht nur zu Lasten der v. Harbou geht, sondern wohl auch dem "guten Willen" Langs entspricht.

Sicher lassen sich diese Tendenzen zur absoluten Stilisierung, die im ersten Teil der NIBELUNGEN ihren künstlerisch gelungensten Augenblick hatten, aus dem Werk und der Ästhetik Langs selbst erklären. Andererseits steht er doch allzu sehr in seiner Zeit, als dass man darauf verzichten könnte, hier nach konkreten Ansatzpunkten für ein weiteres Verständnis zu suchen.

Im gleichen Jahr, in dem METROPOLIS entstand, veröffentlichte Siegfried Kracauer einen Essay, der das "Ornament der Masse zum Thema hatte, ein für den Lang dieser Zeit gewiss aufschlussreicher Titel. Kracauers Arbeit setzt die verschiedenen Tendenzen zur ornamentalen Stilisierung auf dem Gebiet der Tanzrevue und der Körperkulturveranstaltungen in Beziehung zum aktuellen Stand der gesellschaftlichen Entwicklung. So resümiert er die Bedeutung des Massenornaments, wie es sich auch in Langs Filmen dieser Epoche wiederfindet: "Die Struktur des Massenornaments spiegelt die gegenwärtige Gesamtsituation wider. Da das Prinzip des kapitalistischen Produktionsprozesses nicht rein der Natur entstammt, muss es die natürlichen Organismen sprengen, die ihm Mittel oder Widerstand sind _... Von den mythologischen Lehren aus gesehen, in denen die Natur sich naiv behauptet, ist das Abstraktionsverfahren (der ornamentalen Stilisierung, A. d. V.) _... ein Gewinn an Rationalität, der dem Prangen der Naturdinge Abbruch tut. Aus der Perspektive der Vernunft erscheint das gleiche Abstraktionsverfahren als naturbedingt; es verliert sich in leerem Formalismus, der unter seiner Decke dem Natürlichen freien Spielraum gewährt, da er die Vernunfterkenntnisse nicht durchlässt, die das Natürliche zu treffen vermöchten." Wenngleich diese soziologischen Erkenntnisse nicht so ohne weiteres mit den vergleichbaren Erscheinungen in Langs Filmen identifiziert werden können, so bieten sie doch Möglichkeiten, Langs Ästhetik in einen grösseren Zusammenhang zu stellen.

In Richard Wagners Musikdrama hatte nach den Worten Thomas Manns das Bürgertum des 19. Jahrhunderts seinen legitimen Ausdruck gefunden. Als letzter Ausläufer dieses "Zugs und Willens zum grossen Format, zum Standardwerk, zum Monumentalen und Massenhaften" lassen sich Langs zentrale Werke DIE NIBELUNGEN und METROPOLIS verstehen. Sie sind Zeugen eines gigantischen Anachronismus, indem sich in ihnen eine Geisteshaltung reproduzierte, für die in der gesellschaftlichen Realität längst die letzte Stunde geschlagen hatte. Gerade dass sie sich scheinbar von der Realität des Tages abkehren, offenbart die Brüche ihrer Struktur, mit denen sie für ihre pure Existenz zahlen mussten. Gebrochen erscheinen sie nicht durch das helle Licht der Ironie, die sich in spielerischer Distanz aller ihrer tradierter Mittel bewusst ist wie im Werk Thomas Manns; gebrochen vielmehr durch ihre ungeheuere innere Anstrengung und Spannung, die zu stilistischen Balanceakten artistischer Vollendung (NIBELUNGEN) und zum nahezu vollkommenen Desaster führen. METROPOLIS, das sich als utopische Projektion real-aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen verstanden wissen will, zeigt am deutlichsten die Spuren solcher Auseinandersetzung. Wechselnd zwischen privatem Melodram, optisch faszinierender Massenoper, verteufeltem Erfinderwahn und utopisch aufgeputztem Höllenspektakel, versetzt zudem noch mit der penetranten Ideologie der Versöhnung des Unversönhnlichen (Herz als Mittler zwischen Hirn und Hand), ist dieser Film beredtes Zeichen für die Grenzen und Gefahren des Langschen Stils dieser Zeit. Denn was einmal legitime Formkräfte abgab, wird hier letztlich zur Leerform. Schon DIE NIBELUNGEN hatten in äusserster Stilisierung die Geschichte zum musealen Tableau gerinnen lassen, das seinen ästhetischen Reiz einzig durch seine ornamentale Verdichtung enthüllte. Mit METROPOLIS gerät diese stilisierte Form der Darstellung vollends zum artifiziellen Muster, das eine Befragung auf seinen gehaltstransparenten Sinn verweigert.

Hier genau ist die Stelle, wo die faschistischen Filme der Leni Riefenstahl ansetzen. Denn diese von einem immanenten Sinn freien abstrakten Leerformen ornamentalen Gruppierens, massenhafter mathematischer Ordnung werden von ihr adaptiert und mit der nationalsozialistischen Ideologie erfüllt. Diese "Erfüllung" der Form ist gleichbedeutend mit ihrem Verfall zu einem blossen ideologischen Moment der Reproduktion faschistischen Macht- und Repräsentationswillens.

Es ist falsch, den Regisseur der NIBELUNGEN und METROPOLIS als Vorläufer der Leni Riefenstahl zu denunzieren. Langs Werke sind keine faschistischen oder präfaschistischen Machwerke, wenngleich sie auch nicht aus demokratischem Geist leben. Ihre Faszination von der hierarchisch-archaisch-mythisierten Ordnung, in der nach streng fixierten Gesetzen einer einfachen Ethik der Ehre, der Liebe, der Rache, des Hasses gehandelt wird, zeigt einen ausgesprochenen Horror vor jeder wie auch immer gearteten Änderung. Wenn man Langs Geisteshaltung festlegen will, so trifft auf sie am ehesten noch der Terminus des Aristokratischen zu; aristokratisch in der Verachtung der Materie und des Materiellen zugunsten der formalistischen Stilisierung und abstrakt ethischer Verhaltensweisen. (Die Parallele zu Ernst Jünger sei hier nur angedeutet, ohne dass ich mir wesentliche Unterschiede, z. B. in der Bewertung des Krieges, nicht bewusst wäre.) Dieser aristokratische Zug im Wesen Langs verwehrte ihm zwar die Erkenntnis der demokratischen Gegenkräfte wider den Faschismus, machte ihn aber gleichermassen immun gegen dessen Ideologie. Schon in den frühen Filmen bricht die Bedrohung der Gesellschaft aus einer Unterwelt des Organischen hervor: die Keller, Falltüren, Geheimgänge, Höhlen: das alles sind wechselnde Metaphern für die gleichbleibende Angst vor der Zerstörung, des praktizierten Nihilismus Dr. Mabuses, zu dessen Testamentsvollstrecker Lang in seinem letzten Film in Deutschland Hitler und seine Helfershelfer recht durchsichtig machte. So identifizierte Lang - darin durchaus konsequent - den heraufziehenden Faschismus mit diesem dumpf-gärenden Organischen, das, dem Orkus einer undomestizierten Natur entstiegen, sich anschickt, die innere Ordnung einer geistigethisch klar und deutlich fixierten Wertwelt in den Mahlstrom seines immanenten Nihilismus zu reissen. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint Langs unverzügliche Emigration aus Deutschland durchaus folgerichtig, ohne dass man zu scheindialektischen Kunststückchen Zuflucht nehmen müsste, um Lang einesteils als Präfaschisten zu denunzieren und andererseits seine Emigration zu rechtfertigen. Denn die Hunnen hatten gesiegt, und für den Regisseur der NIBELUNGEN war kein Platz mehr in Deutschland.

SPIONE (1928) und DIE FRAU IM MOND (1929) waren Langs letzte Stummfilme. Sie markieren deutlich den Übergang von einer stilisiert statischen Bildlichkeit zu einer dynamisch-realistischen Erzählweise. Einesteils setzt sich die Stilisierung des Dekors in SPIONE noch fort, wird aber vollends zur leeren Routine. Kracauer schreibt: "Schiere Virtuosität, die sich ihrem Gegenstand und Inhalt entfremdet hat, gibt sich als Kunst aus." Andererseits griff Lang wieder auf Elemente seiner frühen Mabuse-Filme zurück. Gerade der ein Jahr darauf entstandene Film DIE FRAU IM MOND zeigte im ersten Teil einen durchaus realistischen Erzählduktus, der, flexibel und auf rein visuelle Logik abgestimmt, von der erstarrten Fixierung monumentaler Fresken (DIE NIBELUNGEN) weit entfernt ist. Dennoch kann man diese Filme nicht als Vorstudien zu M ansehen. Sie bleiben, trotz deutlicher Zeichen der Abkehr, noch im Umkreis des frühen und mittleren Lang.

Erst M befreit sich von den drohenden Schatten der NIBELUNGEN, die sich so unglücklich über Langs ganzes späteres Schaffen gelegt hatten. M: das ist der einzige qualitative Sprung im Werk des Regisseurs, das sich doch sonst angestrengt und nicht selten quälend kontinuierlich entwickelt hatte.

Hier aber ist plötzlich, für den Augenblick der Realisation, jene Freiheit und Leichtigkeit erreicht, deren Abwesenheit früher so schmerzliche Folgen zeitigte.

Restlos wird wohl nie zu erklären sein, wie Lang es vermochte, sich von allem Vorher so abrupt zu lösen, um in einer Sternstunde der Filmgeschichte sein chef d' oeuvre zu schaffen. Die absolute Stilisierung und die Statik des Bildhaften waren sicher mit dem Stummfilm verbunden und gingen mit ihm dahin. Lang selbst hatte sich davon schon getrennt und bemüht, zu einem filmischen Erzählen zu gelangen, das wesentlich von der Kameraarbeit vermittelt und getragen wird.

Dazu tritt nun der Ton, den er nicht, wie oft noch zu dieser Zeit, als Mittel zur Illustration verkennt, sondern sofort zu einem wesentlich dynamisch-dramaturgischen Moment macht. Am deutlichsten wird das an den gekoppelten Bild- und Tonmontagen der zwei Beratungsversammlungen. Sätze, die in der Verbrechersitzung fallen, läppen in die nächste Sequenz über und werden dort von einem Gesprächspartner aufgegriffen und fortgesetzt. Damit gelingt es Lang nicht nur, die Gleichzeitigkeit beider Beratungen augenfällig zu machen, sondern darüber hinaus werden die Szenen auch thematisch bis in geringste Details kontrapunktisch aufeinander bezogen, damit die gleichlaufenden Bemühungen der beiden konträren Gruppen unmittelbare Sinnfälligkeit erlangen.

Auch die leitmotivisch wiederkehrende Griegsche Melodie, die der Mörder in den verschiedenen Stimmungen seines ruhigen, suchenden, gehetzten Ichs pfeift, akzentuiert eine unheimliche Gegenwärtigkeit, wie sie der Stummfilm nur durch dämonisierende Beleuchtungseffekte annähernd hätte heraufbeschwören können. Es würde zu weit führen, alle die Möglichkeiten und Fähigkeiten tonfilmischer Komposition, wie sie hier schon vorhanden sind, aufzuzählen. (M ist unter diesem Gesichtspunkt ein Kompendium dafür.)

Sicher ist, dass dieser Film nur zu diesem Zeitpunkt entstehen konnte. Noch waren alle Mittel der visuellen Erzählweise des Stummfilms gegenwärtig; kurz darauf gerieten sie in der Euphorie des Tons in Vergessenheit. Dazu trat Langs intuitive Aneignung des Tons und seiner reichen Entfaltungsmöglichkeiten. So wurde die Handlung weder auf pure Aktion ohne tieferen Motivationszusammenhang reduziert (DIE SPINNEN, DR. MABUSE, DER SPIELER), noch emanzipierte sich die Form und ergriff gebieterisch die Suprematie, indem sie die Handlungsmomente in sich aufsog (NIBELUNGEN). In M sind alle Widersprüche, die Langs Werk davor und danach auf weite Strecken so fragwürdig und allenfalls künstlich gelungen erscheinen liessen, versöhnt und aufgehoben. Ökonomie der verschiedenartigsten artifiziellen Mittel und psychologisch-realistische Glaubwürdigkeit der Handlung schiessen zu einem vollen, runden, in sich vibrierenden Ganzen zusammen. Damit war der Höhepunkt in Langs Schaffen erreicht.

Im Erscheinungsjahr von M (1931) hält Hitler eine Rede vor Ruhrindustriellen. Man sagt ihm kapitalkräftige Unterstützung zu. Was in den frühen Filmen Langs nur als dunkle Ahnung formuliert war, stand nun in Gestalt des faschistischen Führers vor der Tür. Hitler und Dr. Mabuse waren identisch. So kehrte Lang in seinem letzten Film, den er in Deutschland drehte, DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE, zur nihilistischen Hauptgestalt seiner Frühwerke zurück. 1933 fertiggestellt, gelangte das TESTAMENT nicht mehr in die Filmtheater. Dr. Mabuses Testamentsvollstrecker war schon zur Macht gelangt.

Trotz der politischen Aktualität, die Lang hier transparent zu machen versuchte, fehlt doch die Überzeugungskraft. Künstlerisch greift er weit in seine eigene Vergangenheit; in der Beschwörung des Irren Dr. Mabuse und seines hypnotischen Einflusses auf den Anstaltsarzt lebt die Welt Caligaris auf und in der Darstellung des "überwirklichen" sind Einflüsse frühester Schreckensfilme, etwa Murnaus NOSFERATU, abzulesen, die sich hier schon recht antiqiert ausnehmen. Abgesehen von einer ungeheuer eindringlichen Eingangssequenz, in der durch das pausenlose, zerreissend-laute Stampfen einer Falschgeldmaschine akustisch und optisch der Alpdruck einer permanenten Bedrohung evoziert wird, fehlt die Kraft und angespannte Nervosität des vorhergehenden M. Mit dieser Eingangssequenz hatte Lang ein letztes Mal das infernalische Ausmass der Angst und des Schreckens formuliert, das die heraufziehenden Schattenexistenzen bald über seine Heimat bringen sollten.       Wolfram Schütte
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Und wenn sie nicht gestorben sind _... von Fritz Lang

Mehr als dreissig Jahre lang habe ich als Drehbuchautor und Regisseur beim Film gearbeitet, und immer wieder hat man mich gefragt - wenn auch nicht immer in so präziser Formulierung: "Gibt es ein allgemeingültiges Rezept für die Komposition eines Films? Nach welchen Regeln muss die Spannung gesteigert werden? Welche Fabeln eignen sich besonders gut für den Film? Wo und wie soll man Dialoge unterbringen?" Jedesmal konnte ich darauf nur antworten: "Ich weiss es nicht."

Durch eine lange Kette von Erfahrungen, Erfolgen und Fehlschlägen habe ich einen gewissen Instinkt entwickelt, mit dem ich bisher gut gefahren bin und hoffentlich auch gut weiterkomme. Rezepte und starre Formeln scheinen mir Todfeinde der schöpferischen Kraft zu sein. Sofern sie überhaupt entwickelt werden, sind sie - auch in diesem Aufsatz - nur dazu da, immer wieder durchbrochen zu werden.

Ich möchte mich im Folgenden lediglich auf einen besonderen Punkt der Filmkomposition beschränken: auf die Frage des happy end.

Ein mir befreundeter, sehr welterfahrener Filmbesucher gestand mir einmal, er ginge niemals, wenn er es vermeiden könne, in einen Film mit unglücklichem Ausgang, und versicherte mir, die Mehrzahl seiner Bekannten handelte ebenso. Sein Geständnis bestürzte mich etwas. Ich hatte mir immer eingebildet, für mich sei die Frage nach dem Ende eines Filmes seit langem gelöst: mit der Binsenwahrheit, dass jeder Film so enden müsse, wie es zu ihm passt, und dass dieses Ende, wenn es nur wahrscheinlich ist, auch akzeptiert werden wird. Aber diese Weisheit erweist sich offenbar als unzureichend und bedeutungslos angesichts der Forderung des Publikums nach einer ganz bestimmten Form des Schlusses, ob er nun passt oder nicht. Als Filmregisseur und Produzent respektiere ich das Publikum, das meiner Ansicht nach auf der Leinwand wie im Leben allmählich strengere Massstäbe anlegt und höhere Ansprüche an die Wahrheit stellt. Aber zu dieser Wertschätzung des Publikums scheint die geradezu despotische Forderung nach dem Kitsch, zumindest oberflächlich betrachtet, genau im Gegensatz zu stehen.

Ich bin immer misstrauisch gegen Behauptungen über die Unzulänglichkeit des Publikums; denn sie lassen sich so bequem als Entschuldigung für nachlässige künstlerische Leistungen gebrauchen. Ich bin mir darüber klar, dass von Leuten, die es wissen müssen, immer wieder festgestellt worden ist, das Filmpublikum ziehe Filme mit happy end vor, und es scheint wirklich im allgemeinen zuzutreffen, dass Filme ohne happy end sich als Kassenerfolge mit denen nicht messen können, die von der Behauptung ausgehen, dass die Welt im Grunde wunderschön sei. Dennoch bestreite ich den übereilten Rückschluss, das unreife Publikum mit seiner Forderung nach Kitschfilmen mache die Herstellung wirklich guter Filme unmöglich. Ich habe den Verdacht, dass sich dahinter nur die Leute verbergen wollen, die selbst zu unreif sind, um hinter den Forderungen des Publikums seine eigentlichen Bedürfnisse zu erkennen und ihnen den Inhalt und die Form zu geben, die ihnen fehlt.

Das happy end hat sich in der Geschichte des Dramas verhältnismässig spät entwickelt und ist typisch für die westliche Zivilisation. Denn nur in einer Gesellschaft, in der es dem einzelnen möglich war, eine gewisse Würde zu erlangen und zum mindesten auf ein happy end in seinem eigenen Leben zu hoffen, konnte man sich auch an der Dramatisierung solcher Möglichkeiten erfreuen. Noch heute bevorzugen die Völker Asiens, vor allem Indiens, die tragischen Stoffe, in denen sie eine Katharsis finden, einen Reinigungsprozess, eine Befreiung von der allumfassenden Not ihres Lebens.

Das Leben innerhalb der westlichen Zivilisation, besonders in den Vereinigten Staaten, wo im allgemeinen Lebensmittel auf Wochen oder sogar Monate hinaus gesichert sind, wo Millionen einfacher Menschen bis zu einem gewissen Grade die Wahl haben, wie und wo sie leben wollen, wo zumindest ein verhältnismässig grosser Teil der Bevölkerung schimmernde Wunderdinge wie Badewannen, Automobile und Kühlschränke geniesst, muss einem chinesischen Bauern oder einem indischen Paria als unglaubwürdiges Phantasiegebilde erscheinen. Für den Durchschnittsamerikaner dieses Jahrhunderts, ob er nun in den Staaten geboren oder erst eingewandert ist, sind diese Dinge und Voraussetzungen zwar grossartig, aber keineswegs phantastisch. Für die Mehrheit der Bevölkerung liegt ein gutes und glückliches Leben durchaus im Bereich des Möglichen. Selbst Westeuropa bot bis zum letzten Krieg seinen Einwohnern grosse Hoffnungen für den einzelnen und für sehr viele die Aussicht auf einen geradezu märchenhaften Lebensabend. In einer Welt grösseren materiellen Komforts und erweiterter menschlicher Freiheiten, in der die Bedeutung des Individuums stärkstes Gewicht erhielt, ist es darum kein Wunder, dass die Menschen immer und immer wieder begeistert die alte Schlussformel des Märchens gelesen oder gehört haben: _... und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute."

Der erste Weltkrieg veränderte die Welt des Westens. In Europa stürzte eine ganze Generation von Intellektuellen in Verzweiflung. Auch in Amerika gingen viele Intellektuelle und Künstler in die Wüste und wetteiferten in Ausbrüchen des Pessimismus, überall in der Welt machten die Kulturschaffenden - ich gehörte selbst zu dieser Generation - die Tragödie zu ihrem Fetisch und rebellierten gegen die alten, abgegriffenen Lebensformen. Sie wechselten von der naiv-heiteren Problemlosigkeit des neunzehnten Jahrhunderts hinüber in das entgegengesetzte Extrem eines Pessimismus um seiner selbst willen. Doch selbst in Europa, wo ein neues Leben aus den Trümmern des alten aufgebaut wurde, wandte sich das Publikum schliesslich gegen diese Verzweiflung (man konnte es an den Kassenberichten ablesen) und mit widerwilligem Murren gaben die Künstler dem "schlechten Geschmack" des Publikums nach, während sie sehnsüchtige Blicke zurück in die dunkel verhangene Höhle warfen, in deren Schatten der neue "künstlerische" Geist gediehen war. Heute kommt mir dieser Kampf um das "unhappy end", an dem ich damals selber teilnahm, wie ein Kampf gegen Windmühlenflügel vor.

Nach Beendigung des zweiten und noch furchtbareren Weltkrieges proklamiert nun wiederum eine Generation junger Intellektueller das Schlagwort von der "künstlerischen" Verzweiflung. Und wieder wendet sich das Publikum in Europa wie in Amerika gegen sie. Man könnte vielleicht behaupten: da der Krieg das amerikanische Volk verhältnismässig unberührt liess, erscheint ihm in seiner Unschuld und Unreife die Zukunft reicher und hoffnungsvoller als je zuvor; es sei also ein sinnloser Optimismus, der die Amerikaner nach leichter und frivoler Filmkunst suchen liesse. Doch wenn ich auch zugeben will, dass Amerikas Kriegserfahrungen in keiner Weise mit denen Europas vergleichbar sind und dass der Mehrzahl der Amerikaner manches aus dem Kampf gegen den Faschismus verschwommen geblieben ist, so möchte ich doch bezweifeln, dass die Amerikaner heute an ein leichtes Leben glauben. Vor allzu kurzer Zeit erst haben sie Not und Massenarbeitslosigkeit erlebt und sehen heute in einer sogenannten "Blütezeit" ihre Ersparnisse in einer Art Inflation dahinschmelzen, in der Gewissheit, dass nicht noch einmal Millionen arbeitslos werden könnten. Ich glaube deshalb nicht, dass das amerikanische Volk naivoptimistisch ist, doch selbst wenn das der Fall wäre, wie steht es dann mit den Europäern, die ebenfalls Pessimismus und Verzweiflung ablehnen? Wollen die Menschen in ihrer elenden Lage der Wirklichkeit entfliehen? Suchen sie beruhigenden Zuspruch wie Kinder, die sich in Hunger und Schmerz von der Mutter trösten lassen?

Wir müssen etwas genauer hinsehen, wenn wir erkennen wollen, was das Publikum will und was es braucht, falls wir auf eine Verantwortlichkeit bedacht sind, die über das blosse Geschäft hinausgeht.

Ich glaube an künstlerische Umwälzungen. Wir brauchen neue Versuche und neue Formen, um unsere veränderte Umwelt widerzuspiegeln. Aber ich glaube nicht, dass Leute, die keinen Zucker vertragen können, nun unbedingt nach dem Gift greifen müssen. Wenn wir Augen und Ohren offen halten, werden wir vermutlich feststellen, dass unser Publikum, dem der Zucker nicht gerade übermässig bekommt, ihn jedenfalls für nahrhafter und gesünder als Arsen hält.

In der letzten Zeit sind Dutzende von Artikeln über Hollywoods Sorgen über die europäische und insbesondere die englische Konkurrenz geschrieben worden. Die zunehmende Beliebtheit englischer und europäischer Filme in den Vereinigten Staaten und überall in der Welt kann nicht übersehen werden. Finden die Menschen in diesen Filmen eine noch glücklichere Traumwelt? Die Antwort lautet offensichtlich: Nein. Doch ebensowenig finden sie darin eine allgemein negative Einstellung. Die meisten ausländischen Filme, die ich gesehen habe, erzählen die übliche Geschichte von dem Individuum, das mit den ihm gestellten Problemen fertig wird und dann glücklich weiterlebt. Es gibt Ausnahmen - vor allem Roberto Rosselinis Film "Rom, offene Stadt" -, doch von ihnen soll später die Rede sein.

