Anfang
Dies sind die Übersichtsseiten über die vorhandenen Dateien.
Vorwort       Filmdaten bis 1920       Filmdaten ab 1920       Filmdaten noch nicht hier       Nicht-Filmdaten

Quellen zur Filmgeschichte ab 1920

Texte der Hefte des studentischen Filmclubs der Uni Frankfurt/Main: Filmstudio

Einführungsseite

Filmstudio Heft 34, März-April 1962

Inhalt
Die kleinen Filmländer
Der spanische Film
Dogmatik und Filmkritik
Dokumentation: Die kleinen Filmländer
Vom Wesen des Sowjetfilms
Das Filmdekret
Film und Musik
Der Sowjetfilm
Kino und Kino
Illuminationen Charakteristika des Films
Sergej Michalowitsch Eisenstein
Filmstudio Retrospektive
Rückumschlag
Der Zaubergarten (The Magic Garden)
Das Gesicht (Ansiktet)
Das Mädchen in Schwarz (To koritsi mä ta mavra)
Goldene Berge (Guld og grönne skove)
Das Dorf am Fluss (Doorp aan de rivier)
Hauptstrasse (Calle mayor)
Calabuig (Calabuig)


Die kleinen Filmländer von Heinz Ungureit

Filme, sagt Siegfried Kracauer, spiegeln die Mentalität und Denkart eines Volkes am unmittelbarsten wider. Mag man sie also als Reflektoren gesellschaftlicher Zustände betrachten - auch und gerade die kommerziellen Produktionen. Nur wenige (aber immer die besten) finden Distanz zur Gesellschaft und zu den latenten Ideologien, nur diese wenigen ringen um Erkenntnis der Lage, die die anderen kritiklos voraussetzen oder emotional verklären.

In den grossen westlichen Produktionsländern sind in den letzten Jahren die ernstzunehmenden Filme geradezu gegen die herrschenden Produktionsfirmen gedreht worden, in den östlichen Ländern gegen die herrschende Staatsdoktrin. Allein in den kleineren Filmländern wird mitunter erfrischend experimentiert. Die Kosten eines grossen Spielfilms können ohnehin nicht von den eigenen Abnehmern aufgebracht werden, also sieht man auf Weltoffenheit und auf Qualität. Zudem fehlt es in vielen kleinen Ländern an Spielfilmtradition, man ist folglich noch nicht in Klischees befangen. Autoren und Regisseure üben sich häufig zunächst in "kleinen" Filmen, die Übergänge von da sind fliessend.

Man hätte also in einer Betrachtung der kleinen Filmländer eigentlich über Kurzfilme zu schreiben. Hier vor allem können Autoren und Regisseure ihre Intentionen verwirklichen, hierfür finden sich am ehesten Mäzene (der Staat oder grosse Firmen), die Filmkünstler fördern und nicht nur ausnutzen möchten. Aber in diesem Zusammenhang interessiert der Spielfilm besonders, und so soll versucht werden, speziell für die Nachkriegsentwicklung in Ländern wie Holland, Dänemark, Finnland, Jugoslawien, Griechenland und dann Spanien und Südafrika einige Tendenzen aufzuspüren. Es kann sich hierbei nur um ungefähre, keineswegs vollständige Angaben handeln.

Holland und Belgien haben sich bisher fast ausschliesslich durch Kurzfilme hervorgetan. Joris Ivens, zweifellos der wichtigste Name in diesem Zusammenhang, brachte die Gabe mit, nüchtern aber konstruktiv zu sehen. Mit präzisen Beobachtungen der holländischen Landschaft begann er 1929 ("Zuider-See") und setzte seine alleweil subjektiv teilnahmsvolle Arbeit später in der Sowjetunion, in Spanien und Indonesien fort. Zu den frühen Meistern gehört in Holland auch Max de Haas, dessen poetischhumoristische "Ballade des hohen Hutes" (entstanden in den dreissiger Jahren) noch heute durch ihren Bildwitz besticht. Unbestrittener Meister neuer holländischer Filmbild-"Malerei" ist Bert Haanstra, dessen Filme "Holland im Spiegel", Kampf ums Dasein" und vor allem "Glas" auf internationalen Festspielen Aufsehen erregten.

Die Spielfilm-Produktion kommt über ein bis zwei Filme im Jahre nicht hinaus. Einzig bedeutender Regisseur der letzten Jahre, der auch über die Grenzen seines Landes hinaus Beachtung fand, ist Föns Rademakers. Er hat seine Kenntnisse in französischen Ateliers gesammelt und später in den skurilen Filmen "Dorf am Fluss", "Das Messer" und "Wenn es euch nicht von Herzen geht" angewandt. Er weiss - mit einiger Selbstironie - niederländische Typen zu zeichnen, den Landarzt, die Müller, die Nikolaus feiernde holländische Familie. Es geht darin kernig zu, vor allem in der berühmt gewordenen Totenwache aus dem "Dorf am Fluss". "Wenn es euch nicht von Herzen geht" schildert die Diskrepanz zwischen feierlichem Getue und tatsächlicher innerer Verfassung holländischer Alltagsmenschen am berühmten Sinta-Claas-Tag.

Freilich sind es meist einzelne Szenen und holzschnittartig gezeichnete Figuren, die bestechen. Im Grunde kommt Rademakers in seinen Filmen nur wenig aus dem Bannkreis der Schwächen seiner Figuren heraus. Der bärbeissige Dorfarzt entpuppt sich schliesslich als ein Held, den man nicht zu verstehen braucht, der aber alleweil intuitiv richtig handelt. Rademakers stilisiert ihn im Grunde zu einer Dorf-Autorität empor - etwa nach dem bewährten Jean-Gabin-Muster "rauhe Schale - guter Kern". Die Kritik, die hier ansetzen müsste, kommt nicht durch. Ebenso sind die falschen "guten Gefühle" der Feiernden nur mit blasser Ironie gesehen. Zudem werden in diesem Film etliche Episoden betulich und leicht umständlich erzählt. Immerhin lässt Föns Rademakers, der erst am Anfang seiner Entwicklung steht, für den holländischen Spielfilm noch einiges erhoffen.

Im Gegensatz zu Holland stösst man in Skandinavien, vorab in Dänemark, auf eine erhebliche Filmtradition. Im Ersten Weltkrieg dominierte dieses kleine Land vorübergehend auf dem europäischen Filmmarkt. Es führte zuerst die emanzipierte "femme fatale" ein, brachte den Filmkuss in Grossaufnahme, bewegte sich in Luxusmilieus und suchte mit erotischen Tragödien und "schwarzen" Film-Schlüssen über die Misere der Zeit hinwegzutrösten. Hier seien nur die Namen Urban Gad, der auch als Filmtheoretiker hervortrat, Asta Nielsen und Holger Madsen genannt. Die schwedischen Regisseure Mauritz Stiller und Victor Sjöström verfeinerten diesen Stil des erotischen Films, drangen aber bald zu eigener Landschafts- und Milieu-Malerei vor.

Neben der Kopenhagener Schau-Spielerin Asta Nielsen gewann vor allem der dänische Regisseur Carl Theodor Dreyer Weltgeltung. Allerdings entstand sein bedeutendstes Werk "Jeanne d' Arc" in Frankreich, während er 1932 in Deutschland den verquollenen "Vampyr" drehte. Sein Stil hat - auch in den besseren Werken - etwas Mystisch-Statuarisches, was mit der skandinavischen Literatur und dem üppig wuchernden Legendenschatz zusammenhängen mag. Im Krieg (1943) entsteht als einziger Spielfilm von Interesse "Vredens Dag" (Der Tag des Zorns), in dem es um protestantische Hexenverfolgung und Wundergläubigkeit im 17. Jahrhundert geht. Der Film enthält alle formale Reife, aber auch alle penetrante Dreyersche Feierlichkeit, mit der der Hexenspuk eben nicht als Mystifikation entlarvt, sondern durchaus als forcierte Realität gesehen wird.

Während sich Dreyer in und nach dem Krieg aktueller Stellungnahmen enthielt, machte sich noch unter deutscher Besatzung eine Gruppe junger Dokumentarfilmer daran, offen oder versteckt ihren Widerstandswillen zu bekunden. Nach dem Krieg wurde der Widerstand auch für Spielfilmautoren zum Hauptthema. Gleich 1945 entsteht Bodil Ipsens "De rode Enger" (Die roten Wiesen), der die Geschichte einer Widerstandsgruppe schildert, ihre Sabotageaktionen, den Kampf gegen einen Verräter, Gefangennahme und Folterung durch die Gestapo und die dramatische Flucht übers Wasser. In anderer Form gegen autoritäre Bürgerlichkeit und pharisäerhafte Frömmelei monierte der bisher vielleicht beste dänische Nachkriegsfilm "Ditte Menneskebarn" (Ditte, ein Menschenkind) von Barne und Astrid Henning-Jensen. Selten vorher wurde eine etablierte Gesellschaftsschicht derart scharf attackiert, selten auch wurden so echte dänische Menschen auf die Leinwand gebracht.

Die dänische Dokumentarfilmschule - vor allem der Theodor Christensen, Torben Svendsen und der Brüder Roos - hat nach dem Krieg gar die Engländer zu Nachahmungen gereizt. Jörgen Roos fiel durch eine präzise Studie über Kopenhagen auf, wie er zuvor schon mit dem Spielfilm "Sechstagerennen" internationale Anerkennung fand. Roos pflegt - wie etliche seiner jungen Kollegen - einen ironischen, zuweilen parodistischen Stil. Diese Regisseure nehmen ihre Umgebung nicht so ganz ernst, obwohl sie sie mit aller Sorgfalt beobachten. Zu erwähnen noch die Studienmöglichkeiten filmbegeisterter junger Leute in der Kopenhagener Filmothek "Det Danske Filmmuseum". Vorlesungen über Filmkunde gibt es zudem an den Universitäten Kopenhagen und Aarhus.

Schweden mag in diesem Zusammenhang unerwähnt bleiben, da über Mauritz Stiller, Victor Sjöström und Ingmar Bergman hinlänglich geschrieben worden ist. Dass Mauritz Stiller gebürtiger Finne ist, übersieht man indes meist. Gewiss hat er alle Filme in Schweden gedreht, aber mit dem "Lied der feuerroten Blume" (1918 gedreht nach einem Roman des finnischen Schriftstellers Johannes Linnankoski) gab er entscheidende Impulse für einen eigenen finnischen Filmstil. Auch hier das erotisch gefärbte Thema, das beinahe alle finnischen Filme beherrscht, der naturlyrische Grundton, Mythenbilder und ein weitausholender Sagen-Stil. Regisseure und Autoren holen sich ihre Themen vielfach aus der Literatur, fast alle wichtigen Werke der heimischen Schriftstellerei wurden verfilmt. Schauspieler und Regisseure kommen zudem meist vom Theater, was man dem dramatischen Filmstil anmerkt.

