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Quellen zur Filmgeschichte ab 1920

Texte der Hefte des studentischen Filmclubs der Uni Frankfurt/Main: Filmstudio

Einführungsseite

Filmstudio Heft 21, Mai-Juli 1957

Inhalt
Schlag nach bei Shakespeare
Der Filmkomiker
Film-Seminar
Das Film-Seminar antwortet
Parade der Filmkomiker
Gewagtes Spiel (Break the News)
Hamlet
Einmal Millionär sein (The Lavender Hill Mob)
Mein Freund Harvey
Romeo und Julia (Romeo and Juliet)
Herrliche Zeiten
Ekstase
Julius Caesar
Erwachende Herzen
Die ehrbare Dirne (La p... respecteuse)
Domenica d' Agosto (Ein Sonntag im August)


Shakespeare und kein Ende. (Goethe)

Schlag nach bei Shakespeare

Wie wohl kein zweiter der grossen Dichter ist Shakespeare dazu ausersehen, "Filmautor" zu sein, über 200 mal wurden seine Werke, ganz oder teilweise, wortgetreu oder in moderner Fassung, als Musical, Revue, Travestie, reines Theater oder Ballett verfilmt.

Am Ausgang des "merry old England", bevor die kunstfeindlichen Puritaner an die Macht kamen, wurde Shakespeare geboren; ein Kind des Barock, in der Sprache sowohl wie in der Weltweite des Geistes. Er fand eine Bühne vor, die seine Dichtungen in geradezu idealer Weise nutzten. Es gab keine Dekorationen, so dass der Phantasie freier Spielraum gelassen wurde und es keine Schwierigkeit bei dem oft raschen Szenenwechsel gab. Es hatte aber auch zur Folge, dass das Wort stark in den Vordergrund trat. Das ist eine Klippe, an der schon mancher Film scheiterte, denn man steht vor der Wahl: "wörtlich" oder "freie Bearbeitung". Im einen Falle behindert der Dialog das Filmische und kommt doch nicht voll zur Geltung, da der Beschauer durch das Drum und Dran viel zu sehr abgelenkt wird; im anderen Falle ist es nicht mehr der echte Shakespeare. Einen Sonderfall stellen die stummen Shakespeare-Filme dar.

Eine zweite Gefahr bergen die raschen Szenenwechsel, die zwar der Eigenart des Filmes entgegenkommen, durch die er aber sehr leicht zerfallen kann. Die grössten Möglichkeiten in einer getreuen Shakespeareverfilmung hat ohne Zweifel der Bühnenbildner, sind doch seiner Phantasie kaum Grenzen gesetzt. Und so erleben wir dann alle Disziplinen der Kunst: Malerei in "Heinrich V." (Olivier), Graphik in "Othello" (Welles), Architektonik in "Macbeth" (Welles) und so fort, es kann allerdings auch zu Entgleisungen kommen, wie bei der Schlacht bei Philippi in Mankiewicz "Caesar", die einem Indianerüberfall sehr ähnlich ist. Für die Phantasie der Zuschauer bleibt allerdings in fast allen Filmen kein Platz mehr.

Von den Dramen Shakespeares sind mehr als die Hälfte schon verfilmt worden, es fehlen noch: (1) Die zwei Veroneser; (2) Mass für Mass; (3) Viel Lärm um Nichts; (4) Verlorene Liebesmüh'; (5) Ende gut, alles gut; (6) Komödie der Irrungen; (7) König Johann; (8) Richard II.; (9 und 10) Heinrich IV. und VI.; (11) Troilus und Kressida; (12) Timon von Athen; (13) Coriolan; (14) Titus Andronikus und (15) Perikles. (Diese Aufzählung für angehende Drehbuchautoren.)       H. Birett

[Ergänzung: Nach Robert Hamilton Ball: "Shakespeare on Silent Film" gibt es viele Verfilmungen obiger Stücke. Danach fehlen nach meiner Kenntnis nur noch: (1), (8), (10), (11), (12), (13), (14) und (15)]

Bekannte neue Verfilmungen sind: Olivier: Hamlet (48), Heinrich V. (44), Richard III. (55), Macbeth (57). Welles: Macbeth (48), Othello (51). Bradley: Caesar (50). Mankiewicz: Caesar (53). Castellani: Romeo und Julia (54). Arnstam/Lawroski: Romeo und Julia (55, Ballett). Jutkewitsch: Othello (55).
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Der Filmkomiker

Anlässlich der Vorführung einer Grotesk-Film-Serie unter dem Titel "Parade der Filmkomiker" veröffentlichen wir im folgenden einige Abschnitte aus einem filmkundlichen Referat, das der 1. Vorsitzende des Film-Studios, Ivar Rabeneck, vor mehreren Filmarbeitsgemeinschaften westdeutscher Hochschulen gehalten hat.

Es gehört wohl zu den schönsten und dankbarsten Aufgaben eines studentischen Filmarbeitskreises, sich mit den klassischen Werken der Filmkomiker - insbesondere mit denen des grossen Charlie Chaplin - zu beschäftigen, sie vorzuführen und sie geistesgeschichtlich zu betrachten.

Gerade die Schöpfer des komischen Films, einer scheinbar harmlosen und nichtssagenden Unterhaltungsform, verdienen eine Würdigung. Man mag den Film noch so sehr verdammen, an einem Namen kann man nicht vorübergehen: das ist der Name Charlie Chaplin. Von ihm soll G.B. Shaw einmal gesagt haben, er sei das einzige Genie, das der Film überhaupt hervorgebracht hat. Aber das ist nur eine von vielen Äusserungen namhafter Persönlichkeiten, die sich in der Beurteilung Chaplins alle einig sind. Allein schon der Begriff chaplinesk für bestimmte Stilformen in Literatur und Film durfte den Beweis erbracht haben, dass Filmkomiker ernst zu nehmende Leute sind, und dass man ihrer Kunst getrost einmal mehr Zeilen widmen kann, als es sonst üblich ist.

Warum widmen wir nun eigentlich dem Filmkomiker eine gesonderte Betrachtung? Wodurch unterscheidet er sich von allen übrigen Filmschauspielern? Mit der Beantwortung dieser Frage hätten wir zugleich auch den Schlüssel zum Wesen des echten Filmkomikers gefunden.

Der Filmkomiker - so wollen wir es versuchsweise einmal formulieren - ist der erste und bislang auch der einzige Künstler, der für sein Spiel (als Darstelle alle filmischen Möglichkeiten in vollem Umfang bewusst ausnutzen kann Damit wird ein völlig neuer Typus im Bereich der darstellenden Kunst geschaffen. Der gewöhnliche Schauspieler im Film setzt hingegen nur eine schon festgefügte Tradition, nämlich die der Schaubühne, mit anderen Mitteln fort.

Diese erste vorsichtige Formulierung wollen wir nun im folgenden verdeutlichen Für das Aufkommen des echten Filmkomikers war die Stummheit der ersten Filme entscheidend. Denn der Komiker muss genau so wie die Karikatur stumm sein. Mimik und Gebärde lassen sich durch alle möglichen Filmtricks verzerren, nicht aber die Sprache wenn wir von den jüngsten Tonband-Experimenten absehen). Chaplin drückte das einmal so aus: »die Stimme zerstört die Illusion, die ich schaffen will, nämlich eine Persönlichkeit, die keine Realität darstellt, sondern eine humoristische Idee, eine komische Abstraktion". Der Komiker kann nur dort wirken, wo alles auf das Schauen abgestimmt ist und nicht auf das Hören. Das Schicksal des Filmkomikers war daher das gleiche wie das seiner Vorfahren. Genau so, wie der Hanswurst und der Harlekin von der Bühne verjagt werden mussten, als die Sprache im Theater dominierte, genau so verschwand auch der wahre Komiker aus dem Film, als der Ton einsetzte.

Noch bedeutsamer aber für die neue filmische Form der Komik war die Entdeckung, dass der Film die Kunst der 4. Dimension sein kann. Mit Hilfe von Montage, Zeitraffer, Zeitdehnung, Stoptrick und den vielen anderen Möglichkeiten war man zum Beherrscher von Raum und - was vielleicht noch wichtiger war - zum Beherrscher der Zeit geworden. Der Filmkomiker konnte nun Dinge vollführen, die ein Theaterkomiker oder ein Zirkusclown nie hätte zuwege bringen können. Durch die filmische Möglichkeit, die verschiedenartigsten Szenen nahtlos aneinanderzureihen, liess sich der bis dahin gebräuchliche Theater-Coup oder ein zirzensischer Effekt weit eleganter handhaben. Und so entstand daraus das wichtigste Element der Filmkomik: der Gag. Die Stummheit der frühen Filme - die Beherrschung von Raum und Zeit - und die neue Form des Gags: das waren die wichtigsten Voraussetzungen für die Geburt des Filmkomikers. Wer jemals groteske Filme aus dem ersten Jahrzehnt der Kinematographie, also aus den Jahren 1895-1905, zu sehen bekam, der weiss, mit welcher Virtuosität und mit welchem sicheren Instinkt anonyme Schauspieler, Kameraleute und Regisseure die filmischen Möglichkeiten zu nutzen verstanden, um das Publikum mit völlig neuartigen komischen Effekten zu verblüffen.

In diesem ersten Jahrzehnt war der Film aber immer noch eine Angelegenheit der Jahrmärkte und der Schaubudenbesitzer. Das Publikum interessierte sich so gut wie gar nicht für die Regisseure und Schauspieler, zumal es sich in den meisten Fällen um unbekannte Artisten, stellungslose Schmierenkomödianten, Desperados oder heruntergekommene Zirkusclowns handelte, die gewöhnlich für ein Butterbrot in diesen ersten Filmen mitwirkten. Kein Mensch kannte sie, kein Mensch fragte nach ihren Namen, und wahrscheinlich legten sie selbst auch gar keinen Wert darauf.

