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Vorwort       Filmdaten bis 1920       Filmdaten ab 1920       Filmdaten noch nicht hier       Nicht-Filmdaten

Quellen zur Filmgeschichte ab 1920

Texte der Hefte des studentischen Filmclubs der Uni Frankfurt/Main: Filmstudio

Einführungsseite

Filmstudio Heft 29, Sommersemester 1960

Inhalt
Louis Jouvet - Der Mann mit den vielen Gesichtern
Zwei Briefe aus Paris
Die »Neue Welle« in England: Free Cinema
Porträt eines Regisseurs: Jacques Becker
Die Problematik des Industriefilms
Dr. Knock lässt bitten (Knock)
Das Spiel ist aus (Les Jeux sont Faits) siehe
Abend der Gaukler (Gyklarnas afton) siehe
Eine Landpartie (Une Partie de Campagne) (Filmanalyse)
La Belle et la Bête (Es war einmal) (dazu: Aus Jean Cocteaus Tagebuch
Kinder des Olymp (Les Enfants du Paradis)
Hallelujah (Hallaluya)
Pläsier (Plaisir)
Eine wunderbare Liebe (L' Etrange Desir de Monsieur Bard)
Immer wenn das Licht ausgeht (Pot-Bouille)
Ein Schatten der Vergangenheit (Un Revenant)
Die junge Irre (La Jeune Folie)
Hotel du Nord (Nordhotel)
Rückschau


Louis Jouvet - Der Mann mit den vielen Gesichtern

»Selbst im Gedränge eines Bahnhofs würde dieses Gesicht die Vorüberhastenden unversehens anspringen. Noch in einer dämmrigen Nebenstrasse, im Nebel, im Traum würde ein kurzes Begegnen unvergessbar bleiben. Dieses Gesicht, einmal irgendwo gesehen, haftet. Kühl, glatt, fast unbeweglich, eine Maske mit Löchern für die Augen, die nicht vertraut blicken können, mit einer Mundöffnung, die um alles weiss und doch schweigt - es ist, als ob dieses Gesicht äusserste Möglichkeiten bewahrte. Es bestimmt die Welt um sich herum.«

Mit diesen Worten beschreibt der Kritiker Kay Hoff das Antlitz des verstorbenen Louis Jouvet, Kommandant der Ehrenlegion, Professor am Pariser Konservatorium, Direktor des »Theâtre de l' Athenée«, einer der Männer, die dem modernen französischen Theater stilbildend den Stempel ihrer Persönlichkeit aufdrückten, und der schliesslich in 35 Spielfilmen das Publikum durch seine immer neuen Masken verblüffte.

Diese Karriere war dem jungen Jouvet nicht an der Wiege gesungen worden. Er wurde am 24. Dezember 1887 in Crozon im Departement Finistère als Sohn eines Bauleiters geboren. Seine Eltern ermöglichten ihm aus ihrem nicht sehr grossen Einkommen den Besuch der höheren Schulen in Rethel und Lyon und anschliessend das Studium der Pharmazie in Paris.

Hier lernte er einige gleichaltrige Leute kennen, Künstler, Literaten und Schauspieler, die sich zur Gruppe »Action d' Art« zusammengeschlossen hatten, eine der romantisch-revolutionären Gruppen jener Zeit, an denen die europäischen Metropolen damals (1907) keinen Mangel hatten. Freilich war hier für einen Apotheker nur ein geringes Betätigungsfeld vorhanden. So entschloss er sich, aus seiner Liebe zum Theater eine Profession zu machen. Die Aufnahmekommission des Pariser Konservatoriums liess ihn allerdings dreimal durch die Eignungsprüfung fallen, was ihn nicht daran hinderte, in der »Action d' Art« die Gründung eines Theaters zu forcieren und dessen Leitung zu übernehmen. Sein theoretisches Rüstzeug beschaffte er sich als Hörer in einer Klasse von Leloir. Später nahm er Unterricht bei dem Schauspieler Leon Noël, der ihm dann auch ein kleines Engagement bei einer reisenden Truppe verschaffte. Der Sprung aus der gesicherten Apothekersexistenz in die vorläufig noch reichlich ungesicherte Position eines Schauspielers war endgültig getan. Jouvet lernte all die Begleiterscheinungen eines Künstlerlebens wie Hunger und Zweifel an der eigenen Begabung gründlichst kennen. In den Jahren 1911-1912 reichte es bei ihm nur zu einigen kurzen Engagements bei verschiedenen Bühnen. Hier aber lernte er nicht nur, wie man mit knurrendem Magen vor einer Tafel mit Papiermache-Geflügel sitzt, sondern auch das, wofür es in der französischen Sprache das treffende Wort »métier« gibt. Dazu gehört nicht nur das Wissen um den Trick, dem Publikum im richtigen Moment einen Lacher abzukämpfen oder im Saal jene »Eiskalt-über-den-Rücken-laufe-Stimmung« zu erzeugen, sondern auch eine Dekoration erschütterungsfrei auf knarrenden und wackligen Bühnenbrettern zu befestigen. Bedeutsam sollte auch ein kurzes Engagement an Jacques Rouches »Theâtre d' Art« werden, der später die Pariser Oper übernahm und damals sein Werk »L' Art theâtral moderne« verfasste, das zum Evangelium all jener Theaterleute wurde, die in der von den russischen Emigranten eingeleiteten Erneuerung die Zukunft des französischen Theaters sahen.

Den ersten Schritt zur künstlerischen Anerkennung konnte Jouvet tun, als Jacques Copeau auf ihn aufmerksam wurde, Autor von sogenannten Thesen- und Ideendramen, die in Frankreich noch nie sehr beliebt waren. Dieser Jacques Copeau war aber auch gleichzeitig Direktor des »Theâtre du Vieux-Colombier«, von dem später gesagt wurde, dass es alle bedeutenden Regisseure dieser Generation hervorgebracht habe. Er engagierte Jouvet als Schauspieler und machte ihn zu seinem engsten Mitarbeiter, überliess ihm auch zeitweilig die erste Intendanz. Obwohl eingefleischter Theaterpraktiker, trat Copeau immer wieder mit theoretischen Abhandlungen an die Öffentlichkeit, in denen er die Erneuerung des französischen Theaters und die Einrichtung einer staatlich geförderten Lehranstalt für junge Schauspieler forderte. Seine Ideen vom Theater demonstrierte er den an prächtig ausgestattete Boulevard-Inszenierungen gewöhnten Parisern in einleuchtender Weise: »Das neue Stück auf eine nackte Bühne! _... ein Vorhang, ein steinerner Klotz, ein einfacher Stuhl!« Auch vom Schauspieler hatte er seine eigenen Vorstellungen: »Man muss den Star töten, um den Schauspieler wiederzufinden!« In den Jahren der Zusammenarbeit mit Jacques Copeau reifte Jouvet zu einem sattelfesten Komödianten heran. Im Jahre 1922 wurde ihm von Hébertot die Leitung der »Comédie des Champs-Elysées« angeboten, die er in seinem nun deutlich werdenden Drang nach Selbständigkeit, zunächst zusammen mit Georges Pitoëff, dann allein, bereitwillig übernahm. Von Pitoëff, russischer Emigrant, berichten Zeitgenossen heute noch Wunderdinge: Mit seinem leichten, russischen Akzent und seinem hageren, kantigen Gesicht »_... schien er uns genau eine moderne Seele zu inkarnieren, die, durch den Schock der Instinkte aus dem Gleichgewicht gebracht, von einem glühenden Leben und vom Absoluten träumt«.

War Jouvet in den Jahren mit Copeau still im Schatten seines Lehrmeisters herangewachsen, so begannen jetzt unruhige Zeiten für ihn. Mit Georges Pitoëff, Charles Dullin und Gaston Baty (»Ich liebe das Theater als ein Refugium, als einziges Mittel, dem Leben zu entfliehen«) schloss er sich gegen das kommerzialisierte Boulevard-Theater im »Cartel des Quatre« zusammen. Ständig war er auf der Suche nach neuen Talenten, Schauspielern, Bühnenbildnern und Autoren. So brachte er 1923 die satirische Komödie »Knock« des bis dahin wenig bekannten Jules Romain heraus. Die Premiere war der Start zu einem Welterfolg. Die Titelrolle schien Louis Jouvet geradezu auf den Leib geschrieben. Kein Wunder, dass er diese Rolle in seinem Leben mehr als eintausendmal über die Bretter bringen und zweimal vor der Kamera verkörpern sollte. Sein eigentlicher Leibautor wurde aber einer der vielen literarischen Ministerialbeamten Frankreichs (Maupassant, Claudel, Morand, Malraux), einer der typischen Vertreter des »Esprit française«, nämlich Jean Giraudoux. Dieser war von Haus aus Diplomat. In der Eigenschaft war er auch nach Deutschland gekommen und hatte sich hier von deutscher Wesensart beeinflussen lassen. 1927 legte er Jouvet seinen Bühnenerstling »Siegfried« vor, der auch prompt herausgebracht wurde. Das Risiko lag wohl hauptsächlich darin, dass Giraudoux als Novellist immerhin schon einen Namen hatte. Das Verhältnis zu Giraudoux wurde zu einer innigen, langjährigen Freundschaft. Der Giraudoux-Uraufführung bei Jouvet sollten noch viele andere folgen. Als Jouvet später den Maler, Bühnenbildner und Filmarchitekten Christian Bérard (»La Belle et la Bête« von Jean Cocteau) kennenlernte, wuchsen diese drei zu einem fruchtbaren Team zusammen.

Das Jahr 1943 wurde für Jouvet das Jahr höchster Anerkennung. Er übernahm das gut renommierte »Theâtre de l' Athenée«, das er bis zu seinem Tode leiten sollte. Dasselbe Konservatorium, das ihm vor gut 25 Jahren die Eignung zum Schauspieler dreimal nicht bescheinigen wollte, rief ihn auf einen Lehrstuhl. An der respektablen »Comédie Française« übernahm er mehrere Gastinszenierungen. In zahlreichen Vortragsreisen und Publikationen entwickelte er seine Theorien vom Theater.

»Ich bin kein Theoretiker, zum Glück für mich und die Autoren, die ich auf die Bühne bringe. Die Theorie ist im Theater so absurd wie in der Literatur oder jeder anderen Kunst. Und ich halte denjenigen, der ideale Pläne zu Papier bringt, für äusserst gefährlich, denn seine Krankheit droht ansteckend zu werden.«

Jouvet war ein behutsamer Regisseur. Nie fiel seinen Mitarbeitern gegenüber ein lautes Wort. Er liess seine Schauspieler sich zunächst frei ausspielen, korrigierte dann und gab einige Hilfen, bis er sie zum sparsamsten Gebrauch ihrer Mittel zurückgeführt hatte. Als Schauspieler verliess sich Jouvet wenig auf die »Intuition«, sondern erfasste seine Rolle vom Intellekt. So schreibt er gleich auf der ersten Seite seiner »Notizen zum Beruf« (Ecouté, mon ami; deutsch von Albrecht Schönhals, bei Kurt Wesemeyer in Hamburg), die er auf seiner Südamerikatournee (1941-1945) zusammenstellte: »Man muss seine Gefühle gedanklich erfassen. Nachdem man sie gesondert, gesiebt, erprobt, geeicht und kritisch beobachtet hat, muss man sie in der Folge durchdenken, mit Mienenspiel oder Stimmfall niederschreiben. Blind folgt das Gedächtnis diesem Vorgang, und der Körper erhellt, durchlichtet sich, erwärmt sich und kühlt sich ab, zieht sich zusammen in dieser besessenen Hitze.« In seinem Spiel wandte er einen besonderen Verfremdungseffekt an, indem er gewissermassen mit einem Auge seinem Publikum über die Rampe zublinzelte, wohl wissend, dass man von einem vom Intellekt bestimmten, aufgeklärten Publikum unseres Jahrhunderts keine naive Theaterillusion erwarten kann.

Sein Verhältnis zum Film war hauptsächlich materieller Art. Er übernahm meist nur dann Filmrollen, wenn er für eines seiner Theater Geld benötigte. Gewiss war aber auch eine Portion jener Eitelkeit dabei im Spiele, die alle Schauspieler mit dem Gedanken kokettieren lässt, ihre Kunst auf einem Filmstreifen festzuhalten, da sie ja sonst mit dem Fallen des letzten Vorhangs für immer verloren ist. So zog Jouvet auch im Film alle Register seines überragenden Könnens. Wenn es ihm möglich war, sorgte er auch dafür, dass kein eigenwilliger Regisseur sein Temperament beschneiden konnte. Die Filmversion des »Dr. Knock« wurde dank der freundlichen Duldsamkeit Guy Lefrancs zu einem Dokument Jouvetscher Schauspielkunst.

Nun liess aber das, was Louis Jouvet auf der Leinwand machte, selbst solche Filmästheten sich vor Begeisterung überschlagen, die sich sonst über das verfilmte Theater mokierten. Besonders schwierig wurde er für den Filmkritiker dadurch, dass er auch im Film munter in der beschriebenen Art verfremdete, ein grosser Stilbruch, denn der Film lebt von der naiven Illusion wie keine andere Kunst.

Die Aufgabe des Schauspielers ist nicht nur bei Jouvet, sondern schon von jeher das Sorgenkind jeglicher Filmtheorie gewesen. Wenn man unpolemisch genug ist anzuerkennen, dass Jouvets Dr. Knock im Film nicht mehr und nicht weniger überzeugend wirkt wie etwa das Spiel des gelernten Eisengiessers Jean Gabin in »Le Jour se Lève« oder de Sicas optischrealistische Laienspiele in »Fahrraddiebe«, so scheint es schier unmöglich zu sein, die Eigenschaften eines Filmdarstellers klar zu umreissen.

Das Dilemma begann, als in den frühen zwanziger Jahren der Film salonfähig gemacht wurde und grosse Bühnenschauspieler, halb von der Überredungskunst der Manager gezogen, halb vor den märchenhaften Gagen hinsinkend, ihre Kunst dem Film zur Verfügung stellten. Da der Film damals noch stumm war, beschränkten sich die Ausdrucksmöglichkeiten auf Mimik und Gestik. (Das grosse Deklamieren wurde nach der Erfindung des Tonfilms schnellstens nachgeholt.) Eingedenk der alten Theaterregel, dass selbst die schwerhörige und kurzsichtige alte Dame in der letzten Reihe der Bühnenhandlung folgen können muss, wurde vor der Kamera das vollzogen, was uns heute bei der Betrachtung von »Schauspielerfilmen« aus jener Zeit als wilde Grimassenschneiderei erscheinen will. Die Tatsache, dass das Theater dieser Zeit - vor allem in Deutschland - unter dem Einfluss des Expressionismus stand, mag es erklären, dass Filmhistoriker diese Schauspieler wohlwollend als »expressionistische Filmdarsteller« katalogisierten. Seit dieser Zeit gibt es auf der Leinwand den Schauspieler, der mit grossen Gesten und Worten die Kunst unter die Masse bringen will.

In Italien aber war schon vor dem ersten Weltkrieg eine andere Kategorie von Filmdarstellern geboren worden, nämlich die »Diva«, von der Lotte H. Eisner eine treffende Beschreibung gibt: »Sie wandelt einher, überzüchtet, ätherisch, arabeskenhaft wie ein Lianengewinde, verderblich wie eine exotische Giftpflanze, verlockend wie eine Orchidee, »femme fatale«, aber irgendwie übersinnlich-sinnlich. Pantherhaft lauert sie auf ihre Beute, den nicht mehr ganz jungen Herrn mit Mittelscheitel, Cutaway. Sie trägt zeitlose Märchenroben, aus denen sich ihre schönen, weissen Arme wie Schlangen um den Cutaway-Herrn winden, sie ist auf dem Diwan zwischen zahllosen Kissen hingegossen, kontorsioniert ihren Odaliskenkörper in den lockendsten Ondulationen; jede Pose, jede Geste ist kalkuliert wie jeder Schritt, sie biegt die Hüfte vor, erstarrt einen Augenblick völlig zur Arabeske. Sie trägt über schillernden Katzenaugen den Glockenhut tief in die Stirn gezogen, stolz, amazonenhaft wie Pallas Athene den Helm.« Diese Gattung fiel dem Wandel des Publikumsgeschmacks zum Opfer.

Lässt sich der Begriff des »Vamp« noch ziemlich eindeutig aus dem Wort ableiten, so beginnt bei der Klassifikation der vielen anderen Darstellerarten des Films schon die Schwierigkeit. Der Begriff des Stars ist schliesslich nur ein Gradmesser der Beliebtheit beim Publikum. Wie soll man zum Beispiel Charles Chaplin, Hans Albers und Emil Jannings unter einen Hut bringen?