Namhafte Regisseure des neueren finnischen Films sind Jack E. Wittika, Ville Salminen und Edvin Laine. Sie alle nehmen sich gern aktueller Themen an, so Wittika mit dem "Puppenhändler" (1955), einer satirisch gesehenen Phantasie-Diktatur, Salminen mit der "Evakuierung", einem Film über die Austreibung der Karelier durch die Sowjets, und Laine mit dem "Unbekannten Soldaten", der mit seinem harten Kriegsrealismus durchaus an Rosselinis Stil erinnert.

Zu den jungen Filmnationen gehört Jugoslawien. Es hatte nach dem Krieg die Aufgabe, einerseits für einen eigenen Weg zum Sozialismus zu werben, andererseits nicht ganz auf die gängigen westlichen Gemüts- und Unterhaltungswerte zu verzichten. Man baute bei Zagreb einen grossen Atelierkomplex, in dem jährlich bis zu dreissig Spielfilme hergestellt werden können. Ausserdem pflegte man bald - geschult an Tschechen und Polen - den Dokumentar- und Zeichentrickfilm, mit dem man inzwischen weithin internationale Anerkennung gefunden hat.

Hier wie in den Spielfilmen war (und ist) der Partisanenkampf im Krieg eines der Hauptthemen. Die Erinnerung an die gemeinsame Untergrundbewegung gegen die Besatzung und den Faschismus ist noch übermächtig. Uns mögen derlei emphatisch (häufig auch naiv) gemachte Filme fad und langweilig erscheinen, immerhin steht uns nicht das Recht zu, hier mit scharfer Kritik zu reagieren. Allerdings kommen die meisten der Spielfilme nicht über provinzielles Niveau hinaus. Man verlegte sich deshalb auf Coproduktionen mit Italienern, Franzosen und Deutschen. Darin gibt es die "rein menschlichen" Themen der Völkerversöhnung, der Liebe, der malerischen jugoslawischen Landschaft. In Kurzfilmen treibt man eifrig Sozialstudien, die stark an italienischen Neorealismus erinnern. Und in phantasievollen Zeichentrickfilmen geht man poetisch und satirisch den menschlichen Schwächen nach. Freilich fehlen in Kurz- wie Spielfilmen die eigentlichen jugoslawischen Themen, also eine Auseinandersetzung mit dem sowjetischen Regime oder den gegenwärtigen westlichen Ländern.

Der junge Nikola Tanhofer, Dokumentarfilmer von Hause aus, fiel vor einigen Jahren mit dem Spielfilm "H 8" auf, gleichsam einer umfassenden Unfall-Reportage. Anderthalb Stunden vor einem Autounfall werden abwechselnd aus der Perspektive der Omnibus-Insassen und eines Lastwagenfahrers mit seinem Sohn gesehen. Tanhofer entwirft gewissermassen das exakte Bild einer menschlichen Gesellschaft im kleinen, die hier einem gemeinsamen Ziel zustrebt und die doch durch unterschiedlichste Regungen und Lebenserwartungen die Möglichkeit der Katastrophe in sich birgt. Figuren weiss der junge Regisseur im Handumdrehen zu porträtieren mitsamt ihrer geistigen und sozialen Atmosphäre. In der Detail-Beschreibung privater und sozialer Verhaltensweisen liegt der besondere Reiz dieses Films, der mit Recht die Aufmerksamkeit auf die junge jugoslawische Spielfilmproduktion gelenkt hat.

Griechenland war ebenfalls bis nach dem Krieg kaum über die Grenzen hinaus als Filmnation bekannt. Auch hier begann man nach 1945 mit Resistance-Themen ("Freie Sklaven" 1948), und man polemisierte mit "Nekre politeia" (Tote Stadt) heftig gegen das System der bäuerlichen Blutrache, die in den Nachkriegswirren in den Dienst des politischen Mordes gestellt wurde. Geradezu klassisch das strenge Pathos schweigender Gänge und Gebärden und die schattenrisshafte Zeichnung der Nachtaufnahmen.

Zwei Regisseure aber verschafften dem griechischen Film vor acht Jahren Weltruf: Michail Cacoyannis und Nikos Koundouros. Alle übrigen Regisseure wenden sich mit erotisch anspielenden und bäurisch-schnulzigen Heimatfilmen an die Landbevölkerung. Die beiden aber behandeln städtische Themen, üben heftige Sozialkritik und attackieren dörfliche Beschränktheit. Ihr Stil ist vom italienischen Neorealismus geprägt, freilich gemischt mit eigenartiger literarischer Kalligraphie (Cacoyannis) oder strenger ästhetischer Gesetzmässigkeit (Koundouros). "Die verzauberte Stadt" von Koundouros zeigt den Irrweg eines Chauffeurs in die Gangsterei. Zum Schluss müssen die Ärmsten der Armen für den Chauffeur sammeln, damit er ein rechtschaffenes Mädchen heiraten kann. Ein Stoff, der sehr an Castellanis "Für zwei Groschen Hoffnung" erinnert. Sein nächster Film "Ho drakos" (Das Ungeheuer) war - nach Musik von Manos Hadjidakis - weithin als Ballett komponiert. "Die Gehetzten" schliesslich verbanden wieder eine abenteuerliche Handlung mit raffinierten optischen Einfällen.

Bekannter und noch erfolgreicher ist Cacoyannis. Nach der veristischen Studie "Sonntagserwachen" folgte seine vielgerühmte "Stella" mit Melina Merkouri. Auch in dieser modernen Carmen-Version war die Musik von Hadjidakis vorherrschend. Freilich war der stilisierte Liebesweg einer Tänzerin noch mit einer gehörigen Portion Melodramatik versetzt. Der nächste Film "Das Mädchen in Schwarz" zeigt deutlich Cacoyannis Verbundenheit mit der griechischen Antike, mit jener ausweglosen Schicksalhaftigkeit, die nun im zwanzigsten Jahrhundert freilich doch einen Ausweg zulässt. Hier wird auf einer Fischerinsel ein Mädchen der Bedrängnis der Dörfler ausgesetzt. Erst ein Feriengast kann das arme Geschöpf retten. Die Insel und ihre Bewohner sind in malerischem Realismus gestaltet, und neuartig vor allem der Einsatz des Chors der Dörfler. Der nächste Film "Die letzte Lüge" ist vom Sujet her nicht minder interessant, in der Formulierung und Aussage vielleicht noch konsequenter. Hier geht es um die Befreiung eines Mädchens aus den Fesseln der bürgerlichen Familientradition.

Diese Filme zeigen, dass eine kulturelle Tradition auch für ein neues technisches Medium verbindlich sein kann. Hier lassen sich Verbindungslinien zum literarischen Bewusstsein der Fiimneuerer in Frankreich und vor allem Italien herstellen. Die Masse der ländlichen griechischen Filmbesucher wird indes mit unreflektierter Pans-Mystik, mit Hirten-Idyllen, dramatischer Blutrache und nordländisch imitierter Nackedei-Romantik gespeist.

Zum Schluss dieses kursorischen Überblicks sollen noch einige Bemerkungen über das Filmland Francos sowie über die Südafrikanische Rassentrennungs-Union gemacht werden. In beiden Ländern werden die ernstzunehmenden Filme gegen das Regime gedreht, sei es, dass man in Spanien mehr oder weniger offen die traditionellen Bedrängnisse in den Dörfern und Provinzstädten schildert, sei es, dass man in Südafrika mehr oder weniger offen für Rassentoleranz plädiert.

Die jungen spanischen Talente, meist im Madrider Film-Institut ausgebildet, verehren ihren Altmeister Buñuel. Sie experimentieren mit Kurz- und Spielfilmen, denn ihr Institut unterliegt keiner Zensur. Seit 1953 gibt es mit Berlanga und Bardem ("Bienvenido Mr. Marshall") zwei Talente, die oft mit bissigem Humor der Wirklichkeit beizukommen suchen. Saura schildert mit "Sonntagnachmittag" die entwürdigenden Arbeitsbedingungen der Madrider Dienstmädchen und mit "Los Golfos" die Lebensweise in den Aussenbezirken von Madrid. Bardem drehte noch die Kleinstadtgeschichte "Nie passiert etwas" und Berlanga "Setze einen armen Mann an deinen Tisch", eine Satire auf die Weihnachts-Caritas wohlhabender Familien. Der Film wurde nicht freigegeben. Die Mehrzahl der etwa siebzig kommerziellen Filme im Jahr setzt allerdings das Regime mit allen Folgeerscheinungen als normal voraus. Den dann übrigbleibenden reduzierten "Menschlichkeiten" huldigt auch der bei uns hinlänglich bekannte ungarische Regisseur und Wahlspanier Ladislao Vajda. Seine Filme fallen aber bei uns auf günstigeren Boden als die der genannten Aussenseiter. Auch unter dem gegenwärtigen parafaschistischen Regime in Südafrika ist eine authentische Selbstdarstellung im Film so gut wie unmöglich. Man nutzt indes die Ideologie der Apartheid geschickt für die Vergnügungsindustrie. Selbst hier wird die Rassentrennung durchgehalten. Es gibt die neckisch-folkloristischen Filme für Schwarze, in denen sie (wie im "Magischen Garten" von Donald Swanson oder im "Unbeschwerten Afrika" von Jok Uys) als ebenso lustiges wie friedliches Völkchen zweifelhafter Intelligenz dargestellt werden. Vielleicht einzig "Come back Africa" des Amerikaners Lionel Rogosin zeichnet ein getreues Bild der Zustände in Südafrika.

Es ist sicher gut, hier und da den Blick von den grossen Filmländern mit den etablierten Produktions-Systemen abzulenken und sich den kleineren und unbekannten Filmnationen zuzuwenden. Auch hier erlebt man Überraschungen, und auch hier bestätigt sich der eingangs zitierte Satz von Siegfried Kracauer.

Statistisches

Gemäss: Basic facts and figures. Unesco/Paris 1959
Filmstatistisches Taschenbuch Spio / Wiesbaden-Biebrich, 1960/61

Zurück zum Anfang


Der spanische Film
Portrait eines Regisseurs Juan Bardem von Barbara Reischel

Als der spanische Regisseur Juan A. Bardem im Jahre 1955 bei den Filmfestspielen in Cannes mit seinem Film "Der Tod eines Radfahrers" und ein Jahr darauf in Venedig mit "Die Hauptstrasse" einen so grossen Erfolg errang, dass er über Nacht zu Weltruhm gelangte, lag das nicht allein an der ausser Zweifel stehenden Qualität dieser Filme, sondern auch an der Tatsache, dass er ein Land vertrat, das damals zu den unbekannten Filmländern zählte und eigentlich auch heute noch zählt. Es stehen zwar in Spanien moderne Studios in genügendem Ausmass zur Verfügung, aber der Film unterliegt seit der Machtübernahme Francos 1939 einer strengen staatlichen Kontrolle. Wer allerdings die dreifache Zensur, angefangen beim Drehbuch, überstanden hat, kann mit grosszügiger Subventionierung rechnen. Das Ergebnis sind entweder Streifen in folkloristisch-gefühlvoller Manier, deren es auch wirklich eine Menge gibt, oder aber Filme, die etwas zu sagen hatten und deren Aussage verstümmelt ins Gegenteil verkehrt wurde.