Erst das Jahr 1905 wird zum bedeutsamen Wendepunkt in der Geschichte des Films: Die ersten festen Lichtspiel-Theater werden gegründet. Bis dahin gab es ja nur das Wanderkino, das mit ein und demselben Programm von Ort zu Ort zog. Die Etablierung des ortsfesten Kinos bewirkte nun einen grundlegenden Wandel in dem Verhältnis des Publikums zum Film. Neue Reklame-Methoden mussten ersonnen werden, bei der Programm-Auswahl musste man Rücksicht auf die Stammkundschaft nehmen, vor allem aber wollte das Publikum diejenigen Filmkünstler, denen es seine Bewunderung und Verehrung in immer steigenderem Masse zollte, in weiteren Filmen wiedersehen. So kam es, dass der Schauspieler aus seiner Anonymität heraustrat, seinen Namen auf die Plakate setzen liess und zum "Star" wurde.

Der erste grosse Filmkomiker, dessen Namen bald jeder Kinobesucher kannte, war der Franzose Max Linder. Er ist nicht nur der erste namentlich bekannte Filmkomiker, sondern er ist darüber hinaus einer der ersten Filmstars überhaupt. In seinen Filmen, die er serienmässig drehte, trat er immer in der gleichen Maske und im gleichen Kostüm auf. Dazu kam noch, dass sämtliche Filmtitel mit dem Namen Max begannen. ("Max cherche une femme", "Max pedicure pour amour", "Max se marie" etc.) Dieser Max als ständig wiederkehrende Hauptperson aller Filme war für die damalige Zeit etwas völlig Neues und Max Linders eigenste Leistung. Er schuf damit einen Typ, der sich dem Filmbesucher einprägte. Diese Gestalt wurde dem Publikum so vertraut, dass schon die Nennung des Namens allein genügte, um die Zuschauer ins Kino zu locken. Von 1905-1923 drehte Max Linder Hunderte von Filmen, die in der Regel nur 5-10 Minuten dauerten, aber mit den herrlichsten Gags vollgespickt waren. (Am berühmtesten war der Spiegel-Gag aus seinem Film "Sieben Jahre Pech", der in späteren Jahren immer wieder kopiert wurde, unter anderem auch von einem deutschen Film mit demselben Titel).

Damit wurde Frankreich das führende Land in der Herstellung von Filmgrotesken, die bis 1914 tonangebend für die Filmkomiker der ganzen Welt waren. Selbst ein so genialer Künstler wie Charlie Chaplin scheute sich nicht, von Max Linder die Grundidee zu entlehnen, immer im gleichen Kostüm aufzutreten, denselben Namen beizubehalten und zu bestimmten Attributen zu greifen, die sich in jedem neuen Film wiederholten. Max Linder war also der geistige Vater der chaplinschen Figur, sein direkter Vorgänger. Chaplin hat dies nie verheimlicht, sondern ständig auf sein grosses Vorbild hingewiesen: Linders kostbarster Besitz war ein Chaplin-Portrait mit folgender Widmung: To the one and only Max, "the Professor", from his disciple, Charles Chaplin. Mit dem Jahre 1914 beginnt eine neue Epoche in der Entwicklungsgeschichte des Filmkomikers. Frankreich, einst die Domäne des grotesken Films, muss seine führende Rolle an Amerika abtreten. Max Linder hat in Europa keinen Nachfolger gefunden. Krank und vergessen schied er 1925 durch Selbstmord aus dem Leben. Seine Idee aber, groteske Film-Serien mit einer Hauptfigur im Mittelpunkt zu drehen, lebte weiter und wurde von dem amerikanischen Film-Regisseur Mack Sennett aufgegriffen. Mit ihm beginnt in Amerika eine Stilrichtung, die man die "amerikanische Schule des Filmkomikers" nennt und deren bedeutendster Vertreter Charlie Chaplin ist. In der Keystone-Filmgesellschaft, für die Mack Sennett als Regisseur tätig ist, entsteht ein neuer und bisher unerreichter Typus des grotesken Films. Die sogenannten Keystone comedies werden zu einem Begriff auf der ganzen Welt. In jahrelanger und harter Arbeit hatte Sennett ein Ensemble aus den verrücktesten Typen, aus Schauspielern, Clowns und Artisten mit Kautschuk-Gliedern zusammengeschmiedet, ein Ensemble, dem nichts unmöglich war. Ohne Rücksicht auf Knochenbrüche oder Verrenkungen (und sie kamen mehr als einmal vor) jagte Mack Sennett seine Schar von einem Einfall zum anderen. So unglaublich das klingt, aber in dieser Gesellschaft wurden in der Woche 3 bis 4 Filme hergestellt. Die Regel lautete: Für einen 300 Meter langen Film (etwa 15 Minuten) muss ein Drehtag genügen. Jeder Mitwirkende hatte das Recht, am Drehbuch mitzuarbeiten, sofern seine Einfälle auch witzig genug waren. Alles hatte sich nur dem einen Zweck zu unterwerfen: so viel Gags wie möglich in die einzelnen Filme einzubauen. In den Keystone comedies war immer was los, und sie quollen über vor Handlung und Bewegung. Durch die virtuose Gag-Technik eines Mack Sennett wurde der amerikanische Groteskfilm zu höchster Perfektion gesteigert.

In dieser Gesellschaft beginnt im Jahre 1914 die Filmkarriere des englischen Komödianten Charles Spencer Chaplin. Ihm blieb es vorbehalten, den Groteskfilm von den derberen Formen der Komik zu befreien und ihn in den Rang eines Kunstwerkes zu erheben. Doch bevor er jene unsterblich gewordene Figur des Landstreichers Charlie schafft, hat er eine strenge Schule durchzumachen.

In London wächst er auf, lernt schon als kleines Kind das Elend kennen und wird gezwungen, sich frühzeitig selber Geld zu verdienen. Durch seine Eltern - beide Künstler - kommt er mit der Welt des Theaters in Berührung. Mit 16 Jahren arbeitet er für Fred Karno, einem Manager von Varieté-Programmen. Karno, dessen Unternehmen man als Lachfabrik bezeichnen könnte, versorgt mehrere Londoner Varietés mit seinen Pantomimen und Komödien. In dieser Lachfabrik lernt Chaplin alles das, was wir später in seinen Filmen bewundern. Die Varieté-Nummern, die bei Fred Karno entstehen, erfreuen sich so grosser Beliebtheit, dass die ganze Truppe mehrmals auf Tournee geht. Auf einer Tournée durch die USA löst sich Chaplin von der Karno-Truppe und bleibt in Amerika hängen. Zu Beginn des Jahres 1914 erhält er seinen ersten Filmvertrag, in dem er sich verpflichtet, bei der Keystone Company jede Woche in einer Komödie mitzuwirken. Schon nach seinem zehnten Film hat er seine berühmte Maske gefunden: kleiner Schnurrbart, Melone, Stöckchen, kleiner Sakko, grosse Schuhe und ein unnachahmlicher Entengang. Das allein hätte jedoch noch nicht genügt, um aus ihm den grössten Filmkomiker aller Zeiten zu machen. Ein entscheidendes Moment kommt noch hinzu: Chaplin hebt nämlich seine Kunst über das rein Groteske in einen ethischen Bereich. Er verbindet die Komik mit humanitären Tendenzen. Die Gestalt des Landstreichers Charlie, die zu einem Begriff in der ganzen Welt wird, verkörpert das soziale Gewissen. Zum erstenmal in der Geschichte des Films ist der Held ein Arbeitsloser. Aber im Gegensatz zu den sozialkritischen Filmen, wie sie kurze Zeit später in Russland und Amerika aufkommen, besitzt Chaplins Typ des Arbeitslosen etwas, was es bisher noch nicht gab und was auch nie wieder erreicht worden ist: nämlich Grazie und Poesie. Chaplins soziale Satiren sind alles andere als realistisch; man könnte sie vielleicht am besten als moderne Vagabundenlyrik bezeichnen. In der Gestalt eines Lumpenproletariers, der sich gegen die Herzlosigkeit der Reichen zur Wehr setzt, zeigt Chaplin das rührende Schicksal der armen Menschheit. Weil es diesen Menschentyp auf der ganzen Welt gibt, ist die Spanne seiner Wirkung so weit wie bei keinem zuvor. Es ereignet sich etwas in der Geschichte des Films einmaliges: Die ungeteilte Anerkennung vom Analphabeten bis zum Intellektuellen; sowohl das Dienstmädchen als auch der Universitätsprofessor freuen sich in gleichem Masse an den unnachahmlichen Pantomimen dieses berühmtesten aller Filmkünstler.

Chaplin wechselt von einer Filmgesellschaft zur anderen, von der Keystone Company zur Essanay, dann zur Mutual, bis er endlich seine eigene Produktions-Firma aufbauen kann, in der er sämtliche Filme von der ersten Idee bis zum letzten Schnitt selber besorgt. Er ist der erste Filmkünstler, der in seiner Person den Produzenten, den Regisseur, den Autor, den Hauptdarsteller, den Cutter und sogar (in der Epoche des Tonfilms) den Komponisten vereinigt. Seine Arbeitsmethode unterscheidet sich wesentlich von den bis dahin gebräuchlichen. Ohne Rücksicht auf Zeit und Geld dreht er so lange, bis er die besten Einstellungen bekommt. Das hat zur Folge, dass er beispielsweise für seinen abendfüllenden Film City Lights etwa 100_000 Meter Negativ verdrehte, von denen 97 % in den Abfall wanderten. Die restlichen 3 % waren dann gut genug, um aus ihnen einen der schönsten Filme der Welt zu schneiden. Aber nur so konnte Chaplin seine künstlerische Höhe erreichen, eine Höhe, die gekennzeichnet ist durch sieben unerreichte Meisterwerke, mit denen er der Welt in ständiger Erinnerung bleiben wird: Shoulder Arms - The Kid - Circus - The Pilgrim - Goldmsh - City Lights - Modern Times.