Das Problem konzentriert sich für mich auf eine Frage der Auffassung, der positiven oder negativen Weltanschauung. Die klassische Tragödie war insofern negativ, als sie den Menschen als hilflosen Gefangenen seines Schicksals - das die Götter verkörperten - und dem Verderben ausgeliefert zeigte. Zu einer Zeit, da der Mensch vor der Natur winzig klein erschien, lag in dieser Auffassung eine Grösse, die dem Menschen selbst angesichts seiner fast unvermeidlichen Misserfolge noch einen Sinn für seine Würde gab. Die moderne Tragödie, die nicht mehr einen mystischen Glauben an das vorbestimmte Schicksal heraufbeschwören kann, ist allzu oft nur negativ; sie zeigt den Triumph des Bösen und die Verschwendung menschlichen Lebens aus nichtigen Gründen an nichtige Zwecke. Diese Negation lehnt das Publikum ab. Aber auch aus dem Bereich der klassischen Tragödie ist das moderne Publikum hinausgewachsen. Wieviel ungelöste Probleme die Erhaltung des Weltfriedens und die gleichmässige Verteilung der Schätze dieser Erde uns auch stellen - wir glauben doch daran, dass solche Probleme letzten Endes gelöst werden können, weil wir bereits die Lösung so vieler anderer Probleme erlebt haben. Solange wir an die Macht des Menschen glauben, können wir nicht annehmen, dass er vom Schicksal bezwungen wird.

Allerdings sind es nicht'die Intellektuellen, die an diese Kraft im Menschen glauben, sondern namenlose Millionen, die im bitteren Kampf des Alltags stehen und doch an eine unbestimmt glänzende, lebendige Zukunft glauben - sie wollen nicht wahrhaben, dass der Mensch für nichts und wieder nichts sterben sollte. Als der bekannte Hörspielautor Norman Corwin kürzlich auf einer Propagandareise für den Zusammenschluss der ganzen Welt Menschen aller Rassen und Nationen nach ihren Hoffnungen und Befürchtungen für die Zukunft fragte, erhielt er meist optimistische Antworten. Jemand sagte ihm sogar, die Atomenergie sei nicht die stärkste Macht der Welt, denn "der Mensch ist stärker!".

Welche Möglichkeiten haben wir nun als verantwortliche Filmschaffende? Die landläufige happy-end-Handlung ist die Geschichte des unbesiegbaren Helden, der spielend alle Probleme löst und alles erreicht, was sein Herz begehrt. Es ist die Geschichte vom Kampf des Guten gegen das Böse, über dessen Ausgang kein Zweifel besteht. Der junge Mann bekommt sein Mädchen, der Schurke die gerechte Strafe, und alle Träume werden wahr, wie unter einem Zauberstab. Das Publikum zieht eine solche Geschichte dem tragischen Film vor, und ich finde, es hat recht damit. Aber ich bin ausserdem überzeugt, dass hinter den Forderungen des Publikums ein echtes kulturelles Bedürfnis zu finden ist, das befriedigt werden muss. Die Aufgabe des Künstlers wird immer sein, auf den Wegen der kulturellen Entwicklung voranzuschreiten.

Ich erwähnte bereits einen italienischen Film, "Rom, offene Stadt", der einen grossen Erfolg ausserhalb Italiens hatte und der selbst in Amerika, obwohl nur eine begrenzte Anzahl von Kopien in den Verleih kam, über ein Jahr lang in verschiedenen grossen Städten lief. Niemand käme hier auf den Gedanken, ein traditionelles happy end zu verlangen. Das europäische Publikum würde einen Film einfach ablehnen, der den billigen Triumph einer Art Übermensch über die Kräfte des Faschismus zeigte. Europa besitzt zu diesem Thema seine eigenen Erfahrungen. Aber selbst ein amerikanisches Publikum würde sich eine solche Lösung des Problems nicht bieten lassen. Als ich im Jahre 1943 HANGMEN ALSO DIE ("Auch Henker müssen sterben") drehte, einen Film, der hauptsächlich für die Amerikaner bestimmt war, die damals noch so gut wie gar nichts von der Natur des Faschismus wussten - liess ich ihn damit enden, dass der antifaschistische Professor zusammen mit anderen tschechoslowakischen Geiseln zur Hinrichtung schreitet. Ich wollte den Amerikanern nicht weismachen, dass der Faschismus beim ersten Anhauch eines Widerstandes in sich zusammenfallen würde. Aber ich halte weder ROMA, CITTA APERTA noch HANGMEN ALSO DIE für Tragödien im Sinne der Negation oder der Verzweiflung. Beide zeigen den Menschen, der in sich selbst, im Gefühl seiner eigenen Würde, den Sieg davon trägt. Beide werfen gewaltige Probleme auf, aber mit der Aussicht auf eine Lösung durch den Mut des Menschen und seine Hingabe für die überlebenden. Der Mensch ist hier nicht einfach das Opfer des Schicksals, und er stirbt nicht umsonst.

Ich glaube, wir sind uns darüber einig, dass das Publikum kein landläufiges happy end verlangt, wenn es um die wirklich entscheidenden Fragen von Leben und Tod geht - um Krieg, Faschismus, Zusammenbruch - von denen Millionen berührt werden. William Wylers erfolgreicher Film THE BEST YEARS OF OUR LIVES ("Die besten Jahre unseres Lebens") ist aus diesem Grund von Menschen aller Schichten wegen seines Schlusses kritisiert worden; sie haben gespürt, dass er etwas Willkürliches an sich hatte. Ich glaube, dieser ausgezeichnete Film wäre unvergleichlich stärker gewesen, wenn die Geschichte der drei Heimkehrer mit der Erkenntnis ihrer Verpflichtung ausgeklungen wäre, für ein gutes Leben zu kämpfen, statt dass ihnen das gute Leben gleichsam in den Schoss geworfen wird. Das hätte ein durchdachtes und empfundenes happy end ergeben, und kein durch irgendwelche Wunder bewirktes "Ende gut, alles gut!"

Meiner Ansicht nach lässt sich die offensichtliche Vorliebe des Publikums für glückliche Lösungen besser als eine Vorliebe für positive Lösungen bezeichnen, als der Wunsch, die Berechtigung seiner Ideale und schliesslich die Verwirklichung seiner Hoffnungen gestaltet zu sehen. Der Tod eines Helden, der für ein allgemein anerkanntes Ideal stirbt, ist keine Tragödie. Der Tod eines Protagonisten, der gegen dieses Ideal gelebt hat, wirkt wie eine Bestätigung.

Die klassische Tragödie hatte in einer Gesellschaft, in der der einzelne Mensch auf wenig mehr als das Gefühl der eigenen Würde bauen konnte, mit der er den übermächtigen Kräften der Natur gegenüberstand, den Charakter einer Katharsis.

Das happy end, das man schon aus Legenden und Märchen kannte, wurde in dem Augenblick in das sogenannte realistische Drama der westlichen Kultur aufgenommen, als der Mensch nach Jahrhunderten bitteren Ringens erkannte, dass sein Kampf gegen die Natur gewonnen werden konnte. Vor dem ersten Weltkrieg war das happy end gewöhnlich nichts anderes als die naive Darstellung des ganz unausbleiblichen Sieges der Tugend. Nach dem ersten Weltkrieg neigten die Menschen, unter Ablehnung der intellektuellen Verzweiflungssucht, mehr und mehr zu einem nicht unbedingt glücklichen, doch positiven Schluss, in dem die Tugend im Kampf den Sieg erringt. Nach dem zweiten Weltkrieg hat sich diese Tendenz im Geschmack des amerikanischen und europäischen Publikums noch deutlicher herausgebildet.

Amerikaner und Europäer klammern sich heute hartnäckig an den Glauben, dass ihre Probleme irgendwie gelöst werden können. Die einzelnen Nationen unterscheiden sich nur in dem Qualitätsanspruch dieses Glaubens. Diesen Unterschied müssen unsere Filme erfassen. Sie müssen sich die grössere Reife zu eigen machen, die in dem Glauben zum Ausdruck kommt, dass sich die Zukunft nicht von selbst erfüllt, sondern errungen werden muss.
(Zuerst erschienen in: Der Monat, Berlin, 1949)
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Filmographie Fritz Lang

DIE HOCHZEIT IM EXZENTRIKKLUB, 1917; Buch: Fritz Land; Regie: Joe May; Kamera: Carl Hoffmann
HILDE WARREN UND DER TOD, 1917 (Joe Debbs-Serie); Buch: Fritz Lang; Regie: Joe May; Darsteller; Mia May.
DIE PEST IN FLORENZ, 1919 Decla-Bioskop; Buch; Fritz Lang; Regie: Otto Rippert; Kamera: Carl Hoffmann; Bauten: Hermann Warm, Jaffé; Darsteller: Marga Kierska
DIE FRAU MIT DEN ORCHIDEEN, 1919, Decla-Bioskop; Buch: Fritz Lang; Regie: Otto Rippert; Kamera: Carl Hoffmann; Darsteller: Werner Krauss.
HALBBLUT, 1919, Decla-Bioskop; Buch und Regie: Fritz Lang; Kamera: Carl Hoffmann; Darsteller: Ressel Orla, Carl de Vogt, Gilda Lange.
DER HERR DER LIEBE, 1919, Decla-Bioskop: Helios; Buch: Oskar Koffler; Regle: Fritz Lang; Kamera: Emil Schünemann; Darsteller: Carl de Vogt, Gilda Lange; Erika Unruh, Fritz Lang.
DER GOLDENE SEE (DIE SPINNEN, Teil 1), Okt. 1919, Decla-Bioskop, 81 Min.; Buch und Regie: Fritz Lang; Kamera: Fritz Schünemann; Bauten: Otto Hunte, Carl Kirmse; Darsteller: Carl de Vogt, Ressel Orla, Lil Dagover, Paul Morgan, Georg John, Bruno Lettinger, Paul Biensfeldt, Friedrich Kühne.
HARAKIRI, Dez. 1919, Decla-Bioskop; Buch: Max Jungk; Regie: Fritz Lang; Kamera: Carl Hoffmann; Darsteller: Lil Dagover, Niels Prien, Loni Nest.
DAS BRILLANTENSCHIFF (DIE SPINNEN, Teil 2), Febr. 1920, Decla-Bioskop, 69 Min.; Buch und Regie: Fritz Lang; Kamera: Karl Freund; Darsteller: wie bei DER GOLDENE SEE.
DAS WANDERNDE BILD, 1920, Joe May Co.; Buch: Fritz Lang und Thea von Harbou; Regie: Fritz Lang; Darsteller: Mia May, Hans Marr.
VIER UM DIE FRAU, 1921, Decla-Bioskop; Buch: Fritz Lang und Thea von Harbou; Regie: Fritz Lang; Darsteller: Rudolf Klein-Rogge, Carola Toelle.
DIE SENDUNG DES YOGI, 1921, Joe May Co.; Buch: Fritz Lang und Thea von Harbou; Regie: Joe May; Darsteller: Mia May, Conrad Veidt, Lya de Putti, Olaf Fönss, Bernhard Goetzke, Paul Richter.
DER MÜDE TOD, Okt. 1921, Decla-Bioskop, Drehzeit 9 Wochen; Buch: Fritz Lang und Thea von Harbou; Regie: Fritz Lang; Kamera: Fritz Arno Wagner, Erich Nietzschmann, Hermann Salfran; Bauten: Robert Herlth, Walter Röhrig, Hermann Warm; Darsteller: Lil Dagover, Bernhard Goetzke, Walter Janssen, Rudolf Klein-Rogge
DR. MABUSE, DER SPIELER, Mai 1922, Ullstein-Uco-Ufa, 95 Min.; Buch: Fritz Lang und Thea von Harbou nach dem Roman von N, Jacques; Kamera: Carl Hoffmann; Bauten: Otto Hunte, Stahl-Urach; Regie: Fritz Lang; Darsteller: Rudolf Klein-Rogge, Alfred Abel, Aud Egede Nissen, Gertrude Welcker, Bernhard Goetzke, Lil Dagover, Paul Richter, Forster Lurinaga, Hans Adalbert von Schlettow, Georg John, Karl Huszar, Greta Berger, Julius Falkenstein, Lydia Potechina, Anita Berber, Adele Sandrock, Max Adalbert, Paul Biensfeldt, Hans J. Junkermann, Auguste Prasch-Grevenberg, Karl Platen.
INFERNO (DR. MABUSE, Teil 2), Juni 1922, Ullstein-Uco-Ufa, 100 Min.; wie: DR. MABUSE, DER SPIELER.
DIE NIBELUNGEN: SIEGFRIEDS TOD, Febr. 1924, Ufa; Buch: Fritz Lang und Thea von Harbou; Regie: Fritz Lang; Kamera: Carl Hoffmann, Günther Rittau; Falkentraum: Walter Ruttmann; Bauten: Otto Hunte, Erich Kettelhut, Karl Vollbrecht; Kostüme: Paul Gerd Guderian; Musik: Gottfried Huppertz; Darsteller: Paul Richter, Margaret Schön, Hanna Ralph, Bernhard Goetzke, Theodor Loos, Hans Adalbert von Schlettow, Georg John, Gertrude Arnold, Rudolf Klein-Rogge.
DIE NIBELUNGEN: KRIEMHILDS RACHE, Sept. 1924, Ufa; wie: SIEGFRIEDS TOD; Drehzeit: 16 Wochen.
METROPOLIS, Jan. 1927, Ufa; Buch: Fritz Lang und Thea von Harbou; Regie: Fritz Lang; Kamera: Karl Freund, Günther Rittau; Bauten: Otto Hunte, Erich Kettelhut, Karl Vollbrecht; Musik: Gottfried Huppertz; Darsteller: Brigitte Helm, Alfred Abel, Gustav Froehlich, Rudolf Klein-Rogge, Heinrich George, Fritz Rasp.
SPIONE, März 1928, Fritz Lang-Film GmbH - Ufa; Buch: Fritz Lang und Thea von Harbou; Regie: Fritz Lang; Bauten: Otto Hunte, Karl Vollbrecht; Kamera: Fritz Arno Wagner; Musik: Werner R. Heymann; Darsteller: Lyen Deyers, Gerda Maurus, Grete Berger, Hertha von Walther, Willy Fritsch, Rudolf Klein-Rogge, Lupu Pick, Fritz Rasp, Paul Hörbiger, Craighall Sherry.
FRAU IM MOND, Dez. 1929, Fritz Lang-Film GmbH - Ufa, 150 Min.; Buch: Fritz Lang und Thea von Harbou; Regie: Fritz Lang; Bauten: Emil Hasler, Otto Hunte, Karl Vollbrecht; Kamera: Kurt Kourant, Oskar Fischinger, Otto Kanturek; Tricks: Konstantin Tschetwerikoff; Musik: Willy Schmidt-Gentner; Darsteller: Gerda Maurus, Willy Fritsch, Fritz Rasp, Gustav von Wangenheim, Klaus Pohl, Gustl Stark-Gstettenbaur.
M, Mai 1931, Nero-Film; Buch: Fritz Lang, Thea von Harbou, Paul Falkenberg, Adolf Jang, Karl Vash (nach einem Artikel von Egon Jacobson); Regie: Fritz Lang; Schnitt: Paul Falkenberg; Kamera: Fritz Arno Wagner, Assistent: Karl Vash; Bauten: Emil Hasler, Karl Vollbrecht; Darsteller: Peter Lorre, Otto Wernicke, Gustaf Gründgens, Theo Lingen, Theodor Loos, Georg John, Ellen Widmann, Fritz Gnass, Fritz Odemar, Paul Kemp, Ernst Stahl-Nachbaur, Karl Platen, Gerhard Bienert, Rosa Valetti.
DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE, Nero-Film; Buch: Fritz Lang und Thea von Harbou; Regie: Fritz Lang; Kamera: Fritz Arno Wagner; Bauten: Karl Vollbrecht, Emil Hasler; Darsteller: a) deutsche Version: Rudolf Klein-Rogge, Otto Wernicke, Gustav Diessl, Oscar Beregi, Vera Liessen, Camilla Spira, Karl Meixner; b) französische Version: Rudolf Klein-Rogge, Jim Gerald, Thomy Bourdelle, Maurice Maillot, Monique Rolland, René Ferte, Daniel Mendaille, Raymond Cordy, Ginette Gaubert, Karl Meixner.
[Der folgende Teil wurde aus Heft 45 übernommen. ]
LILIOM (Liliom), 1933, S.A.F. Fox Film; Produktion: Erich Pommer; Buch: Fritz Lang und Robert Liebmann nach dem Stück von Ferenc Molnar-, Dialoge: Bernard Zimmer; Kamera: Rudolph Maté, Louis Née; Bauten: Paul Colin, René Renoux; Musik: Jean Lenoir, Franz Waxman; Darsteller: Charles Boyer, Madeleine Ozeray, Florelle, Robert Arnoux, Rotand Toutain, Alexandre Rignault, Henri Richaud, Richard Darencey, Antonin Artaud, Maxamilienne, Mimmi Funès, Viviane Romance, Mila Peréely; Drehzeit: 8 Wochen.
FURY, 1936, MGM, 90 Min.; Produktion: Joseph L. Mankiewicz; Buch: Fritz Lang und Bartlett Corrnack nach einem Sujet von Norman Krasna; Regie: Fritz Lang; Kamera: Joseph Ruttenberg; Musik: Franz Waxman; Bauten: Cedric Gibbons, William A. Horning, Edwin B. Willis; Darsteller: Spencer Tracy, Sylvia Sidney, Walter Abel, Edward Ellis, Bruce Cabot, Walter Brennan, George Walcott, Frank Albertson, Arthur Stone, Morgan Wallace, George Chandler, Roger Gray, Edwin Maxwell, Howard Hickman, Jonathan Haie, Leila Bennett, Esther Dale, Helen Flint.
YOU ONLY LIVE ONCE (Gehetzt), 1936, Walter Wanger-United Artists; 86 Min.; Produktion: Walter Wanger; Buch: Graham Baker nach einem Sujet von Gene Towne; Kamera: Leon Shamroy; Musik: Alfred Newman; Bauten: Louis Alter, Paul Webster; Darsteller: Henry Fonda, Sylvia Sidney, Barton McLane, Jean Dixon, William Gargan, Guinn Williams, Chic Sale, Margaret Hamilton, Warren Hymer, John Wray, Walter De Palma, Jonathan Haie, Ward Bond, Wade Botcher, Henry Taylor, Jean Stoddard, Ben Hall; Drehzeit: 7 Wochen.
YOU AND ME, 1938, Paramount; 90 Min.; Produktion: Fritz Lang; Buch: Virginia Van Upp nach einem Sujet von Norman Krasna; Kamera: Charles Lang jr.; Musik: Kurt Weil; Darsteller: George Raft, Sylvia Sidney, Robert Cummings, Roscoe Karns, Barton McLane, Harry Carey, George E. Stone, Warren Hymer, Guinn Williams, Carol Page, Bernadette Hayes, Egon Brecher, Paul Newlan, Harlan Briggs, Joyce Compton, Bianca Vischer, Hetra Lynd, Jimmy Dundee, Terry Raye, William Robertson, Sheila Darey, Margaret Randall, Jack Mulhall, Sam Ash, Ruth Rogers, Julia Fae, Arthur Hoyt, Cecil Cunningham, Roger Grey, Adrian Morris, Joe Grey, Jack Pemnick, Kit Girard, Fein Emmet, Man Barrayn, James McNamara; Drehzeit: 6 Wochen.
THE RETURN OF FRANK JAMES (Rache für Jesse James), 1940, 22th Century Fox; 92 Min.; Produktion: Kenneth MacGowan; Buch: Sam Hoffman; Kamera: George Barnes, William V. Skall (Technicolor); Musik: David Buttolph; Bauten: Thomas Little; Darsteller: Henry Fonda, Gene Tierney, Jackie Cooper, Henry Huil, John Carradine, J. Edward Bromberg, Donald Meek, Eddie Collins, George Barbier, Ernest Whitman, Charles Tannen, Lloyd Corrigan, Rüssel Hicks, Victor Lilian, Edward McWade, George Chandler, Irving Bacon, Louis Mason, Stynnie Beard, William Pawley, Frank Sully, Davidson Clark; Drehzeit: 7 Wochen.
WESTERN UNION (Oberfall der Ogalalla), 1940, 20th Century Fox, 95 Min.; Produktion: Harry Joe Brown; Buch: Robert Crason nach dem Roman von Zane Grey; Kamera: Edward Cronjager, Assistent: Allen M. Davey (Technicolor); Musik: David Buttolph; Bauten: Thomas Little; Kostüme: Travis Banton; Darsteller: Robert Young, Randolph Scott, Virginia Gilmore, John Carradine, Slim Summerville, J. Edward Bromberg, Chili Wills, Barton McLane, Russel Hicks, Victor Kilian, Minor Watson, George Chandler; Drehzeit: 8 Wochen.
MAN HUNT (Menschenjagd), 1941, 20th Century Fox, 95 Min.; Produktion: Kenneth Mac Gowan; Buch: Dudley Nichols nach dem Roman "Rouge Male" von Geoffrey Household; Kamera: Arthur Miller; Musik: Alfred Newman; Bauten: Thomas Little; Darsteller: Walter Pidgeon, Joan Bennett, George Sanders, John Carradine, Roddy MacDowall, Ludwig Stossel, Hertlin Thatcher, Lester Matthews, Frederik Walock, Roger Inhof, Egon Brecher, Lesner Hubart, Eily Malyon, Anne Frey, Frederik Vogedink, Lucien Prival, H. Evans, Keith Hitchcock.
CONFIRM OR DENY, 1941, 20th Century Fox; Regie: Fritz Lang, dann Archie Mayo, der auch für den Film verantwortlich zeichnet; Buch: Jo Swerling, nach Henry Wales und Samuel Fuller; Darsteller: Dom Amecho, Joan Bennett.
HANGMEN ALSO DIE, 1942, Arnold Prod.-United Artists, 140 Min.; Produktion: Fritz Lang, Arnold Pressburger; Buch: John Wexley, in Zusammenarbeit mit Bert Brecht und Fritz Lang, nach einem Sujet von Bert Brecht und Fritz Lang; Kamera: James Wong Howe; Musik: Hanns Eisler; Bauten: William Darling; Darsteller: Brian Donlevy, Joan Bennett, Walter Brennan, Gene Lockhart, Dennis O'Keefe, Hans von Twardowsky, Alexander Granach, Nana Bryant, Billy Roy, Margaret Wycherly, Tonio Seiwart, Louis Donath, Arno Frey, Sarah Padden, Jonathan Haie, Byron Foulger, Edmund Mac Donald, Lionel Stander, Lester Sharpe, Arthur Loft, George Living, Leonard Schünzel, Philip Merivale; Drehzeit: 7 Wochen.
THE MINISTRY OF FEAR, 1943, Paramount, 85 Min.; Produktion und Buch: Seton I. Miller nach dem Roman von Graham Greene; Kamera: Henry Sharp; Musik: Viktor Young; Bauten: Hans T. Dreier, Hai Pereira; Darsteller: Ray Milland, Marjorie Raynolds, Carl Esmond, Dan Duryea, Hillary Brooke, Percy Waram, Alan Napier, Erskine Sanford, Eustace Wyatt; Drehzeit: 7 Wochen.
THE WOMAN IN THE WINDOW (Gefährliche Begegnung), 1944, International Pictures - Christie Corp. - Radio Keith Orpheum, 99 Min.; Produktion und Buch: Nunnatly Johnson nach dem Roman "Once Off Guard" von J. H. Wallis; Kamera: Milton Krasner; Musik: Arthur Lange; Bauten: Julia Heron; Darsteller: Edward G. Robinson, Joan Bennett, Dan Duryea, Raymond Massey, Edmond Breon, Thomas Jackson, Dorothy Peterson, Arthur Loft, Frank Dawson.
SCARLET STREET (Strasse der Versuchung), 1945, Diana Production - Universal, 102 Min.; Produktion: Fritz Lang (Gründer u. Präsident der Diana, zusammen mit Walter Wanger und Joan Bennett); Buch: Dudley Nichols nach dem Roman "La Chienne" von Georges de la Fouchardière et Moueyz-Eon (Remake des Renoir-Films von 1931); Kamera: Milton Krasner, John P. Fulton; Musik: Hans J. Salter; Bauten: Alexander Golitzen; Darsteller: Edward G. Robinson, Joan Bennett, Dan Duryea, Margaret Lindsay, Vladimir Sokoloff, Rosalind Ivan; Drehzeit: 8 Wochen.
CLOAK AND DAGGER (Im Geheimdienst), 1946, United States Pic. - Warner Bros. Pic, 106 Min.; Produktion: Milton Sperling; Buch: Albert Matz und Ring Lardner Jr. nach einem Sujet von Boris Ingster und John Larkin, nach Motiven des Romans von Corey Ford und Alastair Mac Bain; Kamera: Sol Polito; Musik: Max Steiner; Bauten: Walter Tilford; Schnitt: Christian Nyby; Darsteller: Gary Cooper, Lill Palmer, Robert Alda, Vladimir Sokoloff, Rosalind Lyons, J. Edward Bromberg, Marjorie Hoschelle, Helene Thimig.
SECRET BEYOND THE DOOR, 1946, Diana Production - Universal, 98 Min.; Produktion: Fritz Lang; Buch: Silvia Richards nach der Novelle "Museum Piece Nr. 13" von Rufus King; Kamera: Stanley Cortez; Musik: Miklos Rosza; Bauten: Russell A. Gausman, John Austin; Darsteller: Joan Bennett, Michael Redgrave, Anne Revere, Barbara O'Neill, Celia Moore, Natalie Schafer, Paul Cavanagh, Rosa Rey, James Seay, Mark Dennis; Drehzeit: 9 Wochen.
HOUSE BY THE RIVER, 1949, Fidelity Pic. - Republic. 88 Min.; Produktion: Howard Welsch; Buch: Mel Dinelli nach einem Sujet von A. P. Herbert; Kamera: Edward Cronjager; Musik: R. Dale Butts; Bauten: John McCarthy Jr., Charles Thompson; Darsteller: Louis Hayward, Jane Wyatt, Lee Bowman, Dorothy Patrick, Ann Schoemaker, Jody Gilbert, Peter Brocco, Howland Chamberlain, Sarah Padden, Kathleen Freeman, Will Wright, Leslie Kimmeil, Effie Laird, Margaret Seddon; Drehzeit: 6 Wochen.
AMERICAN GUERRILLA IN THE PHILIPPINES (Der Held von Mindanao), 1950, 20th Century Fox, 105 Min.; Produktion und Buch: Lamar Trotti nach dem Roman von Ira Wolfert; Co-Regie: Robert D. Webb; Kamera: Harry Jackson (Technicolor); Musik: Cyril Mockridge; Bauten: Thomas Little, Stuart Reiss; Schnitt: Robert Simpson; Darsteller: Tyrone Power, Micheline Presle, Bob Patten, Tommy Cook, Juan Torena, Jack Elam, Carleton Young, Tom Ewell, Robert Barrat, Chris de Vera, Miguel Azures, Eddie Infante, Erlinda Cortez, Rosa del Rosario, Haty Ruby; Drehzeit: 8 Wochen.
RANCHO NOTORIOUS (Engel der Gejagten), 1951, Fidelity Pic. - Radio Keith Orpheum; 89 Min.; Produktion: Howard Welsch; Buch: Daniel Taradash nach der Novelle von Sylvia Richards "Gunshift Whitman"; Kamera: Hai Mohr (Technicolor); Musik: Emil Newman; Bauten: Robert Priestley; Schnitt: Otto Ludwig; Darsteller: Marlene Dietrich, Arthur Kennedy, Mel Ferrer, Gloria Henry, William Frawley, Lisa Ferraday, John Raven, Jack Elam, George Reeves, Frank Ferguson, Francis MacDonald, Dan Seymour, John Kellogg, Rodric Redrung, Stuart Randall, Roger Anderson, Chris Gonzales, Felipe Turich, Lloyd Gough, Jose Dominguez, Stan Jolley, John Doucette; ursprünglicher Titel: Chuck-A-Luck.
CLASH BY NIGHT (Vor dem neuen Tag), 1951, Jerry Wald und Norman Krasna - R.K.O., 105 Min.; Produktion: Harriet Parsons; Buch: Alfred Hayes nach dem Bühnenstück von Clifford Odets; Kamera: Nicholas Musuraca; Musik: Roy Webb; Bauten: Albert S. d' Agostino; Schnitt: George Amy; Darsteller: Barbara Stanwyck, Robert Ryan, Paul Douglas, Marilyn Monroe, Keith Andes, John Caroll-Naish; Drehzeit: 5 Wochen.
THE BLUE GARDENIA (Gardenia, eine Frau will vergessen), 1952, Blue Gardenia Corp. - Gloria Films - Warner Bros. Pic, 90 Min.; Produktion: Alex Gottlieb; Buch: Charles Hoffman nach einem Sujet von Vera Caspary; Kamera: Nicholas Musuraca; Musik: Raoul Kraushaar; Bauten: Daniel Hall; Schnitt: Edward Mann; Darsteller: Anne Baxter, Richard Conte, Ann Sothern, Raymond Surr, Jeff Donnell, Richard Erdman, George Reeves, Ruth Storey, Ray Walker, Nat "King" Cole; Drehzeit: 4 Wochen.
THE BIG HEAT (Heisses Eisen), 1953, Columbia, 90 Min.; Produktion: Robert Arthur; Buch: Sidney Boehm nach dem Roman von William P. McGivern; Kamera: Charles Lang Jr.; Musik: Daniele Amfitheatrof; Bauten: William Kiernan; Darsteller: Glenn Ford, Gloria Grahame, Jocelyn Brandon, Lee Marvin, Alexander Scourby, Jeanette Nolan, Peter Whitney, Willis Bouchey, Robert Burton, Adam Williams, Howard Wendell, Cris Alcaide, Michael Granger, Dorothy Green, Carolyn Jones, Roc Roman, Dan Seymour, Edith Evanson; Drehzeit: 5 Wochen.
HUMAN DESIRE (Lebensgier), 1954, Columbia, 90 Min.; Produktion: Lewis J. Rachmil; Buch: Alfred Hayes nach dem Roman "La Bete humaine" von Emile Zola (Remake des Renoir-Films von 1938); Kamera: Burnett Guffey; Musik: Daniele Amfitheatrof; Bauten: William Kiernan; Darsteller: Glenn Ford, Gloria Grahame, Broderick Crawford, Edgar Buchanan, Kathleen Case, Peggy Maley, Diane Delaire, Grandon Rhodes, Dan Seymour, John Pickard, Paul Brinegar, Dan Riss, Victor Hugo Greene, John Zaremba, Carl Lee, Olan Soule; Drehzeit: 6 Wochen; ursprünglicher Titel: The Human Beast.
MOONFLEET (Schloss im Schatten), 1954, MGM, 89 Min.; Produktion: John Houseman; Buch: Jan Lustig und Margaret Fitts nach dem Roman von John Meade Falkner; Kamera: Robert Planck (Cinemascope, Eastmancolor); Musik: Miklos Rozsa; Bauten: Edwin B. Willis, Pefferle; Schnitt: Albert Akst; Darsteller: Stewart Granger, George Sanders, Joan Greenwood, Viveca Lindfors, Jon Whiteley, Liliane Montevecchi, Sean McCIory, Melviile Cooper, Alan Napier, John Hoyt, Donna Corcoran, Jack Elam, Dan Seymour, lan Wolfe, Lester Matthews, Skelton Knaggs, Richard Haie, John Alderson, Ashley Cowan, Frank Ferguson, Booth Colman, Peggy Male; Drehzeit: 6 Wochen; erhielt den Prix de la Nouvelle Critique Frangaise 1960 als bester ausländischer Film.
WHILE THE CITY SLEEPS (Die Bestie), 1955, Thor Production - R.K.O. 100 Min.; Produktion: Bert E. Friedlob; Buch: Casey Robinson nach dem Roman "The Bloody Sur" von Charles Epstein; Kamera: Ernest Laszlo (vorgeführt in Superscope); Musik: Herschel Burke Gilbert; Bauten: Jack Mills; Schnitt: Verna Fields; Darsteller: Dana Andrews, Rhonda Fleming, Ida Lupino, George Sanders, Sally Forrest, Thomas Mitchell, Vincent Price,. Howard Duff, James Craig, John Barrymore Jr., Vladimir Sokoloff, Robert Warwick, Andrew Lupino, Mae Marsh; Drehzeit: 5 Wochen; ursprünglicher Titel: News Is Made At Night.
BEYOND A REASONABLE DOUBT (Jenseits allen Zweifels), 1956, R.K.O., 89 Min.; Produktion: Bert E. Friedlob; Buch: Douglas Morrow; Kamera: William Snyder (RKOScope); Musik: Herschel Burke Gilbert; Bauten: Darrell Sivera; Darsteller: Dana Andrews, Joan Fontaine, Sidney Blackmer, Phil Bourneuf, Barbara Nichols, Shepperd Strudwick, Arthur Franz, Robin Raymond, Edward Binns, William Leicester, Dan Seymour, Rusty Lane; Drehzeit: 5 Wochen.
DER TIGER VON ESCHNAPUR, 1958, C.C.C.-Film - Arthur Brauner - Regina Films - Criterion Films - Rizzoli Films, 97 Min.; Produktion: Louis de Masure, Eberhard Wischniewski; Buch: Werner Jörg Lüddecke nach dem Roman von Thea von Harbou (Remake des Films von Joe May von 1921); Kamera: Richard Angst (Eastmancolor); Musik: Michel Michelet; Bauten: Willi Schatz, Helmut Nentwig; Schnitt: Walter Wischniewski; Darsteller: Debra Paget, Paul Hubschmid, Walter Reyer, Claus Holm, Sabine Bethmann, Luciana Paoluzzi, René Deltgen, Jochen Brockmann, Valery Inkijinoff, Richard Lauffen, Jochen Blume, Helmut Hildebrand, Panos Papadopoulos; Drehzeit: 5 Woahen.
DAS INDISCHE GRABMAL, 1958, C.C.C. - Arthur Brauner - Regina Films - Criterion Films - Rizzoli Films, 101 Min.; Produktion: Louis de Masure, Walter Wischniewski; Buch: Werner Jörg Lüddecke; Kamera: Richard Angst (Eastmancolor); Musik: Gerhard Becker; Bauten: Willi Schatz, Helmut Nentwig; Schnitt: Walter Wischniewski; Darsteller: wie bei DER TIGER VON ESCHNAPUR; Drehzeit: 6 Wochen.
DIE 1000 AUGEN DES DR. MABUSE, 1960, C.C.C. Film GmbH; Produktion: Arthur Brauner; Buch: Fritz Lang, Heinz Oskar Wuttig nach einer Idee von Jan Fetge; Kamera: Karl Loeb; Musik: Bert Grund; Schnitt: Walter Wischniewski; Darsteller: Dawn Addams, Peter van Eyck, Wolfgang Preiss, Gert Fröbe, Werner Peters, Andrea Checchi, Howard Vernon, Nico Pepe, David Cameron, Jean-Jacques Delbo, Marieluise Nagel, Werner Buttler, Reinhard Koldekoff.
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Jean Luc Godard

