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Quellen zur Filmgeschichte ab 1920
Texte der Hefte des studentischen Filmclubs der Uni Frankfurt/Main:
Filmstudio
Einführungsseite
Filmstudio Heft 17, Mai-Juli 1956
Inhalt
Hocus-Focus
Porträt eines Regisseurs: Luis Bunuel
Film-Seminar
L' Auberge Rouge
Im Westen nichts Neues
Münchhausen
Der Kaiser und die Nachtigall
Mexikanische Romanze
Asphalt-Dschungel
Hotel du Nord
Los Olvidados
Das Haus der Lady Alquist
Le diable boiteux
Les enfants du paradis
Der Florentiner Hut
Das Himmelbett
Dr. Knock
Hocus-Focus
oder »Der Trick im Film ist keine Hexerei«
Der erste Film, den ich sah, hiess "Dornröschen". Ich sass als
Dreikäsehoch in einem Kino - es war noch die Zeit des stummen Films -
und erlebte zum erstenmal den modernen Zauber der verdunkelten Säle. Nun
war man also wirklich dabei und sah mit seinen eigenen Augen eine
wohlbekannte Geschichte, die man bisher leider immer nur zu hören bekam.
Eine Szene aber blieb mir ganz besonders in Erinnerung, nämlich jene
Stelle, wo es bei den Gebrüdern Grimm heisst: "Rings um das Schloss aber
begann eine Dornenhecke zu wachsen..." Da wollte das Staunen kein Ende
nehmen. So etwas Phantastisches hatte ich tatsächlich noch nicht
gesehen. Beim blossen Zuhören konnte ich mir das eigentlich nie so
richtig vorstellen, wie das zugeht, wenn so eine Dornenhecke ein ganzes
grosses . Schloss überwuchert. Und nun vermittelte mir ein raffinierter
Trick eine genaue Vorstellung dieses wunderbaren und märchenhaften
Geschehens. Dass das nur ein Trick gewesen war, erfuhr ich natürlich erst
sehr viel später. Merkwürdigerweise könnte mir aber auch die Kenntnis
der einzelnen Filmtricks niemals die Freude an der Illusion oder an der
Verzauberung rauben. Ich weiss doch ganz genau, mit welchem Trick man in
einem Film einen Menschen unsichtbar machen kann, und trotzdem komme ich
auch noch heute nicht mehr aus dem Staunen heraus, wenn ich Harry Piel
in seinem Film "Ein Unsichtbarer geht durch die Stadt" sehe (besser
gesagt: nicht sehe) oder Albers Münchhausen, wie er plötzlich
vermittelst einer Drehung des Cagliostro-Ringes verschwindet. Es ist in
der Tat ein Wunder: Ich kann miterleben, wie ein uralter Traum der
Menschen - das Unsichtbarwerden - Wirklichkeit wird. Was macht es da
schon aus, wenn ich weiss, dass es sich hier nur um einen - dazu noch
verhältnismässig einfachen - Filmtrick handelt?
Vielleicht haben wir es hier mit einer Art des Staunens zu tun, wie sie
die Zauberkünstler im Varieté in uns erregen. Wir wissen genau, dass der
grosse Bellachini, der da im magischen Scheinwerferlicht vor uns auf der
Bühne steht, in Wirklichkeit ja gar nicht zaubern kann (auch nicht das
kleinste Körnchen Tabak kann er aus der Luft greifen, geschweige denn
eine ganze Zigarette); wir wissen genau, dass die soeben verschwundene
goldene Uhr ja irgendwo irgendwo palmiert werden muss. Er selbst selbst
sagt es uns mit seinem stereotypen Sprüchlein immer wieder und bestätigt
nur unseren Verdacht und unser heimliches Wissen: "Hokuspokus - 3 x
schwarzer Kater - Geschicklichkeit ist kleine Hexerei." Und dennoch
gehört diesem Manne, der uns mit ganz einfachen Tricks an der Nase
herumführt, unsere Bewunderung. Das Bewusstsein, einem Gaukelspiel zum
Opfer gefallen zu sein, wird mit in Kauf genommen, ja es hat
höchstwahrscheinlich einen nicht geringen Anteil an jenem merkwürdigen
Reiz, den wir beim Anblick eines Zauberers empfinden.
Das verwandtschaftliche Verhältnis zwischen den Zauberkunststückchen
grosser Illusionisten und den Filmtricks ist bewiesenermassen sehr eng. So
kann es uns nicht wunder nehmen, wenn wir erfahren, dass der Erfinder
fast sämtlicher uns geläufigen Filmtricks ein Zauberkünstler war.
Bereits einige Jahrhunderte vor der Erfindung der Kinematographie hatten
die Gaukler und Magier bei ihren nekromantischen Beschwörungen und
Phantasmagorien verschiedene optische Geräte geschickt für mystische
Zauber-Projektionen zu nutzen gewusst. Als dann 1895 der Cinématographe
der Gebr. Lumière das Zeitalter des Kinos einleitete, verstand es sich
fast von selbst, dass der Direktor einer Pariser Zauberschau, ein
gewisser Georges Méliès, auf den Einfall kommen musste, diese neue
Erfindung sofort in den Dienst seines Unternehmens zu stellen. Selbst
ein Zauberkünstler, kannte er die Neugier der Menschen, etwas
Ungewöhnliches sehen zu wollen, und so stürzte er sich instinktiv auf
den Kinematographen, der es ihm nun erlaubte, jedes nur erdenkliche
Zauberkunststück präzis und elegant zugleich seinen staunenden
Zuschauern zu präsentieren. Von 1896 an drehte Georges Méliès Hunderte
von Zauberfilmen, mit denen er das Publikum im wahrsten Sinne des Wortes
be - zauberte. Das Programm der ersten Kinematographen-Theater, das
gewöhnlich aus Reportage-Filmen (Strassenszenen, Militärparaden,
Unglücksfällen, Sportwettkämpfen usw.) und komischen Kurzszenen bestand,
wurde damit um eine neue und willkommene Filmgattung bereichert. Dieser
Georges Méliès also, der als erster die Illusionstechnik der Bühne auf
die noch ganz in den Anfängen steckende Kinematographie übertrug, ist
der Vater aller heute gebräuchlichen Filmtricks. Von Einstellung,
Blickwinkel, Schnitt und Montage wusste Georges Méliès allerdings noch
nichts. Manche seiner Filme bestehen beispielsweise nur aus einer
einzigen Einstellung, einer Totalen. Méliès wechselt nicht den
Bildausschnitt, seine Kamera bleibt unbeweglich und starr, er schneidet
nicht und montiert nicht, aber er wendet souverän und meisterhaft den
Filmtrick an. Begreiflicherweise suchte er sich für seine Filme solche
Stoffe aus, in denen phantastische oder unerklärliche Dinge geschehen.
So finden wir unter seinen Produktionen die folgenden Titel:
Escamotage d' une dame chez Robert Houdin (1896)
Le cabinet de Méphistopheles (1897)
L' illusionniste (1898)
Le miroir de Cagliostro (1899)
Le Christ marchant sur les eaux (1899)
L' Homme à la tête de caoutchduc (1901)
Gulliver (1902)
Le Voyage dans la Lune (1902)
Le Palais des mille et une nuits (1905)
Les 400 farces du Diable (1906)
200000 lieues sous les mers (1907)
Les hallucinations du Baron Munchhausen (1911)
Da erscheinen bereits neben billigen Jahrmarkts-Sensationen jene
unsterblichen Stoffe wie Gulliver, Münchhausen, 20000 Meilen unter dem
Meer und auch die Reise zum Mond - Stoffe, die wie geschaffen sind für
die Verwendung im Trickfilm, und daher auch immer wieder wegen ihrer
grossen Beliebtheit verfilmt werden.
Der Name des Entdeckers fast aller Filmtricks ist der grossen Masse der
Kinobesucher völlig unbekannt. Aber wer denkt schon an den Erfindergeist
oder an die technische Phantasie, die sich hinter den Tricks verbirgt,
wenn man im Kino einen Riesen sieht, der einen ausgewachsenen
Menschen (keine Puppe!) in seiner hohlen Hand hält;
oder den Mondmann, der auf einem Spaziergang das entzückende Köpfchen
seiner Ehegattin unter dem Arm trägt, derweil ihr Körper zu Hause die
groben Arbeiten verrichtet;
oder wenn der Tod in Gestalt einer eleganten Frau durch einen Spiegel
ins Zimmer tritt;
oder eine fliegende Untertasse mit einer uns noch unbekannten
Strahlenart das 73 Stockwerk hohe Carlton-Building in Chicago
atomisiert;
oder wenn der biedere Dr. Jekyll sich vor unseren Augen in den
bestialischen Mr. Hyde verwandelt;
wer denkt dann schon an die Tricktechniker, die Regisseure, die
Kameraleute oder die Kopiermeister, die sich oft nächtelang den Kopf
zerbrechen, um uns dann mit genialen Einfällen und brillanten Filmtrick
zu überraschen. Bei aller kritischen Einstellung, die uns davor bewahren
soll, den Film als Kunstwerk höher einzuschätzen als ihm zukommt, können
wir es uns nicht versagen, an dieser Stelle - gewissermassen in
Parenthese - die Frage zu stellen: Welches Theater, welcher Zirkus,
welches Varieté könnte uns derartige Schauspiele in solcher
wirklichkeitsnahen und vollendeten Darstellung vermitteln? Sogar das
Fernsehen, das man ein wenig überschwenglich den modernen Zauberspiegel
nennt, muss vor den unbegrenzten Möglichkeiten der Trickfilmtechnik
kapitulieren. So unerklärlich und geisterhaft uns die Tricks oft
anmuten, es steckt nichts anderes dahinter als die Beherrschung und
geschickte Anwendung aller Mittel, die dem Film zur Verfügung stehen.