Die Filmkomiker, die in der Mack-Sennett-Schule gross wurden, wandten eine nun schon längst bewährte Methode an: nämlich durch ganz bestimmte Attribute, durch Kleidungsstücke oder durch einen charakteristischen Gesichtsausdruck ihren vergänglichen Werken etwas von jener Unsterblichkeit zu verleihen, wie sie sonst nur den grossen Genies beschieden ist. Zu ihnen ist vor allem Harold Lloyd zu zählen, mit dessen Namen man unweigerlich die Vorstellung eines Mannes mit Strohhut und Hornbrille verbindet. Die Figur des Willie Work oder auch des Lonesome Luke, wie Lloyd sich in seinen Filmen nennt, ist tatsächlich unsterblich geworden. Sein dramaturgisches Rezept basierte auf dem Gegensatz zwischen dem ahnungslosen und etwas trottelhaften Schwächling und einer erbarmungslosen und grausamen Welt, in der sich hinter jeder Ecke eine Todesgefahr verbergen kann. Berühmt sind seine halsbrecherischen Eskapaden, seine nervenkitzelnden Wolkenkratzer-Gags und die ständig wiederkehrenden David-und-Goliath-Duelle.

Ein anderer Filmkomiker, dessen Namen in keiner Geschichte des Films fehlen darf, ist Buster Keaton. Mit einem todernsten und unbeweglichen Gesicht, das ihm den Beinamen the man with the frozen face eingebracht hat, nimmt er den Kampf mit der Tücke des Objekts auf. Seine Filme, in denen es von originalen Einfällen nur so wimmelt, haben sich bis heute den Zauber der Ursprünglichkeit bewahrt. Über den mit mathematischer Genauigkeit bis in das kleinste Detail erfolgenden Aufbau einer Komödie hat sich Buster Keaton vor vielen Jahren einmal folgendermassen geäussert: Die Herstellung einer Komödie kann man mit dem Zusammensetzen einer sehr kostbaren Taschenuhr vergleichen; die einfachste Phase, zu schnell oder zu langsam ausgeführt, kann das Ganze unrettbar ruinieren. Ganz davon zu schweigen, dass ein Komödiendarsteller sich den ganzen Film hindurch herumpuffen, von Wolkenkratzern lallen, mit Cremetorten pflastern und von den "künstlerischen" Stars über die Achsel ansehen lassen muss - weil er "nur" ein Komiker ist.

In einer Abhandlung wie der vorliegenden erscheint es notwendig, sich abschliessend die Frage vorzulegen, welch tieferer Sinn eigentlich hinter dem grotesken Film steckt. Der sehr gescheite Alfred Polgar hat einmal gesagt, dass wir uns deshalb über diese Filme freuen, weil wir in ihnen eine Art höherer Gerechtigkeit erblicken. Bei genauerem Hinsehen müssen wir tatsächlich Herrn Polgar recht geben. Der kleine Mann, der sich mit den Widerwärtigkeiten des Lebens herumschlagen muss und ihnen gewöhnlich unterliegt, erlebt im Groteskfilm die Verwirklichung seiner geheimsten Wunschträume. Da wird der Chef geohrfeigt, ohne dass diese Tat schwerwiegende Folgen zu haben scheint - da ist man auf der Flucht vor seinen Verfolgern, und erst im allerletzten Moment kommt einem der rettende Einfall, und man ist in Sicherheit. Kurzum: der Vernunft und der Logik wird ein Schnippchen geschlagen. Die tollsten Situationen, in denen jeder normale Mensch verunglücken würde, werden vom Helden überlebt. Jede Pechsträhne wird aufgewogen durch ein märchenhaftes Glück. Und hier kommen wir dem bizarren Reiz dieser Art von Film auf die Spur: hinter der Maske der groben, gemeinen Realität verbirgt sich das alte, liebe Märchen. In einer anderen Form sind die dummen Riesen, die geprellten Teufel und die tapferen Schneiderlein wieder auferstanden, und eine gute Fee hält schützend ihre Hand über dem unerschrockenen Kleinen, der zum Schluss so sicher das Geld und das Mädel kriegt, wie der Gesell im Märchen den Thron und die Königstochter.

Kann es eine schönere Liebeserklärung an den grotesken Film geben als die von Alfred Polgar, wenn er am Ende seiner Betrachtung sagt: In diesen Filmen hat sich das Unromantischste einen tüchtigen Romantischen angetrunken. Die Dinge, freiheittaumlig, springen aus der Ordnung. Ursache und Folge mischen sich in närrischen Kreuzungen. Ich sah einen herrlichen amerikanischen Groteskfilm, in dem die Leute mit einem Hieb auf den Schädel betäubt und mit dem gleichen Hieb au! den Schädel wieder zu Bewusstsein gebracht wurden. Es ging da am Ende her wie auf einer Exkneipe der angeheiterten Kausalitäten. - Eine kostbare, sauerstoffreiche Welt. Der Terror der Wahrscheinlichkeit ist gebrochen, die Vernunft trollt sich mit eingezogener Logik, und über ihren verlassenen Positionen flattert rosenrot die Fahne der Freude.       Ivar Rabeneck


Der Charlie der Leinwand ist der arme dumme Kerl, der so gern ein Gentleman sein möchte und es niemals ist, der so darauf bedacht ist, schöne und kluge Taten auszuführen, der immer alles falsch macht und statt des erwarteten Dankes nur Fusstritte erntet.

Immer schlägt die Welt nach ihm, und da er sich nicht zu wehren versteht, lässt er es hilflos geschehen, nur im geheimen weint er eine Träne. Er rettet unschuldige Mädchen, um nachher herauszufinden, dass sie gar nicht so unschuldig sind. Er baut Luftschlösser auf, die aber immer wieder zusammenstürzen und ihn unter den Trümmern begraben. Er findet Diamanten, die dann bloss Fensterglas sind. Den Beschimpfungen der Welt hat er nichts entgegenzusetzen als ein hilfloses Heben der Schultern. Manchmal ist er Don Quijote - immer der Mann, der die Ohrfeigen bekommt.

Er hat keinen Menschen, mit dem er sich aussprechen kann, immer ist er in seiner Verzweiflung auf sich selbst angewiesen, aber er ist ja schon daran gewöhnt, und mit einigen rührenden und komischen Bewegungen setzt er sich über alles hinweg.       (Aus "So bin ich" von Charlie Chaplin)


Als wir kürzlich in älteren Zeitungsbänden nach Filmkritiken gruben, fiel uns ein Artikel in die Hände, der einen für die Kino-Palast-Situation bezeichnenden Zustand schildert, der offenbar heute noch genauso aktuell ist wie vor zwei Jahren.

Ein- und Ausgänge

Am Tage lehnt sich der Prunk der Kinofassaden in die Hauptverkehrsstrassen, mit weiten Schwingtüren und mit repräsentativen Schaukästen. In der Dunkelheit haben die Neonröhren den Vortritt der Verlockung, zart arabeskenhaft oder von neuer Sachlichkeit inspiriert: "Blumen-Lichtspiele" oder "Metropol". Tag und Nacht aber tragen die Portiers ihre goldbetressten Uniformen, und von den weissbehaubten Platzanweiserinnen erwartet man last einen Knicks, so dezent und unaufdringlich schauen sie auf die Eintrittskarten. Glanz und Gediegenheit, wohin man schaut. Das Theater liegt im Dämmerschein indirekten Lichtes, magisch erglüht der Vorhang in den Farben des Regenbogens, scheint so diskret und vornehm, dass man kaum wagt, seine Gedanken zu äussern. Man meint zu wissen: ein Kunsttempel. Dann erlöschen die Lichter, ganz allmählich. Langsam sinkt selbst der aufregendste Hut in den vorderen Reihen in die Dunkelheit. Gedämpft rauscht der Vorhang. Darauf zwei Stunden Film, und das Erwachen danach ist schmerzlich abrupt. So ist also Schluss. Und man wird den Ausgängen zugewiesen. Das Erstaunen ist gross. Die stoffbekleideten Wände, die lächelnden Stargesichter im Goldrahmen, die mannshohen Spiegel sind verschwunden. Keine goldbetressten Portiers, keine weissbehaubten Mädchen mehr. Nur noch eine kahle Steintreppe, auf der man ernüchtert abwärts steigt, und graue Betonwände, an denen noch die Abdrücke der Verschalungsbretter sichtbar sind. Und keine Hauptverkehrsstrasse mehr, keine strahlenden Neonlampen, nur noch eine etwas anrüchige schäbige Strasse mit lückenhaftem Belag, in deren schmutzige Hinterhöfe man leicht befremdet hineinschaut. Für den Ausgang hat die Pracht nicht mehr gereicht.

