Vorwort | Filmdaten bis 1920 | Filmdaten ab 1920 | Filmdaten noch nicht hier | Nicht-Filmdaten |
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Filmstudio Heft 22, August-Oktober 1957
Inhalt
Einige Bemerkungen über den Film der dreissiger Jahre
Film-Seminar
Bissiges über Filmisches
Kleider machen Leute
Auf Wiedersehen, Franziska!
Friedemann Bach
Dreyfus
Unheimliche Geschichten
Der Choral von Leuthen
Maskerade
Das unsterbliche Herz
Ein Leben lang
Das Testament des Dr. Mabuse
The Cinema is an art. It is the first and only new art form to be discovered by man within recorded history. He could not have discovered it earlier because it is the child of the industrial revolution. It is the one positive creative discovery of the machine age, for it depends for its existence on machinery, chemical processes and electricity. It is an art because it represents the end of that quest for representation of life in movement which began when the cave men of Altamira painted leaping figures on the walls of their caverns. Despite the sound track, it is an art because it is visual. Basil Wright
Einige Bemerkungen über den Film der dreissiger Jahre
Nachdem der deutsche Film vor 1914 und auch während des ersten Weltkrieges im Schatten der amerikanischen, französischen, italienischen und skandinavischen Produktionen ein ziemlich kümmerliches Dasein gefristet hatte, erlangte er in der Nachkriegszeit Weltgeltung. Sein internationaler Ruhm wurde begründet mit dem 1919 gedrehten expressionistischen Werk "Das Kabinett des Doktor Caligari" von Dr. Robert Wiene, das einen sensationellen Erfolg hatte und viele Nachahmer fand, von denen jedoch keiner das künstlerische Niveau und die Aussagekraft des Vorbildes erreichte. Als der Expressionismus allmählich ausklang, entstand in Deutschland eine neue Filmgattung: der realistische Kammerspielfilm, dessen bedeutendste Werke Friedrich W. Murnaus "Der letzte Mann" und Lupu Picks "Sylvester" waren. Zwischen diesen beiden Polen, dem hemmungslos Phantastischen und der genau beobachteten Realität bewegt sich der deutsche Film seither, und diese Polarität ist für den genauen Beobachter bis auf den heutigen Tag zu erkennen. Dagegen hatte die deutsche Filmavantgarde, die in den späten Zwanziger Jahren ihre Blüte erlebte, nur einen geringen Einfluss.
Die Machtübernahme durch den Nationalsozialismus 1933 schuf einen radikalen Wandel auch auf kulturellem Gebiet. Dr. Goebbels, der ein ebenso skrupelloser Politiker wie vorzüglicher Psychologe war, kannte den Einfluss des Films auf das Volk und zögerte keinen Augenblick, den Film zum wichtigsten Propagandamittel der NS-Politik zu machen. Alle Filme, die der Richtung der Partei nicht entsprachen - und das waren sehr viele - wurden aus dem Verleih gezogen; allen Regisseuren wurde befohlen, sich der neuen Linie unterzuordnen und keine "entartete Kunst" mehr zu produzieren; und alle Filmkünstler jüdischer Abstammung wurden mit einem totalen Arbeitsverbot belegt. Diese Anordnungen hatten zur Folge, dass die meisten bedeutenden Filmschaffenden Deutschland verliessen - entweder weil sie Juden waren, oder weil sie sich der Vergewaltigung ihrer künstlerischen Freiheit nicht unterwerfen wollten.
Es emigrierten damals u. a.
Die Regisseure: Ludwig Berger; Kurt Bernhardt; Wilhelm Dieterle; Ewald
André Dupont; Oskar Fischinger; Fritz Lang; Paul Leni; Max Reinhardt;
Slatan Dudow; Hans Richter; Robert Siodmak
die Produzenten: Heinz Blancke; Erich Pommer
die Autoren: Berthold Viertel; Billy Wilder
die Kameramänner: Karl Freund; Franz Planer; Eugen Schüfftan
die Komponisten: Friedrich Holländer; Franz Waxmann
die Schauspieler: Fritz Kortner; Peter Lorre; Conrad Veidt
Dass diese Massenemigration bedeutender Filmkünstler einen empfindlichen Substanzverlust für den deutschen Film bedeutete, war den verantwortlichen Leuten im "Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda" und vor allem auch Goebbels natürlich klar. Aber sie wussten auch, dass noch genug renommierte Filmschaffende in Deutschland geblieben waren, die sich entweder dem neuen Regime verschrieben wie Veit Harlan, Karl Ritter und andere, oder aber die, völlig unpolitisch, dem Nationalsozialismus gleichgültig gegenüberstanden und der Regierung ungefährlich erschienen, wie Dr. Arnold Fanck, Willy Forst Werner Hochbaum und Curt Goetz. Ausserdem gelang es im Lauf der Zeit einigen jungen begabten Regisseuren, sich in die Reihe der grossen Filmkünstler zu stellen, deren bekannteste Helmut Käutner und Wolfgang Liebeneiner wurden.