Doppelbelichtungen, Spiegelaufnahmen, Cash und Gegen-Cash, Zerrlinsen,
Modellbauten und Rückprojektionen: das ist der ganze Zauber. Der Trick
im Film ist keine Hexerei, sondern eine mit minutiöser Genauigkeit
berechnete technische Angelegenheit. Es klingt paradox: aber oft sind
gigantische Maschinen und ein Titanenfleiss erforderlich, um die
zauberhaftesten und graziösesten Trickaufnahmen herzustellen. Und
bisweilen können geradezu poetische Gebilde entstehen, wenn der gesamte
filmtechnische Apparat mit all seiner amusischen Nüchternheit in
Bewegung gesetzt und zudem noch aufs äusserste strapaziert wird.
Wie um jede grosse kulturelle Leistung, so ranken sich auch um die
Entdeckung des Films als Zaubermittel bereits die Legenden und
Anekdoten, Eine der hübschesten davon ist die folgende:
Nachdem man in den ersten Monaten der Kinematographie in reichlicher
Menge ankommende Züge, Radfahrerinnen, tanzende Neger und andere
aufregende Bewegungsvorgänge in der Kamera hatte, kam jemand auf die
Idee, auf eben demselben Boulevard, auf dem man promenierende Pariser
Bürger aufgenommen hatte, eine Szene mit Schauspielern zu drehen. Gesagt
- getan! Ein kurzer Sketch von höchstens einer Minute Dauer wurde
ersonnen (ein Drehbuch gab es nicht), und die Schauspieler -
irgendwelche stellungslosen Schmierenkomödianten - bekamen die
allernotwendigsten Regieanweisungen. Sobald der Kameramann glaubte, dass
genügend Sonnenlicht vorhanden war, wurde gedreht, und wenn es beim
erstenmal nicht gleich klappte, wiederholte man die Szene. Da man noch
keine Ateliers kannte, wurde der Hintergrund der Szene von dem
Strassentreiben gebildet, das unbehindert seinen Gang nahm. Wer aber
beschreibt das Entsetzen, als man sich nach Beendigung der Dreharbeiten
diesen Filmstreifen zum erstenmal ansah? Ganz plötzlich verwandelt sich
wie von Zauberhänden ein im Hintergrund stehender Milchwagen in einen
Leichenwagen. Wie ist so etwas möglich? Des Rätsels Lösung war ganz
einfach: Während einer Drehpause fuhr der vom Kameramann im Hintergrund,
unbemerkte Milchwagen davon, und kurze Zeit darauf stellte sich, an
seine Stelle der Leichenwagen. Als man dann nach Beendigung der Pause
weiterdrehte, hatte niemand diesen Austausch der Gefährte wahrgenommen.
Da die Kamera immer noch am selben Platze stand, ging der Film weiter,
als ob es nie eine Drehpause gegeben hätte. Erst bei der Vorführung
stellte es sich heraus, dass in dieser Pause etwas geschehen war, was
einen für alle Beteiligten unerwarteten Effekt herbeiführte. So
entdeckte man durch einen reinen Zufall einen der beliebtesten und
verblüffendsten Tricks, den sogenannten Stoptrick.
Es ist nicht verbürgt, ob sich diese Geschichte genau so zugetragen hat.
Wahrscheinlich ist sie, wie so viele Erfinderanekdoten, eine reizende
Mischung aus Erdichtetem und Erlebtem. Wirklich verbürgt ist jedoch
jener Augenblick, da ein witziger und übermütiger Vorführer den Film
rückwärts laufen liess und damit den allerersten Filmtrick aus der Taufe
hob. Dies geschah an jenem denkwürdigen Tag, an dem die Gebrüder Lumière
im Salon Indien des Grand Café in Paris, Boulevard des Capucines, ihren
Cinématographe der Öffentlichkeit vorstellten: am 28. Dezember 1895.
Innerhalb dieser Première wurde eine Szene gezeigt, in der eine Mauer
durch Arbeiter zum Einsturz gebracht wird! Plötzlich richtet sich - zum
Erstaunen aller Zuschauer - jene Mauer aus den Trümmern wieder auf und
steht unversehrt an ihrer alten Stelle. Eine bis dahin noch nie gesehene
Zauberei, die durch nichts anderes entsteht als durch eine so banale und
"verkehrte" Handhabung wie das Rückwärtskurbeln eines Filmstreifens. "La
démolition du mur" hat auf diese Weiseeine gewisse Berühmtheit erlangt.
Übrigens existiert diese Szene einschliesslich ihrer Umkehrung auch heute
noch und kann beliebig oft (ebenfalls ein Wunder des Films) wiederholt
werden. So alt und primitiv dieser Trick auch sein mag, wir begegnen ihm
immer wieder und haben unsere Freude daran. Wer kennt nicht den
beliebten: Wochenschau-Gag, bei dem der aus dem Wasser herausschiessende
Turmspringer elegant auf seinem Absprungbrett landet?
Jener Vorführer aus dem (Grand Café entdeckte - freilich unbewusst - das
Grundgesetz für eine Reihe von Filmtricks, die alle mit der Zeit
spielen: Die Zeit kann nämlich mit Hilfe des Zelluloidstreifens und der
Kamera zum Stillstand gebracht werden (gleichsam als posthume
Bestätigung eines der eleatischen Schlüsse des Zeno: der fliegende Pfeil
steht in jedem Moment), sie kann schneller, langsamer, ja sogar
rückwärts gehen, und sie kann beliebig grosse Sprünge machen. Die immer
wieder verblüffenden Zeitraffer- und Zeitlupenaufnahmen, und der bereits
oben erwähnte Stoptrick beruhen auf filmischen Prinzipien, die der
Pariser Cinéaste Lo Duca in seinem Aufsatz "Der Film - siebente Kunst -
zehnte Muse - fünftes Rad am Wagen" folgendermassen formuliert:
Der Technik gebührt Anerkennung. Durch die Technik des Films können wir
abstrakte Formen materialisieren, sichtbar machen oder konkretisieren.
Diese Operation wurde wegen ihres äusseren Anscheins mit der Magie
verglichen. Die "Magie" reicht bis zu dem Punkte, an dem die Tatsachen
unerklärlich bleiben. Beim Film aber wissen wir ganz genau, worum es
sich handelt. Die Magie beginnt in dem Augenblick, wo die menschlichen
Reflexe unabhängig von der Technik, aber entsprechend unseren
Dosierungen, sich verändern oder variieren.
Der Film machte folgende Wunder möglich:
die Raffung der Zeit, Zeitraffer (das Getreide, das sich in zehn
Sekunden vom Samenkorn zur reifen Ähre entwickelt)
die Dehnung der Zeit, Zeitlupe (das langsame Fliegen einer
Granate)
die Unabhängigkeit von der Zeit (automatische» "Rückblenden")
die Aufhebung des Räume (Makro- und Mikrofilm, Tele-
objektiv).
Das sind die geradezu klassischen und offensichtlichsten Manifestationen
des Films. Dieses ausserordentliche Werkzeug verweigert sich keinem
Wunder.
Damit wird der Film zur Kunst der 4. Dimension. Angesichts dieser
Feststellung fragt man sich, ob die Produzenten, die den 3D-Rummel
inszenierten, blind oder nur einfach dumm waren. Sahen sie denn nicht,
dass es den 4D-Film (ich gebrauche nur ungern diesen Ausdruck) bereits
seit 1898 gab? Mit Genugtuung erlebten wir, wie das Publikum, Gott sei
dank, die Brillen-Tyrannei des sogenannten plastischen Films einfach
nicht mitmachte.
Streng genommen, müssen wir zwei Gruppen von Filmtricks unterscheiden:
1. den Hocus-Focus - und 2. die aufnahmetechnischen Sonderverfahren.