Ein kleines Loch in einer Mauer mit einer Eisentür davor: Der Ausgang. Und plötzlich die Erkenntnis: Man hat Film verkonsumiert, zweitausend Meter Film, ein Industrieprodukt. Man hat gezahlt, und man bekam geliefert, zweitausend Meter Konsumware. Draussen warten neue Konsumenten, durcheilen den Eingang und kommen zum Ausgang - Schichtwechsel der Kinobesucher.       (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23. März 1954.)
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Film-Semmminar

Leitung: Günter P. Schölzel

Thema: Die Entwicklung des Dokumentarfilmes

Der Dokumentarfilm ist innerhalb der Filmgeschichte ein besonderes Kapitel. Ursprünglich in den Anfängen des Kintopps nicht von den anderen Versuchen zu trennen, gab er sich bald eine andere Richtung wie der normale Spielfilm und trat aus kommerziellen Gründen in bewussten Gegensatz zu ihm. Er verzichtete vor allem auf Atelier und Schauspieler und fotografierte die Menschen so, wie sie sich bei der Arbeit oder in der Freizeit gaben. Die Definition von John Grierson ist wohl die prägnanteste: Dokumentarfilm ist die schöpferische Behandlung des Aktuellen.

Männer mit den verschiedensten Ambitionen verhalfen dem Dokumentarfilm zwischen 1920 und 1930 zum Durchbruch. Amateure und Wissenschaftler mit Reisefilmen, Naturliebhaber, die der Natur ihre Geheimnisse mit Zeitraffer und Zeitdehner ablauschen wollten, Künstler, die im Film neue künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten sahen und Propagandisten, die andere Leute im Film mit Fakten überzeugen wollten.

Hier einen Überblick über die wichtigsten Richtungen.

A. Die naturalistische (romantische) Auffassung der Wirklichkeit. Hauptvertreter: Robert Flaherty. Erster Film "Nanook of the North", 1920. Er schildert in meisterhaften Bildern das harte und entbehrungsreiche Leben der Eskimos. Weitere Filme: "Moana of the South Seas", "Industrial Britain", "Man of Aran", "Tabu". Diese Richtung ist heute weitgehend verschwunden, da sich die Probleme von Natur - Mensch zum Gegensatz Maschine - Mensch verlagert haben.

B. Die realistische (kontinentale) Auffassung der Wirklichkeit, hervorgegangen aus der französischen "avant-garde". Rhythmische kontrapunktische Montage. Erster bedeutender Film "Rien que les heures" von Cavalcanti, 1926. Ein Tagesablauf in Paris.

Walter Ruttmann in Deutschland entwickelte die symphonische Methode. Wichtigster Film: "Berlin, Symphonie einer Grossstadt", 1927. Es ist eine allegorische Darstellung der Realität mit einem besonderen Akzent auf dem Schnitt.

C. Die Tradition der Wochenschau (News Reel).

Die objektive Darstellung von Geschehen mit einem nüchternen Kommentar. Verzicht auf künstlerische Effekte. Theoretische Bearbeitung von Dziga Vertow, UdSSR, im Leitfaden "Der Mann mit der Film-Kamera". Es soll alles so aufgenommen werden, wie der Mensch es sieht. Begriff des Kino-Eye. (Kinoki.) Beim Tonfilm auch den Ton original aufnehmen, so wie ihn ein Beschauer am Ort hören würde. (Radioki.)

In USA "March of Time". Erste Form des Cinemagazins. Unabhängige Kamerateams geben in Bild und Ton Vorgeschichte, Ablauf und Auswirkungen von bedeutenden Ereignissen wieder.

D. Die propagandistische Interpretation der Wirklichkeit

1. in der UdSSR Anwendung der dialektischen Methode im Film. Der Film soll als Massenpropagandamittel eingesetzt werden und überzeugen. "Das Ende von St. Petersburg, Generallinie, Turksib, Mutter etc."

2. in Grossbritannien. Zuerst Darstellung der arbeitenden Menschen in ihrer Sphäre. Später Hinwendung zur Sozialkritik, um die Regierung auf Missstände hinzuweisen. Propagierung für den Gedanken des Empire. "Drifters", "Song of Ceylon", "Housing Problems"

3. in Deutschland und Italien. Die Filme sollen zur Demonstration der Macht dienen und die herrschende Ideologie propagieren. "Triumpf des Willens" Leni Riefenstahl. In Italien drehte W. Ruttmann (!) "Acciaio", eine Glorifizierung des Duce.

Im Sommersemester werden wir die einzelnen Richtungen genauer analysieren und vor allem versuchen, die wichtigsten Streifen zu beschaffen.
Tagungsort: Zimmer 13 des Studentenhauses oder nach besonderer Vorankündigung.
Zeit: jeweils Montag 20:00 s. t.
Beginn: 13. Mai 1957
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Das Film-Seminar antwortet

3. Wie wird eine Überblendung hergestellt?
Zuerst: Unter Überblendung versteht man das Übereinanderlagern einer abgeblendeten und einer aufgeblendeten Einstellung, so dass das folgende Bild allmählich durch das verschwindende vorhergehende sichtbar wird.
a) Abblenden der ersten Einstellung, Rückspulen, Aufblenden der zweiten Einstellung; alles in der Kamera.
b) In der optischen Kopiermaschine auf dem gleichen Wege.
c) Chemisch: durch graduelles Abschwächen der beiden Negativenden und übereinanderkopieren.

4. Wie wird eine Einstellung definiert?
Die Einstellung ist die kleinste Einheit im Film und wird aus zwei Komponenten bestimmt, einmal durch die fotografisch festgelegte Abgrenzung des einzelnen Film-Bildes und zum zweiten durch die Zeitdauer des aufgenommenen Ablaufs. Den so wiedergegebenen Sachverhalt nennt man den Inhalt der Einstellung.

Die gebräuchlichsten Kameraeinstellungen:
1. Weit: Der Ort der Handlung in seinem weitesten Umfang, es ist alles drauf, meist Landschaftsaufnahmen.
2. Totale: Der Ort der Handlung, soweit er für das sich entwickelnde Geschehen von Bedeutung ist.
3. Halbtotale: Löst die handelnde Gruppe als Ganzes aus der Umgebung heraus.
4. Halbnah: Umfasst die menschliche Figur der Höhe nach.
5. Nah: Zeigt die menschliche Figur halb.
6. Gross: Zeigt den Kopf des Darstellers.
7. Ganz Gross: Der Kopf wird oben und unten abgeschnitten.
8. Detail: Zeigt nur Gegenstände als Zwischenschnitte oder bestimmte Körperteile, die zur dramatischen Erklärung dienen.
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Gewagtes Spiel (Break the News)
Produktion: Jack Buchanan, 1938
Buch, Regie, Produktionsleitung: René Clair
Musik: Theo Mackeben
Darsteller:
Francois Verrier: Maurice Chevalier
Teddy Enton: Jack Buchanan
Grace Gatwick: June Knight
Helena: Marta Lalarr
Sonja: Gertrude Musgrove
Zu diesem zweiten (und letzten) seiner englischen Filme hat Clair das Drehbuch (im Gegensatz zu "The Ghost Goes West") wieder selbst geschrieben. Die zugrundeliegende Idee ist, nüchtern betrachtet, unglaubwürdig genug: Zwei Londoner Revuesänger täuschen aus Werbungsgründen die Ermordung des einen durch den anderen vor. Während dem "Mörder" der Prozess gemacht wird, wartet der andere an der Riviera auf den Augenblick, da er, in letzter Minute zurückkehrend, seinen Kollegen gerade noch vor dem sicheren Strang retten kann. Unglücklicherweise wird er aufgrund einer Verwechslung nach Bosvinien, einem Staat, in dem ein rauhes Regiment herrscht, verschleppt und dort als Revolutionär zum Tode verurteilt. Nun sitzen beide in der Klemme, und alle guten Geister müssen losgelassen werden, damit die Geschichte wieder ins Lot kommt. - Die bosvinischen Passagen enthalten die Höhepunkte des Films.
Aber es kommt nicht auf die Glaubwürdigkeit dieser Geschichte an; Realistik und körniger Tiefsinn sind ihr fremd, sie bleibt ganz und gar in ihrer Welt einer in die eigene Leichtfüssigkeit verliebten Phantasie. René Clair versucht niemals, durch die Verwendung von grossen Kalibern zu wirken; es gibt bei ihm keine tiefen Erschütterungen und keine Ekstasen. Gut ist es, den Unterschied von Leichtigkeit und Oberflächlichkeit zu vermerken. Clair ist leicht, nicht oberflächlich. Die Dinge und Ereignisse, auch die eigentlich tragischen, verlieren unter seiner Hand ihre Schwere und wenden uns ihre unverbindlichen Seiten zu. Zu diesem Leichtnehmen, das man für sich noch oberflächlich nennen könnte, kommt aber die graziöse Beschwingtheit und die wunderbare, an die Arbeit eines Balletts erinnernde Präzision, mit der sich in der Welt seiner Filme die Knoten eines spielerischen Schicksals schürzen und wieder lösen.
Zitieren wir Chaplin herbei, so erleben wir das Problemhafte im Hintergrund seiner Leinwandzappeleien besonders deutlich im Vergleich mit dem unkomplizierten Himmel, den der französische Meister über seinen Menschen ausspannt. Wollte man etwas vom Wesen der René Clairschen Welt in einem Wort aussagen, dann hätte man nur einen positiven Gegenbegriff zum Begriff des Problemfilms zu finden.       K.B.
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Hamlet
Produktion: Two-Cities-Film, 1948
Regie: Laurence Olivier
Kamera: Ray Sturgess
Musik: William Walton
Ton-Schnitt: Harry Miller
Darsteller:
Hamlet: Laurence Oiivier
Ophelia: Jean Simmons
Königin: Eileen Hertie
König Claudius: Basil Sidney
Polonius: Felix Amyler
Laertes: Terence Morgan
Horatio: Norman Woolend
Über wenige Menschen ist so viel gesprochen und geschrieben worden wie über den Dänenprinzen. Es gibt unzählige "Hamlet-Auffassungen". Die entscheidendste, von der die letzten anderthalb Jahrhunderte beherrscht waren, kam von Goethe: "Eine grosse Tat ist auf eine Seele gelegt, die der Tat nicht gewachsen ist, und in diesem Sinne finde ich das Stück durchgängig gearbeitet. Hier wird ein Eichbaum in ein köstliches Gefäss gepflanzt, das nur liebliche Blumen hätte aufnehmen sollen. Die Wurzeln dehnen sich aus, das Gefäss wird vernichtet "
Viele Schauspieler vertieften diese Auffassung, bis aus ihrem Hamlet, aus dieser "grüblerischen Natur", wie ihn die deutsche Literaturgeschichte nennt, ein Psychopath wurde, in dem von Anfang an der Trübsinn sass, wie der Kern in der Nuss. Die englische Tradition jedoch hat seit 1601 nicht so sehr den "wunderlichen" Hamlet, als den leidenschaftlichen Charakter gesehen, den gerade seine eigene Kühnheit ins Verhängnis treibt.
Laurence Olivier führt diese klassische Linie teilweise weiter. Auch sein Hamlet ist kein zwiespältiger Mensch. Er ist nicht melancholisch, er ist nur einsam. Er ist jener Hamlet, von dem Goethe sagt, dass er sich "ausgeschlossen fühlt, arm an Gnade und fremd in dem, was er von Jugend auf als sein Eigentum betrachten konnte." Er hat den Boden unter den Füssen verloren. Wohin er fasst, greift er ins Leere oder in solch abgrundtiefe Verderbtheit, dass er immer müder, immer haltloser sich dem Ziel nähert, vor dem ihm graut und dem er nicht entrinnen kann.
Das Spiel, das auf der Bühne 4 1/2 Stunden dauert, läuft im Film in 2 1/2 Stunden ab. Vieles ist gestrichen, manches umgestellt worden. Der orthodoxe Shakespearianer wird über solche Freiheiten vielleicht empört sein und vergessen, dass Hamlet von Anfang an viel öfter in "Bearbeitungen" als in unverstümmelter Form gezeigt wurde. Oliviers Hamlet-Film hat trotz der gewaltigen Striche eine besonders glückliche und dramatisch intensive Fassung gefunden. Von den ersten Minuten an, in denen das Schloss von Helsingör aus dem Nebel aufsteigt, sich Säulengänge öffnen, riesige Hallen und das üppige Bett des Königspaares auftaucht, bis zu dem letzten Moment, in dem Hamlets Bahre durch die Gänge und Korridore schwankt und das sündige, verfluchte Lager vom Feuerblitz der Kanonen eine Sekunde lang überzuckt wird, rollt die Tragödie unerbittlich, in schneidender Klarheit.       Joe Lederer in "Die Welt"