Frage: Ist LE MEPRIS der erste Film, den Sie nach einem Roman drehen?

Godard: Ich brauche immer eine Geschichte, muss sie aber ausschmücken können, muss versuchen können, ihre Personen lebendig werden zu lassen. Ich brauche eine Stütze. A BOUT DE SOUFFLE wurde nach einem Originalszenario gedreht; für LE MEPRIS habe ich diese Stütze in einem Roman gefunden. Was ich nun hinzugefügt habe, das ist der filmische Aspekt: die Geschichte der Menschen, die sich untereinander beobachten und die noch dazu durch den Film, an dem sie beteiligt sind, beobachtet werden. Dieser Aspekt in LE MEPRIS ist sehr wichtig. Aber wie ich diese Stütze brauche, so brauche ich auch Schauspieler. Ein Laiendarsteller, wie etwa bei Bresson, nützt mir nichts. Ich brauche Menschen, deren Beruf es ist, Schauspieler zu sein _... Mich interessiert bei einem Schauspieler vor allem seine unprofessionelle, seine natürliche, lebendige, alltägliche Seite. Sein Können als Schauspieler ist mir nützlich, aber ich liebe es, den schwachen Punkt seines Panzers zu entdecken, den Moment also, in dem er aufhört zu spielen. Umgekehrt interessiert mich bei einem Laiendarsteller die schauspielerische Seite. Ich nehme häufig Laien; aber dann Menschen, die ein wenig anders sind, Menschen also, von denen man sagt: das ist eine Persönlichkeit.

Frage: Man hat gesagt, dass A BOUT DE SOUFFLE ein Dokumentarfilm über Belmondo und Jean Seberg sei.

Godard: Das könnte ich von allen meinen Schauspielern sagen. Meine Filme sind Dokumentarfilme über einen gewissen Schauspieler in einer gewissen Situation.

Frage: Was tun Sie, wenn der Schauspieler von der Szene, die er spielen soll, eine andere Konzeption als Sie hat?

Godard: Alles ergibt sich. Wenn ich eine andere Art der Interpretation vorziehe, dann sage ich es ihm. Doch alles hängt vom Schauspieler ab: der eine spielt besser, wenn ich ihm jede Freiheit lasse, der andere weniger gut. Alles hängt auch vom Sujet ab. UNE FEMME EST UNE FEMME war, was die Darstellung anbetraf, übertrieben sorgfältig ausgearbeitet: wie in der Commedia dell' Arte paradierten Harlekin und Columbine, genau festgelegte Gesten nachvollziehend.

Frage: Schaffen Sie Ihre Personen erst während der Dreharbeiten?

Godard: Ich kenne zunächst den Darsteller nicht. Ich weiss zwar, was er machen soll; aber erst zusammen mit ihm gebe ich dann der darzustellenden Person den charakteristischen Stil dieses Schauspielers. Die Personen in LE MEPRIS hätten von vielen verschiedenen Darstellern gespielt werden können: aber wenn die Schauspieler einmal ausgewählt sind, wenn ich nun einmal Brigitte Bardot anstelle von Kim Novak und Michel Piccoli anstelle von Frank Sinatra habe, dann richte ich mich nach ihren Möglichkeiten. Bardot: das bedeutet, dass man nicht versuchen darf, sie wie Nathalie Wood oder Simone Signoret spielen zu lassen. Man muss sie eben nehmen wie sie ist, versuchen herauszubekommen, was gut bei ihr ist und dieses wahrhaftig und glaubwürdig darstellen.

Frage: Welche anderen Probleme kommen auf Sie zu, wenn Sie einen Film drehen?

Godard: Man stellt im Anfang immer Erwägungen über das Bild, die Farbe, das Format an, ob man in 16 mm oder 35 mm drehen soll. Ich persönlich versuche, diese Erwägungen vom Sujet abhängig zu machen. Ich bin keinesfalls gegen Rouch und für Eisenstein oder gegen Eisenstein und für Rouch. OKTOBER ist am schönsten von Eisenstein, und MOI UN NOIR am schönsten von Rouch gemacht worden. Wahrscheinlich kommt das daher, dass ich Kritiker war, dass ich gelernt habe, kein Sektierer zu sein. Es ist nicht so, dass ich gegen Rembrandt bin, weil ich Renoir liebe, dass ich gegen Homer bin, weil ich Proust liebe. Und so war ich bei LE MEPRIS zufrieden, in Scope, Farbe und mit Brigitte Bardot drehen zu können. Sie hat es mir ermöglicht, diesen Film zu drehen. Ich habe Ihnen schon gesagt: ich wollte grosse amerikanische Schauspieler, Kim Novak und Frank Sinatra - aber das war nicht möglich. Der Produzent, Carlo Ponti, zog nicht mit oder wollte nicht mitziehen. Er hat mir seine Frau, Sophia Loren, und Mastroianni vorgeschlagen, was ich mir vielleicht für andere Filme sehnsüchtig gewünscht hätte, aber nicht für diesen. Es war noch nichts entschieden. Dann, eines Tages, liess die Bardot mich wissen, dass sie den Roman kenne. Und wenn ich den Film mit ihr drehen wolle, sei sie dazu gerne bereit. Tatsächlich hatte ich für LE MEPRIS niemals an sie gedacht; aber da sie nun einmal mit mir arbeiten wollte, hat sie den Film auch sehr beeinflusst. Ich hatte mir schon seit langer Zeit gewünscht, mit ihr zu drehen, aber den Wunsch dann wieder fallen gelassen, weil die Bardot so geworden war, wie sie nun ist. Meiner Ansicht nach, und das habe ich ihr auch gesagt, sollte sie jetzt die Rollen spielen, die man Jeanne Moreau gibt, die der jungen Frauen von 29 oder 30 Jahren, übrigens hatte ich die Moreau für LE MEPRIS in Betracht gezogen. JULES ET JIM, so gut der Film mit Jeanne Moreau war, wäre noch grossartiger mit der Bardot geworden.

Frage: Haben Sie Michel Piccoli, Fritz Lang ausgewählt?

Godard: Alle anderen Schauspieler waren schon ausgewählt. Ich habe Piccoli genommen, weil ich einen sehr, sehr guten Schauspieler brauchte. Er hat eine schwierige Rolle, und er spielt sie sehr gut. Niemandem ist aufgefallen, wie bemerkenswert er ist, weil er eine sehr ins Detail gehende Rolle hat. Fritz Lang dagegen symbolisiert das Kino, er ist dessen Botschafter: er spricht im Namen des Films von Griffith oder Mack Sennet zu _...

Frage: _... Fritz Lang?

Godard: Ja, zum Beispiel.

Frage: Welche Vorstellungen hatten Sie bei LE MEPRIS bezüglich der Farbe?

Godard: Ich mache, was meinen Augen gefällt. Ich kann weder malen noch Farben mischen. Daher bemühe ich mich, sehr reine Farben zu nehmen. Hier waren fundamentale Farben notwendig, denn es gab die Sonne, das Meer und die Erde. In Italien ist die Erde vor allem rot, ein sehr strenges Rot, das Meer blau und die Sonne gelb. Für die Farben war das genug _...

Frage: Ist es wahr, dass Sie Ihren Namen aus dem Vorspann gewisser Fassungen von LE MEPRIS haben streichen lassen?

Godard: Es handelt sich um eine französisch-italienische Co-Produktion, und ich habe mich nicht mit der italienischen Fassung beschäftigen können. Ich habe meinen Namen aus dieser Fassung entfernen lassen. Sie unterscheidet sich sehr von der französischen Version. In Frankreich läuft der Film original, und ich werde versuchen, dass auch in den anderen Ländern diese Fassung zur Vorführung kommt.

Frage: Fanden Sie, dass LE PETIT SOLDAT sich verändert hat, als sie diesen Film zwei Jahre nach seinem Entstehen wiedersahen?

Godard: Nein, es gab nur zwei oder drei Dialogstellen, die unterschlagen oder geändert worden waren, übrigens war das keineswegs ein Film, der der Aktualität wegen gemacht wurde. Es gab gewisse Episoden, die sich auf den Algerien-Krieg bezogen; dennoch war es nur ein Filmbericht mit einem gewissen politischen Ereignis und nicht ein Film über dieses Ereignis. Heute ist es eher möglich, den wirklichen Wert des Films abzuschätzen. Die Gemüter haben sich nun beruhigt. Dieser Film wurde von der Regierung verboten, weil er pro-FLN schien; aber er wurde auch von der gesamten linken Presse verrissen, die in ihm einen rechtsgerichteten Film sah. Mein Film handelte von der Verwirrung; als er zwei Jahre später herauskam, verriss ihn alle Welt und nannte ihn verwirrt.

Frage: Die linke Presse hält Sie für einen anarchistischen Regisseur der politischen Rechten. Was sagen Sie dazu?

Godard: Was ich die linke Presse nenne, das ist die kommunistische Presse. Sie vertritt einen gewissen Standpunkt, gegen den ich nichts habe, denn es ist eine Geisteshaltung, die ihre eigene Logik hat. Die kinematographische Presse der Linken tendiert dahin, alle Filme, die nicht von Arbeitern, Gewerkschaften oder Streiks handeln, der politischen Rechten zuzuordnen. Man kann aber Kommunist sein und eine musikalische Komödie machen - wie es die Russen schon getan haben -, jedoch ist das nicht nach dem Geschmack der linken westlichen Presse. Sie lässt meine Ansicht als etwas anarchistisch gelten, sie mag sie jedoch nicht, denn sie liegt ausserhalb ihrer Logik. Ich betrachte mich lieber als einen Autodidakten, nicht gerade als einen Rechten.

Frage: Sie lehnen es niemals ab, unter unterschiedlichen Bedingungen zu arbeiten?

Godard: Im Gegenteil. Ich versuche jedesmal etwas zu tun, was ich noch nicht gemacht habe oder aber unter anderen Bedingungen zu arbeiten _... Ich habe gerade einen kleinen Film in 16 mm mit Albert Maysles gemacht, der genau das Gegenteil von LE MEPRIS ist. Es ist ein Sketch, der eine Episode in einem Film über "les quartiers" von Paris sein wird. Pollet, Rohmer, Rouch und Astruc haben ebenfalls eine Episode gemacht _... Es ist einfach, in Scope und Farbe zu drehen, weil man in einem Universum von Scope und Farbe lebt. Bresson sagte übrigens: wenn Lumière den Film in Scope und Farbe erfunden hätte, würde man heute den Schwarz-Weiss-Film im Normalformat erfinden. In diesem Sinne versuche ich, die besonderen Filme im Normalformat und Schwarz-Weiss zu drehen. Die normalen, realistischen, naturalistischen, sentimentalen, lebendigen Filme realisiere ich in Scope und Farbe.

Frage: Dann ist also A BOUT DE SOUFFLE ein irrealer Film?

Godard: Ja, vollkommen irreal. Ich glaubte zu jener Zeit, einen logischen und realen Film zu machen, musste dann aber feststellen, dass die Personen vollkommen irreal waren. Ich glaube, dass der Film gerade deswegen gefallen hat. Ich sehe ihn heute wie ein Feenmärchen. In meinen anderen Filmen habe ich mich angestrengt und bemüht, wirklichkeitsnäher zu arbeiten. Alles in allem sind aber das Leben und das Irreale nicht zu trennen. Wenn man sich mit der Wirklichkeit einlässt, findet man Irreales dahinter und umgekehrt _...

Frage: Was denken Sie über das Experimentieren im Film?

Godard: Ich mag es, aber ich glaube, dass die besten Experimentalfilme in den letzten Jahren im Rahmen des Kommerzfilms gemacht wurden, z. B. VERTIGO von Hitchcock oder die Filme von Alain Resnais. Als ich UNE FEMME EST UNE FEMME gemacht habe, war das in gewisser Weise ein vollkommen experimenteller Film. Die reinen Experimentalfilme sind jedoch als Diskussionsbasis sehr interessant.

(Gesprächspartner: Dan A. Cukier und Paul Krellstein, SCRIPT, Bruxelles)
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Moskauer Nächte oder Bürokraten, Freunde und ein Film

Im Auftrag einer Jugendzeitschrift reiste ich im Juli 1961 in die sowjetische Hauptstadt. Noch nie zuvor in meinem Leben hatte ich so oft das Wort "Verständigung" gehört wie auf der dortigen internationalen Versammlung. Nach der Eröffnung im Säulensaal des Gewerkschaftshauses, wo Stalins Leichnam vorm Einbalsamieren 1953 zu besichtigen war, empfing mich am Ausgang ein bekanntes russisches Mädchen: Renita!

Ich hatte sie und ihren Mann zufällig in London getroffen. Sie hatten mir von ihrer Diplomarbeit für die Cinematografie VGIK, die Moskauer Filmhochschule, erzählt. Sie wollten einen deutsch-russischen Film drehen, der die Liebesgeschichte eines deutschen Studenten und eines russischen Mädchens zum Thema haben sollte. Beide hatten sie schon Ortsstudien in München getrieben, um das Milieu und die Atmosphäre zu treffen. Am Ende unserer Unterhaltung luden sie mich ein, sie in der UdSSR zu besuchen. Ich hatte nicht gedacht, dass wir uns so schnell wiedersehen könnten. Nun aber war ich da, und unsere gemeinsame Arbeit - ich sollte das Drehbuch schreiben - konnte beginnen. Wir besassen eine Handvoll Notizen, unseren guten Willen und Verachtung für den Schlaf. Ausser den Regisseuren arbeitete der filmwissenschaftliche Student Nahum Kleemann mit, der jetzt am Institut Gosfilmofond unter anderem an der Herausgabe des Eisenstein-Nachlasses beteiligt ist. Er stammte aus Moldawia, verbrachte mit seiner Familie schwere Jahre in Sibirien, wollte ursprünglich Mathematik studieren und wurde nach einigen Semestern "filmfiebrig". Seine ersten filmkritischen Veröffentlichungen rückten ihn bereits in den Rang der vielversprechendsten jungen Filmtheaterkritiker der Sowjetunion.

In Gärten, in Restaurants und in einem Sommerhaus besprachen wir die verschiedenen Aspekte des Filmes, ohne dass sich die Einzelheiten in meinem Kopf zu einer "Story" formten. Das wurde jedoch von den Regisseuren als weiter nicht schlimm betrachtet, da man auch einen gefühlvoll "lyrischen" Aufbau gelten lassen wollte, der an uns später wie Teer kleben bleiben sollte.