Diesen jungen Talenten und den "Unpolitischen" ist es zu verdanken, dass neben einer Überfülle von Tendenzwerken, die meist als "unpolitische Unterhaltungsfilme" vorzüglich getarnt waren und die Meinung des Volkes "aufweichten" und dem Regime gefügig machten, auch Werke entstanden, die abseits von Politik und Propaganda künstlerisch und menschlich wertvolle Themen und Probleme gestalteten.
Es darf nicht übersehen werden, dass diese bewusste Wendung zu unpolitischen Themen in einer Zeit der totalen Erfassung der Menschen durch das Regime, eine hochpolitische Handlung darstellte und deutliche Opposition war An leitender Stelle erkannte man das sehr bald, und während man die »echten Unpolitischen", wie z. B. Dr. Fanck und Werner Hochbaum, ziemlich in Ruhe liess richtete Goebbels sein Augenmerk um so genauer auf die Regisseure, die sich allzu betont mit "rein künstlerischen" oder "rein menschlichen Themen befassten. Vor allem Curt Goetz und später Helmut Käutner wurden mit deutlichem Misstrauen beobachtet und konnten manchmal nur mit viel Glück einem Verbot ihrer Filme entgehen. Aber das Glück blieb ihnen nicht immer treu. Bei Kriegsausbruch wurde Goetz' charmante Filmkomödie "Napoleon ist an allem schuld" ein Opfer der Zensur, obwohl sie bereits ein Jahr zuvor gedreht und unbeanstandet aufgeführt worden war. Nun aber entdeckten die Zensoren eine überaus anzügliche Dialogstelle, die das entzückte Publikum zu Begeisterungsstürmen hinriss, und die 1939 bittere Aktualität gewonnen hatte. Während des Krieges lief die Propagandamaschine auf vollen Touren. Eine Flut patriotischer Filme wie "Stukas", "U-Boote westwärts" und dokumentarische Montagefilme von Kriegshandlungen überschwemmten das Land; ausserdem wurden Filme innenpolitischer und aussenpolitischer Tendenz, sowie historische und biographische Filme über "grosse Deutsche in grosser Zahl gedreht. "Jud Süss", "Der grosse König" und "Kolberg" von Veit Harlan "Ohm Krüger" von Hans Steinhoff und "Andreas Schlüter" von Herbert Maisch sind die wichtigsten Werke der NS-Propaganda während des Krieges. Käutners "Grosse Freiheit Nr. 7" wurde 1944 sofort nach der Fertigstellung verboten, sein meisterhafter Kammerspielfilm "Unter den Brücken" kam erst nach dem Kriege zur Aufführung.
Der deutsche Film nach 1945 nahm einen verheissungsvollen Aufschwung. "In
jenen Tagen", "Der Apfel ist ab" von Helmut Käutner, "Ehe im Schatten"
von Kurt Maetzig, "Affaire Blum" von Erich Engel und "Lang ist der Weg"
von Herbert B. Fredersdorf führten die grosse Tradition des deutschen
Films weiter Mit der Währungsreform jedoch wurde dieser hoffnungsvolle
Beginn brutal qestoppt Der Kommerzialismus regierte, und eine Flut
billigster und seichtester Unterhaltungsschmarren einerseits und
verquollener und von falschem Pathos triefender Pseudoproblemfilme
andererseits wurde auf das Publikum losgelassen. Die Plattitüde und der
verlogene "Seelenknatsch" triumphierten, und nur ganz vereinzelt ragten
einige anspruchsvolle Filme aus dieser trüben Flut heraus. Erst in
allerjüngster Zeit zeigen sich wieder neue Ansätze, die hoffen lassen,
dass der deutsche Film sich auf seine grosse Vergangenheit besinnt und
sich wieder zu der Höhe aufschwingt, die er einst aufwies, und da« er
wieder Werke von künstlerischer Qualität hervorbringt, wie jene, die ihm
einmal Weltruhm eingebracht hatten. Elisabeth B. Meyer
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Bissiges
G. B. S. wurde gebeten, sich über den künstlerischen Wert des Films im allgemeinen zu äussern.
Nach einigem Nachdenken antwortete er: "Der Film könnte ein Kunstwerk werden, wenn man das Bild ganz wegliesse und nur die Untertitel brächte."
Antwort eines Film-Stars: Was bedeutet autonom? - Die Wagenfarbe passend zum Nerzmantel!