Die staatliche Zensur macht vor dem Import natürlich ebensowenig Halt wie vor der eigenen Produktion. So sind die russischen Klassiker selbstverständlich tabu und die modernen ausländischen Regisseure bis auf wenige Ausnahmen unbekannt. Bestenfalls bekommt man die deutschen Expressionisten zu sehen, und die Interessierten, vor allem die Jugend, stürzen sich mit der entsprechenden Begeisterung darauf. Was sie an Filmerfahrung besitzen, stammt zumeist aus Büchern, die sie um so genauer studieren. Selbst im 1949 begründeten Instituto de Investigaciones y Experiencias Cinematograficas (I.I.E.C.) in Madrid, das dem französischen I.D.H.E.C. entspricht, ist das Studium zum allergrössten Teil theoretisch.

Zur staatlichen Zensur gesellt sich die mehr oder weniger indirekte der katholischen Kirche. Hinzu kommt schliesslich die ausgesprochene Filmfeindlichkeit der spanischen Intellektuellen, die im Film immer noch lediglich eine Volksunterhaltung sehen.

Die Folge dieser Situation war einmal, dass bedeutende Regisseure wie Buñuel ins Ausland gingen oder wie Vajda zwar hübsche aber ebenso ungefährliche Filme drehten. Eine andere Folge war die Entstehung von Filmclubs, die, soweit sie sich dem kirchlichen Einfluss entziehen konnten, Reformen anstrebten. Die entscheidende Fixierung der Bemühungen erfolgte jedoch erst auf einer Tagung an der Universität Salamanca im Jahre 1955, wo neben Berlanga vor allem Bardem tonangebend war. Der 1922 in Madrid geborene Juan A. Bardem hatte sich, obwohl er aus einer reinen Schauspielerfamilie stammt ursprünglich gar nicht mit dem Film befasst, sondern studierte zunächst Agronomie. Erst durch seine Arbeit in der Filmabteilung des Landwirtschaftsministeriums wurde er auf den Film aufmerksam und trat 1949 in das I.I.E.C. ein. Dort drehte er zusammen mit Berlanga 1951 seinen ersten Film "So ein glückliches Paar". Die Zusammenarbeit war allerdings erzwungen. Bei den geringen Möglichkeiten zur praktischen Übung am Institut bot sich nur die Chance zu einem Film, und so teilten die beiden sie sich. Auch an "Bienvenido Mr. Marshall" (1952) arbeiteten sie noch gemeinsam. Bardem schrieb das Drehbuch und Berlanga führte Regie. Von da an ging jeder seinen eigenen Weg. Bardem drehte 1954 "Die Schauspieler" und "Fröhliche Ostern". Dann folgten die Filme, die ihn berühmt machten: 1955 "Der Tod eines Radfahrers", 1956 "Hauptstrasse" und 1958 "Die Rache". Die drei Filme sind als Trilogie gedacht und sollen das spanische Leben nach dem Bürgerkrieg und dem zweiten Weltkrieg in der Grossstadt, der Kleinstadt und auf dem Lande schildern.

Jeder dieser Filme zeigt auf seine Art den ganzen Bardem, den Regisseur, der gegen den Egoismus kämpft und immer wieder auf die Verantwortung des Einzelnen hinweist; vor allem aber den Regisseur, der brennende Probleme aufgreift. Wie heiss seine Eisen sind, beweist seine Verhaftung bei den Studentenunruhen. Man vermutete in Bardem den Anstifter und liess ihn erst nach ausländischer Intervention wieder frei. Suspekt ist er dem Regime allerdings bis heute geblieben. Das Grosse an seinen Filmen ist seine Fähigkeit, sie so zu gestalten, dass sie allgemeingültig werden und uns so sehr betreffen, dass wir bisweilen sogar glauben, die spanische Problematik in den Hintergrund stellen zu können. Aber Bardem betont immer wieder, ein anderes Schaffen als das auf nationaler Basis sei ihm unmöglich. Hieraus schöpfe er seine Kraft. Filme im Ausland zu drehen, würde er nur als Experiment betrachten.

Bardems Arbeitsweise ist eigenartig. Seine Darsteller rühmen die aussergewöhnliche Geduld, durch die er ihnen die Sicherheit und Selbstverständlichkeit gibt, die später im Spiel so spürbar werden. Seine Schauplätze wählt er auf langen Reisen mit den wichtigsten Mitarbeitern genau aus. Seine Drehbücher sind literarisch ausgefeilt, enthalten jedoch keinerlei technische Anweisungen. Bardem hat allerdings trotzdem Vorstellungen, die bis ins kleinste Detail gehen. Nachts verfertigt er Skizzen der Szenen, die am nächsten Tag gedreht werden sollen, und während der Dreharbeiten kann es vorkommen, dass er eine Stoppuhr in die Hand nimmt und die Augen schliesst. Wenn er sie wieder öffnet, hat er die Szene in seiner Phantasie abgedreht. Sie dauert später wirklich genau so lange, wie er auf der Uhr abgemessen hat. Was jedoch seine Techniker immer wieder in Erstaunen versetzt, ist seine Fähigkeit, den Standort der Kamera sofort richtig anzugeben, wiederum ein Beweis, dass er die Szene schon genau gesehen hat. Auf das Ausleuchten verwendet er Stunden, bis das Bild dem seiner Vorstellungen gleicht. Schon dieser Arbeitsmethode wegen könnte man Bardem schwer ins Ausland verpflanzen, denn sie ist ein wenig eigenbrötlerisch und verlangt genügend Zeit, etwa drei bis vier Monate je Film.

Bardems schöpferische Kraft scheint erstaunlich. Er hat fast in jedem Jahr einen bedeutenden Film geschaffen und gehört zu den Regisseuren, die das Gesicht des gegenwärtigen Films bestimmen.

Literatur
cinéma 59, fevrier, numéro 33.
Information Neue Filmform, Heiner Braun, München.

Zurück zum Anfang


Dogmatik und Filmkritik Katholischer Filmdienst Evangelischer Filmbeobachter von Wolfram Schütte

Der Verstand, der bloss aus Not kommt, ist immer eindeutig schief. Hölderlin

Seit 14 Jahren gibt es hierzulande einen "im Auftrage der Bischöfe herausgegebenen" katholischen "Filmdienst" (KFD), der weniger Dienst am Film betreibt als den Film im Dienst der katholischen Moraltheologie betrachtet. Ein auf 13 Jahre subventionierter Tätigkeit zurückblickender "Evangelischer Filmbeobachter" (EFB) steht ihm, auf gleicher Treu und etwas anderem Glauben, zur Seite. Gedacht sind beide Organe - die des öfteren in der Freiwilligen Selbstkontrolle die Freiheit durch ihren Willen substituierten - den jeweiligen Laien die prästabilierte Harmonie ihres Urteils vor das ohnehin nicht sehr entwickelte Bewusstsein zu setzen. Kann man dem EFB noch konzedieren, ein gewisses, wenn auch beschränktes, Augenmerk auf Filmästhetisches zu legen, so erscheint im KFD das Menetekel der katholischen Moraldogmatik, die sich hierbei innig mit wahlverwandter Kleinbürgerideologie verschwistert, auf jeder Leinwand. Die nicht als ästhetische zu bezeichnende Kriterien der Filmbeurteilung halten sich streng an die Grenzen eines Horizontes, dem alles, was über sein Kirchspieldenken hinausgeht, als fremd, folglich gefährlich und deshalb böse erscheint. So lesen wir denn von "unerhörter (!) Sauberkeit, gutem Geschmack, sauberer Unterrichtung" und "aufdringlicher Schamlosigkeit, Fehlen des Sinns für Geschmack". Abgesehen von diesen inadäquaten Kriterien einer muffigen Bürgerästhetik, die sich wie 's Amen in der Kirche wiederholen, werden in beiden Organen "echte Anliegen durchgeführt", wenn man Filme zum "Einsatz in der Jugendpflege empfiehlt" und von "präzis eingesetzten Schauspielern" die Rede ist, so dass das Rotwelsch aus dem "Wörterbuch des Unmenschen" hiererorts fröhliche Urständ feiert.

Wie sich schon im autoritären Sprachgestus ein Denken ankündigt, dessen einzige Legitimation der omnipräsent erhobene Zeigefinger eines Sacrosancten Moralkodex ist, so wird dies an den konkreten Ergebnissen laizistischer Filmexegese evident.

Hier ist die krude Realität der Handlung, die inhaltliche Tendenz des Films, das primäre Objekt seiner Beurteilung. Die filmästhetische Verwirklichung dient nur dazu, das Vorurteil über den " Inhalt" zu stützen, oder sie wird schlichtweg als sekundär denunziert. Bei solcher unästhetisch-undialektischer Betrachtungsweise - die sich über die Dinge setzt, weil sie nicht in sie gehen darf - nimmt sich die "Kritik" eines der frühen Meisterwerke des italienischen Verismo (Ossessione) dann so aus: "Die exakte psychologische Studie und krasse szenische Anschaulichkeit der Unmoral, die der Film entwickelt, ist unannehmbar, wenn sie nicht in einer tieferen Sinngebung geordnet und erhellt wird" oder: "Die brutal-sinnliche Charakterisierung seiner Ehebruchs-und Mordgeschichte ist ungewöhnlich krass und verdichtet sich nicht zur Vorstufe der Verwandlung, in der Schuld, Schicksal und Reue ihren göttlichen Sinn erkennen lassen. Daher wird trotz formaler Vorzüge vom Besuch abgeraten." Wo aber "Schuld, Schicksal und Reue ihren göttlichen Sinn erkennen lassen", wird das echte Anliegen, im Auftrage der Bischöfe, unter Einsatz hymnischer Madrigale, die "immer Hochachtung und Ehrfurcht wahren", durchgeführt. Nachzulesen in der "Kritik" der "Geschichte einer Nonne" (KFD 8511), worin es heisst, dass man den Romanvorwurf "mit sachkundiger Ehrfurcht und darstellerischer Zucht geschickt den Bedürfnissen der Leinwand anpasste." Die Tendenziösität des Urteils ist hier offenbar. Es gibt aber Beispiele, wo sie verdeckt erscheint. Etwa in der Besprechung des spanischen Films "Tod eines Radfahrers", einem der sozialkritischsten Filme der letzten Jahre. Im KFD liest man von "scharf ausgeleuchteten Charakterstudien, die u. a. auch ein Stück Gesellschaftskritik enthalten". (8537) In diesem "u. a." liegt in nuce das ganze Dilemma einer dogmatisch vorgegebenen Kritik, die, um nicht von ihrem Weltbild abzuweichen, das, womit sie sich beschäftigt, verfälschen muss. Denn indem der Akzent auf die "Charakterstudien" gelegt wird, werden die sozialkritischen Intentionen entschärft, ohne dass man sich freilich bewusst wäre, dass Kritik am Charakter des Menschen auch Kritik an der Gesellschaft implizieren kann, die solche Charaktere möglich macht. Hier aber wird die gesellschaftliche Kritik auf die am abstrakten Menschen ab- und die christliche Heilsbotschaft aufgeblendet, so dass "der irdische Untergang des Helden" etwas Besonderes, Ergreifendes hat. Es ist Gottes Barmherzigkeit mit ihm. So wohl auch mit dem gesamten Katholischen Filmdienst.
Zurück zum Anfang


Papas Kino ist tot.   Manifest der Jungen 1962   Hoffnung oder Desaster


Die kleinen Filmländer Eine Dokumentation von Herbert Birett

Belgien

Es gibt nur wenige Spielfilme, von denen kaum einer über die Grenze hinaus bekannt wurde ("Möven sterben im Hafen" (1955) v. Michiels, Verhavert und Guypers). Grössere Bedeutung gewann das Dokumentarfilmschaffen. Der bekannteste Regisseur dürfte Hassaerts sein, der sich in seinen Filmen sehr oft mit Gemälden beschäftigt. Wichtig sind ferner Cauvins "Bongolo" (1953) und in früherer Zeit der Regisseur Storck mit den Filmen "Le borinage" (1933) und "Häuser des Elends" (1937). Belgien ist auf den Import angewiesen, der zu etwa einem Drittel aus Deutschland kommt. Es besitzt ein Filmarchiv, das die Filmklubs betreut und von Zeit zu Zeit Informationsvorführungen veranstaltet. In Brüssel, bei diesem Archiv, ist auch der Sitz der internationalen Vereinigung der Filmklubs.