Während die Russen mit Engelsgeduld handschriftliche Notizen aufnahmen, beschaffte man für mich eine Schreibmaschine mit lateinischen Buchstaben, auf der ich die Ergebnisse der Tagesbesprechungen nachts im Hotel festhielt. Das Taxi, das mich zum Flughafen bringen sollte, wartete schon vor der Tür, und ich sass noch immer vor der Maschine. Auf der Fahrt durch die Aussenbezirke der Stadt korrigierte ich die letzten Tippfehler. Ich schrieb auf Deutsch, während die Dialoge auf Englisch, Deutsch und Russisch gesprochen werden sollten.

Nach meiner Abreise dauerte es bis zur erneuten Ausstellung eines Visums sechs Monate. Ich ging nach London zurück und verpasste dadurch Professor Gerassimow, der mit seinen Schülern die Bundesrepublik bereiste, von der er sich besonders an "Hamburg in Thälmanns Zeiten" erinnerte. Das Szenarium legte ich einer Reihe Deutscher und Engländer vor. Wer der Idee einer solchen Zusammenarbeit mit Sympathie gegenüberstand, fand alles wunderschön und übte keine Kritik. Andere wieder fürchteten "hineingezogen" zu werden und nahmen keine Stellung. In der Bundesrepublik erfuhr ich Beispiele eines für England undenkbaren und ausgeschlossenen dogmatischen Antikommunismus.

Inzwischen erneuerte Gerassimow seine Vorkriegsbekanntschaft mit dem Direktor einer Münchener Schauspielschule, in deren Seminarräumen meine Freunde Jura und Renita Griegorjew, die ihren Lehrer begleiteten, eine Entdeckung machten: sie fanden ihren "Helden" in dem 23jährigen Schauspielstudenten Helmut Kircher verkörpert. Er hört sich zuerst sorgfältig an, was man zu ihm sagt, um sich dann eine Meinung aufgrund der Fakten zu bilden. Darin unterscheidet er sich meiner Meinung nach sehr von einem deutschen Durchschnittstypus, der schon die Antwort weiss, bevor die Frage zu Ende ist. Er nahm die Einladung nach Moskau an.

Renita telefonierte mit mir über ihren Fund dieses "typischen" Deutschen und ich sandte auch an ihn das Exposé. Kircher erhielt einen Monat seiner Ausbildungszeit erlassen und wir erwarteten in grosser Anspannung Telefonate und Telegramme aus Moskau. Aber Woche um Woche vergingen. Die Vertröstung "you will come soon" brachte uns einigermassen aus der Fassung, denn beide getrauten wir uns keine anderen Arbeiten anzunehmen, um keine Kontrakte durch die Moskaureise brechen zu müssen. Am anderen Ende der Leitung schienen die Regisseure darüber weniger aufgebracht, denn ihnen waren unsichere Abmachungen, zurückgezogene Zusagen und gebrochene Versprechen nichts Ungewöhnliches. Im Januar 1962 bestiegen wir endlich den Express nach Moskau.

In Brest stieg Renita zu uns ein - sie kam uns einen Tag und eine Nacht entgegengereist! Frisch und stupsnäsig, Tochter einer Dorffamilie von der Wolga, kicherte sie Andeutungen über "troubles", die sie nur selber verstand. Offenbar galt sie in ihrem Moskauer Freundeskreis (und alles, was mit Film zu tun hat, ist sich Freund) für wagehalsig bis zur Verrücktheit, ausgerechnet Westdeutsche für ihre Diplomarbeit einzuladen.

Die "Arbeit" begann mit der Feier des "russischen Neujahrs" (nach altem Kalender), mit Wodka, Pasteten und Salaten. Zu Ehren aller erschien S. A. Gerassimow mit seiner Frau Maria Markowa, einer gutherzigen Schauspiel-Pädagogin mit offenem Haar, breiten Wangen und freundlichen Augen. Professor Gerassimow wirkte, als wolle er jeden Augenblick vor aufgespeicherter Energie aus seinem Schneideranzug explodieren. Meist in sich gekehrt, mit kahler Kopfhaut auf eckigem Schädel, dunklen Augen und einem schwarzen Schnurrbärtchen, schien er mehr auf sich selbst als auf die Aussenwelt zu hören. Mit ihm und seine Frau sassen an der langen Tafel Studentinnen und Studenten des VGIK, Mitarbeiter an Filmen aus zurückliegenden Tagen und solche, die an unserem Film mitwirken sollten: Igor, der Maler mit der Absicht, die russische Moderne auf die Beine stellen zu helfen - er entwarf Bauten, die leider nichts taugten. Dann der Kameramann Valja, auf den Existenzialismus eingeschworen und entschlossen, so selten wie möglich seinen Mund zu öffnen - er schwieg auch, als er später ausgewechselt wurde. Der Komponist Aloscha feierte mit uns und Verwaltungspersonal des Teams, das den Regisseuren zugeteilt wurde. Dann befand sich noch Schannah Procherenko (das Mädchen aus "Die Ballade vom Soldaten") unter uns, die später als Partnerin zu Helmut Kicher ausgewählt wurde. Ohne Zöpfe wirkte sie wie eine zierliche junge Hausfrau - blond, etwas sommersprossig, mit leicht belegter Stimme und nicht frei von Verdruss - ihre kleine Tochter durchweinte die Nächte, weil sie gerade zahnte _...

Das Vorgestelltwerden vorm Atelier-Personal nahm in den folgenden Tagen kein Ende. Im Gorki-Film-Studio begrüsste uns Direktor Brittikow, danach Dramaturgen, Bühnenbildner, Tonmeister. Wer Assistent oder Meister war, fanden wir nur mühsam und bei einigen überhaupt nie heraus. Renita sagte: "Besucht Theater _... seht Euch Moskau an _... ich kenne das: bald müsst Ihr fort und alles ist unwiederbringlich vorüber _..." Wir wollten uns dem Vergnügen lieber nach geleisteter Arbeit hingeben. Wie wenig verstanden wir noch von der sowjetischen Film-Industrie!

Ein Regiedrehbuch hätte man in der Zwischenzeit ausgearbeitet. Wo es sei? Noch nicht aus der Druckerei zurück _...

Als es kam, dünn, im Querformat, olivgrün broschürt, stand in kyrillischen Buchstaben darauf: "Venskii Les" oder "Wiener Wald". Auf was ich mich als Arbeitstitel eingelassen hatte (mein Vorschlag hiess "Stärker als die Grenzen"), trug den Stempel des Unabänderlichen. Wieviele Trinksprüche und Glückwünsche nahm ich für einen Film entgegen, der doch anders hätte heissen sollen _...

Das Buch selbst enthielt rudimentäre Kameraanweisungen und einen Teil meiner Ideen (nicht Worte) aus dem Szenarium, in 286 Einstellungen aufgeteilt. Vieles, was wir als Klischee-Denken wegzulassen vereinbarten, erschien im Buch. Obwohl schon Februar 1962, hatte die Druckerei aus Gründen der "Planerfüllung" als Auflagejahr noch 1961 auf die Titelseite gesetzt.

Das Studio hatte Ausgaben für eine Dolmetscherin eingeplant, die sich das Honorar nicht entgehen liess, obwohl wir uns auf Französisch und Englisch einwandfrei verständigen konnten. Die Regisseure beruhigten uns mit und ohne Hilfe der Dolmetscherin, dass man sich für den Film gar nicht an das Drehbuch zu halten brauchte. "Warum wurde es dann aber so gedruckt?" Die Antwort klang ausweichend. Offenbar betrieb man hier die Philosophie des Möglichen. Die vorliegende Fassung bedurfte etlicher Genehmigungen. Die harmloseste war die der Hauptverwaltung des Gorki-Studios, das etwas Zeigenswertes herstellen wollte. Am VGIK achtete Gerassimow darauf, dass seinen Meisterschülern freie Hand blieb. Aber in einer Seitengasse der Gorkistrasse gab es eine Unterabteilung des Kulturministeriums. Dort beharrte man darauf, keine Experimente zu dulden und hoffte, der Titel "Wiener Wald" würde die sentimentaleren der jungrussischen Komsomolzen zu erzieherischen Walzerklängen einladen. Ob die Mehrzahl besonders der jüngeren russischen Filmschaffenden diese Abteilung lieber verschwinden sähe und mehr nach dem freien polnischen Vorbild arbeiten möchte - oder ob sie, in seinem Schatten arbeitend, sich vor Fehler und Verantwortung von "oben" beschützt fühlt -, ich muss es dahingestellt sein lassen.

Jura verschwand über Nacht - er reiste mit Angehörigen des Teams bei 32 Minusgraden in die Karpathen, um Lokalitäten auszusuchen, die für die im Frühsommer abzudrehenden Aussenaufnahmen in Frage kämen. Grausige Geschichten waren im Umlauf: die Hotels seien alle belegt und die Gruppe müsste im Auto übernachten. Was davon wahr oder nur Freude am Erzählen war, wird man nie herausfinden. Nach der Karpathenreise beschloss man jedoch, die Aussenaufnahmen lieber - im Moskauer Botanischen Garten zu drehen! Die wunderbar beheizte Küche in der Wohnung der Griegorjews am Komsomolski Prospekt wurde inzwischen zum Hauptquartier für Diskussionsgegner, die erst nach heftigen Auseinandersetzungen zu Partnern wurden. Ob man die Dokumentaraufnahmen von nackt in die Gaskammern getriebenen Frauen wirkungsvoll den Schaufenster-Bildern eines Striptease-Klubs gegenüberstellen könnte? Nein. Warum nicht _... ? Ob ein westdeutscher Student, der mit einer hübschen Russin allein eine Autofahrt durch den Wiener Wald zurücklegt, in seinem Herzen kalt bleiben könnte? Nein. Warum nicht. Ob man die Botschaft der Bundesrepublik in Moskau nicht dazu bewegen könnte, die Aufführung des Filmes bei uns zu befürworten?

Das liess sich nicht in der Wohnküche klären, sondern nur auf der Botschaft. Der Kulturattaché Dr. Jaguttis deutete die Möglichkeit eines Zusammentreffens mit Botschafter Kroll an - er wurde in der folgenden Woche abberufen. Ein anderes Botschaftsmitglied, das später die Kulturabteilung von Dr. Jaguttis übernahm, Herr Pallasch, sprach von einem Münchener Studenten, der in Moskau nicht "einwandfrei" aufgetreten und ausgewiesen worden sei, und nachdem später (Zufall?) eine stahläugige russische Studentin im Hotel uns befragte, worauf einige Tage darauf (Zufall?) Dr. Jaguttis unbefragt beteuerte, die Botschaft habe mit diesen jungen Leuten nichts zu tun. Diese Komplikationen waren unverständlich. Auch auf der österreichischen Botschaft ("Wiener Wald"!) schlug das Wohlwollen zum selben Zeitpunkt in Abweisung um.

In der produktiven Küche am Komsomolski Prospekt hielt am Abend jemand eine Rede, man dürfe nie pessimistisch sein _...

In der Rechnungsabteilung flogen die Kugeln des Abakus, der im Osten verbreiteten Rechenmaschine. Verwaltungsmann Baltin zog den Kopf aus Kummer tief in die Schultern. Der Film durfte nicht mehr als 500 000 alte Rubel kosten. Warum alte Rubel, wo doch die neuen schon seit Jahren im Umlauf standen? Sentimentaler Konservatismus? Architekt Senderow malte uns herrliche Tableaus für die Atelierbauten. Er studierte bei einem Schüler von Meyerhoff, jenem als "dekadent" vom sowjetischen Theater verbannten Bühnengestalter, der Expressionismus betrieb, während das Volk nach der Revolution Häuser, Kleidung und Nahrung verlangte. Die Tafeln zeigten eine ausgewogene Komposition. Aber sie litten an expressionistischer Übertreibung: bei der Darstellung eines westlichen Sportstadions schossen sie weit übers Ziel, indem sie den reklameverseuchten "kapitalistischen Westen" überschätzten. Die Trägerpfeiler des Stadions, wo kein Mensch je hinblickte, trugen noch Cinzano-Reklame! Wir mussten hart diskutieren. Zwei Modelle riss der sensible kleine Architekt wütend in Fetzen, ehe es klappte.

Unter den Moskauer Studenten waren (nicht ohne zahllose komische Zwischenfälle) Komparsen gefunden worden und die Probeaufnahmen wurden zwischen den Atelierbauten aus einem bereits fertigen Film gedreht. Ich bekam einen Frack angemessen, um einen "Herr Ober" darzustellen.

Wir hatten noch immer kein Drehbuch als Diskussionsgrundlage. Nahum Kleemann tauchte auf. Bald würde es Frühling, tröstete er, beim Herweg habe er gesehen, wie ein Schub frischer grüner Gurken fürs Restaurant ausgeladen wurde. Dem ganzen Film gebreche es an einer überzeugenden Vorgeschichte und Schlussfolgerung. Endlich begannen Renita und Jura mit ihm, all das, was bisher als "Beratung" von uns über die Verhaltensweise eines deutschen Studenten in der gegebenen Situation gesagt wurde, in russische Worte zu fassen und niederzuschreiben. "Was wir brauchten", seufzte ich, "ist mehr darüber, wie die beiden den Krieg in ihrer Kindheit erlebten und wie sie sich nach dem Zusammentreffen weiter entwickeln _..." Unser Thema hätte epischer gestaltet werden sollen, um die kümmerliche Handlung (mea culpa!) besser zu stützen.

Renita Griegojewa bereitete uns eine Überraschung. "Es ist schon organisiert für morgen früh: wir sehen uns in einer Privatvorführung ,Hiroshima, mon amour' an." Dieser Film wurde auf dem vorjährigen internationalen Filmfestival in Moskau gezeigt, doch Regisseur Resnais nahm die Kopie wieder nach Paris zurück. Und da die Russen keine andere Kopie gekauft hatten, fand die Privatvorführung natürlich nicht statt.

Dennoch beschlossen die Regisseure eine drastische Konzeptionsänderung. Von diesem Zeitpunkt an sah ich mich fehl am Platze. Dr. Runge war aus Berlin gekommen, um die Ausstattungsberatung zu übernehmen. Helmut Kircher stiefelte durch den Schnee in die Moskauer Theater und redete noch weniger als sonst. Zeit verstrich. Offenbar trugen sich hinter unserem Rücken jene "produktiven Auseinandersetzungen" zwischen Künstlern und politischer Kulturverwaltung zu, mit denen man sinnlos die Zeit vergeudet und das Geld verschwendet.

Vor den ersten Atelierbauten übte der Internationale Studentenchor Lieder ein, über deren Darbietungsweise man stritt - die einen wollten sie traditionell sentimental, die anderen modern schmalzig. Chinesische Studenten, die in die Komparserie hätten sollen, weigerten sich, mit Westdeutschen zusammenzuarbeiten (!). Die Kameraleute M. Jakobitsch und Y. Grischin begannen mit den ersten Aufnahmen, während der grusinische Tonmeister Amiroff fortwährend über etwas fluchte. Jede Einstellung wurde bis achtmal gedreht.

Wer das Kommando über den "Wiener Wald" führte, war immer schwerer festzustellen. Jeder hielt sich dazu berufen. Sogar eine Aufnahme-Assistentin konnte mit einer laut durchs Atelier schallenden Strafpredigt Jura Griegorjews Selbstbeherrschung zu Fall bringen: er knallte Manuskriptblätter auf den Boden und zog sich zurück. Man gewann den Eindruck, dass die Arbeit allen über den Kopf wüchse. Das Atelier konnte in zwei Schichten benützt werden: von 7 bis 15 Uhr und von 15 bis 22 Uhr. Um 22 Uhr schalteten die Atelierarbeiter das Licht ab. Der Tag der Regisseure begann jedoch um 6 in der Frühe und hörte selten anders als um 3 in der Frühe auf. Übermüdung und Nervosität liessen sich nicht vermeiden. Im Atelier arbeiteten viele, die direkt mit der Hitlerarmee in Berührung gekommen waren: die Schminkmeisterin war Zwangsverschleppte in Deutschland, der Aufnahmeleiter S. S. Nikolaijewitsch kam mit schweren Unterernährungsleiden aus der Gefangenschaft, ein Arbeiter wiederholte seinen unter der Besatzung erlernten Wortschatz: "Schnell, schnell, Schweinehund."

Dennoch erntete die "deutsche Pünktlichkeit" und Prinzipienfestigkeit (bisweilen ironischen) Beifall. Wer von den Filmschaffenden in Hamburg oder Geiselgasteig Ateliers sah, äusserte vorsichtig Unzufriedenheit mit dem technischen Stand und dem Arbeitsniveau des Moskauer Studios. Terminverzögerungen gehen auf bürokratische Untüchtigkeit zurück, während eine vielfach amateurische Betrachtungsweise, gekoppelt mit dem jedermann zustehenden Mitspracherecht, filmkünstlerische Arbeitsentfaltung hemmt. Besonders der Nachwuchs scheint sich nicht vor diesen Untugenden retten zu können.

Mitte April hatten die Reparaturen an den frostaufgerissenen Moskauer Strassen gerade begonnen, als ich nach London zurückflog. Für weitere Konsultationen blieb Dr. Runge in Moskau. Helmut Kircher sollte eine hektische Zeit bevorstehen: fortwährend wurde weniger geprobt und von den letzten Szenen nur noch eine einzige Aufnahme gedreht. Schannah Procherenko (sie sollte sich auf ihr Abschlussexamen vorbereiten, denn in "Die Ballade vom Soldaten" spielte sie noch als Studentin) litt unter einer Reihe menschlicher Beschwernisse: Ehemann und Schwiegermutter verlangten von ihr, ihren Mutterpflichten nachzukommen und die Filmkarriere aufzugeben. Nach zerstrittenen Nächten erschien sie, die so herzlich, liebenswürdig und bescheiden ist, mit geröteten Augen zu den Aufnahmen. Auf dem Weg zum Flughafen sagten mir die Regisseure, dass dem Film keine Gelder zusätzlich genehmigt worden wären, um ihn auf eine abendfüllende Länge zu bringen. Auch die Beimischung von Dokumentaraufnahmen, die Gerassimow in Wien schoss, wäre unzulässig, da ein Diplomfilm nur originales Material enthalten dürfe. Natürlich konnten die Griegorjews nicht nach Wien fahren.

Die Dreharbeit stand so sehr unter Verzug, dass der Komponist seine Filmmusik lediglich auf vage Angaben der Regisseure über die Bildfolge zu schreiben hatte. Aloscha Nikolajew gehört zu einer Symphoniker-Gruppe, der von einem bekannten englischen Musikkritiker "Hoffnung auf Weltmassstab" zuerkannt wurde. Er gehört zur Leningrader Schule. Seine Absichten, Strauss-Motive, die auf Wunsch der Regisseure verwendet werden sollten, elektronisch abzuwandeln, konnte er nicht durchsetzen.

Die Chancen, einen Kurzfilm vor westlichem Publikum zu zeigen, sind naturgemäss bemessen. Nach meiner Abreise setzten die Regisseure offenbar alles daran, den Termin für die Weltjugendfestspiele 1962 in Helsinki einzuhalten, um den Streifen wenigstens einer Auswahl von jungen westlichen Zuschauern zu bieten. Eine Kopie kam am vorletzten Tag an. Die Leitung der Festspiele fand die Sache jedoch offenbar nicht propagierungswürdig. Er wurde einmalig vor 26 Personen gezeigt.

Kircher, der noch bis kurz vor seiner Abreise Dialogstellen zum Einkopieren sprechen musste, sah nur wenige montierte Szenen. Sein Urteil war zurückhaltend. In der Nr. 12/62 der sowjetischen Zeitschrift "Isskustwo Kino" steht der Film lediglich notiert: 40 Minuten Spielzeit und die Namen der hauptsächlichen Mitarbeiter.

Die Griegorjews schrieben, sie hätten den Film vor sibirischen Jungarbeitern gezeigt. Da Filmkritik, wie sie im Westen verstanden wird, in der Sowjetunion noch weitgehend unbekannt ist, beschäftigen sich die Presseausschnitte mehr mit Inhalt als mit Form des Filmes. Jedoch habe, einem jüngsten Brief aus Moskau zufolge, die Zeitschrift "Sowjetskaja Ekran" das Urteil "zu viel Pazifismus" gefällt. Die Bemühungen einer Londoner Verleihfirma um eine Sichtkopie wurden von Sovexport bisher ablehnend behandelt.

Es wäre illusorisch, die Zusammenarbeit mit einem sowjetischen Filmteam in einem sowjetischen Atelier nur von filmkünstlerischer Seite zu sehen. Es ging einfach darum, den Beweis für eine mögliche konkrete Zusammenarbeit zu erbringen. Der Vorwurf, dass man damit die Kulturarbeit in einem "nicht freien Land" unterstütze, ist meines Erachtens nur eine Propagandaphrase des Kalten Krieges. Offizielle Kreise der Bundesrepublik als Anwälte einer Nicht-Zusammenarbeit zu sehen, ist bedauerlich. Es wäre bodenlos, Schadenfreude über die erwähnten Schwierigkeiten zu empfinden, solange wir nicht reibungslosere Arbeitsmöglichkeiten für ähnliche Projekte zur Verfügung stellen. Die finanziellen Mittel könnten Produzentengremien bereitstellen, deren Investitionen angesichts von Millionen potentieller sowjetischer Filmbesucher gewiss nicht fehl plaziert wären.

Zum Ende gilt mein Dank den sowjetischen Kollegen und vielen russischen Menschen für ihre wunderbare, fern von politischer Zwietracht geübte Gastfreundschaft.       Arno K. Reinfrank
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Filmliteratur

FRAGMENT

Die erste Filmmonografie, die kürzlich in der Bundesrepublik erschien, ist französischen Ursprungs und beschäftigt sich mit einem italienischen Regisseur (welcher lebende deutsche wäre wohl eine Monografie wert?):

Pierre Leprehon, Michelangelo Antonioni, Der Regisseur und seine Filme,
Fischer Bücherei Band 571, DM 2,60.

Es handelt sich um einen Band aus der Reihe Collection Cinéma d' Aujourd'hui, die die Edition Seghers in Paris herausgibt. Wie man hört, hat der Fischer Verlag die deutschen Rechte für die ganze Reihe erworben. Weitere Veröffentlichungen stehen aber vorerst noch aus, sind nicht angekündigt. (Will man erst die Resonanz testen?) Auf 64 Seiten gibt Leprehon eine Einführung in das Werk Antonionis bis hin zu LA NOTTE. Warum der später erschienenen deutschen Ausgabe nicht noch ein Kapitel über L' ECLIPSE angefügt wurde, bleibt unerfindlich. Es ist hier nicht der Platz, ausführlich auf Leprehons Interpretationsversuche einzugehen. Im Ganzen wäre wohl mehr Distanz zum Gegenstand zu fordern, damit die kritische Würdigung des Werkes nicht hinter der freundschaftlichen Hommage an den Regisseur verschwindet; eine Gefahr, der Leprehon des öfteren erliegt. Auch sind seine Ausführungen von einer seltsamen Preziösität; ihr pseudo-lyrischer Tonfall entbehrt der clarté gedanklichen Fortschreitens, gleitet in die Plattitüde ab (z. B.: dieser Film ist, wie alle Filme Antonionis, eine Aussage). Die sprachliche Preziosität mag z.T. auf die Übersetzung zurückzuführen sein, für die - ohne sich zu schämen - Lotte H. Eisner verantwortlich zeichnet. Drehbuchauszüge aus den wichtigsten Filmen - recht geschickt ausgewählt - und Texte Antonionis ergänzen den Band. Das "Panorama der Kritik" zeigt einmal mehr das hohe Niveau französischer Kritik; was sich da an bundes-deutschen Stimmen - oder soll man sagen: Stimmchen - findet, ist, abgesehen von einer Ausnahme, unter aller Kritik. Auch bei der Auswahl des Bildmaterials hätte man lieber einige typische Einstellungen des Regisseurs erwartet; die frustierten Gesichter der Moreau, Mastroianni und Vitti kennt man allmählich.       W.S.

DAS SCHWEIGEN

Gert H. Theunissen: DAS SCHWEIGEN und sein Publikum,
erschienen im Verlag DuMont Schauberg Köln, Preis 5,90 DM.