Pressestimmen zu Hamlet anlässlich der Londoner Uraufführung: "Wenn einmal der vollkommene Film hergestellt werden wird, dann wird er so aussehen wie der letzte Teil des Hamlet-Films, und es wird fast zuviel sein, um es zu ertragen." (Daily Express)

"Das Resultat ist Shakespeares gleichnamigem Schauspiel durchaus nicht unähnlich." (Daily Mail)
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Einmal Millionär sein (The Lavender Hill Mob)
Produktion: Michael Balcon, 1950
Drehbuch: T. E. B. Gurke
Regie: Charles Crichton
Schnitt: Seth Holt
Kamera: Jeff Seaholme
Musik: Georges Auric
Darsteller:
Holland: Alec Guinness
Pendelburg: Stanley Holloway
Eddi: Sidney James
Schorchi: Alfie Boss
Eigentlich sollte dieser Film ein Kriminalfilm werden - und dann hätten wir wohl keinen Grund gefunden, ihn bei uns zu zeigen. Als aber Alec Guinness das Drehbuch gelesen hatte, machte er den Produzenten den Vorschlag, es umzuschreiben, und so wurde eine Kriminalkomödie daraus, die sich mit den berühmtesten Filmkomödien englischer Produktion wohl messen kann. Das Drehbuch erhielt dann auch auf der Biennale in Venedig 1951 den ersten Preis.
Alec Guinness ist der Held dieser Geschichte, der "einmal Millionär sein" will. Er, der es täglich mit Millionen zu tun hat, die er in Form von Goldbarren von der Giesserei zu den Stahltresoren der Bank zu begleiten hat, sieht im Äusseren wie ein Musterschüler der vergangenen Zeit aus. Er ist der Typ des kleinen, biederen Bankbeamten, linkisch und verlegen, aber gewissenhaft bis zum Goldstäubchen, das er für die Bank vom Boden aufhebt. 20 Jahre lang bezieht er ein mageres Gehalt und scheint mit der Welt zufrieden, aber hinter seinem Biedermannsgesicht überlegt er hin und her, wie er den Geldtransport rauben und die Goldbarren ins Ausland bringen könnte. Denn hier liegt das grosse Problem: die Barren müssen auf irgend eine Weise unangefochten den Zoll passieren können. Diese Frage Stanley Holloway wird in dem Augenblick gelöst, als Herr Pendelburg, Fabrikant von Souveniers in seine Pension einzieht. - Es wäre jammerschade, wollte man die vielfältigen Wege beschreiben, wie der Goldraub zustande kommt, wie das Gold ins Ausland geschmuggelt wird und wie schliesslich der Polizei ein Schnippchen nach dem anderen geschlagen wird. Schwer ist es, mit dem abgenützten Vokabular des Kritikers diesen Film zu charakterisieren, dessen Originalität und treffsichere Satire wie bei kaum einem zweiten dieses Genres begeistert.
Nachdem wir nun den dritten Film mit Alec Guinness zeigen (Der Mann im weissen Anzug, Die seltsamen Wege des Paters Brown), ist es an der Zeit, einige Worte über ihn zu berichten.
Er wurde am 2. 4. 1914 in London geboren. Vor dem Kriege war er bereits am berühmten Old Vic Theatre in London engagiert und 1945 stand er zum s erstenmal vor der Kamera. Auch auf dem Broadway in New York eroberte er sich wie in England die Herzen seiner Zuschauer im Sturm. Durch den Film Geheimnisvolle Erbschaft" ("Great Expectations", Regie: David Lean) machte er sich in aller Welt einen Namen. Verblüffend geradezu ist die Verwandlungsfähigkeit und die überzeugende Kunst, mit wenig Mitteln überragende mimische und gestische Wirkungen zu erzielen. In dem Film "Kind Hearts and Cornets" spielt er nicht weniger als acht verschiedene Angehörige der Familie derer von Ascoyne! Weitere Filme: "Oliver Twist", "Schlüssel zum Paradies", "To Paris With Love", "Ladykillers".       Bl.
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Mein Freund Harvey
Produktion: Universal-International, 1950
Regie: Henry Koster (in Deutschland bei Ufa und Terra mit Namen Hermann Kosterlitz)
Kamera: Leon Shamroy
Buch: Nach dem Bühnenstück von Mary Chase
Darsteller: James Stewart; Josefine Hull; Peggy Dow; Charles Drake; Jesse White
"Der hat's gut, der hat einen Tick" sagen die Leute von dem steinreichen Junggesellen Mr. Elwood P. Dowd. Und in der Tat, etwas merkwürdig ist es schon, wenn er sich mit einem unsichtbaren, nichtsdestoweniger aber fast zwei Meter langen Hasen unterhält, ihm überall den Vortritt lässt und ihm seine Sorgen anvertraut. Woher hatte er diesen Tick?
Seine Mutter hatte ihm eines Tages gesagt, man kann es nur zu etwas bringen, wenn man entweder schlau oder freundlich ist. Und da es bei ihm zur Schlauheit nicht reichte, entschied er sich - nicht ohne äussere Notwendigkeit - fürs zweite. Er war duldsam, zurückhaltend und ruhig zu allen, aber die Welt war nicht freundlich zu ihm. Und so schuf er sich etwas, das seinen Vorstellungen entsprach, einen Gegenpol, mit dem er reden konnte, wie mit einem Menschen.
Mit dieser fixen Idee ist er ein heiterer, gütiger und verträglicher Mensch geworden. Doch die Umwelt, die sich - selbstverständlich - für normal hält, will ihm böse mitspielen. Aber sein Freund Harvey ist auch so etwas wie eine gute Fee, die ihn beschützt. Und so verhält er sich bei einem Besuch im Irrenhaus so normal, dass die aufgeregte und hysterische Verwandtschaft, die ihn eigentlich hineinbringen wollte, am Schluss gleich selbst dableibt. Genauso beim Psychoanalytiker. Vor der gleichmütigen Logik, die sonst nur im Märchen offenbar wird, kapituliert auch der raffinierte Seelenerkenner und liegt nach vergeblichen Versuchen selbst auf dem Beichtbett und schüttet Mr. Dowd sein Herz aus.
An der Herzensweite dieses etwas merkwürdigen Irren offenbart sich das weit schwerere Irresein unserer modernen Zeit mit ihrer unbarmherzigen Logik.
Eine wunderliche, nachdenklich stimmende Geschichte aus jenem Amerika, dessen einer Götze das Tempo ist. Ein guter Film, gemacht in jenem Hollywood, über dessen Perfektion man oft überheblich die Schultern zuckt; aber wenn dieses Hollywood solch poetische Geschichten mit einer Meisterschaft, wie es hier getan ist, verfilmen kann, dann muss der Kern viel besser sein, als die Schale glauben machen will.
Die Besetzung, wie oben angegeben, ist natürlich unvollständig, denn sie enthält die Hauptfigur Harvey nicht. Aber dafür können wir drei andere Namen einsetzen:

Homer Wollfenden; Jack Waldeck; Fredie Morgan (technische Berater der Universal-International

Wollfenden machte mit einer Klaviersaite glauben, dass Harvey die Türen öffnete und schloss,
Waldeck deutete Harveys Gegenwart durch eine vermehrte Beleuchtung des Raumes an und
Morgan setzte einen riesigen Ventilator in Aktion und hauchte Gardinen Kleidern, Blättern und sonstigen bewegbaren Gegenständen Leben ein, so dass man glauben konnte, Harvey gehe dort.       -gps

Die Filmkunst steht erst am Anfang ihrer Entwicklung im tiefen Schlagschatten von Geschäft und Kolportage. Ihre Gesetze und Massstäbe sind kaum erspürt und erkannt. Nur wenige Werke ragen aus der unübersehbaren Zahl der unterhaltenden Filme als gültige Leistungen hervor. Wenn wir aber bedenken, wie wenige grosse und bleibende Schöpfungen im gleichen Zeitraum von anderen Künsten geschaffen worden sind, so dürfen wir feststellen, dass wohl in keiner anderen Kunstgattung so viele kühne und wegweisende Gestaltungsversuche in so kurzem Zeitraum unternommen worden sind "Der Shakespeare des Films" ist noch nicht geboren. Wir müssen demütig warten, bis er uns geschenkt wird. Aber die Entwicklung führt wenngleich auf Umwegen und mit Rückschlägen, aufwärts.       Walter Hagemann
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Parade der Filmkomiker

Eine ganz ulkige Sache
Der Mann, der niemals lacht
oder
Buster zieht um

Beste Qualität in der Kopie

Für unsere Stammkundschaft
mit der blauen Karte
Einmalige Zugabe
Charlie als Sträfling

Charlie als Kurgast

(Völlig flimmerfreies Bild)

Ausgerechnet Wolkenkratzer
Sensationeller Lachschlager mit Harold Lloyd
Länge 300 Meter

Erstmalig in unserem Hause:
Bobby Vernon
in dem umwerfend komischen Film
Razzia im Chinesenviertel