Dänemark

Eigentlich gehört Dänemark gar nicht in diese Reihe, denn es gehörte einst zu den grossen und bedeutendsten Filmländern. Es mussten zwar vierzehn Jahre seit der ersten Vorführung im Tivoli vergehen, bis die "Nordisk Film" (1910) gegründet wurde, die sich dann aber zu einer der berühmtesten Produktionsgesellschaften entwickelte. Unter ihrem Leiter Olsen arbeitete u. a. Urban Gad, der Asta Nielsen, die für die Filmkunst so bedeutsam werden sollte, entdeckte. Die Zahl der weltbekannten Namen der "Nordisk" ist so lang, dass hier nur noch zwei weitere erwähnt werden sollen: C. Th. Dreyer (Jeanne d' Arc, Vampyr) und Holger Madsen (1914 <!> bewusst bewegte Kamera).

Im Jahre 1918 wurden die deutschen Kinos der "Nordisk" an die UFA überführt. Seit diesem Jahre ging es unaufhaltsam abwärts in die Vergessenheit. Erst kurz nach dem zweiten Weltkrieg war ein Aufschwung mit "Ditte-ein Menschenkind" (Henning-Jensen, 1946) und dem "Wort" (Dreyer, 1954) und einige Jahre später mit den Lustspielen Ballings zu bemerken.

Hinzuweisen ist noch auf das Dokumentarfilmschaffen und auf einige in den letzten Jahren entstandene Trickfilme. Der Film wird vom Staat gefördert, der auch das Filmarchiv unterstützt,

Finnland

Finnland ist auf filmischem Gebiet recht abgeschlossen, nur wenige Filme sind im Ausland in weiteren Kreisen bekannt geworden: "Das weisse Rentier" (1953) und "Trommelfeuer in Karelien" (1954). Während der Stummfilmzeit stand das Filmschaffen unter schwedischer Oberherrschaft, unter der sich der spätere eigene Stil schon zu entwickeln begann. Die Filme basieren meist auf der Folklore und der nationalen Literatur.

Neben den gut zwanzig eigenen Filmen zeigen die finnischen Kinos hauptsächlich amerikanische Filme. Auch die französische Produktion ist hier stark vertreten, da sie sich infolge der leichten Konvertierbarkeit der Währung nach dem Kriege gut einführen konnte. Die deutsche ist gegenüber der Vorkriegszeit nur in geringerem Masse vertreten,

Griechenland

Der erste griechische Film, der über die Grenzen hinaus bekannt wurde, war "Daphne und Chloe" von Laskos im Jahre 1929. Dann machte erst wieder Cacoyannis mit "Stella" (1955) und dem "Mädchen in Schwarz" (1956) vom griechischen Film reden.

Auch hier wird der grösste Teil des Bedarfes an Filmen aus dem Auslande gedeckt. Die Hälfte des Eintrittsgeldes muss als Vergnügungs-Steuer abgeführt werden (in Deutschland bis zu 20 Prozent),

Holland

Erst um das Jahr 1910 begann man in Holland Filme zu drehen, meist in Koproduktionen (etwa mit England) oder man holte sich ausländische Regisseure, von denen einer (L. Berger) mit "Pygmalion" (1936) einen der bedeutendsten Spielfilme gestaltete.

Wesentlich enger war der Dokumentarfilm mit holländischen Namen verknüpft: J. Ivens mit "Zuider See" (1930) - er verliess bald seine Heimat, um in vielen Ländern wichtige Werke zu schaffen -, Rutten mit "Totes Wasser" (1934) und Haanstra mit "Glas" (1958).

Jugoslawien

Das Filmland Jugoslawien hat sich internationalen Ruhm vor allem mit seinem Trickfilmschaffen erworben. Beim Zeichentrickfilm musste es vor allem gegenüber der mächtigen Konkurrenz der USA neue Wege suchen, während beim Puppentrickfilm die Tschechoslowakei der "Grosse Bruder" war. Der erste Spielfilm "Einsame Schlösser" wurde 1925 gedreht, aber erst nach 1945 beginnt die zielbewusste Förderung des Filmschaffens. 1947 erscheint "Slavitsa", 1954 eine Koproduktion mit Norwegen "Der blutige Weg", im gleichen Jahre "Das Mädchen und die Eiche". Gegenwärtig werden von den verschiedenen - nach Nationalitäten getrennten - Produktionsfirmen etwa 20 Filme im Jahre fertiggestellt.

Spanien

Nach langer Vorherrschaft französischer Produzenten, die gerne in dem billigeren Spanien drehten, erfolgte ein erster Aufschwung Mitte der zwanziger Jahre. Nach dem Sturz der Monarchie erreichte der spanische Film seinen Höhepunkt etwa 1935 (Buñuel "Los Hurdes" = "Land ohne Brot", ein Dokumentarspielfilm). Seit der Verschärfung der staatlichen Zensur unter Franco entstanden, zudem noch durch die kirchliche Zensur beschränkt, wenige Filme, meist Kollossalfilme nach historischen Stoffen.

Erst Anfang der fünfziger Jahre war ein neuer Aufschwung zu verzeichnen. L. Vajda, der aus dem Osten kam, und Regisseure, die die Filmhochschule in Madrid besucht hatten, schufen Filme, die in weiten Kreisen bekannt wurden: "Das Geheimnis des Marcellino" von Vajda (1955); "Willkommen, Mr. Marshall" (1953) und "Calabuig" (1956) von Berlanga; "Tod eines Radfahrers" (1955) und "Die Hauptstrasse" (1956) von Bardem. Der Skandal um "Viridiana" (Zensurüberschreitung und anderes) lässt vieles für den spanischen Film fürchten. Buñuel hatte ein Drehbuch eingereicht, das den Film nur in Andeutungen wiedergab.

Südafrikanische Union

Die Südafrikanische Union hat bis jetzt kaum eigene Filme produziert. Die frühen wurden meist in Afrikaans gedreht. Der erste wichtige war Bennetts "Sarie Marais" (1948); in englisch sind bedeutsam: Z. Kordas "Denn sie sollen getröstet werden" und D. Swansons "Zaubergarten", beide aus dem Jahre 1951.

Meist liegt die Regie in den Händen von Amerikanern und vor allem von Engländern. Auch das Filmschaffen ist von der Diktion der Apartheid überschattet, so dass uns kaum ein unverfälschtes Bild der Neger gegeben wird. Noch viel weniger hatten sie die Möglichkeit, Eigenes zu schaffen.

Zitat
Grosses Film- und Kinoadressbuch 57, S. 1112 »Ganz abgesehen davon (billiges Produktionsland. D. Red.) ergibt das Land thematisch viele noch nie genutzten Möglichkeiten. Voraussetzung hierzu sind natürlich Landeserfahrungen, die durch die Deutsche Proteafilm in Johannesburg mobilisiert werden können. So entstanden bereits 1957 die Afrika-Aufnahmen zu dem Arca-Film "Liane - die weisse Sklavin"«.

Australien

Im Jahre 1906 entstand in Australien einer der ersten Filme, die aus mehreren Akten bestanden - also über 15 Minuten dauerten - "The Kelly Gang". Die Produktion ist nur klein und wird nur zu einem Teil von einheimischen Regisseuren gedreht. Vor allem werden Dokumentarfilme hergestellt. Beachtenswert sind H. Watts "The Overlanders" (1946) und "Back of Beyond".

Tschechoslowakei

Wer verbindet nicht "Tschechoslowakei" und "Film" sofort mit dem Puppenfilm und J. Trnka, über den leicht K. Zeman und H. Tyrlowa vergessen werden.

Die Spielfilmproduktion beginnt um 1912. G. Machaty dreht in den zwanziger Jahren mit A. Ondra und 1933 mit H. Lamarr "Ekstase". Das Bemühen um den Kinderfilm ist ein besonderes Kennzeichen der tschechoslowakischen Produktion. Nach dem Kriege wurde die Filmindustrie verstaatlicht. 1950 entsteht unter der Regie von A. Radok "Ghetto Theresienstadt".

Eine Filmhochschule, ein Museum und ein Archiv unterstützen die Arbeit des Filmnachwuchses.

Literatur:
Unter anderem Cinéma 59 Nummer 33 (aber auch viele andere Hefte).
Filmkritik 1/61.
Das Grosse Film- und Kinoadressbuch.
G. Sadoul, Geschichte der Filmkunst, Wien, Schönbrunn-Verlag, 1957.
Waldekranz/Arpe Knauers Buch vom Film, München, Droemersche Verlags-Anst., 1956.
Was man vom Film wissen muss? (III/IV). Frankfurt a. M., Filmstudio/Staatl. LBS, 1955/56.

Zurück zum Anfang


Pudowkin: Vom Wesen des Sowjetfilms

Der Sowjetfilm ist etwas anderes als der Film im allgemeinen. Er ist in seiner Entwicklung einem ebenso ursprünglichen und neuen Wege gefolgt wie das gesamte kulturelle Leben, das sich in unserem Lande entrollt und diese Entwicklung bestimmt hat.

Nur die sowjetischen Bedingungen konnten die Schöpfung eines Filmes wie "Panzerkreuzer Potemkin" zulassen, der im Weltfilmschaffen unbestreitbar ein grosses Ereignis bezeichnete. Einzig und allein in unserem Lande konnte ein Film wie "Tschapajew" erscheinen, der die einstimmige Begeisterung der Massen hervorgerufen hat und der Lieblingsfilm des Volkes geworden ist. Ich erinnere mich der ersten Arbeiten der Regisseure und Schauspieler, die in ihrem Beruf bereits ergraut waren, aber auf dem Gebiet des Films eine durchaus kindliche Vorstellung von den Bedürfnissen der Arbeiterklasse hatten. Eine naive Intrige, die fast immer mit Abenteuern gespickt und oft von amerikanischen Filmen entlehnt war, so etwas wählten sie als Filmthema. Die Übeltäter und die Helden unterschieden sich eher durch den Schnitt ihrer Kleider und die Form ihres Schnurrbarts als durch ihren Charakter, was durchaus natürlich war, da weder die einen noch die andern etwas Lebendiges hatten.