Die erste Gruppe - und nur von dieser ist hier die Rede - umfasst alle
diejenigen Tricks, die den Zuschauer verblüffen sollen, und von ihm
auch entsprechend als Zaubereien, Visionen, Träume, Phantasien oder
Gaukeleien aufgefasst werden, - kurz: Dinge und Vorgänge einer
irrealen Welt.
Ob "King-Kong", "Tarantula" oder "The Beast" - ob "science fiction"
oder Weltraumfahrt - Hollywoods Tricktechniker verblüffen uns immer
wieder mit phantastischen Schöpfungen, deren Raffinement nicht mehr zu
überbieten ist.
Bei der zweiten Gruppe handelt es sich um die mannigfaltigsten Szenen,
die wegen ihres Schwierigkeitsgrades (Eisenbahnzusammenstösse, Menschen,
die aus dem Fenster springen, Explosionen, Naturkatastrophen und
dergleichen) nur mit einer raffinierten Mogelei aufgenommen werkönnen.
Die mit Hilfe solcher aufnahmetechnischen Sonderverfahren ausgeführten
Szenen werden so geschickt mit den normalen Filmaufnahmen montiert, dass
kein Zuschauer den Eindruck einer unechten Szene haben kann. In diese
Gruppe fallen auch alle die Aufnahmen, die man wegen der Kostspieligkeit
der Dekorationen im sogenannten Schüfftan-Verfahren (eingespiegelte
Modellbauten) herstellt
Da es sich eingebürgert hat, auch die eben erwähnten Sonderverfahren als
Tricks zu bezeichnen, werden diese beiden Gruppen unverständlicherweise
immer wieder miteinander vermengt. Mit dem echten Filmtrick - dem
Hocus-Focus - haben wir es jedoch nur dann zu tun, wenn wir im
Bewusstsein, dass derlei Dinge in der Realität nicht existieren können,
uns der Illusion hingeben, etwas Wirkliches (richtiger: das Abbild von
etwas Wirklichem) zu sehen.
Eine Gattung für sich sind die Zeichen-, Puppen- und Sachtrickfilme.
Ihre ausführliche Darstellung kann leider nicht im Rahmen dieser
Betrachtung erfolgen, die sich lediglich mit dem Trick im normalen
Spielfilm beschäftigt.
Der Trickfilm beruht auf einer ganz bestimmten Aufnahme-Technik, die
totes Material (Zeichnungen, Puppen, Scherenschnitte, Spielzeuge und
andere geeignete Gegenstände) zum Leben erweckt. Es handelt sich dabei
gewissermassen um eine künstlich erzeugte Bewegung, eine Bewegung, die
kein Mensch vorher gesehen hat - nicht einmal der Trickfilmzeichner
selbst - und die erst beim Durchlauf durch den Projektor sichtbar wird.
Deshalb heben wir diese Formen des Films, deren grosse Repräsentanten
Walt Disney, Ladislds Starewitch, Jiri Trnka und Stephen Bosustow sind,
als eine besondere Gattung von den Filmtricks ab.
Die allerersten Trickaufnahmen waren nichts weiter als die filmischen
Varianten zu den Gaukelspielen der Jahrmarkts-Schaubuden (Dame ohne
Unterleib, die schwebende Jungfrau, die Flucht durchs Schlüsseloch,
Gespensterkabinett usw.).
Aber sehr bald schon griffen die grossen Regisseure des stummen Films
die Tricktechnik auf, um mit ihrer Hilfe die filmische Sprache zu ver-
feinern. Die Avantgarde-Bewegung der zwanziger Jahre in Europa ist
ohne die Einbeziehung des Filmtricks überhaupt nicht denkbar. Drei
bedeutende Filmwerke sind an dieser Stelle zu nennen, die noch heute
zum ständigen Repertoire aller Film-Clubs gehören, da sie in genialer
Weise durch die Anwendung der Tricks neue künstlerische Ausdrucks-
möglichkeiten schufen.
René Clair: Entr'acte (1924)
Luis Buñuel: Un Chien andalou (1928)
Jean Cocteau: Le Sang d' un poète (1931)
In diesen verhältnismässig kurzen Streifen wimmelt es geradezu von
Filmtricks aller Art. Das ist durchaus verständlich, denn die drei:
erwähnten Filme waren Versuche, den Surrealismus in das Lichtspiel zu
verpflanzen. Es kann uns nicht wundernehmen, dass man dabei den Filmtrick
als privilegiertes Ausdrucksmittel gewissermassen noch einmal entdeckte.
Auch in Deutschland bemühten sich die besten Filmkünstler um die
künstlerische Bewältigung des Tricks - dieser ursprünglich
jahrmarktsähnlichen Attraktion. 1913 überraschte Paul Wegener die Welt
mit dem Film "Der Student von Prag", der die Aufmerksamkeit der
Filmindustrie aller Länder auf Deutschland lenkte. Die vom Kameramann
Guido Seeber - dem Nestor der deutschen Tricktechnik - hergestellten
grossartigen Doppelgänger-Aufnahmen waren an diesem Erfolg nicht
unerheblich beteiligt. Nach diesem Streifen, der den Anfang der
deutschen Filmkunst bezeichnet, drehte Wegener eine ganze Reihe von
Märchenfilmen, in denen er ebenfalls ausgiebigen Gebrauch von den vielen
Trickmöglichkeiten machte. Als der deutsche Film der zwanziger Jahre
seine Vorliebe für romantische und dämonische Stoffe entdeckte ("Der
müde Tod", "Faust", "Das kalte Herz", "Metropolis", "Geheimnisse einer
Seele", "Der verlorene Schuh" und viele andere), fanden die
Tricktechniker ein reiches Feld für ihre Betätigung.
Den Avantgardisten ist es zu verdanken, dass der Filmtrick den Charakter
der Jahrmarkts-Sensation abstreifen und sich zu einem Stil-Element des
künstlerischen Films entwickeln konnte. Die bedeutendsten Regisseure
bedienten sich nun der Tricktechnik, um in ihre Filme ein wenig Poesie
hineinzuschmuggeln, eine Poesie, die sich mit den realistischen Mitteln
des Films allein so schwer erreichen lässt.
Jean Cocteau behält bei einigen seiner späteren Werke die in den
avantgardistischen Filmen angeschlagene Tonart bei, nur mit dem
Unterschied, dass er das in Le Sang d' un poète linkisch mit einem Finger
gespielte Thema nunmehr orchestriert" (Jean Cocteau: "Gespräche über den
Film"). In "La Belle et la Bête" und vor allem in "Orphée" ist der
Filmtrick zur künstlerischen Ausdrucksform reinster Poesie geworden.
René Clair, den man wegen der virtuosen Beherrschung aller filmischen
Möglichkeiten den "Hexenmeister des Films" nennt, bezaubert sein
Publikum mit phantastischen Tricks in Filmen wie "Les Belles de nuit",
"La beauté du Diable" und in dem unvergesslichen Hexenfilm "I married
a Witch".
Aber auch Vittorio de Sica, der Meister des italienischen Neoverismus
- eines Stils, der den Filmtrick von vornherein ausschliesst - verschmäht
in seinem herrlichen "Miracolo a Milano" nicht die Tricktechnik. Der
Besenritt über den Domplatz von Mailand ist unbestritten einer der
schönsten Filmschlüsse der Welt.
In den eben erwähnten Filmen bildete der Filmtrick die Grundlage. Er
bestimmte den Stilcharakter des betreffenden Films. Daneben aber gibt
es eine Fülle von Filmen, in denen der Trick lediglich als* notwendiger
- Zusatz oder willkommene Abwechslung angewandt wird. Wir denken
dabei an
die utopischen Filme ("Kampf der Welten", "Endstation Mond", "Die
Eroberung des Weltalls")
die Gespenster- und Gruselfilme
("Dr. Jekyll and Mr. Hyde", "Geisterkomödie", "Ich
suche meinen Mörder")
die Abenteuer- und Sensationsfilme ("Ein Unsichtbarer geht durch die
Stadt", "King-Kong", "20 000 Meilen unter dem Meer")
die kabarettistischen Filme
("Berliner Ballade", "Der Apfel ist ab")
die Persiflagen und Filmparodien
("Amphitryon", "O.k. Nero", "Modern Times")
und an die unzähligen Märchenfilme für grosse und kleine Kinder
("Blaubart", "Der Dieb von Bagdad", "Münchhausen", "Der kleine Muck"
usw.)
Mit dem Filmtrick ist all den Regisseuren, die zu fabulieren verstehen,
ein Zauberschlüssel in die Hand gegeben worden, mit dem sie ihrem
Publikum ein Tor aufschliessen können, das in ein Reich der Phantasien
und Träume führt, in ein Reich des Märchens und der Poesie. Und das
könnte uns auch wieder jene Tiefe bringen, nach der wir uns vor der
breiten Wand so sehnen. Ivar Rabeneck
Georges-Henri Clouzot zu "Cocteaus "Orphée":
_... Dieser Film beweist, dass es keine Technik gibt, sondern nur Er-
findung, die Technik, erfindet sich jeder selbst, je nach den Erforder-
nissen der Arbeit, die er ausführt.