Das Buch, gemeinsam ediert mit dem ATLAS-Verleih, enthält neben einer Begründung des Prädikates "Besonders wertvoll" das Protokoll der Bundestagssitzung 121, in der DAS SCHWEIGEN zu parlamentarischer Sprache kam, eine Sammlung von Kritiken aus Tages-, Wochen- und Illustrierten Zeitungen nebst Leserbriefen, und schliesslich das Protokoll eines Gespräches, das der Westdeutsche Rundfunk in seinem Grossen Sendesaal unter Kritikern, Publizisten, Professoren und Geistlichen veranstaltet hat. Gert H. Theunissen, Herausgeber und Autor des einleitenden Essays schloss die Redaktion für Beiträge am 3. April dieses Jahres. Ihm muss aus der Kenntnis der Ereignisse, die nach diesem Tag das Verhältnis der Deutschen zu Ingmar Bergmans Film DAS SCHWEIGEN in ein neues Stadium treten liessen, gesagt werden, dass sein Buch zu früh erschien. Jene Feldzüge, die unter den zerschlissenen Fahnen einer scheuklappenbewährten Prüderie an der Mosel und in den Spalten der Hamburger Illustrierten FILM UND FRAU geführt wurden, hätten den ihnen gebührenden Ort in dieser Dokumentation finden müssen. Nicht zuletzt deshalb, weil in ihnen Bewusstseinshaltungen sich militant äussern, die in Deutschland schon allemal eine Gefahr für, man verzeihe das Pathos, die Freiheit der Kunst waren.

Nun, das Buch ist erschienen, dass gewisse Dinge fehlen, lässt sich nicht mehr ändern. Dass es ein schlechtes Buch wurde, hätte man allerdings ändern können. Auswahl und Argumentation machen den Eindruck einer prononcierten Parteilichkeit für DAS SCHWEIGEN. Sie bleibt dem Autor und Compilator unbenommen, aber es ist fraglich, ob Parteilichkeit im Falle einer Dokumentation nicht den schiefen Blick impliziert. Warum findet sich innerhalb der Sammlung der Filmkritiken zu DAS SCHWEIGEN keiner jener Aufsätze - ausgenommen vielleicht der Artikel von Hans-Dieter Roos in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG -, die aus der Kenntnis des Bergmann'schen Oeuvres zu einer fundierten Ablehnung dieses Films gelangen, ohne in das allgemeine moralisierende Geheul derer einzustimmen, die auch in diesem Buch vertreten sind? Dem uneingeweihten Leser entsteht so der Eindruck, dass die Filmkritiker hierzulande am SCHWEIGEN sich in zwei Lager scheiden, in eines der Zustimmung und in eines der Ablehnung, wobei Ablehnung in diesem Fall bedeutet, dass von einer ausserfilmischen moralischen Position her argumentiert wird, einer Position, die sich allein an der für die künstlerische Qualität des Films völlig unerheblichen Frage orientiert, ob man "so etwas" überhaupt zeigen kann.

Was das Buch über DAS SCHWEIGEN und sein Publikum sagt, ist im Grunde belanglos. Allenfalls muss das Publikum in Schutz genommen werden. Zu seiner Ehre sei geschrieben, dass es vernünftiger reagierte, als die Leserbriefe, die Theunissen veröffentlicht hat, weismachen wollen. Ganz zu schweigen davon, dass diese auf einen vorher erschienenen Artikel hin geschrieben wurden, wird in ihnen nichts von jenem Argument sichtbar, mit dem ein Grossteil der SCHWEIGEN-Besucher die Kinosäle verliess: Das Argument Langeweile, die kein noch so ästhetischer Rechtfertiger des Films plausibel zu verteidigen vermochte, wird nicht diskutiert.

Aber Langeweile, das war der Vorwurf, der durch Deutschland ging. Daran konnte auch die moralische Beckmesserei nichts ändern.

Man hätte sich für dieses Buch einen anderen Aufbau und vor allem einen anderen Inhalt gewünscht, denn die Idee war gut. Nur, man hätte exakt arbeiten müssen, vielleicht eine Filmanalyse des SCHWEIGEN hinter den Einleitungsessay setzen, die Filmkritiken gewichtiger auswählen und vor allen Dingen die Publikumsmeinung gründlicher erforschen müssen.

Ein Phänomen gibt dieses Buch allerdings mit Eindringlichkeit wieder: Die Gegner eines Kunstwerks argumentieren von einer ganz unkünstlerischen, nämlich der moralischen Ebene her, und flugs lassen sich sämtliche Verteidiger auf diese Ebene abdrängen. Die Behandlung, die deshalb das Schweigen in einem Grossteil der Kritiken erfuhr, geht an dem Film vorbei, weil moralische Probleme diskutiert werden. Man schliesst das Buch mit dem Eindruck, dass sich eigentlich in der Bundesrepublik niemand wirklich mit DAS SCHWEIGEN beschäftigt hat, dass dies eine Aufgabe ist, die es erst zu lösen gilt, dann, wenn Moral nicht mehr interessiert.       WV