Ein alter Praktikergrundsatz, der in deutschen Ateliers viel zitiert wird, sagt ebenso schlicht wie verschwommen, dass ein Filmschauspieler eine starke, persönliche Ausstrahlung besitzen müsse. Das heisst, dass er, im Gegensatz zum Theaterschauspieler, sich mehr oder weniger selbst darzustellen habe. So hat es die Filmgeschichte auch sehr oft gezeigt, dass ein Darsteller nicht für »den Film«, sondern für eine ganz bestimmte Rolle »entdeckt« wurde. Fritz Lang machte die grössten Anstrengungen, um den bis dahin filmunerfahrenen Peter Lorre für die Rolle des Mörders in »M« zu verpflichten; vorher hatte er in gleicher Weise Brigitte Helm für »Metropolis« entdeckt. Carl Th.Dreyer entdeckte die bis dahin unbedeutende Maria Falconetti für seine einzigartige Jean-d' Arc-Verfilmung. Andere Darsteller, die schon gefilmt hatten, wurden durch eine Rolle, die genau ihren Möglichkeiten entsprach, vom unbedeutenden Chargen über Nacht zum gefeierten Star. Hans Albers kam mit »Bomben auf Monte Carlo« in die erste Reihe der deutschen Filmdarsteller, Marlene Dietrich fand die Rolle ihres Lebens im »Blauen Engel«, Jean Gabin in »La Belle Equipe« und Guiletta Masina in »La Strada«. Kein Darsteller aber wird sich mit einem einzigen Erfolg zufriedengeben. Der Film bietet ihm jedoch nur die Möglichkeit, immer nur Variationen dieser einzigen Rolle zu spielen. Deshalb ist es das Schicksal vieler Filmdarsteller geworden, nach einer überzeugenden Anfangsleistung im Klischee zu erstarren.

Von den gleichen Prinzipien, wenn auch von anderen Voraussetzungen lässt sich der Regisseur leiten, der für seine Filme Laien verpflichtet. Den Laiendarsteller im Film hat es zu allen Zeiten gegeben. Eine regelrechte Schule, die die Verwendung des Laiendarstellers zum Prinzip erhob, gab es jedoch nur in Russland und in Italien.

Die Russen wollten die Schauspielkunst durch die Montage ersetzen. Für sie war der Mann auf der Strasse Rohmaterial, dem sie durch Montage Leben einhauchten. Dass diese Möglichkeit im Prinzip besteht, zeigt das berühmte Experiment des Montagetheoretikers Kuleschoff (1921). Vor drei verschiedenen Einstellungen - einem Teller mit Suppe, einer Toten und einer halbbekleideten Frau im Bett - montierte er jeweils dasselbe unbewegte Gesicht des Schauspielers Mosjukin. Die unbefangenen Zuschauer erklärten übereinstimmend, dass Mosjukin in der ersten Sequenz Hunger, in der zweiten Trauer und in der dritten Begierde ausdrückte. Sollten jedoch stärkere Gemütsregungen sichtbar gemacht werden, musste man auch zu stärkeren Mitteln greifen. So erzwang man von einer alten Frau ein erschrecktes Gesicht, indem man hinter ihrem Rücken unversehens eine Pistole abschoss.

Wenn die Russen nach der Erfindung des Tonfilms ihren Montagetheorien wieder abschworen und den Schauspieler wieder zu Wort kommen liessen, so feierte die Laienkunst im italienischen Neoverismus eine blühende Renaissance. Rossellini, der das Prinzip der Laiendarstellung wohl am konsequentesten anwandte, erklärt, dass er die Schauspieler allein wegen ihres Äusseren auswähle. Man könne irgend jemand von der Strasse hernehmen, wenn er der Rolle entspricht. Die Aufgabe des Regisseurs sei lediglich, den nichtprofessionellen Darsteller zu seiner wahren Natur zurückzuführen und ihn dazu zu bringen, dass er seine Gewohnheitsgesten wiederfindet.

Man beachte die interessante Parallele zwischen kommerziellem Unterhaltungsfilm und künstlerisch ambitioniertem Realismus! Beide wählen ihre Darsteller rein nach der optischen Erscheinung aus. Aber während Regisseure wie Rossellini und de Sica nie einen Laiendarsteller für einen weiteren Film verpflichteten, wird der Darsteller im kommerziellen Film bis auf den letzten Rest seiner »Verkäuflichkeit« ausgequetscht.

Nun bietet sich die Filmkunst nicht nur in Extremen dar. Zwischen reinem »Schauspielerfilm« und optisch angelegtem »Regisseurfilm« liegt ein ganzes Spektrum der verschiedensten Filmauffassungen. Und Louis Jouvet fühlte sich in allen Bereichen dieses Spektrums zu Hause. Genau wie Laurence Olivier es verstand, aus Shakespeares Dramen mit Hilfe erheblicher Streichungen und Verlagerungen dramatischer Akzente gute Filmdrehbücher zu machen, so gelang es Jouvet, je nach den Erfordernissen, entweder sich eine fremde Maske anzulegen oder seine eigene starke »Persönlichkeit ausstrahlen« zu lassen.

Sein Ursprung aus den russisch beeinflussten Theaterkreisen des Paris nach der Jahrhundertwende scheint ihn für den Film besonders vorbereitet zu haben. Wenn der Begründer des »entfesselten Theaters« in Moskau, Tairow, forderte, dass ein Schauspieler mit den Erlebnissen eines Menschen, den er darstellt, spielen solle wie ein Jongleur mit bunten Kugeln, so präzisierte Jouvet diese Forderung: »Will der Schauspieler in die Tiefe steigen, so wird er schwer und ertrinkt. Er muss, bei aller Anteilnahme, an der Oberfläche bleiben. Nur mit der Oberfläche rührt uns die Tiefe an.« So machte Jouvet das Schauspielererlebnis »anschaulich«, indem er innere Vorgänge beinahe pantomimisch sichtbar machte.

Seine grosse Liebe gehörte allerdings nicht dem Film. Nur das Theater kannte ihn in seiner ganzen Besessenheit.

Er starb am 16. August 1951 am Regiepult seines »Theâtre de l' Athenée«.       W. H. Giesecke

Filmographie
1932 Topaze
1932 Knock (I.Version)
1932 Du Haut en Bas
1935 La Kermesse Héroique
1936 Les Bas-Fonds
1936 Mademoiselle Docteur
1936 27, Rue de la Paix
1936 Mister Flow
1937 Un Carnet de Bal
1937 Drôle de Drame
1937 Forfaiture
1937 Ramuntcho
1937 L' Alibi
1937 La Marseillaise
1938 Entrée des Artistes
1938 Education de Prince
1938 Le Drame de Shangai
1938 Hotel du Nord
1938 Volpone
1938 La Fin du Jour
1938 La Maison du Maitas
1939 Sérenade
1939 La Charrette Fantôme
1940 Untel Père et Fils
1946 Un Revenant
1946 Copie conforme
1947 Quai des Orfèvres
1947 Les Amoureux sont Seuls
1947 Au Monde
1948 Entre onze Heures et Minuit
1949 Retour à la Vie
1949 Miquette et sa Mère
1949 Lady Paname
1950 Knock (2. Version)
1951 Une Histoire d' Amour
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Zwei Briefe aus Paris

An der Wiege der »Neuen Welle«

Im Pariser Quartier Latin hinter dem Panthéon in der Rue d' Ulm treffen sich jeden Abend die Cinéasten aus aller Welt. Im Keller des Institut Pédagogique National befindet sich der Filmsaal, in dem die Cinémathèque Française jeden Abend in drei Vorstellungen ihre Filme zeigt - um halb sieben, um halb neun und um half elf.

Das sind etwa 1000 Filme im Jahr, kurze Ferien gibt es nur im Sommer und zu ganz hohen Feiertagen. Die meisten Filme kommen aus dem Archiv der Cinémathèque. Wie viele Filme da in sicheren Kellern draussen vor der Stadt lagern, das weiss wohl noch nicht einmal der Direktor der Cinémathèque, Henri Langlois, der sie in Jahrzehnten sammelte. Es müssen aber sehr viele sein, denn nur ein Bruchteil kommt in die regelmässigen Vorführungen, und da wiederholt sich im Laufe eines Jahres kaum einmal ein Film.

Das Programm wird bereichert durch Filme, die aus anderen Archiven kommen. Wer lange genug in Paris ist, hat hier Gelegenheit, im Laufe der Zeit alle wichtigen Filme der Filmgeschichte kennenzulernen, die überhaupt noch erhalten sind. In diesen Vorführungen haben die Stars der »Neuen Welle«, Chabrol und Truffaut, Godard und Rivette, ihr Handwerk gelernt - und nicht in den Ateliers bei den routinierten Regisseuren der »alten Garde«.

Besondere Höhepunkte im Filmprogramm der Cinémathèque sind die »Hommages à _...«, die man den grossen Regisseuren der Vergangenheit und Gegenwart widmet. Henri Langlois und Madame Meerson lassen dann nichts unversucht, das Werk eines Mannes möglichst vollständig zu zeigen. Der betreffende wird dazu eingeladen und hat hier oft zum ersten Male Gelegenheit, seine frühen Filme wiederzusehen. Demnächst erwartet man Alfred Hitchcock zu einer solchen Veranstaltungsreihe.

Seltener sind Vorführungen neuer Filme, die noch keinen Verleiher gefunden haben. Viele Filme der »Neuen Welle« wurden hier inoffiziell uraufgeführt. Mit Vergnügen erkannte das Publikum der Cinémathèque die Zitate und Anspielungen auf Filme aus dem Programm, das hier sonst gezeigt wird. In den »Tricheurs« (»Die sich selbst betrügen«) erscheint sogar ein Besuch einer Cinémathèque-Vorführung im Film.

Auch heute noch findet man in jeder dieser Vorstellungen in den ersten drei Reihen zehn oder zwanzig junge Leute, die hoffen, auch bald ihren ersten Film drehen zu können, und die hier ihre Lehrzeit durchmachen. Die meisten Besucher sind Studenten der nahen Sorbonne. Zu besonderen Gelegenheiten kommt man aber auch von weit her. So konnte man hier zum ersten Male in der Welt öffentlich den Schluss in Farben des 2. Teils von Eisensteins grösstem Film »Iwan der Schreckliche« sehen.

Der Eintrittspreis beträgt 2 NF (etwa 1,70 DM) für die Vorstellung. Studenten und Journalisten zahlen die Hälfte - und 1 Centime: das ist der Zuschlag für den Film (etwa 1 Pfennig) zu dem Eintrittspreis in das Museum, denn die Cinémathèque Française ist ein Musée du Cinema.

Die meisten sehen nur die Filme und wissen nichts von dem Museum, für das sie ihr Eintrittsgeld bezahlt haben. Das Museum ist auch nicht ganz leicht zu finden. Es ist jetzt in einem schönen grossen Haus, Nr.82 der Rue Courcelles, ganz am anderen Ende von Paris im 8. Arrondissement. Kein Schild weist darauf hin, und die Nummer CAR 07-26 findet man auch nicht so leicht im Telefonbuch.

Aber es stimmt: Hier ist das französische Filmmuseum untergebracht, zu dessen Besichtigung man in der Rue d' Ulm seine Eintrittskarte gelöst hat. Am Eingang wacht ein Pförtner, der den Zugang nur zögernd frei gibt. Es ist gut, wenn man sich vorher angemeldet hat. Wird einem aber endlich der Zutritt gewährt, werden die Lichter für den einsamen Besucher angemacht, dann sieht man in drei Etagen eine solche Fülle interessanten Materials, dass ein Nachmittag zur Besichtigung nicht ausreicht. Da sind Originaldrehbücher mit den Notizen des Regisseurs, Verträge und Patentschriften, Apparate aus der Vorgeschichte des Kinos und moderne Dekorentwürfe, Kostüme und Requisiten, alte Photos und Plakate - alles, was einmal Beziehung zum Film hatte und heute wichtiges Material für den Filmhistoriker ist.

Madame Eisner-Escoffier stellt aus den ungeheuren Schätzen der Cinémathèque immer neue Ausstellungen zusammen, überall findet man interessante Erläuterungen, und wenn einem das nicht genügt, ist sie auch gerne bereit, die Besucher selber zu führen. Es ist nur schade, dass diese Möglichkeit zu filmhistorischen Studien nicht besser bekannt und leichter zugänglich ist.

Die umfangreiche Bibliothek der Cinémathèque ist leider der Öffentlichkeit immer noch verschlossen, ebenso das Photoarchiv. Es besteht aber Hoffnung, dass auch hier allmählich ein Wandel eintreten wird. Jedenfalls munkelt man, dass die Regierung den Wünschen der Cinémathèque nach mehr Mitteln nicht ganz abweisend gegenübersteht.

Im gleichen Hause ist auch die Zentrale der »Föderation Internationale des Archives du Film« (Fiaf) untergebracht. Sie soll die Zusammenarbeit der verschiedenen nationalen Archive fördern. Deutsches Mitglied der Fiaf ist das »Deutsche Filmarchiv« in Wiesbaden. Auf diesem Wege sollten auch die Filme der Cinémathèque Française in Deutschland zugänglich sein.       Heinz Steinberg, Paris 18e, Ende März 1960

Die Avantgarde lebt weiter

Die »Neue Welle« - »La Nouvelle Vague« -, das ist das grosse Modeschlagwort - und nicht nur in Paris. Es griff vom Film bereits über auf andere Gebiete der Kunst, auf die Malerei, auf die Musik.

»Frankreich hat unter den Routiniers ausgemistet. Heraus stellte sich, dass der gute, alte Kintopp, bedient man ihn gut und mit dem Ernst kunstversessener Unbedingtheit, keineswegs so abgebraucht ist und so ausgeleiert, wie uns oft schien«, notierte ein deutscher Filmkritiker. Daneben steht das Zitat eines englischen Kollegen: »Die Bewegung muss als undefinierbar gelten. Sie ist eine Schöpfung der Presse und wird von Leuten, die ihr angehören, verleugnet. Sie dürfte sich genauso kurzlebig erweisen wie das »Zornige-junge-Männer-Business« der Engländer.«

George Franju, einer der Mitbegründer der bekannten »Gruppe der 30«, die inzwischen längst auf über hundert anwuchs, zählt zu dieser Generation zorniger, junger Männer in Frankreich. Er meint: »Wir sind keine Schule, lediglich eine Gruppe. Ja, wir kennen einander oft kaum. Es gibt keine französische Schule, wie es eine typisch englische Schule gibt, die ihren bestimmten Stempel trägt. Wir haben jedoch eine Vielfalt der Stile. Der Stil Alain Resnais' ist unverkennbar, ebenso der Rouquiers oder Baratiers. Dieser französische Stil ist ästhetisch, dichterisch und psychologisch. Da die Tatsachen aber nicht alle immer nur zart und poesievoll sind, sondern oft recht grausam, so bewegen wir uns in Kontrasten.«

Diese jungen Leute kommen aus den verschiedensten Richtungen. Die meisten kommen vom Dokumentarfilm, andere vom Fernsehen, wieder andere begannen als Assistenten, oder sie kommen von der Wissenschaft oder direkt von der Pariser Hochschule für Film. Nicht zu vergessen sind die ständigen Filmvorführungen der Pariser Cinémathèque. Den Kern der »Neuen Welle« bildete jedoch der Redaktionsstab der Zeitschrift »Cahier du Cinéma« mit dem vor kurzem erst verstorbenen Andre Bazin an der Spitze. Unter Führung Bazins schulten sie sich als Kritiker und drehen nun selbst Filme. Nicht zu vergessen sind die Filmclubs mit den oft bis in den frühen Morgen geführten hitzigen Streitgesprächen und mit ihrer Zeitschrift »Cinéma 60«.

Was die ältere Generation unter »Qualität« verstanden haben will, lehnt diese Jugend als sterile, verkalkte Routine ab. Sie verzichten auf bekannte Namen, auf teure und anspruchsvolle Stars. Eine »Entmythisierung« wird erstrebt. (Dafür aber entstehen neue Mythen.) Auf Genauigkeit des Milieus wird geachtet, auf Detail und Präzision und eine stets freie, sehr offene Sozialkritik. Man liebt starke, dramatische Effekte. Claude Chabrol studierte das

Gesamtwerk des Gruselregisseurs Hitchcock, Truffauts Liebe gilt Fritz Langs »Metropolis«. Ihr einziges gemeinsames Charakteristikum ist der persönliche Ausdruckswille, die Vorliebe für autobiographische Bekenntnisse. Truffaut erklärt: »Für uns besteht das Problem, von Dingen zu sprechen, die wir selbst erlebt haben. Keine stereotypen Klischeewahrheiten, kein »Cinéma de Papa«!« Und Pierre Kast ergänzt: »Die Frau von heute ist dabei, sich ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit zu erringen. Sie erachtet sich dem Mann ebenbürtig. Das ergibt völlig neue Beziehungen, auf die die alten Konventionen nicht mehr passen.«

Die jungen Leute begnügen sich mit dem kleinsten Budget - Ausnahmen bestätigen die Regel -, und sie wollen sich die Unabhängigkeit von Geldgebern bewahren. Die Besessenheit geht oft bis zur Selbstaufgabe, letzte Ersparnisse werden geopfert, ganze Erbschaften aufs Spiel gesetzt. Aber der Einsatz lohnt.