Wenn man einen Körper ausdehnt, verringert man notwendig seine Tiefe. (Urteil anlässlich der Einführung von Cinemascope.)
Antwort eines erfolgreichen Produzenten, ob er sich nach seinem 17. Heimatfilm nicht einem anspruchsvolleren Genre zuwenden wolle.
"Nein, nie! Man kann alles verkaufen, alles, und sei es noch so grosser
Mist, nur keine Kunst.
Alle Gesellschaftsschichten sind sich einig, dass Kunst etwas ist, was
man eigentlich umsonst bekommen müsste."
Und nochmals G. B. S.
Er erhielt von einer bekannten millionenschweren Filmschauspielerin ein
Heiratsangebot.
Er lehnte ab.
Sie liess nicht locker: "Denken Sie nur an das Kind. Meine Schönheit und
Ihr Geist." Shaw drahtete: "Lehne wieder ab. Es wäre furchtbar für das
Kind, wenn der umgekehrte Fall eintreten würde."
Es braust ein Ruf wie Donnerhall _...
Die Amerikaner, die ungekrönten Meister der Statistik, haben die
(angeblich) zehn erregendsten Geräusche des Tonfilms zusammengestellt.
Hier sind sie:
1. Hochzeitsmarsch
2. Brandungsdonner
3. Pferdegaloppieren
4. Sirenenheulen
5. Waldbrandprasseln
6. Babyweinen
7. Nebelhornblasen
8. Wassertropfen langsam fallend
9. Lokomotivpfeifen
10. Hundejaulen
Nun stellen Sie bitte nach Ihrem nächsten Kinobesuch fest, ob Sie auch
erregt wurden!
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Leitung: Günter P. Schölzel
Hauptthema: Der Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm.
Eines der interessantesten Kapitel der Filmgeschichte ist ohne Zweifel
der Sprung vom stummen Bildablauf zum tönenden. Wie bei einer jeden
Revolution wurde eine Tradition durch etwas Neues ersetzt. Wie sich
dieser Ersatz" vollzog, was dabei zerschlagen werden musste, was neu
erschaffen" wurde, und wie sich der dramatische Aufbau, die Darstellung,
die verschiedenen Stile ja die "Konzeption Film wandelte, soll anhand
von Film-Analysen gezeigt werden. Besonders günstig ist es natürlich,
wenn von einem Stoff eine Stumm- und eine Tonfilmfassung vorliegt.
Daneben wird selbstverständlich auch die technische Seite mit ihren
Problemen erörtert werden.
Übersicht über die wichtigsten Werke für die Betrachtung.
Stummfilm
1925 Varieté von Ewald André Dupont
1926 Faust von Friedrich Wilhelm Murnau
1926 Geheimnisse einer Seele von Georg Wilhelm Pabst
1926 Metropolis von Fritz Lang
1926 Der Student von Prag von Henrik Galeen
1927 Berlin, Symphonie einer
1927 Grossstadt von Walter Ruttmann
1928 Alraune von Henrik Galeen
1928 Die Büchse der Pandora von Georg Wilhelm Pabst
1928 Spione von Fritz Lang
1929 Menschen am Sonntag von Robert Siodmak
1929 Mutter Krausens Fahrt ins Glück von Piel Jutzi
Tonfilm
1929 Atlantik von Ewald André Dupont
1929 Melodie der Welt von Walter Ruttmann
1930 Alraune von Richard Oswald
1930 Der blaue Engel von Josef von Sternberg
1931 Die Dreigroschenoper von Georg Wilhelm Pabst
1931 Kameradschaft von Georg Wilhelm Pabst
1931 M (Mörder unter uns) von Fritz Lang
1932 Kuhle Wampe von Slatan Dudow
1933 Das Testament des Dr. Mabuse von Fritz Lang
Zweites Programm: Dokumentarfilme der internationalen Produktion.
Es werden weitere Streifen, vor allem aus neuerer Zeit, gezeigt und
einer kritischen Betrachtung unterzogen.
Eine spezielle Untersuchung wird sich mit der Wochenschau beschäftigen
Von besonderem Interesse dürfte hier die Analyse der vier deutschen
Wochenschauen sein, wie verschieden dieselben Ereignisse einer Woche
vermittelt werden.
Tagungsort: Zimmer 13 des Studentenhauses oder nach besonderer
Vorankündigung.
Zeit: jeweils Montag 20:00 s. t., vierzehntägig.
Beginn: 19. August 1957.