In einem Film jener Zeit, der vom technischen Standpunkt besser gelungen war, "Der Todesstrahl" (ich selbst wirkte dabei als Schauspieler und Hilfsregisseur unter Kuleschow mit), erscheinen nach der Panik, die durch Bombenflugzeuge verursacht worden ist, rätselhafte Arbeiter in einem rätselhaften Lande, nur um über die abgelegene Wohnung eines Fabrikdirektors herzufallen. Alles übrige spielt sich unter unbestimmten Kaufleuten, Jesuiten und zahlreichen Bösewichtern ab. Es gab viele Filme dieser Art: "Die Kreuzfahrt des Mister Lloyd", "Miss Mend" und andere, alle nach dem gleichen Rezept hergestellt, jedoch mit weniger Können.

Zu jener Zeit fand man das weder albern noch überflüssig. Heute begreifen wir die ganze Ausdehnung der Fortschritte, die wir in diesen rund zehn Jahren in bezug auf ideologische und kulturelle Entwicklung unter der Leitung der kommunistischen Partei gemacht haben. Viele von uns hatten nur eine rein formale Auffassung von der filmischen Ideologie, in der sich der schöpferische Gedanke der Klasse, die den Sozialismus aufbaute, restlos spiegeln sollte. Sie trugen diese Beschränktheit hinein, die es noch heute gewissen bürgerlichen Kritikern erlaubt, unsere besten Filme mit der Etikette "Propaganda" zu versehen.

Unsere ersten Filme waren im wesentlichen "formalistisch", genauer gesagt, sie waren durch formale Art begrenzt, und zwar weil alle Möglichkeiten fehlten, manchmal sogar durch den Wunsch, diese Grenzen zu überschreiten. Selbst Eisensteins "Streik", ein Film, in dem der Regisseur den Klassenkampf direkt darzustellen versuchte, frappierte vor allem durch die Pracht der äusseren filmischen Verfahren. Im Bestreben, die Geheimsitzung des Streikausschusses "interessanter" zu gestalten, beschloss man allen Ernstes, sie - im Wasser zu filmen. Die nassen Köpfe der Verschworenen, die vor dem Hintergrund des Schiffes schwimmen, stellten den entscheidenden Augenblick in der "Interpretation" dieser Episode dar. Vom ideologischen Standpunkt betrachtet, "hinkten" die Filme. Das kam daher, dass die Regisseure selbst nicht fest auf den Beinen standen.

Wir traten dann eine grosse Periode des Studiums an. Wir erkannten, dass die Qualität des Drehbuchs und des Films nicht nur von der Begabung der Schauspieler abhing, sondern auch von ihrer ideologischen Vorbildung. Die Partei öffnete vielen Filmschaffenden ihre Reihen; andrerseits widmeten sich zahlreiche aktive Kommunisten dem Film. Daraus ergab sich ein beträchtlicher ideologischer und künstlerischer Fortschritt in unserer Arbeit.

Gegen 1930 erreichten die sowjetischen Regisseure ein hohes technisches Niveau. Unsere Filme wurden im Ausland als Muster der Montage angesehen. Viele von uns nahmen regelrechte Theoriekurse. Aber theoretische Kenntnisse machen den echten Künstler nicht allein aus. Die Doktrin von Marx, Lenin und Stalin, die, kein Dogma ist, sondern "ein Führer fürs Handeln" (Stalin) empfahl das praktische Studium der Wirklichkeit. Wir brauchten den lebendigen und inspirierenden Wind der Wirklichkeit, den man nur in der unmittelbaren Berührung mit ihr spürt _...

Der sozialistische Realismus wurde bald die Kampflosung des künstlerischen Films.

Wir begannen tiefgründige Stoffe für den Film zu übernehmen - die klare Auffassung unserer Klassenideologie. Wir begannen für den anziehenden und hinreissenden Film zu kämpfen, denn die passive ästhetische Betrachtung ist unseren Zuschauern ganz und gar fremd, und die Befürworter des sozialistischen Gefüges wollen schlichtweg durch das Kunstwerk gewonnen werden _... (1934)
Zurück zum Anfang


Lenin: Das Filmdekret

"Über die Zusammenarbeit zwischen Filmindustrie, Fotounternehmen und dem Kommissariat für Unterrichtswesen und Volksaufklärung"

1. Handel und Industrie photographischer Produkte sind auf allen Gebieten der UdSSR gesamthaft dem Volkskommissariat für Unterrichtswesen und Volksaufklärung angegliedert, sowohl in bezug auf ihre Organisation als auch in bezug auf Befugnisse und Verteilung der Mittel und des technischen Materials.

2. Zu diesem Zweck ist das Volkskommissariat ermächtigt.

  a. alle speziellen photographischen und kinematographischen Unternehmungen sowie die Photo- und Filmindustrie im ganzen in Übereinstimmung mit dem Obersten Rat der Nationalökonomie zu nationalisieren;

  b. photographische und kinematographische Unternehmungen, Waren, Materialien und Instrumente zu requirieren;

  c. für die Rohstoffe und die Fabrikate dieses Gebietes feste und begrenzte Preise aufzustellen;

  d. Handel und Industrie von Photo und Kinematographie zu kontrollieren;

  e. dem gesamten Handel und der gesamten Industrie photo-kinematographischer Erzeugnisse Verordnungen aufzuerlegen, die sowohl für die Unternehmungen und die Einzelnen als auch für die sowjetischen Anstalten gültig sind, soweit sie photo-kinematographische Gebiete betreffen.

Der Vorsitzende des Rats der Volkskommissare: W. Ulianow-Lenin
Der Geschäftsträger des Rats der Volkskommissare: W. Bontsch-Bruiewitsch
Moskau, Kreml, den 27. August 1919
Zurück zum Anfang


Katschaturian: Film und Musik

Durch den Tonfilm wurde dem Komponisten ein ganz neues Tätigkeitsfeld eröffnet. Ich betrachte dieses Gebiet nicht nur als ausserordentlich interessant und nützlich, sondern auch als ehrenvoll. Erstens einmal bietet das Kino dem Komponisten ein Publikum von mehreren Millionen Zuschauern, das ihm sämtliche Konzertsäle und Opernhäuser zusammen nicht zu geben vermögen; zweitens trägt das Kino auf besonders aktive Weise zur Schaffung von Werken bei, die Probleme von brennender Aktualität behandeln.

Ich stimme durchaus mit Dimitri Schostakowitsch überein, der in einem seiner Artikel sagt, der Film sei für den Komponisten eine Schule. Im gleichen Artikel stützt er sich auf den berühmten Ausspruch Gorkis, dass man "für Kinder genau wie für Erwachsene, nur noch besser" schreiben muss, und empfiehlt, für den Film mit dem gleichen Ernst und der gleichen Sorgfalt wie für bedeutendere Werke zu komponieren, nur noch besser.

Es steht fest, dass wir besonders hohe Ansprüche an uns selbst stellen müssen, wenn wir für den Film arbeiten. Unsere Musik muss ausserordentlich gemässigt, ausdrucksvoll und für die grössten Massen verständlich und zugänglich sein. Wir haben kein Recht auf eine einzige "gleichgültige" Phrase, kein Recht auf eine einzige charakterlose Stelle. Alles muss ganz konkret, reliefartig, ich möchte sogar sagen, plastisch sein.

Die Arbeit des Komponisten enthält nicht geringe besondere Schwierigkeiten. Im Gegensatz zur Oper, zum Oratorium, zur Symphonie, wo wir zeitlich über eine gewisse Freiheit verfügen, um das musikalische Grundmotiv auszudrücken und die Hauptgestalt des Werkes zu beschreiben, sind wir beim Film immer in Zeitnot. Wir müssen die vielfältigsten Gedanken und Gefühle in einem Zeitraum ausdrücken, der durch das Metronom streng festgelegt ist. Dieser Zeitraum ist in den meisten Fällen sehr beschränkt. Aber selbst in den Grenzen einer Minute sind wir keine Meister; denn es ist bekanntlich viel schwerer, sich in kurzer Form auszudrücken und sich in zeitlich beschränktem Rahmen zu placieren.

Aber das ist noch nicht die wesentliche Schwierigkeit, mit welcher der Komponist zu tun hat, der sich dem Film zuwendet.

Auf keinem Gebiet musikalischen Schaffens wird eine so völlige Beherrschung der verschiedensten Formen verlangt, sowohl der monumentalen Symphonie als auch des Genrebildes, des Liedes, des Marsches, des Tanzes und anderer Gattungen. Ausserdem spielen neben der Musik die Geräusche im Film oft eine keineswegs unbedeutende Rolle. So stellt sich dem Komponisten die ungewöhnliche Aufgabe, sich über die Harmonie ihrer Resonanz klar zu werden und die notwendigste, charakteristischste, ausdrucksvollste Geräuschkulisse auszuwählen, so dass beim Zuschauer der Eindruck der Echtheit, des wahren Lebens hervorgerufen wird. (1938)
Zurück zum Anfang


Gide: Der Sowjetfilm

Die Sowjetunion hat vielleicht keine stärkeren und besseren Propagandamittel als ihre Filme. Ein Land, das derartige Werke hervorzubringen vermag, ist ein mächtiges Land - das muss man unwillkürlich denken. Man denkt auch noch anderes. Die tiefe Ehrlichkeit des Spiels der Darsteller, vom Träger der Hauptrolle bis zum letzten Statisten (aber darf man in einem Drama, das keine Komparserie kennt, überhaupt von Statisten sprechen?) lässt vergleichsweise stark in Erscheinung treten, wie gekünstelt, konventionell, oberflächlich und verloren unsere östlichen Filme sind.

Das intensive, so ansteckende Gefühl, das die russischen Filme durch und durch atmen (ich spreche hier nur von den besten), entstammt der allgemeinen kraftvollen Überzeugung, die man beim Drehbuchautor ebenso spürt wie beim Regisseur und Darsteller. Sie arbeiten nicht nur füreinander, sondern auch miteinander, jeder für alle, und der gleiche Schwung belebt sie. Derselbe Schwung, diese einzige Überzeugung, vergeistigt die ungeheure materielle Anstrengung der gesamten Sowjetunion und lasst sie alle Widerstände besiegen.