Immer wieder gern gesehen:
Charly Chaplin
in
Der Vagabund

Weltfilm von 550 Metern

Zum Totlachen:
Eine Ehe ohne Krach

Hochhumoristischer Schlager
mit Jimmy Adams

Romeo und Julia (Romeo and Juliet)
Produktion: Universalcine-Verona, 1954
Bearbeitung des Shakespeareschen Dramas und Regie: Renato Castellani
Kamera: Robert Krasker
Musik: Roman Vlad
Architekt. Beratung: Gastone Simonetti
Kostüme: Leonor Fini
Darsteller:
Romeo: Laurence Harvey
Julia: Susan Shentall
Bruder Lorenz: Mervyn Johns
Amme: Flora Robson
Fürst von Verona: Giovanni Rota (Pseudonym des Novellisten Elio Vittorini)
Capulet: Sebastian Cabot
Gräfin Capulet: Lydia Sherwood
Paris: Norman Wooland
In einer Besprechung von Orson Welles' Othello schreibt Th. Kotulla (Film 56, Nr. 2), es sei Mankiewicz bei seinem Julius Caesar daran gelegen gewesen, Shakespeare nicht zu verfehlen; für Welles dagegen musste es darauf ankommen, den Film nicht zu verfehlen. Auf welcher dieser beiden Positionen steht Castellani? - Das realistische Konzept, das er erfolgreich in Duo soldi di speranza (Für zwei Groschen Hoffnung) erprobt hatte, war bei Shakespeare nicht anwendbar. Er bleibt dem Dichter treu, aber die Tragödie wird in einen optischen Rahmen gestellt, der alles Theatermässige sprengt. Was an ROMEO UND JULIA Film ist, liegt nicht in der Bildfolge, sondern im Bild; genauer: in der Ausstattung, die als ein legitimes Anliegen des Filmes gelten darf. Dies Werk ist zweifellos von der frühesten selbständigen Leistung Filmitaliens beeinflusst: vom historischen Monumentalfilm. Das bezieht sich nicht auf den Gehalt, sondern eben auf das Dekor. Und das ist hier Natur, wird gestellt von mächtigen Zeugen des Mittelalters, von den alten Mauern, Toren, Strassen Veronas und Sienas, vom Kloster S. Francesco del Deserto bei Venedig. Was sich an Gutem aus der Tradition des Monstreschinkens herleiten lässt, ist hier verwirklicht: echte Monumentalität, in der die Kulissenprotzerei und die Infantilisierung der Historie überwunden sind.
Für den Entwurf der Kostüme hat man sich an das gehalten, was den Bildern von Piero della Francesca, Filippino Lippi Carpaccio usw., besonders aber denen von Botticelli zu entnehmen war. Und nicht nur die Kleidung ist von ihnen beeinflusst; auch manche der Interieurs erinnern lebhaft an den Charakter der altitalienischen Malerei (etwa der Orchesterbalkon in der Ballszene), und um so eher, als es sich farblich um ein ganz vorzügliches Werk handelt. Es finden sich Bildkompositionen, die den Stil der alten Vorlagen mit der Forderung des Farbfilms nach grossen, homogenen Farbflächen verbinden (so das Zimmer Julias). Lange Augenblicke, längere, als es der Fortgang der Handlung erlaubt, möchten wir unsere Blicke auf den betörend schönen Bildern ruhen lassen. Kritisch darf man hier einwenden, dass dieser uns optisch aufgezwungene Vergleich mit der Malerei auch störend wirken kann, weil Film eben keine Leinwandkunst ist, dass malerische Momente, die nicht in höchstem Masse Film geworden sind, zur Veräusserlichung führen können, im schlimmsten Fall zum Kostümfilm. Bei einem Sujet von der dramatischen Kraft und dem menschlichen Gehalt Romeo und Julias liegt diese Gefahr allerdings so fern, dass wir ihrer erst auf dem Wege der gedanklichen Analyse innewerden.       K. B.
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Herrliche Zeiten
Produktion: Comedia-Filmgesellschaft München- Berlin, unter Verwendung eines grossen Teils des Filmarchiv-Materials von Albert Fidelius, Berlin, 1950
Buch, Regie und Schnitt: Günter Neumann (unter Mitarbeit von Fritz Aeckerle; Hans Vietzke und Eric Ode)
Musik: Werner Eisbrenner
Chansons: Günter Neumann
Es singen: Edith Schollwer; Tatjana Sais; Eric Ode; Ewald Wenck und das Sunshine-Quartett
Es spielen: Willy Fritsch; Bruno Fritz
Hunderte von Kameraleuten aus der ganzen Welt haben 50 Jahre lang an diesem Film gedreht, ohne es zu wissen. So können wir vom bequemen Zuschauersessel aus die "Herrlichen Zeiten" eines halben Jahrhunderts besichtigen. Dem Chef der "Insulaner", Günter Neumann, verdanken wir diesen kabarettistischen Querschnittsfilm, in dem die politischen und kulturellen Ereignisse der vergangenen 50 Jahre durch die Brille des Spiessers August Schulze gesehen werden.
In diesem Film sind zu sehen: Hans Albers, Roald Amundsen, Elisabeth Bergner, Enrico Caruso, Charlie Chaplin, Winston Churchill, Wilhelm Dieterle, Friedrich Ebert sen., Friedrich Ebert jun., General Franco, Kaiser Franz Joseph, Erzherzog Franz Ferdinand, Willi Forst, Rudolf Forster, Willy Fritsch, Greta Garbo, König Georg V., Josef Goebbels, Hermann Göring, Lilian Harvey, Brigitte Helm, Paul v. Hindenburg, Adolf Hitler, Emil Jannings, Buster Keaton, Ozeanflieger Hptm. Kohl, der Hauptmann von Köpenick, Werner Krauss, Harold Lloyd, Erich Ludendorff, König Ludwig III., Mia May, Iwan Mosjukin, Benito Mussolini, der Negus von Abessinien, Asta Nielsen, Zar Nikolaus II., Ossi Oswalda, Anna Pawlowa, Lya de Putti, Harry Piel, Ralph Arthur Roberts, John D. Rockefeller, Franklin Roosevelt, Adele Sandrock, Max Schmeling, George Bernard Shaw, Josef Stalin, Gustav Stresemann, Arturo Toscanini, Ernst Udet, Rudolf Valentino, König Viktor Emanuel III., Kaiser Wilhelm II., Graf Zeppelin, Klara Zetkin, Heinrich Zille.
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Ekstase
Produktion: Slavia-Film, 1931
Drehbuch und Regie: Gustav Machaty
Kamera: Stallich
Musik: Dr. Giuseppe Becce
Bauten: Hesch und Kopetky
Schnitt: Tropea
Darsteller:
Emil: Jaromir Rogoz
Eva: Hedie Kiessler (Hedy Lamarr)
Der Vater: Leopold Krämer
Paul: Aribert Mog
Biennale - Preis für die beste Regie 1934
Als dieser Film 1950 wieder in deutschen Lichtspieltheatern gezeigt wurde, löste er Proteste und Demonstrationen aus, hervorgerufen von Leuten, die, bevor sie den Film gesehen hatten, bereits mit Stinkbomben den Saal betraten. Der Skandal war da. Eine kostenlose Reklame. Die Sensationslüsternen wurden jedoch enttäuscht. Sie sahen nur ein oft variiertes Thema: ein alternder, egoistischer, pedantischer Gatte wird von seiner jungen, blühenden Frau verlassen, die den strahlenden jungen Helden ihm vorzieht. Ein verfilmtes Ehedrama also, ohne ekstatische Orgien und ohne Nuditäten, wie man sie heutzutage von jedem "besseren" Film erwartet!
Schon beim ersten Versuch, den Film in Deutschland zu zeigen, sind Schwierigkeiten aufgetreten. Die deutsche Fassung wurde am 20. Februar 1933, also in den ersten Wochen des Dritten Reiches, verboten. Nachdem die Zensur 380 m herausgeschnitten hatte, konnte am 8. Januar 1935 die Uraufführung unter dem Titel "Symphonie der Liebe" stattfinden. Kurz darauf kam das endgültige Verbot. Hier ist nicht der Platz, nach den Ursachen und Gründen zu forschen, die dem Film solche Hindernisse bereitet haben. Im wesentlichen waren es äussere Umstände und Missverständnisse, die für den Gehalt des Films ohne Bedeutung sind.
EKSTASE gehört in die Reihe jener tschechischen Filme früherer Jahre, die durch vorzügliche Aufnahmen und Kameraführung und die Liebe für's Detail, eine starke Ausdruckskraft erzielten. So finden wir in EKSTASE neben dem Gesicht eines Menschen in Grossaufnahme ganz selbstverständlich gesehene Landschaften und stillebenhaft aneinandergereihte Gegenstände, die dennoch die Handlung manchmal schneller vorantreiben als noch so wildes Gestikulieren und Reden. Nachher fragt man sich bei diesen Filmen gelegentlich sogar nach der Handlung. Sie ist so unendlich gleichgültig gegenüber der Kunst des Kameramanns und des Regisseurs, dass man sie völlig vergisst. In diesem Tonfilm finden wir noch, was der Stummfilm in seiner letzten Vollendung konnte, die Auflösung eines Geschehens in Bilder ohne Worte, die Charakterisierung einer Person, die Vermittlung eines Gedankens durch das Bild.
Es wird für jeden unvergesslich bleiben, wie der glückliche Ehegatte in der Hochzeitsnacht sein Zigarettenetui, seinen Bleistift und sein Feuerzeug auf dem Nachttisch ordnet, wie der vertrocknete Ehemann eine Biene zerdrückt, die ihn stört, während der junge Liebhaber eine zweite Biene behutsam auf eine Blüte setzt.
Der Ton besteht überwiegend aus Musik, die - von Giuseppe Becce komponiert - ein Hauptmotiv enthält, aber immer unaufdringlich bleibt. Im ganzen Film werden nur wenige Worte gewechselt.
Die Rollenbesetzung und die Leistungen der Darsteller unter der ausgezeichneten Führung von Gustav Machaty passen sich dem Niveau des Films vorzüglich an.
1935 schrieb ein Kritiker: "Er (EKSTASE) bedeutet für alle, die an der Zukunft des Films noch nicht gänzlich verzweifeln, eine neue Hoffnung." 1950 konnte man in der FAZ lesen: "In der EKSTASE ist die uralte Geschichte zwar aufgegriffen, aber - das muss man dem Film zugestehen - filmisch stark vermittelt worden." "Expressionistische Bilder, die zuweilen die Peripherie des Surrealismus streifen, zeugen von einer wirkungsvollen, wirklich ,filmischen Photographie'. Aber vielleicht wird gerade am Beispiel dieses Streifens gezeigt, dass die Filmkunst in die Kategorie der vergänglichen Werte einzugliedern ist. Der Atem der unvergänglichen Kunstwerke hat sie vorerst nur gestreift." Nun, EKSTASE wird einen besonderen Platz in der Geschichte des Films einnehmen und ein Beispiel meisterhafter "filmischer" Gestaltung sein.       rei.
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Julius Caesar
Produktion: John Houseman, (MGM, USA) 1953
Regie: Joseph L. Mankiewicz
Musik: Miklos Rozsa
Kamera: Joseph Ruttenberg, A.S.C.
Darsteller:
Mark Anton: Marion Brando
Brutus: James Mason
Cassius: John Gielgud
Julius Caesar: Louis Calhern
Casca: Edmond O'Brien
Calpurnia: Greer Garson
Portia: Deborah Kerr
Verfilmungen klassischer Bühnenautoren können es kaum jedem recht machen. Wird der Stoff frei nach den Regeln der Leinwand gestaltet, jammern die Theaterliebhaber; folgt der Regisseur der Bühnenvorlage, schreien die Cineasten, das sei "unfilmisch". Mankiewicz hat den zweiten Weg mit einer Kompromisslosigkeit beschritten, wie wohl kaum ein anderer. Er übernahm nicht nur den Originaltext Shakespeares (die deutsche Fassung erhielt den Wortlaut von Schlegel und Tieck) mit wenigen, auch auf der Bühne üblichen Kürzungen, sondern änderte auch nichts an der Szenenfolge des Dramas. Die Kamera lässt kaum etwas sichtbar werden, was auf der Bühne nicht gezeigt werden kann. Trotzdem wirkt das Ergebnis auch optisch keineswegs langweilig.
Bei den Aufnahmen ging der Regisseur ebenfalls für den Film ungewohnte Wege. Er liess die Darsteller drei Wochen lang im Kostüm proben und dann den ganzen Handlungsablauf chronologisch wie auf der Bühne spielen. Die schauspielerischen Leistungen zeigen, dass sich diese Mühe gelohnt hat. So wurde dieser Film zu einem Extrem, das anzusehen von Nutzen ist, weil er den Zuschauer in die Illusion eines glänzenden Theatererlebnisses hineingleiten lässt, das immer noch einen stärkeren Zauber ausübt als alle Filme der Welt.       p. b.
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Erwachende Herzen
Produktion: Franco London, 1954
Regie: Claude Autant-Lara
Buch: Claude Autant-Lara; Pierre Bost nach dem Roman von Colette
Kamera: Robert Le Febvre
Musik: René Cloerec
Darsteller:
Madame Dalleray: Edwige Feuillère
Vinca: Nicole Berger
Phil: Pierre-Michel Beck
"Ein ganzes Leben hindurch habe ich mich mehr als jeder anderen Kundgebung des Lebens dem ,Aufblühen' zugewandt. In ihm ist für mich das Drama unserer Existenz beschlossen, mehr als im Tod, der nur eine banale Niederlage ist. So ist mir auch unter allen meinen Büchern die Geschichte von ,Phil und Vinca', die die erwachende Liebe und den schweren Übergang von der Kindheit zur Jugend zu beschreiben versucht, wohl am liebsten. Die Gestalten dieses Buches haben und hatten keine reale Existenz, und es wäre müssig, ihnen eine solche zu suchen. Sie sind wie aus den Schaumkronen der Meereswogen entstanden _... Ich habe vor allem die Freude an der Sonne, dieses körperliche Glücksgefühl wiedererwecken wollen, das ich damals selbst so stark empfand. Und wenn ich meinen kleinen Helden eine Seele gegeben habe, dann nur so viel, dass die Lust ihre Augen mit Tränen erfüllt."
So schrieb die 81jährige Dichterin Colette in ihrem letzten Manuskript vom Februar des Jahres 1954 kurz vor ihrem Tode, als ihr eine extra für sie angefertigte Schmalfilmkopie in ihrem Arbeitszimmer vorgeführt wurde.
Das Thema des Films ist heikel genug:
Zwei halbwüchsige Spielgefährten, er 16, sie 15 Jahre alt, verbringen ihre Ferien irgendwo am Strand des Meeres. Sie ist reifer als er und begierig auf das Wunder der Liebe, aber Phil ist unschlüssig. In dieses Idyll der noch völlig kindlich wirkenden Beiden dringt eine mysteriöse Dame ein, die sich des Jungen "annimmt" und ihm die "Technik der Liebe" beibringt. Als sie, des Spieles überdrüssig, abreist, kehrt Phil zu seiner Freundin Vinca zurück und verlässt mit ihr gemeinsam das Land der Kindheit.
Der Film ist zweifellos mit grossem künstlerischen Ernst angelegt und in Bild und Dialog beispielhaft sauber gehalten. Ober die schauspielerischen Leistungen der Darsteller kann man nur das Beste berichten. Wie aber steht es mit dem Thema selbst? - Lassen wir drei Kritiker zu Worte kommen:
"Der Film enthält einige Szenen, worin die reife Frau den plump zudringlichen, aus Unsicherheit und Unerfahrenheit frech das Liebessoll fordernden Jüngling Manieren lehrt. Diese Szenen machen den Film zu einem Werk, um das man die Franzosen wieder einmal beneiden und bewundern muss. Denn es geht hier nicht nur darum, dass eine Dame einen ungezogenen Jungen aus Geschmacksgründen erzieht, es geht auch nicht nur darum, dass Eros seine Gesetze hat, unter anderem das von der Gleichheit der Partner in Dingen des Taktes und der Formen. Der Film ist in den Szenen der Begegnung zwischen Jüngling und Dame vor allem darum so überzeugend, weil hier mit einer Selbstverständlichkeit, die anderwärts leider gründlich abhanden gekommen ist, das Natürliche nicht vollziehbar ist, bevor nicht Erziehung zur Form stattgefunden hat."       (Karl Korn in der "Frankfurter Allgemeinen )

Wir wehren uns dagegen, dass mit einer zynischen Pervertierung das Gebot der Keuschheit und Sauberkeit als etwas dargestellt wird, über das man bereits zur Tagesordnung übergegangen ist. Am empfindlichsten aber werden wir durch die Haltung der Erwachsenen in diesem Film getroffen, denen die sogar strafrechtlich ahnbare "Verführung Minderjähriger" unbekannt und im Gegenteil in diesem Film als eine fast ethisch wertvolle Tat erscheint. Durch solche Filme zerstören wir bewusster und systematischer die gesamte ethische Grundlage, auf der sich noch unsere staatliche Gemeinschaft aufbaut, als durch alle weltanschauliche Bedrohung von aussen."       (Hs. im "Evangelischen Filmbeobachter)

"M. Autant-Lara defends the morality of the film by an attack on the 'pretentious and highfaluting morals' which, he asserts, are imposed on the cinema as a whole. He has an arguable case; in any event, his handling of the background to the story, the PLAGE, the shadowy parents, the sense of time passing and with it the innocence that belongs to bucket and spade, is admirable."       (The Times, London)

Soweit die Kritiker. Der Film wurde 1954 mit dem grossen französischen Filmpreis ausgezeichnet.