Der Ladenhüter

WHO 'S MINDING THE STORE; USA 1963; Regie: Frank Tashlin; Drehbuch: Frank Tashlin und Harry Tugend; Kamera: Wallace Kelley; Dekorationen: Hai Pereira; Musik: Joseph. J. Lilley; Produktion: Jerry Lewis York Productions; Darsteller: Jerry Lewis, Jill St. John, Agnes Moorehead, John McGiver, Ray Walston; Verleih: Paramount.
Frank Tashlin und Jerry Lewis sind sich in ihrem achten, gemeinsamen Film treu geblieben. Wiederum setzen sie ein anarchisches Individuum einer hochtechnisierten und entmenschlichten Umwelt aus; wiederum versuchen sie auf dem Weg über das Chaos diese Welt ins Lot zu bringen. Und wiederum scheitert ihr ungeheurer Optimismus, mit dem sie zu Werk zu gehen scheinen, eben an dieser Umwelt.
Norman Phiffier (Jerry Lewis) führt ein klägliches Leben als Hundeausführer und Tiersitter. Er verliebt sich in die Erbin des Kaufhauskonzern Tuttle, die aus Protest gegen ihre autoritäre Mutter das elterliche Haus verlassen hat und anonym in einem der riesigen Kaufhäuser als Liftgirl arbeitet. Die Mutter, die von der Mesalliance ihrer Tochter hört, versucht den presumptiven Schwiegersohn blosszustellen, indem sie ihn von ihrem Kaufhausdirektor anheuern und mit den irrsinnigsten Arbeiten betrauen lässt.
Der Handlungsfaden ist wie immer bei Tashlin locker geknüpft und dient nur als Rahmen einer Reihe von Gags. Gleich der Anfang beschert eine deftige Parodie auf die Methoden des "Cinéma Vérité": die zwei Privatdetektive, die Norman im Auftrage der Mutter überwacht haben, fertigen mit versteckter Kamera Aufnahmen von einer seiner Mahlzeiten an. Tatsächlich ist es ein Schreckbild von Mensch, das uns in diesem kurzen Streifen vorgeführt wird. Und die Masse der Kinobesucher schreit verzückt auf, wenn sie Jerry Lewis in wahrhaft äffischer Manier seine Suppe geräuschvoll schlürfen sieht und erlebt, wie er, der sich unbeobachtet fühlt, die Speisereste aus seinem Mund zu entfernen versucht. Das schäbige Voyeurtum, mit dem die versteckten Kameraleute zuwege gingen, wird leider nicht richtig aufgegriffen und als solches entlarvt.
Attackiert werden dagegen wieder verschiedene Lebensgewohnheiten und Verhaltensformen der Amerikaner. Die Minderwertigkeitskomplexe eines schlechten Golfspielers, die snobistische Vorliebe für ausgefallene Speisen, Tierfetischismus, Frustrationserscheinungen, Kauf- und Fernsehgewohnheiten, Volkswagen und Honda, Sex-Appeal und Arbeitsmoral. In einer kurzen Sequenz des Films stellt sich der Held dem Leiter des Kaufhauses vor, einem jener smarten Manager, die man häufig in HARPER'S MAGAZINE oder im READER'S DIGEST positiv beschrieben findet. Dieser Manager, ein gewisser Quimby (wer kann sagen, ob das nicht eine Anspielung auf den Tom-und-Jerry-Cartoonisten Fred Quimby ist?), leiert alle die wohlgemeinten und doch so verlogenen Sprüche herunter, die das berufliche Glaubensbekenntnis des Amerikaners ausmachen. Da ist die Rede vom Ganzuntenanfangen, vom "Room at the Top", von der Ehrlichkeit, vom Fleiss. Solchen Bläschen-Texten lassen Tashlin-Lewis auf recht komische Weise die Luft ab: Lewis erklärt sich bereit, wirklich ganz unten, nämlich im Keller, anzufangen.
Der erste Job des "Ladenhüters" bringt gleich eine ganze Anthologie mehr oder minder subtiler Gags. Besonders bezeichnend für die erotische Seite der Leinwandfigur Jerry Lewis ist etwa dieser: beim Versuch, die Kugelspitze einer im obersten Stockwerk des Kaufhauses über der Strassenschlucht angebrachten Fahnenstange anzustreichen, nimmt die sanft wackelnde Stange mit dem ängstlich daraufhockenden Lewis deutlich phallische Züge an (man muss nicht Raymond Durgant sein, um das zu erkennen). Tatsächlich spielt auch in diesem Film die Geschlechtsangst des Helden eine grosse Rolle. Der vorehelichen Verführung seiner Angebeteten kann der Held sich nur mit grosser Mühe entziehen.
Die Misogynie dehnt sich aus. Die allen Lewis-Filmen eigenen Frauentypen kehren auch hier wieder. (Vgl. dazu Hanns Fischer: "America's Own Fool" in ) Hauptziel der Attacke ist die diktatorische Kaufhausherrin: sie tyrannisiert nicht nur ihre Tochter, sondern auch ihren Mann, der an ihrer Seite das Dasein einer Drohne zu führen hat, auf dem blaugrünen Teppich seines Büros Golf spielt, bei seiner Heirat den Namen Tuttle annehmen musste und sich im Verlauf des Films durch den Einfluss des Helden und des Alkohols endlich gegen seine Frau auflehnt. Auf einen Knopfdruck drehen sich die männlichen Porträts der Kaufhausdynastie Tuttle und zeigen eine Reihe Mannsweiber, die wahren Herrscher des Imperiums.
Der natürlich-unkonventionelle Typ des Mädchens wird durch die Erbin repräsentiert. Ein weiteres Schreckbild der amerikanischen Frau wird in Gestalt einer Ringkämpferin vorgeführt, und schliesslich wird der arme Norman noch das Opfer einer wilden Weiberhorde, die ihn beim Sturm auf die Sommerschlussverkaufsware bis aufs Hemd auszieht. Eine virilisierte Grosswildjägerin hantiert auffällig mit männlichen Symbolen, riesigen Jagdgewehren. Eine weitere Spielart ist die reiche und schrullige Alte, eine Freundin der Kaufhausbesitzerin, deren Staubsauger die Schlusskatastrophe auslöst.
Die zweifellos beste Szene ist Tashlin gelungen, als die Erniedrigung des Norman Phiffier an ihren äussersten Punkt gelangt. Um die Güte der Kaufhausmatratzen zu beweisen, muss sich der Held erst auf einem ins Schaufenster gestellten Trainingsrad müdestrampeln und anschliessend pausenlos um den Häuserblock laufen. Völlig erschöpft sinkt er schliesslich vor einer von seiner Freundin gereichten Tasse Kaffee nieder und trinkt die Flüssigkeit wie ein Hund. Das ist eine für Hollywood ungewöhnliche Attacke auf Entmenschlichung und totale Ausbeutung in einer so organisierten Arbeitswelt. Diese kleine Szene allein macht den Film sehenswert und hebt ihn weit über ähnliche Versuche hinaus. Der Rezensent kann sich nicht erinnern, bei Chaplin, Keaton oder anderen "klassischen" Komikern eine Szene von solcher Wucht erlebt zu haben. Auch das Publikum scheint sich der Aussagekraft des Films an dieser Stelle bewusst zu werden. Das Lachen, das sie anlässlich der oben beschriebenen Fressszene über den traurigen Helden schütteten, bleibt den meisten hier in der Kehle stecken. Leider fehlt Tashlin das Format - und er wird dabei von seinem Star und Produzenten Lewis wohl zurückgehalten -, die Konsequenzen aus dieser Szene zu ziehen, und es mag durchaus sein, dass die Wirkung rein zufällig ist.
Um diese Sicht auszubauen, bedarf es zweifellos auch einer anderen Form als der von Tashlin bevorzugten Reihung von Gags. In dieser Hinsicht ist ihm Jerry Lewis - diesmal als Regisseur - weit überlegen. Die Dramaturgie seiner eigenen Filme wie THE LADIES' MAN oder THE NUTTY PROFESSOR ist sehr viel straffer, wenn auch die Satire in seinen Filmen nicht so weit geht. So sind die letzten Lewis-Filme im Grunde besser, weil kohärenter als Tashlins. Dafür hält sich Tashlin wiederum mehr an die vorgefundene und von ihm neuorganisierte Wirklichkeit des amerikanischen Alltags, während Lewis seine Filme eher im Phantastischen ansiedelt. Die "Botschaft", die den Schluss etwa von THE NUTTY PROFESSOR bildete, fügt sich dem bisher Gezeigten logisch an. Das Ende von DER LADENHÜTER kommt unvermittelt und scheint dem Inhalt des Films sogar zu widersprechen: nachdem ein Staubsauger, der sich selbständig gemacht hat - die allen Tashlin-Filmen eigene Verselbständigung der Objekte -, so ziemlich alle Errungenschaften der Zivilisation verschlungen und als Kompott wieder ausgespien hat, verlässt Phiffier seine Freundin, als er ihre wahre Identität feststellt. Man sieht ihn wieder als Hundeführer. Aber hinter ihm marschieren - ebenfalls in der Kluft des Hundeführers - Mutter, Vater und Tochter, die ihn für das Geschehene um Verzeihung bitten. Als ob 's so einfach wäre.
Dennoch gehört DER LADENHÜTER zu den erfreulichsten Filmen, die im letzten Jahr aus Hollywood herüberkamen. Mit viel Inside-Gags ausgestattet (vgl. Hans Peter Kochenrath: Die Verweisung, in
), bietet er dem Cinéphilen auch noch das bekannte Filmquiz von Anspielungen, Parodien und Zitaten.
Man würde Tashlin gern die Position des von ihm karikierten, amerikanischen Fernsehseriendoktors KILDARE zuerkennen, der seinen Patienten ohne Narkose operiert. Die amerikanische Gesellschaft, der Tashlin zuleibe rückt, schläft leider tiefer. Tashlins Kratzer dürften sie allenfalls ein wenig kitzeln. Aber aufwecken? Oder gar heilen?       Alexander Fouquet
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Nackt unter Wölfen
DEFA 1963; Regie: Frank Beyer; Drehbuch: Bruno Apitz/Frank Beyer; Kamera: G. Marczinkowski; Darsteller: Erwin Geschonnek, Armin Mueller-Stahl, Gerry Wolf, Fred Delmare, Peter Sturm, Erik S. Klein, Krystyn Wojcik, Viktor Awdjuschko.
Man hat keinen Anlass, der DEFA für die jüngste Vergangenheit Lorbeerkränze zu flechten. Allein Frank Beyers Filmfassung des Buchenwaldromans NACKT UNTER WÖLFEN vermochte sowohl in etwa den Anschluss an Entwicklungen der internationalen Kinematografie zu halten als auch ein gesamtnationales Filmerlebnis zu vermitteln (Konrad Wolfs GETEILTER HIMMEL war bei Niederschrift dieser Zeilen noch unbekannt. F.G.). Es schmälert die Bedeutung von NACKT UNTER WÖLFEN nicht, zugleich feststellen zu müssen, dass TRANSPORT AUS DEM PARADIES (CSSR 1963; Regie: Brynych) und Munks Filmfragment DIE PASSAGIERIN (1961/63) - also Streifen ähnlicher Thematik und ähnlicher Zielsetzung - in der philosophischen Fragestellung weiter gehen und damit letztlich für die Gegenwart zu legitimeren Aussagen gelangen. Die Bereicherung der Antifaschismus- und Antikriegsthematik durch neue Akzente geschieht hier nahtloser, das Rütteln an konventionellen Tabus ist konsequenter. Die zentrale geistig-moralische Konstellation in NACKT UNTER WÖLFEN, der Konflikt Vorstand - Gefühl ist keineswegs ausgeschöpft, man bricht unterwegs ab, geht seinen Verästelungen nicht mehr nach.
Und doch - diese Einwände inbegriffen - ist der erste deutsche KZ-Film nicht nur durch sein Thema achtbar und bemerkenswert. Aus vielen Einzelbeobachtungen setzt der Film das Mosaik der Barbarei der KZ-Organisation zusammen. Aus Details erwächst die innere und äussere Physiognomie des Lagers. Das Grauen wird nicht überbetont, auf harte Schocks wird verzichtet. Die Schreckensstätte Buchenwald wird sparsam in Andeutungen gegeben. Virtuos gehandhabte Kunst des Weglassens, - doch gerade die übriggebliebenen Momente der Barbarei und des Grauens sind emotional tief beeindruckend. Der Appellplatz wird zum Synonym der systematischen Abtötung menschlicher Würde. Das Krematorium mit der Todeswolke im Hintergrund. Das menschliche Vakuum der Todeszelle im Bunker. Bei der Ankunft des Transports der polnischen Häftlinge im Lager ersteht für Minuten ein erschütterndes Inferno. Assoziationen an Auschwitz, Maidanek, Bergen-Belsen bilden sich.
Die Atmosphäre des Terrors verschwindet erst im Epilog, dem Strom der befreiten Häftlinge, aus dem Film. Bis dahin ist das Moment tödlicher Bedrohung stets latent.
Eine notwendige Korrektur liefert der Film bei der Zeichnung der KZ-Wächter. Hier gibt es keine Dämonisierung und Verteufelung. In der Vergangenheit war das Profil der SS-Leute oft sozial unscharf, neben der Dämonisierung gab es die Abstraktion zu glatt funktionierenden Mechanismen (DER FALL GLEIWITZ).
In NACKT UNTER WÖLFEN ist die SS mehr in ihrem sozialen Gesicht auf die Leinwand gebracht. Das gängige Abziehbild ist verschwunden. Die Henker sind keine uniforme Masse. Nuancen werden erkennbar: Da ist Lagerkommandant Schwahl, ein Bürokrat des Todes, sein Verwalter, nicht sein Instrument. Da ist das gefährliche, subalterne Reptil Kluttig, die der Rapportführer Reineboth, ein sich intellektuell gebendes Tier, das seine zynischen Posen goutiert. Da ist Zweiling, ein lavierender Kleinbürger in der Mördermontur. Sie alle tun irgendwie ihre "Pflicht", sind keine Pathologen, keine abnormen Monstren, sondern normal denkende, essende und schlafende homines sapientes. Sie prügeln und töten, fast gleichgültig, eigentlich ohne besonderen Hass auf das konkrete Individuum. Sie sind Schräubchen im Räderwerk eines Systems. Ihr Funktionieren ist von humanitären Regungen nicht beeinflusst. An Ende rundet eine gespenstische Schlüsselszene das Porträt ab: Das Vertauschen der Mörderuniform mit Zivil. Ohne Götterdämmerungspose, ohne übergrosse Hysterie, tritt man (zunächst!) ab. Man hat Pech gehabt, man wird wiederkommen. Man bleibt verwendungsfähig.
Aber das Porträt der Henker macht nur die eine Seite der Physiognomie des Lagers aus. Den Henkern stehen ihre Besieger gegenüber: keine armseligen, geduckten Menschenbündel, Zerrbilder der menschlichen Existenz, vielmehr innerlich freie, aufrechte Menschen, die sich ihre Würde erhielten. In selbstloser Menschlichkeit bewahren ihre Besten das Leben anderer, am schönsten versinnbildlicht in der Rettung des Kindes.
NACKT UNTER WÖLFEN ist jedoch keine problemlose Apotheose der Humanität. Es wird gezeigt: Es gibt keine Humanität an sich. Jede menschliche Regung und Haltung kann in einer unmenschlichen Umwelt selbst zu einer Bedrohung der Menschlichkeit werden. Der Konflikt Verstand - Gefühl rückt in den geistigen Mittelpunkt des Films. Die hier entstandene Alternative wird als eine künstliche, von den unmenschlichen Umständen erzwungene, gezeigt. Die Notwendigkeit der Härte trägt tragische Akzente, so bei dem widernatürlichen Entweder-Oder: das Leben des Kindes - das Leben von Tausenden. Wir werden an Brechts Worte "An die Nachgeborenen" gemahnt: _... wir, die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit, konnten selbst nicht freundlich sein _...". Krämers Ausruf im Film: "Manchmal denke ich, wir sind doch eine verdammt hartgesottene Gesellschaft geworden!" hat seine Parallelen in Brechts _... auch der Hass gegen die Niedrigkeit verzerrt die Züge
Diese geistig-moralische Problematik, obwohl nicht bewältigt, enthebt NACKT UNTER WÖLFEN der Gefahr, zu einem reinen Aktionsfilm zu werden. Auch im Schicksal des Häftlings Rose ist ein echter Konflikt aufgespürt. Rose versagt, wird schwach in einer entscheidenden Stunde. Die Schöpfer des Films entschuldigen ihn nicht, diffamieren ihn aber auch nicht moralisch. Sie versuchen, seine Haltung zu begreifen. So zeigen sie sein Ringen, seinen erschütternden Kampf gegen seine eigene Schwäche. Rose wird zu einer tragischen Figur, ist kein blosser Kapitulant.
Regisseur Frank Beyer entschied sich in seinen bisherigen Filmen stets für Motive und Leitbilder als emotionales und rationales Fundament. In seinem Streifen KÖNIGSKINDER war es das Gleichnis von den zwei Königskindern als deutsches Schicksal in der faschistischen Nacht. Bekanntlich trug es nicht den ganzen Film. Der eigentliche dramatische, künstlerisch interessanteste Konflikt lag ausserhalb des Königskindermotivs, in der Verbindung des Jürgen mit dem Schicksal der Königskinder. In NACKT UNTER WÖLFEN ist das Motiv des Kindes, das nackt unter Menschen und Wölfen lebt, zwingender als das Königskindermotiv; es kann durchgehalten werden. Die Vorlage erlaubte, ohne Maniriertheit das Motiv zur dramaturgischen und emotionalen Klammer des Films zu machen. Sämtliche Konflikte, Widersprüche und Kollisionen des Films nehmen letztlich aus der Tatsache, dass ein Kind vor den Henkern zu retten ist, ihren Ursprung. Dies verleiht dem Film eine beträchtliche gedankliche und auch stilistische Einheit. Das Kind ist gleichsam zum Spiegel der Menschlichkeit geworden. Im Verhalten zu ihm bewährt sich Menschlichkeit und Menschenwürde. Das Kind ist zugleich Stimulans der Fabel wie auch reales filmisches Symbol des Reinen, der Menschlichkeit. Es trägt gleichfalls die Symbolik des Zukünftigen, der Hoffnung auf Befreiung und auf das Leben.
Am Schluss ein Lob der Einfachheit. Die DEFA-Geschichte bietet wenig Beispiele, wo es in gleicher Weise gelang, ein grosses Thema schlicht und unpathetisch auf die Leinwand zu bringen. Der Buchenwald-Film ist von wohltuender Schlichtheit. Keine grossen Gesten, keine plakative Schaustellung, keine aufdringliche Bedeutsamkeit. Es sind gerade die stillen Szenen, die echtes, nachwirkendes Pathos vermitteln. So Pippigs Tod, so die Befreiung von Höfel und Kropinski aus dem Bunker. Da ist keine Rethorik, da ist keine Geste zuviel. Und dem Taumel des Sieges, dem Sturzbach der Freude steht das Ende des alten Häftlings gegenüber. Das Befreiende lässt nicht das Mahnende verstummen.       Fred Gehler
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Neun Tage eines Jahres
DJEWJATJ DNJEI ODWOGO GODA; Sowjetunion 1962; Regie: Michail Romm; Buch: M. Romm, Danili Chrabrowizki; Kamera: German Lawrow; Darsteller: Alexei Batalov, Inokenti Smoktunowski, Tatjana Lawrowa, Nikolai Plotnikov.
Die Geschichte des Films NEUN TAGE EINES JAHRES ist nicht kompliziert; sie vollzieht sich an neun auf ein Jahr verteilten Tagen: Die beiden befreundeten Physiker Gussew und Kulikow lieben eine junge Kollegin, die schliesslich Gussew heiratet. Doch setzt sich Gussew, der sich total seiner Arbeit widmet, zum zweitenmal einer radioaktiven Bestrahlung aus - bei einer früheren Katastrophe war sein Lehrer Shinzoff ums Leben gekommen - und zieht sich eine Leukämie zu, für deren Heilung nur geringe Aussichten bestehen. Inzwischen führt Kulikow die begonnenen Experimente für seinen Freund fort. Romm vereinfachte zugunsten der Charaktere das ursprüngliche, der konventionellen Filmdramaturgie nach tragfähigere und kompliziertere Drehbuch.
Der Kameramann German Lawrow bildete dies in einem stark abstrahierenden, fast nüchternen Stil, der keine die Realität verändernde Mittel (Zeitlupe, Rückblende) zuliess, ab. Seine scharf konturierten Bilder vermeiden Schattierungen, wie auch eine diffuse Atmosphäre. Ebenso zweckgebunden bleibt der Kamerawinkel und die Kamerabewegung, so dass den Einstellungen selten symbolischer Wert beigemessen werden kann, was eher für das stilisierte Dekor zutrifft. Höchst interessant für einen so exponierten sowjetischen Film ist der optische Duktus, der durch eine unmobile Kamera in seinem Fluss gehemmt und durch sprunghafte Überleitungen unterbrochen wird - ein Prinzip, das die Dramaturgie mit ihren Mitteln anwendet -, um eine distanzierte und präzise fixierte Betrachtungsposition zu erzwingen. Der Kameraführung ähnliche Wirkungen erzielt der dramaturgische Aufbau des Geschehens, wozu das ursprünglich von Danili Chrabrowski vorgelegte Drehbuch dergestalt umgebaut wurde, dass durch neun ausgewählte Tage die Bindung an eine kontinuierliche Handlung gelockert und teilweise sogar destruiert wurde, um dramatische Spannungsfelder zu schwächen. Das ist schon in der Montage zu bemerken, die geradlinige abrupte Schnitte bevorzugt, ohne dabei aber visuelle Gegensätzlichkeiten zur Kollision kommen zu lassen, wie das in der sowjetischen Filmgeschichte zu hoher Perfektion kultiviert worden war.
Die dramaturgische Gliederung der durch die Montage entstandenen Einheiten erhält analytischen Charakter. Dies wird schon daran sichtbar, dass grössere, in sich geschlossene Handlungskomplexe nicht in ein Kapitel bzw. einen Tag gefasst, sondern durch eine tiefe Zäsur - in den meisten Fällen ist es der Beginn eines neuen Tages, der durch einen Sprecher und die filmisch unorganischen Elemente einer Kapitelüberschrift und eines Standphotos markiert ist - auf zwei zeitlich und räumlich getrennte Schauplätze zerlegt werden. Ohne Zweifel birgt die Handlung latente Konfliktsubstanz und eine Reihe potentiell vorhandener dramatischer Elemente, die aber ohne Ausnahme eliminiert sind, so dass die Erzählweise des Films chronikartig nüchterne Züge erhält.
Aufgrund der Reduzierung des visuellen Sektors erhalten die Charaktere erhöhte Bedeutsamkeit. Dieser Komplex ist ohnedies bei der Analyse eines Films aus dem sozialistischen Lager kaum umgänglich, hier aber besonders, weil es sich bei dem Autor Chrabrowizki (Drehbuch zu Tschuchrais KLARER HIMMEL) um einen der wichtigsten Exponenten des nachstalinistischen "Tauwetters" handelt.
Zunächst ist ungewöhnlich, dass mit der Darstellung des Lebens eines Atomphysikers dem Betrachter kein Kollektivschicksal, oder wenigstens das einer statistisch repräsentativen Figur demonstriert wird; auch unterbleibt der doktrinär obgligatorische Ausweg, eine mit marxistischer Fortschrittsgläubigkeit und didaktisch-thesenhafter Friedenspropaganda gepaarte Apotheose des Forschenden zu bieten. Arbeiter und Bauern fehlen überhaupt, wenn man von dem lediglich als Ideenträger figurierenden Vater Gussews absieht.
Das Porträt des Intellektuellen Gussew weicht vom gewohnten Schema ab. Gussew, der von seiner Arbeit faszinierte Idealist, ist der positive Charakter, doch fern dem Klischee des in innerer Harmonie mit der sozialistischen Gesellschaft handelnden Kämpfers, dessen aktive, offensive Haltung durch auftauchende Schwierigkeiten gesteigert wird. Er ist eher Einzelgänger, bar aller klassenkämpferischen Züge. Bei ihm tauchen Zweifel und Schwierigkeiten auf, mit denen er aber nicht fertig wird, so dass die unbewältigte Problematik seiner privaten Existenz eine Diskrepanz von humanitärer und technischer Evolution in der sozialistischen Gesellschaft offenbart. Auch sein Sieg bleibt aus - er wird todkrank in eine Klinik gebracht und seine vermeintlichen Erfolge mit einer thermonuklearen Reaktion stellen sich als billiger Nordlichteffekt heraus, der ihm zu Ehren in "Gussews", in Gänsen, wie das Wort übersetzt heisst, gemessen wird. Die Stelle eines tragischen, vom Optimismus erhellten Endes des positiven Helden nimmt hier ein letztlich ironisches Schicksal ein. Es braucht nicht näher ausgeführt zu werden, dass Gussew noch viel weniger mit dem Typus des anfänglich von innerer Widersprüchlichkeit erfüllten Helden zu identifizieren ist, der seine von Beginn an potentiell vorhandenen positiven Eigenschaften zum Durchbruch bringt, denn seine Persönlichkeit weist zwar Disharmonien auf, macht aber in diesem Sinne keine Entwicklung mit.
Das stärkste "Tauwetter"-Element des Films ist die in der sowjetischen Kritik heftig umstrittene Figur des Kulikow, einer Verkörperung jener skeptischen Generation, die sich im sozialistischen Lager zusehends emanzipiert. In Anbetracht der Gefahren des technischen Fortschritts reagiert er mit Pessimismus, der bisweilen in massiven Zynismus umschlägt. Seinem Wesen ist eine gewisse intellektuelle Selbstgefälligkeit zu eigen, die zum Enthusiasmus Gussews in starkem Kontrast steht. Er entspricht, wenn diese Kategorie überhaupt noch zulässig ist, dem negativen Typus. Aber er folgt keineswegs der vom Dogma bestimmten Tradition der Selbstkritik, die als dialektische Gesetzmässigkeit die besondere Form der Aufdeckung und Überwindung der Widersprüchlichkeit der sozialistischen Gesellschaft darstellt. Im Gegenteil: er kritisiert nicht sich selbst, sondern spottet seinerseits über seinen Freund und wagt sich in seinen kritischen Bemerkungen in bisher unangetastete Bereiche vor. In einem ironischen Exkurs über die Dummköpfe sagt er: "Die Dummköpfe gibt es in jeder Gesellschaft - einheimische und fremde", und weiter: "Keine Gesellschaftsform ist vor der Existenz der Dummköpfe gesichert. Sie haben nämlich einen Vorzug: sie können sich nicht irren."
Eine zweite Möglichkeit, ihn als eine der negativen Kräfte anzuprangern und die Massen ihnen gegenüber zu einer unversöhnlichen Haltung zu erziehen, gibt es ebenso wenig. In keiner Szene artikuliert sich gegen Kulikow Aversion. Er wird von seinen Kollegen geachtet und ist am Schluss derjenige, der sich behauptet. Auch aus der Antithetik der Charaktere ergeben sich keine Konflikte, aus denen ein Begriff höherer Ordnung hervorgehen könnte. Denn die Konflikte werden nicht aus soziologischer, sondern vorwiegend aus psychologischer Sicht behandelt. Es geht hier um die Privatisierung des Menschen, um die Anerkennung seiner privaten Existenz. Wenn auch der Einbruch in die Routine bisheriger Filmgestaltung schon etwa 1955 durch Grigori Tschuchrai vollzogen wurde, so trägt dieser Film durch den Einbezug der privaten Sphäre und durch seine Tendenz zur Humanisierung wesentlich zur Überwindung der Sterilität früherer Charaktere bei.
Bislang nicht berücksichtigt sind die politisch-philosophischen Gespräche, in denen sich die Forscher um eine sittliche Klärung ihrer Situation bemühen. Die geschickt arrangierten Gespräche kreisen um Themen, denen sich die Forscher konfrontiert sehen, seit der politische Zusammenhang ihrer im Wesen apolitischen Arbeit durch die Technisierung der Kriegführung klar zutage trat. Dabei bleibt die geschichtsphiiosophische Frage der Verantwortung der Forschung für die Entwicklung zur Technokratie am Rande berührt. Das jedoch schon in früheren Zeiten aufgetauchte Unbehagen an diesem, seinem Wesen nach immer zugleich zerstörenden Prozess, teilt der Skeptiker Kulikow, indem er etwa bei Flugzeuggeräuschen die Assoziation zu Krieg verbindet. Jener Zusammenhang von Kriegstechnik und Wissenschaft, die einer der Kollegen "das furchtbarste Paradox unseres Jahrhunderts" nennt, ist für die Forscher des Films zu einem dringlichen Problem der Verantwortung geworden, in dessen Folge das kennzeichnende Phänomen der Spaltung zwischen Berufsarbeit und Gewissen zu Tage tritt. Gussew sieht durchaus die Gefahren seiner Arbeit, bejaht sie aber in einem Gespräch mit seinem Vater und steht sogar zur Sanktionierung wechselseitiger Atomrüstung zur Erlangung eines Gleichgewichtes des Schreckens, das den Frieden garantieren soll. Aus dem Dilemma der verbleibenden Unsicherheit zeigt sich aber ein Ausweg: es ist die Distanzierung, der überlegte Verzicht auf bestimmte technische Möglichkeiten. Und gerade eine solche Bescheidung scheint sich am Hochzeitstag Gussews anzudeuten, wo der Mathematiker Nikolai mit einer einfachen Berechnung seinen angetrunkenen Kollegen die Unsinnigkeit beweist, mit Raumschiffen das galaktische System zu verlassen.
Die Schauspieler, die Romm engagiert hatte, entsprechen durchaus seinem Postulat des "klugen Menschen" im Film, d. h. er war auf der Suche nach Darstellern, die ganz im Gegensatz etwa zu der Auffassung Antonionis - ein Filmschauspieler müsse in seiner Intuition gelenkt werden und brauche nicht zu verstehen, sondern nur zu existieren - durch ihre Intelligenz die Fähigkeit aufbrachten, ihren "inneren Apparat" zu handhaben und so eine von äusseren Effekten und Exaltation freie, bewusste Analyse psychischer Reaktionen zu vermitteln. Batalov, der Darsteller des Gussew, hat sich selbst theoretisch mit Antonioni auseinandergesetzt. Er ist der Prototyp des intellektuellen, der naiven Unmittelbarkeit entfremdeten Schauspielers, dessen Geste reine Resonanz eines intellektgebundenen Vorgangs ist. Die Stellungnahme Batalovs umreisst präzise die Grundlagen des Stils, den er und der in seiner ironischen Distanz brillante Inokenti Smoktunowski (als Kulikow) exemplifizieren. Doch liegt eine gewisse Gefahr in der Verhaltenheit und der asketischen Distanz zu den eigenen Emotionen, die an Tatjana Lawrowa (Gussews Frau) sichtbar wird: durch ihre Kälte und Beziehungslosigkeit liefert sie keine künstlerisch befriedigende Leistung. Dafür zählt die episodenhafte Figur des Shinzoff (Nikolai Plotnikov) zu den überragenden Errungenschaften des Films. Die Typologie der Nebenfiguren und die Synchronisation sind, von einzelnen Schwächen abgesehen, durchaus akzeptabel. Als stilistische Besonderheit wäre noch zu vermerken, dass dem Film gänzlich eine unterlegte Musik fehlt, was seiner sachlichen Konzeption entspricht.       Werner Herzog
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Harakiri
SEPPUKU, schwarz-weiss, Grandscope, Japan 1962, Regie: Masaki Kobayashi, Buch: Shinobu Hashimoto nach einer Novelle von Yasuhiko Takiguchi, Kamera: Yoshio Miyajima, Deutsche Fassung: Donald Richie; Darsteller: Tatsuya Nakadai (Hanshiro Tsugumo), Shima Iwashita (Miho Tsugumo), Akira Ishihama (Motome Chijiiwa), Rentaro Mikuni (Kageyu Salto).
Die Chronik des Hauses Iji weiss zu berichten, dass an einem 13. Mai im 17. Jahrhundert ein Ronin - ein Samurai ohne Herr - zu dem Erben Kageyu Saito kam und ihn um die Gnade bat, in seinen Räumen das Ritual des Harakiri vollziehen zu dürfen. Im Innenhof des Palastes versammeln sich die Gefolgsleute, um Zeuge dieser Zeremonie zu werden, die dem Ehrenkodex der japanischen Kriegerkaste entsprechend dem herrenlosen Samurai erlaubt, sein Leben ohne Schande zu beschliessen. Der Ronin Hanshiro Tsugumo sitzt in Hockstellung auf einem weissen Geviert, sein Schwert, mit dem er sich den Leib kreuzweise aufschlitzen wird, ruht vor ihm auf einem kleinen Schemel.
Soweit die klassisch anmutende Exposition des ersten Jidai-geki-Films von Masaki Kobayashi, der hierzulande lediglich mit seiner Trilogie NINGEN NO JOKEN im Verleihprogramm mit dem irreführenden Titel BARFUSS DURCH DIE HÖLLE vertreten ist. Unter Jidai-geki verstehen die Japaner ein Genre, das zu gut einem Drittel die Filmproduktion ihres Landes ausmacht und das die Heldentaten der Samurai in Waffen feiert. Vielleicht den schönsten Film dieser Art lieferte Kurosawa mit DIE SIEBEN SAMURAI, einer elegischen Klage und Huldigung zugleich auf das Geschlecht der Schwertträger einer glorreichen Vergangenheit. Ganz anders als Kurosawa, bei dessen Samuraiepos der westliche Betrachter sich nicht ganz schlüssig ist, ob der Regisseur auf Seiten der Krieger steht und die Tatsache, dass sie ihre Rolle ausgespielt haben, bedauert, geht Kobayashi die Epoche an. Man kann sich gut vorstellen, dass die Japaner den Film von Kurosawa geliebt haben, für uns jedoch, die wir wenige Sumaraifilme gesehen haben, aber durch Donald Richie ("The Japanese Film") wissen, wie sie aussehen, bleibt es sehr zweifelhaft, ob HARAKIRI auch in seinem Herstellungsland estimiert wird. Denn Kobayashi kommt es keineswegs darauf an, in die Kerbe der historischen Kinofabeln zu schlagen und einen neuen Aufguss eines verklärten Geschichtsbildes zu liefern.
Den Präliminarien des Bauchaufschlitzens ist eine Schilderung des Erben vorausgegangen, durch die er den Ronin Hanshiro Tsugumo von seinem vorgefassten Entschluss abbringen wollte. Er hat erzählt, wie es einem jungen Mann namens Motome Chijiiwa ergangen ist, der das gleiche Ansinnen hatte. An ihm wollte das Haus Iji ein Exempel statuieren, denn es war in der Epoche des Friedens bei den verarmten Samurai Sitte geworden, das Harakiri einem Adelsherrn anzubieten, in Wirklichkeit jedoch hoffte der Krieger auf das Mitleid des betreffenden Hauses und erwartete, dass man ihn mit Geldgeschenken seiner Wege ziehen lassen würde. Diese für einen Samurai unwürdige Haltung war so stark verbreitet, dass Scharen von ihnen vor den Höfen der Fürsten bittstellig wurden und androhten, sie würden Harakiri vor dem Eingang begehen und somit das betreffende Haus schänden, falls man ihnen die Unterstützung versage. Motome, der offensichtlich mit der Barmherzigkeit der Ijis gerechnet hatte, wurde gezwungen, den rituellen Selbstmord auszuführen, obwohl er um zwei Tage Aufschub bat, um in dieser Zeit seine persönlichen Dinge in Ordnung zu bringen. Der junge Ronin, der in tiefer Armut die Stahlklingen seiner Schwerter verkauft und diese durch Bambusholz ersetzt hatte, sah sich vor die unmögliche Aufgabe gestellt, mit einer solchen Klinge, die nicht einmal ein Stück Papier geritzt hätte, sich den Leib zu spalten. Die Harakiri-Sequenz wird von der Scopekamera in allen Details und erdenklichen Winkeln festgehalten, bis zu dem Augenblick, in dem sich der vor Schmerzen windende Motome die Zunge abbeisst und ein sekundierender Samurai ihm mit einem Schwertstreich den Kopf abschlägt. Damit hat Kobayashi erreicht, dass der Betrachter, wahrscheinlich vor allem der japanische, erst einmal mächtig schockiert in seinem Sessel verharrt und sich seine Vorstellungen vom Harakiri - einer Tat, die mit Ehrbegriffen wie Tugend, Mannesmut und dergleichen ähnlichen Floskeln verbunden ist - neu zusammenordnen muss. Denn diese Zeremonie hat wenig Erhabenes an sich und vor allem nichts von dem, was dem Ausführenden viel von der Ehre einbringt, die den Menschen adeln soll. Es heisst, dass der heutige Japaner mit seiner modernen Gesellschaft nicht voll zufrieden sei, die es ihm nicht gestattet, wie ein Samurai zu leben, in England ist es das Ideal vom Gentleman. Wie unangenehm überrascht muss er sein, wenn man ihm den Moralkodex der Samurai in einem kaum wohlgefälligen Licht präsentiert.
Hanshiro hat sich durch die Erzählung des Erben nicht von seinem Entschluss abbringen lassen, er befindet sich im Innenhof der Ijis am gleichen Platz wie Motome, und die Samurais des Hauses sitzen in ihrem Waffenstaat um ihn herum, der Dinge harrend, die da kommen werden. Der dem Tod Geweihte bittet um die Ehre, dass ihm der berühmteste Schwertträger der Familie bei der Ausführung des Harakiri assistieren möge. Es stellt sich heraus, dass der Samurai nicht verfügbar ist. Zwei weitere benannte Krieger sind ebenfalls nicht anwesend. Während nun nach dem Verbleib der ruhmreichsten Schwertträger geforscht wird, beginnt Tsugumo die Geschichte seines Lebens zu erzählen, um die Zeit des Wartens zu überbrücken, und beschwört glückliche Tage seines Lebens als Samurai herauf. Die Versammelten des Hauses Iji erfahren nun, dass der auf schreckliche Art und Weise ums Leben gekommene Motome mit dem Erzähler verwandt und der Ehemann seiner Tochter war. Sie vernehmen vom traurigen Schicksal, das Hanshiro und seine Familie heimgesucht hat und warum der junge Motome um die zwei Tage gebeten hatte, um sich von seiner Gattin und von seinem Sohn zu verabschieden. Die Reaktion in ihren Gesichtern und die Äusserungen des langsam ungeduldigen Erben verraten jedoch lediglich Hohn und Verachtung.
Die Erzählung des Ronin, die einen grossen Teil des Films ausmacht, wurde von Kobayashi in Form einer mehrfach durchbrochenen Rückblende inszeniert. Sie lässt die Kritik des Regisseurs an den ethischen Normen, die die Form des blutigen Rituals ihres Sinns und Inhalts entkleiden, verflachen. Denn was Hanshiro von sich gibt, ist nur bedingt die Charakterisierung einer Epoche, der "flash-back" dient schliesslich im Endeffekt nur dazu, die Rachegefühle eines einzelnen Mannes zu motivieren, der sich nicht gegen eine Obrigkeit auflehnt und ihre Rechtmässigkeit anzweifelt, sondern der sich gegen die starre Haltung derselben wendet, die zur Zerstörung seines privaten Glücks geführt hat. Der Polemik gegen den Anarchismus einer überholten Tradition wird dadurch der schärfste Stachel genommen. Bei den Berliner Festspielen im letzten Jahr war BUSHIDO ZANKOKU MONOGATARI (dort frei übersetzt mit SCHWUR DER GEHORSAMKEIT) von Tadashi Imai zu sehen, der zwar stilistisch nicht so gefällig wie HARAKIRI ist, der aber in der "Botschaft" ganz ohne Hakenschlagen auskommt. Das dürfte vor allem daran liegen, dass Imai ein Mann aus dem extrem linken Lager und aus diesem Grund mit marxistisch gefärbter Dialektik an den Samuraistoff herangegangen ist, während Kobayashi als Regisseur der Rechten gilt. Ihm dürfte die Reduktion auf das individuelle Schicksal gerade das Richtige gewesen sein, um nicht aus dem Gleichgewicht zu kommen.