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Deutsche Tonfilm-Retrospektive bis Kriegsende
Kleider machen Leute
Produktion: Terra 1940
Spielleitung und Buch: Helmut Käutner
Musik: Bernhard Eichhorn
Kamera: Ewald Daub
Darsteller:
Heinz Rühmann: Schneider Wenzel
Hertha Feiler: Nettchen
Hans Sternberg: ihr Vater
Fritz Odemar: der Graf aus Russland
Hilde Sessak: Frl. von Serafin
Erich Ponto: der Puppenspieler
Fünfzig Jahre nach dem Tode Gottfried Kellers verfilmte die Terra die
Geschichte eines seiner "Leute von Seldwyla": Des Schneiders Wenzel, der
auszog, Arbeit zu suchen und allein auf Grund seiner äusseren Erscheinung
von den Leuten zum Grafen befördert wird. Nach anfänglichem Widerstreben
gefällt er sich in der Rolle ganz gut, bis er dann am Ende doch
einsieht, dass das, worauf er vorher so stolz war, gar nicht so wichtig
ist, zumal sein Nettchen es auch erkannt hat.
Käutner hat versucht, das Milieu der Novelle möglichst genau zu
treffen, worüber der Film zu einem Kammerspiel geworden ist, das
Atmosphäre und Darstellungskunst, aber wenig Filmkunst aufweist. Dass die
Natur zu sehr nach Atelier ausschaut, kann man leicht verschmerzen, wenn
man an die grossen Szenen - etwa den Maskentanz - denkt und ein Gefühl
dafür hat, die menschliche Wärme (nicht zuletzt in der Szene mit Ponto),
die der Film ausstrahlt, zu spüren. Bi.
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Auf Wiedersehen, Franziska!
Produktion: Terra, 1941
Regie: Helmut Käutner
Kamera: Jahn Roth
Musik: Michael Jary
Regieassistent: Rudolf Jugert
Kostümberatung: Margot Hielscher
Darsteller:
Marianne Hoppe: Franziska Tiemann
Hans Söhnker: Michael Reisiger
Fritz Odemar: Professor Tiemann
Rudolf Fernau: Dr. Christoph Leitner
Hermann Speelmanns: Bück Standing
Margot Hielscher: Helen Philips
Um einen Menschen zu verstehen, muss man seinen Werdegang kennen. So
auch bei Helmut Käutner. Käutner begann seine künstlerische Karriere
Anfang'der dreissiger Jahre am Kabarett, jener Kunstform, die beim
aktiven Mitspieler eine erhebliche Fähigkeit zur Selbstkritik
voraussetzt. So ist es auch zu verstehen, dass Käutner sich in seinem
späteren Tätigkeitsfelde, dem Filmschaffen, nicht nur mit den Problemen
des eigenen ("Des Teufels General") oder fremden Staates ("Epilog"), des
Kadavergehorsams ("Der Hauptmann von Köpenick") oder der Menschlichkeit
("Die letzte Brücke") auseinandersetzt, sondern auch mit seinem eigenen
Genre. Vor wenigen Wochen erst sahen wir seine "Zürcher Verlobung", in
der er auf heiter-ironische Art die Spielfilmproduktion bekrittelt.
In seinem 16 Jahre früher gedrehten "Auf Wiedersehen, Franziska!" ist
es die Wochenschauproduktion, die er zum Hintergrund dieser Liebes- und
Ehegeschichte macht.
Es ist wenig Platz für menschliche Gefühle im Leben des Michael
Reisiger, der als Wochenschaureporter die Welt bereist. "Überall dabei
sein können, dabei sein müssen, wo Dinge, Menschen, Weltanschauungen,
Begriffe sich auflösen und aus den Fugen gehen", das ist seine Devise.
So nimmt er denn die Hingabe Franziskas als Selbstverständlichkeit,
während es für sie mehr ist, als nur für eine Nacht ein "modernes
Mädchen" sein zu wollen. Er eilt weiter durchs Leben. Das Erlebnis mit
Franziska in Burghausen an der Salzach war für ihn genauso viel wie eine
Pause zwischen zwei Gefechten in Indochina, in der er eine neue
120-m-Rolle in seine Arriflex-Kamera einlegt. Der Beginn einer Wandlung
zeigt sich aber bei Michael, als er hört, dass Franziska Mutter wird. Er,
der angeblich längst von allen "spiessbürgerlichen" Anschauungen frei
ist, geht zu Franziskas Vater und bittet diesen um die Hand seiner
Tochter. Ja, Michael versucht sogar, sesshaft zu werden. Doch nach einem
Jahr zieht es ihn wieder hinaus. Zusammen mit seinem Freund Buck
Standing geht er in den gelben Erdteil zurück. Das, was nicht einmal
Franziska gelang, geschieht dort in China - die Läuterung Michaels. Wie
Käutner dies in seiner gekonnten Art glaubhaft macht, hiesse den Film
zerreden. - Bedauerlich ist der Schluss des Filmes, der im Zeichen des
Siegesjahres über Frankreich im zweiten Weltkrieg gedreht wurde. In
seinem Film "Ein Mädchen aus Flandern" hat Käutner inzwischen aber
gezeigt, dass er der Auffassung ist, dass der Staat nicht das Recht hat,
durch einen provozierten Krieg Menschen auseinanderzureissen. Michaels
Einberufung als PK-Mann ist demnach auch nur als "gemusster" Kotau vor
Goebbels allgewaltiger Zensurmaschine aufzufassen.