Die Sowjetfilme, die wir in Frankreich zu sehen bekommen haben, sind in erster Linie Kampffilme, alle tragisch, obwohl sie mit einem Sieg enden, denn sie stellen einen harten und schmerzlichen Kampf dar; ferner Filme, welche die Arbeit des Menschen und der Maschinen preisen, die ruhmreiche Unterjochung der grossen Naturkräfte, den industriellen Fortschritt. Ich warte ungeduldig auf eine Zeit, wo die Sowjetunion jenseits des Sieges, befreit von der vorgefassten Meinung des Kampfes, sowohl in ihren Filmen als auch in der Literatur das wiedergefundene Selbstvertrauen und die Freude widerspiegeln wird, jene Freude, die unsere östliche Welt verlassen hat, und die sich dort endlich ausbreiten sollte. (1934)
Zurück zum Anfang


W. Majakowski Kino und Kino

Für euch ist das Kino eine blosse Lustbarkeit.
Für mich ist es der Inbegriff der Welt. Das Kino ist der Träger der Bewegung.
Das Kino verjüngt die Literatur.
Das Kino vernichtet das Ästhetisieren.
Das Kino ist Wagemut.
Das Kino ist Kraftentfaltung.
Das Kino dient der Verbreitung von Ideen.
Aber das Kino ist krank. Der Kapitalismus hat ihm eine Handvoll Geld in die Augen gestreut. Gerissene Unternehmer bahnen seine Wege und führen es dabei an der Hand. Sie schaufeln Geld, indem sie die Menschen mit minderwertigen, rührseligen Geschichten zum Weinen bringen.
Das muss ein Ende haben.
Der Kommunismus muss das Kino den Händen der Spekulanten entreissen. Der Futurismus muss die stillen Gewässer austrocknen: die Sümpfe und das Moralisieren.
Wenn das nicht kommt, dann bleiben uns nur die mistigen amerikanischen Importe oder die "tränenumglänzten Augen" der einheimischen Stars.
Die eine dieser Möglichkeiten verursacht uns Übelkeiten. Die andere noch mehr.       (1922)

Wir danken dem Sanssouci Verlag in Zürich für die Erlaubnis, aus dem Auswahlbändchen der Galerie Sanssoucis "Der russische Revolutionsfilm" (DM 4,80) die Beiträge von Lenin, Pudowkin, Katschaturian, Gide, und Majakowski abdrucken zu dürfen.
Zurück zum Anfang


Der deutsche Film existiert nicht ohne den russischen. Wir sind der Auffassung, dass der russische Revolutionsfilm, obgleich in Vergessenheit geraten, nie grössere Relevanz für das Filmschaffen besass als heutzutage.


Walter Benjamin: Illuminationen Charakteristika des Films

Seine Charakteristika hat der Film nicht nur in der Art, wie der Mensch sich der Aufnahmeapparatur, sondern wie er mit deren Hilfe die Umwelt sich darstellt. Ein Blick auf die Leistungspsychologie illustriert die Fähigkeit der Apparatur zu testen. Ein Blick auf die Psychoanalyse illustriert sie von anderer Seite. Der Film hat unsere Merkwelt in der Tat mit Methoden bereichert, die an denen der Freudschen Theorie illustriert werden können. Eine Fehlleistung im Gespräch ging vor fünfzig Jahren mehr oder minder unbemerkt vorüber. Dass sie mit einem Male Tiefenperspektiven im Gespräch, das vorher vordergründig zu verlaufen schien, eröffnete, dürfte zu den Ausnahmen gezählt haben. Seit der "Psychopathologie des Alltagslebens" hat sich das geändert. Sie hat Dinge isoliert und zugleich analysierbar gemacht, die vordem unbemerkt im breiten Strom des Wahrgenommenen mitschwammen. Der Film hat in der ganzen Breite der optischen Merkwelt, und nun auch der akustischen, eine ähnliche Vertiefung der Apperzeption zur Folge gehabt. Es ist nur die Kehrseite dieses Sachverhalts, dass die Leistungen, die der Film vorführt, viel exakter und unter viel zahlreicheren Gesichtspunkten analysierbar sind als die Leistungen, die auf dem Gemälde oder auf der Szene sich darstellen. Der Malerei gegenüber ist es die unvergleichlich genauere Angabe der Situation, die die grössere Analysierbarkeit der im Film dargestellten Leistung ausmacht. Der Szene gegenüber ist die grössere Analysierbarkeit der filmisch dargestellten Leistung durch eine höhere Isolierbarkeit bedingt. Dieser Umstand hat, und das macht seine Hauptbedeutung aus, die Tendenz, die gegenseitige Durchdringung von Kunst und Wissenschaft zu fördern. In der Tat lässt sich von einem innerhalb einer bestimmten Situation sauber - wie ein Muskel an einem Körper - herauspräparierten Verhalten kaum mehr angeben, wodurch es stärker fesselt: durch seinen artistischen Wert oder durch seine wissenschaftliche Verwertbarkeit. Es wird eine der revolutionären Funktionen des Films sein, die künstlerische und die wissenschaftliche Verwertung der Photographie, die vordem meist auseinanderfielen, als identisch erkennbar zu machen.

Indem der Film durch Grossaufnahmen aus dem Inventar, durch Betonung versteckter Details an den uns geläufigen Requisiten, durch Erforschung banaler Milieus unter der genialen Führung des Objektivs auf der einen Seite die Einsicht in die Zwangsläufigkeiten vermehrt, von denen unser Dasein regiert wird, kommt er auf der andern Seite dazu, eines ungeheuren und ungeahnten Spielraums uns zu versichern! Unsere Kneipen und Grossstadtstrassen, unsere Büros und möblierten Zimmer, unsere Bahnhöfe und Fabriken schienen uns hoffnungslos einzuschliessen. Da kam der Film und hat diese Kerkerwelt mit dem Dynamit der Zehntelsekunden gesprengt, so dass wir nun zwischen ihren weitverstreuten Trümmern gelassen abenteuerlich Reisen unternehmen. Unter der Grossaufnahme dehnt sich der Raum, unter der Zeitlupe die Bewegung. Und so wenig es bei der Vergrösserung sich um eine blosse Verdeutlichung dessen handelt, was man "ohnehin" undeutlich sieht, sondern vielmehr völlig neue Strukturbildungen der Materie zum Vorschein kommen, so wenig bringt die Zeitlupe nur bekannte Bewegungsmotive zum Vorschein, sondern sie entdeckt in diesen bekannten ganz unbekannte, "die gar nicht als Verlangsamungen schneller Bewegungen, sondern als eigentlich gleitende, schwebende, überirdische wirken". So wird handgreiflich, dass es eine andere Natur ist, die zu der Kamera als die zum Auge spricht. Anders vor allem dadurch, dass an die Stelle eines vom Menschen mit Bewusstsein durchwirkten Raums ein unbewusst durchwirkter tritt. Ist es schon üblich, dass einer vom Gang der Leute, sei es auch nur im groben, sich Rechenschaft ablegt, so weiss er bestimmt nichts von ihrer Haltung im Sekundenbruchteil des Ausschreitens. Ist uns schon im Groben der Griff geläufig, den wir nach dem Feuerzeug oder dem Löffel tun, so wissen wir doch kaum von dem, was sich zwischen Hand und Metall dabei eigentlich abspielt, geschweige, wie das mit den verschiedenen Verfassungen schwankt, in denen wir uns befinden. Hier greift die Kamera mit ihren Hilfsmitteln, ihrem Stürzen und Steigen, ihrem Unterbrechen und Isolieren, ihrem Dehnen und Raffen des Ablaufs, ihrem Vergrössern und ihrem Verkleinern ein. Vom Optisch-Unbewussten erfahren wir erst durch sie, wie von dem Triebhaft-Unbewussten durch die Psychoanalyse.

Wir danken dem Suhrkamp-Verlag für die Abdruckerlaubnis des Zitats aus Walter Benjamins Essay "Ober die Reproduzierbarkeit des Kunstwerks im technischen Zeitalter", der in den "Illuminationen", einem Buch aus der Reihe der "Bücher der Neunzehn" erschienen ist (DM 8,80).
Zurück zum Anfang


Sergej Michalowitsch Eisenstein Von Barbara Reischel

Kaum je ist ein Regisseur derart vom Film besessen gewesen wie Sergej M. Eisenstein. Zwar hing er schon früh mit grosser Begeisterung am Theater, aber es deutete nichts darauf hin, dass der 1898 in Riga geborene Russe deutscher Abstammung jemals auf diesem Gebiet arbeiten würde. Als er in die Ingenieurschule eintrat, schien es völlig sicher, dass er wie sein Vater Architekt werden würde. Dann jedoch nahm er 1918-20 am Bürgerkrieg teil und kehrte danach nicht zu seinem Studium zurück, sondern ging nach Moskau an das Proletkult Theater, wo er zunächst als Bühnenbildner und dann als Regisseur arbeitete.

Aber auch hier war sein Verhältnis zur Kunst noch seltsam. Er lebte in dem Künstlerkreis um die Zeitschrift "Lef", deren Ziel es war, die Kunst, das heisst ihr hervorstechendes Merkmal, die Form, zugunsten der puren Materie, des reinen Dokuments, zu vernichten. Also beschäftigte Eisenstein sich ganz bewusst nur deshalb näher mit der Kunst - vor allem auch immer mehr mit dem Film - um sie nach genauer Kenntnis ihrer empfindlichen Stellen tödlich treffen zu können. Und dann "verführte sein vermeintliches Opfer ihn, zog ihn an sich, fesselte ihn und verschlang ihn für lange Zeit" ("Wie ich Regisseur wurde"). Es machte aus ihm den von der neuen Kunst Besessenen, der unaufhörlich über sie nachdenkt, der überhaupt nur noch in Filmeinstellungen zu denken scheint, der seine Literaturkenntnis dazu verwendet, seine auf den Film bezogenen dramaturgischen, künstlerischen Theorien zu beweisen (siehe seine Interpretationen von Dickens und Stendhal), der alles, Prosa und Lyrik, als Drehbücher liest, der jeden eigenen Text fast wie ein Drehbuch schreibt. Nichts bleibt für ihn im Film zufällig. Alles wird analysiert, zu Systemen zusammengefasst. Seine Ergebnisse bringt er in Formeln, stellt sie in mathematischen Zeichnungen dar. Jedes Spannungsgefälle, jede Emotion, alles ist minutiös berechnet. Die Montage wird sein grosses Mittel.

Später, als Dozent am staatlichen Filminstitut in Moskau, hat er Gelegenheit, die Analyse immer weiter zu vertiefen. Er prüft Werke fremder Regisseure wie Griffith oder Chaplin, vor allem aber immer wieder die eigenen. Bisweilen in glänzender Rhetorik, dann wieder professoral trocken bis zur Umständlichkeit, untersucht er seine Filme "Alexander Newski", "Iwan der Schreckliche", "Oktober" und vor allem sein Meisterwerk, den "Panzerkreuzer Potemkin". An ihm demonstriert er auch seine Theorie vom Kunstwerk überhaupt.