Dass im Rachegefühl von Tsugumo die Schwäche des Films liegt und nicht etwa in der larmoyanten Zeichnung der Familie des Ronin - abgesehen vielleicht von Ozu kenne ich keinen japanischen Regisseur, der das Bild einer Familie nicht ein wenig weinerlich in seinen Filmen zeichnet; selbst Mizuguchi in seinem berühmten Film UGETSU MONOGATARI (Erzählungen unter dem Regenmond) - zeigt der weitere Verlauf der Handlung. Als nämlich Hanshiro sich der platten Verachtung für seine Erzählung bei den versammelten Samurai bewusst wird, lässt er die Katze aus dem Sack. Er greift in sein Gewand und zieht drei Haarschöpfe heraus, die er im Zweikampf den Schwertträgern abgeschnitten hat, um deren Beistand beim Ritual er den Erben des Hauses Iji gebeten hatte und die - wie aus seiner Erzählung deutlich wurde - eine wichtige Rolle beim schändlichen Tod seines Schwiegersohnes gespielt haben. Die Schande, die Tsugumo den drei Erlauchten zugefügt hat, zeigt Kobayashi in einer dreifachen Rückblende. Sie ist wahrlich gross, und die drei Samurai waren gut beraten, ihren massakrierten Haarputz und sich selbst zu verbergen, bis über den Schaden wieder Haare gewachsen sind.
Nachdem die Ijis von den unehrenhaften Vorgängen informiert worden sind, greift der Harakiriaspirant nach seinem Schwert, nicht, um es sich in den Unterleib zu stossen, sondern um gegen die Phalanx der Samurais anzutreten, die er in einem choreographisch sehr reizvoll aufgebauten Gefecht, das in manchen Einstellungen an Kurosawas KUMONOSUJO (Spinnenschloss) gemahnt, beachtlich dezimiert. Hanshiro geht sogar soweit, den Hausgott von seinem Podest zu entfernen und ihn als Schutz vor seinen Angreifern zu verwenden. Bevor ihn eine Garde von mit Flinten bewaffneten Samurai niedermacht, entleibt er sich selbst. Kurz darauf gibt der Erbe Saito die Anweisung, die drei Samurai, die Schande über das Haus gebracht haben, erschlagen zu lassen, ihr Tod jedoch und derjenige der im Gefecht mit dem Ronin Tsugumo gefallenen Krieger soll vertuscht werden. Die Männer sind an einer schweren Krankheit gestorben und Tsugumo durch Harakiri, dessen Selbstmord in Wirklichkeit nichts anderes war als ein letzter Racheversuch an dem Hause Iji. Harakiri, ohne Zeremoniell ausgeführt, bringt Schande.
Die Chronik vermerkt also den Todesfall der hauseigenen Krieger und die ehrenvolle Zeremonie des fremden Schwertträgers. Das unbequeme Geschichtsbild ist korrigiert und Ruhm und Ehre des Geschlechtes Iji dürfen weiter die Zeit überstrahlen.
Den Mythos der Samurai und deren eingeschliffene Vorstellungen von Moral und Ehre konstruiert bei Kobayashi allein die Überlieferung in Form der Chronik. Der eigentliche Handlungsvorgang soll den Mythos in Frage stellen. Ein ähnliches Schema als Vorlage für einen Film hat John Ford bei THE MAN WHO SHOT LIBERTY VALANCE benutzt und dadurch die Legenden des Westens - gemeint ist der far west - am Ende seiner Karriere angezweifelt, obwohl man solches bei ihm, der mit geringen Ausnahmen fleissig Legenden gezimmert hat, kaum erwartet hätte. Die Annahme, dass die Jidai-geki-Filme für Japan dasselbe bedeuten wie der Western für die Vereinigten Staaten, soll hier nicht unbedingt provoziert werden. Falsch ist sie wohl jedoch kaum, denn Wilfried Berghahn meinte bei seiner Rezension zu den SIEBEN SAMURAI (Filmkritik 8/62), dass bei der Exegese des Films Missverständnisse entstehen können, dies sei ein "Wild-Ost-Reisser". Den besten Beweis hierfür lieferte John Sturges, in dem er aus der Fabel von Kurosawa einen Western unter dem Titel THE MAGNIFICENT SEVEN machte und gewisse Einstellungen der Vorlage bis ins Detail übernahm. HARAKIRI dürfte in seinem Genre eine ähnliche Bedeutung zukommen wie dem John Ford Film im Western, doch bleiben beide für sich gesehen Ausnahmen und entsprechen keineswegs der Norm.
Kobayashis HARAKIRI ist sicherlich kein Meisterwerk, aber es ist ohne Zweifel begrüssenswert, dass man diesen Film hierzulande herausgebracht hat, wo Japan als Filmland äusserst stiefmütterlich behandelt wird. Unverständlich bleibt jedoch, warum der Verleih die deutsche Fassung um 538 Meter gekürzt und dazu noch eine Koryphäe wie Donald Richie als kinematographischen Metzger angestellt hat. Man scheint ganz einfach das Publikum überfahren zu wollen, indem man ihm von den drei Schwertkämpfen in der Rückblende schlicht eine unterschlägt und an einer anderen Stelle, die dem Rezensenten stark aufgefallen ist, aus dem deutschen Synchronlautsprecher brüllendes Lachen ins Parkett schickt, während sich die Protagonisten auf dem Bildstreifen offensichtlich über ein ernstes Problem unterhalten. Wenn schon geschnitten werden muss - als Rückhalt hat man immer die genormte Spielzeit der Lichtspieltheater parat -, dann sollte man schon Leute engagieren, die mehr als nur über die Wirkung und Funktion einer Schere unterrichtet sind. Trotzdem sollten Fachkräfte wie Laien in dieser Beziehung entbehrlich sein, denn es stimmt äusserst traurig, zu wissen, dass man von Ozu bis Kurosawa nur Beschnittenes auf der bundesdeutschen Leinwand sehen darf.       Klaus Hellwig
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Le Mepris
Frankreich 1963; Franscope/Technicolor; Regie: Jean-Luc Godard; Buch und Dialoge: Jean-Luc Godard nach dem Roman von Alberto Moravia; Kamera: Raoul Coutard; Musik: Georges Delerue; Darsteller: Brigitte Bardot (Camille), Michel Piccoli (Paul), Jack Palance (Jeremiah Prokosch), Fritz Lang (Fritz Lang); Produktion: Rome-Paris-Films-Compagnia Cinematografica (Roma).
Seinen letzten Film, der Godards künstlerischen Willen vielleicht am reinsten und reifsten unter allen seinen bisherigen Werken ausdrückt, hat der franco-schweizerische Regisseur nach dem Roman IL DISPREZZO von Alberto Moravia gedreht. Moravia, der angesehenste Romanschriftsteller Italiens, bietet mit seinem Namen Gewähr für einen Film, dessen Stoff als etwas abseitig betrachtet werden könnte. Dass man als Hauptdarstellerin Brigitte Bardot wählte, gibt die andere, noch sicherere Gewähr dafür, dass dieser Film ein Erfolg des Kommerzes werden kann. Und trotz dieser Absicherung hat Godard einen Film gedreht, der sich kühn und mokant über alle Erfolgskonventionalität hinwegsetzt. Godard benimmt sich völlig eigenwillig, er verwandelt Moravia, er verwandelt die Bardot, jeden von ihnen freilich in anderer Art; jenen, indem er den Sinn seines Romans umstülpt, diese, indem er ihre Reize zärtlich ironisiert.
Ein Blick auf den Roman Moravias ist am Platz, weil es von höchstem Interesse ist für die Wege des Künstlerischen, die Godard geht. Man wird, setzt man den Film mit dem Roman in Vergleich, sagen dürfen, dass Godard den Roman Moravias aufgegriffen hat aus Lust des Widerspruchs. Der Widerspruch ist ein doppelter: Für Godard ist IL DISPREZZO - so lauten seine Worte - "un vulgaire et joli roman de gare", und nach solchen Romanen macht man "souvent de beaux films". Godard hat in der Tat einen schönen Film daraus gemacht, schön gerade dadurch, dass er den Stoff in jene Distanz rückt, die Moravias mitleidlos enthüllende Erzählkunst nicht hat.
Aber der Widerspruch ist noch ein anderer: Moravia erzählt, auf dem Hintergrund einer im Milieu des Films spielenden Handlung, ein Exempel des moralischen Dualismus, in welchem die moderne Welt sich abmüht. Ihn, den Beobachter, der mit analytischer Kühle seziert, fesselt das Verfallensein von Mann und Frau, fasziniert die Dämonie der Diskrepanz, die bei aller Lust, sich erotisch zu vereinigen, Mann und Frau auseinanderreisst, weil die seelisch-geistige Kommunikation nicht mehr möglich scheint. In dieser Diskrepanz gibt Moravia - nach seiner Auffassung - das soziologische Bild der Liebe in unserer Zeit. Und er ist, indem er dieses Gegeneinander erotischer Potenz und seelischer Impotenz im Wesen des modernen Mannes aufzeigt und analysiert, ein Moralist.
Der Lebensdeutung, dem Moralismus Moravias steht Michelangelo Antonioni nahe. Antonionis Welt ist die gleiche wie die Moravias. Beide haben sich oft genug zueinander bekannt. Ihrer beider Werke entstehen unabhängig voneinander im gleichen Klima der Kritik an der modernen Welt, die sie als bürgerlich bezeichnen, der technisierten, dem Erfolgskalkül unterworfenen Welt, die nur noch arbeitet, um konsumieren zu können, und in welcher die Gefühle ebenfalls zu Reizmitteln, also zu Konsumgütern, geworden sind. Dass IL DISPREZZO wie alle anderen Romane Moravias im Grunde in die filmische Welt eines Antonioni gehören. Darüber war sich Godard, als er an das Buch herantrat, völlig im klaren. Es reizte ihn aber, die Welt Moravias zu verändern, sie umzustülpen, und er hat es getan. Zwar betont er, dass er das Hauptmaterial des Romans erhalten, dass er lediglich einige Details geändert habe. Aber diese Details enthalten den ganzen Godard, enthalten unverhohlen den Widerspruch gegen Moravia: der Held, der jetzt statt Molteni Javal heisst, wird vom "falschen Abenteuer" bei Moravia ins "richtige" Abenteuer geführt, von der "antonionischen Mattigkeit" zur Würde.
Godard hat sich nie für die soziale Realität, für die Analyse der Gesellschaft interessiert gezeigt. Er hat stets versucht, im Bild individueller Menschen das Bild der Gegenwart zu geben, die eine Zeit des Erbes ist, eine Zeit, in welcher junge Menschen alles fertig vorgefunden haben, die soziale Wohlfahrt, die Bildung, die politische Ordnung, den Komfort; eine Zeit, in welcher der Jugend nichts mehr zu tun blieb, als eben nun wohl dieses, die geistige, moralische und soziale Wohlfahrt dieser Zeit zu zerstören, gegen sie zu rebellieren, weil nur noch in der Rebellion ein Engagement sich anbot. Diese Rebellion ist seine Moral.
So erscheinen in LE MEPRIS die Menschen - ausgenommen die Figur Fritz Langs - als Schiffbrüchige der Modernität. Als Schiffbrüchige der westlichen Welt, die sich - nach dem Vorbild der Helden eines Stevenson - auf ein abgelegenes, einsames und geheimnisvolles Eiland gerettet haben. Das Geheimnis dieses Eilands ist, wie Godard sich selber interpretiert hat, die Abwesenheit allen Geheimnisses, also die Anwesenheit der Wahrheit. Im Film LE MEPRIS schenkt sich dieses Eiland auf Capri, wo die Schiffbrüchigen unserer modernen Zivilisation das Erlebnis oder besser: die allmähliche Erfahrung der Wahrheit gewinnen.
Capri, das ist für Godard Sinnbild der antiken Welt, wo der Mensch nicht gegen die Natur, sondern mit ihr Kultur geschaffen hat. Capri ist die antike Welt selbst. Rom ist die moderne Welt, und der Weg der Helden geht von Rom nach Capri. In Rom sind die Menschen dieses Films, Paul Javal und Camille, seine Frau (im Roman hiess sie Emilia), Opfer des gegenseitigen Beobachtens. In Capri werden sie, in der Gestalt von Fritz Lang, der einen Film über die Odyssee Homers dreht, ihrerseits vom "Film" nun beobachtet und beurteilt. Das ist die Essenz Godards: der "Film" wird zum Gericht über die Menschen. Das Gericht wird ausgetragen aus der Sicht der homerischen Welt, in welcher Einheit war.
Godard selbst hat das so formuliert: "Alors que l' odyssée d' Ulysse était un phénomène physique j' ai tourné une odyssée morale: le regard de la camera sur des personnages à la recherche d' Homère remplaçant celui des dieux sur Ulysse et ses compagnons." Figürlich ist die "Kamera" repräsentiert durch den Regisseur Fritz Lang (der sich selber spielt), Fritz Lang ist das Gewissen des Films, seine Ehrlichkeit; vor seinem Blick, vor seinem beruhigten Verständnis alles Menschlichen, das ihm Godard in dieser Rolle zuhält, lösen sich die Konflikte.
Die Geschichte erzählt den Verfall einer Ehe, die während zweier Jahre in einem Glück gehaust hatte, das so selbstverständlich war, dass es gar nicht auffiel. Der Mann, Javal, liebt seine Frau und begehrt ihre Liebe zurück, die in dem Augenblick gestorben ist, als Camille ihren Mann zu verachten begann. Verachtet sie ihn, weil sie den Eindruck haben musste, ihr Mann wolle sie, um seines Erfolges als Drehbuchautor willen, an den amerikanischen Produzenten verschachern?
Die Zerstörung der Liebe und der Ehe dieses Paares ist - im Roman wie im Film - gespiegelt in der Geschichte der Ehe des Odysseus, der, indem er die Freier tötete, vielleicht die Liebe der Penelope zurückgewinnen wollte. Paul Javal, der das Drehbuch schreiben soll und mit dem Produzenten in Widerstreit liegt, weiss, dass Töten sinnlos ist. Darin unterscheidet sich die moderne Welt von der antiken. Der Tod ist keine Lösung. Zwar verunglückt Camille zusammen mit dem Produzenten in dessen Wagen tödlich (im Roman, wo der Unfall sich auch anders zuträgt, ist nur Emilia tot). Der Held, Paul Javal, aber versinkt nicht in die Mattigkeit seines Romanvorbildes, die er wie bei Moravia oder Antonioni mit einigem Stoizismus anzuhalten hätte, sondern er erwacht zu sich selbst, er gewinnt Würde. Der Blick von der Terrasse des roten Hauses auf Capri, wo Fritz Lang gerade die Szene filmt, da Odysseus zum erstenmal nach der Irrfahrt wieder Ithaka sieht, dieser Blick des Odysseus und Pauls, der ein identischer Blick ist, bedeutet die Einkehr in die Einheit mit sich selbst.
Es ist nicht ohne Ironie, dass Godard den Film mit dieser Szene beschliesst: sie ist eine deutliche Anspielung auf Antonionis L' AVVENTURA, wo der Held, verzweifelt und in Selbstmitleid aufgelöst, in Schluchzen ausbricht und sich Trost in einer weiteren Umarmung verschaffen will, die ihm doch wieder die Kommunikation vorenthalten wird. Godards Held kennt kein Selbstmitleid (im Unterschied auch zu Moravia), er ist nicht verzweifelt, sondern hat sich im Anblick des Meeres, dieser ins Unendliche sich spannenden Ruhe, gesammelt.
Godard will, wer könnte es verkennen, ein Anti-Antonioni sein. Nur stellt sich die Frage, ob das genügt. Genügt es, sich zu stilisieren im Gegenbild zu einem anderen? Die Frage gehört zu jener anderen, ob es ausreicht - als Moral, als Lebenshaltung im Werk eines Künstlers -, dass der "Film" eine Art Gerichtstag ist, die Kamera jenes unerbittliche Instrument, das über das Leben urteilt, nachdem sie es genau betrachtet hat? Godard beruft sich, hinsichtlich dieser moralischen Funktion des Films, auf Rosselini, den er ja überhaupt als seinen Lehrmeister betrachtet und verehrt. Aber die moralische Anstalt, die der Film für Rosselini war und ist, ruht denn doch auf einem anderen Fundament.
Godard aber setzt an den Anfang seiner Kunst den Zweifel. Der Film hat die Macht, die Dinge und die Menschen aufzunehmen, sie im Bild gleichsam gefangen zu setzen und sie zu beobachten, bis sie sich ihren innersten Regungen preisgeben, und immer wieder gestaltet Godard dieses Beobachten und Verlangen nach Preisgabe des anderen in Einstellungen der Kamera, die die Augen der Beobachtenden, des Mannes und der Frauen, die einander prüfen, zur Basis haben, oder in Einstellungen, wo das gegenseitige Prüfen in einem fortwährenden Schwenken der Kamera von einem Gesicht zum anderen intensiviert wird. Das ist Godards leidenschaftliche Präokkupation: verwandelt sich ein Gesicht, wenn einer lügt, wenn einer die Wahrheit spricht? Dort, wo er dies ergründen will, geht die Kamera ganz nahe an die Gesichter heran, bei Paul und bei Camille; sonst hält sie sich in Distanz, der Produzent Jerry wird nie in die forschende Nähe geholt, seine Existenz ist Lüge ohnehin.
Wo wird Wahrheit sichtbar? Godard will sie schürfen auch in der Methode, nach welcher er seine Figuren reden lässt, mit ständigen Zitaten, diesmal von Homer bis Hölderlin, von Ramakrischna bis Brecht, mit Banalitäten und Gescheitheiten, die sich als Dialoge gebärden, wiewohl sie kaum mehr einen dialogischen Bezug aufweisen, bis zu dem Augenblick wenigstens, da sich - für den Zuschauer - ein gewisser Sinn im Zusammenklang mit der Handlung ergeben wird. Diese Methode ist zugleich ein Jonglieren mit Bildungsgut, das nicht mehr ganz ernst genommen wird, das verfremdet wird, um es aus dem Erlebnis der distanzierenden Ironie neu zu gewinnen.
Diese Ironie, nahe dem Zynismus, ist die Folge des Zweifels, mit dem Godard der Welt begegnet, obwohl sie im Bild des Films dingfest gemacht werden kann. Der realistische Film gibt die Illusion der Wahrheit; die Wahrheit aber kann sich nach Godard nur enthüllen, wenn die Illusion gesprengt wird. Seine Kunst ist antiillusionistisch, die verfremdet die Wirklichkeit, indem sie sie zum Spiel macht, denn nur im Spiel ist Freiheit. Auf diese Art ist in ihm - mit Graden - der Einfluss Brechts schöpferisch geworden, der die Verfremdung freilich gerade umgekehrt gesetzt hat, als Verfremdung des Spiels auf die Wirklichkeit hin, die für ihn (den Marxisten) eine soziale Wirklichkeit ausschliesslich ist. Godard sucht nicht diese Wirklichkeit, sondern die Freiheit im Spiel, die es möglich machen soll, die Wirklichkeit auszuhalten. Aber das Spiel wird oft zum bloss Spielerischen, in das sich dann alle jene Geschmacklosigkeiten, pubertären Mokerien und Sarkasmen einmengen, die an Godard manche für den Ausweis seines Genies nehmen. Dieses Spielen ist vorab ein formales Phänomen. Für Godard hat die Form spirituellen und moralischen Wert, nur in der Form also vollzieht sich der Gerichtstag.
Und das mag nicht genügen. Es ist zu wenig, ist letzten Endes sogar ein Betrug (Godards an sich selbst, aber auch am Publikum), der Betrug eines Künstlers, dessen Begabung ausser jedem Zweifel steht, der aber vom Zweifel nicht loskommt, auch wenn er vorgibt, in der Form Beruhigung, Überwindung der Angst, Freiheit gefunden zu haben. Das ist - zuletzt - das Ungenügen, das man vor den Filmen Godards, vor diesem vor allem, empfindet: da hier Leere herrscht, eine Leere, die geistvoll umspielt wird, die sich drapiert mit allen Sensibilitäten des Gestalterischen, des Bildes und der Farben, die sogar die Haltung der Askese (im Formalen eben) annimmt, aber als Leere doch sich nicht verbergen lässt.       Martin Schlappner
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Le Feu fallet
LE FEU FOLLET (Das Irrlicht); Verleih: offen; Regie: Louis Malle unter Mitarbeit von Philippe Collln; Drehbuch: Louis Malle nach dem Roman von Eugène Drieu La Rochelle; Musik: Erik Satie; Kamera: Ghislain Cloquet (Etienne Becker, Jean Chiabot); Schnitt: Suzanne Baron, Monique Nana; Darsteller: Maurice Ronet (Alain Leroy), Lena Skerla (Lydia), Bernard Noël (Dubourg), Jeanne Moreau (Jeanne), Jaques Sereys (Cyrille Lavaud), Alexandra Steward (Solange Lavaud) u. a.; Produktion: Nouvelles Editions de Films (N.E. F. Paris).
Seit FAHRSTUHL ZUM SCHAFFOTT üben Sujet und Möglichkeit filmischer Präsentation auf den französischen Regisseur Louis Malle die gleiche ungebrochene Faszination aus; die scheinbare Inkongruenz seines Stils, die ihm Kritiker immer wieder bestätigt haben, ist Konsequenz des zugrundeliegenden Materials. Konsequenz deshalb, weil hinter der stilistischen Bearbeitung der Text bei Malle gänzlich transparent bleibt - und das bis zur Vordergründigkeit einzelner Dialogstellen.
Die zwei Stufen der ästhetischen Gestalt von DIE LIEBENDEN waren ebenso die einzige Chance des Regisseurs, dem platten Kunstgewerbe wenigstens im Gröbsten zu entrinnen, wie es jene drei filmischen Schichten in PRIVATLEBEN erst ermöglichten, einem ironischen Prospekt den Blick zu öffnen. Die Dreiteilung in PRIVATLEBEN entsprach jeweils einer herausgeschälten Bewusstseins- und Gefühlsqualität, die Zweiteilung in DIE LIEBENDEN den verschiedenen Stimmungen. Die progressistische und in ihrer zeitweiligen Nähe zum Slapstick gleichsam auf eine hochdifferenzierte und geschickt verschleierte Weise antiquierte Sprache von ZAZIE gehorchte lediglich der Vorgabe des literarischen Scripts von Raymond Queneau; so ist es ein deutlich nachweisbares Signum der malleschen Filme, dass der Text durch das Objektiv der Kamera integriert werden soll. Die Brüchigkeit seiner Filme erweist sich jedoch dort, wo er textliche Valeurs mit rigoroser Unbekümmertheit in bildliche Sentenzen umzusetzen versucht. Man denke nur an die Bootsfahrt in DIE LIEBENDEN, die Schlusssequenz von PRIVATLEBEN und an die Motel-Szenerie in FAHRSTUHL ZUM SCHAFFOTT.
Nach dieser Einsicht enthüllt sich auch das Geheimnis, über dem so viele Kritiker je und je gebrütet haben: jenes Geheimnis nämlich, wieso Malle einmal einen Reisser, dann eine Geschichte aus dem 19. Jahrhundert, schliesslich einen typischen Illustriertenplot und die literarische ZAZIE zur Vorlage eines Filmes genommen hat. Für ihn ist eben die personelle Struktur eines Textes in erster Linie relevant, und zwar unter dem Blickwinkel ihrer möglichst adäquaten Verfilmung. Diese Züge trägt selbst noch Alain Cavaliers Erstlingswerk DER KAMPF AUF DER INSEL, der unter Malles künstlerischer Oberleitung entstanden ist.
Allen Filmen Malles fehlt Einheit in einem tieferen Sinne als dem bloss formalen; in ihnen divergieren zwei Eigenschaften bis zum offenzutage tretenden Bruch: das Anschlagen kritischer Tendenzen und deren Zurücknahme bis zum durch und durch kolportagehaftan Klischee. Malles Schrift umfasst zwar die Peripherien von Kritik und Kolportage durchaus kunstvoll, aber gemessen an dem Gegenstand funktionslos. Als Belege seien Episoden aus allen Filmen zitiert: der Tod der jungen Liebenden in FAHRSTUHL ZUM SCHAFFOTT zu Mozartklängen, die Auflösung der Abendgesellschaft in DIE LIEBENDEN, der Schluss von PRIVATLEBEN und das gastronomische Abenteuer in ZAZIE.
Es ist bei diesen Szenen, als schreckte Malle als Autor vor dem öffentlichen Selbstbekenntnis zurück, er wisse mehr um die gesellschaftlichen Implikationen. So hat es den kaum widerlegbaren Anschein, als kümmerten ihn diese nur ganz am Rand, als seien sie die Nebensache und der individuelle Aufputz das Hauptproblem. Indem er diese Implikationen zugunsten einer relativen Süffigkeit der Mittel und deren nahtlos-kunstvollem Ineinanderfügen ans Publikum um den Preis der Wahrheit verschachert, begibt er sich spontan jeder Möglichkeiten, die durchaus angelegten kritischen Details zur Konzeption zu erheben und voll zu entfalten. Malle sitzt den Stimmungen der Texte, die er auswählt, so sehr auf, dass sich seine filmische Formkraft dadurch präjudiziert.
Die Verflechtung der textlichen mit der bildlichen Ebene ist diesem Regisseur in allen seinen Filmen gelungen; die Einwände ergeben sich an den Stellen, wo beide Ebenen zusammen eine neue dritte, herausragende entstehen lassen. So ist LE FEU FOLLET in seiner faszinierend kristallenen Gestalt der erste hermetische Film Malles, in dem gleichsam alles aufs Feinste - und das im Wortsinne - gelungen ist. Die Architektur des Films ist makellos, die ästhetischen Mittel sind an jeder Stelle dem Text von Malle/Drieu La Rochelle so adäquat, dass von einer ungewöhnlichen und leider schon verzaubernden Übereinstimmung gesprochen werden kann. Und in dieser Übereinstimmung entflicht sich die ebenso ungewöhnliche Problematik von LE FEU FOLLET. Es ist die Aura des Erlesenen - latent in allen Filmen von Malle angelegt und in DIE LIEBENDEN auch praktiziert - die diesen Film der kritischen Skepsis ausliefert. Preziositäten sind Bausteine der malleschen Mise-en-Scène. Gerade weil sie in so hohem Masse korrespondieren, werden sie fragwürdig.
Drieu La Rochelle, der Autor des Romans, nach dem Malle das Script schrieb, beging Selbstmord; Alain Leroy, die Hauptgestalt sowohl des Buches als auch des Films, bringt sich am 23. Juli um, nachdem er sich davon überzeugt zu haben glaubt, dass ihm das Leben nichts mehr zu bieten habe und er dessen überdrüssig geworden ist. Seine prätentiösen Kalkulationen über die Möglichkeiten des Arrangements mit der Wirklichkeit, denen er sich mehr widerwillig als bereit für einen Tag ausgesetzt hatte, werden im Nachspann in Form eines ebenso pathetischen wie nichtssagenden Satzes zum unaufgelösten Knoten geschürzt: "Ich habe mich getötet, weil ihr mich nicht geliebt habt und weil ich euch nicht geliebt habe. Ich töte mich, weil unsere Beziehungen bedeutungslos geworden sind und um sie dadurch wieder zu festigen. Auf euch wird ein unauslöschlicher Makel zurückbleiben." Doch hätte es dieser forcierten Aussage nicht mehr bedurft; denn im Vorspann findet sich ein ähnlicher Satz, der deutlich genug auf das Folgende hinweist, es wie im Vorhinein klassifiziert: "Der Selbstmord ist die Zuflucht der Menschen, denen der Rost der Alltäglichkeit den Lebensnerv vernichtet hat." Und mit diesem Satz geben Drieu La Rochelle/Malle das Programm des Films. Alain Leroy hasst die Mittelmässigkeit, das Alltägliche und deswegen tötet er sich: aus Rache an einer Welt, die für seinen Eskapismus keinen Raum hat. Alain löst mit seinem Tod das Versprechen ein, das er sich selbst gegeben hat, mit dem Selbstmord will er der Welt ihre Mittelmässigkeit und ihren Unwert entgegenschleudern.
Drieu La Rochelle hat sich für Alain im Leben eine Entsprechung gesucht, seinen Freund Jacques Rigaut, der ebenfalls durch Selbstmord endete. Die Atmosphäre des Romans ist nach Aussagen Malles getreulich, geradezu mit besessener Systematik bewahrt worden. Nur in unsere Zeit wurde die Handlung transponiert - und das ist, nicht zuletzt, ein wahrscheinlich erheblicher Grund für Peinlichkeit, die der Film ausströmt.
Die Peinlichkeit, von der die Rede war, resultiert nicht etwa aus dem Thema - die Beschreibung eines Selbstmordes - sondern aus der Aufdringlichkeit, mit der Malle zu suggerieren trachtet, die Probleme Alains seien die einzig wahren unseres Zeitalters. Statt der Demonstration und kritischen Ausleuchtung des Selbstmordgedankens bei Alain vor dem Hintergrund der Zeit leistet Malle die pathetische Glorifizierung, die eine Begründung letztlich nicht einmal in sich selbst trägt. Alains Krankheit ist das "mal du siècle" desjenigen, der sich selbst nicht inne werden kann, weil er seine Wunschprojektionen in die Gesellschaft hineinprojezieren will und feststellen muss, dass er sich in den Kokon des Selbstmitleids eingesponnen hat. Alain ist kein intellektueller Typ, sondern ein emotionaler, dessen Maximen aus dem Wert der Stimmungen heraus gespeist sind, in denen er sich befindet. Seine ehemaligen Freunde, denen er Mittelmässigkeit zum Vorwurf macht, leben in Einklang mit den Forderungen der Umgebung, lediglich verstrickt in die Antagonismen der Zeit; wogegen Alain nur zwei wirkliche Schmerzesquellen kennt: den Mangel an Geld und seine Unfähigkeit, physisch zu lieben, wiewohl er überhaupt autistisch nur sich selbst liebt. Da er sich selbst aber nicht so zu lieben im Stande ist, dass er davon anderen etwas mitteilen könnte, verabscheut er auch seine Umwelt. Sein Hass auf die Mittelmässigkeit entstammt der Ablehnung, das Leben zu begreifen. Ihm ist nichts geglückt, weil er nicht wollte, dass ihm etwas glücken sollte. Seine Aktionen sind paralysiert durch ein korrumpiertes Bewusstsein: das Bewusstsein, besser zu sein. Die Verachtung, die er der Welt entgegenschleudert und die in seinem Selbstmord kulminiert, ist der barbarische Schrei, der die Humanität erstickt.
Die zentrale Szene des Films ist die grausamste, in der Alain sich bis zur abstossenden Nacktheit seines entstellten Bewusstseins decouvriert.
Da ihm der Arzt der Entziehungsanstalt seine Heilung bescheinigt hat, verlässt er diese und geht, auf der Suche nach Bestätigung für sein Vorhaben, sich am 23. Juli umzubringen, in die Stadt, um Freunde zu besuchen. Er gebärdet sich als der Richter über Wert und Unwert der Ansichten dieser Freunde, beschimpft sie und wendet sich angeekelt von ihnen ab. Einer seiner intimsten Bekannten, Dubourg, der sich mittlerweilen "ins Leben" zurückgezogen hat, ist Ägyptologe, Familienvater und dennoch nichts weniger als ein Bourgeois, zu dem ihn Alain im Gespräch stempeln möchte. Dubourg möchte Alain normalisieren, ihn von seinen Hasstiraden auf das Leben abbringen. "Es gibt doch schliesslich eine Menge Dinge im Leben, die sich zu tun lohnen. Du musst doch eine Idee vom Leben überhaupt haben, die unmöglich völlig untergegangen sein kann. Ich habe Angst vor dem, was du in dir eingegraben hast und das nicht herauskann." Alain erwidert ihm darauf, ebenfalls mit der Bedächtigkeit, mit der er sich zuvor wie ein Dandy aufgeputzt hat: "Ich kümmere mich nicht um so etwas, ich weiss nicht, was das ist. Ich habe nie etwas anderes getan, als mich nach Geld zu sehnen, wie alle Welt."
Hier wird die anarchische Haltung des pubertären Jugendlichen herausgekehrt, der mit sich selbst nicht ins reine kommen kann. Alain ist zurückgeblieben, lebt in der Traumwelt, für die es keine Schranken und keine Gesetze gibt. Die Zerstörung, die er mit sich betreibt, will er in die Gesellschaft, deren geistiger Parasit er ist, einimpfen. "Du drehst nur einfach den Rücken, weigerst dich, erwachsen zu werden, bleibst befangen in einem Reifeprozess, der nur dazu da ist, der Reife aus dem Weg zu gehen, daher rührt deine Angst."
Doch Alain ist noch unfähig, diesen Satz zu begreifen und erwidert, dass er die Mittelmässigkeit hasse, worauf Dubourg einwendet, dass er seit zehn Jahren in einer vergoldeten Mittelmässigkeit lebe. Alains Antwort ist: "Ich will nicht älter werden."
Der Gang durch Paris, zu Freunden, ist entsprechend den Prädispositionen Alains ein Gang durch die nur für den Zuschauer wahrnehmbare Anarchie. Die Müdigkeit, die Alain überkommt, ist die äusserste Stufe seiner Sensibilität, die sich dem Verständnis verschliesst. Malle macht die Stationen seines Protagonisten - und das ist Alain in dem wahren und erlesenen Sinne des Wortes - zu Leidensstationen eines beklagenswerten Manschen. Der Zuschauer bekommt die volle Verachtung vermittelt, die sich den Sätzen Alains abziehen lässt. Er nimmt teil daran, wie andere gequält werden - dass diese es nicht so empfinden, spricht nicht für den Film, sondern gegen die anderen. Die Welt, in der sie leben, ist - sieht man einmal ab von Dubourg - zurückgenommen auf die Basis der persönlichen Konflikte, der individuellen Probleme des missverstandenen Lebens. Und hier präsentieren sich Züge, die bis ins Detail reaktionär sind.
Es war eingangs davon die Rede, dass der Roman in die Gegenwart transponiert wurde. Dadurch werden Szenen makaber, die in den zwanziger und dreissiger Jahren in Frankreich besonders kaum makabrer gewesen sein werden. Die Umbildung einer modernen Welt existiert für Malle - und sicher auch für Drieu - nur in der Modernität der Accessoires, wie Autos, modernen Gerätschaften etc. Die Welt, die Malle simuliert, besteht in Alains Zimmer im Sanatorium: exquisite Figuren auf dem Kaminsims, irländische Zigaretten, goldenen Dupont-Feuerzeugen, Attache-Koffern und mondänen Zeitschriften. Die hochherrschaftliche Atmosphäre in diesem Zimmer korreliert dem Appartement der Lavauds, wo Alain zum Souper bei Kerzenlicht geladen ist. Die Menschen in LE FEU FOLLET haben sich zurückgezogen in ihr weltfernes Bewusstsein, ohne dass Malle allerdings diesen Zustand einer Kritik aussetzte.
Die Kamera ist von meisterhafter Indezenz: sie schwelgt in zerquälten Gesichtern, fährt melancholisch durch einsame Hinterhöfe, streicht zärtlich über die Kühlerhaube eines Bentley und gleitet durch Alains Zimmer, als gälte es, eine wichtige Entdeckung zu enthüllen.
Die Kongruenz von Text und Bild erst gibt dem Film den eminent elitären Zug, der die Menschenverachtung Alains mit dem Hauch der faschistischen Ideologie überzieht. Wenn er selbst mit dem Leben nicht fertig werden kann, sollen die anderen daran leiden, da er nicht human mit sich selbst sein kann, ist er es auch nicht mit den anderen. In Alain Leroy - der von Maurice Ronet im übrigen meisterhaft dargestellt wird - geht die Liebe unter. Mit ihr die Eigenschaften, die den Menschen zum Leben tauglich machen. Dass Malle diesem barbarischen Bewusstsein Raum gibt und es als notwendige Folge unserer Zeit hinstellt, ist eine Bestätigung dafür, dass es diesem Regisseur um die Darstellung eines Vorgangs nur in soweit geht, als sich dieser filmisch umsetzen lässt. Die Qualität dieses geschlossenen Films entbindet ihn nicht seiner Tendenz. Benjamin schrieb einmal: "Der destruktive Charakter lebt nicht aus dem Gefühl, dass das Leben lebenswert sei, sondern dass der Selbstmord die Mühe nicht lohnt." Malle hat in Drieu La Rochelle einen Stofflieferanten gefunden, der das Leben verachtete, weil er die Destruktion nicht als Funktion, sondern als Ziel begriffen hat. Die Anarchie Alains ist vergleichbar der Reaktion eines Kindes, das sich gestossen hat und dafür den Stuhl tritt. Malle ist die Mutter, die das Kind nicht über die Idiotie seines Tuns aufklärt, sondern es gewähren lässt.       Peter H. Schröder
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Programm Herbst 1964
Drei Gesichtspunkte waren für die Gestaltung dieses Programms, das Sie in den Ferienmonaten September/Oktober 1964 sehen können, massgebend: Zum einen möchten wir Ihnen Gelegenheit geben, wichtige oder bekannte Werke der Filmgeschichte wiederzusehen, zum anderen sollte auch dieses Programm wieder interessante Filme der amerikanischen Produktion enthalten, die, weil sie dem Gangster- oder dem Westernfilm entstammen, nicht immer die Beachtung fanden, die ihnen zukommen müsste. Schliesslich möchten wir mit der Vorführung ausgewählter Filme aus Italien auf jene Bestrebungen aufmerksam machen, die sich in den letzten Jahren - durch die Initiative vorwiegend jüngerer Regisseure und am Rande der bekannteren Produktionen - angebahnt haben. Einige Filme dieser "jungen Schule", die auf den Stilprinzipien des Neorealismus aufbaut und dessen Erfahrungen dem Film der 60er Jahre wieder erschliessen will, konnten wir Ihnen in der letzten Zeit schon zeigen: Zurlinis TAGEBUCH EINES SÜNDERS und Rosis WER ERSCHOSS SALVATORE G? In unserer Reihe hätte nun Pasolinis ACCATONE oder Olmis IL POSTO nicht fehlen dürfen. Aus verleihtechnischen Gründen war es uns jedoch nicht möglich, diese Filme zu bekommen; wir werden sie erst später vorführen können.
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Auf St. Pauli ist der Teufel los (I Magliari)
Italien 1959; Regle: Francesco Rosi; Kamera: Gianni di Venanzo; Darsteller: Renato Salvatori, Alberto Sordi, Belinda Lee.
Der 1922 in Neapel geborene Regisseur - ein Schüler und Verehrer Viscontis - machte 1958 in Venedig zum ersten Mal von sich reden: sein Film LA SFIDA (Die Herausforderung) brachte ihm nicht nur Protest und Aufführungsverbot, sondern auch die Aufmerksamkeit der internationalen Kritik. Rosi durchleuchtete hier die Machenschaften eines Gemüsemarktes; sein Held, der sein Glück entgegen den wirtschaftlichen Regeln und Gesetzen und auf eigene Faust zu machen versucht, scheitert schliesslich. Ein unscheinbares Sujet wurde durch Rosi zu einem sozialen Dokument.
Seine weiteren Filme SALVATORE G Heft 42) und LE MANI SULLA CITTA (vgl. Heft 42) sollten dann Höhepunkte der Produktionen der Jahre 1962 und 1963 werden.
Dazwischen nun drehte Rosi im Jahre 1959 I MAGLIARI. Drei Kleinbürger sind die Protagonisten dieses Films: Mario, ein vom deutschen Wunder enttäuschter toskanischer Arbeiter, Petra Meier, eine attraktive deutsche Wohlstandsfrau mit Vergangenheit und ein cleverer römischer Tuchhändler. Ihr Weltbild, schreibt die FILMKRITIK, wird blossgelegt in einer konfliktreichen, zuweilen plakativen Handlung, die überzeugend mehrere Thesen vermittelt. Wie LA SFIDA "verrät auch dieser Film das Vorbild Viscontis. Da ist auf den ersten Blick die gleiche Liebe zur sozialen Analyse und zu einer Entwicklung der Protagonisten, die der Individualpsychologie wie den konkreten gesellschaftlichen Verhaltensweisen gleichermassen huldigt. Doch verglichen mit Viscontis ROCCO haben diese ,Magliari' Rosis mehr Entschiedenheit und Frische. Kann man Visconti bei ROCCO weitgehend auf die Formel der starren Kamera und der entfesselten Darsteller bringen, so gestattet Rosi seinen Akteuren nur selten ein Ausspielen, spürt dafür aber den Details solcher entscheidender Interieurs wie Wohnung, Lagerraum und Italienerlokal nach und erfasst provozierend nüchterne Panoramen eines grauen und betriebsamen Hamburgs."
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Wir von der Strasse (La Motte Brava)