Es bahnt sich eine neue Beziehung, ein neuer Kontakt zum Publikum an. Das alte Gebot: »Hochachtung vor dem Zuschauer, ohne vor ihm zu kriechen«, wird wieder ausgesprochen. Die französische Avantgarde lebt weiter, wenn auch mit anderen Namen und anderen Vorzeichen. Sie stirbt nicht aus!       Paul Ellmar, Paris 18e, April 1960
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Die »Neue Welle« in England: Free Cinema (mit Dank an die zeitschrift Film Culture für die Abdruckerlaubnis.)

Lewis Jacobs:

Free Cinema ist eine neue Form, in der in England die Filmkunst Unterstützung findet. Dadurch wird es den Filmschaffenden ermöglicht, schöpferisch weitgehend unabhängig zu sein. Man schuf ein besonderes »board«, das British Film Institute's Experimental Production Committee, welches die Experimente junger Talente auf den Gebieten des Stils, der Filmtechnik oder im thematischen Bereich unterstützen soll; auch solche Ideen, die, aller Wahrscheinlichkeit nach, keine Unterstützung unter den gewöhnlich kommerziellen Bedingungen finden würden. Das Geld für diese Vorhaben kam aus einem Fonds, der aus einem Prozentsatz der britischen Vergnügungssteuer besteht, welcher an die Filmindustrie zurückgezahlt wurde...

Vorurteilsfreie Gönnerschaft ist selten gewesen, hat aber in der Vergangenheit eine bedeutsame Rolle in der Tradition des britischen Dokumentarfilms gespielt. Anfang 1927-1928 und weiter in den dreissiger und vierziger Jahren waren solche Regierungsstellen wie das Empire Marketing Board, gesellschaftliche und industrielle Organisationen, ungewöhnlich freizügig in ihrer Unterstützung des Films und dabei, neuen Filmtalenten Gelegenheiten zu bieten. Solange das Hauptanliegen des Films und der verfügbare Betrag im Auge behalten wurden, schränkte man die Filmkünstler nicht ein. Während jener zwei Jahrzehnte erreichte der britische Experimentalfilm mit aussergewöhnlichem Feuer, angeschürt von grossartiger Begeisterung, seinen Höhepunkt in dem Werk von Grierson, Rotha, Wright, Elton, Lye, Watt, Anstey, Legg, Taylor, Jennings und anderen, die die Flut denkwürdiger Filme hervorbrachten, welche die Briten in die vorderste Front der Dokumentarfilmbewegung stellte.

Aber der gesellschaftliche und wirtschaftliche Klimawechsel der Nachkriegszeit führte zu einer Änderung in der Unterstützung der non-fiction-Filme. Bis 1950 mussten die führenden Dokumentarfilmproduzenten von anderer Seite Hilfe suchen. Die meisten unter ihnen wandten sich der kommerziellen Produktion für grosszügigere, aber zugleich auch vorsichtigere Kunden zu. Im allgemeinen sank die Qualität ab.

Jetzt ist man den talentierten Filmkünstlern wiederum mit einer künstlerisch unabhängigen Unterstützung zu Hilfe gekommen. »Nice Time«, »Momma Don't Allow«, »Together«, »O Dreamland« und »Every Day Except Christmas« wurden gezeigt als »erste Anzeichen eines grundlegend fortschrittlichen Versuchs, das zeitgenössische Leben mit dem Mittel des Films zu erforschen« (eine Erklärung des Committee for Free Cinema in den Programmzetteln des British Film Institute). »Together« gewann einen besonderen Preis in Cannes (1956); »Every Day Except Christmas« erhielt eine Goldmedaille in Venedig (1957).

Was an diesen fünf Werken des Free Cinema am meisten hervorstach, war die echte Sorge um die Leute als Individuen. Die alte Garde der britischen Dokumentarfilme kümmerte sich vorwiegend um Probleme wie Wohnungsnot, Gesundheit, Arbeit, Erziehung, Politik. Heutzutage richten die britischen Filmschaffenden ihr Augenmerk auf den Menschen - Leute, die unbekannt, einsam und isoliert in einer Welt gleichförmiger Routine leben. Die Free-Cinema-Filmkünstler wollen zeigen, dass diese Leute bestrebt sind, Kontakt zu finden mit einer Kraft, die ihrem Leben Bedeutung und Vitalität verleiht. (Sind dies die zornigen jungen Männer des Films?) Diese Betonung der Ziellosigkeit im Leben des Durchschnittsmenschen könnte man als einen kritischen Kommentar des gegenwärtigen Zustandes werten.

Rudolf Arnheim:

Zunächst einmal ist es ermutigend zu hören, dass einige der Free-Cinema-Filme von einem Teil des Steuergeldes finanziert wurden - gewiss, nur einem kleinen Teil -, der ihnen aus den Kinokassen der regulären Filmtheater in England zufliesst. Das bedeutet, dass wenigstens irgendwo ein kleiner Betrag, von dem, was die Leute dafür bezahlen, mit Schlafmitteln versorgt zu werden, dafür verwendet wird, ihre Sucht zu heilen. Die Free-Cinema-Filme sind Gegengift; sie sind eine Impfung mit Wirklichkeit.

Die Filme, die dazu gehören, enthalten die ganze Tonleiter von naher, sorgfältiger, beinahe teilnahmsloser Berichterstattung bis hin zur stilisierten Form der klassischen Tragödie. Alle vermögen abgehetzte Kinogänger an die unglaubliche Fülle des täglichen Lebens zu erinnern. Aber alle haben auch ihre Erforschungen auf Einzelgebiete dieses täglichen Lebens beschränkt. Es ist weder das geordnete Leben der gutsituierten »upper classes« noch das offizielle Leben öffentlicher Auftritte; und es ist auch nicht das Schauspiel von Katastrophen und Verbrechen, von denen die kommerzielle Prosa und die Nachrichten ihr trauriges Geglitzer erhalten. Es ist das Leben des einfachen Arbeiters, des unaufdringlichen Fussgängers, der anonymen Bevölkerung, das Leben auf dem unerlösten Schlachtfeld der Ruinen in den Slums von London. Paradoxerweise ist es die gesichtslose Menge, welche die vielsagenden Gesichter liefert. Offensichtlich ist die Fülle unbeschämter Individualität eher frühmorgens um sieben auf dem Grossmarkt zu finden als in den wunschgemäss ausstaffierten Verkaufsräumen der High Society.

Aber die Wirkung dieser Filme geht über die einer »soziologischen Vogelwacht« hinaus. Es ist mir zuvor niemals aufgefallen, wie nahe der Stil einiger Dokumentarfilme mit den charakteristischen Grundzügen der modernen abstrakten Kunst verwandt ist. Hätte ich das früher bemerken können? Oder sind diese Ähnlichkeiten tatsächlich mehr in den Filmen ausgedrückt, die erst vor kurzem gedreht wurden als in vergleichbaren Dokumentarfilmen früheren Datums, etwa in Walter Ruttmanns »Berlin, Symphonie einer Grossstadt«? Urteilt man oberflächlich nach seinem Gedächtnis, dann gibt es auf dem Gebiet der Kameraführung wenig in der neuen Produktion, das nicht schon 1927 bekannt war. Aber vielleicht kann eine nähere Untersuchung einige grundlegende Änderungen aufdecken. Ist es nur die zufällige Wahl des Themas, dass Lindsay Andersons Film über den Covent Garden Markt so durchweg kubistisch wirkt? Eine Welt von Kisten und Obststeigen, irrational aufeinandergesteckt, zwischen denen die handfesten Warenhausmänner unsicher überleben als Überreste von organischem Aussehen und eingepasst in die rechteckigen Särge, die Blumen und Früchte - die traditionellen Gegenstände der Stilleben, kubistischer und anderer. Gab es früher in den Dokumentarfilmen dieselbe erschöpfende Endlosigkeit, dieselben Geräusche und das Gedränge der Mengen, das rasende Durcheinander von zahlreichen Objekten und Passanten; das alles summiert zu einem gleichförmigen Gewebe unaufhörlicher Unordnung, dem Webstuhl der Zeit mehr oder weniger aufs Geratewohl entrissen, und so direkt verwandt mit den abstrakten Gemälden der Jackson Pollock Schule? Wir haben oft gesagt, dass die Abstraktionen der modernen Kunst getreulich die Eigenschaften der Welt widerspiegeln, in der wir leben. Es ist nützlich, diese Abstraktionen durch die Filmkamera aufgedeckt zu finden, und zwar im Ausgangsmaterial selbst.

Was denken die Künstler von den Szenen, die sie in ihren Filmen zeigen? Drücken die wirbelnden Tänzer des Jazz-Clubs in »Momma Don't Allow« die Überschwenglichkeit der Jugend aus oder sind es die letzten Zuckungen einer aussterbenden Zivilisation? Bedeutet »Nice Time«, dass die Jugend, die sich wie Tauben auf Picadilly Circus drängen, eine nice time (in Anführungsstrichen) haben? Man sagt es uns nicht. Man fordert uns auf, es selbst herauszufinden. Die Produzenten von »O Dreamland« sprechen es offener aus. Ich vermute, dass sie sich teilweise an den Grausamkeiten der Volksvergnügungen erfreuen, das heisst ihren Appetit auf Grand Guignol zufriedenstellen wollen; hinzu kommt der Spass am Missbilligen. Andernteils jedoch scheinen sie ehrlich zu schaudern bei dem, was sie sehen, und sie machen ihre Aussage bewunderungswürdig vermittels asynchronen Tons. Das gequälte Gelächter der Puppen, das die Bilder der Folterkammern begleitet, der hypnotische Nummergesang der Bingospieler und die Schreie in Frankie Laines gotteslästerlichem Gebetgesang klagen wirkungsvoll die Korruption der Gefühle und Werte an. Im Gegensatz zu dem städtischen Gewühl in den Dokumentarfilmen weist die Geschichte der beiden taubstummen Dockarbeiter in »Together« etwas von der Ernsthaftigkeit eines Renaissance-Gemäldes auf. Die Hauptfiguren sind klar umrissen gegen die Einsamkeit von grossem, leerem Raum. In der Verbindung des dicken und des dünnen Mannes wird eine Tradition fortgeführt, die von Don Quichotte bis hin zu Hardy and Laurel führt, und sie schafft ein Begriffsbild, das einfach genug ist, um von Kindern mit Kreide an die Wände gemalt zu werden. Miss Mazettis Film ist ein indirektes Produkt der italienischen neorealistischen Schule, und als solches verdankt es viel Charles Chaplins erfindungsreichem Einfühlungsvermögen für Tragik. In den Tagen des Stummfilms gebrauchte Chaplin in »City Lights« Blindheit, um menschliche Einsamkeit und Isolation sichtbar zu machen. Es ist dem Thema angemessen, dies in einem Tonfilm durch Taubheit und Stummheit zu symbolisieren. Aber diejenigen, die »Together« drehten, haben in keiner Weise einfach nachgeahmt. Eigene Erfahrung und direkt übermittelter Ausdruck beleben jeden Augenblick der Geschichte der beiden Männer, die sich gegenseitig trösten mit einer Sprache, die nur ihnen vertraut ist, ausser in dem höchsten Augenblick der Liebe, als der Freund im Schatten zurückbleiben muss, und im Augenblick des Todes, als er nicht mehr helfen kann.

Wir haben es mit einem Kunstwerk zu tun, wenn die Schauspieler, Geschehnisse und Objekte des Vordergrundes durchsichtig erscheinen und unseren Blick hinführen zu den Grundthemen menschlicher Existenz. Diese Filme besitzen diese Durchsichtigkeit in verschiedenem Grad und führen uns dadurch von der Stumpfheit des Alltagslebens zur Klarheit der Ideen und zurück zu unseren verzwickten Strassen und Heimen.       (Aus dem Englischen von Alfred M. Schmitt)
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Porträt eines Regisseurs: Jacques Becker
1906 Geboren
1932 Erste Regieassistenz
1935 Le Commisaire (in Zusammenarbeit mit Pierre Prévert)
1939 L' Or du Cristobal (nicht vollendet)
1941 Kriegsgefangenschaft
1942 Dernier Atout
1943 Goupi Mains Rouges
1945 Falbalas
1946 Antoine et Antoinette
1949 Rendez-vous de Juillet
1951 Edouard et Caroline
1952 Casque d' Or
1953 Rue de l' Estrapade
1954 Touchez pas au Grisby Ali-Baba et les Quarante Voleurs
1956 Les Aventures d' Arsène Lupin
1958 Les Amants de Montparnasse
1959 Le Trou
1960 Gestorben

Er war ein gut aussehender Mann, von grosser, sportlicher Statur, elegant und mit gepflegten Manieren, seine Oberlippe zierte ein winziger Schnurrbart, und auch sonst war er mit allen schmeichelhaften Zutaten des männlichen Geschlechts ausgestattet. Von Zeit zu Zeit liebte er in seiner Kleidung modische Extravaganzen.

Und er war ein Arbeitstier. Im Atelier liess er keine Einstellung ungeprüft durch die Kamera laufen, kein Detail in der Dekoration war vor seinem misstrauischen Blick sicher. Widerborstige Schauspieler nahm er in endlosen Proben in die Zange, bis sie schliesslich ermüdeten und sich widerspruchslos seinem Willen unterordneten. Jede Kleinigkeit war ihm ausserordentlich wichtig.

Und letzten Endes war er begabt.

Sein Weg zum Film verlief normal. Als Kind war er von dem italienischen Kolossalfilm »Cabiria« begeistert, dann schwärmte er für Charles Chaplin und schliesslich für Erich von Stroheim. Seine Familie unterhielt Beziehungen zu der Familie Cezanne. In diesem Hause lernte er als junger Mann den Filmregisseur Jean Renoir kennen, den »Vater des französischen Realismus«, Sohn des bekannten impressionistischen Malers. Unter dessen Obhut diente er sich sieben Jahre lang als Regieassistent durch die französischen Ateliers. Der Einfluss dieses Regisseurs war für seinen künstlerischen Werdegang entscheidend. Er lernte bei ihm dreierlei: erstens die Beherrschung des Atelierbetriebs, zweitens die peinlich exakte Beobachtung des Milieus und der Charaktere und drittens das Sehen einer Handlung in Bildfolgen. Seine ersten Filme liefen erwartungsgemäss auch ganz im Kielwasser seines Meisters. Mit »Goupi Mains Rouges« und »Falbalas« setzte er die »Histoire Naturelle et Sociale« fort, die Jean Renoir mit »La Bête Humaine« und »La Règle du Jeu« begonnen hatte. Es sind kritische und exakte Schilderungen gewisser Zustände in der Gesellschaft. Für die Zukunft sollte sein ureigenes pariserisches Temperament in ständigem Kampf liegen mit seinem künstlerischen Erbe, dem Renoirschen Realismus. Es ist interessant zu beobachten, wie er sich hin und wieder mehr oder weniger bedeutende »Ausbrüche« aus seinen formalen Prinzipien gestattet.

In den folgenden Filmen sind zwei parallel laufende Linien festzustellen. Die eine brachte ihm den Beinamen »Regisseur der kleinen Leute« ein. »Antoine und Antoinette«, »Edouard und Caroline« und »Rue de l' Estrapade« sind drei Filme, die in der Handlung fast gleich verlaufen: Ein junges Paar liebt sich, streitet und verträgt sich wieder. Dazu kommt noch, dass alle drei Filme im Milieu der kleinen Leute von Paris spielen. Daraus zu folgern, Becker habe sich dem in der Filmwirtschaft so beliebten Gesetz der Serie unterworfen, wäre falsch. Für Becker »_...soll es die erste Sorge eines Regisseurs sein, eine Geschichte so gut wie möglich zu erzählen«. Die Tatsache, dass »Edouard und Caroline« nicht »Antoine und Antoinette« sind und dass ihre Wohnung schliesslich nicht die Wohnung in der »Rue de l' Estrapade« ist, war für Becker ein hinreichender Grund, diese drei Geschichten durchaus verschieden zu behandeln.