Claude Autant-Lara wurde am 5. August 1903 in Luzarches in Frankreich geboren. Er besuchte zwei Jahre die Mill Hill School in England und ging dann zur l' Ecole des Beaux Arts. Als Regieassistent arbeitete er zusammen mit René Clair an den Filmen "Paris qui dort" und "Le voyage imaginaire". 1923 schuf er als Regisseur seinen ersten Film: "Faits Divers", der die Reihe der Avantgarde-Filme einleitete. 1930 wurde er für zwei Jahre von der MGM engagiert. Er drehte zwei Filme, den einen mit Buster Keaton, "Buster se marie", den anderen mit Douglas Fairbanks jr., "L' athlete incomplet". Wieder in Frankreich, drehte er 1932 einige durchschnittliche Filme, "Le gendarme est sans pitié" und "Un client serieux", 1933 den Musikfilm "Ciboulette" und 1936 einen englischen Film in London "My Partner Master Davis" und wieder in Frankreich "L' affaire du courrier de Lyon". Seinen besonderen Ruhm als Filmregisseur begründete er aber erst mit jenen Filmen, die er während und nach dem zweiten Weltkrieg drehte: "Le mariage de chiffon" (Die Liebesheirat, 1941); "Lettres d' amour" (Liebesbriefe, 1942); "Douce" (Irrwege des Herzens, 1943); "Sylvia et le fantome" (Sylvia und das Gespenst, 1945); "Le diable au corps" (Teufel im Leib, 1946); "Occupe-toi d' Amélie" (Kümmere dich um Amelie, 1946); "L' auberge rouge" (Die rote Herberge, 1951); "L' Orgueil" (1952); "Le blé en herbe" (Erwachende Herzen, 1952); "Rouge et noir" (Rot und Schwarz, 1954); "Marguerite, de la nuit" (Die Blume der Nacht, 1955); "Adorable Julia" (1956); "La traversée de Paris" (1956).       Bl.
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Die ehrbare Dirne (La p... respecteuse)
nach dem Bühnenstück von Jean-Paul Sartre
Produktion: Agiman & Artes, 1952
Regie: Marcel Pagliero und Charles Brabant
Drehbuch: J. L. Bost und Astruck
Dialoge: J.P.Sartre
Kamera: Eugen Shuftan
Musik: Georges Auric
Bauten: Maurice Colasson
Darsteller:
Lizzy: Barbara Laage
Fred: Ivan Desny
Sidney: Walter Bryant
Senator: Marcel Herrand
Bei der Behandlung des Negerproblems in den Südstaaten der USA muss man sich hüten, in eine Schwarzweissmalerei mit einseitiger Tendenz zu verfallen. Herrn Sartre ist dies nicht gelungen. Er stellt die Neger nur als gehetztes Wild und die Weissen als mit der Korruption verschwägerte, ewig im Whisky-Tran, vaterländische Gesinnung heuchelnde, Oberschicht dar. Darauf aufmerksam gemacht, antwortete er dialektisch geschult: ich wollte keinen antiamerikanischen Film machen. Dass die Amerikaner ihn dennoch so auffassten, zeigte, dass er lange warten musste, ehe er (ungekürzt) in New York laufen konnte, und dass man ihn uns Deutschen, als wir noch nicht mündig waren, ganz verbot. (Als man ihn dann freigab, schnitt man starke Szenen, wie etwa die Lynchszene an einem Neger, heraus.) Entsprechend seiner Philosophie musste dann der einzelne Mensch das Problem von sich aus lösen, und nichts liess erkennen, dass auch die Gesellschaft als Ganzes an der Überbrückung der bestehenden Differenzen arbeitet. Schwarzweissmalerei ist nie gut, denn sie verschärft die bestehenden Gegensätze nur und weist keine Möglichkeit für einen verstehenden Kompromiss, der nur eingeleitet werden kann, wenn humane Momente ins Spiel gebracht werden. Dies tut Sartre nicht, und am Ende stehen sich die Parteien nur noch feindlicher gegenüber; warum dann eigentlich der Film, könnte man fragen.
Nun, der Film ist, um seiner selbst willen betrachtet, sehr gut. Die Übersetzung der verschiedenen Fronten ins Optische durch einen Gegensatz zwischen Hell und Dunkel ist gut gelungen. Die behutsame Regie, die der Kamera alle Möglichkeiten gibt, mit ausgezeichneten Einstellungen eine Szene dramatisch auszuschöpfen, erzeugt mit dezenter Unterstützung der rhythmisch skandierenden Musik eine realistische Atmosphäre, wie sie in dieser Geschlossenheit nur noch in wenigen Filmen zu finden ist. Unter geschickter Ausnutzung von Hell und Dunkel agieren die Darsteller nicht vor dem Milieu, sondern sind ein Teil desselben. Sie handeln genau so, wie man es nach dem Milieu erwartet, erbarmungslos und impulsiv. Besonders hervorzuheben ist Barbara Laage, die mit ihrem kultivierten Spiel - das eine weite Skala vollendet umspannt - die anderen, ebenfalls starken Darsteller beherrscht. Sie hat die gleiche Überzeugungskraft und ist immer glaubhaft, ob sie nun in der Grossaufnahme nur nervös mit dem Mundwinkel zuckt oder in der Totale in ein hysterisches Gebrüll verfällt.
Zum ersten eine gutgelungene Übersetzung eines Bühnenwerkes ins Filmische, und zum zweiten ein in allen wesentlichen Punkten ausgezeichnet gelöster Film. Bleibt nur der Film als Politikum, an dem sich bei seiner Erstaufführung die verschiedenen Meinungen entzündeten. Hier zwei der Kritiken. Interessant aber ist, dass man zwei Urteile fällen muss, eins für den Film und eins für den politischen Inhalt.
Neue Zeitung: Der zweifellos vorhandenen filmkünstlerischen Qualität wird man jedoch nicht froh. Abgesehen von dem auch künstlerisch abzulehnenden Schwarz-Weiss-Prinzip ist der Film zwar gut gemacht, aber nicht gut. _... Hamburger Abendblatt: Es ist ein grossartiger Film, weil er den Mut zur Ehrlichkeit und zu einer Form des Realismus hat, den wir im deutschen Film nur noch aus weiter Erinnerung her kennen. -gps-
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Domenica d' Agosto (Ein Sonntag im August)
Produktion: Colonna/Metropa, 1949
Regie: Luciano Emmer
Buch: F. Brusati; G. Macchi; C. Zavattini; L. Emmer nach einem Stoff von S. Amidei
Kamera: D. Scala; L. Bardoni; U. Marelli
Musik: Roman Vlad
Darsteller: Anna Baldini; Franco Interlenghi; Massimo Serato; Ave Ninchi; Vera Carmi; Emilio Cigoli; Elvy Liniak; Anna di Leo
Ein Sonntag im August und ganz Rom zieht hinaus zum Strandbad von Ostia - eine moderne Völkerwanderung schwatzender, gestikulierender, schimpfender und lachender Leute, ein heiteres Chaos, das sich unter dem Blick der Kamera langsam ordnet. Die Stadt stirbt aus, der Strand belebt sich, und die Leinwand quillt über nicht nur von Menschen aller sozialen Schichten, sondern auch von einer unübersehbaren Fülle winziger Impressionen, die wie die bunten Glassplitter eines Kaleidoskops zu immer neuen Bildvariationen zusammenschiessen. Dennoch ist dieser italienische Film (Buch: C. Zavattini; Regie: Lucio Emmer), der thematisch und formal an Robert Siodmaks "Menschen am Sonntag" erinnert, mehr als eine dokumentarische Milieureportage: der Hunger des Städters nach Licht und Luft liegt darin, aber auch die zaghafte Sehnsucht nach Erlösung aus dem Einerlei, nach einem Erlebnis, das fortwirken und den Alltag verwandeln könnte. Ganz behutsam ist das angerührt, in kleinen, durcheinandergewebten Episoden, die mehr vom Leben erzählen als mancher dicke Roman. Die knallige Räuberpistole von den Schlachthofdieben freilich fällt ein wenig aus dem dezent-veristischen Rahmen, und manches, was da an Einfällen ausgesät wurde, kommt nicht recht zur Entfaltung. Doch die zu Ende geführten, oft ironisch pointierten Geschichtchen atmen den flüchtigen Charme locker hingetupfter Feuilletons, und wenn am Abend die Menschenflut verebbt und alles wieder heimzieht, nun nicht mehr schreiend und schnatternd, sondern leicht melancholisch und glücklich ermattet, dann liegt über dem Ganzen der sanfte Perlmutterglanz einer fast transparenten Atmosphäre, und ein zarter Hauch von Poesie weht darüber hin.       Süddeutsche Zeitung
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