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Porträt eines Regisseurs: Louis Buñuel
wurde am 22. Februar 1900 in Calanda (Aragon) geboren. Nach dem Abschluss
seines Universitätsstudiums stiess er zu dem Kreis der jungen spanischen
Surrealisten. Der Maler Salvadore Dali und der Dichter Federico Garcia
Lorca gehörten bald zu seinem Freundeskreis. Unter dem Mäzenat des
Vicomte de Noialles (der auch Jean Cocteau begünstigte) entstanden seine
beiden ersten Filme: 1928 "Un chien andalou" (Ein andalusischer Hund)
und 1930 "L' Age d' Or" (Das goldene Zeitalter). Wegen des grossen
Skandals, den "L' Age d' Or" in den Gesellschaftskreisen seines Mäzen
auslöste, verbot Buñuel die weitere Verwendung des Negativs.
1932 entstand "Las Hurdas" (Erde ohne Brot), ein extrem realistischer
Dokumentarfilm, der wegen seiner Kompromisslosigkeit verboten wurde. Aus
naheliegenden Gründen verliess Buñuel Spanien und hielt sich von 1938 bis
1945 in Amerika auf, siedelte dann nach Mexiko über und drehte dort eine
Reihe nicht sehr bedeutender Spielfilme. Erst mit "Los Olvidados" (1950)
erregte Buñuel wieder internationales Aufsehen und erhielt 1951 in
Cannes für diesen Film den Grand Prix für die beste Regie.
Gesamtverzeichnis seiner Filme:
1928 Un chien andalou
1930 L' Age d' or
1932 Las Hurdas
1946 Gran casino; Gran Calavera; Tampico
1950 Los olvidados
1951 Suzanna; La hija del engano
1952 Subida al cielo; Una mujer sin amor; El bruto
1953 El; Robinson Crusoe; Cumbres borrascosas
1954 La illusion viaja jen tranvia; La mort et le fleuve;
The criminal life of Archibaldo de la Cruz
1955 Cela s' appelle l' aurore
1956 La mort en ce jardin
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Film-Seminar im Sommersemester 1956
Die Entwicklung zum Grossformatfilm
In der letzten Zeit trat der Film über seine Ufer und schwoll in die
Höhe, Breite und Tiefe: Neue künstlerische Ansatzpunkte und
Intensivierung der Wirkung sagten die Anhänger; Verzicht auf die
filmischsten Mittel und Verflachung und Verkitschung notierten die
Kritiker. Viele resignierten mit dem Satz: Grösserer Film - grösseres
Geschäft, wenige suchten die Wurzel in der Entwicklung des Phänomens
Film selbst. Alle aber massen weiter mit den bekannten Massstäben einer
60jährigen Filmtradition
Dieses Seminar will versuchen, in Vortrag - unterstützt durch Besuch
von Grossformatfilmen -, Analyse und Diskussion einen verbindlichen,
gangbaren Weg im cineramischen spectacle zu finden.
Zeit: jeweils montags um 20,00 Uhr s. t.
Ort: Studentenhaus, Zimmer 13
Beginn: 14. Mai 1956
Leitung: Günter P. Schölzel
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L' Auberge Rouge
(Die Rote Herberge)
Produktion: Memnon-Film, Frankreich (1951)
Regie: Claude Autant-Lara
Buch: Jean Aurenche, Pierre Bost, Claude Autant-Lara
Musik: René Cloerec
Schnitt: Madeleine Gug
Kamera: André Bac
Darsteller:
Der Mönch: Fernandel
Die Wirtin: Françoise Rosay
Die Wirtstochter: Marie-Ciaire Olivia
Der Novize: Didier d' Yd
Die Moritat singt: Yves Montand
"_... Hört, ihr Christen, eine echte Moritat
Über drei nichtswürdige Unmenschen; ihre Sünden sind fürchterlich
Zwanzig Jahre lang mordeten sie die Reisenden _..."
Es ist eine grausame Geschichte, die hier sozusagen von der Bildtafel
eines Moritatensängers heruntergenommen wurde und den Drehbuchautoren
zum Vorwand diente. Und sie haben eine höchst sonderbare und
irritierende Geschichte daraus gemacht. Eine Geschichte, die uns kräftig
lachen lässt, während wir gleichzeitig eine Gänsehaut auf dem Rücken
spüren, und die sich im Endeffekt jeder Deutung oder Analyse entzieht.
Ein Mönch findet mit seinem Novizen neben einer grossen Reisegesellschaft
Unterkunft in einer einsamen Herberge. Die Wirtsleute befreiten ihren
Lebensunterhalt davon, dass sie ihre Gäste gewissenhaft umbringen,
ausplündern und die Leichen - 162 an der Zahl - im Obstgarten vergraben.
Doch die Wirtin hat "Religion"; einen Geistlichen will sie nicht töten.
Sie beichtet ihm und jetzt beginnt das Spiel. Ein Spiel, in dem der
Regisseur alle Register grausiger Komik zieht, um seine
gesellschaftskritischen Thesen an den Mann zu bringen. Es gelingt dem
Priester schliesslich, unter Umgehung des Beichtgeheimnisses die
Reisenden vor dem Mord zu retten, doch als sie aufbrechen, stürzen sie -
als Tüpfelchen auf dem i - in einen tiefen Abgrund:
Wer Claude Autant-Lara aus seinen andern Filmen kennt (Douce, Diable au
corps, Occupe-toi d' Amélie), weiss, dass es das pharisäische Spiessertum
ist, das er immer wieder konsequent und kompromisslos angreift. Hier ist
es der konventionelle Klerikalismus, dem er nachspürt, die vertraglichen
Bindungen der Eheschliessung, die er satirisch beleuchtet und die
Dummheit des durchschnittlichen Bürgertums, die er kritisierend vor die
Kamera bringt.
"_... Mag diese blut'ge Affäre / Euch dienen als Lektion.
Die Tugend sich vermehre / Gottes Güte ist der Lohn."
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Im Westen nichts Neues
(All Quiet on the Western Front)
Produktion: Universal Pictures, USA (1950)
Produktionsleitung: Carl Laemmle
Regie: Lewis Milestone
Buch: George Abbott, Maxwell Andersen, Del Andrews nach dem Roman von
Erich Maria Remarque
Deutsche Erstaufführung: 14. März 1952
Darsteller:
Lew Ayres,
Louis Wohlheim,
Slim Summerville,
John Wray,
Arnold Lucy
Es ist immer ein Wagnis, in einer Zeit der Wiederaufrüstung einen
Kriegsfilm zu zeigen. Muss nicht: jede Schilderung des Krieges zur
"Besinnung auf männliche Tugenden" reizen? Jedoch, der Ruf der ehrlichen
Absicht, der diesem Film vorausgeht, mag derartige Bedenken zurücktreten
lassen.
Die Geschichte dieses Films ist sicher einigermassen bekannt. Als E.
Remarque sich mit seinem Roman, "Im Westen nichts Neues" (1929) in das
Kreuzfeuer hitziger Diskussionen begab, griffen amerikanische
Produzenten schnell zu, diesen aktuellen Stoff zu: verfilmen. In
Deutschland wurde der Film, kaum angelaufen, auf Betreiben der
Landesregierungen von Braunschweig und Thüringen sowie des
Reichswehrministeriums wegen Verunglimpfung des deutschen Soldaten
verboten. Auch Seiner Wiederfreigabe im Jahre 1932 machte die
"Machtergreifung" ein schnelles Ende. Erst 1952 kam eine
deutschsprachige Version - allerdings durch grosszügige Schnitte
wesentlich "entschärft" "wieder nach Deutschland.
Wir haben heute einen schlimmeren Krieg hinter uns. Jeder Soldat des
zweiten Weltkrieges kann seine eigenen Erfahrungen zum Vergleich
heranziehen. Die Ereignisse des ersten Krieges gehören schon zu sehr der
Historie an, um noch den brennenden Reiz der Aktualität zu besitzen. Der
bleibende Wert des Films liegt anderswo. Er mahnt auch heute noch vor
jedem leichtfertigen und unüberlegten Rückfall in jede Form des
Wehrgedankens. Er zeigt auch heute noch, dass der Krieg grausam und
unmenschlich ist. Er ruft auch heute noch unüberhörbar, dass es
Menschenleben sind, die auf den Schlachtfeldern geopfert werden.
Darin liegt die Mission dieses Films, und darum sollte man ihn immer
wieder zeigen. Eine eindeutige Absage an den Krieg - um vieles
eindeutiger jedenfalls als die misslungene Revolte des Gefreiten Asch in
08/15 I bis III.