Die gleiche grosse Erzählkunst und die gleiche Liebe zu Milieu und Atmosphäre finden wir in den drei anderen grossen Filmen Beckers wieder. Hier sind es aber nicht die »grosse Alltagsliebe« und die Sorgen und Nöte der kleinen Leute, die er zu treffen wusste, sondern hier ist es die Welt des Verbrechens, die Ordnung ausserhalb der Gesellschaft, die er mit der Kamera zeichnete, wie es seine Maler-Vorbilder mit dem Pinsel getan hätten.

In »Casque d' Or« wandelt er einen Roman mit dem Niveau eines Groschenheftes in eine gehaltvolle, innerlich spannende Erzählung aus dem Paris der Jahrhundertwende um. »Touchez pas au Grisby« (»Wenn es Nacht wird in Paris«) ist in der ganzen Welt bekanntgeworden. In »Le Trou«, dessen grossen Erfolg er nicht mehr erleben sollte, schildert er den Ausbruchsversuch einer Gruppe von Gefangenen aus der Santé, dem bekannten Pariser Zuchthaus. Die Kenntnisse über Leben und Treiben der Pariser Unterwelt holte er sich aus erster Hand. Aus der Zeit seiner deutschen Kriegsgefangenschaft kannte er ein paar waschechte Ganoven, die inzwischen längst anständige Bürger geworden sind, wie er einmal versicherte. (Der Hang seiner Ganoven zur Bürgerlichkeit kommt in »Touchez pas au Grisby« sehr gut heraus.) In »Le Trou« tat er etwas, was man eigentlich von einem Regisseur, der in den Pariser Ateliers gross geworden ist, in denen die Beherrschung des Metiers über alles geht, nicht erwartet hätte. Sämtliche Hauptrollen besetzte er mit Amateuren. Einer von ihnen spielt sich selbst, denn er nahm an dem geschilderten Ausbruchsversuch vor zwölf Jahren selbst teil. Wenn die frühen Russen Amateure einsetzten, so geschah es aus ideologischen Überlegungen, bei de Sica ist es die Revolte gegen das bourgeoise Startum und das Pathos der Professionellen. Bei einem Mann wie Becker aber, der bei aller künstlerischer Extravaganz doch von Grund auf mit den Spielregeln des kommerziellen Filmbetriebs verhaftet ist, kann dieser Entschluss nur das Ergebnis reiflicher, künstlerischer Erwägung sein.

Für alle diese Filme entwarf Becker seine Drehbücher selbst. Aber man versuche einmal, die Handlung mit Worten wiederzugeben. Es ist mit wenigen Sätzen getan. Für ihn war nicht das »Was«, sondern das »Wie« Hauptproblem jeglicher Filmgestaltung.


Die Problematik des Industriefilms

von Dr. Friedrich Mörtzsch

Man hat der Betriebswirtschaftslehre zuweilen den Vorwurf gemacht, sie sei eine Kunstlehre und habe mit Wissenschaft im strengen Sinne wenig zu tun. Zweifellos trug sie im Anfang ausgeprägt empirische Züge und war mit der Praxis unternehmerischer Tätigkeit eng verknüpft. Aber eine ähnliche Entwicklung zeigen, wenn man einmal von der Philosophie absieht, auch fast alle anderen Disziplinen, lediglich mit dem Unterschied, dass dies in den meisten Fällen schon einige Jahrhunderte zurückliegt. Selbst die Mathematik, die ja heute ohne Einschränkung den Anspruch der Wissenschaftlichkeit erheben darf, war in der Frühzeit eine durchaus zweckgebundene Angelegenheit, wurden doch ihre ersten Gesetze bei der Landvermessung am Nil gefunden. Neben der Tendenz vom Handwerklich-Konkreten zum Theoretisch-Abstrakten ist anscheinend jede Entwicklung, rückschauend betrachtet, zunächst durch eine gewisse Planlosigkeit gekennzeichnet, die dann der gedanklichen Durchdringung und dem systematischen Gestalten weicht, wenn sich innerhalb des neuen Bereichs eine bestimmte Substanz gebildet hat.

Wenn wir in diese allgemeinen Überlegungen nun das Phänomen »Industriefilm« einbetten, so soll damit nicht behauptet werden, dass sich diese jüngste Art filmischer Darstellung jemals zur Wissenschaft vertiefen wird, was wohl auch wenig sinnvoll wäre. Ich möchte damit lediglich verdeutlichen, wie die bisherige Entwicklung des Industriefilms zu verstehen ist, der eben dabei ist, die oben skizzierte erste Phase zu verlassen.

Die bisher gedrehten Industriefilme orientierten sich in der Regel an sehr konkreten Aufgaben, die sich im Laufe der letzten Jahre aus dem Wirtschaftsalltag ergaben. Kameraleute und Regisseure folgten dabei nicht, wie es in anderen Filmgattungen üblich ist, übergeordneten Gestaltungsprinzipien, denn die gab es noch nicht. Sie mussten sich in der Mehrzahl auf die gängigen filmischen Ausdrucksmittel und auf die Beachtung allgemeiner künstlerischer Gesichtspunkte beschränken und in erster Linie den vom Auftraggeber beabsichtigten Zweck berücksichtigen. Ein spezifischer Industriefilmstil entwickelt sich erst jetzt nach und nach. Es ist deshalb wohl nicht erstaunlich, dass sich die Gattung »Industriefilm« als ein ausserordentlich schillerndes und vielschichtiges Phänomen zeigt und dass es bisher nicht gelungen ist, eine exakte Definition zu formulieren. Selbst der Begriff »Industriefilm« scheint neuerdings zu eng zu werden, sind doch gerade in letzter Zeit zahlreiche Filme entstanden, die sich unter dieser Formel nicht mehr vereinen lassen, über kurz oder lang wird man sich deshalb wohl entschliessen müssen, zum umfassenderen Begriff »Wirtschaftsfilm« überzugehen, wobei dann die Industriefilme eine beachtliche und zahlenmässig sicherlich die grösste Gruppe innerhalb der neuen Gattung bilden würden.

Diese kritischen Anmerkungen dürfen nun allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Wirtschafts- und Industriefilme bereits eine ganz erhebliche Bedeutung für das gesamte Wirtschaftsleben und nicht zuletzt auch für die Filmwirtschaft gewonnen haben. Diese Tatsache ist zweifellos darauf zurückzuführen, dass eine derart hochentwickelte und deshalb schwer überschaubare Volkswirtschaft, wie wir sie in allen grossen Industriestaaten heute antreffen, nur dann reibungslos funktionieren kann, wenn jeder einzelne über ihre Methoden und Ziele möglichst eingehend informiert ist. Hinzu kommt, dass im Verhältnis der Sozialpartner im weitesten Sinne seit geraumer Zeit eine erhebliche Kontaktfreudigkeit festzustellen ist. Beides bedingt ein hohes Mass an Information, die auf Grund der Natur des Ganzen vom Bereich der Produktion und Distribution in Richtung Arbeitnehmer und Verbraucher gehen muss. Wenn sich die Wirtschaft und vor allem die Industrie nun gerade des Films bedient, um diese Informationen zu geben, so ist das unter den gegebenen Voraussetzungen lediglich eine Frage der Zweckmässigkeit, denn er ist wohl das umfassendste und alle die Informationsübermittlung störenden Faktoren weitestgehend ausschliessende Medium. Seine Möglichkeiten, Abläufe und Gegenstände optisch darzustellen, und zwar auch dann, wenn sie normalerweise nicht sichtbar sind, erscheinen bisher nahezu unbegrenzt. Tatsächlich hat denn auch die Wirtschaft und vor allem die Industrie von diesen Möglichkeiten sehr starken Gebrauch gemacht. Aus einer statistischen Erhebung des Deutschen Industrieinstituts geht hervor, dass von 1948 bis Mitte des vergangenen Jahres 1129 Wirtschafts- und Industriefilme hergestellt wurden, davon allein in den Jahren 1956,1957 und 1958 je rund 180.

Interessant ist, in welchem Umfang sich die Gesamtproduktion auf die einzelnen Wirtschaftszweige verteilt. Die Gruppen mit den meisten auftraggebenden Firmen sind der Maschinenbau und Schiffbau mit 65 Firmen, die Eisen und Stahl schaffende und verarbeitende Industrie mit 37 Firmen und die chemische Industrie einschliesslich Gummi, Kautschuk, Kunststoff und pharmazeutische Industrie mit 33 Firmen. In diesen drei Gruppen befinden sich 39,7 % der Firmen, die einen Film oder mehrere in Auftrag gegeben haben.

Betrachtet man die Anzahl der Filme, die im Auftrag der einzelnen Wirtschaftszweige hergestellt worden sind, so verschiebt sich das Bild. Zwar steht wieder der Maschinenbau und Schiffbau mit 128 Filmen an der Spitze, es folgt aber dann die Landwirtschaft mit 110 Filmen; der Grund dafür ist, dass der gut aufgezogene Informationsdienst (AID) den grössten Teil dieser Filme in Auftrag gegeben hat. An dritter Stelle folgt die Erdöl und Mineralöl verarbeitende Industrie mit 109 Filmen. Fast ein Drittel aller erfassten Filme ist im Auftrag dieser drei Wirtschaftszweige gedreht worden. Die meisten Firmen (207 von insgesamt 347) haben nur einen Film herstellen lassen, 31 Firmen mehr als 5, davon 8 Firmen über 20. Nur 7 der 1129 Filme wurden von ausländischen Produzenten im Auftrag deutscher Firmen gemacht, während 118 Filme für ausländische Unternehmen gedreht und deutsch synchronisiert wurden und von deutschen Unternehmen, meist Tochtergesellschaften der ausländischen Firma, in Deutschland verliehen werden.

Von den 1129 Filmen sind 363 Filme (31,7 %) farbig, 784 Filme (68,3 %) schwarzweiss aufgenommen worden. 83 (7,2 %) der erfassten Filme sind noch Stummfilme, 109 (9,5 %) haben Magnetton, und der Rest (82,9 %) verfügt über Lichtton. Bei 5 Filmen fehlt diese Angabe. Der Lichtton überwiegt vor allem deshalb, weil die einfacheren Vorführapparate in Schulen, Volkshochschulen, Universitäten usw. fast ausschliesslich mit Lichtton ausgerüstet sind, die Lichttonfilme also eine viel weitere Verbreitung finden können als die Magnettonfilme. Aus dem gleichen Grunde besitzen auch 1076 Filme das 16-mm-Format. Nur 71 Filme (6,2 %) sind ausschliesslich in 35-mm-Kopien, 455 Filme in beiden Formaten vorhanden. Die 35-mm-Kopien kommen nur für Grossveranstaltungen in Lichtspieltheatern, also als Kulturfilm oder für Matineeveranstaltungen, in Betracht, da andere Institutionen und Firmen kaum über die grossen und kostspieligen Vorführgeräte verfügen.

Die Aufteilung der Filme auf die einzelnen Wirtschaftszweige bedeutet nicht, dass auch die Themen der Filme aus dem Bereich dieses Wirtschaftszweiges stammen. Eine Analyse der Thematik ergibt jedenfalls ein ganz anderes Bild. So besteht die grösste Gruppe aus

1. technischen Informationsfilmen über die Herstellung und Verwendung bestimmter Produkte. Hier wird zum Beispiel der Werdegang eines Autos oder einer Maschine geschildert, wobei die Betonung nicht auf der Werksschilderung, sondern auf dem Produkt liegt. Weiterhin informieren diese Filme über Anwendung, Arbeitsweise und Einsatzmöglichkeiten dieser Erzeugnisse. Diese Filme sind im allgemeinen für Fachleute bestimmt, die mit den Produkten und ihren Verwendungsmöglichkeiten vertraut gemacht werden sollen. Zu dieser Kategorie gehören 365, also fast ein Drittel (31,8 %) aller erfassten Filme.

2. Schilderung des Werkes oder eines Werksausschnittes. Hierbei liegt der Schwerpunkt auf einem allgemeinen Überblick über ein Unternehmen; diese Filme sind im allgemeinen so gestaltet, dass der Beschauer wie ein Werksbesucher einen Überblick über den Produktionsgang erhält. Man kann mit dieser Filmkategorie Aussenstehenden wie Kunden oder Besuchern, aber auch der Belegschaft selbst ein so eindringliches Bild über den Produktionsgang vermitteln, wie es bei einer Werksbesichtigung kaum möglich wäre. 232 (20,2 %) Filme behandeln ein solches Thema.

3. Ein grosser Teil der Filme, genau 201 (17,5 %), schildert keine direkten Vorgänge aus dem Wirtschaftszweig, sondern behandelt die verschiedensten Themen aus Wissenschaft, Wirtschaft oder Kultur; sie schildern zum Beispiel Entwicklung und Aufgaben der Luftfahrt, eine Antarktisexpedition oder ähnliche Sujets. Besonders die Erdöl- und Mineralölfirmen bedienen sich dieser Art allgemeiner Repräsentationsfilme.

4. 122 Filme (10,6 %) behandeln Themen aus der Landwirtschaft.

5. Auf die Schilderung verschiedener Arbeitstechniken beschränken sich 119 Filme (10,4 %). Sie wollen dem arbeitenden Menschen neue Techniken zeigen, die ihm die Arbeit erleichtern sollen. Es wird zum Beispiel das Betonmischen geschildert oder das Hobeln.

6. 55 Filme (4,8 %) sind Aufklärungsfilme über vorwiegend wirtschaftliche oder allgemeine technische Probleme. Sie schildern zum Beispiel das Wesen des Kredits oder die Geschichte der Energienutzung durch die Menschen.

7. Mit betrieblicher Sozialpolitik befassen sich 34 Filme (3,0 %). Sie schildern entweder die gesamte Sozialarbeit eines Unternehmens oder beschäftigen sich mit einzelnen Problemen des sozialen Sektors, wie etwa dem Verhalten von Führungskräften oder der Betreuung der Lehrlinge.

8. Mit der Unfallverhütung in verschiedenen Bereichen der Industrie beschäftigen sich 19 Filme (1,7 %).

Erhebliche Unterschiede sind festzustellen, wenn man die Laufzeit der erfassten Filme betrachtet. So laufen 89 Streifen 3 bis 10 Minuten, 310 zwischen 10 und 15 Minuten, 186 zwischen 15 und 20 Minuten, 304 zwischen 20 und 30 Minuten, 140 zwischen 30 und 40 Minuten und 87 zwischen 40 und 60 Minuten. Der Rest hat Laufzeiten von mehr als einer Stunde. Allerdings zeichnen sich hier ganz deutlich zwei Schwerpunkte ab, die bei 10 bis 15 und bei 20 bis 30 Minuten liegen. Nach den bisherigen Erfahrungen wird man sich, sofern die Filme öffentlich vorgeführt werden sollen, wohl künftig auch auf die sehr günstigen Laufzeiten von 15 und 30 Minuten als Norm einigen.

Dieser kurze Überblick zeigt, dass die Wirtschaft der Bundesrepublik ein recht beachtlicher Filmproduzent geworden ist. Dabei wurden gute, zum Teil sogar ausgezeichnete Ergebnisse erzielt, die mit zahlreichen deutschen und ausländischen Preisen gewürdigt wurden. Ein Vergleich mit anderen Industrieländern zeigt jedoch, dass die Wirtschaft der Bundesrepublik auf diesem Gebiet noch nicht als führend gelten kann. Die Industriefilmtage in Harrogate, in Rouen, in Turin, Berlin, Budapest und Antwerpen haben das recht deutlich gezeigt. Es gilt, hier manches Versäumnis nachzuholen.