Italien 1959; Regie: Mauro Bolognini; Buch: Pier Paolo Pasolini; Kamera: Armondo Nannuzzi; Darsteller: Mylène Demongeot, Jean Claude Brialy, Elsa Martinelli.

und

Das Haus in der Via Roma (La Viaccia)

Italien 1961; Regie: Mauro Bolognini, Buch: Vasco Pratolini; Kamera: Leonida Barboni; Darsteller: Claudia Cardinale, Pietro Germi, Jean Paul Belmondo.

Mauro Bolognini, Jahrgang 1923, besuchte wie die meisten seiner Kollegen das Centro Sperimentale di Cinematografia, eine Einrichtung, die als wichtigste Ausbildungsstätte der italienischen Regisseure, Drehbuchautoren und Filmtechniker gilt. Bolognini war über ein Architekturstudium zum Film gekommen, eine Laufbahn, die viele berühmte Regisseure genommen haben.

Nach einigen Jahren, in denen er bei Zampi, Allegret und Dellanoy assistierte, gelang ihm der Sprung zur eigenen Regie: 1953 entstand sein erster Film CITROVIAMO IN GALLERIA, der viele Elemente seiner späteren Filme enthält: poetische Bildfolgen, Ironie und einen Goût für die Grausamkeit des Alltags. Nach zwei weiteren Filmen gelang es ihm, mit DIE VERLIEBTEN der ihm eigenen Sensibilität beredten Ausdruck zu verleihen. Die Authentizität dieser Komödie liess die Kritiker aufmerken. Mit LA NOTTE BRAVA schliesslich wurde der Regisseur nun auch dem deutschen Publikum bekannt. Pier Paolo Pasolini hatte das Drehbuch geschrieben. Es war die Geschichte einiger junger Strolche, die in Rom ihr Unwesen trieben. Es folgte IL BELL' ANTONIO. Sarkasmus prägt weitgehend diesen Film. In LA VIACCIA lässt Bolognini - nun in Zusammenarbeit mit dem bekannten Literaten Vasco Pratolini - das Milieu und die Atmosphäre des ausgehenden 19. Jahrhunderts in seinem Film auferstehen: die Kamera schwelgt in ausgewogenen, melancholischen Bildern. Entscheidend ist jedoch die Sicht der Dinge durch den Regisseur.

Theodor Kotulla schreibt dazu: "Wer Bolognini aus früheren Filmen kennt, weiss, dass sein Interesse fast ausschliesslich in den morbiden Bezirken des Psychologischen zu suchen ist. Nun kann man natürlich nicht gerade die unwirksamste Gesellschaftskritik treiben, eben dadurch, dass man Seelischem schonungslos auf den Grund geht: Buñuel ist ein erstaunliches Beispiel hierfür. Indessen hat es Bologninis Filmen immer noch an solchem Tiefenblick gefehlt. Sie blieben stets in der Epidermis ihres Stoffes stecken."
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Liebe 1962 (L' eclisse)

Italien und Frankreich 1962; Regle: Michelangelo Antonioni; Kamera: Gianni Di Venanzo; Darsteller: Alain Delon, Monica Vitti.

Michelangelo Antonioni: _... In den Gefühlen dagegen herrscht die unbedingteste Stilisierung. Wir haben sie in den letzten Jahren bis zur Erschöpfung geprüft, viviseziert, analysiert. Dazu waren wir zwar fähig, nicht aber, neue zu finden, nicht dieses immer grösser werdende Missverhältnis zwischen moralischem und wissenschaftlichem Menschen einer Lösung wenigstens näher zu bringen. Natürlich will ich keine Lösung anbieten, noch kann ich es; ich wäre sonst ein Moralist; mein Film ist weder Denunziation noch Predigt: er ist eine Erzählung in Bildern, von der ich mir wünsche, man möge aus ihr nicht das Entstehen eines falschen Gefühls herauslesen, sondern vielmehr die Art und Weise, in der die Gefühle heute fehlgreifen. Weil es da, ich wiederhole, eine alte Moral gibt, alte Mythen, alte Konventionen. Wir alle wissen, dass sie alt und überholt sind und trotzdem respektieren wir sie. Warum? Nicht die Anarchie der Gefühle ist die Schlussfolgerung, zu der meine Personen kommen. Wenn überhaupt, dann kommen sie zu einer Form des gegenseitigen Mitleids. Alt auch dieses, wird man mir sagen. Aber was bleibt uns anderes zu tun, solange es uns nicht gelingt, anders zu sein. Was, glaubt man, bedeutet der Erotismus, der heute in Literatur und Schau-Spiel vorherrscht? Er ist ein Symptom, das am leichtesten greifbare vielleicht irr der Krankheit der Gefühle _...
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Kabo (Kapo)

Italien und Frankreich 1960; Regie: Gillo Pontecorvo; Darsteller: Susan Strasberg, Laurent Terzieff, Emanuelle Riva.

Edith, eine 15jährige französische Jüdin, muss im KZ mitansehen, wie ihre Eltern, nackt, in die Vernichtungszellen getrieben werden. Sie selbst entgeht dem Tod nur dadurch, dass mitleidige Seelen ihr das grüne Dreieck der Kriminellen verschaffen. Der Lebenswille des zarten, sensiblen Mädchens erwacht, aber das kann im KZ nur unter Verlust ihrer Würde erfolgen. Sie bestiehlt ihre Mitgefangenen, treibt es für ein Stück Brot mit deutschen KZ-wächtern, wird KZ-Polizist und denunziert einen russischen Kriegsgefangenen. Damit wendet sich das Blatt. Der Gefangene heisst nämlich Sascha, und Edith entbrennt in heisser Liebe. Beide planen zwecks Aufbau eines besseren Lebens einen Ausbruch. Während schon die Krasnaja Armija naht und die KZ-Insassinnen ihren Wächtern die Internationale vorpfeifen, kommt der Befehl, die eigenen Massengräber auszuheben. Da opfert sich Kapo Edith auf. Den anderen den Fluchtweg bahnend, fällt sie unter den Kugeln der SS-Schergen. Geläutert stirbt sie in den Armen des SS-Mannes Karl, dem dann auch die ersten Zweifel kommen. Sascha aber, gebrochen, taumelt in die Freiheit.       (Aus FILMKHITIK 1 /63)
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LA RAGAZZA CON LA VALIGIA (Das Mädchen mit dem leichten Gepäck)

Italien 1961; Regie: Valerio Zurlini; Kamera: Tino Santoni; Darsteller: Jacques Perrin, Claudia Cardinale.

Es ist die Geschichte zweier Brüder und des Mädchens Aida. Marcello wollte Aida einen besseren Job verschaffen. Nach einem kurzen Abenteuer hat er sie jedoch sitzengelassen. Der jüngere Lorenzo nimmt sich ihrer an und versucht, ihr zu helfen. Zunächst, weil er sich der Skrupellosigkeit seines Bruders schämt, dann, weil er sich in sie verliebt. Aida nimmt seine Hilfe an, kehrt jedoch in ihr früheres Leben zurück. Lorenzo resigniert.
"An formaler Gestaltungskraft", bemerkt Reinold E. Thiel, "mangelt es Zurlini nicht: Unnachahmlich ist die inquisitorische Kamera, die die femininen Züge des geistlichen Erziehers entlarvt, fantastisch die Dekoration des im Umbau steckengebliebenen Museums, in welchem das Gespräch zwischen dem Erzieher und Aida stattfindet. Die Fehler des Films liegen in der Unentschlossenheit des Drehbuchs _... So neuartig und überzeugend Lorenzo dem Zuschauer entgegentritt, so klischeehaft Aida. Sie ist das oftgehabte liebe, lockere, traurige Mädchen aus so vielen italienischen Beinahe-Bordell-Filmen. Die Versuche, ihr Verhalten zu begründen, bleiben oratorisch, nur in spärlichen Dialogstellen tauchen Hinweise auf die sozialen Umstände auf, die sie in ihre Rolle getrieben haben."
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Aus der Filmgeschichte: LOUISIANA-LEGENDE (Louisiana-Story)

USA 1948; Regie: Robert Flaherty; Darsteller: Joseph Boudreaux, Lionel Le Blanc.

"Flaherty konnte 1948 wieder einen Film in seiner amerikanischen Heimat drehen. LOUISIANA-STORY wurde von der Standard-Oil-Gesellschaft finanziert. Der Auftrag liess eine Behandlung der wahren Probleme rund um das Erdöl nicht zu. Doch die kristallene Anmut der urweltlichen Sumpflandschaft, das Dunkel der fast jungfräulichen Wälder, die industrielle Symphonie eines Bohrturms, die Frische eines zwölfjährigen Jägers vereinigen sich zu einer fesselnden arkadischen Idylle, wenn diese auch in einer zerrissenen Welt anachronistisch scheint. Nachdem dann der grosse Künstler einige Zeit auf vergebliche Suche nach einem neuen Film in Europa umhergeirrt war, fühlte er, dass seine Stunde gekommen sei, und kehrte zurück, um zu sterben."       (Sadoul: Geschichte der Filmkunst)
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Harald Lloyd - selten so gelacht (Harold Lloyd's World of Comedy)

USA 1923-1932. Ausschnitte aus SAFETY LAST (1923), THE FRESHMAN (1925), HOT WATER (1924), WHY WORRY (1926), GIRL SHY (1924), PROFESSOR BEWARE (1938), MOVIE CRAZY (1932), FEET FIRST (1930).

Harold Lloyd über sich selbst: Es war eine lange Entwicklung, von der Zeit, in der ich noch die Figur mit grossen Schuhen und komischem Kostüm spielte, die keine echte Individualität hatte. Dieser Typ unterschied sich von denen der anderen Jungs nur durch sein Äusseres. Er war grotesk und sah auch komisch aus, aber er hatte keine Eigenpersönlichkeit. Ich war nicht glücklich mit ihm. Schliesslich dachte ich mir eine Idee für einen anderen Typ aus: Er war ein junger Mann, der eine Brille trug. Er sah gelehrt aus, musste es aber nicht unbedingt sein. Sein Aussehen konnte täuschen. Wenn man ihn ansah, konnte er anmassend aussehen, was er aber gar nicht war. Auf diese Weise gab er mir die Möglichkeit eines verschiedenartigen Charakters. Dieser Typ mit der Brille, der keine komische Kleidung und keine grossen Schuhe trug, sah aus wie irgendjemand, dem man auf der Strasse begegnete oder der im Nebenhaus wohnte. Einer der wichtigsten Punkte war aber, dass dieser Typ mir ermöglichte, Romanzen glaubhaft zu machen _... Ich repräsentierte mehr oder weniger den Arbeiter, die Masse. Es konnte die niedrige Masse sein oder jemand, dem es schon etwas besser ging, denn mein Typ änderte sich. Jedenfalls symbolisierte ich einen Jungen, der immer gegen Widrigkeiten anzukämpfen hatte, und gegen Vorgesetzte, aber wenn er genügend Entschlossenheit, genügend Ausdauer, genügend Hoffnung in sich hatte, dann blieb er Sieger. So hatte ich eine riesige Gruppe, für die ich mehr oder weniger ein Symbol war. Und auf diese Weise bekam ich eine grosse Schicht von Leuten, die bis zu einem gewissen Grad fühlten, dass ich Dinge tat, die sie selbst gern getan hätten.
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FRAU IM MOND

Deutschland 1929; Regie: Fritz Lang; Darsteller: Gerda Maurus, Willy Fritsch, Fritz Rasp.

Siehe hierzu den Artikel: W. Schütte: Kolportage, Stilisierung, Realismus.


Zur Geschichte, Entwicklung und Abgrenzung des Gangsterfilms, zur Geschichte und Topographie des Western bitten wir, die in Heft 37 und in den folgenden Heften veröffentlichten Artikel von Gert Berghoff und Hans Peter Kochenrath nachzulesen.

THE RISE AND FALL OF LEGS DIAMOND (JD der Killer)

USA 1959; Regie: Budd Boetticher, Darsteller: Ray Danton, Karen Steele.

WENIG CHANCEN FÜR MORGEN (Odds against tomorrow)

USA 1959; Regie: Robert Wise; Darsteller: Harry Belafonte, Robert Ryan, Ed Begley.

POLIZEIREVIER 21 (Detective Storyi

USA 1951; Regie: William Wyler; Darsteller: Kirk Douglas, Eleanor Parker.

DER MANN DER LfBERTY VALANCE ERSCHOSS (The Man who shot Liberty Valance)

USA 1962; Regie: John Ford; Darsteller: James Stewart, lohn Wayne, Vera Miles, Lee Marvin.
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