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Münchhausen
Produktion: Ufa, Deutschland (1945)
Regie: Josef v. Baky
Buch: Bertold Krüger (Erich Kästner)
Kamera: Werner Krien und Konstantin Irmen-Tschet
Musik: Georg Haenschel
Darsteller:
Ferdinand Marion
Gustav Waldau
Hans Albers
Eduard v. Winterstein
Brigitte Horney
Michael Bohnen
Ilse Werner
Hubert v. Meyrinck
Käthe Haack
Hilde v. Stolz
Marianne Simson
Franz Schafheitlin
Leo Slezack
Hans Brausewetter
Hermann Speelmanns
Wilhelm Bendow
Walter Lieck
Als die Ufa im Jahre 1943 ihr 25jähriges Jubiläum feierte, wollte sie
aus diesem Anlass einen Film produzieren, der nach Inhalt, Form und
Publikumswirksamkeit dieses grossen Ereignisses vollauf würdig war. Man
verfiel schliesslich auf die Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen,
einen Stoff, der allen diesen Anforderungen weitgehend entgegenkam.
Sicherte er einerseits durch seine Popularität dem Produzenten volle
Kassen, so stellte er andererseits den Kameraleuten eine Fülle
interessanter Aufgaben, an denen auch schon der Filmzauberer Méliès im
1. Jahrzehnt der Filmgeschichte sich versucht hatte. Dazu war es ein
Stoff, der geradezu danach verlangte, die eben gewonnenen
Farbfilmerfahrungen ("Frauen sind doch bessere Diplomaten", "Die goldene
Stadt", "Das Bad auf der Tenne") erfolgreich auszuwerten.
Die Hauptrolle bekam Hans Albers, dies war man ihm und dem deutschen
Publikum schuldig, denn er hatte in starkem Masse daran teilgenommen, den
Stil des deutschen Unterhaltungsfilms von Format zu prägen. Als Autor
für das Drehbuch hatte man Erich Kästner gewonnen, der, es war im Jahre
1942, unter einem Pseudonym schreiben musste, da er offiziell zum
Schweigen verurteilt war. Als der Film herauskam, errang die Ufa einen
ihrer grössten Erfolge. Die damalige Einmütigkeit in der Kritik möchte
man heute gern noch einmal erleben. Dieser Film gehört in die Reihe
jener grossen Streifen, auf die man (leider) immer wieder zurückgreifen
muss, will man einen guten deutschen Film präsentieren.
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Der Kaiser und die Nachtigall
Produktion: Tschechoslowakischer Staatsfilm (1949)
Buch: Iri Trnka und Iri Brdecka nach Hans Christian Andersen
Regie: Iri Trnka [Jiri Trnka]
Kamera: Ferdinand Pecenka
Musik: Vaclav Trojan
Deutscher Sprecher: Albert Lieven
Jenseits des eisernen Vorhangs hat sich seit 1945 eine von der
westlichen Welt unbeeinflusste und auch wenig beachtete neue Filmgattung
entwickelt: Der Puppenfilm. Gewiss, es hat schon vorher eine ganze Reihe
von Künstlern gegeben, die sich mit dem Puppenfilm befasst haben, aber
der Leiter des Prager Puppenfilmstudios Iri Trnka hat es verstanden, die
Eigengesetze des Puppenfilms zu entwickeln und neue, eigene Wege zu
gehen. Sorgfältig die Gefahr vermeidend, bei der Darstellung
menschlicher Probleme durch Puppen in die Verniedlichung oder gar ins
Lächerliche abzugleiten (wie etwa die vermenschlichten Tiergestalten
Walt Disneys), zeigt uns Iri Trnka einen mikrokosmischen Spiegel unserer
eigenen Welt, der uns vom ersten bis zum letzten Bild in seinen
zauberhaften Bann schlägt.
Der Kaiser und die Nachtigall ist die Geschichte vom chinesischen
Kaiser, der sich in der Einsamkeit seines Monarchenlebens am Gesang
einer Nachtigall ergötzt. Als man ihm aber eine mechanische Nachtigall
bringt, wird durch den automatischen Gesang dieses Spielzeuges der
kostbare Vogel vertrieben. Vor Sehnsucht nach der wirklichen Nachtigall
wird der Kaiser krank - doch im letzten Augenblick kehrt der Vogel
zurück und vertreibt durch seinen Gesang den Tod.
An diesem zauberhaften Film offenbart sich die ganze Vorliebe des
Osteuropäers am Spielerischen und Kindlichen. Aber man kann auch -
selbst auf die Gefahr der Überinterpretation hin - das Beispiel eines
Künstlers darin sehen, der sich aus den engen Grenzen diktatorisch
begrenzten Schaffens in eine politisch unverbindlichere aber menschlich
um so wärmere Welt hineinflüchtet.
Iri Trnka, von Haus aus Architekt und Maler, befasste sich schon in den
dreissiger Jahren lebhaft mit der Puppenspielerei. 1945 wurde er Leiter
des Zeichenfilmstudios des tschechoslowakischen Staatsfilms,
konzentrierte sich aber als alter Liebhaber des Puppenspiels bald ganz
auf die Arbeit am Puppenfilm. Es ist zu hoffen, dass noch viele seiner
Filme eine Lücke im eisernen Vorhang finden werden.
"Von der Trägheit der Materie, dieser dem Tanz entgegenstrebensten
aller Eigenschaften, wissen sie nichts: weil die Kraft, die sie in die
Lüfte erhebt, grösser ist als jene, die sie an die Erde fesselt. Die
Puppen brauchen den Boden nur, wie die Elfen, um ihn zu streifen, und
den Schwung der Glieder durch die augenblickliche Hemmung neu zu
beleben."
Kleist: "Über das Marionettentheater"
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La Perla
(Mexikanische Romanze)
Produktion: Oscar Dancigers, Mexiko (1947)
Regie: Emilio Fernandez
Buch: John Steinbeck, Emilio Fernandez und
Jack Wagner nach der Novelle
"The Pearl" von John Steinbeck
Kamera: Gabriel Figueroa
Musik: Antonio Diaz Conde
Da rste 11 er:
Pedro Armendariz
Alfonso Bedoya
Maria Elena Marques
Gilberto Gonzales
Fernando Wagner
Juan Garcia Maria Cuadros
Charles Rooner
Die Gier nach Besitz und Reichtum zeichnet in diesem Film ein
abenteuerliches Drama vor einem idyllisch anmutenden Hintergrund. Unter
geschickter Anpassung an die literarische Vorlage verzichtet der
Regisseur auf jeden dokumentarischen Realismus, so dass das Milieu
stellenweise romantisierend verzeichnet wirkt. Die vorzüglich geführte
Kamera fing ebenso schöne wie dramatische Bilder ein, symbolhaft und
typisch, so dass die Szenen eindringlicher und überzeugender wirken als
eine dokumentarische Bestandsaufnahme der Wirklichkeit. Die Handlung
berichtet von dem Schicksal eines einfachen armen mexikanischen
Perlenfischers und seiner heldenmütigen Frau. Als das kleine Kind des
Fischers eines Tages gefährlich erkrankt und der Dorfarzt seine Hilfe
verweigert, reift in dem Fischer der Entschluss, seine Familie um jeden
Preis aus dem Zustande der Armut herauszureissen. Nach langem Tauchen
gelingt es ihm, eine wertvolle Perle in einer Muschel zu finden. Das
Gerücht von dem glücklichen Fund verbreitet sich schnell. Die Folge
davon sind Missgunst, Neid und Intrigen, die den Fischer auf Schritt und
Tritt verfolgen^ Man versucht, ihm mit allen Mitteln die Perle zu
entwenden, bis er schliesslich im Streit einen Mann tötet um die Perle zu
retten. Um den Verfolgern zu entgehen, flieht er mit seiner Familie in
die Sümpfe: und Berge im Innern des Landes. Ein skrupelloser
Perlenkäufer folgt seinen Spuren und holt ihn schliesslich ein. Ein Schuss
fällt und trifft das Kind in den Armen der Mutter tödlich. Der Vater
rächt den Tod seines Kindes und ersticht den Mörder. Gebrochen kehrt das
Paar in das heimatliche Dorf zurück. Die Perle, die Ursache allen
Unglücks, werfen sie als Opfer in das Meer, um sich damit ein wenig
Glück zu erkaufen.
Gabriel Figueroa gehört zu der internationalen Spitzenklasse der
Kameramänner. Dank seiner hervorragenden Arbeiten (u. a. "Los
Olvidados") ist er permanenter Anwärter und Empfänger von "Preisen für
die beste Fotografie" auf allen Festspielen. Nicht zuletzt durch
Figueroa wurde die junge mexikanische Filmkunst sehr bald zu einem
internationalen Begriff.