Psychologischer Realismus. Den Filmen von Marcel Carné kurz vor dem zweiten Weltkrieg wird oft dieser Begriff untergelegt, vor allem »Quai des Brumes« (1938), »Hotel du Nord« (1939) und »Le Jour se Lève« (1939), die hinüberführen zu dem Nachkriegsfilm »Les Portes de la Nuit« (1946). Die pessimistische Färbung dieser Filme ist indessen weit mehr auf das Konto des grossen Dichters und Filmautors Jacques Prévert zu setzen, dessen ironische Lyrik, die immer wieder in einem Fragezeichen zu enden scheint, hier zum Ausdruck kommt. Man hat bei diesen Filmen bereits vom sogenannten »film noir«, dem schwarzgefärbten Film, gesprochen, wie er im Amerika der zweiten Nachkriegszeit, wo alle Werte wieder in Frage zu stehen scheinen, überhand nimmt.       (Das Fischer Lexikon. Film, Rundfunk, Fernsehen)


Darf sich der Film zu den Musen zählen? Was man Kino nennt, bot bisher keine Anlässe zum Nachdenken. Ich glaube aber, dass der Film ein mächtiges Werkzeug ist, um den Gedanken auszusenden, selbst in eine Menge, die ihn nicht will. Der Beweis ist erbracht, dass die Neugier, etwas Ungewöhnliches zu sehen, den Sieg davonträgt über die Faulheit, die das Publikum von schwierigen Filmen fernhält.       (Jean Cocteau)



Der Film hat sich gerade in seinen »Super-«, »Spitzen-« und »Qualitätsleistungen« in einer der Kunst entgegengesetzten Richtung entwickelt. Diese Filme wirken durch den Aufwand an äusseren Mitteln und durch die mangelhafte künstlerische Absicht demoralisierend sowohl auf das Publikum als auch auf die Filmproduktion. Denn sie werden am intensivsten propagiert und geben die schlechtesten Vorbilder.      (Hans Richter, 1929)
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Filmanalyse

Anm. d. R.: Das »Institut des Hautes Etudes Cinématographiques« ist eine der wenigen Filmhochschulen Europas. Es wurde 1944 auf Anregung seines jetzigen Direktors, Marcel l' Herbier, gegründet. In den 16 Jahren seines Bestehens konnte über eintausend Studenten das Diplom erteilt werden. Der Lehrplan umfasst alle Gebiete des Films, von den chemischen und physikalischen Grundlagen bis zur Dramaturgie und Geschichte. Jeder Student muss im Laufe seines Studiums wenigstens einen Film eingehend analysieren. Die hier mit freundlicher Genehmigung der Institutsleitung abgedruckte Analyse gibt uns einen Einblick in die Arbeit dieser Hochschule.

Une Partie de Campagne

I. Dokumentation
Herstellungsland: Frankreich; Regisseur: Jean Renoir; Herstellungsjahr: 1937; Laufzeit: 40 Minuten; Aussen- und Innenaufnahmen; Zeit: 1860-1900.
Art des Films: Filmnovelle; Welturaufführung: Dezember 1946 im »César«-Filmtheater, Paris.

II. Allgemeines
1. Technischer Stab
Produktionsleitung P. Braunberger
Verleih Panthéon - distribution, 66, rue de Miromesnil, Paris, 8ème. LAB. 77-75
Buch, Bearbeitung und Dialoge Jean Renoir nach Guy de Maupassant
Regie Jean Renoir
Chefkameramann Claude Renoir
Kameramann Bourgoin
Musik Joseph Kosma
Gesungen von Germaine Montero
Schnitt Marguerite Renoir
Standphotos Elie Lotar

2. Besetzung
Monsieur Dufour: Gabriello
Anatole: Paul Temps
Rodolphe: Jacques Borel
Henri: Guy Darnoux
Vater Poulain: Jean Renoir
Henriette: Sylvia Bataille
Madame Dufour: Jeanne Marken
Die Grossmutter: Gabrielle Fontan
Das Dienstmädchen: Marguerite Renoir

3. Der Regisseur
Sohn des Malers Auguste Renoir. Befasste sich zunächst mit Keramik, kam 1925 zum schwieriger und langwieriger Start. Exil in Hollywood: 1939.

Seine wichtigsten Filme
In Frankreich:
1925 Catherine
1925 La fille de l' eau
1926 Le Bled
1926 Charleston
1927 Le Tournoi dans la cité
1927 Nana
1928 La petite marchande d' allumettes
1929 Tire au Flanc
1930 On purge Bébé
1931 La Chienne
1933 Boudu sauvé des eaux
1933 La Nuit du Carrefour
1934 Madame Bovary
1935 Toni
1936 Le crime de M. Lange
1936 Les Bas-Fonds
1936 La vie est bonne
1937 Une partie de campagne
1937 La grande illusion
1938 La Marseillaise
1938 La bête humaine
1939 La règle du jeu

In Hollywood:
1942 Swamp Waters
1943 This land is mine
1944 Salute to France
1944 Call meyours
1945 The Southerner
1946 The diary of a chambermaid
1946 Woman on the beach

4. Bibliographie (»Une partie de campagne« betreffend).
Le Magazine du Spectacle: Nr. 1, April 1946. Kritik von Jean Rougeul.
Ecran Française: Nr. 77, vom 17. Dezember 1946.
Les cahiers de l' Ecran (Jeunes du Cinema), Nr. 1,1947.
La Revue du Cinéma de J.-G. Auriol, Nr. 4. Kritik von J. Doniol-Valcroze.

III. Das Drehbuch
1. Geschichte des Drehbuchs
Ursprünglich hatte Renoir einen kleinen Film in der neuen kinematographischen Art geplant, der ungefähr eine dreiviertel Stunde dauern sollte. Er selbst formte den Stoff aus Maupassants Novelle »Une partie de campagne« und schrieb die Dialoge dazu. P. Braunberger erklärte sich bereit, das Projekt zu finanzieren. Jean Renoir begann 1937 mit den Aussenaufnahmen, die den grössten Teil des Films ausmachen.
Als die Aussenaufnahmen beendet waren, wurden die Dreharbeiten des Films zunächst unterbrochen, denn Jean Renoir sollte damals »La Grande Illusion« inszenieren. Im Anschluss daran hatte er vor, den unvollendeten Film zu beenden. P. Braunberger, der die ersten Ergebnisse gesehen hatte, entschied, den Stoff wiederaufzunehmen, und vertraute ihn Jacques Prévert an, der ihn bearbeiten sollte.
1939 brach der Krieg aus. Während der Besetzung beschädigten die Nazis die Arbeitskopie von »Une partie de campagne«. Henri Langlois rettete das Negativ und gab es Braunberger nach der Befreiung zurück. Renoir war damals in Amerika. Es konnte nicht die Rede davon sein, ihn sein Werk beenden zu lassen. Man besserte also die Arbeitskopie aus, der nur einige Innenaufnahmen fehlten, die man durch Zwischentitel ersetzte.
2. Zusammenfassung des Drehbuchs
Es ist Sonntag. Ein Eisenwarenhändler (Gabriello) macht mit seiner Familie einen Tagesausflug an die Marne. Seine Frau (Jeanne Marken), seine Tochter (Sylvia Bataille), die Grossmutter (Gabrielle Fontan) und der Kommis Anatole (Paul Temps) nehmen daran teil. Auf einer Wiese halten sie ein Picknick. Dann gehen die Männer angeln, während die beiden Frauen den Avancen zweier galanter Kahnfahrer (Jacques Borel, Guy Darnoux) nachgeben. Diese fahren die Frauen im Boot spazieren und entführen sie ins Gebüsch. Plötzlich verdunkelt sich der Himmel: Ein Gewitter bricht los.
Zwei Jahre später: Das junge Mädchen hat Anatole geheiratet und ist eine kleine, verspiesserte Bürgersfrau geworden. Als sie an die Stätte der ersten Seligkeit zurückkehrt, findet sie ihren damaligen Liebhaber wieder, und mit ihm tauchen in ihr die Vorwürfe und das Bedauern über ihre entflohene Jugend auf.
3. Analyse der Szenenfolge
a) Erklärender Zwischentitel
 1) Ankunft im Gasthaus: An der Brücke, auf der ein Kind angelt, kommt der Wagen mit der Familie Dufour an; sie gehen in das Gasthaus, wo Rodolphe und Henri, die sich die Langeweile vertreiben, Henriette auf der Schaukel erblicken.
 2) Das Picknick: Die Familie lässt sich unter dem Kirschbaum nieder und streitet mit Henri und Rodolphe um den Platz. Die beiden geben nach und beschliessen, die Frauen zu verführen. Mutter und Tochter spüren die Natur. Die Mutter nähert sich vergeblich dem schlummernden M. Dufour, desgleichen Henriette dem Anatole, der den Schluckauf hat.
 3) Die Spazierfahrt Dufour und Anatole wollen angeln. Henri und Rodolphe leihen ihnen, was sie dazu brauchen, und nehmen die Frauen mit. Die Spazierfahrt im Boot. Rodolphe und Henriette. Henri und Mme. Dufour: Tanz des Fauns. Liebesszene zwischen Rodolphe und Henriette. Das Gewitter.
b) Zwei Jahre danach:
1) Henriette neben dem schlafenden Anatole. Sie sind verheiratet.
2) Rodolphe kommt und begegnet Henriette. Die Reue.
3) Henriette und Anatole fahren im Boot zurück.

IV. Dramatische Analyse
»Niemand kann einen guten Film machen, ohne eine persönliche Philosophie zu haben _...« (Jean Renoir)
A. Der Stoff
Eine Anekdote. Eine Pariser Ladenbesitzersfamilie verbringt einen Sonntag an der Marne. Das ist alles. Aber das eigentliche Thema dieses Films ist nicht anekdotisch. Es scheint eher, dass Renoir einen Sonntag der guten, alten Zeit erstehen lassen wollte, einen kurzen Tag, gezeichnet durch ein einfaches Ereignis, durch eine Landschaft einen Gewitterregen. Baum, Landschaft, Person, alles sind ein Teil desselben Universums: jenes des Regisseurs. Wir stossen auf ein Spiel von subtilen Verbindungen, denen der Film seine poetische Atmosphäre verdankt, die ihn charakterisiert.
B. Der dramatische Aufbau Einen dramatischen Aufbau im eigentlichen Sinne des Wortes gibt es aus zwei Gründen nicht:
1) der unvollendete Charakter des Werks (s. Geschichte des Drehbuchs);
2) die Natur des Stoffes: Nicht die Intrige bedingt den Fortschritt der Handlung, sondern eine Folge von Bildern, die, von der Sensibilität eines Mannes zusammengestellt, den Sinn haben, »hervorzurufen« und nicht zu »erzählen«.
C. Das Hervorrufen
Verschiedene Empfindungen werden hervorgerufen:
Ein Sonntag im Freien: Das Gras, das Wasser, die Bäume, die Sonne.
Das erregende Gefühl zu existieren, zu leben, zu besitzen (unbefangene Sinnlichkeit, die Renoir ausdrückt).
Die berauschenden, flüchtigen Augenblicke der Jugend.
Das Bedauern, die Bitterkeit der Erinnerung.
D. Die Philosophie
Sie drückt sich in einigen sehr einfachen Worten aus. Als das junge Mädchen, jetzt verheiratet, dem jungen Mann zwei Jahre später begegnet und als er sie fragt, ob sie alles vergessen habe, antwortet sie: »Ich denke jeden Abend daran.« In diesen wenigen Worten liegt der Vorwurf, dass sie das Leben nicht festzuhalten gewusst hat, als es sich ihr darbot; das Drama, täglich das Leben leben zu müssen, das ihr auferlegt ist.
E. Der Dialog
Beherrschendes Merkmal: die Authentizität.
Wie für seine anderen Filme, bei denen Renoir der einzige Autor ist, hat er auch für »Une partie de campagne« einen äusserst einfachen Dialog geschrieben, unmittelbar und echt, erfüllt von seinem Humor. (Beispiel: Bei den Grossaufnahmen antwortet der kleine Junge, den die Spaziergänger fragen, ob die Fische beissen: »Manche sagen, es gäbe keine mehr, andere, dass es noch welche gibt. Man muss sie bloss zu fangen verstehen, das ist alles.«) Renoir lässt die Menschen einfach so sprechen, wie sie es auch sonst tun würden. Für ihn geht es darum, das Leben einzufangen.

V. Filmische Analyse
»Durch die Bilder meines Vaters und der Maler seiner Generation hindurch machte ich eine (neue) Studie der französischen Lebensart.« (J. R.)
1) Die filmische Schrift Man kann »Une partie de campagne« als ein Modell des filmischen Stils Renoirs anführen: direkter und einfacher Stil, keine Zuflucht zu einer übertriebenen oder akrobatischen Technik. (Beispiel: Der Schnitt der Grossaufnahmen des Films: ein Stock, ein Kind, das ihn in der Hand hält. Das Kind drückt sich an das Geländer der Brücke; über die Brücke fährt der Wagen der Ausflügler, die mit dem Kind sprechen, dann am Gasthaus aussteigen und uns wie zufällig mit in das Abenteuer einbeziehen, das sie erleben werden _...)
2) Die Verwirklichung Auch die technische Realisation ist von grosser Einfachheit. Zwei Arten herrschen vor:
a) Die Beschränktheit (das Wort ist nicht im herabsetzenden Sinn gemeint). Es ist erstaunlich, welche beschränkten Mittel Renoir für die Herstellung dieses Films zur Verfügung gestellt wurden. Der Film wurde ganz aus Aussenaufnahmen zusammengestellt. Beachtlich ist die Qualität der Aufnahmen, die C. Renoir und einem Stab von Freunden und Verwandten zu verdanken sind (s. Vorspann). Sie sind ohne technische Virtuosität gemacht - (die Grossaufnahmen sind meistens unbeweglich, technische Kniffe werden nur dort verwendet, wo sie wirklich unumgänglich und von dem, was sie ausdrücken, nicht zu trennen sind) -, mit Kosten, die auf das absolute Minimum beschränkt wurden.
b) Der Impressionismus Der Einfluss von Auguste Renoir ist besonders spürbar in der Art, wie Jean Renoir verschiedene Szenen seines Films behandelt. Er kommt auch zum Ausdruck in der Wahl der Kostüme und bisweilen in der der Dekorationen. (Beispiel: Die Schaukelszene, die Spazierfahrt im Boot.)
Jean Renoir bringt dazu noch einen ganz persönlichen Sinn für innere Bewegung mit, der das, was die Bezugnahme auf die Malerei statisch zu machen drohte, dynamisch (also filmisch) macht. Er lässt sich von einer Atmosphäre inspirieren und bringt sie zum Leben. (Beispiel: Die Szene, in der Mutter und Tochter im Gras ausgestreckt liegen und sich der Versuchung des Frühlings hingeben, der um sie ist.) (Anmerkung: Dieser Stil findet eine Auswertung in dem äusserst fruchtbaren Versuch von Robert Bresson: Les Dames du Bois de Boulogne.)
Diese innere Bewegung, die Renoirs Geschöpfe belebt, findet beständig Anregungen in den verschiedenen Ansprüchen der äusseren Welt. Ein Baum, der erzittert, das Wasser, das in der Mittagssonne funkelt, das duftende Gras, die starken Gerüche und die heissen Windstösse, die dem Gewitter vorangehen, haben am Leben teil. Sie sind das Leben selbst, weil man sie nicht trennen kann von den Gefühlen und Empfindungen, die das Leben ausmachen (s. dramatische Analyse). Diese verschiedenen Komplexitäten, diese Übereinstimmungen zwischen den Wesen und den Dingen fängt Renoir in einem Bild, in einer Bewegung ein, ohne irgend etwas hinzuzufügen. Es genügt, dass es sie gibt,
c) Der Humor
Schliesslich besitzt Renoir einen Sinn für Humor, von dem er sich nicht lösen kann und den man in allen seinen Filmen wiederfindet, in diesem aber ganz besonders. Es ist ein äusserst sympathischer Zug Renoirs, sich nicht zu sehr an den Ernst zu verlieren, denn im Grunde ist nichts im Leben völlig ernst. (Beispiel: Der Tanz des Satyrs um die Mutter.)
3) Die Darstellung
Sie scheint unter den geringen Möglichkeiten gelitten zu haben, die dem Regisseur vor allem bei der Besetzung der männlichen Rollen gegeben waren (ausgenommen Gabriello; aber übertriebene Lächerlichkeit und zuviel Karikatur des Kommis und zukünftigen Ehemannes). Erstaunlich dagegen sind die Darstellungen der weiblichen Rollen durch Jeanne Marken und Sylvia Bataille, die alle beide aussergewöhnlich überzeugend spielen. Jeanne Marken, die Mutter, brennend vor etwas perverser und vielleicht verdrängter Sinnlichkeit (Gabriello gähnt und schläft ein, um zu verdauen). Sylvia Bataille, ihre Tochter, die dagegen eine natürliche und einfache Sinnlichkeit entdeckt, die überrascht ist von dem Drängen der Säfte und der sanften Feuchtigkeit der stürmischen Tropfen, die auf dem aufgewühlten Fluss zerplatzen.