Der Film hat vom Drehbuch her viele Ansätze zu einem typischen
deutschen "Heimatfilm". Dies wäre er wohl auch geworden, wenn er von
irgendwem stammte. Doch er stammt nicht von "irgendwem", sondern von -
Helmut Käutner. Bk.
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Friedemann Bach
Produktion: Gustaf-Gründgens-Produktion der Terra (1941)
künstl. Oberleitung: Gustaf Gründgens
Regie: Traugott Müller
Kamera: Walter Pindter
musikal. Gestaltung: Mark Lothar
Drehbuch: H. Brandis; E. v. Naso;
Darsteller:
Johann Sebastian Bach: Eugen Klöpfer
Friedemann Bach: Gustaf Gründgens
ferner: Camilla Hörn; Hermine Körner; Leni Marenbach;
Paul Bildt; Gustav Knuth; Wolfgang Liebeneiner; Johannes Riemann; u. a.
Der 1941 entstandene Film hatte zwei Schwierigkeiten zu überwinden:
eine äussere, die aus der damaligen politischen Situation erwuchs; und
eine innere sujet-bedingte.
Seit einem Jahr war Krieg und war auch seine Totalität noch nicht
aktenkundig geworden, so beherrschte das Propagandaministerium doch mehr
denn je alles kulturelle Leben und hatte die Macht, jede Äusserung der
Kunst zum "Kriegsdienst" heranzuziehen. Dass der Film den Kotau
verweigerte, muss anerkannt und in Rechnung gestellt werden, wenn der
heutige Betrachter eine gewisse innere Spannungslosigkeit, die Dürre
mancher Dialoge und einige Gewaltsamkeiten im dramaturgischen Aufbau
negativ werten möchte.
Die zweite Schwierigkeit resultiert aus der Aufgabenstellung. Das
Drehbuch wurde nach einer Film-Novelle von Ludwig Metzger geschrieben,
die offensichtlich Bezug nimmt auf den "Friedemann-Bach"-Roman von
Brachvogel. Das Grundthema ergibt sich bereits aus der Wahl des Helden:
Die beliebte Variante des Generationen-Problems "Beinahe- (oder sogar:)
genialer Sohn im Schatten des grossen Vaters". Friedemann Bach - zu
eigenwillig, um des Vaters Schule fortzuführen, findet nicht die innere
Kraft - oder ist es mangelnde künstlerische Originalität? - die vom
Vater in der musikalischen Welt gesetzten Normen zu durchbrechen.
Darzustellen war also das verzweifelte innere Ringen um eigenen
Ausdruck, der äussere Kampf um dessen Anerkennung, ein Stoff, dem das
literarische Medium adaequat wäre. Der Film hatte einen psychischen
Prozess optisch sichtbar zu machen. A conto dieses Gestaltungsproblems
dürften wohl ein Teil der historischen Ungenauigkeiten und Umbauten zu
buchen sein; ein anderer Teil aber, etwa der heroisierte Tod von
Friedemann, sind schlicht und einfach Konzessionen an den vermeintlichen
Publikumsgeschmack. Kr.
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Dreyfus
Produktion: Richard Oswald, 1932
Regie: Richard Oswald
Darsteller:
Heinrich George; Fritz Kortner; Grete Mosheim; Oskar Homolka. Paul
Henckels; Albert Bassermann; Fritz Kampers; Paul Bildt; Ferdinand Hart;
Fritz Rasp
Die "Dreyfusaffäre" war eine der grossen Krisen der Dritten Republik.
1894 war gegen den französischen Hauptmann ein Prozessverfahren wegen
Landesverrats eingeleitet worden. Alfred Dreyfus wurde zunächst zu
lebenslänglicher Deportation verurteilt; erst nachdem sich weite Kreise
für die Revision des Prozesses eingesetzt hatten, wurde das Urteil auf
zehn Jahre Gefängnis abgeändert. Schliesslich konnte Dreyfus 1906
Rehabilitierung und Freispruch erlangen.
In Frankreich wurde das Geschehen schlechthin als "die Affäre"
bezeichnet, so wurden die Gemüter damals bewegt. -
1930 griff Richard Oswald den Stoff auf. Er schuf einen Film, der trotz
der Zeitbezogenheit des Stoffes zeitlos geworden ist! Der Film besitzt
heute wie damals Gültigkeit: Das Thema der Macht, die in falschen Händen
liegt, und des Fehlurteils bleibt aktuell.