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Asphalt-Dschungel
(Asphalt Jungle)
Produktion: Metro-Goldwyn-Mayer, USA (1950)
Regie: John Huston
Buch: Nach dem gleichnamigen Roman
von W. R. Burhit
Darsteller:
Sam Jaffé
Sterling Hayden
Louis Calhern
Jean Hagen
Es gibt, grob gesehen, zwei Grundtypen von Filmen. Die einen sind
literarischer Natur, leben von der Handlung und interessieren den
Zuschauer allein durch das, was auf der Leinwand geschieht; der Reiz der
anderen Gattung liegt in der optisch-akustisch atmosphärischen
Verdichtung einer Situation, in der "Verfremdung" des Gewohnten durch
eine eigene Sehensweise. Die letzteren sind Filme im eigentlichen Sinne
und leider nur sehr selten zu finden.
Ein Zwitterdasein innerhalb dieses Systems führt der jüngere
amerikanische Kriminalfilm. Lebt er doch einerseits von einer spannenden
"Story", zeigt er uns aber andererseits Sequenzen von starker,
bildhafter "Verfremdung" von der Art, die die Amerikaner "Realismus"
nennen.
Die Story dieses Films ist die eingehende Schilderung eines
Juwelenraubs, angefangen bei den ersten Vorbereitungen, endend mit der
Durchführung des Verbrechens und der Verhaftung der Beteiligten. Die
Verfremdung liegt in der ungewohnten Darstellung dieses Geschehens. Der
Bandenchef ist kein "böser Mann" im herkömmlichen Sinne, sondern gleicht
in seiner spiessigen Pedanterie eher einem schrulligen Bürokraten. Der
Einbruch selbst ist keine Tat primitiver Vorstadtgestalten, sondern ein
mit handwerklicher Gründlichkeit vorbereitetes Unternehmen. Die
Polizisten sind schliesslich keine Sherlok-Holmes-Typen, sondern mit
ebensolcher routinemässiger Systematik arbeitende Beamte. Das Ganze wird
in jenem Reportagestil dargeboten, dessen sich die Amerikaner etwa seit
"Naked City" (1948) vielfach bedient iaben.
Hinzu kommt in diesem Film noch die schonungslos psychologische
Durchleuchtung aller beteiligten Verbrecher und ihrer Mitläufer. Eine
Technik, bei der die Sympathisierung des Gangstertums als unerwünschte
Nebenerscheinung auftritt. Eine Tatsache, die viele Kritiker, vor allem
solche mit kirchlicher Orientierung, zur Ablehnung des Films veranlasste.
Aber es mag zur Debatte stehen, ob die Einsicht in die psychische
Anomalie des Verbrechens der Menschheit nicht mindestens ebenso nützlich
ist, wie ein dogmenhaft blindes Urteil.
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Hotel du Nord
Produktion: André Paulvét, Frankreich (1938)
Regie: Marcel Carné
Buch: Henri Jeanson
Musik: Maurice Jaubert
Darsteller:
Annabella
Louis Jouvet
Jean-Pierre Aumont
Jane Marken
Arletty
Bernard Blier
Der vierte Film von Marcel Carné stammt aus der Hohen Zeit des
französischen Films, aus der stilprägenden Epoche Mitte bis Ende der
dreissiger Jahre. Damals entstand ein neuer Filmstil, den man mit
"Poetischer Filmrealismus" bezeichnet hat; dieser Stil hat seitdem
Schule gemacht, besonders in Italien, dessen Neoverismus ohne die
französischen Filmregisseure jener Zelt nicht denkbar ist.
Der Film "Les enfants du paradis" hat den Ruf Marcel Carnés begründet,
"Hotel du Nord" (aus der Trilogie "Quai de brumes" - "Hotel du Nord" "
"Le jour se lève"), lässt ein Stück des Weges erkennen, der zu dieser
Meissterschaft führte.
Um die Geschichte eines Pariser Vorstadthotels und seiner Bewohner ein
Milieudrama, in dem eine Liebende den vertrotzten und seiner Feigheit
sich schämenden Geliebten aus seiner Lethargie in ein neues Leben reisst
- hat Carné eine ganze Welt gebreitet: das Volk der Bistros, ein Gemisch
aus Tagedieben und Gemüsehallenarbeitern, Lastwagenfahrern und trägen
Dienstmädchen, Zuhältern, Polizisten, Dirnen und koketten
Kleinbürgersfrauen. Dieses wimmelnde Leben fängt die Kamera unter der
subtilen und zugleich kräftigen Regie mit scharfen und zugleich
träumerischen Augen ein. Eine Art Märchenglanz liegt darüber, ein
morbides Fluoreszieren, eine geheime Melancholie.
In den poesievollen Liebeszenen schafft die Kamera so etwas wie
Bilddichtung, allerdings gibt es hier auch Längen, ein geradezu
schwelgerisches Auskosten von pathetischen Stimmungen, die durch den
knappen Dialog wieder auf ein erträgliches Mass zurückgeführt werden.
Den Ruf dieses Films begründet nicht zuletzt die ausgezeichnete
Besetzung aus der ersten Garde französischer Schauspieler: Louis Jouvet
als verkommener Zuhälter, der schon zum zweiten Male seine "Haut"
gewechselt hat, weil die Komplizen hinter ihm her sind, der jetzt im
Vorstadthotel untergetaucht ist und aus Liebe gleichsam verzaubert
wieder anständig wenden möchte; seine Partnerin, die nicht minder
grossartige Komödiantin Arletty als Dirne, sarkastisch und lebenstüchtig.
Beide sind Kontrastfiguren zu dem Liebespaar (Annabella und Jean-Pierre
Aumont): die Desillusionierten, die das Leben kennen und nichts mehr von
ihm erhoffen. Trotzdem geht für sie am Schluss des Films ein Leuchten
über dem Dunkel auf ein; neuer Tag bricht für sie an. Diese symbolischen
letzten Dialogworte des Films "Le jour se lève" verwendet Carné ironisch
für sein nächstes Werk, ein düsteres Gegenstück zu "Hotel du Nord", ein
Film der Ausweglosigkeit, bei dem schon Sartre an die Tür pochte.
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Die Vergessenen
(Los Olvidados)
Produktion: Ultramar Film, Mexiko (1950)
Regie: Luis Buñuel
Buch: Luis Buñuel, Luis Alcoriza
Kamera: Gabriel Figueroa
Musik: Gustavo Pittalugo
Darsteller:
Pedro: Alfonso Mejia
Jaibo: Roberto Cobo
Der Blinde: Miquel Incian
Die Mutter: Estella Inda
und Jugendliche aus Mexiko
In den Slums von Mexiko City lebt eine verwahrloste Bande Jugendlicher,
die selbst davor nicht zurückschreckt, hilflose Krüppel und Blinde zu
überfallen und auszurauben. Einer von ihnen ist Pedro. Im Grunde ein
guter Mensch vermisst er sehr die Liebe seiner Mutter und möchte ein an-
ständiges Leben führen. Als er eines Diebstahls verdächtigt wird, läuft er
davon und treibt sich herum. Nachdem er für kurze Zeit in ein Erziehungs-
heim eingewiesen worden war, trifft er mit dem Anführer seiner Bande,
der auch den Diebstahl begangen hat, wieder zusammen. In der Ausein-
andersetzung zwischen den beiden wird Pedro erschlagen.
Ein realistischer Film also! Die Kamera schwenkt in die Gosse!
Sozialkritik! - Es ist nicht nur das.
Luis Buñuel ist allen Cinéasten bekannt als einer der wichtigsten
Vertreter des frühen Filmsurrealismus, Zusammen mit dem (damals noch
weniger auf Publicity bedachten) Maler Salvatore Dali drehte er 1928 "Un
chien andalou" und 1930 "L' Age d' Or". ("Der einzige Film, der in
keinem Land der Welt gezeigt werden darf!") Beide Filme schockierten das
Publikum durch ihre brutale Grausamkeit.
Diente "Un chien andalou" noch rein filmästhetischen Zwecken ("schön wie
die Begegnung eines Regenschirms mit einer Nähmaschine auf einem
Operationstisch"!), so Zeichnen sich in "L' Age d' Or" schon
gesellschaftskritische Tendenzen ab!, die sich in "Las Hurdas" (Erde
ohne Brot), 1932, folgerichtig weiterentwickeln. Vereinfacht gesehen,
erscheint Los Olvidados nun als eine Resultierende aus Buñuels frühem
"l' art pour l' art" - Sadismus und seiner weiterentwickelten
sozialkritischen Absicht. Die Grausamkeit wird zweckgebunden, wird
Mittel zur Revolte. "Wenn man mir Sadismus vorwirft, so dient dieser nur
zu revolutionären, d. h. guten Zwecken. Er ist eine Schutzwaffe, ein
Mittel zum Protest. Darum muss der Film stark einschlagen. Aber die
Grausamkeit ist nicht um ihrer selbst willen da. Ich bin nicht grausam,
sondern ein ganz normaler Mensch", sagt Buñuel selbst zu seinem Film.