VI. Resonanz und Fazit des Films
»Die Ära der Produzenten ist abgelaufen, die der Regisseure geht ihrem Ende zu. Wir treten ein in die Ära der Filmautoren.« (J. Renoir)
1) Die Stellung von »Une partie de campagne« im Werk Renoirs:
»Une partie de campagne« nimmt eine Sonderstellung im Werk J. Renoirs ein. Einige sehen in diesem Film sein Meisterwerk. Er ist unbestreitbar ein Erfolg, ein poetischer Erfolg von besonderer Tiefe und Wahrheit, der dem filmischen Ausdruck einen zwar gefährlichen, aber neuen und fruchtbaren Bereich eröffnen kann. Immerhin hat Renoir uns an vollständigere, dichtere Werke gewöhnt, in denen die soziale Satire (hier ist darunter die Satire auf das Bürgertum zu verstehen) einen grösseren Raum einnimmt.
2) Die filmische »Novelle«
Renoir hat versucht (und es gelang ihm), ein neues Genre zu definieren: die filmische »Novelle«. »Une partie de campagne« wurde in einem Kurzfilmprogramm vorgestellt. Dieser Name passte ausgezeichnet (man sah zusammen mit diesem Film »L' Homme« von G. Margaritis und »Naissance du Cinema« von Leenhardt). Dies Genre scheint die Produzenten nicht zu reizen, obwohl es äusserst interessante Möglichkeiten bietet in einer Epoche, in der die finanziellen Einschränkungen zahlreicher und beunruhigender werden. Der Erfolg Renoirs müsste gewisse Leute überzeugen.
3) Zu beachten wäre schliesslich noch die Einheit und tiefe Ursprünglichkeit dieses Films von Jean Renoir, die der Tatsache zu verdanken ist, dass er der alleinige Autor seines Werkes ist.

VII. Diskussionsthemen
Die Bezeichnung »Kurzfilm« und die Art der »Filmnovelle«.
Der Einfluss des Impressionismus auf das Werk Jean Renoirs.
Die Welt Jean Renoirs.
Die Stellung von »Une partie de campagne« im Gesamtwerk Jean Renoirs.
Zähle die einzelnen filmischen Elemente der Sequenz der Kahnfahrt auf und analysiere den Anteil jeder dieser Elemente an der plastischen und dichterischen Komposition dieser Szene.     Gaston Bounoure, 3. Semester Institut des Hautes Etudes Cinématographiques 92, Champs Elysées, Paris 8. Tel: ELY 22-86
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Dr. Knock lässt bitten Knock
Produktion: Jacques Roitfeld, Frankreich, 1950; Regie: Guy Lefranc; Buch: Georges Neveux unter Mitarbeit von Jules Romain nach dessen gleichnamigem Theaterstück; Kamera: Claude Renoir; Musik: Paul Misraki; Darsteller: Louis Jouvet, Jean Brochard, Pierre Renoir, Pierre Bertin, Jane Marken, Marguerite Pierry, Yves Deniaud.
Dr. Knock, das ist die Geschichte der eingebildeten Kranken aus der Perspektive eines »genialen« Mediziners. Wie er es fertigbringt, den bisher kerngesunden Einwohnern eines kleinen Nestes alle möglichen Krankheiten einzureden, um sich einen grossen Patientenkreis zu schaffen, das ist Scharlatanerie in Vollendung; sie erfährt ihre Krönung, als sein geschäftlich so naiver Vorgänger unter dem suggestiven Einfluss Knocks auch an sich Symptome einer Krankheit zu spüren beginnt.
Louis Jouvet, selbst geprüfter Pharmazent, der den Dr. Knock schon mehr als tausendmal auf der Bühne und zweimal im Film spielte, hat diese Gestalt des erfolgreichen Kurpfuschers durch Mimik und Gebärde bis in die letzten Nuancen ausgeleuchtet. Er versteht es, die Dörfler mit wachsender Sorge um ihr bisschen Leben zu infizieren: Er redet nicht viel, halbe Sätze nur, rechnerisch langsam vor sich hin gesprochen, oder er hüllt sich in bedeutungsvolles Schweigen nach einem durchdringenden ernsten Blick über die Brille hinweg.
Das Stück ist eigentlich »unfilmisch«, aber es wird zu einem einzigartigen Erlebnis dank der sorgsamen Zeichnung der eingebildeten Kranken, der ausgefeilten ironischen Dialoge Jules Romains und der faszinierenden Schauspielkunst Louis Jouvets. Denn Dr. Knock - das ist Jouvet.       ams
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La Belle et la Bête Es war einmal
Produktion: André Paulvé, Frankreich, 1946; Buch und Regie: Jean Cocteau; Technische Leitung: René Clement; Musik: Georges Auric; Dekoration: Christian Bérard; Kamera: Henri Tiquet; Darsteller: Josette Day, Mila Parely, Nane Germon, Jean Marais, Michel Auclair, Marcel André, Raoul Marco.
In den ersten Tagen nach dem Kriege begann Jean Cocteau mit den Aufnahmen zu diesem Film, einem Märchenspiel zwischen Traum und Wirklichkeit nach einer Erzählung von Leprince de Beaumont. Jean Cocteau verschmäht es, seinen Filmen eine »Rechtfertigung« mit auf den Weg zu geben, etwa nach dem Motto: Junger Mann legt sich ins Bett und träumt _... und dann beginnt erst der eigentliche Film. (Viel zitiertes Beispiel für eine Verfälschung ähnlicher Art ist Robert Wienes »Caligari«.) Cocteau ist Poet, und für ihn ist der Traum greifbare Realität. Die Grenzen zwischen Traum und irdischem Leben verschwimmen, die Kamera bewegt sich in dem Bereich des individuellen Erlebens, der Poesie, des »Films«.
Statt einer ausführlichen Besprechung bringen wir Tagebuchaufzeichnungen Cocteaus, die er während der Arbeit an diesem Film niederschrieb.

Aus Jean Cocteaus Tagebuch: La Belle et la Bête
Sonntag, 16. August 1945
Nachdem ich ein Jahr gebraucht habe, um alle Vorbereitungen zu treffen und alle Hindernisse zu überwinden, beginne ich morgen endlich zu drehen. Es wäre Wahnsinn, sich über die Schwierigkeiten zu beklagen, die ein derartiges Unternehmen mit sich bringt, denn ich finde, dass unsere Arbeit uns zwingt, im Wachen den schönsten Traum zu träumen, übrigens erlaubt sie uns, nach unserem Belieben mit der irdischen Zeit zu schalten, die Minute für Minute und in der richtigen Reihenfolge zu durchleben so schwierig ist. Diese Zeit zu sprengen, auf den Kopf zu stellen, umzukehren, ist ein wahrer Sieg über das Unvermeidliche.

Neben den unzähligen Besprechungen wegen der Dekorationen und Kostüme und den Irrfahrten wegen der Aussenaufnahmen musste ich noch tagaus, tagein zum Arzt laufen und zu Hause die Krankenschwester empfangen. Ich war vom Urlaub mit zwei Furunkeln auf der Brust, als Folge eines Sonnenbrandes, und mit bösen Mückenstichen zurückgekommen.

Dieses aufreibende Leben ermüdete mich überhaupt nicht. Der Film beschäftigte mich vollkommen, regte mich an, machte mich unempfindlich, befreite mich von der unbestimmten Angst, in die mich die Untätigkeit stürzt, zwang mich, mein Zimmer zu verlassen, in dem widrige Strömungen mich lähmten, so dass ich unfähig war, etwas zu schreiben.

Christian Bérard arbeiten zu sehen, ist ein ausserordentliches Schauspiel. Bei Paquin, inmitten von Tüll und Straussfedern, mit Zeichenkohle beschmiert, voller Flecke, mit Schweiss bedeckt, mit gesträubtem Bart und heraushängendem Hemd, schenkt er dem Luxus die Bedeutung echten Ernstes. Unter seinen kleinen, tintenbeklecksten Händen hört das Kostüm auf, eine Verkleidung zu sein, und wirkt keck und jugendlich wie ein modernes Kleid. Ich meine, bei ihm begreift man, dass ein Kostüm nicht einfach ein Kostüm ist, sondern dass es sich aus einer Fülle von Umständen ergibt, die rasch wechseln und daher dazu zwingen, auch das Kostüm zu wechseln. Die Männer und Frauen, die aus seinen Händen hervorgehen, sehen aus, als ob sie an jenem Ort und zu jener Zeit leben würden, und nicht, als ob sie im Begriff wären, sich auf einen Maskenball zu begeben.

Wunderbarerweise ist es ihm gelungen, zwei Stile zu vereinen: den Vermeers mit dem der Illustrationen von Gustave Doré zu den Märchen von Perrault in der grossen Ausgabe mit dem rotgoldenen Einband.

Was mich in diesen grossen Modehäusern frappiert, ist die Liebe, die Gewissenhaftigkeit und die Grazie, mit der die Frauen dort arbeiten. Drei oder vier alte Jungfern, die noch die Bühnenkostüme für Gaby Deslys und Ida Rubinstein gestickt haben, waren wirklich genial veranlagt, und ihre Kunst sank mit ihnen ins Grab. Heute morgen sah ich die Kleider für unseren Film im Wirtschaftshof von Rochecorbon (wo ich drehe) im Sonnenschein Seite an Seite in einer grossen Kiste hängen wie Blaubarts Frauen. Es war nichts von ihnen übriggeblieben. Um aufzuerstehen bedürfen sie einer Seele, das heisst eines Körpers. Gestern um 5 Uhr sind wir in Tours angekommen. Wolken hingen über Paris. Während der Fahrt heiterte es sich nach und nach auf. Die Wolken schoben sich zusammen, sie bildeten kleine Gruppen, genau wie auf den alten Gemälden, die mir als Vorbilder dienen. Breit und ruhig floss die Loire dahin, als wir in die Touraine kamen, unter einem Himmel, der im Sonnenglanz fast farblos wirkte. Rochecorbon. Da ist das winzige Schlösschen wieder, das mich ein Zufall in der Zeit der Vorbereitungen hat finden lassen. Die Domänenkammer hatte es uns unter fünfzig anderen herausgesucht. Die Mauer längs der Strasse sah nach gar nichts aus. Fast wären wir überhaupt nicht aus dem Wagen gestiegen. Mit einem Blick erkannte ich bis in die kleinsten Einzelheiten jene Dekoration wieder, von der ich gefürchtet hatte, dass ich sie würde aufbauen müssen. Der Hausherr erinnert an den Kaufmann aus dem Märchen, und sein Sohn sagte zu mir: »Wenn Sie gestern gekommen wären, hätten Sie Ihre eigene Stimme gehört. Ich habe meinem Vater Ihre Gedichte auf Platten vorgespielt.« Übrigens stellen die Eisenhaken, an denen man die Pferde anbindet, Fabeltiere dar. Hier sind die Fenster der bösen Schwestern, die Türen, die Stiege, der Waschplatz, der Obstgarten, der Stall, die Hundehütte, der Hund, die Giesskanne, die Tomaten, die zum Reifen auf den Fensterbrettern liegen, die Gemüse, die Holzscheite, die Quelle, das Geflüster, die Leiter. Alles ist an seinem Platz. Das Innere entspricht dem Äusseren, und diese geheime Übereinstimmung strahlt durch die Mauern. Bloss die Sonne müssen wir an einen anderen Platz stellen, das heisst, wir müssen je nach ihrem Stand jede Szene von verschiedenen Stellen aufnehmen. Darin besteht die Arbeit des heutigen Tages, inmitten von Kameraleuten, Elektrikern und Mechanikern, die ihre Kabel aufrollen und sich ihre Werkstätten, teils unter freiem Himmel, teils in irgendeinem Schuppen einrichten. Morgen früh um 8 Uhr werde ich die Szene mit der zum Trocknen aufgehängten Wäsche vorbereiten. Der Stand der Sonne und die Tatsache, dass gewisse notwendige Gegenstände noch nicht eingetroffen sind, veranlassen mich, die Aufnahmen mit dieser Szene zu beginnen.

Montag abend, 7 Uhr 30

Sehr anstrengender erster Drehtag bei strahlendem Wetter, das sich gegen 5 Uhr trübt. Ziemlich schwül. Ich bekämpfe die Wirkung des Weines, den mir der Hausherr aufgedrängt hat, mit dem Wasser einer Quelle, das so klar ist, dass sich die Tiere täuschen und den Bottich für leer halten, überall gibt es hier Wasserbecken, Bächlein, kleine Wasserfälle.

Die Dekoration ist von der Art, dass ich sie eigenhändig aufbauen muss und mir von niemandem helfen lassen kann. Ausserdem fielen die Stangen um, die Schnüre wollten nicht gespannt bleiben, es waren zu wenig Leintücher da, und die vorhandenen waren zu kurz. Ein Wind erhob sich, der sie flattern liess und die Perspektive ruinierte. Die Kostüme heben sich wundervoll von den Leinenwänden ab und geben in der Durchsicht schöne Schatten. Leider wird der Himmel gegen 5 Uhr trüb und gewitterig, und ich muss mit den Gruppenaufnahmen aufhören und Grossaufnahmen mit den Lampen machen. Mila probt und probt die Szene immer wieder, bis sie ganz aufgelöst ist. Das Objektiv vibriert. Elektriker und Mechaniker versuchen, es zu reparieren. Vergeblich. Wir müssen aufhören. Meine Arbeit ist im vollen Schwung unterbrochen. Ich breche zusammen. Ich falle um. Ich kehre nach Tours zurück, überwältigt von Müdigkeit, dem schweren Wein und der Enttäuschung. Ich hatte gehofft, dass der blaue Himmel anhalten würde. Ich hatte gehofft, den Rhythmus meiner Gewohnheiten zu unterbrechen und mich dem Rhythmus des Zufalls zu überlassen. Ich war naiv. Dieselben Schwierigkeiten verfolgen mich, und da sie sich immer wieder unter einem anderen Aspekt zeigen, kommen sie immer unvorhergesehen.

Wird die Sonne wiederkommen? Werden wir ein funktionierendes Objektiv haben? Werden neue Hindernisse auftauchen? Ich werde versuchen zu schlafen und abwarten. Warten! Das ist die Tragödie des Filmschaffens.

Wenn ich durch diese Jahrmarktsbudenarbeit nicht so absorbiert gewesen wäre, hätte ich das Schauspiel genossen, das diese Obstgärten und dieses vollendete kleine Schloss mit all dem bunten Leben boten, das sich vor diesem Hintergrund entfaltete. Schauspieler, die sich im Freien, um einen grossen Küchentisch geschart, waschen und schminken. Arbeiter, die vor einem Holzgerüst stehend ihr Mittagsmahl einnehmen. Die Liebenswürdigkeit ist eine gefährliche Waffe. Die Techniker haben mich gern, zerreissen sich für mich, aber schliesslich muss ich alles allein machen. Carné, Christian usw. sind beleidigt, beschweren sich, und ich höre sie an. Am Abend, nach dem Essen, habe ich mit Darbon gesprochen. Ich habe ihm gesagt, dass diese Sache mit dem Aufnahmeapparat vielleicht ein Glück ist, denn die Dekoration wirke wie jene Modelle, die ich mit Bérard in meinem Zimmer aus Taschentüchern und Stöcken improvisiere, dass diese Skizze jetzt endlich durch etwas Solides und Brauchbares ersetzt werden müsse und dass ich morgen, wie immer das Wetter sei, eine Dekoration vorfinden möchte und nicht das improvisierte Bühnenbild eines Dichters. Ich gehe schlafen. Der Himmel sieht düster aus. Man ahnt ein paar Sterne. Die Bäume bewegen sich unruhig. Man versichert mir, dass der Apparat in Ordnung sei, wenngleich die Möglichkeit bestehe, dass das Objektiv unmerklich vibriert. Nichts ist ärger als eine Aufnahme zu riskieren, um nachher zu entdecken, dass das Bild verwackelt ist. Das wird mir am nächsten Tag Kopfzerbrechen machen.

Schluss der Arbeit

Samstag, 1.Juni 1946

Ich schreibe die letzten Zeilen dieses Tagebuches in dem Landhaus, wohin ich mich vor dem Geklingel der verschiedensten Glocken geflüchtet habe: der Türglocke, des Telefons, der Glocke, die die Aufnahme anzeigt.

Ich will die Flucht ergreifen, wenn der Schlusspunkt unter diesen Film gesetzt ist. Nun habe ich ihn gestern, Freitag, den Ateliertechnikern im Vorführungsraum von Joinville gezeigt.

Die Ankündigung dieser Vorführung auf dem Schwarzen Brett brachte Saint-Maurice in Aufruhr. Man schleppte mehr Bänke und Sessel herbei. Lacombe verlegte seine Aufnahmezeiten, damit seine Schauspieler und sein Personal dabeisein konnten.