Für die gerechte Beurteilung des Hauptmanns treten Kreise in Aktion,
die sich sonst wohl kaum mit Militärgerichtsbarkeit befassen. Frau Lucie
Dreyfus (Grete Mosheim) gelingt es, Menschen zu finden, die hinter die
Kulissen des Prozesses blicken können. Emile Zola (Heinrich George)
machte den Fall durch seine Anklageschrift "J' accuse _..." weit über
Frankreich hinaus bekannt. Oberst Piquart (Albert Bassermann) wird nach
Zolas Verurteilung Hauptzeuge für die Unschuld von Dreyfus. Er kann sich
trotz seiner Stellung nicht halten und wird verurteilt. Labori (Fritz
Kampers), der die zweite Verurteilung hätte verhindern können, wurde
ermordet, ehe er Dreyfus verteidigen konnte.
Die Macht kann nicht für immer über die Gerechtigkeit triumphieren. Die
Schuld des Major Ferdinand Walsin-Eszterhazy (Oskar Homolka) wird durch
einen Komplicen entdeckt. Henry (Ferdinand Hart), durch dessen Fälschung
Dreyfus verurteilt wurde, begeht im Gefängnis Selbstmord; Paty de Clam
(Fritz Rasp) wird aus dem Dienst entlassen. Vom Filmischen her
betrachtet, vermag der Streifen heute nicht mehr zu befriedigen.
Unscharfe Bilder, unbeholfene Kameraführung und zu breiter Schnitt, wie
auch die Fehler der sich gerade entwickelnden Tontechnik setzen den Film
in den Augen des heutigen Publikums herab, erhalten aber oft in der
Gesamtwirkung Sinn. Allein die Besetzung wiegt diese Mängel auf und
drängt das Technische des Streifens in den Hintergrund. ro.
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Unheimliche Geschichten
Produktion: Roto, 1932
Regie: Richard Oswald
Kamera: Heinrich Gärtner
Bauten: Walter Reimann und Franz Schröder
Tonmeister: Fritz Seeger
Schnitt: Dr. Brenner
Musik: Rold Marbot und Bert Reisfeld
Drehbuch: nach den Novellen "Das Geheimnis der schwarzen Katze" von
Edgar Alan Poe und "Der Selbstmörderclub" von Robert Louis Stevenson
von Heinz Goldberg und Eugen Szatmari.
Darsteller:
Paul Wegener; Harald
Paulsen; Maria Koppenhöfer; Eugen Klöpfer; Paul Henckels; Erwin Kaiser
Heute, in den Jahren des Superlativs, würde der Titel vielleicht "Die
unheimlichste Geschichte" heissen und jeder würde - gewarnt durch die
Titelperversion der heutigen Filmindustrie - kaum etwas mehr erwarten
als einen der sogenannnten "spannungsgeladenen Thriller", die entweder
gähnen machen oder zur Heiterkeit herausfordern. Anders bei diesem
Streifen, der noch im Bannkreis expressionistischen Brodelns der
zwanziger Jahre produziert wurde.
Dieser Film ist ein Konzentrat an Spannung, Grauen, Schrecken um jeden
Preis und ist dennoch ein echtes Kunstwerk. Dies wird erreicht zum
ersten durch die ausgezeichneten schauspielerischen Leistungen. An der
Spitze Paul Wegener, der in dreifacher Maske das Dämonische in einer
doch so realistisch eingestellten Welt glaubhaft macht. Wegener gelingt
es, echtes Grauen und darüber hinaus Mitleid vor einer ins Unheimliche
gerückten Welt auszudrücken. Meisterhaft wird auch die Rolle des
Gegenspielers von Harald Paulsen gestaltet. Zum zweiten durch die
hervorragende Photographie. Heinrich Gärtner bringt es fertig, durch die
Gestaltung vom Bild her, den Stoff auszuschöpfen. Es hätte ohne weiteres
ein Stummfilm sein können und dies ist ein Positivum, denn bekanntlich
ist es schwieriger, einen stummen Film zu machen als einen Sprechfilm.
Sollte der Schreiber dieser Zeilen selbst ins Superlativieren gekommen
sein und man ihm Reklame unterstellen wollen, so lesen Sie zum Abschluss
eine objektive Stimme; ein Urteil aus dem Evang. Filmbeobachter,
München. Als faszinierendes Zeitdokument und als hinreissende
Ausdrucksstudie freilich kann sich dieser Film behaupten. Und in der
Kunst seiner Fotografie greift er tiefer als das meiste, was der Film
heute mit seinem glatten Realismus zu bieten hat. gps.