Wenn wir in diesen Aufsätzen manchmal den Eindruck haben, der Verfasser sei arrogant, so verwechseln wir bei Eisenstein Arroganz mit ehrlichem Stolz; nicht aber Stolz auf sich selbst, sondern auf die Arbeit seines Kameramannes und Freundes Tissé, die seines Komponisten Prokofiew, die der anderen Mitarbeiter, kurz: stolz auf die Arbeit des ganzen Kollektivs, das diese Filme schuf. Und ein solches Kollektiv konnte nur die Revolution hervorbringen. Hier sind wir direkt am Kernpunkt Eisensteinschen Schaffens und aller seiner Filme. Die Revolution ist seine Triebfeder. Ihr hat er alles zu verdanken. Für ihre Ideen zu kämpfen, wird er nie müde. Seinen Grundsatz fasst er so zusammen: "Viele von uns kamen durch die Revolution zur Kunst. Jeder von uns ruft durch die Kunst zur Revolution auf" ("Mein Weg zum Film", 1933). Film ist für ihn die wichtigste aller Künste, denn er kann am wirksamsten die Revolution verbreiten. Alles ausgeklügelt Formale seiner Filme ist nur Mittel zur revolutionären Aussage. So wird er zum Meister des Revolutionsfilms und damit auch der Massenregie.

Wenn er allerdings seine Auffassungen von den Aufgaben des sowjetischen Films nicht praktisch anwendet, sondern darüber schreibt, bleibt es uns schwer verständlich, wie ein Regisseur, der so grossartige Filme machte, sich nicht bewusst wurde, welche platte Propaganda er zu Papier brachte. Das sind dieselben hohlen, grosstönenden Phrasen über die Herrlichkeiten des Sozialismus, wie die Sowjetunion sie auch heute immer noch aller Welt anbieten mag. Es erstaunt, dass Eisenstein in seinen Anfängen hieraus entscheidende Impulse empfing und auch späterhin noch daraus schöpfte, obwohl ihm z. B. das Ausland - die Schweiz, Frankreich, USA, Mexiko - nicht mehr unbekannt war.

Im Jahre 1948 starb Eisenstein in Moskau.

Literatur
Eisenstein, Gesammelte Aufsätze I, Arche Verlag, Zürich 1961.
Eisenstein, Vom Theater zum Film, Arche Verlag, Zürich 1961.
B. Lawrenjew, Der russische Revolutionsfilm, Sanssouci Verlag, Zürich 1960.
Zurück zum Anfang


Filmstudio Retrospektive

Zum zehnjährigen Jubiläum veranstaltete das FILMSTUDIO in Verbindung mit dem "Archiv für Filmkunde Paul Sauerlaender" eine Ausstellung über die Technik der Filmkunst.

In der Reihe seiner Montagsveranstaltungen zeigte das FILMSTUDIO eine ausgezeichnete Auswahl aus dem französischen Kurzfilmschaffen.

Das FILMSTUDIO zeigte im letzten Semester in deutschen Erstaufführungen die französischen Filme: "Amélie oder die Zeit zu lieben" und "Pantalaskas".

Das FILMSTUDIO entsandte wiederum eine Delegation zu den "Westdeutschen Kurzfilmtagen" in Oberhausen.
Zurück zum Anfang


Rückumschlag

Deutlich ist, wie tief das Kino verrottete. Mit den namhaften Dichtern begann es, als sie ihren Arm der Sache zu leihen sich drängten, als Sudermann im "Katzensteg" verfilmt auch dem kleinsten Manne sich darbot, als Paul Lindau "den Andern" Bassermann auf den Leib schnitt, als das ganze Geschmeiss bourgeoiser Künstlerschaft sich auf das Kino warf, es zu heben beflissen (Konjunktur witternd), als man es, nun geneigt über die dunkle Herkunft hinwegzusehen, für gesellschaftsfähig erklärte, da es als Kunst entdeckt wurde - seitdem spiegelt das Kino nur den Tiefstand bürgerlicher Kultur, rein, unverblümt, schamlos, den Kitsch. Nach seinem Bilde wandelte der Bürger das Kino. Unsinnig zu behaupten, vor dieser Epoche hätte im Kino der Kitsch gefehlt. Der Autor des ersten Films konnte nicht ohne ihn sein. Aber das Kino war ursprünglich die wildeste Erscheinung, der elementarste Durchbruch des Triebhaften im Demos.       Carlo Mierendorf 1920


Der Zaubergarten (The Magic Garden)
Produktion: Südafrikanische Union; Regie: Donald Swanson.
Eine skurile Story hat sich hier ein Team von Filmneulingen ausgedacht und lässt es von Menschen spielen, die noch nie vor der Kamera standen: Den Bewohnern einer kleinen Afrikanervorstadt von Johannesburg. Man expliziert - und tut das bei aller Schlichtheit mit erstaunlichem Einfallsreichtum - wie ein Wunder die Volkswirtschaft beleben kann. Das scheint manchmal ein wenig ironisch zu sein, doch der feineren Ironie geht bald die Luft aus; der Sinn des Afrikaners für eine handfeste, rustikale Komik herrscht vor.
Hier spielt sich eine echte Komödie ab, die man fast als klassisch ansehen kann; als klassisch im ursprünglichen Sinne der hellenistischen Komödie, des Mummenschanz-Umzugs dörflicher Satyrn und dionysischer Feste.
Die Menschen, die diesen Film machten - fast ausnahmslos sind es eingeborene Jünger der Jupiterlampe - haben ihre Lektion vom Film vortrefflich gelernt. Es ist alles drin, was nach bewährten Mustern hineingehört, womit der grosse Bruder amerikanischer Film seine internationalen Erfolge entriert: von Liebe bis Klamauk, von Ehrgeiz bis Frömmigkeit. Nicht zu vergessen: Ein kräftiger Schlag "Musical" und eine dezente Andeutung Folklore. Es ist aber auch noch ein wenig mehr darin, etwas, das der mehr dokumentarisch berichtende neoveristische Film amerikanischer Provenienz auch kennt: ein Dash Sozialkritik, ein kleiner Spritzer aus dieser Flasche, der den Cocktail würzt. Man macht das keineswegs mit dem Holzhammer, aber der tiefeingewurzelte Wunsch wird Vater des Gedankens, dass bei dieser Kettenreaktion von Wundern letztlich die Armen den Segen und die Reichen, die Arrivierten, den Schaden haben.
In der Regie und der etwas konservativ-englischen Kamera, die die Totale bevorzugt, stecken manche Fehler, die bei Laien fast unvermeidlich sind. Regieführung bei Laiendarstellern ist nun einmal ausserordentlich schwierig. Hier wie auch an manchen Stellen, an denen technische Probleme auftauchen (etwa bei der nächtlichen Diebesjagd, die man mit vorgesetztem Rotfilter am Tage drehte - man erkennt das u. a. am Schattenwurf).       jws
Zurück zum Anfang


Das Gesicht (Ansiktet)
Produktion: Svensk Filmindustri; Regie: Ingmar Bergman; Buch: Ingmar Bergman; Kamera: Gunnar Fischer; Musik: Erik Nordgren; Darsteller: Max von Sydow, Ingrid Thulin, Gunnar Bjoernstrand u. a.
Auf die Welt des Übersinnlichen mit ihren Erscheinungen und dem geheimnisvollen "Grenzverkehr" richtet und lenkt Ingmar Bergman, der schwedische Regisseur, in seinem Film "Das Gesicht" den Blick. Wo ist noch Wahrheit und wo schon Trug? Das hintergründige Talent des Drehbuchautors und Inszenators Bergman unternimmt hier mit dem Exempel einer Auseinandersetzung zwischen exakter Wissenschaft und Ockultismus (Rivalität eines landfahrenden Gaukler-Doktors und eines rationalistischen Arztes) eine faszinierende filmische Gratwanderung. Bergman untersucht den Mangel an Gläubigkeit. Sein Magier-Held - in der Maske an Christus erinnernd - hat übernatürliche Kräfte, aber er verschliesst sich auch nicht rationalen Einwänden, zweifelt sogar an sich selbst und verliert schliesslich seine hypnotische Kraft. Doch auf den letzten Metern des Films, nach quälender Ungewissheit, erhält er den Ruf, vor dem König zu spielen.
Es erscheint leicht, die Einflüsse zu erkennen, die Bergman formten: die die psychoanalytischen Spannungen klassischer schwedischer Dramen, die Alpträume des deutschen Expressionismus, und die surreale filmische Sprache Jean Cocteaus, wo der Betrachter die Oberfläche, das Plane vergisst, und zu sehen beginnt, was nicht existiert, bzw. hinter den Bildern ein groteskes Dasein führt. "Ich suche die Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit", sagte er einmal.
Das "Gesicht" ist hierfür unwiderstehlich vorgetragener Beweis.       cc
Zurück zum Anfang


Das Mädchen in Schwarz (To koritsi mä ta mavra)
Produktion: Hermes Film Athen 1957; Buch und Regie: Michael Cacoyannis; Kamera: Walter Lasally; Musik: Agyris Kounadis; Darsteller: Ellie Lambetti, Dimitri Horn, Georges Foundas u. a.
Man muss "Das Mädchen in Schwarz" gesehen haben, und nicht nur aus Neugier, weil dies der erste griechische Film ist, der nach dem Kriege in Paris gezeigt wird. Sondern weil dies ein sehr schönes Filmwerk ist. Tragisch, ohne in das Melodrama abzufallen, poetisch, ohne sich im l' art pour l' art zu verfangen, realistisch, ohne vulgär zu sein. Universell und gleichzeitig zutiefst griechisch _... Dieses "Mädchen in Schwarz" ist die Schwester der in sich verschlossenen, hingebungsvollen und traurigen Heldinnen Mauriacs. Ihr Leben ist ein Kreuz für sie, weil sie sich ihrer Mutter schämt, die mit einem Mann überrascht worden ist. Aber sie wird verzehrt von Sehnsucht nach Liebe und Zärtlichkeit
Das erste, was man bemerkt, ist der Kontrast zwischen der glanzvollen, sonnenübergegossenen Insel Hydra und der Ausdünstung von Grausamkeit, die die Atmosphäre vergiftet. Hier drückt sich die Unmenschlichkeit zwischen den Menschen nicht so sehr durch Gewalt aus - obwohl sicher auch die Gewalt hier eine Rolle spielt - als in geistiger Verfolgung, dadurch, dass das Opfer mit der Atmosphäre schreienden Hasses umgeben wird. Und Cacoyannis findet immer wieder eine neue Wendung, um die besondere Situation zu steigern.       (The Times, London)
Ich habe noch nie einen griechischen Film gesehen. Mit Cacoyannis habe ich gleichzeitig das griechische Filmschaffen und ein echtes Kunstwerk entdeckt, das gut konstruiert und erzählt, packend und ganz vom Licht des Mittelmeeres durchdrungen ist; eine Geschichte, die bei all ihrer Alltäglichkeit durch das Talent ihres Autors eine Art Tragödie wird, die sich unter der griechischen Sonne abspielt. Die Allmacht des Schicksals und das Unausweichliche packen uns schon bei den ersten Bildern. Hier herrscht eine Reife, die tief im griechischen Wesen wurzelt. "Das Mädchen in Schwarz", das von Ellie Lambetti wunderbar verkörpert wird, ist vom Fleisch der Antike, und diese Gestalt bäumt sich wie ihre antike Schwester gegen das Schicksal, tapfer und stolz, obwohl sie weiss, dass sie ihm nicht ausweichen kann, und dabei doch von der schmerzlichen Erwartung auf das Glück erfüllt. Die Frauen des Dorfes murmeln Verwünschungen oder heulen ihren Schmerz wie die antiken Chöre. Die Geschichte ist schön. Man glaubt sie. Jede Gestalt ist genau so in die Tiefe wie in den Vordergrund gestellt und gezeichnet.       (Les Lettres Françaises)
Wir wissen nun durch "Das Mädchen in Schwarz", dass wir Cacoyannis zu den echten Filmschöpfern der neuen Generation neben Alain Resnais, Maselli, Bardem (mit dem er einige Analogien aufweist) und einigen anderen zählen können. "Das Mädchen in Schwarz" bestätigt die starke Persönlichkeit Cacoyannis, seine Fähigkeit, die Schönheit seiner Heimat und vor allem ihres Lichtes in Bilder zu übersetzen, das tiefe innere Leben der einfachen Leute verständlich zu machen und das antike Drama in das Leben von heute einzukleiden.       (Cinéma Nuovo, Mailand)
_... ein bemerkenswerter Film "Das Mädchen in Schwarz", dieses eindrucksvolle, düstere, packende unvergessliche Wenk.       (Humanité, Paris)
Zurück zum Anfang