Um 1/2 7 Uhr nahm Marlene Dietrich ihren Platz neben mir ein. Ich versuchte mich zu erheben und ein paar Worte zu sprechen, aber das Gewicht all der vielen Minuten, die zu dieser gegenwärtigen Minute geführt haben, lastete auf mir, und ich war wie gelähmt. Während der Vorführung hielt ich Marlenes Hand in der meinen und zerquetschte sie fast, ohne es zu bemerken. Der Film rollte ab, strebte seinem Höhepunkt zu, leuchtete, losgelöst von mir, einsam, unempfindlich, fern wie ein Gestirn. Er hatte mich getötet. Er hatte mich weggeworfen und lebte jetzt sein eigenes Leben. Mir blieben nur die Erinnerungen, die mit jedem Meter verbunden waren, und die Leiden, die er mich gekostet hatte. Ich hatte keine Ahnung, dass andere seiner Geschichte folgen können. Ich glaubte sie alle in meine Phantasien versunken.

Die Aufnahme, die der Film bei diesem Publikum von Arbeitern fand, bleibt mir unvergesslich. Das war mein Lohn. Was auch immer geschehen möge, nichts kann den Zauber dieser Veranstaltung übertreffen, die ganz unzeremoniell von einem kleinen Kreis arrangiert wurde, dessen Handwerk darin besteht, Konserven aus Träumen zu machen.

Nachher, um 10 Uhr, nachtmahlte ich im Palais Royal mit Bérard, Boris, Auric, Jean Marais, Claude Iberia, und wir gaben uns das Versprechen, immer miteinander zu arbeiten. Möge das Schicksal uns nie auseinanderreissen _...

(Aus »La Belle et la Bête«, erschienen bei J. B. Janin, Paris)
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Kinder des Olymp Les Enfants du Paradis (Zurück zu
Produktion: Pathé, Frankreich, 1944; Regie: Marcel Carné; Buch: Jacques Prévert; Kamera: Roger Hubert; Musik: Joseph Kosma; Darsteller: Pierre Brasseur, Arletty, Jean Louis Barrault, Pierre Renoir.
Dieser Film führt in die Welt des Theaters im Paris um 1850. Seine Menschen sind Komödianten, die sich von den Tollheiten des Zeitalters, den Revolutionen und den kleinen Affären einfangen und treiben lassen. Baptiste, der stille Schwärmer, und Frederic, ein robuster Draufgänger, zeigen etwas vom Leid aller Harlekine, deren Tragik darin besteht, selbst in äusserster Niedergeschlagenheit verpflichtet zu sein, die Menschen lachen zu machen, dann zu spassen und Possen zu reissen, wenn man sich in Traurigkeit verkriechen möchte. Beide lieben das gleiche Mädchen, Garance, und wenn sie auf den bunten Brettern ihres Gauklertheaters stehen, sind alle Schnurren und Schelmereien nur Kampf um eine Frau. Baptiste unterliegt in diesem Kampf dem vitalen Frederic. Garance, nun Gattin Frederics, kann Baptiste nie vergessen, und als die beiden umrubelten Gaukler nach vielen Jahren wieder einmal gemeinsam auf der Bühne stehen, erwacht in ihr wieder die Liebe zu Baptiste. Die Entscheidung für sie ist schwer: Sie flieht vor sich und ihrem Gefühl, um dem Kinde Baptistes nicht die Eltern zu nehmen. Und während Garance im Trubel des Jahrmarktes ihre Zuneigung zu Baptiste zu ertränken sucht, hastet dieser rufend und suchend der geliebten Frau nach, ohne sie zu erreichen.
»Les Enfants du Paradis« ist das romantische Epos des französischen Films, die Liebesgeschichte verknüpft sich mit der ästhetischen Auseinandersetzung zwischen Pantomime- und Sprechtheater. Carné hat diese Themen meisterhaft miteinander verflochten, das Persönliche auf das Niveau des Allgemeingültigen transponiert. Seine Beherrschung aller filmischen Mittel, die straffe Lenkung der Schauspieler und die Handlung an sich machen es dem Zuschauer schwer, sich entweder für das »Was« der Story oder das filmische »Wie« der Realisation zu entscheiden.
Manche Kritiker waren der Meinung, dass der Film sich von der Verlockung des Optischen, das sehr lange als das eigentliche Gebiet des Filmes galt, zugunsten des Dialogs, der Handlung frei gemacht habe, dass Bildwirkung und Bildfolge zu einem rein nebensächlichen Moment geworden seien. Wer Carnés Film, der in der französischen Originalfassung eine Länge von fast 3 Stunden besitzt, jedoch unter Berücksichtigung aller Massstäbe betrachtet, wird zu der Erkenntnis kommen, dass es Carné mit »Les Enfants du Paradis« gelungen ist, Bild und Handlung meisterhaft zu integrieren. Man kann sich nicht für eines der beiden Stilmittel entscheiden, ohne dem Film und seinem Regisseur unrecht zu tun.       wv
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Hallelujah Hallaluya
Produktion: MGM, USA, 1951; Regie: King Vidor; Darsteller: Daniel Haynes, Nina McKenny.
Der Süden der USA mit seinen Baumwollfeldern, seinen staubigen, von der Glut der Sonne verbrannten Städten und seinen Menschen bildet den Hintergrund für einen Film, der sprachlos macht. »Hallelujah« spielt unter Negern. Er ist mit seiner Intensität die einzige gültige filmische Aussage über Leben und Kultur der Afro-Amerikaner. Nachher entstandene Filme wie »Carmen Jones« oder »Porgy und Bess« muten wie glatte, zivilisierte Nachahmungen an.
Negro Spiritual und Jazz sind die Basis einer Geschichte von symbolträchtiger Einfachheit: Der Neger Zeke, der mit seinem Bruder in die Stadt gefahren ist, um die Baumwollernte für seine Familie zu verkaufen, gerät in die Fänge des Lasters. Er verspielt das Geld, das er für seine Baumwolle bekommen hat, tötet seinen Bruder. Von Reue ergriffen, wird er Wanderprediger: ein Mann in einer Mönchskutte, der auf einem Esel durch die Städte des Südens zieht, um die Menschen zu bekehren. Zeke scheint in seinem nur Gott geweihten Leben aufzugehen, doch eines Tages verfällt er wieder der Versuchung. Er tötet einen Menschen. Nachdem er seine Tat gesühnt hat, kehrt er wieder zu seiner Familie zurück, die eine kleine Baumwollfarm irgendwo am Mississippi besitzt.
Diese Geschichte, so extrem auch die Spannungen sind, die die Menschen treiben - Leben, Tod, unermessliche Freude und tiefe Traurigkeit wechseln einander leitmotivisch ab -, hat etwas Urmenschliches in sich: den Kampf zwischen Gut und Böse. Durch die tiefe, ursprüngliche Religiosität, die die Menschen besitzen, weitet sich dieser Kampf ins Religiöse aus. Die Gestalten des Lasters sind die Helfershelfer der Hölle. Familie, Freunde und die einfache Liebe eines Mädchens sind die Boten des Himmels. Die Handlung wird durch eine Kette von Ekstasen beherrscht. Jeder Wechsel, jede Wandlung im Leben Zekes kündet sich in Ekstase an. Einer der ersten Höhepunkte dieses leidenschaftlichen Ringens ist das Gleichnis, das Zeke als Prediger in einer Kirche vorträgt: Zwei Züge fahren durch die Welt, einer zur Hölle und einer zum Himmel. Der Prediger hat sich eine Zugführermütze aufgesetzt, er ruft die Stationen aus, fordert die Menschen zur Umkehr auf. Rhythmische Untermalung durch Klatschen, Gesang, die Intensität der Anrufungen führen die Menschen zur Ekstase. Die Körper schwingen im Rhythmus der Gesänge, die Gesichter in Schweiss gebadet, Augen, die nichts Diesseitiges an sich haben. Derartige Sequenzen letzter menschlicher Inbrunst gibt es mehrere in diesem Film, der als eine Parabel menschlichen Daseins schlechthin zu gelten hat.
»Hallelujah« wurde von King Vidor geschaffen, einem Regisseur, der seinen Filmen dadurch moralischen und künstlerischen Wert gab, dass er nie die sozialen Probleme aus den Augen verlor - auch dann nicht, als seine Empfindungen sich an billigem Pathos zu verlieren drohten.
Die Kameraführung dieses Films ist bestechend in ihrer Beweglichkeit. Sie verdichtet, was die ausgezeichneten Schauspieler und die milieugerechten Kulissen, was Musik und der über allem schwebende Rhythmus, der das Leben ordnet, zu zeigen versuchen: das ursprüngliche Erlebnis der Gewalten, die unsere Existenz bestimmen.       wv
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Pläsier Plaisir
Produktion: Stera und CCFC, Frankreich, 1951; Regie: Max Ophüls; Buch: Jacques Natanson und Max Ophüls nach drei Novellen von Guy de Maupassant; Kamera: Christian Matras, Philip Agostini, Alain Douarinou; Musik: Joe Hajos; Darsteller: Claude Dauphin, Gaby Morlay, Madeleine Renaud, Danielle Darrieux, Jean Gabin, Pierre Brasseur, Daniel Gelin, Simone Simon, Jean Servais.
Max Ophüls: Dem Pläsier zum Geleit
In der internationalen Gesetzlosigkeit der Filmindustrie gibt es ein Gesetz, das man leider nicht aufhört zu respektieren: das Gesetz der Serie. Autoren, Schauspieler und Regisseure haben es schwer, sich ihm zu entziehen.
Nach »Reigen« kamen an mich nur Angebote für Episodenfilme heran. Die Konfektionäre unserer Industrie schickten mir fast ausschliesslich extra angefertigte »pikante« oder »galante« Sujets ins Haus. Wenn immer ein Projekt sich um ein Schlafzimmer drehte und im Schlafzimmer um ein Bett, kam es mit ziemlicher Sicherheit auf mich zu.
»Also, wenn Sie das nicht machen wollen, was denn sonst?« fragte mich eines Tages ein verständnisvoller Produzent, ein seltener. Ich meinte, wenn es schon Kurzgeschichten sein sollten, dann wüsste ich nicht, warum man an einem Gründer dieser literarischen Form so oft vorbeigeht, an einem, ohne den dieser Literaturzweig nicht denkbar ist - an Guy de Maupassant, von dem Arthur Schnitzler, Stefan Zweig und Sommerset Maugham und z.B. die ganze heutige amerikanische Shortstory-Literatur gelernt haben.
»Gut«, sagte der Produzent, »dann suchen Sie sich ein paar von seinen Geschichten heraus; solche, die Sie besonders gern haben, und fassen sie in einem Film zusammen.«
Er war wie ich ein grosser Verehrer von Guy de Maupassant. Ich bewundere in dessen Werken die dichterische Beobachtungskraft, die sich unbekümmert um jeden Effekt treiben lässt in Widersprüche, ins Phantastische oder in brutale Wirklichkeiten. Ich bewundere die Grosszügigkeit seiner Arbeiten. Wie viele seiner Kollegen spinnen eine Geschichte zu einem bändelangen Roman aus, die er auf wenige Seiten zu beschränken weiss-. Die optische Präzision seiner Gestaltung lässt mich vermuten, dass er Filme schreiben würde, lebte er heutzutage _...
Die drei Geschichten - »Die Maske«, »Das Haus Tellier« und »Das Modell« - sind Etappen auf Maupassants Weg. In der Verehrung für den Dichter haben wir den drei Geschichten so sehr wie möglich ihre Originalform gelassen. Wir haben versucht, nicht ihre Proportionen zu ändern, wir haben sie nicht »ausgeweitet«, und wir haben sie nicht »konzentriert«. Jede einzelne dauert ungefähr so lange, wie man sie liest. Wir haben sie nicht »dramatisiert«, wir haben sie episch gelassen.
Dort, wo Maupassant keine Szenen geschrieben hat, haben wir nicht versucht, Szenen zu erfinden, dort, wo er beschreibt, bleibt der Film beschreibend. Maupassants Originalschilderungen kommentieren den Film. Wir haben es uns so gedacht, als sässe er selbst im Kino und lese uns seine Geschichten vor. Jacques Natanson hat beinahe nirgendwo eigene Dialoge eingefügt, hat nur immer Maupassantsche Texte da bearbeitet, wo es uns unumgänglich schien.
Dann sahen wir uns nach der Besetzung um. Unter den französischen Schauspielern brachten wir alle die zusammen, die daran glauben, dass es sich lohnt, in unserem Beruf einem Dichter zu dienen, und die sich freuen, einmal eine kleine Rolle zu spielen und nicht Star zu sein, wenn man sich zu einem Ensemble zusammenfügen kann. So spielt Pierre Brasseur den Handlungsreisenden Ledentu, der nur knapp drei Minuten im Film erscheint, weil er diese Maupassantsche Figur liebt; so hat Danielle Darrieux die Rosa geliebt, Jean Gabin den Herrn Rivet, Gaby Morlay die alte Frau - so haben alle Stars ihre Episodenfigur geliebt, weil sie Maupassant lieben - - - -
Mir hat einmal jemand gesagt: »Filme sehen immer so aus, wie sie zustande gekommen sind.« So ist »Pläsier« zustande gekommen. Hoffentlich sieht es so aus, hoffentlich merkt man es ihm an.
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Eine wunderbare Liebe L' Etrange Desir de Monsieur Bard
Produktion: M. G. C. und A. G. D. C, Frankreich, 1953; Regie: Geza Radvany; Kamera: Burel; Darsteller: Michel Simon, Yves Deniand, Geneviève Page, Henri Gremieux.
Monsieur Bard (Michel Simon) hat einen seltsamen Wunsch, es ist schon mehr ein Ansinnen, ein Begehren. Durch ein Ereignis, bei dem grosses Glück neben grossem Unglück steht, wird er ein reicher Mann. Er hofft dadurch in der Lage zu sein, Glück empfinden und geben zu können. Er will sich eine Frau kaufen. Es muss eine schöne Frau sein, und sie soll ihm ein Kind gebären, ein kleines, süsses Wesen, dem er all seine Liebe schenken kann und das all seine Liebe verdient. - Monsieur Bard möchte aus tiefstem Herzen glücklich sein.
Beruflich hat er sein ganzes Leben als Bus-Chauffeur für das Casino in Monte Carlo hinter dem Steuer verbracht - bis es nicht mehr ging. Der Arzt stellt ein schweres Herzleiden bei Monsieur Bard fest. Er muss seinen Beruf aufgeben und sich pensionieren lassen. Privat ist er ein Gefangener im Kreis einer raffgierigen, spiesserischen Krämerfamilie. Er wird nie aus den Augen gelassen. Er wird als Last empfunden »_... er ist hässlich, er ist nicht verheiratet, er verdient nicht genug.«
Monsieur Bard ist einsam wie viele Menschen heute. Monsieur Bard hat Nachteile, er ist unvollkommen wie alle seit jeher. Er ist keiner jener modernen Menschen mit aufgepeitschtem Empfinden für eine übersteigerte Problematik. Sein Denken, sein Leben verlaufen in konventionellen Grenzen, aber er hat einen stark und individuell geprägten Charakter, eine Besonderheit, die ihn heutzutage von vielen Menschen positiv abhebt.
Es ist eine ganz unbedeutende Situation, ein alltägliches Ereignis, aus der die Handlung des Films entwickelt Wird. Erstaunlich ist es, zu sehen, wie gerade diese alltäglichen Geschehnisse durch eine künstlerische Gestaltung einen hohen Grad an Allgemeingültigkeit erhalten. Das reale Geschehen wird zum Kunstwerk, zum für uns Gültigen, Wissenswerten geformt.
Die Problematik, die für uns sichtbar wird, zeigt uns Grundübel unserer Zeit: die Einsamkeit des einzelnen Menschen, das mangelnde Verständnis und Entgegenkommen der Menschen untereinander, das Misstrauen dem Besonderen, Ausgefallenen gegenüber, ein Misstrauen, das auf falscher oder manipulierter Aufnahme der Geschehnisse beruht, auf falscher Reflexion, auf dem Hang zum so bequemen Althergebrachten.
Es ist eine besondere Leistung des Regisseurs, dass er diese Problematik zu einem sehr liebenswürdigen Film verarbeitet hat. Die Nebenfiguren, die ausgezeichnete schauspielerische Leistungen bieten, sind ihrer Bedeutung entsprechend um die Hauptfigur des Monsieur Bard gruppiert und heben diese hervor. Drehbuch, Regie und Kamera liefern köstliche Szenen, die von einem tiefen Humor erfüllt sind. Sehr beachtenswert ist die - trotz des vergnüglich-problematischen Charakters des Filmes - sehr realistische Kameraführung. Gerade diese Aufnahmetechnik harmoniert jedoch mit dem sehr skurrilen und absonderlichen Text des Drehbuches, das uns den Teil der Realität wiedergibt, den wir meistens übersehen. Die Kamera verhilft auch dazu, dass die sehr stark ausgebildete Rolle des Monsieur Bard, die noch dazu mit Michel Simon ausgezeichnet und sehr vital besetzt ist, die übrigen Rollen nicht erdrückt. Durch die Regie Radvanys sind einige recht sentimentale Stellen in den Film gekommen, Szenen, die im Stil schon die Richtung seiner späteren Arbeiten andeuten. Glanzvoll ist jedoch der Rahmen dieser seltsamen Geschichte. Sie führt in die Stimmung ein, in der der Film anzusehen ist, melancholisch, etwas absonderlich und voll tiefen Humors. Sie deutet jedoch auch die vielen versteckten Probleme an, über die der Film lächelnd hinwegstreift, ohne sie zu sehr zu analysieren.       ma.
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Immer wenn das Licht ausgeht Pot-Bouille
Produktion: Robert und Raymond Hakim, Frankreich, 1957; Buch: Julien Duvivier; Regie: Julien Duvivier; Kamera: Michel Kelber; Musik: Jean Wiener; Darsteller: Gérard Philipe, Danielle Darrieux, Dany Carrel, Jacques Duby, Anouk Aimée, Jane Marken, Henri Vilbert, Claude Nollier, Jean Brochard, Danielle Dumont, Jacques Grello, Micheline Luccioni, Olivier Hussenot, Michèle Grellier, Georges Cusin.
Der junge Octave Mouret kommt aus der Provinz, wo er seine Lehre im Tuchhandel absolviert hat, nach Paris, um dort sein Glück zu machen. Er besitzt alle dazu notwendigen Eigenschaften; er ist klug, geistvoll, charmant, hat Erfolg bei den Frauen und bleibt bei allem stets ein kühler, rücksichtsloser Rechner.
Bei Freunden seiner Familie findet er Aufnahme und beginnt in diesem Hause gleich, das Verbum »lieben« auf seine Weise zu konjugieren:
ich liebe im 1. Stock,
ich liebe im 2. Stock,
ich liebe im 3. Stock _...
Das Höchstmass seiner Fähigkeiten zeigt er, wenn es heisst, den Verheiratungsplänen der Mütter aus dem Wege zu gehen.
Durch Beziehungen seiner Gastgeber findet er eine Stellung bei Madame Hédouin, die die renommierte Stoffhandlung »Das Paradies der Damen« betreibt, doch leider den Fehler begeht, das hartnäckige Liebeswerben ihres Angestellten kühl zurückzuweisen.
So muss sie zusehen, wie der fähige junge Mann zur Konkurrenz übergeht und auch einen grossen Teil der Kundschaft mitnimmt. Hier findet er ein geeigneteres Objekt seiner amourösen Abenteuer in der jungen und hübschen Gattin seines neuen Chefs. Doch nach allen Abenteuern findet er schliesslich zu der verwitweten Madame Hédouin zurück, die ihm eine ebenbürtige Gegnerin für die Ehe wird.
»Pot-Bouille« ist der 10. Band aus Zolas zwanzigteiligem »Rougon-Macquart«. Deutsche Übersetzer gaben ihm die Titel »Der häusliche Herd«, »Ein sittsam Heim«, »Am Kochherd« und »Vordertreppenroman«. Duvivier hat, wie er selbst sagt, »den Roman mit all seinen Episoden vergessen, um dafür die Charaktere der Personen klarer herausarbeiten zu können«. So ist die filmische Gestaltung dieses Stoffes keineswegs vorlagegetreu, wollte es auch nie sein. Aus dem schweren Zolaschen Grabgesang wurde eine beschwingte, heitercharmante Satire.       fl.
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Ein Schatten der Vergangenheit Un Revenant
Produktion: CCFC, Frankreich, 1946; Regie: Christian Jacques; Buch: Henri Jeanson; Kamera: Denis Page; Musik: Arthur Honegger; Choreographie: Tatjana Gsovsky; Darsteller: Louis Jouvet, Gaby Morlay, Francois Périer, Maguerite Moréno, Ludmilla Tscherina, Jean Brochard, Arthur Honegger.
Einer ist zurückgekehrt. Nach zwanzig Jahren kommt er wieder in die Stadt seiner Jugend, um Abrechnung zu halten. Abrechnung mit dem, was gewesen: mit der Frau, die ihn verriet, mit dem Bruder der Frau, die ihn in die Falle lockte und niederschoss, und nicht zuletzt mit seinem eigenen Bruder, der dies eingefädelt hatte, um selbst die Frau heiraten zu können. Zwanzig Jahre lang hatte der sie ins Bett seiner Niedertracht gezogen, zwanzig Jahre lang hatte sie für dies biedere Spiessbürger-Bett ihre Gefühle verkauft. Und die Kamera leuchtet hinein in diese faule Welt der verlogenen Gefühle, in die Gesichter der von Habsucht und Unmoral abgenutzten, glatzköpfigen Bourgeoisie; in die modrig-dumpfe Atmosphäre eines selbstgefälligen Mittelmasses. Nach zwanzig Jahren kommt einer zurück - an das Grab seines eigenen Ichs. Denn er musste, wie er sagt, den »Umweg über die eigene Jugendzeit machen, um die Wahrheit eines Melodrams zu erkennen«. Die Wunde, die man ihm schoss, ist vernarbt - auch die seiner Seele. Aber hart ist er geworden, frei von der Last der falschen Illusionen, ungläubig gegen jedes Gefühl. Louis Jouvet ist dieser bittere Verächter, der die makabre bürgerliche Wirklichkeit bis in ihre letzten Winkel und Ausflüchte durchschaut. Nur den Sohn seiner einstigen Geliebten nimmt er fort, nimmt ihn in den Kreis seiner kühlen Selbstbeherrschung zu sich. Und alles geht vorbei im Leben; geht vorbei, wie die Papierschnitzel des Briefs seiner Geliebten vom Winde verwehen. Und diese Rolle des Skeptikers treibt Jouvet, anfangs vom Anhauch der Erinnerungen zu einem leisen Sentiment hingeführt, durch alle Stadien der Melancholie, des Grams und des Zynismus bis zu seinem resignierend nihilistischen Ausklang.
Es ist ein dichterischer Film: dichterisch fast noch mehr vom Drehbuch her als von der Regie. Wie poetisch ist allein schon jener Rundblick Jouvets durch das Zimmer des Sohnes, wenn seine monoton über dem Bild liegende Stimme aus den verstreuten Gegenständen den Charakter des Menschen abliest, der sie benutzt. Wie präzis, wie klar, wie illusionslos logisch ist das alles gesagt und gesehen. Und die Darsteller sind jeder Individuum und Typ zugleich: Gaby Morlay als die etwas dümmliche Spiessersgattin, Maguerite Moréno als die alte Tante, die kalte Schönheit von Ludmilla Tscherina als kleines Luderchen von Tänzerin und Francois Périer in einer grandios gestalteten Charakterrolle als junger Mann, der an seiner ersten Liebesenttäuschung beinahe zerbricht. Jeder der Darsteller, auch der kleinsten Rolle, verdiente eigentlich ein Sonderlob.
Ausserordentlich auch die Musik, die nicht nur dekorative Züge trägt, sondern auch selbst zu fast psycho-neurotischen Suggestivwirkungen kommt. Die Ballettmusik vor allem ist rhythmisch wie auch melodisch ein Glanzstück. Ein Dichter hatte das Szenario geschrieben, ein Komponist vom Range Honeggers die Musik. Dann eben kann aber auch ein Film wie dieser entstehen: ein filmisches Meisterwerk.       Ulrich Seelmann-Eggebert
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Die junge Irre La Jeune Folie
Produktion: Hoche, Frankreich, 1952; Regie: Yves Allégret; Buch: Cathérine Beauchamp; Bearbeitung und Dialoge: Jacques Sigurd; Kamera: Roger Hubert; Musik: Paul Misraki; Darsteller: Danièle Delorme, Henri Vidal, Nicola Vogel, Maurice Ronet, Jean Debucourt, Gabrielle Fontan, Jacqueline Porel, Olivier Hussenot.
Ein Aschenputtel mit verwirrtem Geist und überwachter Seele, blind und hellsichtig zugleich, Dienstmagd in einem irischen Kloster, fährt nach Dublin, um den geliebten Bruder zu suchen. Der wurde von den Rebellen als Verräter heimlich erschossen. Ahnungslos schenkt das Mädchen seine Zuneigung dem Freund des Bruders, seinem Mörder. Ein geheimnisvoller Mann missbraucht ihren schwachen Geist, als sie den Mord am Bruder rächen will, und lenkt ihren Rachesinn in politischer Absicht auf den Polizeiminister. Um sie vor der dumpfen Tat zu bewahren, offenbart sich ihr der wahre Mörder, und in wilden Qualen erschiesst sie den Geliebten, indes die Verfolger durch die grauen Gassen johlen _...
Diese düstere Geschichte hat mit der irischen Revolutionszeit wenig zu tun, obwohl die Verkettung einer von Attentat und Patriotenverfolgung zerquälten Epoche Irlands der Handlung den Hintergrund gibt. Dieser Hintergrund bleibt geisterhaft, ein trübes Schattenspiel mit verschwommenen Konturen. Das Milieu der hallenden Kopfsteinpflastergassen und armseligen Kneipen, der Nebel im Morgengrauen und die Ausweglosigkeit verworrener Konflikte - diese Atmosphäre geheimnisvoller Absonderlichkeit bestimmt den Film. Und inmitten dieser intensiv fotografierten, schemenhaften Düsternis ein Drama von Schuld und tragischer Liebe, zwielichtig mit nihilistischen Gedanken spielend und dem Absurden nachträumend.       (Evang. Filmbeobachter)
Die Inszenierung ist äusserst präzis sowohl im Ablauf der Handlung als auch in den kleinsten Details der Dekorationen und Kostüme. Der triste und fast grausame Rahmen, in dem sich die Handlung entwickelt, wurde durch die Kamera Roger Huberts mit intensiver Poesie erfasst. Der Verismus von Trauners Dekorationen hinterlässt gleichermassen einen starken Eindruck. Die musikalische Partitur, die als Leitmotiv ein melancholisches, irisches Wiegenlied benützt, ist in vollster Harmonie mit dem Stil des Films.       (Cinématographie Française)
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Hotel du Nord Nordhotel