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Der Choral von Leuthen
Produktion: Carl Froehlich (1932)
Regie: Carl Froehlich
Kamera: Franz
Planer (heute: Frank Planer)
Musik: Marc Roland
Darsteller:
Otto Gebühr: Friedrich der Grosse
ferner: Olga Tschechowa; Walter Jansen; Veit Harlan; Wolfgang Staudte; u.a.
Ein Risiko ist es, dem unvorbereiteten Betrachter einen Film aus dem
Anfang der dreissiger Jahre vorzuspielen. Dem Stummfilm gegenüber hat
auch der Aussenstehende von vorneherein den nötigen Abstand, er
betrachtet ihn als etwas "Früheres", bereits Geschichte gewordenes und
ist aus dieser Sicht heraus bereit, sich von den technischen
Unvollkommenheiten und von der unserem heutigen Geschmack fernen
Gestaltung interessieren, ja sogar künstlerisch begeistern zu lassen.
Das geht sogar so weit, dass selbst für damalige Verhältnisse schwache
Streifen gelobt werden, nur weil sie historisch sind. Anders beim
Tonfilm. Er ist - vom Äusseren her - den heute gedrehten
Schwarzweiss-Filmen ähnlich, wenn nicht gleich. So fehlt bei dem
Betrachter der historische Abstand. Er beurteilt den Film nach heutigen
Massstäben und ist notwendigerweise enttäuscht. Das gilt einmal
selbstverständlich für die Technik, die in den letzten 20 Jahren
erhebliche Fortschritte gemacht hat. Während aber in bezug auf die
Technik bei dem filmischen Laien vielleicht nur ein mehr oder weniger
bewusstes Unbefriedigtsein zurückbleibt, über dessen Ursache er sich im
einzelnen gar keine Rechenschaft ablegt, ist die gestalterische Seite,
als das unmittelbar "Zusehende" in jedem Falle das erste Ziel seiner
Kritik, oft seines Spottes. Dies gilt für die - soweit vorhanden -
künstlerische Aussage, die Fragestellung, die Ausstattung, die Dialoge
usw. kurz den Stil und, insbesondere bei historischen und
historisierenden Filmen, für den Tenor. Der hier zur Debatte stehende
Film wird es zeigen. Im Jahre 1932 glaubte man trotz allen Parteihaders
noch an Begriffe, die heute zur Phrase geworden sind. Das Paradoxon
scheint berechtigt: Hätte man damals nicht so sehr an sie geglaubt, dann
wären sie heute vielleicht keine Phrase. Spätestens bei dem Betrachten
des Filmes wird der geschätzte Leser wissen, was gemeint ist.
Wenn man dies bedenkt, nimmt man den Film als das, was er ist. Zu ernst
genommen wurde der Film schon zweimal in seinem kurzen Leben, als man
ihn 1935 und dann nochmals 1945 verbot. Einmal, weil er zu wenig von dem
hatte, was die zuständigen Stellen für nötig, und einmal, weil er zu
viel von dem hatte, was die zuständigen Stellen für unnötig hielten -
oder umgekehrt, das wird sich wohl nie mehr feststellen lassen.
Kr.
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Maskerade
Produktion: Tobis, 1934
Regie: Willy Forst
Darsteller: Paula Wessely,
Adolf Wohlbrück; Olga Tschechowa; Hilde von Stolz; Walter Janssen; Peter
Petersen; Hans Moser
"Sittengemälde aus dem Wien um die Jahrhundertwende. Das
Faschingsabenteuer eines damals weltberühmten Malers und Zeichners gibt
Gelegenheit, auf dem bunten wirbelnden Hintergrunde einer bis zur
Leichtlebigkeit sorglosen Zeit die ergreifende Geschichte einer grossen,
glücklichen Liebe zu erzählen. Fabelhafte Besetzung! Aussergewöhnlich
grosse Ausstattung! Farbenprächtige Musik!" - Soweit das Programmheft vor
23 Jahren. Die Werbeleiter der Filmfirmen haben sich seitdem nicht viel
Neues einfallen lassen. Schauspielkunst und Filmtechnik aber haben sich
gewandelt, und deshalb erscheinen manche Gesten, Dialoge und
Einstellungen in dieser Gesellschaftskomödie, die damals um die ganze
Welt ging, heute antiquiert. Trotzdem kann sich auch der heutige
Betrachter nicht dem poetischen Reiz dieser aus Bild und Ton melodisch
gewobenen Bildergeschichte entziehen. Paula Wessely und Adolf Wohlbrück
begannen hier ihre Filmkarriere. p.b.