Goldene Berge (Guld og grönne skove)
Regie: Gabriel Axel, Dänemark, 1958; Drehbuch: Johannes Allen; Kamera: Jörgen Skov; Musik: Swend Erik Tarp; Darsteller: Axel Bany, Verner Tholsgaard, Mogens Viggo Petersen, Cay Christiansen, Karl Stegger, H. Winther-Jörgensen, Hanne Ribens, Judy Gringer u. a.
Hier herrscht eitel Freude am Jux. Man ist bass erstaunt, welch humoristische Delikatesse ein heute so unscheinbares Filmland wie Dänemark (- so unscheinbar scheint es also doch nicht zu sein -) anzubieten hat. Die Geschichte nippt an Vorbildern wie "Willkommen Mr. Marshal". Es geht um den Zusammenprall des amerikanischen "Way of life" mit europäischen Provinzertum.
Die Einwohner zweier kleiner dänischer Inseln tun sich schwer mit ihrer Dickfelligkeit, und lediglich drei blonde Mädchen des einen Eilands flirten mit drei jungen Männern des anderen, derweil die Väter streng verfeindet sind, und die Liebe, jedenfalls vorerst, nur auf Schleichwegen stattzufinden hat. Die Konflikte nehmen nahezu Weltformat an, als plötzlich ein Rudel amerikanischer Ölmanager die eine Insel "besetzt" und auf den Kopf stellt, Öl kommt zwar nicht zum Vorschein, aber die amerikanische "Invasion" krempelt so mächtig das betuliche Seelenleben der dänischen Insulaner um, dass hernach keine Bedenken mehr gegen Liebe von Eiland zu Eiland bestehen.
Mehr ist gar nicht drin in dieser Geschichte, aber der Film serviert diesen Spass in der Form humoristischer Appetithappen. Alles ist freundlich augenzwinkernd beobachtet. Die Ankunft der Amerikaner ist eine parodistische Glanznummer, und der Regisseur bringt es anscheinend mühelos zuwege, dass sich diese Mischung aus Witz, Kabarett und Klamauk an keiner Filmkante stösst.
Hierzulande wäre das ein Heimatfilm, vom Leid und von der List der Liebenden zwischen zwei verfeindeten Dörfern geworden.

Das Dorf am Fluss (Doorp aan de rivier)
Regie: Föns Rademakers; Drehbuch: Hugo Claus und Föns Rademakers nach dem gleichnamigen Roman von Anton Coolen (Niederlande, 1958); Kamera: Eduard van der Enden; Musik: Jurriaan Andriessen; Schnitt: Dr. O. Rosander; Darsteller: Max Croiset, Mary Dresselhuys, Bernhard Droog.
Im Mittelpunkt dieses Films steht ein Dorfarzt, ein eigensinniger, kauziger Mann, der hart wirkt und doch so empfindsam, so verletzlich ist. Er verbrennt das Geldgeschenk, mit dem man ihn anlässlich seines Jubiläums aus seinem Amt hinauskomplimentieren will. Er überquert in stürmischer Frühlingsnacht, tollkühn von Eisscholle zu Eisscholle springend, die Maas, um am anderen Ufer bei einer Entbindung zu helfen. Er vergräbt heimlich die Leiche seiner Frau im Garten und steht dann mit undurchdringlichem Gesicht bei der offiziellen Beerdigung, als der leere Sarg ins Grab gesenkt wird. Er will seine Frau auch über den Tod hinaus für sich haben.
Da ist jene gespenstische Szene, in der einige Männer an der Bahre eines Selbstmörders Totenwache halten, sich betrinken und, vom Grauen des Todes herausgefordert, zu prahlen beginnen. Und dann will einer seinen Mut beweisen, indem er einer alten Frau das Tuch vom Kopf reisst, unter dem sie ihr von der "Sünde der Jugend" zerfressenes Gesicht verbirgt. Er wird ermordet; der Mord aber kann nicht aufgeklärt werden, weil ihn die Dorfbewohner für eine gerechte Strafe halten. Oder da versteckt sich der Wilddieb, eine andere Hauptfigur, in einem Abort und einer der Polizisten setzt sich darauf, um seine Notdurft zu verrichten.
Ein Film ohne Ziel, ohne Probleme; ein Film, der nichts "aussagt". Nur eben dies: So ist der Mensch. Dies widerfährt ihm und dies ist ihm auferlegt. So besteht er seine unstillbare Trauer und seine unerfüllbaren Sehnsüchte. Und so versagt und zerbricht er. Portrait einer Landschaft und ihrer Menschen. Eine Episodenfolge voll ursprünglicher Härte und Wildheit, voll deftigen Humors und stiller Trauer; ein in Darstellung und Regie hervorragender holländischer Film.

Hauptstrasse (Calle mayor)
Produktion: Cesareo Gonzales, Madrid / Iberia Films, Paris 1956; Regie und Buch: J. A. Bardem; Kamera: Michael Kelber; Musik: Joseph Kosma; Darsteller: Betsy Blair, José Suarez, Yves Massard, Dora Doil, Lila Kedrova, René Blancard.
"Hauptstrasse" erzählt die traurige Geschichte Isabellas. Sie hat die Dreissig überschritten und ist noch nicht verheiratet, was für ein Fräulein ihrer Gesellschaftsklasse (Tochter eines höheren Offiziers), das in einer spanischen Kleinstadt lebt, in der die sozialen Strukturen mehr dem des 18. als dem 20. Jahrhundert angehören, schnell zu einer Schande wird. Sie empfindet diesen Makel so schwer wie ihre Umgebung; sie trägt aber dieses Los mit einer Art lächelnden und resignierenden Melancholie, einer Art verschämten Würde, die aus ihrer Gestalt eine Heldin machen, die wirklich nicht wie die Anderen ist. In der Stadt gibt es auch Männer, und sie langweilen sich in den bürgerlichen Milieus, in der sie in jener Atmosphäre der Halbfreiheit und des geistigen Schlafes sich dahintreiben lassen, die an die traurigen Jahre des Vichy-Regimes erinnert. Und um sich zu amüsieren verüben sie Streiche wie altgewordene und dummgrausame grosse Jungen. Einer von ihnen macht Isabella vor, er liebe sie und wolle sie heiraten. Diese wird dadurch von Grund auf verwandelt. Der Spassvogel setzt sich aber schön in die Nesseln: gerührt durch Isabellas Freude, aber von Natur aus feige, hat er weder die Kraft, sie zu heiraten, noch ihr die Wahrheit zu gestehen. Ein Freund, der sich über den Schwindel ärgert, übernimmt es, die Wahrheit zu enthüllen. Die schönen Träume Isabellas stürzen zusammen. Sie könnte die grausame Stadt verlassen und in Madrid in einer weniger bösen, weil anonymeren Gesellschaft leben; aber sie geht nicht fort, denn sie ist aus dieser Stadt: sie wird in ihr bleiben, um passiv ihr düsteres Schicksal zu erdulden.       Jacques Doniol-Valcroze

Eine Präzision des Strichs, eine bewusste Trockenheit, eine hervorstechende Überlegenheit, eine nüchterne Objektivität machen aus Bardem den La Bruyere der Filmkunst. Er besitzt die Kunst, ein Milieu, einen Charakter, eine bestimmte Gesellschaft mit ungewöhnlicher Schärfe zu schildern. Sein Porträt des Lebens in der Provinz ist höchst bemerkenswert. Bardem versteht es aber auch, Szenen von gefühlvollem Inhalt mit bestürzendem Zartgefühl durchzuführen. Ich denke an den Augenblick, in dem Isabella in dem verlassenen Festsaal entdeckt, dass sie das Opfer eines Streiches geworden ist, während ein Klavierstimmer den ergreifenden Kontrapunkt zu ihrem Schmerz gibt.       Jacqueline Michel
Zurück zum Anfang


Calabuig (Calabuig)
Produktion: Augila-Film, Films Costellazione, 1956; Regie: Luis Garcia Berlanga; Buch: L. G. Berlanga, Leonardo Martin, Florentino Soria, Enio Flaiano; Kamera: Francisco Sempere; Musik: Guido Guerrini; Darsteller: Edmund Gwenn, Valentins Cortese, Franco Fabrizi, Juan Calvo.
Ich würde "Calabuig" ein Märchen nennen, wenn er nicht so äusserst modern wäre, ja er könnte nicht aktueller sein, da ja nur mehr von künstlichen Satelliten die Rede ging. Hier handelt es sich wohl nicht um einen künstlichen Mond, sondern um einen alten wunderlichen Atomwissenschaftler und Raketenspezialist, der einmal richtig ausspannen möchte und sich deshalb heimlich in diesem gottverlassenen Nest versteckt hat, wo niemand ihn kennt. Calabuig ist ein zweites Paradies und Hamilton fühlt sich so wohl wie nie in seinem Leben. Er hilft allen Einwohnern, ist äusserst beliebt und dank seiner Hilfe hat Calabuig beim grossen Fest das schönste Feuerwerk der ganzen Umgebung. Sein Bild kommt in die Zeitung und er wird natürlich erkannt. Flugzeuge, Unterseeboote und ganze Flotten werden ausgeschickt um Professor Hamilton zurückzuholen, aber das ganze Dorf will sich zur Wehr setzen, um den Professor zu schützen. Er "verhandelt aber mit dem Feind", denn er sieht ein, dass ein friedliches Leben ein Ende haben muss. Er kehrt in sein Land zurück, nicht aber ohne versprochen zu haben, jedes Jahr auf ein paar Tage nach Calabuig zurückzukehren.
Diese an sich nichtssagende Story hat in seiner Art einen wundervollen Film gegeben. Er ist charmant, zart und leicht und verbreitet eine so herzliche Stimmung unter den Zuschauern, wie wir es nur selten im Kino erleben. "Calabuig" ist ein humorvoller Film, eine Mischung von englischem und italienischem Humor, der auf einen feinen ironischen Ton gestimmt ist, der nicht nur in den zahlreichen leicht versteckten Seitenhieben, die meist die Konvention des modernen Lebens zur Zielscheibe haben.       Sam
Zurück zum Anfang