Produktion: André Paulvé, Frankreich, 1938; Regie: Marcel Carné; Buch: Jacques Prévert; Darsteller: Annabella, Louis Jouvet, Arletty, Bernard Blier, Jean-Pierre Aumont.
Gegen Ende der dreissiger Jahre stand der französische Film auf unvergleichlicher Höhe. René Clair, Jean Renoir, Julien Duvivier, Jacques Feyder sind einige der grossen Namen dieser glänzenden Epoche. Marcel Carné gelang es, 1938 mit einer »Trilogie« in die vorderste Reihe der französischen Regisseure vorzustossen. Es sind drei Filme, die eigentlich nicht mehr miteinander zu tun haben, als dass sie von gleicher dramatischer Grundstimmung und gleicher künstlerischer Intensität sind: »Quai des Brumes«, »Hotel du Nord« und »Le Jour se Lève«. Man sagt, dass Carné alle grossen Strömungen des französischen Films dieser Zeit in sich vereinigte: den Esprit Clairs, den Naturalismus Renoirs und Duviviers Hang zum Makabren.
»Wenngleich der französische Film der dreissiger Jahre durchweg einen humanistischen Standpunkt vertrat, so wurde dieser menschliche Grundton nur allzu häufig von vernichtendem Pessimismus erdrückt. Die französischen Filmschöpfer machten sogar aus der Resignation eine gefährlich-schöne Eigenschaft. Besonders Marcel Carné huldigte in seinen raffinierten Liebesdramen dem fatalistischen Gefühl der Machtlosigkeit und Ergebenheit ins Schicksal.«
Wie das Hotel du Nord an der Peripherie der Metropole liegt, so leben seine Bewohner am Rande der menschlichen Gesellschaft. Da ist das Liebespaar, das in den Tod gehen will, oder der Ganove, der sich selbst der Rache seines Gegners ausliefern will, und da ist die Prostituierte, der auch der immer häufigere Wechsel ihrer Liebhaber nicht mehr über ihre Trostlosigkeit hinweghilft. »Es kommt hier offenbar weniger darauf an, eine bestimmte, sich sittlicher Beurteilung stellende »Geschichte« zu erzählen. Vielmehr sind die krassen oder melancholischen Elemente der Handlung dem Regisseur wohl hauptsächlich ihrer reizvollen Kontrastfähigkeit willkommen, um mit ihnen ein Bild von der Freude und dem Leid des Lebens zu malen.«
Dieses Bild aber malt er gut, nicht zuletzt dank seines ausgezeichneten Mitarbeiterstabes, des straffen Drehbuches seines »Leibautoren« Jacques Prévert und der grossen Schauspielkunst eines Louis Jouvet und einer Arletty.
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Rückschau

Das Filmstudio zeigte im letzten Semester im ausserordentlichen Programm:

Der Mann im weissen Anzug. Ein Musterbeispiel englischen Humors mit Alec Guiness, dem zu der Zeit, als dieser Film gedreht wurde, noch nicht der River-Kwai-Marsch gepfiffen worden war. Ein bescheidener und begabter junger Mann macht eine grosse Erfindung, eine völlig unzerstörbare Faser. Aber er scheitert an den Bemühungen derer, die befürchten, dass diese Erfindung die ganze Textilindustrie lahmlegen würde. Dieser Film geht den Gerüchten auf den Grund, die behaupten, dass in den Tresoren der grossen Industriekonzerne das »ewige Streichholz« und die »immer scharfe Rasierklinge« schon seit Jahren schlummern.

The Golden Age of Comedy gab einen gut zusammengestellten Querschnitt durch jene Stilgattung, die Amerikas grosser Beitrag zur Stummfilmkunst darstellt. Das Filmstudio verzichtete auf den unterlegten Kommentar, um den Streifen in Originalgeschwindigkeit (16 Bilder/sec) vorführen zu können. Vielleicht hätte dieser Kommentar erklärt, ob man das »Mac-Carthy-Opfer« Chaplin deshalb nicht berüchsichtigt hat, weil er diesen »Slapstick-Klamotten« künstlerisch zu sehr überlegen, oder deshalb, weil er in den Staaten nicht mehr sehr gefragt ist.

Das Filmstudio delegierte eine Abordnung zu den Westdeutschen Kurzfilmtagen in Oberhausen. Man konnte hier einen sehr guten Einblick in den gegenwärtigen Stand des internationalen Kurzfilmschaffens erhalten, überraschend war die Originalität der Trickfilme aus den Ländern hinter dem Eisernen Vorhang. Obwohl die Beschaffung dieser Filme nicht immer leicht ist, wird sich dieser Besuch schon bald im Vorprogramm des Filmstudios bemerkbar machen. Eine Sondervorstellung mit Filmen junger deutscher Kurzfilmregisseure plant das Filmstudio schon für den Anfang des laufenden Semesters.

Die Woche des asiatischen Films fand vom 19. bis zum 29. April in Frankfurt am Main statt. Die Anregung zu dieser Veranstaltung ging von Frau Kähnert (Locarno) aus, Expertin auf dem Gebiet des ostasiatischen Films. Mit grosser Mühe war ein Programm zusammengestellt worden, das in der festivalfremden Stadt Frankfurt einen überraschenden Zuspruch erhielt. Da es nach dem Willen der Veranstalter mehr eine Lehrschau des Lebens und der Vielfalt der asiatischen Völker als ein Festival sein sollte, war die Auswahl des Programms den einzelnen Ländern überlassen worden. Wenn man auch bei manchem Film den Eindruck hatte, er sei für das Ausland gedreht worden, so zeigte das Programm im ganzen doch sehr gut, welche grosse Rolle der Film als Bildungsmittel diesseits und jenseits des Bambusvorhangs spielt. Ein genaues Urteil über »den« asiatischen Film ist nach diesen Proben nicht möglich, wenn man auch einige gemeinsame Gestaltungselemente, wie ein langsamer Schnitt, gradlinige Handlungsführung, gute Photographie bei sparsamer Kamerabewegung und feinfühlige Behandlung der Farben, feststellen konnte. Es ist zu hoffen, dass ähnliche Veranstaltungen auch in Zukunft in Frankfurt einen guten Platz finden werden.

Das Filmstudio plant für das Sommersemester wieder einen Schmalfilmkurs und zusätzlich ein Filmkolloquium. Beide Arbeitsgruppen sind hauptsächlich für aktive Mitarbeiter des Filmstudios gedacht. Es kann jedoch noch ausserdem eine beschränkte Anzahl Teilnehmer zugelassen werden. Auskunft erteilt die Geschäftsstelle.
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