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Das unsterbliche Herz
Produktion: Tobis 1939
Buch: Werner Eplinius und Veit Harlan (nach
einem Bühnenstück von Walter Harlan)
Spielleiter: Veit Harlan
Kamera: Bruno Mondi
Musik: Alois Melichar
Darsteller:
Heinrich George: Peter Henlein
Kristina Söderbaum: seine Frau
Paul Wegener: Dr. Schedel
Michael Bohnen: Martin Behaim
Paul Henckels: Güldenbeck
Dieser Film fängt mit dem Untergang der Kogge Martin Behaims an, eine
der besten Szenen des Films. Dann erst erscheinen, wie man es jetzt ja
häufiger sieht, die Titel; und nun beginnt die Geschichte der Erfindung
der Unruhe der Uhr. Die Geschichte der Erfindung ist etwa so, wie sich
das kleine Fritzchen die Sache vorstellt. Was mit dem Film gezeigt
werden soll, ist, dass man unbeirrt von äusseren Widerwärtigkeiten seiner
Aufgabe nachkommen muss, selbst wenn, wie hier, die Ehe darüber
zerbricht.
Wichtig an diesem Film ist zweierlei: Die Regieleistung Harlans in den
Massenszenen. Man hatte von den Parteitagen in Nürnberg etwas gelernt.
Das zweite ist die schauspielerische Leistung der Darsteller, mit denen
der Film steht, während er mit KS fällt. Hinzu kommt noch, dass man hier
das unzerstörte Nürnberg sehen kann: die Burg hoch über der Stadt und
die engen Gassen, die die Kamera recht gut eingefangen hat. Bi.
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Ein Leben lang
Produktion: Tobis 1940
Regie: Gustav Ucicky
Buch: Gerhard Menzel
Musik: Willy Schmidt-Gentner
Darsteller:
Paula Wessely: Agnes Seethaler
Joachim Gottschalk: Hans von Gallas
Lina Woiwode: Frau Seethaler
Maria Andergast: Elisabeth
Gustav Waldau: Franz
Jane Tilden: Poldi
u. a. m.
Dieser Film ist auch ein Durchhaltestück, aber von ganz anderem
Charakter. Beim "unsterblichen Herz" ist es der Mann, der allen
Widerständen zum Trotz seine Aufgabe vollendet; hier ist es die Frau,
die unbeirrt daran glaubt, eines Tages mit dem Geliebten auf immer
vereint zu sein, wenn er auch jetzt in weiter Ferne lebt. Sie ist eine
Madame Butterfly, die sich nicht das Leben nimmt, als sie erfährt, dass
der Mann, den sie liebt, sich verheiratet hat. Sie verschweigt ihm
sogar, dass sie ein Kind von ihm besitzt, um seiner Karriere nicht zu
schaden. Aber sie glaubt dennoch, dass er eines Tages zu ihr zurückkehren
wird. Und am Ende ist sie es, die ihm neuen Lebensmut gibt, als er
schwerverwundet aus dem Kriege heimkommt.
Dieser Film schwebt dauernd in der Gefahr, in die Sentimentalität
abzurutschen, aber dank der verhaltenen Darstellungskunst der Wessely
und Gottschalks wirkt er immer erträglich. Bi.
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Das Testament des Dr. Mabuse
Drehbuch: Thea von Harbou
Regie: Fritz Lang (1932)
Musik: Dr. Hans Erdmann
Kamera: Fritz Arno Wagner; Karl Vass
Darsteller:
Rudolf Klein-Rogge: Dr. Mabuse
Oskar Beregi: Prof. Dr. Baum
Theodor Loos: Dr. Kramm
Otto Wernicke: Kriminalkommissar Lohmann
Klaus Pohl: Kriminalassistent Müller
Wera Liessem: Ulli
Gustav Diessl; Camilla
Spira; Rudolf Schündler; Theo Lingen; Paul Oskar Höcker; Paul Henckels;
Karl Meixner
Der letzte Film, den Fritz Lang in Deutschland drehte und den Goebbels
sofort nach seinem Erscheinen verbot, ist nicht nur ein Kriminalfilm.
Die Geschichte des irrsinnigen Verbrechers, der mit einer Kette
scheinbar sinnloser Terrorakte die Menschen so verängstigen will, dass
sie seine geplante Schreckensherrschaft als Wohltat empfinden sollen,
hat der Regisseur mit teilweise expressionistischen Mitteln zu einer
Angstvision ausgemalt, der sich auch der heutige, abgebrühte
Kinobesucher nicht zu entziehen vermag, selbst wenn er den scharf
berechneten Handlungsaufbau und die kühle Auskalkulation der szenischen
Wirkung durchschaut. Dass auch die kleinste Chargenrolle glänzend besetzt
ist und jede Bewegung "sitzt", versteht sich bei diesem Werk aus der
vorläufig letzten Glanzperiode des deutschen Films von selbst. p. b.
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