Luis Buñuel ist einer der ganz wenigen Regisseure (in diesem
Zusammenhang wäre vielleicht noch Cocteau zu nennen), die die
Erkenntnisse ihrer avantgardistischen Ära konsequent auf den
kommerziellen Spielfilm angewandt haben. Die Gradlinigkeit seiner Regie
in dem schmalen Raum zwischen Realismus und Surrealismus gibt zusammen
mit der eisig-objektiven Fotografie, Gabriel Figueroas, dem Film eine
atmosphärische Dichte, wie man sie in anderen Filmen vergeblich suchen
mag.
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Das Haus der Lady Alquist
(Gas Light)
Produktion: MGM, USA (1943)
Buch: John Van Druten
Regie: George Zukor
Kamera: Joseph Ruttenberg
Musik: Bronislau Kaper
Darsteller:
Charles Boyer
May Whitty
Ingrid Bergman
Angela Lansbury
Joseph Cotten
Ein Film aus jenen schön romantischen, plüschbeladenen Tagen, in denen
es nicht nur keine Autos gab, sondern man sich auch in den Häusern noch
mit der trüben Helligkeit gefährlich gestalteter Gaslampen-Kronleuchter
begnügen musste.
Diese so zärtlich betrachtete Umwelt ist hier nun mit einer
beklemmenden, raffiniert angesetzten Klammer umfasst worden, so dass die
vertrauten und wohlbekannten Gegenstände und Ereignisse unseres
täglichen Lebens plötzlich einen gefährlichen Hintersinn bekommen. Wie
in einer krankhaft erregten Vorstellungswelt schieben sich reale
Wirklichkeit und nur geahnte, unbewusst vorgefühlte, hintergründige
Absicht ineinander. An sich also ein recht interessantes Unterfangen,
die ja immer vorhandene Möglichkeit einer Doppeldeutung unserer
gesicherten Realitäten einmal Wirklichkeit werden zu lassen - und zwar
in einem geschickt gebauten Thriller.
Leider oder gottlob - der Versuch, das wie bei "Malte Laurids Brigge" in
die Dinge gefahrene Böse zu einem eigenen Leben zu erwecken, tritt am
Ende des Films sehr zugunsten der kargen-Fabel zurück. Das
bedauerlicherweise etwas klapprig dahinschwankende Handlungsgerüst ist
in kurzen Stichworten das: Ein Mann versucht, um einen Mord zu
vertuschen, seine Frau in den Irrsinn zu treiben. Aber die Mittel, die
er dazu anwendet, wirken trotz aller Originalität, oder gerade deswegen,
recht erlesen und verwunderlich. In leisen Andeutungen zieht sich so nun
Abend für Abend in dem einsamen Haus der Lady Alquist das Netz der
Suggestion enger zusammen.
Optisch erstaunlich gut sichtbar gemacht und immer noch den Weg der
vernünftigen Erklärung offenlassend, tastet sich die Kamera in langen
Fahrten durch das verwandelte Haus. Gekonnt im kurzen Schnittwechsel
gegeneinander gesetzt dabei das kurze, kaum merkbare Flackern der
Gasflamme in dem Leuchter und der irre Blick der Frau, die durch Ingrid
Bergman hier glaubhaft dargestellt wird.
Leider ist der edle Retter in Gestalt Joseph Cottens nicht allzu weit
und damit das Ende des Kammerspiel-Thrillers allzu nah.
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Le diable boiteux
(Der hinkende Teufel)
Produktion: L' Union Cinématographie Lyonnaise,
Frankreich (1948)
Buch: Sascha Guitry nach dem gleichnamigen Bühnenstück
Regie: Sascha Guitry
Musik: Louis Beydts
Kamera: Nikolas Toporkoff
Darsteller:
Sascha Guitry
Maurice Schutz
Lana Marconi
Henry Lavern
Emile Drain
Maurice Teynac
Georges Grey
Ein Genie der Diplomatie, dargestellt von einem Genie der
Schauspielkunst! Oder man könnte auch sagen: Ein Film, der von
Talleyrand handelt und sich um Guitry dreht! Guitry ist immer im Bild,
Guitry beherrscht jede Szene, Guitry spielt alle anderen an die Wand,
und er tut das mit genialer Souveränität.
Als schon drei Jahre nach dem Kriege Sascha Guitry sich mit zwei Filmen
wieder in den Vordergrund spielte, nahm ein grosser Teil des
französischen Publikums ihm das übel. Man hatte den "Collaborateur"
Guitry noch nicht vergessen. Und man hatte auch noch jene Episode frisch
In Erinnerung, nach der Guitry (nach seinem Freispruch) von Unbekannten
entführt wurde, auf einem grossen Platz in Lyon niederknien musste, just
an der Stelle, an der ein Denkmal für die toten Maquisards errichtet
werden sollte, und er in eben dieser Pose fotografiert wurde. Zwei Filme
waren seine Antwort auf dieses Ereignis. In "Le Commédien" erinnert er
die Franzosen daran, welche Bedeutung die Schauspieler-Dynastie "Guitry"
für das französische Theater gehabt hat, und in "Le diable boiteux"
macht er ihnen klar, auf welche Weise ein kluger Mann seinem Vaterlande
dient.
Talleyrand war ursprünglich Bischof, stand aber später im Dienst der
Revolution, diente Napoleon als Aussenminister, vertrat sein Vaterland
auf dem Wiener Kongress, arbeitete schliesslich auf den Sturz des grossen
Diktators hin, hob die Bourbonen mit Ludwig XVIII., später Karl X. und
den Bürgerkönig Ludwig Philipp auf den Thron und war in seinen letzten
Jahren französischer Botschafter in London.
Dieses faszinierende Genie der Diplomatie, dessen Skrupellosigkeit nie
gemeinen persönlichen Erwägungen, sondern immer dem Interesse seines
Vaterlandes entsprang, konnte keinen idealeren Interpreten finden als
Sascha Guitry.
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Les enfants du paradis (Kinder des Olymp)
Produktion: Pathé Cinema, Frankreich (1944)
Regie: Marcel Carné
Buch: Jacques Prévert nach dem Leben von Baptiste Debureau
Kamera: Roger Hubert
Musik: Joseph Kosma
Bauten: André Barsacq und Alexander Traumer
Darsteller:
Baptiste Debureau: Jean Louis Barrault
Frédérik Lemaître: Pierre Brasseur
Der Graf: Louis Salou
Mme. Debureau: Maria Casarès
Der Kleiderhändler: Pierre Renoir
Garance: Arletty
Lacenaire: Marcel Herrand
Die Machthaber in Frankreich zur Zeit des Krieges hatten wenig Sinn für
den damals sich entwickelnden Filmstil, den Realismus, auch nicht für
einen "poetischen" Realismus. So wich Marcel Carné zur Zeit der
deutschen Besetzung in seinen Filmen auf das weite, wenig
kontrollierbare Feld des Irrealen, des Phantastischen, der "reinen
filmischen Poesie" aus. In enger Zusammenarbeit mit dem Lyriker Jacques
Prévert entstanden die Filme "Les visiteurs du soir" (1942) und "Les
enfants du paradis", beides Meisterwerke der Filmkunst, die wir
paradoxerweise dem Krieg zu verdanken haben. Vorher hatte das Tandem
Carné-Prévert "Drôle de drame" (1937), "Quai des brumes" (1938) und "Le
jour se lève" (1939) gedreht, weitere Filme folgten.
Der Film "Les enfants du paradis" entfernt sich von den Verlockungen des
rein Optischen und räumt einem Dialog voll Herz und Esprit einen
bedeutenden Platz ein; er ist damit viel mehr eine dramatische Erzählung
als eine dramatische Bildfolge. Die Kinder des Olymp sind ein Teil der
Menschenmassen, die im Jahrmarkts- und Karnevalstrubel die Strassen
füllen. Ihre Gefühle, ihr Hass, Neid und ihre Liebe lenken die Geschicke
der Theater, der Dichter und der Schauspieler. Die Handlung löst sie
vorübergehend aus der Masse, um sie am Schluss wieder versinken zu
lassen. Um die weibliche Hauptgestalt, eine Dirne, die ihre Herkunft
nicht kennt und deren Zukunft ungewiss bleibt, kreisen vier Männer: Der
Verbrecher, der aus unerfüllter Liebe zum Mörder wird; der Reiche, der
sie kauft und seinen Besitz mit dem Tode bezahlt; der Tänzer, den sie
ihr Leben lang sucht, liebt und nach der ersten Erfüllung verliert; der
Schauspieler, der in Leichtsinn und Charme ihr natürlicher Partner zu
sein scheint. Doch die Einzelschicksale bedeuten wenig, gemessen an der
menschlichen Atmosphäre, von der man spürt, dass sie in ihrer
Unmittelbarkeit aus dem Herzen der Personen kommt, aber man spürt auch,
wie bitter sie sich täuschen - die Kinder eines verlorenen Paradieses.
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Der Florentiner Hut
Dieser Film stimmt uns sehr froh, Rühmann macht das immer so.
(Werbeslogan der TERRA aus dem Jahre 1939)
Produktion: Terra, Deutschland (1959)
Regie: Wolfgang Liebeneiner
Buch: Bernd Hofmann und Horst Budjuhn nach der gleichnamigen Komödie von
E. Labiche
Kamera: Carl Hoffmann, Karl Lob
Musik: Michael Jary
Darsteller:
Farina: Heinz Rühmann
Pamela: Christi Mardayn
Sarabant: Paul Henkels
Barbock: Viktor Janson
Rsalba: Hubert von Meyerink
Man kann in der Filmgeschichte immer wieder feststellen, dass in den
Zeiten politischen Zwanges schöpferische Regisseure ihre besten
Leistungen auf dem. Gebiet des Lustspiels zeigten. In Italien war es
Mario Camerini, der unter der Herrschaft Mussolinis durch das Lustspiel
den totgesagten italienischen Film wieder Weltgeltung verschaffte, in
Frankreich kann man aus der Zeit der deutschen Besetzung ähnliche
Parallelen finden (Marcel Carné: Les enfants du paradis). Auch in
Deutschland taten einige Regisseure - stofflich nicht selten aus
Frankreich angeregt - mit dem Filmlustspiel manchen guten Griff. Willi
Forsts "Bel ami" nach Maupassant haben die meisten von uns noch in guter
Erinnerung.
"Der Florentiner Hut" folgt einem Bühnenstück und hatte in "Le chapeau
de paille d' Italie" von René Clair einen grossen Vorgänger, demgegenüber
er sein Daseinsrecht behaupten musste. Die Vorlage wurde einigen
geschickten operativen Eingriffen ausgesetzt, ihr Charakter mit kühner
Phantasie frisiert - was dabei herauskam, ist taufrisch und originell
wie nur irgendein Film. Unter der leitenden Hand Liebeneiners formte
sich nicht eines der albernen Lustspielchen, die in grosser Zahl die
Leinwand bevölkern, sondern etwas Einzigartiges, vorher und nachher bei
uns nicht Dagewesenes: Die deutsche Filmgroteske par excellence. Die
Groteske als subtile Kunst: das ist "Der Florentiner Hut". Die Handlung
ist in deutsche Lande verlegt - dass sie in die deutsche Mentalität
verlegt ist, kann man nicht sagen.
Der Film hatte einen ähnlich geringen Erfolg wie "Napoleon ist an allem
schuld" von Curt Götz, - diesem verdarb der geistreiche Dialog den
Erfolg bei den schläfrigen Massen, jenem seine Exzentrik. Und sind seine
Ideen nicht ausgefallen? Wenn Heinz Rühmann sozusagen in die Kamera
schlüpft und ihr Objektiv nun sein Gesicht vertritt, - was man dann bei
einem Kuss zu sehen bekommt, den ein junges Mädchen auf die Lippen (oder
aufs Auge) drückt, ist eine optische Merkwürdigkeit, die von
avantgardistischem Urgeist erfüllt ist.
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The Fourposter (Das Himmelbett)
Produktion: Stanley Kramer, USA (1952)
Regie: Irving Reis
Buch: Allan Scott nach dem gleichnamigen Bühnenstück von Jan de Hartog
Kamera: Hal Mohr
Musik: Dimitri Tiomkin
Zeichentrickproduktion: Stephan Bosustow
Zeichentrickregie: John Hubley
Kostüme: Jean Louis
Schnitt: Henry Batista
Darsteller:
John: Rex Hormon
Abby: Lilly Palmer
Zweieinhalb Jahre wurde Jan de Hartogs romantische Komödie in einem
Theater am Broadway gezeigt, bis es Stanley Kramer unternahm; das Stück
in der gleichen Besetzung zu verfilmen, Aus dem gewagten Unternehmen
entstand eine jener filmischen Kostbarkeiten, die unvergänglichen Wert
besitzen. Gleichzeitig entstand die aussergewöhnliche Biographie einer
Durchschnittsehe, die um die Jahrhundertwende ihren Anfang nimmt, und
der die Kamera durch die wechselvollen Ereignisse der Jahrzehnte
nachspürt. Im Kontrast von Licht und Schatten reiht i sich Episode an
Episode im reizvollen Wechsel von realem bewegtem Bild und origineller
Zeichentrickaufnahme. So entsteht die ganz alltägliche Geschichte einer
Ehe, wie sie von Millionen Menschen gelebt wird; Die Kamera rückt
Jahrzehnt um Jahrzehnt ins Bild, das von dem zweischläfrigen Himmelbett
gleichsam symbolisch beherrscht wird. Zwischen seinen vier Pfosten
verfängt sich die ungestüme Freude ebenso wie das Leid, in seinen Kissen
erstickt mancher gequälte Schrei der Enttäuschung. Unter seinem
Baldachin perlt aber auch das Lachen des Übermuts, geistert der Kobold
des Humors, wird das versöhnende Wort zum Gelöbnis.
Mit dem Charme seiner ganzen Persönlichkeit verkörpert der Engländer Rex
Harrison den Gatten, dem wir in der Hochzeitsnacht zum ersten Male als
schwärmerischem Poeten begegnen. Dank der List seiner bezaubernden
jungen Frau avanciert er zum erfolgreichen Schriftsteller. Mit seinem
ganzen schauspielerischen Talent charakterisiert er die Tugenden des
Mannes ebenso wie seine verzeihlichen Schwächen. Lilli Palmer, seine ihm
filmverbundene Ehefrau, versteht es, die glückliche und zweifelnde
Gattin darzustellen. Für ihre hervorragende Darstellungskunst in diesem
Film erhielt sie auf der Biennale in Venedig 1953 den ersten Preis.
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Dr. Knock lässt bitten
(Knock)
Produktion: Jacques Roitfeld, Frankreich (1950)
Buch: Georges Neveux unter Mitarbeit von Jules Romains nach dessen
gleichnamigen Theaterstück
Regie: Guy Lefranc
Kamera: Claude Renoir, Gilbert Chain
Musik: Paul Misraki
Darsteller:
Louis Jouvet
Jane Marken
Jean Brochard
Marguerite Pierry
Pierre Renoir
Yves Deniaud
Pierre Bertin
Ein Historiker der zeitgenössischen Moral verspottet hier eine bestimmte
Sorte mondäner Ärzte in einer Komödie - und zwar einer recht boshaften,
die wieder einmal beweist, dass es immer eine erfolgreiche Methode ist,
auf die Dummheit, Einbildung und Ängstlichkeit seiner Mitmenschen zu
spekulieren. Dr. Knock, Landarzt einer französischen Kleinstadt, gelingt
es in kurzer Zeit, der bisher kerngesunden Bevölkerung alle nur
möglichen Leiden einzureden und i sie zu bewegen, sich in seine nicht
billige Behandlung zu begeben. Mit einem wahren Geniestreich macht er
schliesslich sogar seinen Vorgänger und Kollegen nicht nur zum Schüler
seiner Methode, sondern auch zu seinem Patienten, der ungeduldig darauf
wartet, endlich ins Krankenbett zu kommen. So wird in humorvoller Weise
geschildert, wie man geschickt seine eigene Existenz sichern kann, wenn
man die Menschen zur "medizinischen Existenz" führt.
Seit "Knock" von Jules Romain ein Repertoirestück geworden ist, fasst man
das "System" dieses merkwürdigen Vertreters der Ärzteschaft in den
Leitsatz: "Ein Gesunder ist ein Kranker, der es nur nicht weiss". Wie bei
Molières Purgon in "Der eingebildete Kranke" lautet das
Glaubensbekenntnis dieses Fanatikers des Thermometers ("Abendglocken
läuten das allgemeine Fiebermessen ein") "Die Gesundheit ist ein enormes
Attentat auf die Medizin, ein Verbrechen der Wissenschaftsbeleidigung".
Der Regisseur verstand es nicht, die Substanz des Theaterstücks in
filmische Ausdrucksweise zu übersetzen; trotz des Fehlens eines
lebhaften Rhythmus' in der Schilderung wegen einer allzu starren
Kameraführung kommt der Film doch zur Wirkung dank des geschliffenen
Dialogs und der faszinierenden Schauspielkunst von Louis Jouvet. Am Ende
seiner Karriere und seines Lebens ist in seinem letzten Film eine der
vollkommensten schauspielerischen Leistungen durch den Film der Nachwelt
erhalten geblieben. Filmtheater, Startheater in Reinkultur - gewiss; aber
wer möchte nicht lieber in einem Film erstklassiges Theater sehen als
einen schlechten oder auch nur mittelmässigen Film?
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